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Document 52011AE1601
Opinion of the European Economic and Social Committee on ‘The impact of the crisis on the ability of European firms to undertake pro-climate investments’ (exploratory opinion)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen der Krise auf die Fähigkeit der europäischen Unternehmen, Klimaschutzinvestitionen zu tätigen“ (Sondierungsstellungnahme)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen der Krise auf die Fähigkeit der europäischen Unternehmen, Klimaschutzinvestitionen zu tätigen“ (Sondierungsstellungnahme)
ABl. C 24 vom 28.1.2012, p. 7–10
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
28.1.2012 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 24/7 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen der Krise auf die Fähigkeit der europäischen Unternehmen, Klimaschutzinvestitionen zu tätigen“ (Sondierungsstellungnahme)
2012/C 24/02
Berichterstatter: Josef ZBOŘIL
Der künftige polnische Ratsvorsitz beschloss am 30. November 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:
„Die Auswirkungen der Krise auf die Fähigkeit der europäischen Unternehmen, Klimaschutzinvestitionen zu tätigen“ (Sondierungsstellungnahme).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. Oktober 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 475. Plenartagung am 26./27. Oktober 2011 (Sitzung vom 27 Oktober) mit 75 gegen 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Als der künftige polnische EU-Ratsvorsitz Ende November 2010 beschloss, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zu den Auswirkungen der Krise auf die Fähigkeit der europäischen Unternehmen, Klimaschutzinvestitionen zu tätigen, zu konsultieren, stand vor allem die Wirkung des europäischen Emissionshandelssystems (EU-EHS) im Vordergrund. Hatte das EU-EHS als Herzstück der EU-Klimapolitik während der Rezession 2009, die die EU nach dem Beginn der Finanzkrise Ende 2008 durchmachte, seine Funktion angemessen erfüllt? |
1.2 |
Die Treibhausgas- und CO2-Emissionsdaten für 2009 und 2010 belegen eindeutig, dass der Emissionsrückgang durch den Abschwung der Wirtschaftstätigkeit im Jahr 2009 bedingt war. Ferner ging der Konjunkturaufschwung 2010 mit einer starken Zunahme der Emissionen einher. Dies ließe darauf schließen, dass die vom EU-EHS ausgehenden Preissignale keine hinreichend starken Anreize bieten, um CO2-intensive Verfahren zu vermeiden und langfristige Investitionen in klimaverträglichere Technologien zu fördern. Glücklicherweise wurde das EU-EHS so angelegt, dass es auf diese Probleme reagieren kann. Es kann geändert und so überarbeitet werden, dass durch die Festlegung eines geeigneten Kohlenstoffpreises zum einen die erforderlichen Emissionsverringerungen erzielt und zum anderen die Emissionen derjenigen Industriesektoren ausgeglichen werden, für die sich die Anpassung am schwierigsten gestaltet. Für die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft sind Investitionen in grüne und ressourceneffiziente Technologien erforderlich, nicht eine Drosselung der Industrieproduktion. |
1.3 |
Mit dem EU-EHS sollten ursprünglich die Kosten für die Eindämmung des Klimawandels optimiert werden. Dieses System wird nach wie vor als das wichtigste Instrument zur Emissionsminderung erachtet. Es muss dringend verbessert werden, um seine Wirksamkeit und Umweltintegrität wiederherzustellen. |
1.4 |
Es wird immer deutlicher, dass mit einer Änderung des EU-EHS allein keine Klimaschutzpolitik gewährleistet werden kann, die sowohl die Umstellung auf CO2-ärmere bzw. -freie Energiequellen beschleunigt als auch ein stabiles Wirtschaftswachstum fördert. Dagegen sollten Anfangsinvestitionen in grüne und ressourceneffiziente Technologien in der europäischen verarbeitenden Industrie und im Energiesektor in erheblich größerem Maße durch öffentliche Mittel gefördert werden. So sollten Entwicklung und Einsatz beispielsweise stärker durch den Europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) und die EU-Kohäsionspolitik gefördert werden. |
1.5 |
Der Ausschuss empfiehlt daher, die erforderlichen Mittel bereitzustellen, um einen deutlichen und maßgeblichen Technologieschub sicherzustellen. Diese Mittel sollten über die Einnahmen der Mitgliedstaaten aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten im Rahmen des EU-EHS aufgebracht werden. Der Ausschuss begrüßt außerdem den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Energie- und CO2-Besteuerung in der EU zu harmonisieren. Er fordert die Mitgliedstaaten auf, den Großteil der zusätzlichen Einnahmen aus der Energie- und CO2-Besteuerung für Innovationen in die Cleantech-Industrie aufzuwenden. |
1.6 |
Aufgrund der anhaltenden Unruhen in einigen OPEC-Ländern gab es bei dem Energiepreis in jüngster Zeit sehr große Schwankungen. In Verbindung mit den Auswirkungen der Reaktorunfälle in Fukushima hat diese Entwicklung der Debatte über Energiefragen eine neue Richtung verliehen. Einseitige Maßnahmen, die vor Kurzem von einigen Mitgliedstaaten eingeleitet wurden, sowie spekulative Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten könnten schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung des EU-Energiesektors haben und sollten gründlich untersucht werden. |
1.7 |
Die von der Europäischen Kommission in dem begleitenden Arbeitsdokument ihrer Dienststellen verwendeten Modelle für die Folgenabschätzung (PRIMES usw.) kommen zu sehr optimistischen Ergebnissen auf der makroökonomischen Ebene, die sich von den Forschungsergebnissen für die mikroökonomische Ebene, d.h. für einzelne Unternehmen bzw. Sektoren, unterscheiden bzw. wenn nicht sogar im Widerspruch zu diesen stehen. Ehe politische Schlussfolgerungen gezogen werden, sollten daher die makroökonomischen Bewertungen überarbeitet und mit der „Bottom-up“-Forschung in Einklang gebracht werden. |
1.8 |
Der Ausschuss fordert Rat, Europäische Kommission und Europäisches Parlament dringend auf, die umfassende Umsetzung aller bestehenden CO2-Ziele für 2020 sicherzustellen und zu prüfen, ob das für 2020 gesetzte Klimagasminderungsziel im Hinblick auf die Erreichung der vereinbarten Reduzierung um 80 bis 95 % bis 2050 auf der Grundlage der bei den COP-17-Verhandlungen erzielten Fortschritte und der voraussichtlichen Wirtschaftsentwicklung der EU nicht auf 25 % erhöht werden sollte. Der Ausschuss erachtet es als wesentlich, in etwa vergleichbare wirtschaftliche Bedingungen für alle globalen Akteure beizubehalten. Damit eine derartige Vereinbarung aber auch wirklich greifen kann, müssten weitere Industrieländer gleichzeitig vergleichbare Anstrengungen unternehmen, und weitere Schlüsselakteure, vor allem Schwellenländer, müssten sich freiwillig auf höhere Emissionsreduktionsziele als Teil eines globalen, rechtsverbindlichen und umfassenden Übereinkommens über die Regelung nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls verständigen. |
1.9 |
Im Gefolge der COP 15 und der COP 16 ist mehr oder weniger deutlich geworden, dass in den internationalen Klimaverhandlungen ein neuer Kurs eingeschlagen worden ist, der viel mehr Raum für einen Bottom-up-Ansatz bietet. In dem „Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft der EU“ (KOM(2011) 112 endg.) wird dieser grundlegenden Kursänderung weg von der Festlegung neuer verbindlicher Ziele hin zur Umsetzung von Maßnahmen Rechnung getragen. Mit diesem Fahrplan wird eine Diskussion mit den Mitgliedstaaten zu der Frage angestoßen, ob neue Ziele erforderlich sind. Sowohl „Top-down“-Zielvorgaben als auch eine „Bottom-up“-Politik für Technologieinnovation werden von Bedeutung sein. Die EU sollte diese Gelegenheit für echte Fortschritte beim Schopf packen und mit positivem Beispiel vorangehen. |
1.10 |
Nach der Krise weist das Investitionsumfeld in der EU große Unterschiede auf, und angesichts des drohenden Rückfalls in die Krise verschlechtern sich die Aussichten immer mehr. Aufgrund der anhaltenden Schuldenkrise und der damit verbundenen höheren Sparzwänge scheinen die öffentlichen Mittel ganz allgemein immer knapper zu werden. KMU sind für derartige Veränderungen anfälliger, da sie stärker auf Bankfinanzierungen angewiesen sind als Großunternehmen, die Zugang zu den Kapitalmärkten haben. |
1.11 |
Der absolut unerlässliche neue Investitionsschub in die Infrastruktur lässt weiter auf sich warten. Der Strom- und Gasinfrastruktur sollte insbesondere mit Blick auf den europäischen Energiebinnenmarkt erheblich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden; zudem ist eine Nutzung erneuerbarer Energieträger in größerem Maßstab erforderlich. Ohne funktionsbereite und vollständige Vernetzung wird die Aussicht auf Fortschritte sehr trübe sein. |
2. Einleitung - Hintergrund
2.1 |
In ihrer Mitteilung zur „Analyse der Optionen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen um mehr als 20 % und Bewertung des Risikos der Verlagerung von CO2-Emissionen“ (1) beleuchtet die Europäische Kommission die verschiedenen Optionen für die Verwirklichung des neuen 30 %-Ziels innerhalb des Emissionshandelssystems (EHS) (d.h. in Sektoren, die im EU-EHS erfasst sind) und in weiteren Sektoren (in erster Linie Verkehrswesen, bebaute Umwelt und Landwirtschaft). Da in dieser Mitteilung die Frage der Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Fähigkeit der europäischen Unternehmen, zusätzliche Klimaschutzinvestitionen zu tätigen, nicht aufgegriffen wird, hat der polnische Ratsvorsitz dieses Thema als Gegenstand einer EWSA-Stellungnahme vorgeschlagen. |
2.2 |
Es wird allgemein anerkannt, dass sich die Eindämmung der CO2-Emissionen angesichts des kontinuierlichen Bevölkerungswachstums und der erheblichen Energieknappheit in den Entwicklungsländern weder leicht noch rasch bewerkstelligen lassen wird. Ein weiterer entscheidender Punkt ist der Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung unter dem Gesichtspunkt der Energieversorgungssicherheit. Es könnte das Argument ins Treffen geführt werden, dass in den Vereinbarungen von Kopenhagen und anschließend Cancún das Konzept von rechtlich bindenden Zielvorgaben aufgegeben (und somit die Wahrscheinlichkeit der Einführung eines weltweiten Emissionsrechtehandels verringert) wurde, da der Zeithorizont auf 2050 verschoben und die Bedeutung von technologischen Entwicklungen und Innovationsprozessen betont wurde. In der Vereinbarung von Cancún werden zahlreiche wichtige Ziele aufgelistet, darunter die drei folgenden Hauptziele:
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2.3 |
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Festlegung eines angemessenen, allgemein akzeptierten Preises für Kohlenstoff für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik von entscheidender Bedeutung ist (siehe William D. NORDHAUS, „Economic Issues in a Designing a Global Agreement on Global Warming“). Ohne Angemessenheit und allgemeine Akzeptanz hat der Kohlenstoffpreis keinerlei Anreizfunktion. Es gilt, einen realistischen Rechtsrahmen zu schaffen; es bedarf praxistauglicher Mechanismen mit Anreizwirkung, damit die politischen Entscheidungen tatsächlich greifen können. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, Optionen für die Stärkung des EU-EHS und kohärente Maßnahmen für Sektoren, die nicht im EU-EHS erfasst werden, aufzuzeigen. |
2.4 |
Durch die Verbesserung der Energie- und Kraftstoffeffizienz konnten zwar einige (relativ kostengünstige) Erfolge bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen erzielt werden, eine technologische Neuausrichtung und technologischer Fortschritt sind jedoch die einzige Lösung für einen schrittweisen Übergang in die nichtfossile Ära. Doch sind selbst für Effizienzmaßnahmen ein großmaßstäblicher Einsatz bestehender Technologien und die Entwicklung innovativer Lösungen erforderlich (siehe McKinsey Global Institute: „The Carbon Productivity Challenge: Curbing Climate Change and Sustaining Economic Growth“). |
2.5 |
Energieintensive Industrien konnten ihre Energieeffizienz aufgrund kontinuierlicher Anstrengungen zur Verringerung der Betriebskosten steigern. Kein Unternehmer käme auf die Idee, den CO2-Ausstoß zu erhöhen, nur weil er über ungenutzte/umfangreiche Emissionsrechte verfügt. Die Auswirkungen der Effizienzmaßnahmen von Privathaushalten sind aufgrund des „Rebound-Effekts“ schwerer absehbar, demzufolge die Haushalte die durch wirksame Effizienzmaßnahmen erzielten Einsparungen psychologisch begründet in Vorteile wie z.B. erhöhte Raumtemperatur investieren. Dieser Effekt kann selbst die ehrgeizigsten Bemühungen zur Verbesserung der Energieeffizienz zum Scheitern bringen. |
2.6 |
Die erneuerbaren Energieträger werden sicherlich ebenfalls zur Emissionsminderung beitragen, wenn auch möglicherweise in einem geringeren Umfang als oftmals angenommen: Die physikalischen, räumlichen und sozioökologischen Grenzen der derzeit verfügbaren Technologien für erneuerbare Energie werden manchmal nur unvollständig berücksichtigt, und die Überwindung dieser Grenzen durch technologische Innovation hat erhebliche finanzielle Auswirkungen. Die Verbesserung der Betriebs- und Kosteneffizienz der bekannten erneuerbaren Energieträger ist ebenfalls mit Kosten verbunden; diesem Aspekt wird in einigen Mitgliedstaaten durchaus Rechnung getragen, in anderen jedoch nicht. |
2.7 |
Drei Aspekte müssen unbedingt bewältigt werden, doch wird es wohl für keinen dieser drei vor 2020 eine zufriedenstellende Lösung geben. Erstens muss für Energieträger mit Erzeugungsschwankungen ein vollintegriertes EU-weites intelligentes Netz mit begrenzter Aufnahmekapazität für die schwankende Einspeisung aus erneuerbaren Energieträgern über den erwarteten 35-40 % eingerichtet werden. Die deutsche Entscheidung für einen zügigen Atomausstieg hat sich jedoch als wichtiger Impulsgeber für Maßnahmen in diesem Bereich erwiesen. Zweitens sind für eine derartige Integration erhebliche Akkumulatorkapazitäten erforderlich. Und drittens muss die CCS-Technologie für eine langfristigere flächendeckende Anwendung ausgereift sein, wenn fossile Kraftstoffe auch in Zukunft verbreitet als Energiequelle genutzt werden. Bis diese drei kritischen Probleme gelöst sind, sind die konventionellen Energieträger samt ihrem Emissionsausstoß als Stromreserve für eine weitreichendere Verbreitung der verfügbaren erneuerbaren Energien unverzichtbar. |
2.8 |
Energieeffizienzmaßnahmen bei Strom- und Wärmeerzeugung sind dermaßen teuer, dass sie angesichts der derzeitigen Sparzwänge wohl kaum umgesetzt werden können. Daher werden bahnbrechende Erfindungen neben einer flächendeckenden Anwendung und einer erheblichen Verbesserung der bestehenden Technologien für erneuerbare Energieträger eine wesentliche Rolle spielen, um die bis 2050 erhoffte Verringerung um 80 bis 90 % zu erreichen (siehe Internationale Energie-Agentur (IEA): „Energietechnologische Perspektiven 2010“). |
2.9 |
Weitere Energieeffizienzsteigerungen bei Fertigungstechniken könnten ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Daher sind inkrementelle und radikale Innovationen für die gesamte Bandbreite der CO2-armen Technologien erforderlich. Ohne derartige Innovationen und Verbesserungen wird es schlicht unmöglich sein, die CO2-armen Energieträger in dem erforderlichen raschen Tempo und im großen Stile zu verbreiten, um die weltweite Energienachfrage zu decken und potenziellen Klimakatastrophen vorzubeugen. Diese grundlegende Herausforderung im Innovationsbereich muss unmittelbar und proaktiv angegangen werden. |
3. Analyse der EU-Emissionsdaten und Auswirkungen der Krise
3.1 |
Das Kommissionsdokument enthält eine Reihe von Argumenten, die, für sich betrachtet, durchaus den Schluss zulassen, dass die Verwirklichung der ehrgeizigen Klimaschutzziele zwar schwer, aber machbar ist. Empirischen Emissionsdaten für die EU den letzten Jahren ist entgegenzuhalten, dass im Jahr 2009 61 % der neuen Stromerzeugungskapazitäten in der EU auf erneuerbaren Energieträgern beruhten. Tatsächlich ist das Erreichen einer sicheren Grundlastversorgung aufgrund der Schwankungsbreite einiger erneuerbarer Energieträger kurzfristig nicht völlig unproblematisch. |
3.2 |
Die Annahmen der Europäischen Kommission beruhen auf optimistischen Erwartungen in Bezug auf die Ergebnisse der Umsetzung der Richtlinie über erneuerbare Energiequellen und der individuellen Aktionspläne der Mitgliedstaaten. Außerdem wird fest von einer Erhöhung der Energieeffizienz um 20 % ausgegangen, obwohl Informationen aus den Mitgliedstaaten in einigen Fällen auf einen erheblich langsameren Fortschritt hindeuten. Mit Blick auf den zentralen Energieeffizienzaspekt bei der Strom- und Wärmeerzeugung (die so genannte Kohlenstoffintensität) werden Verzögerungen und Aufschübe bei der Umrüstung von Kraftwerken aller Voraussicht nach zu einem ernsthaften Problem und zu Energieengpässen führen. Darüber hinaus geht aus Analysen der Internationalen Energie-Agentur hervor, dass 80 % der Emissionen aus dem globalen Stromsektor bis 2020 bereits feststehen. Daher sind Investitionen, insbesondere in CCS-Technologien, auch in den kommenden zehn Jahren für eine CO2-arme Zukunft von entscheidender Bedeutung. |
3.3 |
Schätzungen anerkannter Analysten zufolge(siehe Richard N. COOPER, Universität Harvard, „Europe’s Emission Trading System“, Juni 2010; Christian EGENHOFER, CEPS, Brüssel, „The EU ETS and Climate Policy Towards 2050“, Januar 2011) sind die Treibhausgasemissionen 2010 um 4 % gestiegen, wohingegen die in das EU-EHS einbezogenen Anlagen eine Zunahme um 3,2 % vermeldet haben. Die weltweiten Emissionen sind 2009 im Vergleich zu 2008 um 1,1 % gesunken; die EU (– 6,4 %) konnte ebenso wie die USA (– 6,5 %) und Japan (– 11,8 % ohne Emissionshandel) einen Rückgang verzeichnen, wohingegen China eine Zunahme um 9,1 % aufwies. Es ist klar, dass der Emissionsrückgang in den Industrieländern zwischen 2008 und 2009 in erster Linie auf die Rezession zurückzuführen war. Die vorläufigen Ergebnisse für 2010 bestätigen die Annahme, dass die Emissionen im Gleichschritt mit dem Konjunkturzyklus steigen und fallen. |
3.4 |
Das beunruhigendste Ergebnis einer sorgfältigen Bewertung des EU-EHS ist, dass dieses weltweit größte Emissionsrechtehandelssystem nicht in der Lage ist, eine erhebliche Senkung der CO2- bzw. Treibhausgasemissionen zu bewirken. Die Gesamt-CO2- und -Treibhausgasemissionen der EU sind seit 1990 leicht rückläufig; wird diese Tendenz für 2008 extrapoliert, hat das EU-EHS gerade einmal eine 2 %ige Verringerung der Emissionen im Vergleich zu den prognostizierten Ergebnissen ohne Einführung des EU-EHS gebracht. Unter Berücksichtigung der Folgen der Finanz- und Wirtschaftkrise 2008/2009 zeigen die Daten sogar, dass das EU-EHS, wenn überhaupt, nur sehr geringfügige unabhängige Auswirkungen auf den europäischen Treibhausgasausstoß hatte. |
3.5 |
Alles in allem müssen der Emissionsrückgang im 4. Quartal 2008 sowie im gesamten Verlauf des Jahres 2009 und der Emissionsanstieg mit Beginn des 2. Quartals 2010 eindeutig auf Beginn (Ende 2008) und Ende (Mitte 2010) der Krise zurückgeführt werden. Es gibt kaum Belege dafür, dass systemische Veränderungen in diesem Zeitraum zu einer Verringerung des Klimagasausstoßes geführt haben. |
3.6 |
Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die Industrie bereits herausragende beispielhafte Maßnahmen ergriffen hat: Sie hat ihre Emissionen stetig verringert, indem sie auf kohlenstoffeffizientere Kraftstoffe umgestiegen ist und wirksame Energieeffizienzmaßnahmen eingeführt hat. Dieser Prozess kann im kommenden Emissionshandelszeitraum bis 2020 beschleunigt werden, wenn bahnbrechende neue Technologien in mehr oder weniger allen im EU-EHS erfassten Sektoren entwickelt und eingesetzt werden. |
3.7 |
Einige energieintensive Sektoren wie Stahl, Kalk und Zement nähern sich ihren physikalischen Grenzen der CO2-Effizienz. In naher Zukunft können größere Emissionsminderungen möglicherweise nur mehr mittels Produktionsdrosselung erzielt werden (siehe „Sustainable Steelmaking“, Boston Consulting Group, 2009) |
3.8 |
Diese Verlagerung von CO2-Emissionen wird mit spezifischen Beschäftigungsniveaus in den Industriesektoren in Verbindung gesetzt, die von diesem Phänomen betroffen sind. Das genaue Beschäftigungsniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten ist jedoch unterschiedlich. Der EU-Durchschnitt liegt schätzungsweise bei 3 %, wohingegen in Polen 9,5 % der aktiven Bevölkerung in diesen energieintensiven Sektoren beschäftigt sind. |
3.9 |
Wie bereits in Ziffer 2.5 betont sind umfangreiche Technologieentwicklungen und der Einsatz neuer Technologien die Schlüsselfaktoren für die Verringerung des Klimagasausstoßes. In sämtlichen einschlägigen Dokumenten wird auf die ungelöste Frage der Mobilisierung der erforderlichen Mittel hingewiesen. Abgesehen von den Erträgen aus dem EU-EHS als möglicher, wenngleich auch unsicherer Quelle in ferner Zukunft ist keine weitere Finanzierungsquelle in Sicht. Selbst die laufenden FuE- und Markteinführungs-Programme der EU reichen nicht aus – dies gilt auch für den SET-Plan einschl. CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS). |
3.10 |
Die jüngsten Aufstände und anhaltenden Unruhen in mehreren OPEC-Ländern in Verbindung mit dem Reaktorunglück von Fukushima haben zu einem weltweiten Umdenken in den Klimaschutzverhandlungen geführt. Dieser Mentalitätswandel könnte sogar Gelegenheit für den Abschluss eines ernsthaften globalen Übereinkommens bieten. Die EU sollte den vor Kurzem vorgelegten sehr ehrgeizigen US-amerikanischen Innovationsplan zur Kenntnis nehmen (siehe „The White House: Strategy for American Innovation“ (http://www.slideshare.net/whitehouse/a-strategy-for-american-innovation). |
3.11 |
All diese Indikatoren weisen auf die Dringlichkeit hin, strukturelle Veränderungen in Betracht zu ziehen, um die Umstellung der Wirtschaft auf neue, CO2-arme Energieträger zu erleichtern und zu beschleunigen. Einige Experten und politisch Verantwortlichen befürworten zwar eine Abkehr vom Emissionsrechtehandel und eine Hinwendung zu einer CO2-Verbrauchssteuer, doch dürfte die mögliche Einführung einer genügend hohen neuen Steuer, deren Ertrag zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen bestimmt wäre, in der EU (von der globalen Ebene gar nicht zu sprechen) in weiter Ferne liegen. Dies sollte bei der Vorbereitung der nächsten Schritte in den Klimaverhandlungen eingehend analysiert werden. Das EU-EHS wird daher als beste Option in der EU erachtet, auch wenn es erheblicher und radikaler Reformen bedarf. |
3.12 |
Nach der Krise weist das Investitionsumfeld in der EU große Unterschiede auf, und angesichts des drohenden Rückfalls in die Krise verschlechtern sich die Aussichten immer mehr. Aufgrund der anhaltenden Schuldenkrise und der damit verbundenen höheren Sparzwänge scheinen die öffentlichen Mittel ganz allgemein immer knapper zu werden. Im privaten Sektor ist die Lage in Bezug auf die Verfügbarkeit von Unternehmenskapital bislang relativ stabil, insbesondere in exportorientierten Industriezweigen. Die anhaltende Euro-Krise, die Verzögerungen bei der Annahme von Verordnungen (Basel III und Solvency II) und eine mögliche Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten könnten jedoch die Verfügbarkeit von Bankkrediten über kurz oder lang beeinträchtigen. KMU sind für derartige Veränderungen anfälliger, da sie stärker auf Bankfinanzierungen angewiesen sind als Großunternehmen, die Zugang zu den Kapitalmärkten haben. |
3.13 |
Einige erneuerbare Energieträger haben in letzter Zeit eine eher dynamische Entwicklung erfahren; allerdings sollte die Frage, ob dieser Boom auch wirklich gesund und nachhaltig ist, für die EU insgesamt und die einzelnen Mitgliedstaaten eingehend untersucht werden. Die finanziellen Auswirkungen von garantierten Energiepreisen könnten zu längerfristigen Wettbewerbsverzerrungen führen. Außerdem sind für den plötzlichen Anstieg des Anteils der erneuerbaren Energieträger sicherlich erhebliche Investitionen in die Übertragungsinfrastruktur erforderlich, um die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Netzes zu gewährleisten. |
3.14 |
Dieser absolut unerlässliche neue Investitionsschub in die Infrastruktur lässt zum Teil weiter auf sich warten. Der Strom- und Gasinfrastruktur sollte insbesondere aufgrund des jüngsten Beschlusses der Bundesrepublik Deutschland, bis 2022 den Atomausstieg zu vollziehen, erheblich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ohne funktionsbereite und vollständige Vernetzung wird die Aussicht auf Fortschritte sehr trübe sein. |
Brüssel, den 27. Oktober 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) KOM(2010) 265 endg.