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Document 52008IE0267

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

ABl. C 162 vom 25.6.2008, p. 42–45 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

(2008/C 162/10)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr HENCKS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 14. Februar) mit 162. gegen 24 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die vom Europäischen Rat am 17./18. Oktober 2007 angenommene Reform der Verträge stellt einen weiteren Fortschritt dar, u.a. bezüglich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, für die in die Bestimmungen zur Arbeitsweise der Europäischen Union (EU) eine allgemein anwendbare Bestimmung für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Artikel 14) eingeführt wird, die auf die gesamte Politik der Union, einschließlich Binnenmarkt und Wettbewerb, anzuwenden sein wird, sowie ein den beiden Verträgen als Anhang beigefügtes Protokoll, das die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse — einschließlich der nichtwirtschaftlichen Dienste von allgemeinem Interesse — in ihrer Gesamtheit betrifft.

1.2

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und die nichtwirtschaftlichen Dienste von allgemeinem Interesse tragen alle zum Gemeinwohl und zur Verwirklichung der Grundrechte der Bürger bei. Diese im allgemeinen Interesse geleisteten Dienste sind von politischen Entscheidungen abhängig und fallen somit in die Zuständigkeit der Gesetzgeber.

1.3

Dies führt nicht nur zu einer verstärkten Verpflichtung der Union und der Mitgliedstaaten, für das reibungslose Funktionieren der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu sorgen, wozu insbesondere auch die Entwicklung eines progressiven Konzepts zur Leistungsbewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gehört, sondern auch zu der Notwendigkeit für die Entscheidungsgremien, klar die Begriffe, Ziele und Aufgaben zu definieren, die sie mit den drei Benennungen verbinden. Solange dies nicht geschehen ist, können die Leistungsbewertungen den Bürgern nicht die Rechtssicherheit bieten, die diese von ihren nationalen und europäischen Institutionen zu Recht erwarten können.

1.4

Die Bewertung muss der Wirksamkeit und Effizienz der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und ihrer Anpassung an die sich entwickelnden Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen dienen sowie den Behörden diejenigen Elemente liefern, anhand derer sie möglichst angemessene Entscheidungen treffen können. Außerdem kommt der Bewertung eine entscheidende Rolle für das Fällen ausgewogener Entscheidungen zwischen Markt und allgemeinem Interesse sowie zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen zu.

1.5

Angesichts der Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und Sozialschutz, die laut Vertrag alles Ziele der EU sind, ist eine regelmäßige Bewertung nicht nur der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die Gemeinschaftsbestimmungen bestehen, sondern auch der nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf Ebene der Mitgliedstaaten unabdingbar.

1.6

Die Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche) auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene muss unabhängig, pluralistisch und kontrovers erfolgen, die drei Pfeiler der Lissabon-Strategie abdecken, auf einer großen Anzahl von Kriterien beruhen sowie alle betroffenen Parteien einbeziehen.

1.7

Auf Gemeinschaftsebene sind mit Hilfe gemeinsamer Indikatoren die Modalitäten für Austausch, Gegenüberstellung, Vergleich und Koordinierung festzulegen und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips die Dynamik der unabhängigen Bewertung anzustoßen, indem im Dialog mit den betroffenen Akteuren eine europaweit harmonisierte Bewertungsmethodik erarbeitet wird.

1.8

Damit diese Bewertung sinnvoll und nützlich ist, muss ein vollkommen unabhängiger pluralistischer Lenkungsausschuss aus Vertretern der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei der EU, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss eingesetzt werden.

2.   Aktueller Hintergrund

2.1

Gemäß den Verträgen gehören die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, insbesondere wegen ihres Beitrags zum sozialen und territorialen Zusammenhalt, zu den gemeinsamen Werten der Union. Der vom Europäischen Rat am 17./18. Oktober 2007 angenommene reformierte Vertrag bestätigt dies, indem dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union die Möglichkeit eingeräumt wird, im Wege von Verordnungen die Grundsätze und Bedingungen festzulegen, mit deren Hilfe sich die Aufgaben der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erfüllen lassen. Dabei bleibt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese Dienstleistungen zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren, unberührt, aber gleichzeitig wird die geteilte Verantwortung der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft betont.

2.2

So obliegt es der Union und den Mitgliedstaaten, jedem im Rahmen seiner jeweiligen Zuständigkeiten und des Anwendungsbereichs des reformierten Vertrags, dafür Sorge zu tragen und sich zu versichern, dass diese Dienstleistungen tatsächlich anhand von insbesondere wirtschaftlichen und finanziellen Grundsätzen und Bedingungen erbracht werden, durch die sie ihre Aufgaben erfüllen können.

2.3

Mit der Umsetzung des reformierten Vertrags müssen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union durch Verordnungen nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit diese Grundsätze und Bedingungen festlegen.

2.4

In einem Protokoll über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Anhang der reformierten Verträge werden „die wichtige Rolle und der weite Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind“ sowie „ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte“ unterstrichen.

2.5

In demselben Protokoll ist zum ersten Mai in einem Text zum primären Gemeinschaftsrecht von nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse die Rede. Es wird betont, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, diese Dienstleistungen zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren, und dass die Bestimmungen der Verträge ihre Zuständigkeit in diesem Bereich in keiner Weise berühren, so dass die nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auch weiterhin im Prinzip nicht unter die Bestimmungen zu Binnenmarkt, Wettbewerb und staatlichen Beihilfen fallen, wobei die nationale Praxis an den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts auszurichten ist.

2.6

Der Unterschied zwischen einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen Dienstleistung wird im Entwurf für einen reformierten Vertrag in keiner Weise definiert, weshalb nach wie vor auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zurückgegriffen werden muss und die derzeitige Rechtsunsicherheit fortbesteht. Die Bürger erwarten viel von der Union. Sie sollte für die Verbesserung des Gemeinwohls und für die Gewährleistung der Grundrechte sorgen sowie dafür, dass ihre Entscheidungen nicht zu nationalen Rückschritten führen können.

3.   Sinn einer Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

3.1

Die in Artikel 14 verankerte Verpflichtung, für das reibungslose Funktionieren der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu sorgen, setzt insbesondere die Entwicklung eines progressiven Konzepts zur Bewertung der Leistungen dieser Dienstleistungen voraus.

3.2

Nach Ansicht des EWSA sollte eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse u.a.

den Grundsätzen der Gleichheit, Allgemeingültigkeit, Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit, Zuverlässigkeit und Beständigkeit, Qualität und Effizienz, Garantie der Nutzerrechte und wirtschaftlichen und sozialen Rentabilität genügen;

die besonderen Bedürfnisse bestimmter Nutzergruppen wie Menschen mit Behinderungen, hilfebedürftige oder benachteiligte Personen usw. berücksichtigen.

3.3

Auch wenn darauf im reformierten Vertrag nicht ausdrücklich hingewiesen wird, so ist die Bewertung doch das implizit im Vertrag geforderte Überwachungsinstrument.

3.4

Die Mitgliedstaaten bzw. die Union müssen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie im Interesse und zur Zufriedenheit aller, für die die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vorgesehen sind, in transparenter und nicht diskriminierender Weise die Aufgaben und Ziele dieser Dienstleistungen in ihren Zuständigkeitsbereichen definieren und anpassen.

3.5

Um zu überprüfen, ob diese gemeinwirtschaftlichen Aufgaben korrekt und effizient ausgeführt werden und die Ziele — je nachdem ob sie sich abhängig davon, ob es sich um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse handelt, oder abhängig von der Natur der Dienstleistung selbst unterscheiden — erreicht sind oder werden, muss die zuständige Behörde ein System zur Bewertung der Leistungen, der Effizienz und der Qualität dieser Dienstleistungen einrichten, das über einfache Erhebungen und Meinungsumfragen hinausgeht.

3.6

Die Bewertung umfasst also die Analyse und eine systematische Überwachung der tatsächlichen Erfüllung der besonderen gemeinwirtschaftlichen Aufgabe, im Hinblick darauf, wie sie ausgeführt wurde und inwieweit die Bedürfnisse der Verbraucher, der Unternehmen, der Bürger und der Gesellschaft befriedigt wurden, sowie im Hinblick auf die Ziele der Union, insbesondere was den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die soziale Marktwirtschaft, die Lissabon-Strategie und die Garantie der Grundrechte betrifft.

3.7

Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind durch das Anstreben verschiedener Entscheidungen gekennzeichnet:

zwischen Markt und allgemeinem Interesse,

zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen,

zwischen Nutzern (wie Einzelpersonen — auch aus benachteiligten Gruppen -, Unternehmen oder Kollektiven), die nicht alle die gleichen Bedürfnisse und Interessen haben,

zwischen den Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten und der Integration der Gemeinschaft.

3.8

Diese Entscheidungen entwickeln sich mit dem wirtschaftlichen und technologischen Wandel, sowie den sich verändernden individuellen und kollektiven Bedürfnissen und Erwartungen im Bemühen um Kohärenz zwischen den verschiedenen einzelstaatlichen Situationen, den geografischen Besonderheiten und den sektorspezifischen Merkmalen.

3.9

Mit der Leistungsbewertung soll zwar nicht reguliert werden, aber sie ist ein Element der Regulierung, da diese sich auf einschlägige Bewertungen stützen und für solche sorgen sollte. Gleichzeitig müssen durch die Bewertung Fehlfunktionen sowie Unterschiede in Qualität und/oder Art der Dienstleistung je nach Land erkannt werden und muss der Schwerpunkt mithin auf die Anpassung der Erfordernisse in Abhängigkeit der Bedürfnisse und Anliegen der Nutzer und Verbraucher sowie des wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Wandels gelegt werden können.

4.   Zu bewertende Dienstleistungen

4.1

Aufgrund der mit ihnen verfolgten Ziele und der Bedeutung, die sie bei der Umsetzung der verschiedenen politischen Maßnahmen der Gemeinschaft haben, ist eine regelmäßige Bewertung nicht nur der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die Gemeinschaftsbestimmungen bestehen, sondern auch der nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unabdingbar, da sie zur tatsächlichen Wahrung der Grundrechte beitragen und gemäß den gemeinsamen Werten des europäischen Sozialmodells auf der Grundlage des Prinzips der Solidarität und des Respekts der Menschenwürde funktionieren.

4.2

Da das Protokoll im Anhang der reformierten Verträge bestätigt, dass die nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen, muss die Bewertung dieser Dienstleistungen ausnahmslos auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erfolgen.

4.3

Da die nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse jedoch, ebenso wie die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, verschiedenen Zielen der Europäischen Union unterliegen (Wahrung der Grundrechte, Förderung des Wohls der Bürger, soziale Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt usw.) und die Union für die Verwirklichung dieser Ziele mitverantwortlich ist, muss sie zumindest dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten die Funktionsweise dieser Dienstleistungen regelmäßig bewerten.

5.   Der Ansatz der EU-Institutionen

5.1

Der Rat der Europäischen Union hat auf seinen Tagungen in Nizza (2000) und Laeken (2001) festgestellt, „dass auf Gemeinschaftsebene unter gebührender Berücksichtigung der nationalen, regionalen und lokalen Besonderheiten und Zuständigkeiten eine wirksame und dynamische Bewertung der Leistungen der Daseinsvorsorge und ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb vorgenommen werden muss“.

5.2

Außerdem vertrat er die Ansicht, „dass diese Bewertung im Rahmen der bestehenden Strukturen erfolgen sollte, insbesondere durch die horizontale und sektorale Berichterstattung und im Wege des Cardiff-Berichts der Kommission über die Wirtschaftsreform; Gegenstand der Bewertung sollten die Marktstruktur und -leistung einschließlich der beschäftigungspolitischen Aspekte, die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte von Gemeinwohlverpflichtungen sowie die Meinung der Bürger und Verbraucher von den Leistungen der Daseinsvorsorge und die Auswirkungen einer Liberalisierung auf diese Leistungen sein.“

5.3

Seit 2001 hat die Europäische Kommission jedes Jahr (außer 2003) eine horizontale Bewertung der Netzindustrien (Strom, Gas, Telekommunikation, Postdienste, Flug- und Bahnverkehr) vorgenommen und zwar auf der Grundlage einer in einer ihrer Mitteilungen (1) festgelegten Methodik, die jedoch von den Akteuren nicht einhellig gutgeheißen wird, da einige der Ansicht sind, dass eher die Gemeinschaftspolitik im Bereich der Netzindustrien bewertet wird als die Leistungen dieser Industrien.

5.4

2003 hatte die Europäische Kommission im Rahmen des Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eine öffentliche Anhörung eingeleitet, um festzulegen, wie die Bewertung organisiert, welche Kriterien angewandt, wie die Bürger eingebunden und wie die Datenqualität verbessert werden sollte. Die wichtigsten Schlussfolgerungen dieser Anhörung waren die Notwendigkeit, eine multidimensionale Bewertung vorzunehmen und die Evaluierungsmechanismen zu überprüfen, wobei jedoch laut Kommission kein Konsens darüber bestand, wer diese Bewertung durchführen sollte.

5.5

Im Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (2) wird der Evaluierungsprozess hervorgehoben, der künftig jeder Anpassung des Rechtsrahmens der Gemeinschaft vorausgehen muss, vor allem wenn es um die Liberalisierung der Dienstleistungen geht.

5.6

„Die Kommission erkennt [in diesem Weißbuch] die besondere Verantwortung der Gemeinschaftsorgane bei der mit Hilfe der auf nationaler Ebene bereitgestellten Daten durchgeführten Evaluierung der Dienstleistungen an, die einem von der Gemeinschaft erstellten sektorspezifischen Regelungsrahmen unterliegen“. Sie schließt nicht aus, „dass eine Evaluierung auf Gemeinschaftsebene auch für andere Bereiche denkbar [wäre], wenn nachgewiesen werden kann, dass sie in besonderen Fällen für die Gemeinschaft von zusätzlichem Nutzen wäre“.

5.7

Schließlich gab die Kommission bei einem externen Berater einen ausführlichen Bericht zur Evaluierung der Bewertungsmethodik in Auftrag; die wichtigsten Schlussfolgerungen werden in einer weiteren, für 2008 angekündigten Mitteilung zusammengefasst.

5.8

Laut Kommission sollen im Rahmen dieses externen Audits die Notwendigkeit einer Bewertung der Leistungen der Netzindustrien, die auf EU-Ebene Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bereitstellen, beurteilt, Empfehlungen zur Verbesserung der horizontalen Bewertungen abgegeben sowie ermittelt werden, wie zweckmäßig es ist, dass solche horizontalen Bewertungen von der Kommission erstellt werden.

5.9

In der Mitteilung der Kommission zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (3) hält es die Kommission für wichtig „im Interesse der Qualität und Transparenz des Entscheidungsprozesses […], regelmäßig eine ausführliche Evaluierung durchzuführen und deren Methodik und Ergebnisse offen zu legen und sie damit der allgemeinen Kritik auszusetzen“.

6.   Bewertungsgrundsätze und -kriterien

6.1

In ihrer Mitteilung KOM(2002) 331 endg. hatte sich die Kommission verpflichtet, die Zivilgesellschaft in die horizontale Bewertung der Leistungen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einzubinden, insbesondere durch die Einführung eines „permanente[n] Mechanismus zur laufenden Beobachtung der Meinungen der Bürger und der Fortentwicklung dieses Meinungsbildes“, sowie „die Betroffenen, einschließlich der Sozialpartner, auf Ad-hoc-Basis zu bestimmten Fragen [zu] konsultier[en]“.

6.2

Die Entwicklung der Gesellschaft zeigt sich in den gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit — in diesem Fall der Nutzer bzw. Verbraucher -, die nicht nur die Anerkennung ihrer Rechte einfordert, sondern auch die Berücksichtigung ihrer Besonderheiten. Die Art und Weise der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hängt stark von der jeweiligen Gesellschaft ab.

6.3

Die Vielfalt der Strukturen und Status (öffentliche oder private Leistungserbringer oder öffentlich-private Partnerschaften), die die nationalen, regionalen und lokalen Behörden einführen, um die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sicherzustellen, machen eine multidimensionale Bewertung erforderlich.

6.4

Die Bewertung auf Ebene der Mitgliedstaaten muss zudem pluralistisch erfolgen, indem alle betroffenen Akteure und Personen eingebunden werden: wie für die Definition und Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zuständige Behörden, Regulierungsbehörden, Dienstleister sowie Vertreter von Verbrauchern, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft.

6.5

Außer pluralistisch muss diese Bewertung auch unabhängig und kontrovers sein, da die verschiedenen Akteure nicht alle dieselben Interessen verfolgen, sondern in manchen Fällen sogar gegensätzliche und über abweichende Informationen und Gutachten verfügen.

6.6

Deshalb lassen sich die wirtschaftliche und soziale Effizienz von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie die in ihrem Rahmen realisierten Aktivitäten und Leistungen nicht mittels eines einzigen Kriteriums einschätzen, hier anhand der Wettbewerbsbestimmungen, sondern es ist eine ganze Palette von Kriterien nötig.

6.7

Wie vom Internationalen Forschungs- und Informationszentrum für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft (CIRIEC) und vom Europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) in einer 2000 (4) von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie betont wurde, ist eine Bewertung nur mit Blick auf die vorgegebenen Ziele und Aufgaben sinnvoll, die von drei Seiten definiert werden — dem Verbraucher, dem Bürger und der Gemeinschaft — und aus drei Komponenten bestehen — der Gewährleistung der Grundrechte, dem sozialen und territorialen Zusammenhalt sowie der Konzipierung und Umsetzung der Politik der öffentlichen Hand.

6.8

Die Bewertung muss die drei Pfeiler der Lissabon-Strategie (Wirtschaft, Soziales und Umwelt) abdecken und gleichzeitig auch die Binnenmarkt-, Wettbewerbs-, Verbraucherschutz- und Beschäftigungspolitik sowie die Politik für alle betroffenen Branchen berücksichtigen.

6.9

Die Bewertung muss also zahlreiche Kriterien umfassen und insbesondere:

die Definition des Systems für die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und den dazugehörigen Auftrag,

die ordnungsgemäße Ausführung des Lastenhefts/der Lastenhefte oder der mit dem Universaldienst bzw. dem Auftrag verbundenen Verpflichtungen,

Preis, Qualität und Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen zur Dienstleistung sowie Zufriedenheit der Nutzer,

die positiven und negativen externen Effekte,

die Verwirklichung der politischen Ziele der öffentlichen Hand,

die Umsetzung der den rechtlichen Zwängen angepassten Bestimmungen.

6.10

Folglich geht es darum, Elemente zur Kenntnis und Einschätzung der tatsächlichen Verfahrensweisen sowie zu den Auswirkungen der Maßnahmen auf die verschiedenen Nutzer zusammenzutragen, wodurch das strukturelle Informationsungleichgewicht zwischen Dienstleistern, Regulierungsbehörden und Verbrauchern ausgeglichen werden könnte.

7.   Durchführung der Bewertung

7.1

Dem von den Mitgliedstaaten gemäß den vorgenannten Grundsätzen eingeführten Bewertungssystem müssen regelmäßig auf nationaler bzw. lokaler Ebene von den Bewertungsinstanzen erstellte Berichte zugrunde liegen.

7.2

Auf Gemeinschaftsebene wird es darum gehen, die Modalitäten für Austausch, Gegenüberstellung, Vergleich und Koordinierung festzulegen. Somit wird es der Union obliegen, dem Konzept für eine unabhängige Bewertung neue Impulse zu verleihen, indem im Dialog mit den Vertretern der betroffenen Akteure und auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der Grundsätze, die im den reformierten Verträgen als Anhang beigefügten Protokoll aufgestellt wurden, eine europaweit harmonisierte Bewertungsmethodik sowie Wege zu ihrer Anwendung ausgearbeitet werden.

7.3

Damit die Bewertung sinnvoll und nützlich ist, muss ein pluralistischer Lenkungsausschuss eingesetzt werden, in dem alle betroffenen Parteien (Behörden, Sozialpartner, Betreiber, Regulierungsstellen, Nutzer — Einzelpersonen wie Unternehmen -- und Gewerkschaften) vertreten sind und der auf Gemeinschaftsebene aus Vertretern der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei der EU, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss bestehen könnte.

7.4

Aufgaben dieses Lenkungsausschuss wären:

die Bewertungsmethodik,

die Festlegung der Indikatoren,

die Ausarbeitung der Leistungsbeschreibungen für die durchzuführenden Studien,

die Vergabe dieser Studien auf der Grundlage mehrerer Gutachten,

die kritische Prüfung der Berichte,

die Empfehlungen

die Verbreitung der Ergebnisse.

7.5

Die Diskussionen mit allen betroffenen Parteien über die Bewertungsberichte könnten im Rahmen einer Jahreskonferenz zu den Leistungen der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nach dem Muster der seit einigen Jahren vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss veranstalteten Konferenzen zu den Netzindustrien oder am Rande des im Frühjahr stattfindenden Sozialgipfels geführt werden.

Brüssel, den 14. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2002) 331 endg., 18.6.2002, „Mitteilung der Kommission: Methodik der horizontalen Bewertung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“.

(2)  KOM(2004) 374 endg., 12.5.2004, „Mitteilung der Kommission: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“.

(3)  KOM(2007) 725 endg., 20.11.2007. Mitteilung der Kommission: Begleitdokument zu der Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ — Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement.

(4)  Studie des CIRIEC/CEEP: „Les services d'intérêt économique général en Europe: régulation, financement, évaluation, bonnes pratiques“ (Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der EU: Regulierung, Finanzierung, Bewertung, vorbildliche Verfahrensweisen), http://www.ulg.ac.be/ciriec/intl_fr/research/publications.htm.


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