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Document 52022XE2974

    Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ukraine — Hilfe und Wiederaufbau — Vorschläge der europäischen Zivilgesellschaft“

    EESC 2022/02974

    ABl. C 365 vom 23.9.2022, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    23.9.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 365/1


    Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ukraine — Hilfe und Wiederaufbau — Vorschläge der europäischen Zivilgesellschaft“

    (2022/C 365/01)

    Rechtsgrundlage

    Artikel 52 Absatz 4 der Geschäftsordnung

    Verabschiedung im Plenum

    16.6.2022

    Plenartagung Nr.

    570

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    206/2/2

    Kernbotschaften

    1.

    EU-Bewerberstatus für die Ukraine: Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert den Europäischen Rat auf, der Ukraine auf seiner Tagung am 23./24. Juni 2022 den Status eines EU-Bewerberlandes zuzuerkennen. Die Zuerkennung des EU-Bewerberstatus für die Ukraine darf indes den laufenden Beitrittsprozess des Westbalkans nicht beeinträchtigen. Der EWSA spricht sich für eine schrittweise Integration auf der Grundlage der Umsetzung des gemeinsamen Besitzstands aus.

    2.

    Die europäische Zivilgesellschaft steht solidarisch an der Seite der Ukraine und des ukrainischen Volkes: Die Zivilgesellschaft hat rasch und effizient reagiert und eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft unter den Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst. Die humanitäre Hilfe muss aufgestockt werden und sollte direkt an zivilgesellschaftliche Organisationen ausgezahlt werden. Spezialisierte NGO und zivilgesellschaftliche Organisationen sollten ernsthaft in die Planung und Überwachung der humanitären Hilfe der EU und der einzelnen Länder einbezogen werden.

    3.

    Eine Perspektive für Flüchtlinge: Der EWSA fordert, dass Flüchtlingen in Bezug auf die Gesundheitsversorgung und den Zugang zum Arbeitsmarkt dieselben Rechte eingeräumt werden wie EU-Bürgerinnen und -Bürgern (Anerkennung von Qualifikationen, Zugang zu Arbeitsvermittlungsdiensten, Sprachkurse, Gesundheits- und Bildungssysteme); beides kann zunehmender Armut unter den Flüchtlingen entscheidend vorbeugen. Die Sozialpartner können durch Tarifverhandlungen und Ad-hoc-Maßnahmen die Integration der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fördern und sie davor schützen, Opfer von Ausbeutung und Sozialdumping zu werden. Der EWSA weist nachdrücklich auf die Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft für den Schutz und die Wiedereingliederung oft vergessener schutzbedürftiger Gruppen hin: unbegleitete Minderjährige, von ihren Familien/Sorgeberechtigten getrennte Kinder und Kinder aus Heimen, Menschen mit Behinderungen, Roma-Minderheiten und Opfer sexueller Gewalt.

    4.

    Wiederaufbau: Es bedarf europäischer und internationaler finanzieller Soforthilfe, um die vollkommene Zerstörung der ukrainischen Wirtschaft zu verhindern. Für KMU, ukrainische Landwirte für die nächste Ernte und für die ukrainische Zivilgesellschaft muss finanzielle Unterstützung bereitgestellt werden, auch für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, damit sie in Kriegszeiten voll funktionsfähig bleiben. Beim Wiederaufbau sollte auf Innovationen gesetzt werden. Die Organisationen der Zivilgesellschaft müssen eng einbezogen werden, um sicherzustellen, dass Reformen der Rechtsstaatlichkeit, Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung sowie der ökologische und der digitale Wandel auch wirklich umgesetzt werden können.

    5.

    Wirtschaftskrise: Die Durchführung der Maßnahmen für den ökologischen Wandel in der EU sollte durch den Krieg nicht beeinträchtigt werden. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um übermäßige Rohstoffspekulationen einzudämmen, die Markttransparenz zu verbessern und alle Hindernisse für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorübergehend aufzuheben, um die Lebensmittelpreiskrise abzufedern. Der EWSA betont, dass weder „NextGenerationEU“ noch die darin enthaltene Aufbau- und Resilienzfazilität noch die Flexibilität des laufenden mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 ausreichen, um den durch den Krieg in der Ukraine entstandenen Finanzbedarf vollständig zu decken.

    6.

    Die Rolle der Zivilgesellschaft: Der EWSA pflegt schon seit Langem Beziehungen zu ukrainischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die gerade jetzt äußerst wichtig sind, um die Kanäle offen zu halten und eine Teilhabe am EU-Integrationsprozess zu ermöglichen. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, den Kapazitätsaufbau zu beschleunigen und die organisatorische und finanzielle Unterstützung für ukrainische Organisationen der Zivilgesellschaft erheblich aufzustocken. Er regt an, Partnerschaften zwischen Jugendorganisationen aus der EU und der Ukraine aufzubauen, und schlägt vor, eine Veranstaltung zum Jugendaktivismus und ihrer Rolle im künftigen Wiederaufbau der Ukraine zu organisieren. Der EWSA selbst verpflichtet sich dazu, die Zusammenarbeit und den Austausch mit ukrainischen Organisationen der Zivilgesellschaft auszubauen und sich weiterhin für die Wahrung der Solidarität und Großzügigkeit der EU gegenüber der Ukraine einzusetzen. Zu diesem Zweck wird der EWSA am 19. Juli in Krakau eine Veranstaltung mit der ukrainischen Zivilgesellschaft und der Zivilgesellschaft der EU organisieren.

    Gleichzeitig betont der EWSA, dass die verbleibenden unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Russland nicht im Stich gelassen werden dürfen.

    DER EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (EWSA)

    1.

    steht solidarisch an der Seite des ukrainischen Volks und verurteilt erneut entschieden die ungerechtfertigte und grundlose Aggression der russischen Föderation unter Führung von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine und verweist diesbezüglich auf seine am 24. März 2022 verabschiedete Entschließung „Der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen“ (1);

    2.

    betont, dass dieser seit nunmehr fast vier Monaten andauernde tragische Krieg auf europäischem Boden eine sehr hohe Zahl von Todesopfern, auch unter der Zivilbevölkerung, gefordert und massive Zerstörungen und Leid verursacht hat; er hat zur Zunahme der Armut weltweit und zu unermesslichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Schäden sowie einer beispiellosen Welle von Flüchtlingen und Vertriebenen geführt; fordert, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und Kriegsverbrechen, die von den Aggressoren in ukrainischen Städten und Dörfern begangen werden, ordnungsgemäß zu erfassen, zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen;

    3.

    fordert einen sofortigen Waffenstillstand seitens aller Beteiligten, bekräftigt, dass letztlich immer eine diplomatische Lösung angestrebt werden sollte, und betont, dass die Suche nach einem friedenserhaltenden Ansatz und Verhandlungen eine Priorität auf allen Ebenen der politischen Debatte sein müssen; fordert gleichzeitig den vollständigen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine; fordert die EU nachdrücklich auf, ihre seit dem ersten Tag des Krieges geleistete Unterstützung für die Ukraine und ihre Bevölkerung fortzusetzen; fordert eine genaue Beobachtung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen der Sanktionen infolge der militärischen Aggression Russlands;

    4.

    hält fest, dass der Krieg an der EU-Ostgrenze auch einen Angriff auf die Geschichte, das Weltbild und die Identität der EU darstellt, und betont, dass infolge des Krieges die Freiheit und die Rechte der EU-Bürgerinnen und -Bürger und anderer Einwohner sowie das europäische Modell der sozialen Marktwirtschaft bedroht sind; betont, dass die Europäische Union auf Frieden und Wohlstand gründet und dass zivilgesellschaftliche Organisationen in den letzten Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen haben, in Europa eine Kultur des Friedens aktiv zu fördern, zu begünstigen und zu erhalten;

    5.

    betont, dass die Russische Föderation und ihre aktuellen Vertreter aus internationalen Gremien und Organisationen ausgeschlossen werden müssen, und zwar zunächst aus solchen, die sich der Wahrung des Friedens, dem Schutz der Menschenrechte und der Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung und eines sicheren Umfelds verschrieben haben;

    Humanitäre Lage

    6.

    merkt an, dass seit Beginn der Aggression Russlands mehr als 6,8 Millionen Menschen (2) aus der Ukraine geflohen sind, was aus dieser Flüchtlingskrise die am schnellsten wachsende seit dem Zweiten Weltkrieg macht; macht ferner auf die 8 Millionen Binnenflüchtlinge in der Ukraine (3) aufmerksam und stellt fest, dass somit rund ein Drittel der Bevölkerung der Ukraine ihre Häuser oder Wohnungen verlassen mussten;

    7.

    weist darauf hin, dass die europäischen Länder, und zwar Polen, Rumänien, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei und die Republik Moldau (4), einen enormen Zustrom ukrainischer Flüchtlinge erfahren haben und dass diese Länder und insbesondere die dort tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen rasch und effizient reagiert haben, was eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft unter den dortigen Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst hat;

    8.

    betont, dass die EU-Mittel für humanitäre Hilfe aufgestockt werden müssen und insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene ausgezahlt werden sollten, wobei zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die sozioökonomische Integration von Flüchtlingen einsetzen, direkt unterstützt und einbezogen werden sollten;

    9.

    ruft die Mitgliedstaaten und Regionen der EU sowie die Organisationen der Zivilgesellschaft auf, die Möglichkeiten zur Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine, die sich aus dem Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf den Einsatz von Kohäsionsmitteln zugunsten von Flüchtlingen in Europa (CARE) vom 8. März 2022 sowie aus dem Vorschlag der Kommission für eine Änderung der Verordnung zu REACT-EU vom 23. März 2022 ergeben, möglichst schnell und möglichst wirksam zu nutzen; betont ferner, dass entsprechende Unterstützungsleistungen in erster Linie durch zivilgesellschaftliche Organisationen, einschließlich spezialisierter NGO, verteilt und zivilgesellschaftliche Organisationen direkt in die Organisation und Überwachung der humanitären Hilfe der EU und der einzelnen Länder einbezogen werden sollten;

    10.

    empfiehlt eine Neuzuweisung der im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 und des REACT-EU-Instruments eingesparten Mittel unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, sodass diese schnell und flexibel auf Maßnahmen zur Unterstützung von Flüchtlingen übertragen werden können. Ferner regt er an, zu diesem Zweck einen speziellen Fonds einzurichten, falls die derzeit verfügbaren Mittel für die Aufnahme der Flüchtlinge, ihre soziale Inklusion und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt (einschließlich Gesundheitsversorgung, Unterbringung, Lebensmittel, materielle Hilfe, Schulungsprogramme und öffentliche Arbeitsverwaltungen) nicht ausreichen;

    11.

    unterstreicht, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der europäischen Reaktion auf die COVID-19-Krise das Gefühl hatten, dass die EU sie schützt und Perspektiven eröffnet, insbesondere durch die Einrichtung des SURE-Instruments und von „NextGenerationEU“; betont, dass weder „NextGenerationEU“ noch die darin enthaltene Aufbau- und Resilienzfazilität noch die Flexibilität des laufenden mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 ausreichen, um den durch den Krieg in der Ukraine entstandenen Finanzbedarf vollständig zu decken; hält fest, dass diese Instrumente in Bezug auf ihre Größenordnung nicht darauf ausgelegt waren, die neuen Herausforderungen aufgrund der russischen Aggression und Invasion zu bewältigen und gleichzeitig Investitionen in die Programme und Maßnahmen der EU aufrechtzuerhalten, einschließlich wichtiger Prioritäten wie des gerechten, ökologischen und digitalen Wandels;

    12.

    betont, dass es dringend einer besseren Erfassung und Koordinierung der an humanitären und medizinischen Hilfsleistungen beteiligten Akteure bedarf, um sicherzustellen, dass solche Hilfsleistungen alle Kriegsbetroffenen schnell und effizient erreichen;

    13.

    betont die Notwendigkeit von Überwachungsmaßnahmen und -tätigkeiten im Hinblick auf verschiedene Bereiche wie die Achtung der Menschenrechte und die Dokumentation von Kriegsverbrechen und begrüßt die Einrichtung der Beratungsgruppe für Gräuelverbrechen (ACA) durch die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich;

    14.

    betont, dass Flüchtlinge aus der Ukraine auf der gleichen Grundlage wie EU-Bürgerinnen und -Bürger Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen sowie zu grundlegender Unterstützung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, zu Notfallverhütung und Schwangerschaftsabbruch sowie zur Geburtshilfe für Vergewaltigungsopfer erhalten sollten;

    15.

    fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, der Situation unbegleiteter Minderjähriger, von ihren Familien/Sorgeberechtigten getrennter Kinder und von Kindern aus Heimen aus der Ukraine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um sicherzustellen, dass ihre unmittelbaren Bedürfnisse erfüllt werden, ihre Identität ordnungsgemäß festgestellt und ihr weiterer Verbleib verfolgt wird. Außerdem sollten Daten zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden, um diese Kinder mit ihren Familien zusammenzuführen oder sie später wieder in die ukrainische Gesellschaft zu integrieren. Sie müssen vor Missbrauch und Menschenhandel geschützt werden;

    16.

    weist auf die schreckliche Situation von Menschen mit Behinderungen hin, die versuchen, aus den Kriegsgebieten in der Ukraine zu fliehen, oder die als Flüchtlinge in den Aufnahmeländern vor erheblichen Schwierigkeiten stehen; pocht darauf, dass alle Flüchtlinge unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund, ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer Behinderung gleich behandelt werden sollten. Menschen mit Behinderungen sollten umfassende Unterstützung erhalten, um ein unabhängiges Leben zu führen, und im Aufnahmeland nicht zur Unterbringung in einer Betreuungseinrichtung gezwungen werden;

    17.

    betont, dass die Erwerbsbeteiligung maßgeblich für die Integration und die Verringerung von Armut ist; weist eindringlich darauf hin, dass Flüchtlinge aus der Ukraine Gefahr laufen, den geringsten Schutz zu genießen, den niedrigsten Lohn zu erhalten, in Bereichen zu arbeiten, für die sie überqualifiziert sind, und zu der am stärksten benachteiligten Gruppe auf dem Arbeitsmarkt zu werden sowie weder über Sozialschutz noch das Recht auf Versammlungsfreiheit oder Arbeitnehmerrechte verfügen; hebt in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit hervor, ungleiche Arbeitsbedingungen angemessen anzugehen sowie sicherzustellen, dass ukrainische Arbeitskräfte dieselben Rechte genießen wie EU-Bürger und dass sie nicht Opfer von Ausbeutung und Sozialdumping werden; fordert, mittel- und langfristige Strategien für diejenigen Ukrainerinnen und Ukrainer, die in ihrem Aufnahmeland bleiben möchten, zu entwickeln, um sie vollständig in die EU-Arbeitsmärkte zu integrieren;

    18.

    hebt die entscheidende Rolle hervor, die die Sozialpartner durch Tarifverhandlungen und Ad-hoc-Maßnahmen und -Vereinbarungen spielen können, um die Eingliederung von Arbeitnehmern aus der Ukraine in den EU-Arbeitsmarkt zu erleichtern; weist darauf hin, dass Arbeitsagenturen Flüchtlingen die gesamte Palette von Dienstleistungen — u. a. Beratung, Erstellung von Bewerberprofilen, Vermittlung, Bereitstellung von Unterstützungsinstrumenten — bieten sollten, und fordert die Mitgliedstaaten auf, Dienste einzurichten oder zu fördern, die Flüchtlinge mit potenziellen Arbeitgebern zusammenbringen;

    19.

    betont, dass die Anerkennung von Qualifikationen eine wesentliche Voraussetzung für die Eingliederung von Flüchtlingen aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt der Aufnahmeländer und für die Vermeidung prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist; fordert nachdrücklich, wirksame Regeln und Leitlinien für eine rasche, aber sorgfältige Anerkennung von Qualifikationen, den Zugang zu Sprachkursen und den Zugang zur allgemeinen und beruflichen Bildung für junge Menschen, die aus der Ukraine fliehen, festzulegen;

    20.

    betont, dass alle notwendigen Schritte unternommen werden müssen, damit Erwachsene und Kinder, die in der EU Zuflucht suchen, ihren Bildungsweg fortsetzen können, und unterstreicht, dass in den Schulen nicht nur der Überwindung von Sprachbarrieren, sondern auch der Behandlung von Traumata, die langfristige negative Folgen haben können, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss;

    21.

    betont, dass Flüchtlingen aus der Ukraine der gleiche Zugang zu Sozialsystemen und -diensten wie EU-Bürgerinnen und -Bürgern gewährt werden muss;

    Wiederaufbau und EU-Perspektive der Ukraine

    22.

    begrüßt die Einrichtung einer internationalen „Plattform für den Wiederaufbau der Ukraine“, wie sie in der Mitteilung der Kommission „Entlastung und Wiederaufbau der Ukraine“ vorgesehen ist, wie auch die führende Rolle der EU bei der Mobilisierung internationaler Hilfen für die Ukraine;

    23.

    fordert die Europäische Union auf, Soforthilfen für KMU in der Ukraine bereitzustellen, die zunächst dazu dienen sollten, diesen KMU das Überleben zu sichern und in der Folge ihr Wachstum zu fördern. Als weiteres zentrales Ziel der Bemühungen der EU in der Ukraine muss die vollkommene Zerstörung der Wirtschaft in der Ukraine verhindert werden;

    24.

    betont, dass der Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg als einmalige Gelegenheit zum Aufbau einer stärkeren Zivilgesellschaft und einer neuen Wirtschaft genutzt werden sollte, die auf den neuesten grünen und digitalen Technologien beruht und sich auf Innovationen stützt;

    25.

    weist indes nachdrücklich darauf hin, dass Reformen der Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung sowie der ökologische und der digitale Wandel Prioritäten sind, die ohne echte Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht verwirklicht werden können, und fordert, zivilgesellschaftliche Organisationen eng in die Wiederaufbaumaßnahmen, auch in die Planung und Umsetzung der Fazilität „RebuildUkraine“, einzubeziehen, da sie am besten in der Lage sind, die Bedürfnisse der ukrainischen Bürgerinnen und Bürger mitzuteilen und die Überwachung des Wiederaufbaus und der Angleichung an das EU-Recht zu unterstützen;

    26.

    betont, dass der Konflikt und seine Folgen die Strategien für den grünen Wandel in der EU nicht untergraben dürfen, sondern vielmehr deren Umsetzung beschleunigen sollten;

    27.

    fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, die Nutzung von Gasspeicheranlagen in benachbarten Drittländern in Erwägung zu ziehen, was insbesondere in der Ukraine einen Mehrwert für die Versorgungssicherheit bringen wird;

    28.

    weist auf die weltweite Lebensmittelpreiskrise hin, die durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurde, und fordert die Mitgliedstaaten und die EU-Organe auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um übermäßige Rohstoffspekulationen einzudämmen und die Markttransparenz zu verbessern;

    29.

    betont, dass jetzt Handeln erforderlich ist, um die ukrainischen Landwirte für die nächste Ernte zu unterstützen; fordert darüber hinaus, alle (administrativen und physischen) Hindernisse für den freien Warenverkehr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen unverzüglich und vorübergehend abzuschaffen, um die Einfuhrmengen in den EU-Binnenmarkt sowie in andere Weltregionen, etwa nach Afrika, in Sektoren, in denen die Ukraine noch exportieren kann, rasch zu erhöhen; fordert die unverzügliche Wiedereröffnung der ukrainischen Häfen und die Entminung des Gebiets unter dem Schutz der Vereinten Nationen, damit landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Mais, Sonnenblumenöl, Sonnenblumenkerne, Sojabohnen und Honig ausgeführt werden können;

    30.

    fordert den Europäischen Rat auf, der Ukraine auf seiner Tagung im Juni 2022 den Status eines EU-Bewerberlandes zuzuerkennen;

    31.

    befürwortet die Aufnahme der Ukraine in die EU auf der Grundlage von Leistungen und im Einklang mit den vereinbarten Standards für den EU-Beitritt. Dies darf jedoch den laufenden Beitrittsprozess des Westbalkans nicht beeinträchtigen (5); ist der Auffassung, dass die Kohäsionspolitik und ihre Finanzinstrumente in den kommenden Jahren entsprechend angepasst werden müssen, damit die Herausforderungen des Wiederaufbaus der Ukraine nach dem Krieg bewältigt werden können; fordert eine eingehende Analyse des wirtschaftlichen und sozialen Potenzials der Integration der Ukraine in den Binnenmarkt;

    32.

    merkt an, dass die EU unter Aufrechterhaltung ihrer Beitrittskriterien einen stufenweisen Ansatz für die Umsetzung des gemeinsamen Besitzstands festlegen kann; betont, dass angesichts jedweder militärischen Aggression die Einheit zwischen den EU-Mitgliedstaaten auch weiterhin als Regel für die Erweiterungspolitik gelten muss; empfiehlt, andere Möglichkeiten für Nicht-EU-Mitgliedstaaten auszuloten, um an der wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitstechnischen Architektur der EU teilzuhaben; weist jedoch darauf hin, dass eine entsprechende Partnerschaft oder Assoziierung nicht als Alternative zur EU-Mitgliedschaft betrachtet werden sollte;

    Unterstützung der Organisationen der Zivilgesellschaft

    33.

    hebt hervor, dass der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss dank seiner langjährigen Arbeit im Bereich der bilateralen Kontakte zwischen der Zivilgesellschaft der EU und der ukrainischen Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle dabei spielt, den Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen der Ukraine aufrechtzuerhalten und die Kanäle zu ihnen offen zu halten; unterstreicht in diesem Zusammenhang die Erfolge bereits etablierter Mechanismen, insbesondere der Plattform der Zivilgesellschaft EU-Ukraine und der internen Beratungsgruppen EU-Ukraine, die im Rahmen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine eingerichtet wurden; fordert die EU auf, die Beteiligung ukrainischer zivilgesellschaftlicher Organisationen an den Netzen zivilgesellschaftlicher Organisationen in der EU zu unterstützen;

    34.

    unterstreicht, dass mit dem Kapazitätsaufbau der zivilgesellschaftlichen Organisationen der Ukraine begonnen werden muss, um ihnen die Möglichkeit zur Beteiligung am EU-Integrationsprozess sowie zur Mitgestaltung und Überwachung dieses Prozesses zu geben;

    35.

    betont, dass die Unterstützung der ukrainischen Zivilgesellschaft, einschließlich Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, durch zweckgebundene EU-Mittel verstärkt werden muss, damit sie in Kriegszeiten voll funktionsfähig bleiben; warnt vor Versuchen, den Krieg als Rechtfertigung von Maßnahmen zum Abbau des Schutzes der Arbeitnehmerrechte und des sozialen Schutzes zu nutzen, was die negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges verschärfen würde;

    36.

    hebt die Rolle jener europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen hervor, die sich aktiv um friedenserhaltende Lösungen und die Bewältigung der unterschiedlichen Folgen der Krise in der Ukraine aus sozialer, humanitärer, wirtschaftlicher und politischer Sicht bemühen, und betont, wie wichtig es ist, ihnen umfassende Unterstützung und Hilfe durch speziell für diesen Zweck konzipierte EU-Förderprogramme zu gewähren;

    37.

    verweist auf den herausragenden Beitrag, den zivilgesellschaftliche Organisationen der EU-Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Flüchtlinge aus der Ukraine leisten und der über die Unterstützung durch die einschlägigen Behörden hinausgeht; fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre organisatorische und finanzielle Unterstützung für diese Organisationen, auch aus EU-Mitteln, aufzustocken;

    38.

    empfiehlt die Einbeziehung junger Menschen, die aus der Ukraine fliehen, in die Hochschulaustauschprogramme der EU und betont, wie wichtig es ist, die jungen Menschen Europas, die für europäische Werte eintreten, zu mobilisieren und ihre Kapazitäten zu stärken; regt Partnerschaften zwischen den nationalen Jugendräten der EU und der Ukraine sowie den Austausch zwischen jungen Menschen und Jugendorganisationen aus der EU und aus der Ukraine an; die Zusammenarbeit könnte die Organisation einer Veranstaltung umfassen, in deren Mittelpunkt der Aktivismus junger Menschen und ihre Rolle beim künftigen Wiederaufbau der Ukraine stehen;

    39.

    dringt darauf, Lebensmittelbanken zu unterstützen, die eine grundlegende Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen und Hindernisse bei der Bereitstellung von Lebensmittelspenden spielen, zumal die Nahrungsmittelhilfe für die Deckung des dringenden Bedarfs der ukrainischen Bevölkerung und der Flüchtlinge aus der Ukraine ungemein wichtig ist;

    40.

    betont, dass zivilgesellschaftliche Organisationen aus der Ukraine und anderen Ländern, die sich für den Umweltschutz einsetzen, weiterhin international unterstützt werden müssen, und ist sich der schwerwiegenden Umweltfolgen des Konflikts bewusst;

    41.

    betont, dass unabhängige Qualitätsmedien und Faktenchecker auch in den Nachbarländern der EU stärker unterstützt werden müssen, da sie eine wichtige Arbeit dafür leisten, die Resilienz gegenüber Propaganda und Desinformation zu stärken; fordert die EU zur Umsetzung einer energischeren Antipropaganda-Kampagne insbesondere in Drittländern in Afrika und Asien auf, um dem Desinformationskrieg entgegenzuwirken;

    42.

    ist zutiefst besorgt über die Lage der unabhängigen Zivilgesellschaft in Russland sowie der Medien und Journalisten, die russischen Bürgern alternative Informationsquellen bieten, um gegen russische Propaganda vorzugehen; fordert, dass die EU jene zivilgesellschaftlichen Organisationen und Menschen unterstützt, die ihre Tätigkeiten in Russland fortsetzen wollen, und dass Aktivisten der Zivilgesellschaft, die bereit sind, das Land zu verlassen, Visa aus humanitären Gründen erhalten; weist darauf hin, dass eine Reihe russischer Organisationen den in Russland befindlichen Ukrainern dabei helfen, in die EU oder in die westlichen Teile der Ukraine zu gelangen, und dass diese Organisationen besondere Unterstützung bei der Besorgung von Visa für ukrainische Flüchtlinge benötigen, die Russland verlassen wollen;

    43.

    ist bestrebt, die Zusammenarbeit und den Austausch mit ukrainischen Organisationen der Zivilgesellschaft auszubauen und sich weiterhin für die Wahrung der Solidarität und Großzügigkeit der EU gegenüber der Ukraine einzusetzen; ist bereit, den EU-Institutionen und den ukrainischen Behörden sein Fachwissen zur Konsolidierung des sozialen und zivilen Dialogs zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck wird der EWSA am 19. Juli in Krakau eine Veranstaltung mit der ukrainischen Zivilgesellschaft und der Zivilgesellschaft der EU organisieren.

    Brüssel, den 16. Juni 2022

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  ABl. C 290 vom 29.7.2022, S. 1.

    (2)  UNHCR, 31. Mai 2022.

    (3)  UNHCR, 23. Mai 2022.

    (4)  UNHCR, 31. Mai 2022.

    (5)  Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen“ („ABl. C 290 vom 29.7.2022, S. 1“).


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