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Documento 52010IE0452
Opinion of the European Economic and Social Committee on the ‘Reform of the common agricultural policy in 2013’ (own-initiative opinion)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2013“ (Initiativstellungnahme)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2013“ (Initiativstellungnahme)
ABl. C 354 vom 28.12.2010, p. 35/42
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
28.12.2010 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 354/35 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2013“ (Initiativstellungnahme)
2010/C 354/06
Berichterstatter: Lutz RIBBE
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Juli 2009 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2013“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 25. Februar 2010 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 461. Plenartagung am 17. und 18. März 2010 (Sitzung vom 18. März) mit 163 gegen 5 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der EWSA sieht mit großer Sorge, dass die Diskrepanz zwischen den Bekenntnissen zum Europäischen Agrarmodell bzw. Multifunktionalität und der täglichen Realität für die landwirtschaftlichen Betriebe weiterhin ständig wächst. Umso entschiedener und gezielter muss das Europäische Agrarmodell, das heute mehr denn je durch die aktuellen Entwicklungen bedroht ist, durch eine starke Gemeinsame Agrarpolitik gestützt und gefördert werden.
1.2 Die Landwirte sind von den Märkten her - oft durch niedrige oder stark schwankende Preise - einem starken Anpassungsdruck in Richtung betrieblicher Spezialisierung und Rationalisierung ausgesetzt. Diese Prozesse können zu einer problematischen regionalen Konzentration und zu einer Aufgabe der Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten führen. Angesichts dieses Anpassungsdrucks hält es der EWSA für dringlich erforderlich, dass mittels der Gemeinsamen Agrarpolitik in Zukunft die Bewahrung und Entwicklung einer multifunktionalen flächendeckend betriebenen und an Nachhaltigkeitszielen orientierten Landwirtschaft gefördert wird.
1.3 Für den EWSA ist klar: Das pure Abstellen auf Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zwecks Bedienung des Weltmarktes greift zu kurz. Nicht eine an Niedrigstpreisen orientierte, rein betriebswirtschaftlich optimierte, spezialisierte und regional konzentrierte Produktion darf die GAP nach 2013 leiten, sondern das Europäische Agrarmodell, das auf den Grundsätzen der Ernährungssouveränität, der Nachhaltigkeit und den realen Bedürfnissen von Landwirten und Verbrauchern basieren sollte.
1.4 Dies setzt andere agrarpolitische Rahmenbedingungen voraus, denn zu Weltmarktbedingungen und -preisen ist die gewünschte multifunktionale Landwirtschaft nicht zu haben.
1.5 Der EWSA ruft Kommission, Rat und EP auf, zunächst das Ziel der GAP unmissverständlich zu beschreiben, anschließend das dafür notwendige Instrumentenbündel darzustellen und den benötigten Finanzbedarf offenzulegen. Danach erst ist die Finanzierungsfrage zu klären. Der EWSA hält es für falsch, zunächst eine Finanzsumme für einen Aufgabenbereich festzusetzen, und dann diese Summe auf Einzelmaßnahmen und Mitgliedstaaten aufzuteilen.
1.6 „Marktstabilisierung“ ist nach dem Vertrag eines der Ziele der GAP. Stabile Märkte sind wichtig. Deshalb hält der EWSA auch künftig den Einsatz von Marktinstrumenten für wichtig, um Preise zu stabilisieren und zu starke Preisschwankungen zu vermeiden. Doch Maßnahmen zur Marktregulierung bzw. Sicherung der Erzeugerpreise wurden auf ein Minimum reduziert, gegenüber Drittstaaten zählen die EU-Agrarmärkte zu den offensten. Daraus ergibt sich ein Großteil der Probleme, die auf Dauer nicht allein mit Transferzahlungen ausgeglichen werden können.
1.7 Agrarpolitik ist also mehr als Geld verteilen. Landwirte erwarten zu Recht, dass sie ein gerechtes Einkommen aus dem Verkauf ihrer Erzeugnisse am Markt und der Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen, die sie im Rahmen des Europäischen Agrarmodells erbringen, erzielen.
1.8 Zu diesem Zweck ist es außerdem notwendig, die Erzeugung und Vermarktung von Qualitätsprodukten als Ausdruck der Regionalität und der Vielfalt ländlicher Gebiete in der EU zu unterstützen, indem kurze Vertriebswege und der unmittelbare Zugang von Landwirten oder Zusammenschlüssen von Produzenten gefördert werden, um so die Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe zu steigern und der übermächtigen Verhandlungsposition der großen Handelsketten zu begegnen. Die Vielfalt und Unterscheidungsmerkmale der europäischen Produkte müssen auch mittels korrekter Verbraucherinformationen erhalten werden.
1.9 Eine wichtige Aufgabe der Reform wird es sein, das derzeitige uneinheitliche Agrarfördersystem der EU in ein einheitliches, auf objektiven Maßstäben beruhendes, gesellschaftlich akzeptiertes System zu überführen.
1.10 Die Zahlungen an die Landwirte können nicht länger mit historischen Entscheidungen oder Ansprüchen begründet werden, sie sollen die - genau zu definierenden - gesellschaftlichen Leistungen abgelten, die zur Aufrechterhaltung des Europäischen Agrarmodells nötig sind und sich nicht in den Marktpreisen widerspiegeln. Sie sind somit zielorientiert auszurichten.
1.11 Für eine europaweit einheitliche Flächenprämie gibt es u.a. aufgrund der großen strukturellen und agroklimatischen Bedingungen, stark divergierender nationaler und regionaler Durchschnittseinkommen, der stark divergierenden Input- und Produktionskosten und den unterschiedlichen Leistungen, die von den unterschiedlichen Betrieben und Betriebstypen zur Aufrechterhaltung des Europäischen Agrarmodells erbracht werden, keine Begründung. Vielmehr müssen angepasste regional- und betriebstypenspezifische Lösungen gefunden werden.
1.12 Die Programme zur ländlichen Entwicklung sind weiter auszubauen, aber auch zu optimieren. Einer Übertragung entsprechender Aufgaben in die allgemeine Struktur- bzw. Regionalpolitik wird eine klare Absage erteilt. Gleichwohl vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die Maßnahmen aus dem heutigen ELER einen klaren landwirtschaftlichen Bezug haben sollten; Straßenbau und Breitbandverkabelung fallen nicht hierunter.
2. Aufgabenstellung
2.1 Die Europäische Kommission wird im Jahr 2010 eine Mitteilung zur zukünftigen Gestaltung ihrer Politikschwerpunkte und des zukünftigen Haushaltsrahmens ab 2014 vorlegen. Darin werden auch Aussagen zur Ausrichtung der Gemeinschaftspolitiken wie der GAP und den Strukturfonds gemacht.
2.2 Ziel dieser Initiativstellungnahme ist es, grundsätzliche Gedanken der organisierten Zivilgesellschaft zur zukünftigen Ausrichtung und Gestaltung der GAP zu formulieren. Damit sollen der Kommission Argumente und Empfehlungen für die Erarbeitung der Mitteilung gegeben werden.
3. Die Ausgangssituation: Das „Europäische Agrarmodell“ - das agrarpolitische Leitbild Europas - ist bedroht
3.1 Die Erwartungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft haben sich stark verändert. Es geht längst nicht mehr allein um die Zielsetzungen des Artikels 33 des EG Vertrags, die unverändert in den neuen Lissabon-Vertrag übernommen wurden, wie z.B. durch Produktivitätsentwicklungen ausreichend Nahrungsmittel zu angemessenen Preisen zu produzieren.
3.2 Neue Herausforderungen wie: Sicherung der Biodiversität, flächendeckende Erhaltung der Kulturlandschaft, Entwicklung ländlicher Räume inklusive der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, regionale Produkte als Kulturgut etc. sind hinzugekommen. Die Landwirtschaft muss ferner mit den Folgen des Klimawandels klarkommen, sie soll zudem Beiträge zur Speicherung von Kohlendioxid leisten.
3.3 Die weltweite Hungerkrise, aber auch die problematische Lage auf den Energiemärkten lassen weitere besonders wichtige Funktionen einer heimischen, sprich regional verankerten Landwirtschaft immer deutlicher werden, wie die Ernährungssicherheit bzw. Ernährungssouveränität sowie die Bedeutung als Energielieferant.
3.4 Nahrungsmittelsicherheit muss ein Grundrecht aller Menschen sein. Auch wenn keine 100 %ige Eigenversorgung notwendig ist, sollte es Ziel sein, einen möglichst hohen Eigenversorgungsgrad (z.B. Ernährungssouveränität) zu erreichen.
3.5 Mit dem landwirtschaftlichen Anbau ist oft ein Stück Kultur und regionale Identität verbunden, Nahrungsmittel können die Unterscheidbarkeit und die Geschichte von Ländern und Regionen repräsentieren. Während Nahrungsmittel theoretisch importiert werden könnten, sind die Kulturlandschaften, die biologische Vielfalt und die Kultur nur mit einer aktiven, bäuerlichen Landbewirtschaftung zu erhalten; man kann sie nicht als Importprodukt erwerben. Nahrungsmittel sind auch deshalb völlig anders zu bewerten als z.B. industrielle Erzeugnisse, deren Produktionsstandort sich primär an den Kosten ausrichtet.
3.6 Die Debatte um nachhaltiges Wirtschaften hat somit die Agrarwirtschaft erreicht. Bei einer konsequent an Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Landwirtschaft spricht die Politik vom „Europäischen Agrarmodell“.
3.7 Der EWSA sieht den Schlüssel für die Erhaltung einer quantitativ ausreichenden, qualitativ hochwertigen und regional differenzierten, flächendeckend betriebenen und naturverträglichen Nahrungsmittelerzeugung, die den europäischen Raum schützt und pflegt, die Vielfalt und Unterscheidungsmerkmale der Produkte erhält und die vielfältigen und artenreichen europäischen Kulturlandschaften und die ländlichen Räume fördert, in der Erhaltung bzw. Fortentwicklung des „Europäischen Agrarmodells“, also in einer bäuerlich (1) geprägten, multifunktionalen Landwirtschaft in der EU, in der das landwirtschaftliche Einkommen mit dem nationalen bzw. regionalen Durchschnittseinkommen vergleichbar ist.
3.8 Er betont, dass es schon heute - auch in Europa - sehr große Unterschiede zwischen einer multifunktional orientierten Landwirtschaft und einer Landwirtschaft, die sich primär an globalisierten und liberalisierten Märkten ausrichten muss/soll, gibt.
3.9 Er sieht mit großer Sorge, dass die Diskrepanz zwischen den Bekenntnissen zum Europäischen Agrarmodell bzw. Multifunktionalität und der täglichen Realität für die landwirtschaftlichen Betriebe weiterhin ständig wächst.
3.10 Dies liegt u.a. daran, dass Landwirte, denen keine reine Produktions-, sondern eine „multifunktionale Rolle“ im ländlichen Raum zugewiesen wird, sich mit Aufgaben konfrontiert sehen, die sie zuerst einmal Geld kosten und keines einbringen, weil marktbezogene Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse die Leistungen der Landwirtschaft im Rahmen der Multifunktionalität eben nicht einschließen.
3.11 Betriebe sind heute folglich gezwungen, alle nur denkbaren Produktivitätsentwicklungen mitzumachen, um wirtschaftlich überleben zu können. In eher schleichenden Prozessen entfernt sich so die EU Stück für Stück vom Europäischen Agrarmodell, ein Trend zur Industrialisierung der Landwirtschaft ist zu beobachten. Es entstehen einerseits Betriebsformen, die in Richtung „Amerikanisierung der europäischen Landwirtschaft“ hinauslaufen, während auf der anderen Seite viele Betriebe aufgeben müssen, deren Existenz für die Erhaltung der multifunktionalen Landwirtschaft wichtig wäre.
3.12 Diese Prozesse sind in den unterschiedlichen Betriebszweigen, aber auch regional sehr unterschiedlich vorangeschritten. In den letzten Jahren hat es eine enorme Dynamik gegeben, teilweise sind regelrechte Strukturbrüche zu beobachten: so haben in Niedersachsen allein im Jahr 2008 20 % aller schweinehaltenden Betriebe aufgegeben, ohne dass auch nur ein Schwein weniger gemästet worden wäre.
3.13 Unklar ist, wo diese Entwicklung enden wird. Längst kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass - wie aus der Industrie bekannt - Europa komplette Produktionszweige verliert. Erstes Beispiel könnte die Geflügelbranche sein, die wie kaum ein anderer Bereich bereits weitgehend „industrialisiert“ ist. Einer der größten Konzerne in Europa, das französische Geflügelunternehmen Doux, verlagerte gleich mehrere Standorte von Frankreich nach Brasilien, weil man dort billiger produzieren kann.
3.14 D.h.: selbst fortgesetzte Produktivitätsentwicklungen sind letztlich kein Garant für das Überleben einer europäischen Landwirtschaft in ungeregelten globalen Märkten. Garant für eine flächendeckende betriebene Landwirtschaft in Europa sind sie nie gewesen.
3.15 Der EWSA betont, dass starke Konzentrationen der Produktion zu einer größeren Krisenanfälligkeit der europäischen Landwirtschaft führen.
3.16 Das Europäische Agrarmodell zeichnet sich dadurch aus, dass bewusst ein Verzicht auf Produktivität in Kauf genommen wird, was natürlich einen Nachteil im Wettbewerb darstellt. Aber genau das ist politisch und gesellschaftlich gewollt. Denn Europas Bürger haben andere Vorstellungen bei der Handhabung bei GVOs, Hormonen, Wachstumsförderung, bei der Salmonellenbekämpfung oder beim Erhalt der Landschaft, als sie z.T. außerhalb von Europa existieren. Doch klar ist: diese im internationalen Vergleich höheren Erwartungen an die Produktion verursachen Kosten, die man nicht alleine den Landwirten aufbürden kann!
3.16.1 In diesem Sinne ist es besonders wichtig, die Grenzkontrollmechanismen mit Hilfe von Protokollen für die gesundheitliche Unbedenklichkeit zu verschärfen, anhand derer die Rückverfolgbarkeit und Sicherheit sowie die Nichtverwendung von in der EU verbotenen Produkten überprüft werden kann, wobei für Erzeugnisse aus der Gemeinschaft und für Einfuhren die gleichen Anforderungen gelten müssen.
3.17 Europas Politiker stehen also vor der Aufgabe, eine Landwirtschaft aufrecht zu erhalten, die nicht alle Produktivitätsentwicklungen mitmachen darf, die aber dennoch den Betriebsinhabern ein ausreichendes Einkommen sichern muss.
3.18 Das Europäische Agrarmodell ist nicht zu Weltmarktbedingungen und -preisen zu haben. Es ist nicht möglich, eine Landwirtschaft haben zu wollen,
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die in der Lage ist, in allen europäischen Regionen zu (häufig verzerrten) Weltmarktbedingungen produzieren zu können, |
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die gleichzeitig sämtliche Erwartungen bezüglich Produktion (Qualität, Sicherheit, Schonung der natürlichen Ressourcen, artgerechte Tierhaltung etc.) und auch die europäischen Kosten bewältigt und |
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die zudem einen modernen Arbeitsmarkt mit attraktiver Entlohnung gewährleistet, der sich durch ein hohes Arbeitsplatz- und Sicherheitsniveau sowie ein hohes Niveau bei der Ausbildung und der weiteren Qualifikation auszeichnet. |
3.19 Das Europäische Agrarmodell ist also heute mehr denn je durch die aktuellen Entwicklungen bedroht, deshalb muss es durch eine starke GAP gestützt und gefördert werden.
4. Die Politik ab 2014 - eine Richtungsentscheidung: Wohin soll die GAP steuern?
4.1 Ungeachtet der Tatsache, dass die Gemeinsame Agrarpolitik in ihrer Geschichte wiederholt teilweise fundamentalen Veränderungen und Reformen unterworfen worden ist, findet derzeit - nach 2000, 2003 und 2008 - wieder eine neue Reformdiskussion statt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass bisher nicht alle gesellschaftlichen Fragen in Zusammenhang mit der GAP zufriedenstellend gelöst worden sind. Aus diesem Grund wird die Gemeinsame Agrarpolitik immer wieder harter Kritik ausgesetzt oder gar bis zu einem gewissen Grade in Frage gestellt. Aus Sicht des EWSA verbietet sich eine radikale Marktorientierung der Landwirtschaft von selbst, wenn das Europäische Agrarmodell ernst genommen wird.
4.2 Die beteiligten Akteure sollten und müssen sich dieser gesellschaftlichen Debatte nicht nur stellen, sie sollten sie offensiv führen. Hierin liegt die Chance, der Gesellschaft zu verdeutlichen, weshalb die Landwirtschaft in der Tat eine Sonderrolle spielt. Eine nachhaltig betriebene Landwirtschaft und Viehzucht im Sinne des Europäischen Agrarmodells bilden die Grundlage der Ernährung in unserer Gesellschaft und sind ein strategischer Sektor für eine angemessene Raumordnung und –planung, für die Landschaftspflege, den Umweltschutz und den Klimaschutz.
4.3 Der EWSA hält es für zwingend notwendig, zunächst einen gesellschaftlichen Konsens dazu herzustellen, wie Europas Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll, was also das agrarpolitische Leitbild sein soll. Auf den Punkt gebracht: Will die GAP das „Europäische Agrarmodell“ verteidigen und entwickeln, oder will sie den Schwerpunkt darauf legen, einige wenige, immer stärker spezialisierte, regional konzentrierte und optimierte Betriebe für einen immer schärferen globalen Wettlauf um billigste Preise fit zu machen?
4.4 Für den EWSA ist klar: Das pure Abstellen auf Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zwecks Bedienung des Weltmarktes greift zu kurz. Nicht eine an Niedrigstpreisen orientierte, rein betriebswirtschaftlich optimierte, spezialisierte und regional konzentrierte Produktion darf die GAP nach 2013 leiten, sondern das Europäische Agrarmodell, das auf den Grundsätzen der Ernährungssouveränität, der Nachhaltigkeit und den realen Bedürfnissen von Landwirten und Verbrauchern basieren sollte.
4.5 Das Europäische Agrarmodell kann nur überlebensfähig sein, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der multifunktionalen Landwirtschaft gegenüber einer rein betriebswirtschaftlich optimierten Agrarproduktion gesteigert wird. Dies muss zur Kernaufgabe der GAP werden, hierauf sind die agrarpolitischen Instrumente auszurichten, was zu erheblichen Veränderungen in der Förderstruktur führen wird. Der weitere Abbau von Steuerungsinstrumenten würde diesem Erfordernis widersprechen.
4.6 Der EWSA ruft Kommission, Rat und EP auf, zunächst das Ziel der GAP unmissverständlich zu beschreiben, anschließend das dafür notwendige Instrumentenbündel darzustellen und den benötigten Finanzbedarf offenzulegen. Danach erst ist die Finanzierungsfrage zu klären. Der EWSA hält es für falsch, zunächst eine Finanzsumme für einen Aufgabenbereich festzusetzen, und dann diese Summe auf Einzelmaßnahmen und Mitgliedstaaten aufzuteilen.
4.7 Der EWSA weist darauf hin, dass in den Überlegungen über die Ausrichtung der GAP nach 2013 die Tatsache berücksichtigt werden muss, dass ein Sechstel aller Arbeitsplätze in Europa in einem direkten bzw. indirekten Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Produktion stehen. Die GAP ist deshalb auch wichtig, um die Beschäftigung in der EU, insbesondere den ländlichen Gebieten, sicherzustellen. Bricht die eigentliche landwirtschaftliche Produktion weg, so fallen auch die Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Bereichen - bis hin zur Ernährungsindustrie - weg! Darüber hinaus werden 80 % des Unionsgebiets landwirtschaftlich genutzt, wobei die Landwirtschaft eine Hauptrolle bei der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen, der Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Artenvielfalt usw. spielt. Ihr kommt potenziell auch eine zunehmend wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zu.
5. Ein vielfältiges Bündel von agrarpolitischen Maßnahmen
5.1 Der Markt kennt Preise, aber quasi keine Werte. Die Preise, die Landwirte erzielen, orientieren sich immer mehr an den global günstigsten Produktionsbedingungen und Gestehungskosten. Das „Europäische Agrarmodell“ hat aber viel mit Werten zu tun, die sich in Weltmarktpreisen nicht widerspiegeln.
5.2 „Marktstabilisierung“ ist nach dem EU-Vertrag eines der Ziele der GAP. Stabile Märkte sind wichtig. Deshalb hält der EWSA auch künftig den Einsatz von Marktinstrumenten für wichtig, um Preise zu stabilisieren und zu starke Preisschwankungen zu vermeiden. Doch Maßnahmen zur Marktregulierung bzw. Sicherung der Erzeugerpreise wurden auf ein Minimum reduziert, gegenüber Drittstaaten zählen die EU-Agrarmärkte zu den offensten. Daraus ergibt sich ein Großteil der Probleme, die auf Dauer nicht allein mit Transferzahlungen ausgeglichen werden können.
5.3 Agrarpolitik ist also mehr als Geld verteilen. Landwirte erwarten zu Recht, dass sie ein gerechtes Einkommen aus dem Verkauf ihrer Erzeugnisse am Markt und der Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen, die sie im Rahmen des Europäischen Agrarmodells erbringen, erzielen.
5.4 Die Gesellschaft muss über die Agrarpolitik eine Unterstützung gewähren, will sie das Europäische Agrarmodell verteidigen. Die Landwirtschaft wird dabei akzeptieren müssen, dass die Gesellschaft erwartet, dass mit ihrer Unterstützung auch ihre Erwartungen an die multifunktionale Landwirtschaft erfüllt werden.
5.5 Handel/Märkte/Marktordnungen
5.5.1 Was die Märkte und Preise betrifft, müssen mindestens drei unterschiedliche Arten von Problemen berücksichtigt und gelöst werden:
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immer stärker volatile Märkte bei tendenziell sinkenden Erzeugerpreisen; |
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immer größer werdende Marktmacht des Vertriebs und Handels gegenüber den Erzeugern; |
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unverkennbare Probleme bei der Erzeugung und Vermarktung von Lokal-, Regional- und Qualitätsprodukten; hier fehlen einschlägige Bestimmungen für eine auf die lokalen und regionalen Märkte ausgerichtete Landwirtschaft. |
5.5.2 Der weitgehende Verzicht auf wirksame Instrumente zur Stabilisierung der Märkte hat die Spekulation und die Volatilität der Märkte gefördert. Das steht aber in Widerspruch zu den jetzigen und früheren Verträgen der EU!
5.5.3 Die großen Preisschwankungen bewirken tendenziell eine Verringerung des Erzeugeranteils in der Wertschöpfungskette und eine Erhöhung der Vermarktungsspannen.
5.5.4 Auch die Verbraucher profitieren davon kaum, das haben die vergangenen Jahre deutlich gemacht: von der Reduktion der Zuckerrübenpreise um 40 % ist bei den Endpreisen kaum etwas angekommen. Ähnliches gilt für die Preiseinbrüche für Milch und Getreide.
5.5.5 Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass regulierende Eingriffe - mit richtigen Maßnahmen und zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt - volkswirtschaftlich kostengünstiger sind, als später Schäden reparieren zu müssen.
5.5.6 Die Milchkrise zeigt deutlich, dass es nicht möglich ist, einerseits regulierende Eingriffe auf den Markt bzw. Produktionsumfang auf ein Minimum zu reduzieren und andererseits die hohen Anforderungen an die Produktion bzw. die Multifunktion, wie sie die Bevölkerung erwartet, nicht in Frage zu stellen.
5.5.7 Das Auslaufen der Milchquotenregelung ist mit der Gefahr verbunden, dass viele Milchproduzenten, vor allem in benachteiligten Regionen, aufgeben, was vielfach gleichbedeutend mit der Aufgabe der Bewirtschaftung des Landes ist. Es ist sicher richtig, dass die Milchmenge, die z.B. in Estland verbraucht wird, in anderen, produktiveren Regionen Europas billiger als vor Ort hergestellt werden kann. Doch eine solche Produktionsverlagerung aus Kostengründen widerspricht den Zielen des Europäischen Agrarmodells diametral, der EWSA spricht sich für eine Agrarpolitik aus, die eine flächendeckende Bewirtschaftung gemäß den Grundsätzen der Ernährungssouveränität ermöglicht! Noch einmal: nur mit einem Finanztransfer allein wird dies nicht zu realisieren sein, und deshalb ist es notwendig, Märkte und Produktion zu regulieren.
5.5.8 Die Stabilisierung der Märkte - inkl. der Schaffung eines sog. „Sicherheitsnetzes“ - muss somit eine der Zentralaufgaben der GAP-Reform sein!
5.5.9 Der EWSA tritt daher dafür ein, dass
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die noch vorhandenen wenigen Maßnahmen zur Marktstabilisierung nicht nur gesichert bleiben und eingesetzt werden, wenn es der Markt erfordert, sondern das neue, WTO-konforme Ideen zur Marktstabilisierung entwickelt und eingeführt werden, |
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angesichts der zunehmenden Unwägbarkeiten auf den internationalen Agrarmärkten eine strategische Krisenvorsorge bei Agrarprodukten in Form von Lagerhaltung in Angriff genommen wird, |
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zusätzlich überlegt wird, wie mit Hilfe von Erzeugerorganisationen bzw. Branchenvereinbarungen stabilisierend auf die Märkte eingewirkt werden kann. |
5.5.10 Wenn es um die Gestaltung von Preisen geht, gibt es ein Ungleichgewicht bei den Verhandlungspositionen, Landwirte sprechen von unfairen Vertragspraktiken, die ihre Ursache in einer übermächtigen Verhandlungsposition der Lebensmittelgroßhändler haben.
5.5.11 Die entscheidende Frage, wer welchen Anteil an der Wertschöpfungskette bekommt, regelt derzeit - ganz im marktliberalen Sinn - allein der Markt. Dies ist alles andere als befriedigend, besonders für jene Bauern, die bei oft höheren Stückkosten häufig auf immer weiter sinkende Erzeugerpreise blicken; und darauf oft mit Maßnahmen reagieren müssen, die den Zielen des Europäischen Agrarmodells zuwiderlaufen.
5.5.12 Da in der EU-27 nur 15 Handelsketten bereits 77 % des Lebensmittelmarktes kontrollieren, tritt der EWSA dafür ein, dass ähnlich wie derzeit in den USA geprüft wird, ob das Wettbewerbsrecht ausreicht, um marktbeherrschende Strukturen und bedenkliche Vertragspraktiken zu verhindern. Wichtig ist, dass sämtliche betroffenen Gruppen in die Überprüfung eingebunden werden. Diese Analyse sollte in einer Änderung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln für die Agrar- und Ernährungswirtschaft münden, wobei deren Besonderheiten Rechnung getragen werden muss und die Vorschriften entsprechend der Schlussfolgerungen der hochrangigen Expertengruppe „Milch“ an die in den konkurrierenden Ländern auf den Weltmärkten geltenden Wettbewerbsregeln anzupassen sind.
5.5.13 Der EWSA erwartet von der Kommission Anstrengungen zur Erhöhung der Transparenz der Preisbildung und Lösungsvorschläge zur Vermeidung der sog. „Asymmetrischen Preisbildung“ (2).
5.5.14 Die großen Lebensmittelketten und die zentralen Verarbeiter verlangen nach stets gleichförmigen, quasi genormten, billigen Rohstoffen. Viel Platz für regionale und produktspezifische Diversität ist da nicht vorhanden.
5.5.15 Doch gerade die Erzeugung und Vermarktung von Qualitätsprodukten als Ausdruck der Regionalität und der Vielfalt ländlicher Gebiete in der EU ist eine wichtige Aufgabe zur Erhaltung des Europäischen Agrarmodells. Sie verdient deshalb viel stärker unterstützt zu werden. Die Distributionswege zu verkürzen und Landwirten oder Zusammenschlüssen von Produzenten einen direkteren Zugang zum Verbraucher zu verschaffen, kann der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gerade kleinerer und arbeitsintensiverer Betriebsstrukturen förderlich sein.
5.5.16 Geografische Angaben und produktionstechnische Differenzierungen sind viel stärker als bisher in Betracht zu ziehen. Sie als „geistiges Eigentumsrecht“ zu verstehen und zu schützen ist notwendig. Entsprechende Angaben können Bindeglied zwischen den landwirtschaftlichen Erzeugnissen und den Regionen sein, d.h. die Produkte haben eine „sichere“ Herkunft, aber auch besondere Qualitätsmerkmale, die sich im Laufe der Zeit „herauskristallisiert“ haben. Wichtig ist, dass klar definiert wird, was unter Regionalprodukten zu verstehen ist.
5.5.17 Es gibt derzeit viele irreführende und bedenkliche Praktiken, was die Produktkennzeichnung angeht. Es sollte zukünftig beispielsweise nicht mehr gestattet sein, dass
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auf Milchverpackungen weidende Kühe abgebildet werden, wenn die Milch von Tieren stammt, die keinen Weidegang mehr haben. Stattdessen sind entsprechende Marktdifferenzierungen (Heu- oder Weidemilchprogramme bis hin zu regionalen Vermarktungen durch Erzeuger- oder kleinen Genossenschaften) zu fördern, |
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mit Regionalangaben geworben wird, obwohl die Produkte woanders erzeugt wurden. |
5.5.18 Die Markttransparenz und die Verbraucherinformationen (wie Ursprungskennzeichnung) sind zu verbessern und zu überwachen. Um die für die europäischen Landwirte geltenden Regeln besser bekannt zu machen, müssen entsprechende Kampagnen zur Information der Verbraucher über die europäischen Produktionssysteme gestartet werden. Darüber hinaus ist dem Kennzeichnungssystem besondere Aufmerksamkeit zu schenken; in diesem Zusammenhang sollte nach Auffassung des Ausschusses auch den Ausführungen in der Stellungnahme (3) bezüglich der Information der Verbraucher über Lebensmittel Rechnung getragen werden.
5.5.19 Steuergelder sollten zukünftig vornehmlich zur Stärkung regionaler Produkte und Märkte verwendet werden.
5.6 Die Finanzinstrumente der GAP
5.6.1 In der EU gibt es derzeit ein uneinheitliches Agrarfördersystem: in der EU-15 gibt es die Betriebsprämien, die entweder auf historischen Zahlungsansprüchen beruhen bzw. die sich in Richtung einheitlicher Flächenprämien entwickeln. In den EU-12 wurde direkt ein Flächenprämiensystem eingeführt, wobei die Zahlungen dort unterhalb des Niveaus der EU-15 liegen.
5.6.2 Die einzelnen Landwirte profitieren heute folglich höchst unterschiedlich von der aktuellen Zahlungspraxis. Dies wird einerseits häufig als ungerecht empfunden, andererseits ist das System dem Steuerzahler kaum vermittelbar.
5.6.3 Eine zentrale Aufgabe der anstehenden Reform muss es sein, ein einheitliches, auf objektiven Maßstäben beruhendes, gesellschaftlich akzeptiertes System zu entwickeln.
5.6.4 Die Direktzahlungen der 1. Säule haben ihre ursprüngliche Begründung in den 1992 vollzogenen Garantiepreissenkungen. Sie wurden bis 2003 als gekoppelte Preisausgleichszahlungen gewährt, bevor dann mit den Luxemburger Beschlüssen die „Entkopplung“ eingeführt wurde. Da die meisten Mitgliedstaaten aber das sog. „Historische Betriebsprämienmodell“ gewählt haben, profitieren die einzelnen Landwirte nach wie vor extrem unterschiedlich vom jetzigen System. Wegen der Entkopplung haben sie keinen direkten Einfluss mehr auf die Art und Weise der Produktion.
5.6.5 Die Direktzahlungen (= Flächenprämien) der 2. Säule werden gewährt, um Landwirten bestimmte zusätzliche gesellschaftliche Leistungen, die über die Grundanforderungen hinausgehen und die sich im Marktpreis nicht widerspiegeln, zu honorieren bzw. um sie zu motivieren, in benachteiligten Gebieten überhaupt die gesellschaftlich erwünschte Produktion aufrecht zu erhalten.
5.6.6 Die Direktzahlungen der 1. Säule werden derzeit zu 100 % von der EU finanziert, bei denen der 2. Säule müssen die Mitgliedstaaten hingegen Kofinanzierungen erbringen. Dieser unterschiedliche Finanzierungsmechanismus beeinflusst in vielen Mitgliedstaaten die „Attraktivität“ der Programme. Die Kommission wird vom EWSA aufgefordert, bei der zukünftigen Programmplanung darauf zu achten, dass unterschiedliche Kofinanzierungssätze nicht dazu führen, dass bestimmte Programmteile von Mitgliedstaaten bevorzugt bzw. weniger beachtet werden.
5.6.7 Neben den Direktzahlungen gibt es Mittel zur Stimulierung der ländlichen Entwicklung (3. Achse der 2. Säule), für betriebliche Investitionshilfen (1. Achse der 2. Säule) sowie für das LEADER-Programm.
5.6.8 Der direkte Finanztransfer hat aufgrund der Instabilität und Volatilität der Märkte und anderer Umstände eine z.T. sehr hohe Bedeutung für die Einkommen der Betriebe bekommen. Ohne Finanztransfer wäre der Strukturwandel in der Landwirtschaft noch wesentlich dramatischer, auch wenn festgestellt werden muss, dass vom derzeit wichtigsten Instrument, den Direktzahlungen aus der 1. Säule, die einzelnen Betriebe höchst unterschiedlich profitieren.
5.6.9 Der EWSA bleibt bei seiner bisherigen Position zu den Direktzahlungen der 1. Säule. Er hat immer betont, dass funktionsorientierte Direktzahlungen „… eine wichtige Funktion (haben), aber nur eine ergänzende (4) …“. Die Einkommen der Landwirte sollten aus den Markterlösen und den nicht am Markt abgegoltenen gesellschaftlichen Leistungen erzielt werden.
5.6.10 Diese bisher nicht gewährte, aber notwendige Leistungsabgeltung setzt voraus, dass ein Konsens gefunden wird, welche Leistungen die Landwirte - individuell bzw. kollektiv - erbringen. Wichtig wird dies, um klare Grundsätze für die zukünftige Gewährung von Direktzahlungen aufzustellen. Diese müssen auf objektiven Kriterien beruhen, sie müssen an etwas „gekoppelt“ sein, um von der Gesellschaft auch akzeptiert zu werden.
5.6.11 Grundsätzlich sollte gelten, dass
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Direktzahlungen der 1. bzw. 2. Säule ausschließlich an tatsächlich erwerbstätige Landwirte, Landschaftspflegeverbände oder andere Institutionen, die Kulturlandschaftspflege betreiben, geleistet werden, |
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Direktzahlungen der 1. bzw. 2. Säule den in den einzelnen Betrieben vorhandenen und geschaffenen Arbeitsplätzen Rechnung tragen; |
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Direktzahlungen der 1. bzw. 2. Säule die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft abgelten, die zur Aufrechterhaltung des Europäischen Agrarmodells nötig sind. Das Einkommen der Landwirte sollte in erster Linie aus den auf einem regulierten Markt erzielten Preisen stammen, auf dem die Erzeugerkosten anerkannt werden; |
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aufgrund der sehr unterschiedlichen agroklimatischen Bedingungen in der EU die Direktzahlungen der 1. bzw. 2. Säule auch Komponenten enthalten sollten, die mitgliedstaatenübergreifend die agroklimatisch bedingten Kosten für die Landwirte ausgleichen (5). |
5.6.12 Es muss also entschieden werden, für welche konkreten Leistungen Direktzahlungen (in welcher Höhe) gewährt werden sollen. Betriebe bzw. Produktionen, die solche Leistungen nicht erbringen oder erbringen wollen, die also nicht der Verwirklichung des Europäischen Agrarmodells dienen, sollten auch keinerlei Direktzahlungen erhalten.
5.6.13 Direktzahlungen, deren Funktion die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen, die keinen Marktpreis haben (beispielsweise konkrete, definierte Umweltleistungen), sollten unumstritten sein. Der EWSA hält es für geboten, entsprechende Programme nicht nur auszubauen, sondern sie auch attraktiver und flexibler zu gestalten. So ist es zwingend notwendig, wieder die „Anreizkomponente“ einzuführen. Wichtig wäre auch, flexibler auf Einzelaktivitäten von Landwirten reagieren zu können. Die Programme sollten weniger maßnahmen- als vielmehr ergebnisorientiert gestaltet werden.
5.6.14 Viele neue Maßnahmen werden zukünftig in diese Kategorie fallen, z.B. solche landwirtschaftlichen Methoden, die zur Abschwächung des Klimawandels oder zur Kohlenstoffbindung im Boden beitragen; die Grünlandwirtschaft gehört sicher hierzu.
5.6.15 Auch Direktzahlungen als Ausgleich für ständige, nicht veränderbare natürliche Erschwernisse sowie für Zahlungen zum Ausgleich von Nutzungsbeschränkungen durch Auflagen, beispielsweise im Bereich Naturschutz, sind mehr als berechtigt. In vielen Schutzgebieten ist eine bestimmte landwirtschaftliche Nutzung wichtig, um den Charakter der Gebiete zu erhalten. Zahlungen mit dem Hinweis zu verwehren, mit der Schutzgebietsverordnung sei ein Rahmen gesteckt, an den sich Landwirte halten, hält der EWSA für weltfremd.
5.6.16 Funktionsorientierte und somit auch differenzierte Direktzahlungen, hinter denen eine konkrete, der Gesellschaft vermittelbare Leistung steht, müssen das zukünftige Herzstück der Agrarförderpolitik im Bereich der Direktzahlungen ausmachen. Die Ausgleichszulage gehört eindeutig hierzu.
5.7 Eine einheitliche Flächenprämie als Ausgleich für Wettbewerbsnachteile?
5.7.1 Eine Position, die in die Diskussion eingebracht wird, ist die, die heutigen Direktzahlungen der 1. Säule in eine europaweit einheitliche Flächenprämie umzuwandeln und diese mit der Begründung zu gewähren, dass die europäische Landwirtschaft gegenüber außereuropäischen Konkurrenten mit höheren Produktionsstandards und somit Wettbewerbsnachteilen konfrontiert ist.
5.7.2 Der EWSA ist sehr wohl der Auffassung, dass über einen entsprechenden Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen nachgedacht werden muss. Denn in den Handelsabkommen werden Sozial- und Umweltstandards, die entscheidend für das Europäische Agrarmodell sind, als nichttarifäre Handelshemmnisse angesehen, was völlig inakzeptabel ist. Das WTO-System muss hier dringend reformiert werden, denn ein globales Handelssystem ohne soziale und ökologische Standards ist inakzeptabel.
5.7.3 Für den Ausgleich entsprechender Wettbewerbsnachteile ist es wichtig darzustellen, in welchen Produktionszweigen sich die europäischen Auflagen konkret von jenen der wichtigsten Konkurrenten unterscheiden und welcher Kostennachteil dabei nachweisbar einzelnen Betrieben/Betriebstypen/Produktionsformen entsteht.
5.7.4 Die Produktionsbedingungen und somit die -kosten der Landwirte in Europa sind extrem unterschiedlich: es gibt große strukturelle und (agro)klimatische Unterschiede, aber auch höchst divergierende Input- und Lebenshaltungskosten in den unterschiedlichen Regionen. Auch durch Skaleneffekte in den einzelnen Mitgliedstaaten, Regionen und zwischen Betriebstypen unterscheiden sich die ergebenden Kostennachteile erheblich.
5.7.5 Es ist auch leicht nachzuvollziehen, dass beispielsweise belegbare Produktionsnachteile von tierhaltenden Betrieben nicht dadurch gelöst werden, indem eine einheitliche Flächenprämie gezahlt wird, von der auch nichttierhaltende Betriebe profitieren würden.
5.7.6 Daraus folgt: Der Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen ist nicht mit einer europaweit einheitlichen Flächenprämie zu lösen, sondern müsste regionalspezifisch unter Berücksichtigung der agroklimatischen Bedingungen sowie der Betriebstypen erfolgen.
5.8 Eine einheitliche Flächenprämie zur Einkommensübertragung?
5.8.1 Es ist keine Frage: die rund 50 Mrd. EUR, die jährlich aus dem Agrarhaushalt der EU in die europäische Landwirtschaft fließen, sind für viele Betriebe mittlerweile existenziell.
5.8.2 Die Agrarpreise, die derzeit gezahlt werden, sind also nicht nur zu gering, um das Europäische Agrarmodell aufrecht zu erhalten, sie stellen die Landwirtschaft in Europa in Gänze in Frage.
5.8.3 Deshalb wird in die Diskussion gebracht, allen Landwirten eine Art „Grund- und Existenzsicherungsprämie“ in Form einer europäisch einheitlichen Flächenprämie zu gewähren.
5.8.4 Die Einkommenssituation stellt sich auf den unterschiedlichen Betrieben und in den unterschiedlichen Regionen höchst unterschiedlich dar. Auch hier spielen die in Ziffer 5.7.4 genannten Unterschiede eine entscheidende Rolle. Daraus folgt, dass auch das Einkommensproblem sehr differenziert angegangen werden muss. Auch dies kann nicht über eine europaweit einheitliche Flächenprämie, von der beispielsweise flächenstarke Betriebe bzw. Betriebe mit geringem Arbeitskräfteeinsatz überproportional profitieren würden, gelöst werden.
5.8.5 Statt einer einheitlichen Flächenprämie müsste ggf. über eine Prämie nachgedacht werden, die pro Kopf/Arbeitskraft ausgezahlt, in ihrer Höhe aber begrenzt werden müsste. Auch bei einem solchen Lösungsansatz müssten bei der Bemessung der Prämie die Unterschiede, wie sie in 5.7.4 angeführt sind berücksichtigt werden. Außerdem müsste bei einem solchen Prämiensystem ebenfalls berücksichtigt werden, dass die Einkommenssituation der Betriebe maßgeblich von den Erzeugerpreisen und Produktionskosten bestimmt wird und diese immer größeren Schwankungen unterliegen. Ein System, das seine Begründung in der Einkommenssituation sucht, muss auf die immer stärkeren Preisschwankungen ausreichend flexibel reagieren können.
5.9 Ein einheitliches europäisches Zahlungssystem - das nicht mit einer einheitlichen europäischen Flächenprämie verwechselt werden darf - das seine Begründung nicht mehr in historischen Zahlungsansprüchen sondern in konkret zu definierenden Leistungen der Gegenwart findet, wird zu erheblichen Veränderungen in den Finanzflüssen zwischen den Mitgliedstaaten, aber auch den Betrieben, führen. Es wird also aus finanztechnischer Sicht Gewinner und Verlierer geben. Der EWSA spricht sich dafür aus, mit diesem Umstand sensibel umzugehen und ggf. Übergangsfristen vorzusehen. Diese sollten aber so gestaltet werden, dass zur Mitte, spätestens zum Ende der neuen Finanzperiode das neue System vollständig greift.
5.10
5.10.1 Bei vielen Mitbürgern ist der Eindruck entstanden, dass mit Teilen der 2. Säule der GAP die Schäden ausgeglichen werden sollen, die mit falschen Rahmenbedingungen von der Politik erst selbst geschaffen wurden.
5.10.2 Der Öffentlichkeit muss nachvollziehbar vermittelt werden, dass die Maßnahmen, die im Rahmen der 2. Säule der GAP zukünftig angeboten werden, ergänzend zu den funktionsorientierten Direktzahlungen sind und zukünftig noch zielgerichteter dazu dienen werden, die Erhaltung, Sicherung und Umsetzung des Europäischen Agrarmodells umzusetzen. Dies setzt Optimierungen der Maßnahmenpalette voraus.
5.10.3 Dies gilt nicht nur für die heutige 2. Achse der 2. Säule. Auch die Investitionshilfen an die landwirtschaftlichen Betriebe sind noch stärker auf „Nachhaltigkeit“ auszurichten. Und für den EWSA steht außer Zweifel, dass in Europa ein erheblicher Investitionsbedarf besteht, um landwirtschaftliche Betriebe im Sinne der Nachhaltigkeit zu optimieren, aber auch, um unsere früher z.T. rein nach produktionstechnischen Ansprüchen veränderte Kulturlandschaft partiell umzugestalten (siehe z.B. Wasserhaushalt/Wasserrahmenrichtlinie).
5.10.4 Der EWSA spricht sich für den Ausbau und die Optimierung der Aufgabenpalette aus, die heute in der 3. Achse der 2. Säule angeboten wird. Einer Übertragung entsprechender Aufgaben in die allgemeine Struktur- bzw. Regionalpolitik wird eine klare Absage erteilt. Gleichwohl vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die Maßnahmen aus dem heutigen ELER einen klaren landwirtschaftlichen Bezug haben sollten; Straßenbau und Breitbandverkabelung fallen nicht hierunter!
Brüssel, den 18. März 2010
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Mario SEPI
(1) Der Begriff „bäuerlich“ beschreibt nicht die Betriebsgröße, sondern die Art und Weise, wie auf den Höfen gewirtschaftet und gedacht wird. Organisation in verflochtenen und sich ergänzenden möglichst hofnahen Kreisläufen, Ausrichtung auf den Erhalt qualifizierter, vielfältiger Arbeitsplätze, Einbindung in Dorf und Region, Verantwortung für Natur und Tiere sowie Denken in Generationen.
(2) Bei Erhöhungen der Erzeugerpreise gehen die Verbraucherpreise schnell in die Höhe, bei Preissenkungen auf der Erzeugerseite sinken die Verbraucherpreise nur langsam.
(3) ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 81.
(4) ABl. C 368 vom 20.12.1999, S. 76-86, Siehe Ziffer 7.6.1.
(5) ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 35.