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Document 52012AE2235

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung“ COM(2012) 299 final

    ABl. C 44 vom 15.2.2013, p. 153–156 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    15.2.2013   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 44/153


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung“

    COM(2012) 299 final

    2013/C 44/27

    Hauptberichterstatter: Xavier VERBOVEN

    Die Europäische Kommission beschloss 14. August 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung“

    COM(2012) 299 final.

    Das Präsidium beauftragte den Lenkungsausschuss Europa 2020 am 10. Juli 2012 mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.

    Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 485. Plenartagung am 12./13. Dezember 2012 (Sitzung vom 13. Dezember) Xavier VERBOVEN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 114 gegen 40 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Empfehlungen

    Auf Ersuchen der Kommission hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) beschlossen, zu der Mitteilung zum Thema „Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung“ eine Stellungnahme zu erarbeiten. Der EWSA unterstreicht die enge Verknüpfung dieser drei Aspekte, von denen jeder besondere Zuständigkeiten der Beteiligten erfordert In dieser Stellungnahme wird insbesondere die gemeinsame Verantwortung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft sowie der Beitrag erörtert, den sie und insbesondere Arbeitgeber und Arbeitnehmer leisten können. Zudem wird hervorgehoben, welche Rolle ihnen bei der Konzipierung und Umsetzung politischer Maßnahmen zukommen kann, die das Wirtschaftswachstum wieder ankurbelt, mehr und bessere Arbeitsplätze schafft und die finanzielle Stabilität wieder herstellt.

    1.1

    Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass Teilhabe und Mitsprache grundlegende Voraussetzungen sind, um politische Veränderungen und strukturelle Reformen sinnvoll zu konzipieren, auszuarbeiten und durchzuführen.

    Der EWSA unterstreicht Folgendes:

    strukturelle Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik können die bestehenden und künftigen Beschäftigungsmöglichkeiten für verschiedene Gruppen beeinflussen und haben sehr häufig weitreichende Folgen für die Einkommensverteilung;

    soziale Konzertierung und ziviler Dialog stärken Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz der geplanten wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen;

    Teilhabe ist auch wichtig, um die konkreten politischen Maßnahmen und ihre Ergebnisse genau zu verfolgen, was der Zivilgesellschaft und den Sozialpartnern ermöglicht, ggf. Evaluierungen durchzuführen und frühzeitig Warnsignale zu geben;

    soziale Organisationen und insbesondere die Sozialpartner sind häufig diejenigen, die politische Vorschläge in die Praxis umsetzen müssen.

    1.2

    Der EWSA stimmt dem Erfordernis einer stärkeren europäischen Wirtschaftspolitik zu, damit die Währungsunion besser und zum Vorteil aller funktioniert. Gleichzeitig müssen jedoch dringend die Lehren aus der Realität gezogen werden. Dafür sind soziale Konzertierung und gesellschaftlicher Dialog in den Bereichen Wirtschaft, öffentliche Finanzen und sozialer Zusammenhalt unabdingbar.

    1.3

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, ein Scoreboard mit einem Benchmarking für die Umsetzung sowie eine strukturierte Überwachung der nationalen Aktionspläne für Beschäftigung einzuführen. Die europäischen Sozialpartner sollten in die Konzipierung des Scoreboard mit Benchmarking und die Festlegung der Kriterien für die Bewertung der nationalen Aktionspläne für Beschäftigung eng einbezogen werden.

    1.4

    Für die Lohnbildung möchte der EWSA die Kommission darauf hinweisen, dass Löhne und Lohnverhandlungen in die Zuständigkeit der Sozialpartner fallen, wie im Übrigen auch im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegt.

    1.5

    Deshalb ruft der EWSA die politischen Entscheidungsträger in der EU auch auf, soziale Konzertierung und gesellschaftliche Teilhabe strukturell in den verschiedenen politischen Mechanismen des Europa-2020-Prozesses zu verankern. Denn die Erfahrungen vor Ort zeigen, dass sich der Schwerpunkt von der nationalen auf die europäische Ebene verschoben hat, wodurch Rolle und Qualität der sozialen Konzertierung und der gesellschaftlichen Teilhabe auf nationaler Ebene abgenommen haben.

    1.6

    Der EWSA schlägt vor, die europäischen Sozialpartner im Rahmen des europäischen Semesters über den sozialen Dialog auf Unionsebene sowie die Zivilgesellschaft frühzeitig in die Vorbereitungen des jährlichen Wachstumsberichts einzubeziehen. Außerdem sollten sie unbedingt in die Festlegung der Prioritäten der Beschäftigungsleitlinien und der Grundzüge der Wirtschaftspolitik eingebunden werden.

    2.   Einleitung

    2.1

    Am 30. Mai veröffentlichte die Europäische Kommission eine Mitteilung zum Thema „Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung“ (COM(2012) 299 final). Diese Mitteilung ist ein Dreh- und Angelpunkt des europäischen Semesters. Das Semester beginnt mit dem von der Kommission erstellten jährlichen Wachstumsbericht und endet mit den konkreten Empfehlungen für die einzelnen Mitgliedstaaten, die vom Europäischen Rat gebilligt werden.

    2.2

    Auf Ersuchen der Kommission hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschlossen, zu der Mitteilung zum Thema „Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung“ eine Stellungnahme zu erarbeiten. In dieser Stellungnahme wird insbesondere die gemeinsame Verantwortung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft sowie der Beitrag erörtert, den sie leisten können. Der EWSA hebt die Rolle hervor, die ihnen bei der Konzipierung und Umsetzung politischer Maßnahmen zukommen kann, die das Wirtschaftswachstum wieder ankurbelt, mehr und bessere Arbeitsplätze schafft und die finanzielle Stabilität wieder herstellt.

    In dieser Stellungnahme möchte der EWSA nach Analyse verschiedener Politikfelder Empfehlungen abgeben, wie die Sozialpartner und die Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten innerhalb des europäischen Semesters eine größere, bessere und entscheidende Rolle spielen können. Darüber hinaus wird der EWSA in einem weiteren Schritt eine Stellungnahme zum jährlichen Wachstumsbericht 2013 erarbeiten, in der alle wichtigen von der Kommission thematisierten Politikfelder analysiert werden.

    2.3

    Zunächst stellt der EWSA fest, dass der Hinweis auf die Rolle der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft in der Kommissionsmitteilung auf drei Themenfelder beschränkt ist, nämlich Humankapital, Löhne und „Veränderungen“ als allgemeines Thema (siehe Ziffer 4.1). Hier möchte der EWSA jedoch gleich betonen, dass soziale und gesellschaftliche Konzertierung wesentlich mehr Bereiche und Themen betrifft, u.a. Innovation, Wirtschaftsreformen, Industriepolitik, nachhaltige Entwicklung, Unternehmertum, mehr und bessere Arbeitsplätze, Armutsbekämpfung sowie Sozialschutz. Deshalb will der EWSA mit dieser Stellungnahme in erster Linie die Bedeutung von sozialer Konzertierung und gesellschaftlichem Dialog hervorheben (siehe Abschnitt 3) und anschließend auf die drei spezifischen Bereiche eingehen, für die in der Kommissionsmitteilung ausdrücklich auf die Rolle von Konzertierung und Dialog verwiesen wird (Abschnitt 4). Im letzten Abschnitt unterbreitet der EWSA weitere Anregungen, um Konzertierung und Teilhabe strukturell in der politischen Agenda für Europa 2020 zu verankern.

    3.   Soziale Konzertierung und gesellschaftlicher Dialog sind ein wichtiges Schlüsselelement für eine erfolgreiche Politik

    3.1

    Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass Teilhabe und Mitsprache kein Luxus, sondern ganz im Gegenteil grundlegende Voraussetzungen sind, um politische Veränderungen und strukturelle Reformen sinnvoll zu konzipieren, auszuarbeiten und durchzuführen:

    Strukturelle Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik können die bestehenden und künftigen Beschäftigungsmöglichkeiten für verschiedene Gruppen beeinflussen und haben sehr häufig weitreichende Folgen für die Einkommensverteilung. Hierbei können soziale Konzertierung und organisierter Dialog sicherstellen, dass die Anstrengungen, die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, gerecht verteilt sind. Konzertierung und Teilhabe auf der einen und soziale Gerechtigkeit auf der anderen Seite sind demnach auch sehr eng miteinander verknüpft.

    Das bedeutet gleichzeitig, dass die Konzertierung der Sozialpartner und der zivile Dialog, sofern sie respektiert werden, Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz der sozialökonomischen Maßnahmen stärken und so eine erfolgreiche Politik gewährleisten können. Eine Politik, von der zu erwarten ist, dass sie langfristig kohärent umgesetzt wird, da sie auf einem breiten sozialen und gesellschaftlichen Konsens beruht, wird tatsächlich ein wesentliches besseres Klima des Vertrauens schaffen und effektive Innovationen und Investitionen nach sich ziehen. Hingegen wird eine Politik, die eine starke Schockwirkung hat, bei der die getroffenen Entscheidungen jedoch schnell wieder zurückgenommen werden müssen, da die Betroffenen sie nicht mittragen, für Zweifel und Verwirrung sorgen und so schließlich einen großen Teil ihrer Schlagkraft und Bedeutung einbüßen. Anders gesagt, die Investition in soziale Konzertierung und sozialen Dialog ist eine gute Investition in das soziale Kapital einer Gesellschaft.

    Teilhabe ist auch wichtig, um die die konkreten politischen Maßnahmen und ihre Ergebnisse genau zu verfolgen. Organisationen der Zivilgesellschaft und Sozialpartner fungieren hier als Frühwarnsystem: sie sind in der Lage, neue Tendenzen, aber auch unerwartete und unerwünschte Folgen der Politik frühzeitig zu registrieren und gegenüber den politischen Entscheidungsträgern zur Sprache zu bringen.

    Schließlich sind soziale Organisationen und insbesondere die Sozialpartner häufig diejenigen, die politische Vorschläge in die Praxis umsetzen müssen. Um die reibungslose Umsetzung einer Politik zu erreichen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass diejenigen, die die Politik umsetzen, sie auch mittragen.

    3.2

    Der EWSA weist die Kommission, den Europäischen Rat und die anderen politischen Entscheidungsträger sowohl auf europäischer als auch auf einzelstaatlicher Ebene ausdrücklich darauf hin, dass die soziale Konzertierung und der gesellschaftliche Dialog strikt respektiert werden müssen. Es bringt nichts, wohlklingende Reden über die Bedeutung der Teilhabe zu halten und anschließend dann doch die ursprünglichen politischen Absichten auszuführen, ohne dem Beitrag und den Vorschlägen der sozialen Akteure vor Ort Rechnung zu tragen. Eine solche Haltung bewirkt einen Verlust an sozialem Kapital und gesellschaftlichem Vertrauen und führt zu sozialen, aber auch wirtschaftlichen Fehlschaltungen.

    3.3

    In diesem Zusammenhang ist auch die so genannte horizontale Klausel (Artikel 9 AEUV) zu nennen. Diese Klausel verpflichtet die Europäische Union, bei der Konzipierung und Umsetzung politischer Weichenstellungen und Aktivitäten bestimmte soziale Kriterien und Ziele zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, die Gewährleistung eines ausreichenden Sozialschutzes, die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstand und einen hohen Gesundheitsschutz. Ausgehend von dieser horizontalen Klausel ist die Beteiligung von sozialen Akteuren an der Politik eine logische und unabdingbare Folge.

    4.   Spezifische Politikfelder, bei denen die Kommission auf soziale Konzertierung und gesellschaftlichen Dialog verweist

    4.1

    Der EWSA stellt fest, dass in der betreffenden Mitteilung der Kommission an drei Stellen auf die Bedeutung und die Rolle der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft verwiesen wird. Es handelt sich dabei um folgende Abschnitte:

    Einleitung, Seite 3, Absatz 2 zur Governance – „Wir müssen Einigkeit erzielen und Vertrauen schaffen hinsichtlich der bevorstehenden notwendigen Änderungen und Entscheidungen. In diesem Dialog kommt den Sozialpartnern eine entscheidende Rolle zu.

    Erschließung des Humankapitalpotenzials - Seite 5, Absatz 4 – „In ihrem kürzlich vorgelegten Beschäftigungspaket hat die Kommission konkrete Maßnahmen für eine beschäftigungsintensive wirtschaftliche Erholung in der gesamten EU vorgeschlagen. Die auf die Erschließung des Potenzials zur Schaffung von Arbeitsplätzen angelegten Maßnahmen in wichtigen Sektoren wie IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien), Gesundheitswesen und grüne Wirtschaft erfordern die Zusammenarbeit von Kommission, Mitgliedstaaten, Sozialpartnern sowie öffentlichen und privaten Akteuren. Von der verstärkten Überwachung der nationalen Beschäftigungspläne durch das von der Kommission vorgeschlagene Benchmarking und Scoreboard-Verfahren werden weitere Impulse für beschäftigungsfördernde Reformen ausgehen […].

    Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Bewältigung der sozialen Folgen der Krise – Seite 14, Absatz 6 – „Manche Mitgliedstaaten haben ihre Lohnbildungs- und Lohnindexierungssysteme grundlegend reformiert, um zu gewährleisten, dass die Lohnentwicklung mit der Zeit die Produktivität besser widerspiegelt. In anderen Ländern, in denen bestimmte Lohnindexierungssysteme als mögliche Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit eingestuft wurden, waren die Fortschritte begrenzt. Diese Länder müssen in Abstimmung mit den Sozialpartnern Wege finden, wie sie ihr Handicap in Zukunft verringern. In Ländern mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen ist eine gewisse Verlagerung zugunsten der Binnennachfrage – auch durch Lohnsteigerungen – festzustellen. Dieser Kurs sollte beibehalten werden.

    4.2

    Der EWSA begrüßt einerseits die Entscheidung der Kommission, zumindest in diesen drei vorgenannten spezifischen Bereichen Sozialpartner und gesellschaftliche Organisationen einzubeziehen. Gleichwohl möchte der EWSA aber auch folgende Bemerkungen vorbringen.

    4.3

    Der EWSA stimmt dem Erfordernis einer stärkeren europäischen Wirtschaftspolitik zu, damit die Währungsunion besser und zum Vorteil aller funktioniert. Gleichzeitig müssen jedoch dringend die Lehren aus der Realität gezogen werden. Wenn eine bestimmte Wirtschaftspolitik dazu führt, dass das Wachstum wieder sinkt und mehrere Volkswirtschaften in Europa in eine neue Rezession abgleiten, die sowohl die Stabilität (Defizite und anhaltend hohe Verschuldung) als auch den sozialen Zusammenhalt (hohe und sogar steigende Arbeitslosigkeit) bedroht, dann müssen die politischen Entscheidungsträger das ernst nehmen und den politischen Kurs ändern. Soziale Konzertierung dient dazu, eine bessere Politik zu erreichen, die von der breiten Öffentlichkeit getragen wird, nicht dazu, gegen besseres Wissen halsstarrig an einer Politik festzuhalten, deren verhängnisvolle Folgen sowohl für die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen als auch für den sozialen Zusammenhalt bereits bewiesen sind.

    4.4

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, ein Scoreboard mit einem Benchmarking für die Umsetzung sowie eine strukturierte Überwachung der nationalen Aktionspläne für Beschäftigung einzuführen. Die europäischen Sozialpartner sollten in die Konzipierung des Scoreboard mit Benchmarking und die Festlegung der Kriterien für die Bewertung der nationalen Aktionspläne für Beschäftigung eng einbezogen werden.

    4.5

    Der dritte Bereich, bei dem die Kommission ausdrücklich auf die Rolle und die Beteiligung der sozialen Akteure und Sozialpartner verweist, sind die Löhne. Hier müssen die Sozialpartner laut Kommissionsterminologie bei der Reform der Lohnbildungssysteme „konsultiert“ werden. Bezüglich der Lohnbildung möchte der EWSA die Kommission darauf hinweisen, dass Löhne, Lohnverhandlungen, aber auch die Lohnbildungssysteme selbst in einer ganzen Reihe Mitgliedstaaten in die autonome Zuständigkeit der Sozialpartner fallen, die hierfür Tarifverträge aushandeln und abschließen. Diese Funktion der Sozialpartner, eigenständig zu verhandeln, darf nicht auf eine bloße Konsultationsrunde und die Befugnis zur Konzertierung nicht auf eine reine Beratungsbefugnis reduziert werden. Die Autonomie der Sozialpartner und die soziale Konzertierung werden im Übrigen in Artikel 152 und Artikel 153 Absatz 5 AEUV bestätigt, in denen u.a. der Grundsatz festgeschrieben ist, dass die EU die nationalen Systeme für Arbeitsbeziehungen respektieren muss. Vor diesem Hintergrund erscheint eine „Konsultation“ der Sozialpartner bei der Überarbeitung z.B. eines Indexierungsmechanismus völlig unzureichend und sogar verfehlt, vor allem wenn solche Indexierungsmechanismen im entsprechenden nationalen Modell der sozialen Konzertierung durch die Sozialpartner selbst ausgehandelt und in Tarifverträgen festgelegt werden.

    In diesem Zusammenhang fragt sich der EWSA, ob die Kommission der Rolle von Lohnanpassungen nach unten nicht allzu große Bedeutung beimisst. Bei eingehenderer Analyse der länderspezifischen Empfehlungen, die Teil der Kommissionsmitteilung sind, zeigt sich, dass es bei 16 der 17 Mitgliedstaaten, denen gegenüber die Kommission eine Empfehlung zu den Löhnen ausspricht, darum geht, die Lohndynamik zu schwächen, sei es durch die Reform der Indexierung, die Begrenzung der Mindestlöhne, die Dezentralisierung der Lohnverhandlungen oder die Erhöhung der Lohnflexibilität von Niedriglöhnen. Die Ungleichgewichte, die die europäische Währungsunion kennzeichnen, sind jedoch vor allem struktureller Art und in erster Linie dadurch bedingt, dass die Auswirkungen der Globalisierung auf die verschiedenen Mitglieder des Euroraums divergieren (Fußnote: Verweis auf den IWF. „External Imbalances in the Euro Area“ (Externe Ungleichgewichte im Euroraum). Arbeitspapier 12/136, 2012). Nach wie vor lässt sich der Konkurrenzkampf mit Niedriglohnländern nicht durch Lohnsenkungen gewinnen.

    5.   Strukturelle Verankerung von sozialer Konzertierung und Beteiligungsprozessen

    5.1

    Schließlich ruft der EWSA die politischen Entscheidungsträger in der EU auf, die soziale Konzertierung und den Gedanken der gesellschaftlichen Teilhabe strukturell in den verschiedenen politischen Mechanismen zu verankern. Denn die Erfahrungen vor Ort zeigen, dass sich die europäische Beschlussfassung aus verschiedenen Gründen und nicht zuletzt aufgrund der institutionellen Reformen, die die Kommission bei diesen politischen Prozessen kontinuierlich durchführt, immer stärker auf die Konzertierung und die gesellschaftliche Teilhabe auf nationaler Ebene auswirkt. In diesem Zusammenhang ist es für den EWSA vollkommen unannehmbar, dass Konzertierung und gesellschaftliche Teilhabe auf nationaler Ebene zu einer „Pseudokonzertierung“ degradiert werden, indem nationale Konzertierungstraditionen unterminiert oder als Ganzes nicht mehr respektiert werden (Berücksichtigung des Problems des Zeitplans bei den Konzertierungsverfahren und der zentralen Erstellung von Reformplänen durch nationale Instanzen, die wenig oder gar nicht an der sozialen bzw. partizipativen Konzertierung beteiligt sind).

    5.2

    In Übereinstimmung mit dem Zeitplan des europäischen Semesters hebt der EWSA dazu Folgendes hervor:

    Die europäischen Sozialpartner – im Wege des europäischen sozialen Dialogs – und die organisierte Zivilgesellschaft müssen frühzeitig in die Vorbereitungen des jährlichen Wachstumsberichts einbezogen werden.

    Außerdem sollten sie unbedingt in die Festlegung der Prioritäten der Beschäftigungsleitlinien und der Grundzüge der Wirtschaftspolitik eingebunden werden.

    Bei der Aufstellung der nationalen Reformpläne ist ein breit angelegter und stärker partizipativ ausgerichteter Dialog mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft zu führen. Das setzt die Überprüfung des Zeitplans voraus, sodass genügend Zeit für eine ausführliche Debatte bleibt, die fundierte alternative Vorschläge und Ansätze gestattet. Darüber hinaus regt der Ausschuss an, einen Abschlussbericht über den Dialog auf nationaler Ebene zu erstellen, in dem die verschiedenen Standpunkte und Vorschläge dargelegt werden, und diesen Bericht den von der Kommission zusammengestellten Länderberichten beizufügen. So kann ermittelt werden, wo die soziale Teilhabe eine wichtige Rolle spielt.

    Eine weitere Etappe im Prozess des europäischen Semesters ist die Veröffentlichung der länderspezifischen Empfehlungen durch die Kommission. Die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft müssen hier frühzeitig informiert und konsultiert werden.

    Schließlich sind die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen der Europa-2020-Strategie auf der einen und die Analysen und Empfehlungen des Prozesses zur Feststellung übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte auf der anderen Seite in punkto soziale Teilhabe aufeinander abzustimmen. Die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft müssen auch hier umfassend Gelegenheit haben, gehört zu werden und ihren entsprechenden Standpunkt deutlich zu machen.

    Brüssel, den 13. Dezember 2012

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


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