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Document 52017AE2820

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission vom 28. April 2017 — Mitteilung der Kommission über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ (C(2017) 2616 final)

ABl. C 129 vom 11.4.2018, p. 65–70 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

11.4.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 129/65


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der

„Mitteilung der Kommission vom 28. April 2017 — Mitteilung der Kommission über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“

(C(2017) 2616 final)

(2018/C 129/10)

Berichterstatter:

Cillian LOHAN

Mitberichterstatter:

Brian CURTIS

Befassung

Europäische Kommission, 31.5.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

25.4.2017

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

21.11.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

7.12.2017

Plenartagung Nr.

530

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

171/5/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die erläuternde Mitteilung, die einen wertvollen Leitfaden zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Zusammenhang mit dem Zugang zu nationalen Gerichten in Umweltangelegenheiten entsprechend dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Mitteilung bietet. Dieser Leitfaden wird Entscheidungsträgern in den nationalen Gerichten und Verwaltungsstrukturen wie auch Unternehmen und Bürgern einen zusätzlichen Nutzen in Form von mehr Rechtssicherheit und Klarheit bringen, wenn er denn allen interessierten Kreisen zur Verfügung gestellt wird.

1.2.

Der EWSA erkennt an, dass ein EU-weit einheitlicher Anspruch auf Zugang zur Justiz wesentliche Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt und für die harmonisierte EU-weite Durchsetzung von Rechten nach EU-Recht ist und den Märkten und Investoren die notwendige Klarheit und Rechtssicherheit bietet.

1.3.

Der EWSA plädiert für die notwendigen übergreifenden und verbindlichen EU-Rechtsvorschriften, um den Zugang zur Justiz EU-weit kohärent und vollständig sicherzustellen und dadurch den begrüßenswerten Fortschritt beim Zugang zu Gerichten, den diese Mitteilung darstellt, zu ergänzen. Die Europäische Kommission selbst erachtet der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (1) zufolge verbindliche EU-Rechtsvorschriften als optimale Lösung. Der EWSA nimmt in diesem Zusammenhang ferner die Analyse und Empfehlungen des von Jan Darpö im Auftrag der Europäischen Kommission erstellten Berichts (2) zur Kenntnis. Die Mitgliedstaaten müssen diese Ziele unterstützen und dürfen sie nicht untergraben.

1.4.

Damit die Mitteilung wirklich zum Tragen kommen kann, muss sie durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten ergänzt werden, die sich an die relevanten Zielgruppen, insbesondere die Richterschaft und Staatsanwaltschaft, die verwaltungsbehördlichen Nachprüfungsstellen und die Bürger, richten.

1.5.

Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen ausreichende Ressourcen und Finanzmittel schwerpunktmäßig zur wirksamen Unterstützung solcher Pläne bereitstellen.

1.6.

Ziel der Mitteilung ist es nicht, die einzelstaatliche Zuständigkeit auszuhebeln, vielmehr werden darin Urteile und Klarstellungen des Gerichtshofs aufgeführt, die verbindliche Grundanforderungen bilden. Darauf sollte in die Folgefassungen der Mitteilung hingewiesen werden, wie auch darauf, dass es keine Ausnahmen oder Rückschritte geben sollte.

1.7.

Diese erläuternde Mitteilung muss laufend auf den neuesten Stand gebracht werden. Um sicherzustellen, dass dieser Leitfaden zeitgerecht und genau ist, muss durch rechtzeitige Aktualisierungen des Inhalts und Auffrischungskurse für die Zielgruppen wichtigen Entwicklungen in der Rechtsprechung des EuGH Rechnung getragen werden. Zu erwägen wäre hier ein dynamisches und aktualisiertes Instrument für die Zivilgesellschaft und die Verwaltungs- und Justizbehörden.

1.8.

Dem Feedback von Sachverständigen und den für die Mitgliedstaaten relevanten Lücken und Auslassungen in der Mitteilung sollte vorrangige Aufmerksamkeit gelten. Dabei sollten auch Bereiche berücksichtigt werden, wo die gegenwärtige Rechtsprechung des Gerichtshofs Lücken aufweist.

1.9.

Eine unabhängige, objektive, umfassende und aktuelle Referenzbewertung muss entwickelt und auch gepflegt werden, die sowohl die positiven Entwicklungen als auch die Probleme im Zusammenhang mit dem Zugang zu Gerichten auf Ebene der Mitgliedstaaten sowie alle Elemente von Artikel 9 des Übereinkommens von Aarhus berücksichtigt.

1.10.

In Anbetracht der Bedeutung von Vorabentscheidungsersuchen für die Kohärenz der einschlägigen EU-Rechtsvorschriften (3) sollte die Europäische Kommission die Anwendung und Einhaltung dieser Bestimmung in allen Mitgliedstaaten eingehend prüfen und darüber berichten sowie sämtliche Behinderungen ihrer Anwendung untersuchen und dagegen vorgehen.

1.11.

Angesichts der weltweiten Drangsalierung und Verfolgung von Umweltschützern sollte die EU mit gutem Beispiel vorangehen, um den Zugang zu Gerichten zu erleichtern.

1.12.

Der EWSA hebt hervor, dass die Tragweite der Mitteilung dadurch eingeschränkt ist, dass die Feststellungen des unabhängigen Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus nicht berücksichtigt worden sind. Diese wichtigen und nützlichen Arbeiten können die Mitteilung der Europäischen Kommission ergänzen und die Entscheidungsträger und Bürger hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten unterstützen und sollten referenziert werden.

1.13.

Der EWSA befürwortet das Übereinkommen von Aarhus und seine umfassende Umsetzung durch die und innerhalb der EU. Es ist deshalb entscheidend, dass die Feststellungen des von den Vertragsparteien eingesetzten unabhängigen Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens zur Regelkonformität von den Vertragsparteien uneingeschränkt anerkannt werden.

1.14.

Der EWSA ist sich über die Empfindlichkeiten in Verbindung mit der jüngsten Feststellung des Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens betreffend Regelverstöße in den EU-Organen hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten im Klaren. Er drängt darauf, dass die EU in der Zeit bis zur nächsten Tagung der Vertragsparteien umgehend und konstruktiv tätig wird. Vor allem muss gemeinsam mit Umwelt-NGO und der Zivilgesellschaft im Rahmen eines übergreifenden und ehrgeizigen Ansatzes geklärt werden, wie und wo die EU die Umsetzung des Übereinkommens und des Zugangs zu den Gerichten in den und seitens der EU-Organe verbessern kann. Es sollte auch erwogen werden, parallel und ergänzend ein Konzept für die Einhaltung der Vorschriften für den Zugang zu Gerichten in den und seitens der EU-Organe zu erarbeiten und durch einschlägige Leitfäden und praktische Maßnahmen zu begleiten.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Bei der Kommissionsvorlage handelt es sich um eine erläuternde Mitteilung. Sie gibt einen Überblick über die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum Zugang zu nationalen Gerichten in Umweltsachen in Form einer detaillierten Analyse, in der bestimmte materiell- und verfahrensrechtliche Anforderungen und Standards betreffend Umweltsachen geklärt werden. U. a. werden die Aspekte Rechtsbehelf, Kosten, Verfahrensdauer und Fristen, Geltungsbereich, Klagebefugnis und Effizienz behandelt.

2.2.

Ziel der Mitteilung ist es, nationalen Behörden, nationalen Gerichten, Privatpersonen und NGO, die öffentliche Interessen vertreten, sowie „Wirtschaftsteilnehmer[n], die ein gemeinsames Interesse an berechenbarer Rechtsanwendung haben“, „Klarheit und ein Richtmaß“ zu geben (Abschnitt A9). In Abschnitt A8 werden die dieser Zielsetzung zugrunde liegenden Probleme der Zielgruppe — u. a. Unternehmen, KMU, Privatpersonen, NGO und die breite Öffentlichkeit — beim Zugang zu Gerichten in den Mitgliedstaaten dargelegt.

2.3.

Ferner werden die Bedeutung der Umwelt als „unsere Lebensgrundlage“ und ihre Erhaltung, ihr Schutz und ihre Verbesserung als „gemeinsame europäische Werte“ herausgestellt.

2.4.

Unter Verweis auf die EU-Verträge und den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, auf Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und auf das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten („Aarhus-Übereinkommen“) wird der übergeordnete Rahmen für den Zugang zur Justiz in der EU abgesteckt. Die EU und ihre 28 Mitgliedstaaten zählen neben weiteren europäischen und zentralasiatischen Staaten zu den 47 Vertragsparteien des Übereinkommens.

2.5.

2003 nahm die EU zwei Legislativvorschläge an — die „Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen“ (4) und die „Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit“ (5), die für bestimmte bestehende Richtlinien im begrenzten Umfang einen Zugang zu Gerichten regelten. 2006 wurde eine ergänzende Verordnung über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus (die „Aarhus-Verordnung“ (6)) angenommen. Die Europäische Kommission legte 2003 einen Legislativvorschlag über den Zugang zu Gerichten vor (7), der jedoch aufgrund von Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und mangelndem politischen Willen 2014 zurückgezogen wurde (8). Das Fehlen einer Richtlinie ist ein anhaltendes Problem, das der Lösung bedarf. Der EWSA plädiert für übergreifende und verbindliche EU-Rechtsvorschriften für den Zugang zur Justiz.

2.6.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen von Aarhus unterzeichnet und ratifiziert. Die Vertragsparteien legten auf ihrer ersten Tagung 2002 ein fortschrittliches Einhaltungsverfahren für das Übereinkommen fest und richteten den Ausschuss für die Einhaltung des Übereinkommens ein. Dieser Ausschuss behandelt Eingaben betreffend die Nichteinhaltung des Übereinkommens seitens einer Vertragspartei und erarbeitet einschlägige Feststellungen und Empfehlungen, die dann auf der Tagung der Vertragsparteien vorgelegt werden. Bis zur sechsten Tagung der Vertragsparteien 2017 sind sie ausnahmslos und uneingeschränkt von den Vertragsparteien gebilligt worden.

2.7.

In der Mitteilung wird eingeräumt, dass es in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor erhebliche Hindernisse für den Zugang gibt. In einigen Ländern wird der Zugang fast völlig verwehrt, in anderen begrenzt, in wieder anderen fallen hohe Kosten an, und in manchen Ländern sind keine wirksamen Rechtsbehelfe vorgesehen. Ein aktueller und unabhängiger Bericht über den Ausgangszustand muss Aufschluss über die spezifischen Probleme in den Mitgliedstaaten geben und auch die vorhandenen guten Beispiele hervorheben.

2.8.

Die Kommission führt Urteile und Klarstellungen des Gerichtshofs auf, die verbindliche Grundanforderungen bilden. Darauf sollte klar und deutlich in die Folgefassungen der Mitteilung hingewiesen werden, wie auch darauf, dass es keine Ausnahmen oder Rückschritte geben sollte.

2.9.

Die Vorlage der Kommissionsmitteilung fällt mit einer heftigen Kontroverse zusammen, ob die EU als Vertragspartei des Übereinkommens von Aarhus ihre eigenen Verpflichtungen nach Artikel 9 in vollem Umfang erfüllt. Dem ging eine Eingabe bei dem unabhängigen Ausschuss für die Einhaltung des Übereinkommens bezüglich einer vermuteten Nichteinhaltung des Übereinkommens voraus, der dann feststellte (9), dass die EU selbst die Vorschriften über den Zugang zu Gerichten nicht eingehalten hat, und einschlägige Empfehlungen unterbreitete.

2.10.

Im Juli 2017 beschloss der Rat der EU einstimmig, diese Feststellung vorbehaltlich Änderungen zu akzeptieren (ein von der Europäischen Kommission befürworteter Standpunkt), und bekräftigte auch seine Unterstützung für das Übereinkommen von Aarhus (10). Die vorgeschlagenen Änderungen für den Entscheidungsentwurf in Bezug auf die Feststellungen des Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens bestehen u. a. darin, dass die Vertragsparteien sich auf ihrer Tagung der Feststellung nicht anschließen, sondern sie zur Kenntnis nehmen. Der EWSA betont, dass es in sich widersprüchlich ist, wenn die EU sich auf der einen Seite nicht der Feststellung des Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens anschließen will, auf der anderen Seite aber ihre Unterstützung für das Übereinkommen von Aarhus bekräftigt. Dieser Ansatz könnte, wenn er denn von anderen Vertragsparteien übernommen würde, das unabhängige Einhaltungsverfahren und damit den Einfluss und die Wirksamkeit des Übereinkommens ernstlich untergraben.

2.11.

Auf der Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens im September 2017 in Montenegro wurde beschlossen, die Entscheidung über die Feststellung des Ausschusses zur Überwachung des Übereinkommens von Aarhus, dass die EU das Übereinkommen nicht einhält, zu vertagen, nachdem Gegenstandpunkte überzeugend vorgetragen worden waren und Diskussionen stattgefunden hatten. Da die Tagung der Vertragsparteien konsensorientiert ist, aber keine Einigkeit erreicht werden konnte, wurde nach einer Koordinierungssitzung der EU-Mitgliedstaaten beschlossen, die Entscheidung auf die nächste Tagung der Vertragsparteien 2021 zu vertagen.

2.12.

Der EWSA ist sich über die Empfindlichkeiten in Verbindung mit der jüngsten Feststellung des Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens betreffend Regelverstöße der EU hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten im Klaren. Er drängt darauf, dass die EU bis zur nächsten Tagung der Vertragsparteien umgehend, angemessen und konstruktiv tätig wird. Vor allem muss die EU gemeinsam mit Umwelt-NGO und der Zivilgesellschaft im Allgemeinen im Rahmen eines übergreifenden und ehrgeizigen Ansatzes klären, wie und wo die EU die Umsetzung des Übereinkommens und des Zugangs zu den Gerichten in den und seitens der EU-Organe verbessern kann. Es sollte auch erwogen werden, parallel und ergänzend ein Konzept für die praktische Verwirklichung des Zugangs zu Gerichten in den und seitens der EU-Organe zu erarbeiten und durch einschlägige Leitfäden und praktische Maßnahmen zu begleiten.

2.13.

Die erläuternde Mitteilung der Europäischen Kommission ist der Endpunkt eines langen fehlgeschlagenen Prozesses, der die Annahme spezifischer Maßnahmen auf EU-Ebene zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichten zum Ziel hatte. U. a. geschah Folgendes:

der Vorschlag für eine Richtlinie über den Zugang zur Justiz wurde zurückgezogen;

es ist nicht gelungen, sämtliche relevanten Richtlinien einzeln zu ändern, um Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten aufzunehmen; bspw. wurden die Vogelschutz- und die Habitatrichtlinie noch nicht um klare und umfassende Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten ergänzt;

Versuche, in bestimmte Richtlinien Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten aufzunehmen, sind gescheitert (11).

2.14.

Die Behandlung von Umweltangelegenheiten vor nationalen Gerichten muss harmonisiert werden, denn die Rechtsnormen der EU sind offenbar nicht spezifisch genug. Folglich erreichen den EuGH zahlreiche Vorabentscheidungsersuchen. Ziel der Kommissionsmitteilung ist es, aus der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH abgeleitete Vorschriften und Normen zu klären und dadurch den Interessenträgern mehr Rechtssicherheit zu geben.

2.15.

Die Europäische Kommission hat die rechtliche Analyse durch ihre eigenen Standpunkte ergänzt.

2.16.

Die Mitteilung und die damit unternommenen Klärungsversuche stehen im Zusammenhang mit der Überprüfung der Umsetzung des EU-Umweltrechts (EIR-Initiative), zu der sie beitragen sollen. Der EWSA bekräftigte jüngst in einer Stellungnahme (12) seine Unterstützung für die EIR-Initiative und plädierte für entschiedene Maßnahmen, um die verschiedenen Umwelt-Rechtsinstrumente vollständig umzusetzen und ihr Potenzial optimal auszuschöpfen.

2.17.

Ganz oben in der Gesetzeshierarchie klafft eine entscheidende Lücke aufgrund der fehlenden Richtlinie über den Zugang zur Justiz, durch die viele Fragestellungen geklärt werden könnten, die in den Mitgliedstaaten zu Unklarheiten und Widersprüchen und infolgedessen zu Problemen für Unternehmen und Bürger geführt haben.

2.18.

Einige Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen von Aarhus ratifiziert, ohne den Zugang zur Justiz im Einzelfall zu regeln, oder nicht eindeutig oder nur unvollständig umgesetzt.

3.   Standpunkt des EWSA

3.1.

Der EWSA befürwortet das Übereinkommen von Aarhus und seine umfassende Umsetzung durch die und innerhalb der EU. Für die Gültigkeit und die Wahrung der Grundsätze des Übereinkommens von Aarhus ist es entscheidend, dass die Feststellungen des von den Vertragsparteien eingesetzten Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens von den Vertragsparteien uneingeschränkt anerkannt werden.

3.2.

Der EWSA stellt fest, dass das Übereinkommen von Aarhus zum Korpus des Völkerrechts im Bereich der Menschenrechte gehört und mit den Grundprinzipien der EU — in den Verträgen und der Charta der Grundrechte — vollständig im Einklang steht. Der EWSA hebt hervor, dass die EU sich für die Menschenrechte einsetzen und dabei eine globale Vorreiterrolle übernehmen muss.

3.3.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, das Übereinkommen von Aarhus schneller wirksam umzusetzen und insbesondere den Zugang zur Justiz in Form verwaltungsbehördlicher Nachprüfung oder nationaler gerichtlicher Verfahren im Einklang mit den Anforderungen des Übereinkommens und insbesondere den einschlägigen Bestimmungen gemäß Artikel 9 Absatz 4 des Übereinkommens sicherzustellen. Der EWSA ist sich bewusst, dass die drei Säulen des Übereinkommens maßgeblich ineinandergreifen und als sich ergänzende Teile eines Ganzen umgesetzt werden müssen, um zum Tragen zu kommen.

3.4.

Die von der Europäischen Kommission vorgelegte sehr sinnvolle und wichtige Mitteilung ist zu begrüßen. Der EWSA erkennt an, dass ein EU-weit einheitlicher Anspruch auf Zugang zur Justiz wesentliche Voraussetzung für gleiche Marktbedingungen ist, die ihrerseits unabdingbare Grundlage für einen funktionierenden Binnenmarkt sind, und auch für eine erfolgreiche harmonisierte EU-weite Durchsetzung von grundlegenden Rechten nach EU-Recht notwendig ist. Dazu trägt diese Mitteilung bei.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Aussage der Europäischen Kommission, dass sie „bei Nichteinhaltung geltender Vorschriften des Besitzstands der EU (…) auch weiterhin Vertragsverletzungsverfahren nutzen [wird], um ihre Einhaltung durchzusetzen“ (Abschnitt A13). Gemäß den EU-Verträgen kommt der Europäischen Kommission diesbezüglich eine notwendige und definierte Rolle zu. Die wirksame Wahrnehmung dieser Rolle ist wesentlich, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen konsequent nachkommen, dass regelkonforme Mitgliedstaaten nicht auf unfaire Weise benachteiligt werden und dass für einheitliche Marktbedingungen und Rechte gesorgt wird.

3.6.

Nach Ansicht des EWSA bietet wirksam umgesetztes Umweltrecht Klarheit und Rechtssicherheit für Märkte und Investoren und fördert gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung. Das von der Europäischen Kommission mit diesem Leitfaden angestrebte Ziel, die Rechtssicherheit und Klarheit in Verbindung mit Umweltrechtsvorschriften zu verbessern, wird trotz der begrenzten Tragweite gutgeheißen.

3.7.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission Analysen des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten wie z. B. den Darpö-Bericht (13) in Auftrag gegeben hat. Dieser Bericht und andere unabhängige Analysen enthalten wichtige Bewertungen der Umsetzung, die die Mitgliedstaaten kennen sollten.

3.8.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Definition von „Behörde“ in Artikel 2 des Übereinkommens „die Einrichtungen aller in Artikel 17 näher bestimmten Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, die Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind“, umfasst. Der EWSA akzeptiert, dass durch die Definition sowie durch Artikel 17 selbst das Übereinkommen für Vertragsparteien wie die EU gilt. Die EU als solche hat das Übereinkommen unterzeichnet und ratifiziert (14). Der EWSA ist der Meinung, dass die EU-Ratifizierungsurkunde des Übereinkommens von Aarhus die EU-Organe nicht von ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Zugang zur Justiz entbindet.

4.   Nächste Schritte

4.1.

Es werden weitere Mitteilungen oder Leitfäden benötigt, die die Feststellungen und Empfehlungen des Ausschusses zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus beinhalten, um für mehr Klarheit zu sorgen und die Umsetzung und Anwendung des Übereinkommens von Aarhus zu fördern. Eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten wäre der Klarheit und Kohärenz ausgesprochen zuträglich.

4.2.

Ein kohärenterer Ansatz zur Umsetzung würde zur Homogenität der Bedingungen für die Unternehmen in allen Mitgliedstaaten und zur Entwicklung beitragen. Der aktuelle Mangel an Rechtssicherheit verursacht Verzögerungen sowie zusätzliche Kosten und behindert eine nachhaltige Entwicklung.

4.3.

Es ist dringend notwendig, im Wege einer EU-weiten Konsultation eine unabhängige Referenzbewertung des Zugangs zu Gerichten auf einzelstaatlicher Ebene zu erstellen und als Grundlage zu pflegen. Dabei müssen sowohl der Sensibilisierungsgrad der Zivilgesellschaft als auch die Praxis der gerichtlichen Verfahren oder verwaltungsbehördlichen Nachprüfung untersucht werden. Vor allem muss erfasst werden, welche Fälle infolge von Problemen beim Zugang zur Justiz zugelassen, abgelehnt oder behindert werden. Der EWSA kann einen Beitrag leisten, da er über sein Netzwerk der organisierten Zivilgesellschaft ein breites Spektrum von Interessenträgern erreichen kann, und wäre auch bereit, anschließend zur Verbreitung der Ergebnisse einer solchen Bewertung beizutragen. Die Bewertung selbst muss unabhängig und objektiv sein.

4.4.

Diese Referenzbewertung muss über die Grenzen der in ihrer Reichweite und mangels fehlender Beteiligung der Öffentlichkeit eingeschränkten EIR-Initiative und des EU-Justizbarometers hinausgehen. Sie sollte sich auf alle Aspekte von Artikel 9 des Übereinkommens von Aarhus, insbesondere alle in Artikel 9 Absatz 4 genannten Merkmale der Überprüfungsverfahren, und auf die Verpflichtung zur Unterstützung gemäß Artikel 9 Absatz 5 erstrecken. Die Referenzbewertung sollte mindestens alle zwei Jahre umfassend aktualisiert werden.

4.5.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission die wichtige Rolle der Bürger und NGO bei der Gewährleistung der Rechenschaftspflicht im Rahmen der Umsetzung des Übereinkommens von Aarhus anerkennt. Die allgemeine und berufliche Bildung der Bürger und auch auf Justizebene in den Mitgliedstaaten ist von entscheidender Bedeutung. Die Kommission

muss in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gezielte Pläne für die regelmäßige Überarbeitung und wirksame Verbreitung des Leitfadens entwickeln, um auf angemessene Weise den relevanten Entwicklungen in der Rechtsprechung des EuGH Rechnung zu tragen;

muss schwerpunktmäßig Ressourcen und Finanzmittel für solche Pläne bereitstellen;

könnte ein dynamisches und aktualisiertes Instrument für die Zivilgesellschaft und die Verwaltungs- und Justizbehörden in Erwägung ziehen, um sicherzustellen, dass wichtigen Entwicklungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zeitgerecht und genau Rechnung getragen wird;

sollte halbjährliche Fortschrittsberichte zu diesen Plänen vorlegen;

sollte für die Mitgliedstaaten relevante Lücken und Auslassungen in der Mitteilung ermitteln und sich vorrangig damit auseinandersetzen, dabei auch Bereiche berücksichtigen, wo die gegenwärtige Rechtsprechung des Gerichtshofs Lücken aufweist, und Feedback von Sachverständigen Rechnung tragen.

4.6.

Die unerschwinglichen Kosten in bestimmten Rechtsräumen können ein erhebliches Hindernis für den Zugang zur Justiz darstellen. Die Drohung, möglicherweise unerschwingliche Kosten tragen zu müssen, kann den Zugang zur Justiz behindern. Angesichts der weltweiten Drangsalierung und Verfolgung von Umweltschützern sollte die EU mit gutem Beispiel vorangehen, um den Zugang zu Gerichten zu erleichtern, und insbesondere proaktiv Fälle aufgreifen, in denen es zu Drangsalierung kommt oder Kosten zum Hindernis werden.

4.7.

Es muss ein Mechanismus entwickelt werden, mit dessen Hilfe die Feststellungen des Ausschusses zur Überwachung der Einhaltung genutzt werden können, um die Mitteilung an die Mitgliedstaaten zu ergänzen und Verpflichtungen besser zu klären.

4.8.

Die erläuternde Mitteilung muss regelmäßig überprüft und auf den neuesten Stand gebracht werden; Aktualisierungen und Auffrischungen sind fortwährend an die Zielgruppen weiterzuleiten. Zur Unterstützung wirksamer Pläne müssen ausreichende Ressourcen und Finanzmittel sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von der Europäischen Kommission bereitgestellt werden.

4.9.

In Anbetracht der Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens (15) für die einheitliche Anwendung der einschlägigen EU-Rechtsvorschriften sollte die Europäische Kommission die Anwendung und Einhaltung dieser Vorschrift in allen Mitgliedstaaten eingehend prüfen und darüber berichten sowie sämtliche Behinderungen ihrer Anwendung untersuchen und dagegen vorgehen.

Brüssel, den 7. Dezember 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/10102/2017/EN/SWD-2017-255-F1-EN-MAIN-PART-1.PDF.

(2)  http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/synthesis%20report%20on%20access%20to%20justice.pdf.

(3)  Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

(4)  Richtlinie 2003/4/EG.

(5)  Richtlinie 2003/35/EG.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 1367/2006.

(7)  http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52003PC0624.

(8)  Rücknahme überholter Kommissionsvorschläge, ABl. C 153 vom 21.5.2014, S. 3.

(9)  https://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2008-32/Findings/C32_EU_Findings_as_adopted_advance_unedited_version.pdf.

(10)  http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11150-2017-INIT/de/pdf.

(11)  Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen (NEC-Richtlinie).

(12)  Stellungnahme des EWSA zur Überprüfung der Umsetzung des EU-Umweltrechts, ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 114.

(13)  http://ec.europa.eu/environment/aarhus/pdf/synthesis%20report%20on%20access%20to%20justice.pdf.

(14)  https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&clang=_en#EndDec.

(15)  Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.


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