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Document 52008AE0271

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie

ABl. C 162 vom 25.6.2008, p. 72–78 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“

(2008/C 162/14)

Am 20. September 2007 wandte sich die slowenische Präsidentschaft mit der Bitte an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, eine Sondierungsstellungnahme zu dem Thema

„Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 126 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

Inhalt:

1.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

2.

Ausgangslage und allgemeine Bemerkungen

3.

Besondere Bemerkungen — Analysen und Folgerungen

4.

Einzelbetrachtungen und -empfehlungen

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss hat die vorliegende Stellungnahme auf den Themenkreis Energiepolitik und Klimawandel konzentriert. Er behandelt die Frage, unter welchen Umständen Vor- oder Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit der EU entstehen, wenn Energieverbrauch und Emission von Treibhausgasen deutlich reduziert werden. Dabei werden hier vor allem die ökonomischen Aspekte behandelt.

1.2

Auf Grund der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftskraft, Arbeitsplätzen und sozialem Wohlstand der Bürger ist die gestellte Frage auch für die soziale Zukunft Europas von hoher Bedeutung.

1.3

Der Ausschuss kommt zu dem Ergebnis, dass die damit verbundenen Herausforderungen die Chance beinhalten, in Europa eine Innovations- und Investitionswelle auszulösen und damit die Volkswirtschaft und die (globale) Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu kräftigen. Wenn dies gelingt, überwiegen die Vorteile, auch bezüglich Arbeitsplatzbilanz und Stärkung des europäischen Sozialmodells.

1.4

Entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass seitens der Energie-, Wirtschafts-, und Forschungspolitik die richtigen Maßnahmen getroffen werden, die richtigen Prinzipien zur Anwendung kommen und Überregulierungen vermieden werden. Andernfalls besteht Anlass zur Besorgnis, dass die Nachteile — zu hoher Verbrauch zu teurer Energie, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, Verlagerungseffekte, Gefährdung des europäischen Sozialmodells — überwiegen und zu krisenhaften Entwicklungen führen können. Erschwingliche Energie ist ein unverzichtbares Lebenselixier moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften mit all ihren sozialen und kulturellen Errungenschaften. Darum dürfen die Kosten von Energie nicht — über das für Klimaschutz und wegen Ressourcenverknappung unvermeidliche Maß hinausgehend — durch weitere staatliche Maßnahmen zusätzlich verteuert werden.

1.5

Leitmotiv der energie- und klimapolitischen Vorgaben und Instrumente muss daher die bestmögliche Wirtschaftlichkeit sein; nur dann werden die volkswirtschaftlichen Kosten und die soziale Belastung der Bürger minimiert. Bezüglich des Klimaschutzes sind deren Maßstab die Vermeidungskosten einer vorgegebenen Emissionsmenge an Treibhausgasen (z.B. CO2-Vermeidungskosten). Bezüglich Energieverbrauch bzw. Versorgungssicherheit ist deren Maßstab die Energieeffizienz. (Wobei es auf die jeweils sinnvolle Definition dieser Größen ankommt). Deshalb sollten sich die europäischen Instrumente zur Energie- und Klimapolitik auf wirtschaftliche Energieeffizienzmaßnahmen und den Einsatz wirtschaftlicher und nachhaltiger Energietechnologien fokussieren.

1.6

Leitmotiv der europapolitischen Maßnahmen sollte eine Klima- und Energiepolitik sein, die ein kooperatives Vorgehen begünstigt, mit Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, und bei dem die jeweiligen wirtschaftlichen, geografischen und ressourcenbezogenen Stärken der einzelnen Mitgliedstaaten optimal genutzt und verknüpft werden. Zum Beispiel sollten Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energie innerhalb Europas dort zum Einsatz kommen, wo dafür die jeweils besten, insbesondere klimatischen, Voraussetzungen einschließlich geeigneter Übertragungswege gegeben sind, und nicht, wo gerade national am höchsten gefördert wird. Darüber hinaus sollten aber auch globale Kooperationen zur Entwicklung und Anwendung energiesparender und Treibhausgase vermeidender Techniken angestrebt werden.

1.7

Trotz der Dringlichkeit der Klimafrage darf der Zeittakt der erforderlichen Veränderungen und Umstellungen von Energieversorgung und Energieverbrauch die Anpassungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft nicht überfordern. Kenngrößen sind z.B. Amortisationszyklen, Ausbildungszeiten, Entwicklungsschritte für neuartige Technologien, sowie insbesondere die sozialverträglichen Anpassungen, Ausbildungsmaßnahmen und sonstigen gesellschaftlichen Veränderungen. Forschung und Entwicklung müssen dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

1.8

Im Sinne eines Bottom-Up-Ansatzes sollten die Eigeninitiative aller Akteure sowie eine Vielfalt, Diversifizierung und Flexibilität der technischen und wirtschaftlichen Vorgehensweisen ermöglicht und gefördert werden, denn nur aus Vielfalt und einem Wettbewerb der verschiedenen Ansätze, Innovationen und Verfahrensweisen ergibt sich die notwendige Robustheit gegenüber Einzelkrisen und stellen sich die jeweils besonders leistungsfähigen Techniken heraus. Dementsprechend ist auch ein breiter Energiemix erforderlich, bei dem keine sinnvolle Technik (1) zu frühzeitig ausgeschieden werden sollte.

1.9

Bei den energiepolitischen Zielvorgaben, Regulierungen und Instrumenten sollten die Grenzen des technisch möglichen beachtet sowie Überbestimmungen und zu Widersprüchen führende Überschneidungen unbedingt vermieden werden. Letztere bewirken Fehlallokationen und führen damit zu unnötigen wohlstands- und wettbewerbsschädigenden Kostensteigerungen. Ebenso müssen diese Zielvorgaben und Instrumente dann von langfristiger Verlässlichkeit sein, da auf ihrer Basis sehr kostspielige Investitionen und Neuentwicklungen getätigt werden, aus deren ausreichend langfristiger Nutzung sich erst der volkswirtschaftliche Nutzen ergibt, also auch Arbeitsplätze und Wohlstand.

1.10

Wenn immer möglich, sollten marktwirtschaftliche Anreize, wie z.B. eine sinnvoll definierte Allokation von Emissionsrechten, allen Regulierungen im Detail vorgezogen werden. Und nach wie vor sind erschwingliche Energiekosten Voraussetzung für die globale Wettbewerbsfähigkeit, für die soziale Grundversorgung sowie für die für Neuinvestitionen und FuE-Aufwendungen erforderliche Kapitalbildung der europäischen Industrie.

1.11

Zudem ist eine deutlich verstärkte und breite Forschung und Entwicklung klimaverträglicher und ressourcensparender Energietechniken notwendig, zusammen mit der Ausbildung der dazu nötigen Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker. Neuartige Verfahren zur Nutzung erneuerbarer Energie, die sich noch weit von der Wirtschaftlichkeit befinden, sollten mit Nachdruck weiterentwickelt, aber nicht mittels hoher Förderkosten (oder erzwungener Abnahmepreise) zu verfrüht in den Markt gedrängt werden. Diese Kosten sollten stattdessen solange in verstärkte Forschung und Entwicklung nachhaltiger und CO2-vermeidender Energietechniken investiert werden, bis sich deren Marktnähe abzeichnet. Darum sollte der Schwerpunkt aller Maßnahmen auf die innovative Entwicklung und effiziente Anwendung energiesparender, klimaneutraler und wettbewerbsfähiger Energietechnologien gelegt werden.

1.12

Insbesondere jedoch: globale und für alle maßgeblichen Emittenten verbindliche Klimaschutzziele sind nötig, um ein globales „level-playing-field“ zu schaffen. Nur so kann vermieden werden, dass die ansonsten höheren Energiekosten innerhalb der EU zu einer nachteiligen globalen Wettbewerbsverzerrung führen, beginnend mit der sukzessiven Abwanderung energieintensiver Industrien, ohne dabei dem Klimaschutz in irgendeiner Weise gedient zu haben („carbon leakage“). Der Ausschuss bekräftigt die Bemühungen aller europäischen Akteure für dieses Ziel (z.B. Bali-Konferenz). Bis dieses erreicht ist, müssen wettbewerbsverzerrende Belastungen für diese Industrien vermieden werden. Ohne diese Industrien bleibt Europa nicht nachhaltig wettbewerbsfähig.

2.   Ausgangslage und allgemeine Bemerkungen

2.1

Bedeutung der Energie. Die Entwicklung und intensive Nutzung von Energie verbrauchenden industriellen Verfahren, Maschinen und Transportmitteln hat entscheidend zum Erreichen unseres heutigen Lebensstandards beigetragen: Energie hat die Menschen von der Last körperlicher Schwerstarbeit befreit, ihre Produktivität vervielfacht, Licht und Wärme geschaffen, die Erträge der Landwirtschaft revolutioniert sowie ungeahnte Mobilität und Kommunikation ermöglicht. Energie wurde zum Lebens-Elixier moderner sozialer Volkswirtschaften und ist Voraussetzung aller Grundversorgungen.

2.2

Problemlage. Die meisten Prognosen lassen erwarten, dass sich der zukünftige Weltenergiebedarf, bedingt durch Bevölkerungswachstum und den Entwicklungsbedarf vieler Länder, bis zum Jahr 2060 voraussichtlich verdoppeln (oder gar verdreifachen) wird. Dem stehen bekanntlich zwei schwerwiegende Entwicklungen entgegen, die zu globalem politischem Handeln auffordern, um ernsten Konflikten und Wirtschaftskrisen zu begegnen: Ressourcenerschöpfung und Schutz der Umwelt. Wenngleich in diesem Zusammenhang der anthropogene Beitrag zum Klimawandel „Klimagase“ oder „Treibhausgase“ (THG), insbesondere CO2, Methan und Lachgas) das übergeordnete Umweltproblem darstellt, müssen auch die Folgewirkungen aller Maßnahmen auf Artenvielfalt, Gesundheit und auf nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen und Abfälle berücksichtigt werden.

2.3

Europäischer Rat. In den Schlussfolgerungen der Frühjahrestagung 2007 des Europäischen Rates werden bezüglich Energiepolitik dementsprechend folgende Prioritäten hervorgehoben:

Steigerung der Versorgungssicherheit,

Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen,

Förderung der Umweltverträglichkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

2.3.1

Der Ausschuss hat zu diesem Themenkreis wegweisende wichtige Stellungnahmen verfasst, welche im Anhang angeführt werden (2).

2.4

Anfrage der slowenischen Ratspräsidentschaft. Durch einen Brief des slowenischen Wirtschaftsministers A. Vizjak wurde der Ausschuss darüber informiert, dass die Prioritäten der Slowenischen Präsidentschaft auf dem Gebiet der Industriepolitik das Ziel einer höchst energieeffizienten und möglichst wenig Treibhausgase emittierenden europäischen Wirtschaft beinhalten werden. Dazu seien Anreize zur Innovation und zum Gebrauch umweltfreundlicher Technologien und Produkte besonders wichtig. Ein dementsprechender Aktionsplan zur nachhaltigen Industriepolitik sei in Vorbereitung, und der der Europäische Rat werde sich in seiner Frühjahrssitzung 2008 damit befassen. In diesem Zusammenhang wurde der Ausschuss gebeten, zu den möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie Stellung zu nehmen.

2.5

Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftskraft und sozialer Wohlstand. Aus jüngsten Veröffentlichungen (3) der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel und auch des Ausschusses (4) (z.B. „58 concrete measures to ensure the success of the Libon strategy“) wurde der enge Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftskraft und den Spielraum für die notwendigen sozialen Leistungen deutlich. Darum konzentriert sich die vorliegende Stellungnahme auf die hier relevanten ökonomischen Aspekte (5) der Anfrage.

2.6

Industriestaaten. Den hoch entwickelten Industriestaaten fällt dabei eine besondere Verpflichtung zu. Sie begründet sich einerseits aus ihrem höheren Anteil an der Emission dieser Gase und andererseits aus ihrem noch vorhandenen Vorsprung bei der Entwicklung neuer Techniken. Diese reichen von Energieeinsparung, höherer Energieeffizienz und dem Einsatz emissionsfreier (bzw. emissionsarmer) Energielieferanten (6) bis zur Entwicklung dazu geeigneter technischer Verfahren. Dabei gilt es, im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeiten, Wunschdenken und wirtschaftlicher Realität das Richtige zu erkennen und mit Augenmaß und Entschiedenheit zu verfolgen.

2.7

Kosten  (7) . Allerdings ist die Nutzung klimafreundlicherer Energieformen für den zivilen Verbraucher und für industrielle Prozesse — mehrheitlich — mit deutlich höheren Kosten (8) verbunden. Beispiele sind Wind- und Solarenergie (9) (so werden allein in Deutschland im Jahre 2007 rund 4 Mrd. EUR für die vom Verbraucher subventionierte Nutzung erneuerbarer Energien (10) ausgegeben) oder die in Entwicklung befindlichen Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS). Auch Wärmepumpen oder Fahrzeuge mit vermindertem oder gar CO2-freiem Treibstoffverbrauch erfordern aufwändigere Technik mit höheren Kosten.

2.8

Risiken. Soweit diesen beachtlichen Kosten keine entsprechenden Ersparnisse aus einem reduzierten Ressourcenverbrauch gegenüberstehen, und solange die konkurrierenden außereuropäischen Volkswirtschaften keine vergleichbaren Kosten tragen, erwächst daraus eine nachteilige Belastung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. „Europa kann ein Beispiel für den Kampf gegen den Klimawandel sein, aber Europa kann keinen unfairen Wettbewerb mit Ländern akzeptieren, die keinerlei ökologische Restriktionen einrichten“  (11). Bereits die Personalkosten (Löhne, soziale Leistungen) liegen in Europa im Vergleich mit den aufstrebenden Volkswirtschaften z.B. Chinas und Indiens deutlich höher und stellen schon für sich allein höchste Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit Europas; umso mehr sind alle weiteren, einseitigen, durch Klimaschutzziele ausgelösten Verteuerungen der Produktivität besonders gravierend und gefährlich.

2.9

Chancen. Für den Fall, dass eine überwiegende Mehrheit außereuropäischer Staaten wie z.B. China, Indien und die USA ähnliche Maßnahmen zum Klimaschutz trifft, bestünde allerdings sogar die Chance, die in Europa entwickelten umweltschonenden Energietechniken zu exportieren und so nicht nur der europäischen Volkswirtschaft zu nutzen, sondern sogar zur globalen Verbrauchs- und CO2-Minderung beizutragen. Zudem zeigt die Wirtschaftsgeschichte, dass auf krisenähnliche Phasen häufig erhöhte Innovationsbereitschaft sowie Entwicklung und Einsatz neuer Technologien folgten, die längerfristig mit Wachstum und Aufschwung verbunden waren (bisher allerdings auch mit erhöhter Energienutzung!). Darum sollte der Schwerpunkt aller innereuropäischen Maßnahmen auf die innovative Entwicklung und effiziente Anwendung energiesparender, klimaneutraler und wettbewerbsfähiger Energietechnologien gelegt werden, während die außenpolitischen Bemühungen um adäquate globale Vereinbarungen mit Nachdruck weitergeführt werden sollten — die Ergebnisse der Bali-Konferenz zeigen, dass zumindest weiter verhandelt wird (siehe dazu Ziffer 2.11).

2.10

Probleme. Wenn diese aber nicht zum Erfolg führen sollten, entstehen ernste Probleme. Als erstes werden Industriezweige, deren Produktionskosten maßgeblich von den Energie- und CO2-Kosten abhängen, auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig sein, ihre Produktion hier einstellen, die hiesigen Arbeitsplätze aufgeben, und dies alles statt dessen in Länder mit geringeren Energie- und ohne CO2-Kosten verlagern. Für bestimmte Industriesparten wie die Aluminium- oder Zementindustrie (12) hat ein solcher Prozess bereits begonnen. Der Kommission ist die genannte Problematik zwar aufgrund eines „Impact Assessment“ durchaus bewusst bewußt (13); nach Meinung des Ausschusses muss hier jedoch sehr rasch eine gute Lösung gefunden werden, um volkswirtschaftlichen Schaden zu vermeiden. Neben der Verlagerung existierender Industrien wird vor allem der internationale Kapitalfluss seine zukünftigen Investitionen für neue Anlagen nicht mehr nach Europa lenken, sondern in die Regionen mit niedrigeren Energie- und CO2-Kosten.

2.10.1

Verlagerung und „Leakage“. Eine solche Verlagerung bedeutet zudem, dass zwar in der EU weniger CO2 emittiert wird, global jedoch genau so viel CO2 wie vordem oder sogar mehr in die Atmosphäre gelangt; wenn nämlich die verlagerte Produktion billigere Techniken einsetzt als hier bereits jetzt oder in Zukunft zum Einsatz kommen, werden in der Regel sogar mehr Treibhausgase freigesetzt (Ausnahme Wasserkraft z.B. Norwegen). Transportbedingte CO2-Emissionssteigerungen kommen hinzu.

2.10.2

Volkswirtschaftliche Energieintensität. In diesem Fall hätte die europäische Volkswirtschaft wichtige Industrieproduktionen und Arbeitsplätze verloren, ohne dem Klimaschutz zu nutzen. Gleichzeitig hätte die EU im Wettbewerb der volkswirtschaftlichen Energieeffizienz, nämlich der sog. Energieintensität (Energieverbrauch/Bruttosozialprodukt), vorübergehend (14) sogar einen (Schein-)Erfolg errungen, weil die energieintensive Industrie ausgewandert ist.

2.10.3

Dienstleistungssektor. Selbst der Dienstleistungssektor, der einen großen Teil der Wirtschaftskraft Europas umfasst, kann langfristig nur bei Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie prosperieren und ist dementsprechend ebenfalls von — im globalen Vergleich — überhöhten Energiekosten betroffen.

2.11

Globale Vereinbarungen. Verbindliche und ausgewogene globale Vereinbarungen, den Ausstoß dieser Klimagase zu reduzieren, müssen also nicht nur wegen des Klimaschutzes selbst — denn ein spürbarer Effekt ist nur zu erwarten, wenn auch die maßgeblichen Emittenten von CO2 wie z.B. China, Indien und die USA sich den Schutzmaßnahmen anschließen — vorrangiges Ziel aller internationalen Bemühungen auf diesem Gebiet sein. Der Ausschuss begrüßt daher alle Bemühungen der Gemeinschaft, der Mitgliedstaaten und der Organisationen wie G8, UNO, UNESCO, OECD, IEA etc. in dieser Richtung, wie z.B. die gerade stattgefundene Bali-Konferenz.

3.   Besondere Bemerkungen — Analysen und Folgerungen

3.1

Energie- und Klimaschutzpolitik. Eine erfolgreiche Energie- und Klimaschutzpolitik muss für eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen sorgen, die Gesellschaft und ihre einschlägigen Akteure auf die dazu nötigen Veränderungen vorbereiten (z.B. Architekten, Investoren, Unternehmer, Lehrer, Schüler, Bürger, Konsumenten etc., denn es handelt sich um eine Angelegenheit die alle angeht, von einem Ende der Kette bis zur anderen), aber diesen Veränderungsprozess gleichzeitig so gestalten, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird und so die Ziele von Ziffer 2.3 in Balance bleiben. Daraus ergeben sich Herausforderungen und Chancen.

3.2

Herausforderung. Beides, die Entwicklung der globalen Energienachfrage als auch die europäische Energie- und Klimapolitik der letzten Jahre führten zu beachtlichen Verteuerungen von Energie und der Folgeprodukte. Um die drei Ziele von Ziffer 2.3 gleichrangig zu verfolgen und dafür auch das erforderliche Kapital für zukünftige Investitionen in innovative Techniken zu erwirtschaften, sollte der europäischen Volkswirtschaft Energie jedoch — trotz der zunehmenden globalen Nachfrage und bei Gewährleistung des nötigen Klimaschutzes — so günstig wie möglich zur Verfügung stehen. Darum dürfen die Kosten von Energie nicht — über das für Klimaschutz und wegen Ressourcenverknappung unvermeidliche Maß hinausgehend durch zusätzliche staatliche Maßnahmen verteuert werden.

Dabei können bezüglich der erforderlichen Einzelmaßnahmen und deren Auswirkungen durchaus Interessenunterschiede zwischen Energieversorgern und Energiekonsumenten auftreten.

3.3

Anreize und Emissionshandel. Hierfür werden ausreichende marktwirtschaftliche Anreize benötigt, damit im Rahmen der Investitionszyklen energieeffiziente Techniken — selbst bei ggf. höheren Investitionskosten — zum Einsatz kommen. Wenn solche Investitionen trotz ihrer Wirtschaftlichkeit ausbleiben, müssen die entsprechenden Hemmnisse analysiert und abgebaut werden. Denn Investitionen in Energieeffizienz (siehe auch Ziffer 4.1) führen in den allermeisten Fällen zu den geringsten CO2-Vermeidungskosten. Vom Prinzip her könnte der Emissionshandel (Emission Trading) eines dieser marktwirtschaftlichen Instrumente sein. Allerdings sind dazu deutliche Verbesserungen der gegenwärtigen Anwendungsweise erforderlich (siehe auch Ziffer 4.3), um eine vorgegebene Menge von CO2 mit den geringsten Kosten einzusparen. Durch die Überlagerung mit EE-Förderinstrumenten sowie falschen Anreize bei der Zuteilung von Zertifikaten (wie insbesondere das Fehlen einer Korrelation zwischen Zuteilung und tatsächlicher Produktion, was den Emissionshandel auch zu einer Stilllegungsprämie macht) entstehen z.B. die sog. „Windfall Profits“, die zur Verteuerung von elektrischer Energie in Milliardenhöhe geführt haben. Die seitens der Kommission vorgeschlagene vollständige Auktionierung würde dies eher noch verteuern.

3.4

Reelle Chancen. Falls es gelingt, über die nächsten 15-25 Jahre die vielen in diesem Zeitlauf anfallenden Re- und Neuinvestitionen auf wirtschaftliche, energiesparende und mit verminderter Emission arbeitende Techniken zu konzentrieren, kann sich Klimaschutz positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auswirken und somit trotz erhöhter Energiepreise eine Chance für mehr allgemeinen Wohlstand sein.

3.5

Voraussetzungen und Empfehlungen. Im Folgenden werden daher einige der Voraussetzungen diskutiert, um diese Chancen realisieren zu können, sowie einige entsprechende Empfehlungen gegeben. Entscheidende Voraussetzung ist, dass seitens der Energie-, Wirtschafts-, und Forschungspolitik die richtigen Maßnahmen getroffen werden, die richtigen Prinzipien zur Anwendung kommen und Überregulierung vermieden wird. Die politischen Instrumente müssen die wirtschaftlich rentabelsten Lösungen stimulieren und ermöglichen; die quantitativen Zielvorgaben müssen den Zeittakt der notwendigen Umstellungen des für eine gesunde Volkswirtschaft Verträglichen berücksichtigen. Kenngrößen des möglichen Zeittakts sind z.B. Amortisationszyklen, Ausbildungszeiten, Entwicklungsschritte für neuartige Technologien, sowie insbesondere die sozialverträglichen Anpassungen, Ausbildungsmaßnahmen und sonstigen gesellschaftlichen Veränderungen. Forschung und Entwicklung müssen dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

3.6

Breites VorgehenVielfalt, Diversifizierung, Flexibilität und Reziprozität. Im Sinne eines Bottom-Up-Ansatzes sollten die Eigeninitiative aller Akteure sowie Vielfalt, Diversifizierung und Flexibilität der technischen und wirtschaftlichen Vorgehensweisen ermöglicht und gefördert werden, ohne dabei einzelne Bereiche zu privilegieren. Nur aus einem breiten Ansatz und Wettbewerb der verschiedenen Optionen, Innovationen und Verfahrensweisen erwächst Robustheit gegenüber einzelnen Krisen und stellen sich die jeweils besonders leistungsfähigen Methoden, Techniken und deren optimaler Verbund heraus. Dementsprechend ist auch ein breiter Energiemix erforderlich, bei dem keine sinnvolle Technik (15) zu frühzeitig ausgeschieden werden sollte. Der Absicherung unserer Versorgung nützt eine angemessene Verflechtung von Produzenten, Lieferanten und Kunden über die Lieferkette vom Bohrloch bis zum Kunden. Dazu brauchen wir reziproke Wirtschaftsbeziehungen, d.h. sichere Investitionsbedingungen für ausländisches Kapital in der EU, und umgekehrt sichere Bedingungen von EU-Investitionen in den Lieferantenländern.

3.7

Europapolitische Maßnahmen und globale Zusammenarbeit. Die europäische Klima- und Energiepolitik sollte ein kooperatives Vorgehen begünstigen, mit Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, und bei dem die jeweiligen wirtschaftlichen, geographischen und ressourcenbezogenen Stärken der einzelnen Mitgliedstaaten optimal genutzt und verknüpft werden. Zum Beispiel sollten Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energie innerhalb Europas dort zum Einsatz kommen, wo dafür die jeweils besten, insbesondere klimatischen Voraussetzungen einschließlich geeigneter Übertragungswege gegeben sind, und nicht, wo gerade national am höchsten gefördert wird. Darüber hinaus sollten aber auch globale Kooperationen zur Entwicklung und Anwendung energiesparender und Klimagase vermeidender Techniken angestrebt werden.

3.8

Widersprüchliche  (16) und überlappende quantitative Zielvorgaben. Bestmögliche Wirtschaftlichkeit minimiert die volkswirtschaftlichen Kosten und die soziale Belastung der Bürger.

Überlappende energie- und klimapolitische Zielvorgaben führen jedoch zu einem überbestimmten System und zu unwirtschaftlichen Lösungen; sie sollten daher vermieden werden. Dies sei beispielhaft folgend verdeutlicht:

Das übergeordnete EU-Klimaschutzziel einer 20 %igen CO2-Reduktion von 1990 bis 2020 gemäß Ratsbeschluss vom März 2007 führt zu einem BIP-Verlust (17) von 480 (Abschätzung der EU-Kommission vom 23.01.2008) bis 560 Mrd. (GWS/Prognos) (18) EUR für die Zeit von 2013 bis 2020; dieser muss akzeptiert werden und sollte daher als primäre Richtschnur zum weiteren Handeln dienen.

Die zusätzliche Festlegung auf eine ambitionierte 20 %-Quote von erneuerbaren Energien (EE) steigert jedoch diese Kosten zusätzlich, denn deren CO2-Vermeidungskosten liegen beachtlich oberhalb anderer CO2-Minderungsmaßnahmen.

Weitere Nachteile und Komplikationen treten auf, wenn zudem auch noch die volkswirtschaftliche Energieeffizienz (EnEff) (siehe Ziffer 2.10.2) selbst zu einer zusätzlichen, explizit quantifizierten Zielgröße (20 %) gemacht wird. Denn diese wird am einfachsten erreicht, wenn die Industrie abwandert oder — aufgrund der EnEff-Definition — der Energiemix von Kernkraft und Kohle zu (den deutlich teueren) Gas und EE umgebaut wird (19). Diese unerwünschten Nebeneffekte zeigen, dass EnEff selbst kein Ziel, sondern ein — allerdings sehr wichtiges — Mittel sein sollte, um die drei fundamentalen Ziele von Ziffer 2.3 nachhaltig zu erreichen.

Darum empfiehlt der Ausschuss, alle Vorgaben zum Schutz des Klimas zunächst hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das BIP sorgfältig und objektiv zu evaluieren, um bei der notwendigen Reduktion der Treibhausgase die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrien sicherzustellen und eine optimale Ressourcenallokation zu erzielen.

3.8.1

Studien. Studien lassen erwarten (20), dass

ein CO2-Reduktionsziel für die EU von etwas weniger als 20 % (21) wirtschaftlich darstellbar ist, wenn es Politik und Gesellschaft gelingt, konsequent die kostengünstigsten Maßnahmen zu realisieren (bottom up-Studie McKinsey, in welcher die dafür notwenigen und möglichen Maßnahmen genau identifziert werden); zwar existieren auch Studien, die höhere Reduktionsziele als wirtschaftlich darstellen, letztere zeigen jedoch als top down-Studien nicht wirklich auf, wie dies geschehen kann;

die Kosten für jeden weiteren Prozentpunkt an CO2-Reduktionen jedoch zunehmend steil ansteigen (kumulierter BIP-Verlust 480-560 Mrd. EUR, siehe Ziffer 3.8); so erfordert ein Reduktionsziel von 20 % bereits den kostspieligen Umbau des Energiemixes von Kohle zu Gas und EE;

die zusätzliche Festlegung auf ein 20 %-EE-Ziel viele weitere Milliarden Euro kosten wird, da dieses Ziel nur mit einem massiv subventionierten Einsatz von (zumindest beim jetzigen Entwicklungsstand) unwirtschaftlicher Technologien erreichbar wäre.

3.8.2

Balance der Zielvorgaben von Ziffer 2.2. Im Sinne der nötigen Ausgewogenheit zwischen den drei energie- und umweltpolitischen Zielen von Ziffer 2.3 sollten die politischen Instrumente darauf abzielen, durch wirtschaftlich attraktive CO2-Minderungsmaßnahmen das ohne wirtschaftlichen Schaden Realisierbare auch wirklich zu erreichen. Fordert man jedoch zusätzlich einen kostenintensiven, da vom technischen Entwicklungsstand her verfrühten, Umbau des Energiemixes auf eine zu hohe EE-Quote und zudem auf ein überreguliertes volkswirtschaftliches EnEff-Ziel, dann ergeben sich zum einen volkswirtschaftliche Fehlallokationen (22), und zum anderen erwächst die Gefahr, dass die Nachfrage nach besonders wirksamen Umwelttechnologien nicht einmal mehr aus europäischer Produktion gedeckt werden kann. So hat eine Untersuchung der EU-Kommission ergeben (23), dass bereits CO2-Preise von 20-25 EUR/t die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industriebranchen deutlich beeinflusst.

3.9   Forschung und Entwicklung, Ausbildung

3.9.1

Verstärkte Forschung und Entwicklung (FuE) entlang der gesamten Energiekette ist Voraussetzung für die nötigen Technologieentwicklungen hin zu neuen Optionen, geringeren Kosten sowie höherer Effizienz bei Ressourcen-Erschließung/Förderung, Energieumwandlung, Energiespeicherung bis zur Endenergienutzung in Industrie, Verkehr, Haushalt und privatem Verbraucher. Wie vom Ausschuss wiederholt angemahnt, sollten dazu die Aufwendungen für FuE massiv erhöht werden. Sie sollten dabei auch von einer Reduktion der hohen Markt-Subventionen noch lange nicht eigenständig marktfähiger Technologien profitieren.

3.9.2

Dabei sollte sich die staatliche Förderung der Energieforschung auf die sehr wichtige Grundlagenforschung (z.B. Katalyse, weiße/grüne Biotechnologie, Materialforschung, Kernfusion, Abbau von Aktiniden etc.) konzentrieren, während anwendungsnahe FuE primär von der Wirtschaft (einschließlich KMU) getragen werden sollte. Darüber hinaus ist eine intensive Ausbildung aller benötigten Fachkräfte vom Techniker bis zum Ingenieur und Wissenschaftler erforderlich, sowie eine Schulung aller — auch als Verbraucher — indirekt mit Energie befassten Akteure.

4.   Einzelbetrachtungen und -empfehlungen

4.1   Zur Energieeffizienz (EnEff), einer „No-regret-Option“

Sie erhöht die Versorgungssicherheit, reduziert die Umweltbelastungen und stabilisiert die Energiepreise.

Durch ihre Steigerung können weltweit bis 2030 etwa 6 Gt (Milliarden Tonnen) CO2 zu Negativ-Kosten eingespart (24) werden.

Sie ist der entscheidende Schlüssel, um außereuropäische Staaten in ein globales Klimaschutzabkommen zu integrieren.

Für ihre Optimierung müssen gesetzliche Zielkonflikte beseitigt werden: Mietrecht, Recycling-Quoten.

Ihre „Messung“ pro Staat muss bei der Nutzung von Gütern durch den Endverbraucher ansetzen, und nicht ausschließlich beim Energieeinsatz pro BIP.

Für energiebetriebene Güter sollte bei Zielkonflikten der Focus auf die Nutzungsphase gelegt werden.

Sie sollte vorrangig dort gefördert werden, wo hohes Einsparpotenzial besteht: vor allem im Gebäudebereich und bei Kraftwerken.

Investitionszyklen und Amortisationsdauer bestimmen ihre Wirtschaftlichkeit.

Diese müssen auch bei EE die entscheidende Rolle spielen (mehr dazu unter „EE“).

Industrie-Anlagen, die bereits die EnEff-Benchmark Bedingungen erfüllen, dürfen keinen zusätzlichen Kostenbelastungen durch Politikinstrumente, wie dem Emissionshandel (z.B. Auktionierung), unterworfen werden.

Nach globalen Energieeffizienz-Potenzialen sollte sektorweise gesucht werden (25).

4.2   Zu erneuerbaren Energien

4.2.1

Erneuerbare Energien (EE) dienen der nachhaltigen Energieversorgung (erhöhte Versorgungssicherheit, nahezu CO2-neutrale oder CO2-freie Energiegewinnung). Sie müssen längerfristig ohne Förderung auskommen und damit deutlich effizienter werden.

4.2.2

Daher sollten die weitere Förderung und Entwicklung von EE folgende Gesichtspunkte berücksichtigen, mit dem Leitgedanken, die Wirtschaftlichkeit der Förderung zu erhöhen:

Die Förderung sollte auf bestmögliche Wirtschaftlichkeit ausgerichtet werden.

Leitmärkten sollten vorrangig durch geeignete Rahmenbedingungen entwickelt werden und nicht zu Lasten, sondern kompatibel mit bewährten bestehenden Industrien.

Die Förderinstrumente sollten die jeweils besten Standorte in der EU bevorzugen. Biomasse sollte dort für energetische Zwecke eingesetzt werden, wo sie produziert wurde. (Transportkosten).

EE Technologien, die noch weit von der Wirtschaftlichkeit entfernt sind, sollten zunächst über FuE-Instrumente weiterentwickelt werden, statt über sehr kostspielig geförderte verfrühte Massenanwendung.

EnEff und EE-Förderung sollten sinnvoll kombiniert werden: zeitlicher Vorrang gebührt EnEff-Maßnahmen, um dann nachgeschaltet den Einsatz von EE zu fördern. Beispiel: bei der geplanten Wärme-EE-Richtlinie sollte EE-Wärme nur für solche Gebäude gefördert werden, die zunächst auf geringen Wärmebedarf saniert wurden.

4.3   Weitere Handlungsempfehlungen

Vor Festlegung auf zukünftige Zielsetzungen sollten die technischen Realisierungschancen sowie wirtschaftliche und soziale Folgen analysiert werden. Die Festlegung sollte dann auf Basis einer europäischen und bestmöglich sogar einer globalen Abstimmung erfolgen.

Politikinstrumente sollten die gewünschten Lenkungseffekte erzielen (z.B. Anreize für Investitionen in wirtschaftliche Maßnahmen, Entwicklung von neuen Märkten), aber ungewünschte Lenkungseffekte vermeiden (z.B. Verlagerung von Investitionen, hohe Kostenbelastungen für Wirtschaft und Verbraucher).

Politikinstrumente sollten konsequenter als bisher an Klima-, Energie- und Kapitaleffizienz ausgerichtet werden, und zwar anhand quantifizierbarer Werte. Der beste Maßstab hierfür sind die CO2-Vermeidungskosten.

Die EU sollte den überregulierten Instrumenten-Mix (Emissionshandel, EE-Förderung, KWK-Förderung, Energiesteuern, Ordnungsrecht mit vielfältigen Einzelrichtlinien) bereinigen. Dabei müssen auch Zielkonflikte bereinigt werden; wirtschaftlichen Maßnahmen ist Vorrang vor unwirtschaftlichen zu geben (in der Regel EnEff vor weiterem Ausbau von EE).

Der Emissionshandel sollte mit dem Ziel modifiziert werden, die EnEff zu fördern und Stilllegungen zu vermeiden. Damit die Unternehmen das nötige Kapital zu Investitionen in EnEff haben, sollten Zertifikate nicht per Auktionierung vergeben werden, sondern auf Basis von Effizienz-Benchmarks mit Kopplung an die tatsächliche Produktionsmenge. Im Sinne der gewünschten Lenkungseffekte (EnEff-Steigerung) wirkt dann der Emissionshandel gleichermaßen intensiv wie bei voller Auktionierung, aber er vermeidet die negativen Auswirkungen (wie Zementierung der unnötigen Strompreissteigerungen — windfall-profits — und Belastung der energieintensiven Industrien). Die Überlagerung mit EE-Förderinstrumenten und falsche Anreize bei der Zuteilung von Zertifikaten sollten vermieden und stattdessen die Korrelation zwischen Zuteilung und tatsächlicher Produktion berücksichtigt werden (damit der Emissionshandel nicht zur Stilllegungsprämie wird!). Mit Auktionierung würden in einigen Branchen allein die reinen Produktionskosten um über 10 % ansteigen und damit gewollte Steigerungen bei Löhnen blockieren.

EE-Förderung sollte EU-weit harmonisiert werden, damit Windanlagen und Photovoltaik an den jeweils besten EU-Standorten gebaut werden. Eine Breitenförderung von EE bei Wärme-, Strom- und Kraftstoffproduktion sollte sich nicht nach regionaler Bedürftigkeit, sondern nach den jeweils besten klimatischen (und übertragungstechnischen) Gegebenheiten richten.

Energie als Produktionsfaktor sollten von zusätzlichen — d.h. zusätzlich zu den bereits beim Energielieferanten entstandenen und den jeweiligen Abnahme-Energiepreis bestimmenden — staatlich induzierten Energie- und Klimakosten (Emissionshandel, EE-Förderung, KWK-Förderung, Energiesteuern etc.) weitgehend verschont werden, um die globale Wettbewerbsposition nicht zu beschädigen und Verlagerungen zu vermeiden. Nur wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind in der Lage, die benötigten Effizienzverbesserungen vorzunehmen, neue Technologien zu entwickeln und das nötige Kapital aufzubringen.

Bei globalen Vereinbarungen sollte der Fokus auf relative Zielgrößen (EnEff, THG-Emissionen/BIP) gelegt werden, damit Länder mit hohem Wachstumspotenzial (also großem THG-Zuwachs) Anreize zur Beteiligung haben. Anreize sollten vor allem im Technologietransfer gegeben sein, wie es etwa das Ziel des AP-6-Forums (26) von sechs Staaten im asiatisch-pazifischen Raum ist, damit effiziente Technologie schnell die Regionen mit dem größten Nachholbedarf erreicht.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Unbeschadet der jeweiligen Entscheidung von Mitgliedstaaten zur Kernenergie.

(2)  Die hierfür relevanten Stellungnahmen des Ausschusses der letzten vier Jahre sind im Anhang aufgelistet.

(3)  Initiativstellungnahme der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel zum Thema „Auswirkungen der europäischen Umweltvorschriften auf den industriellen Wandel“, CESE 696/2007, Berichterstatter Herr Pezzini und Herr Novicki.

(4)  CESE-2007-09, Vorwort Herr Sepi.

(5)  Einige auch für die hier vorliegende Stellungnahme relevanten sozialen Aspekte werden in der zukünftigen Initiativ-Stellungnahme „Die sozialen Auswirkungen der Entwicklung im Gesamtbereich Energie und Verkehr“ mitbehandelt.

(6)  Auch dabei gibt es Ernüchterungen, wie jüngst bei der Hoffnung auf Biokraftstoffe, siehe TEN/286.

(7)  Siehe dazu die Abschätzung der EU-Kommission zu den Kosten des EU-Klimapakets am 23. Januar 2008: 0,45 % des Brutto-Inlandsprodukts bzw. 60 Milliarden EUR pro Jahr bzw. ca. drei EUR je Bürger und Woche (mehr als 600 EUR je vierköpfiger Familie und Jahr).

(8)  Ausnahmen Wasserkraft und Kernenergie.

(9)  Die bei höherem Angebot erforderlichen Speichertechniken würden zu einer weiteren drastischen Kostensteigerung führen.

(10)  Und für die dabei geschaffenen Arbeitsplätze.

(11)  Aus der Rede von Präsident Sarkozy am 13. November 2007 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.

(12)  Siehe CCMI/040, Entwicklung der europäischen Zementindustrie.

(13)  „Commission eyes end to free pollution credits“, EurActiv, 10/01/08; http://www.euractiv.com/en/climate-change/commission-eyes-free-pollution-credits/article-169434.

(14)  Nämlich solange sich noch keine generelle Rezession bemerkbar macht.

(15)  Unbeschadet der jeweiligen Entscheidung von Mitgliedstaaten zur Kernenergie.

(16)  Ein besonders effektives Mittel zur Senkung der CO2-Emissionen könnte die in Entwicklung befindliche Technologie von Carbon-Capture and -Storage sein (CCS). Allerdings sinkt bei diesem Verfahren die Energie-Effizienz im Vergleich zu einer vergleichbaren Anlage ohne CCS. Darum besteht hier ein klarer Widerspruch zwischen CO2-Vermeidung und Energieeffizienz. Angesichts der noch sehr großen Kohlevorräte könnte dieser Verlust an Energie-Effizienz vorübergehend in Kauf genommen werden. Dann allerdings darf Energie-Effizienz nicht zusätzlich als quantitative Zielvorgabe gefordert werden.

(17)  Rede von Kommmissionspräsident Barroso am 23. Jan. 2008.

(18)  „GWS/Prognos-Studie“ Oktober 2007, im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi).

(19)  Ursache ist die Definition von EnEff als Verhältnis von PEV (Primär-Energie-Verbrauch) und BIP. Der PEV wiederum wird bei Elektrizitätserzeugern über die sog. Wirkungsgradmethode berechnet. Dadurch steigt die EnEff z.B. um das Dreifache, wenn ein KKW durch Wind- oder Sonnenenergie ersetzt wird, ohne dass ein einziges kWh Strom eingespart worden wäre. Auch bei Ersatz eines KKW durch Erdgas würde EnEff steigen, obwohl sogar dabei mehr CO2 emittiert wird.

(20)  McKinsey, deutsche CO2-Vermeidungskostenkurve, Sept. 2007; EEFA, Studie für Energieintensive Industrien, Sept. 2007.

(21)  Genauer: für Deutschland 26 %; daraus extrapoliert auf die gesamte EU ca. 15 % — 20 %.

(22)  Wie es bereits durch die bisherigen kurzfristigen Politikmaßnahmen von — häufig nationalen — Quoten bei EE und CO2-Allokationen in Fünf-Jahres-Plänen zu beobachten war.

(23)  „EU ETS Review. Report on International Competitiveness“, European Commission/McKinsey/Ecofys, Dezember 2006.

(24)  McKinsey-Kurve.

(25)  Gemäß IEA-Ansatz.

(26)  „Asia-Pacific Partnership on Clean Development and Climate“ ist ein neues Forum, um Entwicklung und Einsatz sauberer Energietechnologien zu beschleunigen. Teilnehmerländer sind: Australien, Kanada, China, Indien, Japan, Korea, USA. Ziel ist, gemeinsam mit der Wirtschaft Energie- und Klimaziele so zu erreichen, dass nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung vorangetrieben werden. Der Fokus liegt auf Investitionen, Handel und Technologietransfer.


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