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Document 52020IP0327

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. November 2020 zur Bestandsaufnahme zu den Wahlen zum Europäischen Parlament (2020/2088(INI))

ABl. C 425 vom 20.10.2021, p. 98–106 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

20.10.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 425/98


P9_TA(2020)0327

Bestandsaufnahme zu den Wahlen zum Europäischen Parlament

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. November 2020 zur Bestandsaufnahme zu den Wahlen zum Europäischen Parlament (2020/2088(INI))

(2021/C 425/11)

Das Europäische Parlament,

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV), insbesondere auf die Artikel 10, 14 und 17 Absatz 7,

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere auf Artikel 20 und 22,

unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 21, 39 und 52 Absatz 1,

unter Hinweis auf die Erklärung zu Artikel 17 Absätze 6 und 7 des Vertrags über die Europäische Union im Anhang der Schlussakte der Regierungskonferenz, auf der der Vertrag von Lissabon angenommen wurde,

unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, insbesondere Artikel 21,

unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, insbesondere Artikel 25,

unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, insbesondere Artikel 29,

unter Hinweis auf die europäische Säule sozialer Rechte, insbesondere deren Grundsatz 1,

unter Hinweis auf den Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates vom 13. Juli 2018 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (1),

unter Hinweis auf den Beschluss (EU) 2018/937 des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018 über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments (2),

unter Hinweis auf den Beschluss (EU, Euratom) 2018/767 des Rates vom 22. Mai 2018 zur Festsetzung des Zeitraums für die neunte allgemeine unmittelbare Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (3),

unter Hinweis auf die Verordnung (EU, Euratom) 2018/673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Mai 2018 zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1141/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Statut und die Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen (4),

unter Hinweis auf die Verordnung (EU, Euratom) 2019/493 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2019 zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1141/2014 im Hinblick auf ein Überprüfungsverfahren für im Zusammenhang mit Wahlen zum Europäischen Parlament begangene Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten (5),

unter Hinweis auf die Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission in der geänderten Fassung (6),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 11. November 2015 zu der Reform des Wahlrechts der Europäischen Union (7),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. Februar 2017 zur Verbesserung der Funktionsweise der Europäischen Union durch Ausschöpfung des Potenzials des Vertrags von Lissabon (8),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. Februar 2017 zu möglichen Entwicklungen und Anpassungen der derzeitigen institutionellen Struktur der Europäischen Union (9),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 18. April 2018 zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates zur Festsetzung des Zeitraums für die neunte allgemeine unmittelbare Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (10),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 7. Februar 2018 zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments (11),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. Juli 2019 zur Wahl des Präsidenten der Kommission (12),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. Oktober 2019 zur Einmischung des Auslands in Wahlen und zur Desinformation in den demokratischen Prozessen der Mitgliedstaaten und Europas (13),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. Februar 2019 zum Stand der Debatte über die Zukunft Europas (14),

unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 18. Juni 2020 über die Einsetzung eines Sonderausschusses zu Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation, seinen Zuständigkeiten, seiner zahlenmäßigen Zusammensetzung und seiner Mandatszeit (15),

unter Hinweis auf den Informationsbericht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 20. März 2019 mit dem Titel „Die praktische Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen bei der Wahl zum Europäischen Parlament“,

unter Hinweis auf die Arbeiten der Interparlamentarischen Union (UIP) zur Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere ihren Aktionsplan für gleichstellungsorientierte Parlamente,

gestützt auf Artikel 54 seiner Geschäftsordnung,

unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen (A9-0211/2020),

A.

in der Erwägung, dass bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 mit 50,66 % die höchste Wahlbeteiligung aller Wahlen zum Europäischen Parlament in den vergangenen 20 Jahren verzeichnet wurde (ein Anstieg um acht Prozentpunkte gegenüber 2014), was ein positives Signal ist, da daran deutlich wird, dass die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ein wachsendes Interesse an Entwicklungen auf der Ebene der Union haben und ihnen bewusst ist, dass das Unionsrecht Auswirkungen auf ihr tägliches Leben hat; in der Erwägung, dass diese Zahl jedoch darüber hinwegtäuscht, dass zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede bestehen und der Anteil der Nichtwähler nach wie vor hoch lag, weshalb mehr getan werden muss, um die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament zu erhöhen;

B.

in der Erwägung, dass die Ergebnisse der nach der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Eurobarometer-Umfrage zeigen, dass die Wirtschaftslage und die Umwelt die beiden wichtigsten Prioritäten der Wählerinnen und Wähler darstellten, woraus eindeutig hervorgeht, dass die Bürgerinnen und Bürger, die an der Wahl zum Europäischen Parlament teilnahmen, den Wunsch hatten, dass in diesen beiden Politikbereichen, die in die geteilte Zuständigkeit der EU und der nationalen Organe fallen, mehr auf Unionsebene getan wird (16);

C.

in der Erwägung, dass die Entscheidung für das richtige Wahlsystem die Voraussetzungen dafür schafft, dass einerseits die Bürgerinnen und Bürger an ihr demokratisches Grundrecht glauben, ihre demokratischen Vertreter zu wählen, und andererseits die politischen Vertreter ihren Wählerinnen und Wählern Gehör schenken und ihre Interessen vertreten, wodurch bei den Bürgerinnen und Bürgern Selbstwirksamkeit erzielt wird;

D.

in der Erwägung, dass laut Eurobarometer-Umfrage die höhere Wahlbeteiligung zum Teil auf die stärkere Beteiligung junger Menschen zurückzuführen ist, obwohl die Wahlbeteiligung in der Altersgruppe über vierzig Jahre nach wie vor sehr viel höher ist; in der Erwägung, dass mehr als 50 % der jungen Menschen aus einem Gefühl der Bürgerpflicht heraus und wegen der Klimakrise wählen gingen;

E.

in der Erwägung, dass das unermüdliche Engagement der Zivilgesellschaft wesentlich zu dem proeuropäischen Diskurs im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament beitrug;

F.

in der Erwägung, dass die höhere Wahlbeteiligung auch mit Zugewinnen von proeuropäischen Parteien einherging, die Stimmen jüngerer Wählerinnen und Wähler erhielten, wodurch die proeuropäische Mehrheit im Europäischen Parlament größer wurde, dass aber die Ergebnisse von Euroskeptikern, Populisten und nationalistischen Bewegungen, die eine Gefahr für das Projekt der europäischen Integration darstellen, als Warnung dienen sollten;

G.

in der Erwägung, dass die höhere Wahlbeteiligung auch ein Zeichen dafür ist, dass die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger wollen, dass die Union in wichtigen Fragen wie Beschäftigung, Lebenshaltungskosten, Sozialdumping, Klimawandel, Migration, Schutz der Grundrechte und Demokratisierung rasch, demokratisch und effizient handelt;

H.

in der Erwägung, dass es gilt, sämtliche Kommunikationsmittel, einschließlich der digitalen Technologien, effizienter und vorausschauender zu nutzen, um eine enge Verbindung zwischen den auf Unionsebene getroffenen politischen Entscheidungen und dem Gefühl der Verbundenheit der Wählerinnen und Wähler mit den Organen der Union zu fördern;

I.

in der Erwägung, dass sich die Gleichstellung der Geschlechter unter den Mitgliedern des Europäischen Parlaments zwar verbessert hat (41 % Frauen im Jahr 2019 gegenüber 37 % im Jahr 2014), aber ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Parlament noch nicht erreicht wurde; in der Erwägung, dass sich hinter dieser Zahl große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten und viele Herausforderungen für die Verwirklichung der Geschlechterparität verbergen;

J.

in der Erwägung, dass mit Ursula von der Leyen zum ersten Mal eine Frau das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission bekleidet und ihrer Kommission 13 Frauen angehören, was historisch gesehen den größten Frauenanteil unter den Kommissionsmitgliedern darstellt;

K.

in der Erwägung, dass die vielfältige und multikulturelle Gesellschaft Europas im Europäischen Parlament besser abgebildet sein muss;

L.

in der Erwägung, dass 15 Mitgliedstaaten nach wie vor das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen einschränken und damit eine substanzielle Beteiligung und Vertretung dieser Bürgerinnen und Bürger an bzw. in demokratischen Prozessen verhindern; in der Erwägung, dass infolge nationaler Vorschriften schätzungsweise 800 000 Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ihr Wahlrecht bei den vergangenen Wahlen zum Europäischen Parlament aufgrund von Behinderungen oder Problemen mit der geistigen Gesundheit nicht ausüben konnten;

M.

in der Erwägung, dass der demografische Wandel und die Alterung der Gesellschaft Faktoren sind, die zu einem Anstieg der Zahl der Menschen führen, die in Langzeitpflegeeinrichtungen und Krankenhäusern leben; in der Erwägung, dass es daher notwendig ist, eine breitere Verwendung der in vielen Mitgliedstaaten eigens für diese Personengruppen eingeführten formalen Vorkehrungen zu fördern;

N.

in der Erwägung, dass die Frist für die Eintragung in das Wählerverzeichnis in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt ist und zwischen 90 Tagen und 3 Tagen vor dem Wahltermin liegt; in der Erwägung, dass in dem Informationsbericht des EWSA über die praktische Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen bei der Europawahl empfohlen wird, dass die Schließung des Wählerverzeichnisses frühestens zwei Wochen vor der Wahl erfolgen sollte;

O.

in der Erwägung, dass es laut einem gemeinsamen Bericht des Europäischen Verbands der nationalen Vereinigungen im Bereich der Obdachlosenhilfe (FEANTSA) und der Abbé-Pierre-Stiftung (17) in der EU mindestens 700 000 Obdachlose und fast 9 Millionen Haushalte gibt, die in schwierigsten Wohnverhältnissen leben; in der Erwägung, dass diese Zahl binnen 10 Jahren um 70 % gestiegen ist; in der Erwägung, dass es für Obdachlose sehr schwierig ist, an Wahlen teilzunehmen;

P.

in der Erwägung, dass die Reform des Wahlakts von 1976, wie sie vom Europäischen Parlament in seiner legislativen Entschließung vom 4. Juli 2018 zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments angenommen wurde (18), von drei Mitgliedstaaten immer noch nicht vollständig ratifiziert wurde;

Q.

in der Erwägung, dass das Parlament seine Vorschläge zur Änderung des Wahlaktes, deren Ratifizierung durch einige Mitgliedstaaten noch aussteht, mit neuem Elan verfolgen und auf einheitliche Vorschriften für die Wahlen zum Europäischen Parlament drängen sollte;

R.

in der Erwägung, dass das Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 zu einer neuen Mehrheit im Parlament geführt hat, die sich aus mehreren Fraktionen mit eindeutig proeuropäischer Identität zusammensetzt;

S.

in der Erwägung, dass es bei der Wahl 2019 aufgrund des Widerstands des Rates nicht gelang, den Kommissionspräsidenten aus dem Kreis der Spitzenkandidaten zu wählen, wodurch das Vertrauen in das Verfahren beeinträchtigt wurde; in der Erwägung, dass die Wahl des Kommissionspräsidenten davon abhängt, dass die Unterstützung der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments gesichert ist; in der Erwägung, dass nur manche der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die sich an der Wahl zum Europäischen Parlament beteiligt haben, davon ausgingen, dass ihre Stimme im Hinblick auf die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission etwas bewirken könne, und dass daher die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger für dieses Verfahren sensibilisiert werden müssen;

T.

in der Erwägung, dass das Verfahren der Spitzenkandidaten noch vollständig ausgestaltet werden muss; in der Erwägung, dass es unter anderem nicht die Möglichkeit vorsieht, dass die Spitzenkandidaten offiziell als Kandidaten antreten, was es allen Wählerinnen und Wählern in der Union ermöglichen würde, für ihren bevorzugten Spitzenkandidaten zu stimmen und sich darüber im Klaren zu sein, wer die Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten sind und wie diese von den europäischen politischen Parteien ausgewählt wurden; in der Erwägung, dass das Parlament dieses Thema in seinem Beschluss vom 7. Februar 2018 über die Überarbeitung der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission zur Sprache gebracht hat (19);

U.

in der Erwägung, dass das System der Spitzenkandidaten auf der Grundlage eingehender Überlegungen in der Konferenz zur Zukunft Europas dringend reformiert werden muss, wobei das bei der Wahl zum Europäischen Parlament angewandte Verhältniswahlsystem berücksichtigt werden sollte, und dass es bei der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2024 einsetzbar sein muss; in der Erwägung, dass in diese Überlegungen auch die de facto politische Rolle der Kommission und ihres Präsidenten sowie alle damit verbundenen Änderungen des Beschlussfassungsverfahrens der Union einbezogen werden sollten;

V.

in der Erwägung, dass nur 8 % derjenigen, die an der Umfrage teilgenommen haben, angaben, ihre Stimme bei der vergangenen Wahl abgegeben zu haben, um die Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten zu beeinflussen (20), was deutlich zeigt, dass das Verfahren zur Wahl des Kommissionspräsidenten dringend geklärt und gegenüber den Wählerinnen und Wählern transparenter gestaltet werden muss;

W.

in der Erwägung, dass institutionelle Vorschläge wie transnationale Listen, wie sie vom Parlament in seiner Entschließung vom 7. Februar 2018 zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments erwähnt wurden und mit denen die europäischen politischen Parteien und Bewegungen stärker in den Mittelpunkt der Wahlen zum Europäischen Parlament rücken würden, oder die Umgestaltung des Rates zu einer zweiten Gesetzgebungskammer der Union, wie sie in seiner Entschließung vom 16. Februar 2017 zu möglichen Entwicklungen und Anpassungen der derzeitigen institutionellen Struktur der Europäischen Union vorgeschlagen wurde, oder die Einführung der Möglichkeit, vor der Wahl Bündnisse europäischer Parteien und politischer Bewegungen zu bilden, dazu beitragen könnten, die einzelnen Wahlen zum Europäischen Parlament (in den Mitgliedstaaten) in eine einzige Wahl zum Europäischen Parlament zu verwandeln — im Gegensatz zu einem Bündel aus 27 getrennten nationalen Wahlen, wie es heute der Fall ist;

X.

in der Erwägung, dass das Verfahren der Prüfung der Erklärungen der finanziellen Interessen und die Anhörungen der designierten Kommissionsmitglieder durch das Parlament einen bedeutenden Schritt im Hinblick auf die Erhöhung der Rechenschaftspflicht der Kommission gegenüber dem Parlament sowie der Öffentlichkeit darstellten; in der Erwägung, dass dieses Verfahren in Zukunft weiter verbessert werden kann und sollte;

Y.

in der Erwägung, dass demokratische Prozesse sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf Unionsebene von ausländischen Mächten — mitunter in Verbindung mit internen Akteuren — ins Visier genommen wurden, um den Ausgang der Wahl zu beeinflussen und die Union zu schwächen; in der Erwägung, dass die von den EU-Organen eingeführten Mechanismen, etwa der Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation und das Schnellwarnsystem für Wahlen, zur Eindämmung ausländischer Einmischung während des Wahlkampfs beigetragen haben;

Z.

in der Erwägung, dass die Anfragen der Kommission an Plattformen der sozialen Medien im Vorfeld der Wahl für Verwirrung sorgten und unbeabsichtigte Folgen hatten, wie das Verbot einer unionsweiten Wahlwerbung, die für europäische politische Parteien eines der wichtigsten Mittel darstellt, um im Wahlkampf vor der Wahl zum Europäischen Parlament von den Wählerinnen und Wählern wahrgenommen und erkannt zu werden; in der Erwägung, dass die Organe insbesondere in dieser Frage einen interinstitutionellen Ansatz entwickeln sollten, um einen positiven Einfluss auf die Sicherheit und Stabilität des Wahlprozesses auszuüben; in der Erwägung, dass der Verhaltenskodex auf reiner Freiwilligkeit beruht und sein Schwerpunkt eher auf Transparenz als auf tatsächlichen Beschränkungen liegt, etwa im Hinblick auf gezielte politische Werbung;

AA.

in der Erwägung, dass die europäischen politischen Parteien und europäischen politischen Stiftungen sowohl während als auch nach den Wahlen zum Europäischen Parlament eine erfolgreiche politische Debatte auf Unionsebene ermöglichen und besser bekannt gemacht werden sollten; in der Erwägung, dass die europäischen politischen Parteien und europäischen politischen Stiftungen angesichts dieser wichtigen Funktion größtmögliche finanzielle Transparenz der von ihnen verwalteten Mittel sicherstellen sollten, insbesondere hinsichtlich der Mittel, die aus dem Haushalt der Europäischen Union stammen;

AB.

in der Erwägung, dass die europäischen politischen Parteien während der Wahl zum Europäischen Parlament diversen Beschränkungen für den Wahlkampf unterliegen, darunter beschränkte Möglichkeiten zur Finanzierung des Wahlkampfs und zu gemeinsamen Tätigkeiten mit ihren nationalen Mitgliedsparteien, und es ihnen untersagt ist, bei nationalen Referenden zu Unionsangelegenheiten Kampagnen durchzuführen;

AC.

in der Erwägung, dass es vom Interesse der Bürgerinnen und Bürger an politischer Innovation zeugt, dass im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament neue politische Parteien und Bewegungen entstanden sind;

AD.

in der Erwägung, dass voneinander abweichende nationale Vorschriften über die Parteiengründung und den Zugang zur Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament nach wie vor ein erhebliches Hindernis für die politische Innovation und für die Schaffung einer echten unionsweiten politischen Debatte darstellen;

AE.

in der Erwägung, dass infolge der Organisation der Wählerregistrierung im Vereinigten Königreich Berichten zufolge etwa einer Million Unionsbürgerinnen und Unionsbürger die Möglichkeit genommen wurde, bei der Wahl zum Europäischen Parlament ihr Wahlrecht auszuüben;

1.

begrüßt die höhere Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019, die zeigt, dass die Tendenz zur sinkenden Wahlbeteiligung in der Union umgekehrt werden kann, erklärt sich aber gleichzeitig enttäuscht darüber, dass die Stimmenthaltungsquote anhaltend hoch ist und in der gesamten Union fast die Hälfte aller Wahlberechtigten ihre Stimme nicht abgegeben hat; stellt fest, dass Kampagnen der Unionsorgane und von Organisationen der Zivilgesellschaft, etwa die Kampagne des Parlaments „Diesmal wähle ich“, von großer Bedeutung sind, wenn es darum geht, die Wahlbeteiligung zu erhöhen; betont, dass auf lokaler, regionaler, nationaler und unionsweiter Ebene mehr Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Wählerinnen und Wähler zur Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament zu motivieren; ist der Auffassung, dass die höhere Wahlbeteiligung zeigt, dass eine wachsende Zahl an Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern die EU als die geeignete Ebene betrachtet, um die aktuellen Herausforderungen wie Wirtschaft und nachhaltiges Wachstum, Klimawandel und Umweltschutz, soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheit, die digitale Revolution, die Förderung von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie, die demografische Entwicklung sowie geopolitische Herausforderungen wie Migration, Außenpolitik, Sicherheit und die Rolle der EU in der Welt anzugehen; fordert daher alle Unionsorgane auf, Verantwortung zu übernehmen und gemäß dem Mandat, das ihnen direkt oder indirekt von den Bürgerinnen und Bürgern erteilt wurde, zu handeln;

2.

ist zuversichtlich, dass die Tendenz einer zunehmenden Wahlbeteiligung bestätigt werden kann, wenn die Verbindung und die Rechenschaftspflicht zwischen den Wählerinnen und Wählern und den Kandidatinnen und Kandidaten gestärkt wird und in allen Mitgliedstaaten unionsweite Herausforderungen und politische Programme erörtert werden;

3.

begrüßt, dass Wahlbeteiligung unter junger Menschen deutlich gestiegen ist; bekräftigt seine Aufforderung an den Rat und die Kommission, ihre Anliegen, die für das Leben der nächsten Generationen von entscheidender Bedeutung sind, durch öffentliche Konsultationen und die Konferenz über die Zukunft Europas zu berücksichtigen; empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten über eine Harmonisierung des Mindestalters für die Teilnahme an Wahlen nachdenken, um die Wahlbeteiligung junger Menschen weiter zu erhöhen;

4.

begrüßt, dass sich das Geschlechtergleichgewicht im Parlament nach der vergangenen Wahl verbessert hat; betont jedoch, dass es noch Spielraum für weitere Verbesserungen gibt, um ein wirklich ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu erreichen, und stellt fest, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt, und zwar von einem Frauenanteil von über 50 % unter den gewählten Mitgliedern bis hin zu keiner einzigen ins Europäische Parlament gewählten Frau; fordert die Mitgliedstaaten und die Organe der Union auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Grundsatz der Gleichstellung von Männern und Frauen im gesamten Wahlverfahren zu fördern; betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Wahllisten mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis; fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit dem Parlament und anderen Gremien wie der Venedig-Kommission den Mitgliedstaaten Empfehlungen auszusprechen, um den Frauenanteil im Europäischen Parlament zu erhöhen; fordert ferner die Einführung von Kandidatenlisten mit einer gleichen Anzahl Kandidatinnen und Kandidaten auf wählbaren Plätzen, z. B. durch die Anwendung des Reißverschlusssystems oder sonstige gleichwertige Methoden, da es in vielen Mitgliedstaaten keine gesetzlichen Vorschriften gibt, mit denen bei Wahlen für politische Parität gesorgt wird;

5.

stellt fest, dass nur wenige Mitglieder des Europäischen Parlaments ethnischen, sprachlichen oder sonstigen Minderheiten angehören (21); ist der Ansicht, dass die Bekämpfung von Rassismus und die Beseitigung von Ausgrenzung und Diskriminierung eine Verpflichtung ist, die sich aus den Werten der EU und aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergibt; betont, dass auf nationaler Ebene und auf Unionsebene mehr getan werden muss, um die Aufnahme in die Wahllisten und die Wahl von Minderheitenangehörigen weiter zu verbessern, und fordert die Mitgliedstaaten und die an Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmenden Parteien auf, vorausschauende Maßnahmen zu ergreifen, um die Vertretung unterrepräsentierter Gruppen zu verbessern;

6.

weist in diesem Zusammenhang auf die besonderen Schwierigkeiten hin, mit denen Roma im Bereich der politischen Teilhabe konfrontiert sind, insbesondere was den Zugang zu Verfahren zur Wählerregistrierung betrifft, wobei diese Schwierigkeiten unter anderem auf fehlende Ausweispapiere zurückzuführen sind; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Wählerschulung und Wahlbeteiligung bei den Roma zu verbessern;

7.

stellt fest, dass ähnliche Empfehlungen hinsichtlich der Ausübung des passiven und aktiven Wahlrechts von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen ausgesprochen werden könnten; weist mit großer Besorgnis erneut darauf hin, dass im Jahr 2019 unionsweit schätzungsweise 800 000 Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen infolge nationaler Bestimmungen nicht an der Wahl teilnehmen konnten; fordert die Mitgliedstaaten auf, den Austausch bewährter Verfahren zu intensivieren, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zu den Wahllokalen zu erleichtern; bekräftigt, dass für Wählerinnen und Wähler mit Behinderungen technische Vorkehrungen für die Stimmabgabe ebenso wichtig sind wie der Zugang zu Informationen oder der Zugang zu den Wahllokalen;

8.

fordert die Mitgliedstaaten auf, zu gewährleisten, dass alle wahlberechtigten Personen — einschließlich Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, die außerhalb ihres Herkunftslandes leben, Obdachlosen und Häftlingen, denen dieses Recht gemäß den nationalen Rechtsvorschriften eingeräumt wird — dieses Recht auch ausüben können;

9.

stellt fest, dass unterschiedliche Kulturen des Wählens zu einer Reihe von unterschiedlichen Wahlsystemen geführt haben; empfiehlt, durch klare Regelungen, Empfehlungen und Leitlinien für eine Angleichung hin zu einem einheitlichen Unionswahlrecht und für die Gleichheit der Wahl für die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zu sorgen, insbesondere, was das Recht, eine Partei anzumelden und bei Wahlen zu kandidieren, den Zugang zu den Stimmzetteln, die Aufstellung von Kandidaten, die Barrierefreiheit, die Abstimmung per Vollmacht bzw. die Briefwahl und die Wahltage betrifft;

10.

würdigt, dass die Abläufe bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 trotz der Unsicherheit, die sich aus dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ergab, gut organisiert waren; hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Neuzusammensetzung des Europäischen Parlaments nach dem Brexit dank der in seiner Entschließung vom 7. Februar 2018 zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments vorgesehenen Schutzklausel reibungslos vollzogen wurde;

11.

fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, die Kapazitäten in den Konsulaten im Hinblick auf die Wahl 2024 zu erhöhen, um eine verstärkte Kontrolle und eine Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger für das Verbot der Mehrfachstimmabgabe zu ermöglichen;

12.

fordert die Mitgliedstaaten auf, die Rechtsvorschriften zu verbessern, um Obdachlosen die Stimmabgabe zu erleichtern; betont, dass das Bestehen auf der Vorlage eines Wohnsitznachweises gemäß der Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (22), dazu führen kann, dass Obdachlose in Ländern, in denen sie keine behördliche Meldeanschrift erhalten können, von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen sind; empfiehlt nachdrücklich die Abschaffung des Erfordernisses eines Wohnsitznachweises, um die Wahlbeteiligung der Obdachlosen, die vollwertige Unionsbürgerinnen bzw. Unionsbürger sind, zu verbessern;

13.

ist der Auffassung, dass die Gründe, aus denen das Verfahren der Spitzenkandidaten nach der Wahl 2019 keinen Präsidenten der Europäischen Kommission hervorgebracht hat, darin liegen, dass erstens nach den Erfahrungen von 2014 keine Verbesserungen am Spitzenkandidaten-Modell vorgenommen wurden, und zweitens den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern das Verfahren nicht hinreichend erklärt und es von ihnen nicht hinreichend verstanden wurde; beabsichtigt, das demokratische Verfahren zur Wahl des Kommissionspräsidenten vor der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament 2024 zu reformieren; weist jedoch darauf hin, dass die Wahl des Kommissionspräsidenten immer an die Unterstützung der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments gebunden ist, damit dem Wahlergebnis, wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen, in vollem Umfang Rechnung getragen wird;

14.

betont angesichts des Ergebnisses der Wahl zum Europäischen Parlament 2019, dass der bevorstehenden Konferenz über die Zukunft Europas im Hinblick auf die Debatte über institutionelle Fragen sehr hohe Bedeutung zukommt; begrüßt die anstehende gemeinsame Erklärung der drei Unionsorgane zur Konferenz über die Zukunft Europas und fordert deren zügige Verabschiedung; erinnert an die Zusage der Kommissionspräsidentin, sich mit Themen zu befassen, die speziell mit demokratischen Prozessen und institutionellen Fragen zusammenhängen, auch im Rahmen der Konferenz, und zwar unbeschadet der von der Konferenz selbst gefassten Beschlüsse über die Liste der zu behandelnden Prioritäten;

15.

betont, dass die Wahl der Kommission und ihres Präsidenten von einer Mehrheit der Mitglieder des Parlaments abhängt, was — wie die Wahl der Kommission von der Leyen gezeigt hat — de facto die Bildung einer Koalition erfordert;

16.

hebt hervor, dass nichts die europäischen Parteien und Bewegungen daran hindert, vor der Wahl zum Europäischen Parlament Koalitionen zu bilden und auf diese Weise ein gemeinsames Programm und einen einzigen Spitzenkandidaten der Koalition vorzustellen;

17.

vertritt die Auffassung, dass das Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament die politische Tragweite der Wahl der Europäischen Kommission nachdrücklich unter Beweis gestellt hat und es deshalb umso dringender geboten ist, die Interessenerklärungen der designierten Kommissionsmitglieder genauer und objektiv zu prüfen; ist zudem der Ansicht, dass dieser Prozess deutlich gemacht hat, dass es einer fachlichen und unparteiischen Bewertung der Interessenerklärungen der designierten Kommissionsmitglieder bedarf; unterstützt die bevorstehenden Überlegungen im Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) und im Rechtsausschuss (JURI) über die Schaffung eines unabhängigen Ethikgremiums, das mit angemessenen Ressourcen ausgestattet werden könnte; hebt jedoch hervor, dass die Bestätigung oder Ablehnung der einzelnen designierten Kommissionsmitglieder und des Kollegiums der Kommissionsmitglieder letztlich eine politische Aufgabe darstellt, die eindeutig in der Zuständigkeit des Europäischen Parlaments liegt;

18.

besteht darauf, dass alle Wählerinnen und Wähler aus der Union die Möglichkeit haben sollten, für ihren bevorzugten Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu stimmen; bekräftigt daher, dass die Spitzenkandidaten bei der nächsten Wahl in der Lage sein sollten, in allen Mitgliedstaaten als offizielle Kandidaten anzutreten, von einer europäischen politischen Partei aufgestellt zu werden und ein einheitliches unionsweites Wahlprogramm zu vertreten; betont, dass unter Berücksichtigung des Verhältniswahlsystems der EU die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission davon abhängen sollte, ob es ihm oder ihr gelingt, sich die Unterstützung einer Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments zu sichern;

19.

weist darauf hin, dass die in diesem Bericht vorgeschlagenen Änderungen am Primärrecht der EU, in denen die gewachsene politische Bedeutung der Kommission im Gefüge der Union zum Ausdruck kommt, auch die individuelle und kollektive Verantwortung der Kommission gegenüber dem Parlament und dem Rat sowie die Umgestaltung des Rates zu einer zweiten Gesetzgebungskammer der Union umfassen sollten;

20.

schlägt vor, das Wahlrecht und den Beschluss über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments zu reformieren, wobei sowohl sofortige Verbesserungen für die kommende Wahl als auch ein vereinbarter und verbindlicher Fahrplan für Verbesserungen über die kommende Wahl hinaus vorgesehen werden sollten;

21.

stellt fest, dass die vereinbarte Reform des Wahlrechts zwar von einigen Mitgliedstaaten noch nicht ratifiziert wurde, aber folgende Punkte, mit denen das Verfahren für Wahlen zum Europäischen Parlament verbessert werden könnte, Gegenstand von Diskussionen, etwa im Rahmen der Konferenz über die Zukunft Europas, sein könnten:

neue Fernabstimmungsverfahren für die Bürgerinnen und Bürger während der Wahl zum Europäischen Parlament bei Vorliegen besonderer oder außergewöhnlicher Umstände,

einheitliche Vorschriften für die Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl sowie einheitliche Wahlkampf- und Finanzierungsvorschriften,

harmonisierte Vorschriften für das passive und aktive Wahlrecht in allen EU-Mitgliedstaaten, einschließlich der Herabsetzung des Mindestalters für Wählerinnen und Wähler in allen Mitgliedstaaten auf 16 Jahre;

Vorschriften für Abwesenheitszeiten der Mitglieder aufgrund von Mutterschaftsurlaub, Elternurlaub oder schwerer Krankheit;

22.

bekräftigt seine Forderung nach der Einrichtung einer Unionswahlbehörde, deren Aufgabe es wäre, die Umsetzung der Leitlinien und Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament zu überwachen; empfiehlt eine weitere Stärkung der Mechanismen für den Austausch zwischen den nationalen Wahlbehörden, dessen Koordinierung der Unionswahlbehörde obliegt;

23.

bringt seine tiefe Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass immer wieder neue Fälle von Einmischungen und Desinformationskampagnen im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 ans Licht kamen, oft mit Hinweisen auf Einflussnahme aus dem Ausland; begrüßt die Bemühungen der Kommission und anderer Organe, Einrichtungen und sonstiger Stellen, gegen ausländische Einmischung während des Wahlkampfs vorzugehen, insbesondere mithilfe der East StratCom Task Force des EAD; weist jedoch darauf hin, dass die finanziellen und personellen Ressourcen, die erforderlich sind, um diesen Angriffen auf die Demokratie in der Union, auch auf nationaler Ebene, entgegenzuwirken, um ein Vielfaches höher sind als die zugewiesenen Ressourcen auf Unionsebene zusammengenommen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, die Mittel für den Kampf gegen ausländische Einmischung deutlich aufzustocken; betont, dass es vorrangig darum gehen muss, die Medienkompetenz und die politische Bildung in der Gesellschaft und durch Schulbildung von klein auf zu verbessern, damit kritisches Denken entsteht und die Bürgerinnen und Bürger befähigt werden, Medieninformationen zu erkennen, denen es an Quellen und an Verweisen auf überprüfbare Informationen fehlt;

24.

vertritt die Auffassung, dass die unzulässige Einmischung in Wahlen nicht ausschließlich aus dem Ausland erfolgt; ist der Ansicht, dass die von den Plattformen der sozialen Medien eingesetzten Algorithmen, bei denen bestimmte Inhalte bevorzugt werden, überprüft und nötigenfalls gesetzlich geregelt werden müssen, damit die den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehenden Informationen nicht verzerrt werden und ihr Recht auf Informationen während und nach dem Wahlkampf geschützt wird;

25.

ist der Ansicht, dass die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit politischer Werbung auf Plattformen der sozialen Medien auftreten, verdeutlichen, dass es einer Harmonisierung der Vorschriften für Wahlkampagnen in der gesamten Union bedarf, insbesondere weil die Wahl zum Europäischen Parlament de facto mit unionsweiten Kampagnen einhergeht, bei denen durch das Erfordernis, 27 verschiedenen Rechtsordnungen in ein und demselben digitalen Raum zu entsprechen, Hürden und Rechtsunsicherheit für politische Parteien und Bewegungen entsteht;

26.

fordert die Kommission und den Rat nachdrücklich auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ausländische Einmischung wirksam zu bekämpfen, und umfassend mit dem neuen Sonderausschuss des Parlaments für ausländische Einmischung in sämtliche demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation (INGE) zusammenzuarbeiten und noch vor der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament dessen Empfehlungen vollständig Rechnung zu tragen, sobald dieser seine Schlussfolgerungen vorgelegt hat; legt der Kommission und dem Rat nahe, in diesen Fragen viel enger mit dem Parlament zusammenzuarbeiten, da der Schutz der demokratischen Institutionen der Union eine Kernkompetenz des Europäischen Parlaments ist;

27.

würdigt die wichtige Funktion europäischer politischer Parteien, Bewegungen und Stiftungen bei der Förderung einer politischen Debatte auf Unionsebene; weist jedoch darauf hin, dass sich europäische politische Parteien aufgrund von Einschränkungen auf Unionsebene und nationaler Ebene nicht in vollem Umfang an Wahlkämpfen bei Wahlen zum Europäischen Parlament beteiligen können; betont darüber hinaus, dass es ihnen nicht gestattet ist, in Referenden, die Angelegenheiten der Union betreffen, etwa internationale Handelsabkommen oder das britische Referendum 2016 über die Mitgliedschaft in der EU, Wahlkampf zu betreiben; fordert eine weitere Angleichung der Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene und Unionsebene, um in der gesamten Union gleiche Bedingungen für die Wahl zum Europäischen Parlament zu schaffen; schlägt vor, die Erkennbarkeit der europäischen politischen Parteien und Bewegungen dadurch zu verbessern, dass ihre Namen und Logos auf den Wahlzetteln abgedruckt werden, und empfiehlt dasselbe Vorgehen auch bei allen sonstigen Materialien, die bei Wahlkämpfen bei Wahlen zum Europäischen Parlament verwendet werden;

28.

vertritt die Auffassung, dass die Wahlprogramme der europäischen politischen Parteien vor Wahlen bekannt sein sollten, was klare und transparente Wahlkampfvorschriften erfordert; hebt hervor, dass mit den Vorschriften für die Wahlen zum Europäischen Parlament die europäische Parteiendemokratie gefördert werden muss, und zwar unter anderem dadurch, dass bei Parteien, die bei Wahlen zum Europäischen Parlament antreten, das Logo der jeweiligen europäischen Partei neben dem Logo der nationalen Partei auf dem Wahlzettel abgebildet sein muss;

29.

schlägt vor, die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1141/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über das Statut und die Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen (23) zu ändern, um es den europäischen politischen Parteien und den europäischen politischen Stiftungen zu ermöglichen, uneingeschränkt am politischen Raum der Union teilzuhaben, Wahlkampf zu führen, Wahlkampfgelder in Anspruch zu nehmen, bei Wahlen zum Europäischen Parlament anzutreten, die Transparenz ihrer Finanzierung zu verbessern — insbesondere wenn Mittel aus dem Haushalt der EU verwendet werden oder die Finanzierung von Mitgliedsparteien stammt — und Spenden von privaten und öffentlichen Einrichtungen aus Drittstaaten zu untersagen; betont jedoch, dass Mitgliedsbeiträge von Parteien aus den Ländern des Europarates zulässig sein könnten, um europaweite politische Bindungen zu fördern, sofern dies in einem Rahmen geschieht, in dem verstärkte Transparenz sichergestellt ist;

30.

weist darauf hin, dass die Wahlprogramme der europäischen Parteien im Vorfeld der Wahl 2019 noch immer kein relevanter Bestandteil der politischen Debatte waren; bedauert zutiefst, dass in einigen Fällen der Schwerpunkt der Debatte statt auf Unionsangelegenheiten auf nationale Themen ohne direkte Verbindung zur Politikgestaltung der Union gelegt wurde; ist der Ansicht, dass die Bedeutung von Wahlen zum Europäischen Parlament für die Union vor allem dadurch herausgestellt werden kann, dass den Bürgerinnen und Bürgern mehr Informationen über die von der Union getroffenen Entscheidungen und die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf ihr tägliches Leben zur Verfügung gestellt werden;

31.

ist der Ansicht, dass die Einführung einer jährlichen Europäischen Woche, die gleichzeitig in allen nationalen Parlamenten stattfindet und Debatten zwischen Mitgliedern nationaler Parlamente, Mitgliedern der Europäischen Kommission, Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Vertretern der Zivilgesellschaft über das Arbeitsprogramm der Kommission umfasst, die Entstehung miteinander vernetzter interparlamentarischer öffentlicher Räume sowie die Verbesserung der Vermittlung von Maßnahmen der Union auf nationaler Ebene befördern würde;

32.

fordert eine koordinierte Strategie auf Unionsebene, um die Medienberichterstattung über Wahlen zum Europäischen Parlament sicherzustellen, insbesondere indem dafür gesorgt wird, dass Debatten über die politischen Programme der verschiedenen europäischen politischen Kräfte stattfinden, dass bei Wahlen zum Europäischen Parlament antretende Kandidatinnen und Kandidaten aus mehreren Mitgliedstaaten eingeladen werden und dass über Wahlkampfveranstaltungen berichtet wird;

33.

fordert die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf, im Rahmen ihres Auftrags, die Öffentlichkeit zu informieren, Debatten zwischen den Spitzenkandidaten sowie zwischen Politikerinnen und Politikern, die für das Europäische Parlament kandidieren, zu veranstalten und zu übertragen;

34.

vertritt die Auffassung, dass das Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament ein klares Signal für eingehende institutionelle Überlegungen ist, auf deren Grundlage die Bürgerinnen und Bürger, die Zivilgesellschaft und ihre Vertreter die Zukunft der Union gestalten können; hebt hervor, dass sich durch die COVID-19-Pandemie die Dringlichkeit eines institutionellen Reformprozesses auf Unionsebene erhöht hat; fordert daher alle institutionellen Partner auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und eine ambitionierte, interaktive und inklusive Konferenz zur Zukunft Europas abzuhalten, die den Bürgerinnen und Bürgern, der Zivilgesellschaft und ihren Vertretern offensteht und durch konkrete Ergebnisse die repräsentative Demokratie und die Widerstandsfähigkeit der EU stärkt; fordert die institutionellen Partner ferner auf, die Schlussfolgerungen der Konferenz weiterzubehandeln, die erhebliche Veränderungen in der Unionspolitik und im institutionellen Gefüge der Union bewirken und dem europäischen Aufbauwerk neuen Schwung verleihen dürften;

35.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Europäischen Rat, dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

(1)  ABl. L 178 vom 16.7.2018, S. 1.

(2)  ABl. L 165 I vom 2.7.2018, S. 1.

(3)  ABl. L 129 vom 25.5.2018, S. 76.

(4)  ABl. L 114 I vom 4.5.2018, S. 1.

(5)  ABl. L 85 I vom 27.3.2019, S. 7.

(6)  ABl. L 304 vom 20.11.2010, S. 47.

(7)  ABl. C 366 vom 27.10.2017, S. 7.

(8)  ABl. C 252 vom 18.7.2018, S. 215.

(9)  ABl. C 252 vom 18.7.2018, S. 201.

(10)  ABl. C 390 vom 18.11.2019, S. 170.

(11)  ABl. C 463 vom 21.12.2018, S. 83.

(12)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0002.

(13)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0031.

(14)  Angenommene Texte, P8_TA(2019)0098.

(15)  Angenommene Texte, P9_TA(2020)0161.

(16)  Eurobarometer 91.5, „Umfrage nach der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 — Hat die Wahl zum Europäischen Parlament eine neue Dimension erreicht?“, Europäisches Parlament, September 2019.

(17)  FEANTSA und Fondation Abbé-Pierre, „Fifth Overview of Housing Exclusion in Europe 2020“, Juli 2020.

(18)  ABl. C 118 vom 8.4.2020, S. 246.

(19)  ABl. C 463 vom 21.12.2018, S. 89.

(20)  Eurobarometer 91.5, September 2019.

(21)  Mitteilung der Kommission vom 19. Juni 2020 mit dem Titel „Bericht über die Wahlen zum Europäischen Parlament 2019“ — (COM(2020)0252).

(22)  ABl. L 329 vom 30.12.1993, S. 34.

(23)  ABl. L 317 vom 4.11.2014, S. 1.


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