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Document 62014CN0524

    Rechtssache C-524/14 P: Rechtsmittel der Europäischen Kommission gegen das Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 9. September 2014 in der Rechtssache T-461/12, Hansestadt Lübeck gegen Europäische Kommission, eingelegt am 20. November 2014

    ABl. C 26 vom 26.1.2015, p. 16–18 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    26.1.2015   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 26/16


    Rechtsmittel der Europäischen Kommission gegen das Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 9. September 2014 in der Rechtssache T-461/12, Hansestadt Lübeck gegen Europäische Kommission, eingelegt am 20. November 2014

    (Rechtssache C-524/14 P)

    (2015/C 026/21)

    Verfahrenssprache: Deutsch

    Verfahrensbeteiligte

    Rechtsmittelführerin: Europäische Kommission (Prozessbevollmächtigte: T. Maxian Rusche, R. Sauer, Bevollmächtigte)

    Andere Verfahrensbeteiligte: Hansestadt Lübeck, vormals Flughafen Lübeck GmbH

    Anträge der Rechtsmittelführerin

    Die Rechtsmittelführerin beantragt,

    das angefochtene Urteil aufzuheben;

    die Klage in erster Instanz für unzulässig zu erklären;

    hilfsweise: Die Klage in erster Instanz für gegenstandslos zu erklären;

    hilfsweise: Den Teil des vierten Klagegrundes für unbegründet zu erklären, mit dem ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV in Bezug auf das Kriterium der Selektivität gerügt wird, und die Sache für die anderen Teile des vierten Klagegrundes und den ersten bis dritten und fünften Klagegrund an das Gericht zurückzuverweisen;

    der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren die Kosten der ersten Instanz und des Rechtsmittels aufzuerlegen, bzw., hilfsweise im Falle der Zurückverweisung an das Gericht, die Kostenentscheidung für die erste Instanz und das Rechtsmittel dem Endurteil vorzubehalten.

    Rechtsmittelgründe und wesentliche Argumente

    Erster Rechtsmittelgrund: Fehlende individuelle Betroffenheit.

    Nach Auffassung des Gerichts sei die Hansestadt Lübeck in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin des öffentlichen Unternehmens, das bis zum 1. Januar 2013 den Flughafen Lübeck betrieben hat, von dem angefochtenen Beschluss individuell betroffen, da dieses öffentliche Unternehmen durch die Gewährung staatlicher Beihilfen Befugnisse ausgeübt habe, die ausschließlich ihm übertragen worden wären. Dieser Schlussfolgerung liege folgender Sachverhalt zugrunde: Das öffentliche Unternehmen schlage die Entgeltordnung einer Regulierungsbehörde des Landes vor, die befugt ist, die Entgeltordnung zu genehmigen oder abzulehnen (Randnummern 29 bis 34 des streitigen Urteils).

    Nach Auffassung der Kommission habe das Gericht zwar den Sachverhalt richtig festgestellt, jedoch das öffentliche Unternehmen, das bis zum 1. Januar 2013 den Flughafen Lübeck betrieben hat, rechtsfehlerhaft als Bewilligungsbehörde angesehen, die eigene, ausschließlich ihr übertragene Befugnisse ausgeübt habe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei bei der Prüfung der individuellen Betroffenheit einer öffentlichen oder privaten Stelle, die eine Beihilferegelung durchführt (wie das öffentliche Unternehmen, das bis zum 1. Januar 2013 den Flughafen Lübeck betrieben hat), entscheidend, ob sie selbst oder der Staat ihre Geschäftsführung und Politik bestimmen könne (1). Der vom Gericht festgestellte Sachverhalt zeige, dass der Staat diese Befugnis habe, und zwar aus zwei Gründen. Die Entgeltordnung bedarf der vorherigen Genehmigung durch die Regulierungsbehörde des Landes. Die Regulierungsbehörde ihrerseits sei an die bundesrechtlichen Vorschriften über Flughafenentgelte gebunden. Daher bedeutet die bloße Tatsache, dass der Flughafenbetreiber die Entgeltordnung vorschlagen müsse, nicht, dass er selbst seine Geschäftsführung und die mit der Entgeltordnung verfolgten Ziele bestimmen könne.

    Mit der Feststellung, die Befugnis zur Durchführung eines vorbereitenden Schrittes zur Gewährung von Beihilfen (in diesem Falle das Vorschlagen der Entgeltordnung bei der Regulierungsbehörde) stelle die Ausübung einer eigenen Befugnis zur Gewährung von Beihilfen dar, sei dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen, da es den Begriff „individuell betroffen“ zu weit ausgelegt habe.

    Zweiter Rechtsmittelgrund: Fehlendes Rechtsschutzinteresse.

    Das Gericht sei der Auffassung, die Hansestadt Lübeck habe in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin des öffentlichen Unternehmens, das bis zum 1. Januar 2013 den Flughafen Lübeck betrieben habe, auch nach dem Verkauf des Flughafens Lübeck an einen privaten Investor noch ein Rechtsschutzinteresse. Das Gericht habe es nicht für erforderlich gehalten festzustellen, ob die Pflicht zur Aussetzung der Beihilferegelung am 1. Januar 2013 endete, weil die Entgeltordnung aufgrund des Umstands, dass keine staatlichen Mittel mehr eingesetzt wurden, keine staatliche Beihilfe mehr darstellte. Selbst wenn dies der Fall wäre, behielte die Klägerin im ersten Rechtszug nach Meinung des Gerichts ein Rechtsschutzinteresse, weil das förmliche Prüfverfahren noch nicht abgeschlossen worden sei und der angefochtene Beschluss daher noch rechtliche Wirkungen entfalte.

    Das erste Argument des Gerichts gehe fehl, weil auch in Ermangelung eines endgültigen Beschlusses zum Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens der angefochtene Beschluss seine einzige rechtliche Wirkung, nämlich die Pflicht zur Aussetzung der Beihilfemaßnahme für die Dauer der Untersuchung, verlieren kann, wenn die Beihilfemaßnahme aus Gründen endet, die in keinem Zusammenhang mit dem förmlichen Prüfverfahren stehen (in diesem Falle die Privatisierung des Flughafens).

    Das zweite Argument des Gerichts stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung, die ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse verlange. Im vorliegenden Fall habe sich das Risiko einer Aussetzung der Maßnahme vor dem 1. Januar 2013 nicht verwirklicht, weil der Flughafen privatisiert wurde. Die Hansestadt Lübeck habe ihr Interesse daran, die Klage nach der Privatisierung des Flughafens aufrechtzuerhalten, nicht nachgewiesen.

    Aus diesen Gründen habe das Gericht rechtsfehlerhaft festgestellt, die Klägerin im ersten Rechtszug habe ein gegenwärtiges Interesse.

    Dritter Rechtsmittelgrund: Fehlerhafte Auslegung des Begriffs der Selektivität im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV

    Um feststellen zu können, ob die Entgeltordnung eines öffentlichen Unternehmens selektiv ist, müsse nach Auffassung des Gerichts geprüft werden, ob sie diskriminierungsfrei für alle Nutzer und potenziellen Nutzer der von diesem öffentlichen Unternehmen bereitgestellten Waren oder Dienstleistungen gelte (Randnummer 53 des Urteils).

    Diese Auffassung stehe in krassem Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der eine Maßnahme keine allgemeine steuer- oder wirtschaftspolitische Maßnahme darstellt und damit selektiv ist, wenn sie nur für einen bestimmten Wirtschaftszweig oder nur für bestimmte Unternehmen dieses Wirtschaftszweigs gilt (2). Der Gerichtshof habe daher entschieden, dass von öffentlichen Unternehmen festgelegte Vorzugstarife für Waren und Dienstleistungen selektiv seien, selbst wenn sie von allen Nutzern und potenziellen Nutzern in Anspruch genommen werden könnten (3). In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Deutsche Lufthansa habe Generalanwalt Mengozzi diese Rechtsprechung auf eine genau dem vorliegenden Fall entsprechende Situation angewendet, nämlich die Entgeltordnung eines Flughafens mit Rabatten für bestimmte große Nutzer, und die Selektivität der Maßnahme bestätigt (4).

    Vierter Rechtsmittelgrund: mangelnde Begründung und widersprüchliche Begründung

    Die Begründung des Gerichts sei fehlerhaft. Erstens fehle ein wesentlicher Teil der Selektivitätsprüfung, nämlich die Bestimmung des mit der Entgeltordnung verfolgten Zieles. Denn unter Bezugnahme auf dieses System müsse ermittelt werden, welches Unternehmen sich in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage befinde. Zweitens sei die Begründung des Gerichts widersprüchlich, da es zunächst die Rechtsprechung zur Selektivität steuerlicher Maßnahmen anwendet (Randnummern 51 und 53 des streitigen Urteils) und dann feststellt, dass sie nicht einschlägig sei (Randnummer 57 des streitigen Urteils).

    Fünfter Rechtsmittelgrund: Fehlerhafte Anwendung eines strengen Maßstabs der gerichtlichen Kontrolle auf einen Einleitungsbeschluss.

    Das Gericht nenne zwar das richtige rechtliche Kriterium, lasse aber in seiner Begründung völlig außer Acht, dass es im vorliegenden Fall um einen Beschluss zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens gehe, der nur einer leichten gerichtlichen Kontrolle unterliegt, insbesondere hinsichtlich der Begründung (5). Im streitigen Urteil fehle jegliche Erläuterung dazu, warum die Entgeltordnung so offensichtlich nicht selektiv war, dass es der Kommission verwehrt war, ein förmliches Prüfverfahren einzuleiten.


    (1)  Urteil DEFI/Kommission, 282/85, Slg. 1986, 2649, Randnr. 18.

    (2)  Urteile Italien/Kommission, C-66/02, Slg. 2005, I-10901, Randnr. 99, und Unicredito, C-148/04, Slg. 2005, I-11137, Randnr. 45.

    (3)  Siehe insbesondere Urteil GEMO, C-126/01, Slg. 2003, I-13769, Randnrn. 35-39.

    (4)  Schlussanträge Deutsche Lufthansa, C-284/12, Slg. 2013, I-00000, Randnrn. 47-55.

    (5)  Siehe zuletzt Beschluss Stahlwerk Bous/Kommission, T-172/14 R, Slg. 2014, II-0000, Randnrn. 39-78 und die dort angeführte Rechtsprechung.


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