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Document 52013IE7057

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vollendung der WWU — Vorschläge des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die nächste europäische Legislaturperiode“ — (Initiativstellungnahme)

ABl. C 451 vom 16.12.2014, p. 10–19 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

16.12.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 451/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vollendung der WWU — Vorschläge des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die nächste europäische Legislaturperiode“

(Initiativstellungnahme)

(2014/C 451/02)

Berichterstatter:

Joost VAN IERSEL und Carmelo CEDRONE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. September 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Vollendung der WWU — Vorschläge des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die nächste europäische Legislaturperiode.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 19. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 500. Plenartagung am 9./10. Juli 2014 (Sitzung vom 9. Juli) mit 195 Stimmen gegen 8 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Ein Fahrplan für die nächste europäische Legislaturperiode

Angesichts der enormen Herausforderungen für die Wirtschafts- und Währungsunion der EU vertritt der EWSA den folgenden Standpunkt:

Das Ziel der WWU, die einen Eckpfeiler für jegliche Weiterentwicklung der EU bildet, ist die Förderung von Lebensqualität, Wohlstand und Stabilität für die Unionsbürger. Der Aufbau von Vertrauen und möglichst günstige Bedingungen für die Realwirtschaft sind Voraussetzungen für Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen. Dies zeigt die Bedeutung der WWU für den Euroraum wie auch für die nicht dem Euroraum angehörenden Mitgliedstaaten.

Die Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen zwingt die Länder des Euroraums, dringendst geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, da im heutigen globalisierten Kontext kein europäisches Land für sich allein Handlungsfreiheit gewährleisten kann. Dies hat erhebliche Folgen sowohl für die Steuerung als auch für die Politik der WWU.

Die WWU ist kein eigenständiges Gebilde. Sie war ursprünglich als Vollendung eines offenen europäischen Binnenraums und des Binnenmarkts gedacht. Neben der Haushaltsdisziplin müssen die EU und die Mitgliedstaaten gleichzeitig flankierende wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung als den zentralen Faktoren für eine erfolgreiche Konsolidierung ausarbeiten (1).

Um Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten in einer Reihe verschiedener Bereiche zu gewährleisten, werden tiefgreifende Anpassungen in der Wirtschafts- und Strukturpolitik erforderlich sein, die bis vor kurzem weitgehend der ausschließlichen nationalen Zuständigkeit zugeordnet wurde. An die Stelle von Misstrauen und Spannungen müssen gemeinsame vertrauensbildende Maßnahmen treten. Eine engere Union betrifft die ganze Gesellschaft. Der soziale und zivilgesellschaftliche Dialog auf allen Ebenen muss sichergestellt werden.

In Anbetracht der obigen Ausführungen fordert der EWSA für die nächste europäische Legislaturperiode, zügig einen Fahrplan für die Inangriffnahme der dringlichsten Probleme aufzustellen.

Hierfür schlägt der EWSA folgendes vor:

I.

Die Vollendung der WWU, die durch eine solide Steuerungs- und Verwaltungsstruktur für den Euroraum gewährleistet wird und auf folgenden Grundlagen beruht:

i.

einer geldpolitischen und finanziellen Säule, einschließlich der Realisierung einer vollständigen Bankenunion, um einen gesamteuropäischen Kapitalmarkt zu schaffen und zugleich die Steuerzahler vor den Folgen übermäßiger Risikobereitschaft und ungeordneter Zahlungsausfälle zu schützen;

ii.

einer wirtschaftlichen Säule, die die zunehmende Verflechtung der Mitgliedstaaten sowohl auf makro- als auch mikroökonomischer Ebene widerspiegelt, um den Beschlussfassungsprozess in der Wirtschaftspolitik zu stärken und so Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit, Konvergenz und Solidarität in Europa zu fördern;

iii.

einer sozialen Säule, um die sozialen Auswirkungen der wirtschaftlichen Anpassungen angemessen zu berücksichtigen;

iv.

einer politischen Säule, u. a. mit mehr Verantwortlichkeit und demokratischer Legitimation, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu fördern.

II.

Die unverzügliche Annahme eines echten europäischen Wachstums- und Beschäftigungsplans auf der Grundlage eines umfangreichen Investitionsprogramms, das mit öffentlichen und privaten Geldern finanziert wird und fiskalische Impulse setzt. Die Neujustierung und ordnungsgemäße Umsetzung bestehender Instrumente wie insbesondere Sechserpack, Zweierpack, Fiskalpakt und Europäisches Semester sollte sichergestellt werden.

III.

Die Festlegung eines Zeitplans und entsprechende Vorbereitungen für eine umfassende politische Integration Europas, u. a. mithilfe eines Reflexionsprozesses über ihr institutionelles Gefüge im Rahmen eines neuerlichen EU-Konvents.

IV.

Die Konzipierung einer Kommunikations- und Vereinfachungsstrategie für die WWU in Zusammenarbeit zwischen der Kommission, dem EP, den Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft.

2.   Eckpfeiler WWU

2.1

Der EWSA betont, dass die Wirkung einer vollständigen und erfolgreichen WWU weit über ein gemeinsames Vorgehen in der Haushalts- und Geldpolitik und dem Bankenwesen hinausreicht. Durch eine zielgerichtete Führung sollte bei Unternehmen, Bürgern und Wirtschaftsakteuren der Glaube an die gemeinsame Sache und das Zugehörigkeitsgefühl zu Europa gefördert werden.

2.2

Die nächsten fünf Jahre werden entscheidend sein, um die noch fragile Architektur der WWU zur Reife zu entwickeln. Dies erfordert in erster Linie Eigenverantwortung, Offenheit und Transparenz; deshalb brauchen wir eine wirksame Politik sowie klare und unmissverständliche Aussagen — keine Doppelzüngigkeit! — aufseiten der Mitgliedstaaten des Euroraums, des Rates und aller anderen EU-Instanzen.

2.3

Ebenso wie einige herausragende europäische Politiker betrachtet der EWSA die politische Union als unverzichtbaren Orientierungspunkt am Horizont (2). In Übereinstimmung mit ihrer Argumentation sieht der EWSA die politische Union nicht nur als Vollendung der WWU, sondern auch mit Blick auf den weitergefassten internationalen Kontext der heutigen globalisierten Welt, der die politische Ordnung in der Folge des Westfälischen Friedens und die einzelstaatlichen Regelungsmöglichkeiten grundlegend infrage stellt.

2.4

In der heutigen globalisierten Welt kann kein europäischer Staat für sich allein bestehen. Staatliche Souveränität kann deshalb besser in einem gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Rahmen garantiert werden.

2.5

In dem Bericht „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ von Präsident Herman Van Rompuy sowie der entsprechenden Mitteilung der Europäischen Kommission vom November bzw. Dezember 2012 wurde ein Fahrplan mit konkreten Maßnahmen für eine solche Entwicklung entworfen. Der Ausschuss hat dies begrüßt (3). Das Hauptproblem besteht darin, dass trotz erheblicher Fortschritte die Trennung zwischen einer gemeinsamen Währung und einer zwischenstaatlichen wirtschaftspolitischen Steuerung zu unüberwindlichen Spannungen führt. Der EWSA dringt darauf, dass der Van-Rompuy-Bericht die Grundlage für die Gesetzesinitiativen der kommenden Legislaturperiode bleibt.

2.6

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat insbesondere den Euroraum getroffen und die derzeitigen Grenzen der WWU aufgezeigt. Statt als ein Baustein der europäischen Integration wird der Euro von vielen als ein Keil wahrgenommen, der die Länder und die Zivilgesellschaft trennt und die Zukunft der Union gefährdet. Bei dieser Fehleinschätzung wird allerdings übersehen, dass die Krise — deren Ursprünge weitgehend außerhalb des Euroraums lagen — ohne die einheitliche Währung tiefgreifender gewesen wäre.

2.7

Fortschritte beim Integrationsprozess werden gegenwärtig durch die Ungleichgewichte und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von Ländern gebremst, die bereits seit 1991 bestehen und nie in Angriff genommen wurden. Sogar gefährliche Abspaltungs- und Renationalisierungstendenzen sind zu beobachten.

2.8

Die Zukunft wird dadurch unvorhersehbar. Anzeichen einer Erholung schüren Optimismus, die Länder verlassen den Krisenmodus. Jedoch ist für einige Zeit mit niedrigen/moderaten Wachstumsraten zu rechnen, was teilweise auf die unvollendete WWU und die Fragmentierung des europäischen Finanzmarktes zurückzuführen ist. In Anbetracht der Volatilität der Wirtschaft und potenzieller Rückschläge in den kommenden Jahren warnt der EWSA vor Sorglosigkeit in diesen Fragen.

2.9

Vor diesem Hintergrund waren die jüngsten, wenn auch begrenzten Entscheidungen — u. a. zu Sechserpaket, Zweierpaket und Bankenunion — dringend notwendig. Hinter diesen neuen Steuerungsmechanismen stehen jedoch zu einem großen Teil eher haushalts- und stabilitätspolitische Anliegen als die Sorge um die Menschen, weshalb Wachstum und soziale Maßnahmen unberücksichtigt blieben. Außerdem rufen der langwierige Entscheidungsprozess und die Komplexität des Systems latenten oder offenen Widerstand in den Mitgliedstaaten und im Rat infolge von politischem Misstrauen und Betonung der nationalen Souveränität hervor. Diese Situation ist die Union in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bereits teuer zu stehen gekommen und schadet ihrem internationalen Ansehen; vertrauensbildende Maßnahmen sind deshalb unverzichtbar, um die Hindernisse zu überwinden.

2.10

Der EWSA dringt daher auf einen überzeugenden Zeitplan für die nächste europäische Legislaturperiode, in dem die weiteren Schritte samt konkreter Fristen festgelegt werden und bei denen der Schwerpunkt auf der Vollendung der WWU in enger Abstimmung mit den Zielen der Strategie Europa 2020 und deren Leitinitiativen liegen muss. In dieser Stellungnahme werden einige wesentliche Punkte für einen solchen Fahrplan vorgeschlagen.

2.11

Die differenzierte Integration innerhalb der EU, die bereits in verschiedenen Politikbereichen mit Erfolg praktiziert wird, sollte auch weiterhin ein Grundprinzip bleiben. Viele der zur Vollendung der WWU notwendigen Beschlüsse können ohne Änderung des geltenden Rechts bzw. über die verstärkte Zusammenarbeit gefasst werden, während andere einen neuen Vertrag bzw. eine Änderung der bestehenden Verträge erfordern. Durch derartige Beschlüsse könnten Verzögerungen bei der Vollendung der WWU aufgeholt und verschiedene Sofortmaßnahmen umgesetzt werden, ohne die langfristigen Perspektiven aus den Augen zu verlieren. Denn auch der Euroraum bedarf echter institutioneller Strukturreformen, parallel zu den in den einzelnen Ländern durchzuführenden Reformen.

3.   Erste Schritte: ein wirklicher Plan für Wachstum und Beschäftigung im Rahmen des geltenden Rechts

3.1

Eine erste und unmittelbare Etappe auf dem Fahrplan für die nächste EU-Legislaturperiode wäre die Annahme und Umsetzung eines wirklichen Wachstums-, Beschäftigungs- und Stabilitätspakts, um die Erholung anzukurbeln und die Rückzahlung der Schulden zu ermöglichen (eine Art europäischer New Deal). Ein solcher Plan müsste mindestens folgende Punkte umfassen:

die Ausgabe von Eurobonds der EIB und des EIF (bereits teilweise mit den „projektbezogenen Anleihen“ umgesetzt), ohne die Schulden der Länder zu erhöhen, zwecks Finanzierung der KMU sowie von Projekten in den Bereichen Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Stadterneuerung, Umwelt sowie transeuropäische Netze. Mit solchen gezielten Aktionen der EIB und des EIF wird ein aktives europäisches Engagement zur Verbesserung des finanziellen Umfelds für private Investitionen signalisiert (4);

öffentliche Investitionen der Mitgliedstaaten, u. a. auch im Sozialbereich (5), zusätzlich zu den öffentlichen Investitionen der EU über ein System gemeinsamer Parameter, durch das in Verbindung mit den geeigneten Strukturreformen auch die privaten Investitionen gefördert würden (goldene Finanzierungsregel);

während der Krise Lockerung oder zeitweilige Aussetzung der Sparpolitik, die zu den Hauptursachen der Rezession, des Nachfragerückgangs und des Anstiegs der Arbeitslosigkeit zählt und die das Einsetzen der Erholung verzögert hat. Mit anderen Worten muss der Übergang von einer reinen Sparpolitik zu gemeinsam vereinbarten Reformen gewährleistet werden, um nachhaltiges Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und eine Steigerung der Produktivität zu ermöglichen (6);

die Umsetzung des Zweierpakets, des Sechserpakets und des Fiskalpakts muss durch abgestimmte Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung sowie im sozialen Bereich flankiert werden;

bessere Durchführung des Europäischen Semesters: auf dem Weg zu einer Wirtschaftsunion kommt dem seit vier Jahren bestehenden Europäischen Semester eine unverzichtbare Rolle in Bezug auf die Konvergenz und Anpassung der Volkswirtschaften zu. Es ist zwar ein Ergebnis der „weichen“ Koordinierungsmethode, kann aber wirkungsvoll sein. Es sollte jedoch korrekt umgesetzt, transparenter gestaltet und angemessen vermittelt werden. Die Beteiligung und das Engagement der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene sichergestellt werden;

ordnungsgemäße Einhaltung der NRP: Steuerung ist unverzichtbar. Die Arbeitsweise der nationalen Verwaltungen ist dafür entscheidend, und die ggf. erforderlichen Verbesserungen sollten klar hervorgehoben werden. Die Umsetzung der NRP u. a. in Bezug auf die Qualität der nationalen Verwaltungen sollte von allen Interessenträgern überprüft und von der Kommission genau überwacht werden;

volle Miteinbeziehung der Mitgliedstaaten: Das Semester ist nach wie vor ein allzu technokratisches Verfahren, was seine Umsetzung behindert. Die nationalen Parlamente sollten über eine angemessene Erörterung des Semesters zusammen mit den Sozialpartnern und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Prozess eingebunden werden (7).

4.   Vertiefung und Vollendung der WWU in der nächsten Legislaturperiode

4.1   Die geldpolitische und finanzielle Säule

4.1.1

Was die Geldpolitik angeht, sollte im Einklang mit der verstärkten makroökonomischen Steuerung im Euroraum das Mandat der EZB vervollständigt werden, um sie den anderen Zentralbanken (d. h. denen von Drittstaaten wie auch von europäischen Ländern, die nicht der EU bzw. dem Euroraum angehören) gleichzustellen; dies würde es ihr u. a. ermöglichen, als „lender of last resort“ (Kreditgeber letzter Instanz) und als gleichwertiger Partner in internationalen Foren aufzutreten, und zwar unter Wahrung ihrer vollständigen Autonomie. Der EZB sollte es uneingeschränkt möglich sein, Liquiditätskrisen auf eine Weise zu vermeiden, die Investitionen (KMU) förderlich ist.

4.1.2

Der EZB darf jedoch nicht die alleinige Verantwortung aufgebürdet werden. Auf dem Weg zu einer Fiskal- und Wirtschaftsunion ist eine vollständige Bankenunion unverzichtbar (8). Aufgrund der anhaltenden Verflechtungen zwischen den Regierungen und den Banken sträuben sich die Mitgliedstaaten gegen die Schaffung der notwendigen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, wodurch die geeignetsten und wirkungsvollsten Entscheidungen auf die lange Bank geschoben werden (9). Die behindert auch eine wirksame Aufsicht der EZB über alle Banken, durch die die Finanzmarktfragmentierung bekämpft, unerwünschte Verquickungen zwischen der nationalen Politik und den Banken unterbunden und günstige Voraussetzungen für grenzüberschreitende Bankenfusionen geschaffen werden sollten.

4.1.3

Das Europäische Parlament konnte in den Verhandlungen mit dem Rat über eine Bankenunion eine erfolgreiche Einigung über die Fortschritte hin zu einem einheitlichen Abwicklungsmechanismus und einem einheitlichen Bankenabwicklungsfonds erzielen (10). Der EWSA unterstützt den Standpunkt des EP uneingeschränkt. Diese Beschlüsse dürften in naher Zukunft zu einem einheitlichen europäischen Kapitalmarkt beitragen, der dem der Vereinigten Staaten vergleichbar ist.

4.1.4

Eine vollständige Bankenunion erfordert einen gut strukturierten einheitlichen Abwicklungsmechanismus, harmonisierte Einlagensicherungssysteme in den Mitgliedstaaten und einen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die direkte Bankenrekapitalisierung ermöglicht (11). Das diesbezügliche Beschlussfassungssystem sollte effizient sein und ein rasches Handeln sicherstellen. Die Schaffung und Umsetzung dieser Elemente muss beschleunigt vorangetrieben werden.

4.1.5

Die Bankenunion allein reicht nicht aus, um die Wirtschaft und die Investitionstätigkeit zu stimulieren. Mit Blick auf einen widerstandsfähigeren EU-Finanzsektor müssen auch die vollständige Umsetzung von Basel III, der Finanzstabilitätsrat sowie eine Lösung für „Too-big-to-fail“-Banken im Einklang mit internationalen Übereinkommen (G-20) auf dem Arbeitsprogramm für die kommenden Jahre stehen.

4.1.6

Das von EU-Kommissar Michel Barnier unlängst veröffentlichte umfangreiche Legislativpaket für die Banken und die Finanzmärkte kann einen wichtigen Beitrag zum ordnungsgemäßen Funktionieren der Finanzmärkte in Europa sowie zur Schaffung eines stabilen und zuverlässigen Bankensektors leisten. Für die Realwirtschaft ist dies äußerst wichtig. Die jüngsten diesbezüglichen Beschlüsse des Rates gehen nur teilweise in die gewünschte Richtung.

4.1.7

Eine angemessene Kreditvergabe ist für die Erholung und das Wachstum der Wirtschaft wie auch für die Entwicklung von größter Wichtigkeit. Dies bedeutet, dass bei den EU-Rechtsvorschriften für ein Gleichgewicht zwischen strengen Rahmenbedingungen für das Bankenwesen und ausreichenden Möglichkeiten für operative Bankengeschäfte gesorgt werden muss, insbesondere mit Blick auf die Förderung von Investitionen, die für jegliche Wachstumspolitik unverzichtbar sind. Es liegt auf der Hand, dass zufriedenstellende Maßnahmen für neu gegründete Unternehmen und KMU sehr wichtig sind (12).

4.2   Die makroökonomische und fiskalische Säule

4.2.1

In diesem Bereich sind die mühsamen Diskussionen im Europäischen Rat bezüglich verbindlicher Vereinbarungen über Wirtschaftsreformen bezeichnend und enttäuschend (13). Der EWSA dringt daher darauf, dass die Kommission ihren Vorschlag für derartige vertragliche Vereinbarungen mit der Forderung nach weiteren Diskussionen über deren Form, Finanzierung und demokratische Legitimation weiterentwickelt (14).

4.2.2

Partnerschaften auf der Grundlage eines Systems vertraglicher Vereinbarungen und entsprechender Solidaritätsmechanismen könnten zur Förderung und Unterstützung profunder Anpassungsmaßnahmen beitragen. Diese Maßnahmen würden sowohl zur Miteinbeziehung der Mitgliedstaaten innerhalb eines gemeinsamen Rahmens als auch zu Reformen in allen Bereichen im Zusammenhang mit nachhaltigem Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung beitragen, die alle drei die EU insgesamt stärken (15). Ein solcher Rahmen könnte eine Reaktion der EU auf länderspezifische asymmetrische Schocks ermöglichen, die als eine Form der Solidarität in der EU fungieren würde.

4.2.3

Derartige Partnerschaften könnten den Zusammenhalt und das Vertrauen in der Bevölkerung stärken, was für die Überwindung der Sorgen bezüglich der nationalen Souveränität von zentraler Bedeutung ist. Dies wird wiederum zu einem europäischen Gemeinschaftssinn beitragen, der eine unverzichtbare Grundlage ist für die Entwicklung von EU-Instrumenten — beispielsweise einen Haushalt für den Euroraum, einen EU-Solidaritätsfonds und Eurobonds.

4.2.4

Die Konvergenz der Wirtschafts- und Steuersysteme (16), die mit einem Solidaritätsinstrument einhergeht, ist ein Schlüsselfaktor für die schrittweise Überwindung der makro- und mikroökonomischen Ungleichgewichte zwischen den Ländern. Mittelfristig wird sich dieses Instrument zu einem wirtschaftlichen Ausgleichsmechanismus entwickeln, um die Volkswirtschaften des Euroraums zu stabilisieren und zu integrieren — auch wenn dies Vertragsveränderungen erforderlich machen sollte. Es könnte eines Tages auch Bestandteil eines gemeinsamen Haushalts des Euroraums werden. Die Struktur- und Kohäsionsfonds könnten auch in dieser Perspektive genutzt werden.

4.2.5

Die neue Kommission muss als einer der Hauptakteure in diesem Prozess die Aufgabe übernehmen, Gesetzesvorschläge — im Einklang mit dem Vorgehen von EU-Kommissar Michel Barnier für die Regulierung des Finanzsystems — in Bereichen einzubringen, in denen die Debatte bislang von den Mitgliedstaaten dominiert wurde, um auf der Grundlage konkreter Vorschläge den Weg für ertragreiche Diskussionen im Rat zu bereiten.

4.2.6

Bislang hat die Kommission von dieser Methode unzureichend Gebrauch gemacht. Sie hätte beispielsweise eingesetzt werden können bei der Ex-ante-Koordinierung von Plänen für wichtige wirtschaftspolitische Reformen, bei den Vereinbarungen über Wirtschaftsreformen in Verbindung mit einem Solidaritätsmechanismus sowie bei der Errichtung eines Schuldentilgungsfonds und kurzfristigen Euro-Schuldscheinen (Eurobills). Falls diese Vorschläge Vertragsänderungen erfordern, sollte das die Kommission den Mitgliedern des Euroraums deutlich machen.

4.2.7

Eine derartige Vorgehensweise wird den Rat zwingen, zu diesen Vorschlägen Stellung zu beziehen. Sie wird Transparenz und Klarheit hinsichtlich der unterschiedlichen politischen Standpunkte schaffen und ist der einzige Weg, um den zwischenstaatlichen Stillstand in der derzeitigen Architektur zu überwinden. Dies muss die Kommission den verschiedenen Interessenträgern und auch der Öffentlichkeit entsprechend vermitteln.

4.2.8

Mittelfristig ist für den Euroraum daher eine wirtschaftspolitische Steuerung für die makro- und mikroökonomische Politik erforderlich (und das bereits seit Maastricht), bei der von der bislang wenig ergiebigen Koordinierungsmethode zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung über die „Grundelemente“ der Politik in diesen Bereichen übergegangen wird. Eine gemeinsame Währung bei einer getrennten Wirtschaftspolitik ist für den Euroraum nicht mehr haltbar — eine gemeinsame Wirtschaftspolitik ist daher notwendig, um u. a. die Arbeit der EZB zu erleichtern.

4.2.9

Im Falle asymmetrischer Schocks muss ein Umverteilungsmechanismus zur Anwendung kommen. Der Grundsatz der Verantwortung sowohl der Staaten als auch der Bürger darf nicht von dem der Solidarität abgekoppelt werden. Deshalb müssen für die schutzbedürftigsten Gruppen über einen begrenzten Zeitraum konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Diese Verantwortung muss von allen Bürgern und allen Ländern mitgetragen werden.

4.2.10

In diesem Sinne muss der Weg hin zu einem angemessenen eigenen Haushalt des Euroraums beschritten werden, der über gemeinsame Regeln verfügt. Dies ist die einzige Möglichkeit, um zu einer gemeinsamen Fiskalpolitik gelangen und ggf. künftige Schocks abfedern zu können. Die Finanzierung könnte z. B. erfolgen durch eine zweckbestimmte Steuer, eine Finanztransaktionssteuer (unter der Bedingung, dass sie auf den gesamten Euroraum ausgedehnt wird), eine CO2-Steuer oder eine zeitlich begrenzte Abgabe auf Zahlungsbilanzüberschüsse, die die 6 %-Marke überschreiten, sowie schließlich durch die Begebung gemeinsamer Anleihen.

4.2.11

Staatsschulden: Es sollte ein Mechanismus konzipiert werden, der die Staatsschulden der Spekulation entzieht, ohne die Staaten von der Verantwortung für ihre Schulden zu entbinden. Die Schulden der Mitgliedstaaten, die schrittweise bis zu einem Anteil von höchstens 60 % des BIP (wie vom EWSA vorgeschlagen (17)) oder ab dem Teil, der 60 % übersteigt (gemäß dem Kommissionsvorschlag für die Einrichtung eines „Schuldentilgungsfonds“ (18)) umgewandelt werden, könnten in einem konsolidierten und gemäß den Anteilen der verschiedenen Mitgliedstaaten bedienten Schuldenkonto gehalten werden. Alternativ könnte im Rahmen eines zwischenstaatlichen Vertrags ein zeitlich begrenzter Euro-Anleihefonds eingerichtet werden zur Emission kurzfristiger Schuldtitel für den Euroraum. Dies würde die Gefahr einer staatlichen Liquiditätskrise im Euroraum beseitigen. Im Anschluss an die Schlussfolgerungen ihrer Expertengruppe, die mit dem besonderen Auftrag der Bewertung der Vorteile und Risiken der verschiedenen Optionen für eine gemeinsame Emission von Schuldtiteln eingerichtet wurde, sollte die Kommission nun einen konkreten Vorschlag bezüglich des zu verwendenden Instruments und für den Zeitrahmen vorlegen.

4.3   Die mikroökonomische Säule

4.3.1

Auch mikroökonomische Maßnahmen bedürfen großer Aufmerksamkeit, insbesondere industrie- und sektorspezifische Maßnahmen, die für das europäische Wirtschaftswachstum von zentraler Bedeutung sind. Das planlose Vorgehen in diesem Bereich muss überwunden werden. Deshalb müssen einige Maßnahmenbereiche mit indirekten Auswirkungen auf die einzelstaatlichen Haushalte und die entsprechenden Entscheidungsstrukturen zusammengelegt werden, um zu gemeinsamen Vorstellungen und Aktionen der Kommission und der Mitgliedstaaten zu gelangen. Dies betrifft insbesondere:

die Vollendung des Binnenmarktes;

die Schaffung günstiger Voraussetzungen für die Unternehmen, um in Europa zu bleiben oder nach Europa zu kommen, insbesondere durch die Überwindung der Marktfragmentierung;

eine gemeinsame Industriepolitik (19), mit der die Grundlage der bestehenden innovativen und nachhaltigen Wirtschaftsleistung in ganz Europa gestärkt wird;

eine gemeinsame Energiepolitik, die bitter vermisst wird, die indes für faire und stabile wirtschaftliche Voraussetzungen in der EU von zentraler Bedeutung ist;

gemeinsame Großprojekte im Infrastrukturbereich und eine umfassende Verkehrspolitik zur Verbesserung der Anbindung;

Konvergenz in der Unternehmensbesteuerung;

die Dienstleistungen einschließlich Unternehmensdienstleistungen;

den Arbeitsmarkt und die Arbeitnehmermobilität;

Forschungspolitik.

4.4   Die soziale Säule

4.4.1

Der EWSA fordert nachdrücklich, die soziale Dimension der WWU (20) durch konkrete Maßnahmen zu stärken. Die Beschäftigungsquote junger Menschen ist immer noch auf einem gefährlich niedrigen Niveau. Die neue Kommission sollte zusammen mit den Mitgliedstaaten die Verantwortung dafür übernehmen, die Lebensbedingungen zu verbessern mittels:

Unterstützung für Arbeitsplatzschaffung und Unternehmensgründungen;

Vorschlägen zur Anpassung der Bildungsmaßnahmen auf allen Ebenen in Europa sowie ggf. der Gesundheitspolitik;

Schaffung der richtigen Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitnehmer;

Steuervorschlägen mit dem Ziel, die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern;

Vorschlägen zum Schutz der Verbraucherrechte;

Gewährleistung von Geschlechtergleichstellung;

Tätigung sozialer Investitionen (21).

4.4.2

Ein angemessener sozialer Dialog muss auf allen Ebenen geführt werden. Das bedeutet, dass Hindernisse für eine wirksame Konsultation in und zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt werden müssen. Die EU sollte sehr dabei behilflich sein, Interessenvertreter verschiedener Länder zusammenzubringen, um erfolgreiche Praktiken zu erörtern und Pläne zur Verbesserung der Voraussetzungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erstellen.

4.4.3

Wenn die Union und insbesondere der Euroraum vollendet werden soll, können nicht die sozialen Folgen der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ignoriert und diese vollkommen den Mitgliedstaaten aufgebürdet werden. Sowohl bei wirtschaftspolitischen als auch bei sozialpolitischen Maßnahmen sollten nicht nur die Kriterien des Stabilitätspakts angelegt werden, sondern es gilt, ein breiteres Spektrum makroökonomischer Parameter zu berücksichtigen (z. B. Arbeitslosenquote, Wachstumsrate, Zahlungsbilanz, Beschäftigungsquote, Armutsquote, Einkommens- und Vermögensverteilung etc.). Die Stabilität der WWU kann nicht gewährleistet werden ohne jedwede soziale Mechanismen für den Euroraum, die die Folgen dramatischer Rezessionen und/oder Ungleichgewichte abfedern können. Einige machen evtl. Vertragsänderungen erforderlich. Sie könnten mittelfristig Folgendes umfassen:

den Aufbau eines gemeinsamen Arbeitslosenversicherungssystems, zur Ergänzung der nationalen Systeme, eventuell in Verbindung mit der Aufstellung gemeinsamer Vorschriften für den Arbeitsmarkt im Euroraum und der Arbeitskräftemobilität;

Gewährung eines Mindesteinkommens für einige Bevölkerungsgruppen, die unterhalb der Armutsschwelle liegen, und Aufstellen gemeinsamer Vorschriften für Vorsorge- und Fürsorgeleistungen.

4.4.4

Außerdem müssen im Interesse der Bürger weitere Bereiche gemeinsam geregelt werden, um das Zugehörigkeitsgefühl zu steigern und die Mobilität zu erleichtern, wie:

gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen und Abschlüssen;

Qualität und Erbringung öffentlicher Güter und Dienstleistungen im Euroraum, um ihre Kontinuität vor allem in Krisenzeiten sicherzustellen usw.

4.5   Die politische Säule

4.5.1

Ein derart umfangreiches Programm kann nur mit der nötigen demokratischen Legitimität des Entscheidungsprozesses umgesetzt werden. Der EWSA anerkennt voll und ganz die erheblichen, in den letzten paar Jahren erzielten Fortschritte. Er ist der Auffassung, dass in der nächsten Mandatsperiode ein weiterer Sprung nach vorne nur dann möglich ist, wenn Rechenschaftspflicht, Legitimation, Demokratie, Transparenz und Kommunikation besondere Aufmerksamkeit gezollt wird.

4.5.2

Es findet eine immer schärfer geführte Debatte über den Integrationsprozess in Europa statt. Die Parteien müssen auf EU-Ebene klare Optionen festlegen, die den Standpunkten der verschiedenen Fraktionen im EP zugrunde liegen müssen und zu einer besseren Öffentlichkeitswirkung der europäischen Parteien beitragen. Transnationale europäische Wahlen mit grenzüberschreitenden politischen Gruppierungen würden die europäische Debatte enorm erleichtern und vertiefen.

4.5.3

Gemeinsame Verantwortung und der nötige öffentliche Rückhalt machen erheblich mehr Unterstützung der nationalen Parlamente für die europäische Debatte erforderlich. EU-Legislativvorschläge und die NRP sollten in den Parlamenten gebührend erörtert werden. Es sollten interaktive Konsultationen in strategischen Fragen zwischen dem EP und den nationalen Parlamenten vorgesehen werden, die auch zu dynamischeren Beziehungen zwischen den nationalen Parlamenten führen könnten.

4.5.4

Die Kommission sollte bei der Präsentation von Legislativvorschlägen und Maßnahmen die Gemeinschaftsmethode so wirksam wie möglich anwenden, auch bei zusammen mit den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten. Wie auch in der Vergangenheit wird sich ein proaktiver und mutiger Ansatz auszahlen.

4.5.5

Die Kommission sollte auf Anfrage des Parlaments und/oder der Zivilgesellschaft zu nationalen Debatten europäischer Fragen eingeladen werden.

4.5.6

Der Europäische Rat und die verschiedenen Ratsformationen, insbesondere der Rat (Wirtschaft und Finanzen), sind zentrale Entscheidungsträger und für Rechenschaftspflicht und Legitimation von zentraler Bedeutung. Deshalb ist mehr Transparenz erforderlich, was auch den demokratischen Erfordernissen entspräche.

4.5.7

Die Mitglieder des Rates, die nationale Interessen vertreten und gleichzeitig Mitentscheider auf europäischer Ebene sind, sind mitunter doppelzüngig und äußern sich zu Hause anders als in Brüssel. Dies stiftet im Allgemeinen erhebliche Verwirrung und behindert eine Einigung. Doppelzüngigkeit ist nicht hinnehmbar. Die Mitgliedstaaten sollten auf allen Entscheidungsebenen gemeinsame politische Botschaften vereinbaren und diese dann auch vertreten.

4.5.8

Die Mitgliedstaaten spielen im System der WWU eine sowohl aktive als auch passive Rolle. Eine Angleichung an europäische Verfahren bei gleichzeitiger Bewahrung nationaler Verwaltungsverfahren und -traditionen ist möglich, wird aber in einer Reihe von Ländern erhebliche Anpassungen erfordern. Es wird sich zeigen, dass zuverlässige politische und administrative Verfahren für die Vertrauensbildung ausschlaggebend sind.

4.5.9

Der EWSA betont, dass die Zivilgesellschaft, deren Rolle häufig unterschätzt wird, in der künftigen Struktur der EU und einem stärker integrierten Euroraum mehr Gewicht bekommen muss. Es gibt viele Bereiche, die zum Teil oder gänzlich von nichtstaatlichen Akteuren abhängen. Die Zivilgesellschaft muss umfassend beteiligt werden. In zu vielen Ländern wird die Zivilgesellschaft immer noch zu wenig einbezogen. Vielmehr muss sie die für den Kontakt mit den institutionellen Entscheidungsträgern notwendigen Instrumente erhalten. Die Zivilgesellschaft muss ihrer Verantwortung nachkommen und am EU-Entscheidungsprozess teilnehmen, um dessen demokratische Grundlage zu stärken. Ohne ihr aktives Engagement kann die WWU niemals vollendet werden.

4.5.10

Insbesondere für die Sozialpartner wäre es ziemlich sinnvoll, die Ergebnisse eines — vom EWSA nachdrücklich befürworteten — Konsensmodells in den Mitgliedstaaten zu untersuchen. Ein Austausch bewährter Verfahren ist zu empfehlen.

4.5.11

Nach Ansicht des EWSA liegt auf der Hand, dass die derzeitigen Regelungen nicht angemessen sind und nicht wie erwartet funktioniert haben. Zwischenstaatliches Handeln war und ist nicht in der Lage, die Probleme der WWU zu lösen. Wir dürfen uns auch nicht in der trügerischen Sicherheit wiegen, dass nach dem Abklingen der Krise die Stabilisierungsmechanismen, die in den schlimmsten Krisenzeiten in großer Eile realisiert wurden, für ein ruhiges Vorankommen und für die Vermeidung weiterer Krisen ausreichen würden.

4.5.12

Die einzige Möglichkeit, zu vermeiden, dass es nicht erneut zu ähnlichen Situationen kommt, besteht in der Änderung der Funktionsregeln und des Entscheidungsprozesses im Euroraum, der transparenter und demokratischer werden muss:

der Euro muss mittels Institutionalisierung der Eurogruppe einen Souverän erhalten, um mit einer Stimme sprechen zu können. Die Eurogruppe sollte im Sinne einer besseren Steuerung des Euroraums in der Lage sein, zeitnah Entscheidungen zu treffen und im Krisenfall einzugreifen. Dabei sollte der Entscheidungsprozess — angefangen mit der Abschaffung des Vetorechts — demokratischer und transparenter werden;

der Euroraum sollte über einen Umverteilungsmechanismus verfügen und/oder — wie oben in Ziffer 4.2.9 und 4.2.10 ausgeführt — schrittweise zu einem echten Haushalt gelangen. Damit könnten öffentliche Güter für die Bürger gewährleistet, für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen zur Unterstützung der Reformen gesorgt und die Ungleichgewichte zwischen den Staaten abgebaut werden. Ebenso wäre ein gemeinsames Vorgehen im Bereich der Steuerpolitik möglich usw.;

in den internationalen Organisationen sollte es eine einzige Vertretung geben;

die Maßnahmen dieses Leitungsgremiums sollten von den Mitgliedern des EP des Euroraums (Euro-Parlament) gestützt und bewilligt werden, wobei dieses Gremium auch für MdEP nicht zum Euroraum gehörender Mitgliedstaaten — jedoch ohne Stimmrecht — offenstände.

5.   Langfristiges Ziel einer umfassenden politischen Integration Europas

5.1

Neben der oben skizzierten Vollendung der WWU wäre es auch sinnvoll, während der nächsten EP-Legislaturperiode ernsthafte Überlegungen über eine Vertiefung der gesamten EU und die Funktionsweise ihrer Organe anzustellen und die Politikbereiche auszuwählen, die vergemeinschaftet werden sollten. Nach Ansicht des EWSA sollten sich die Überlegungen auf die im Folgenden beschriebenen Aspekte beziehen.

5.2

Die Tätigkeit der Kommission sollte von der Zustimmung des EP abhängen, das dafür auch das geteilte Initiativrecht erhalten könnte. Das EP könnte ferner auf der Grundlage europaweiter Listen der europäischen Parteien gewählt werden.

5.3

Zur Verbesserung der Sichtbarkeit, demokratischen Legitimation und Gewaltenteilung: Abschaffung der Dyarchie aus Präsident des Europäischen Rates und Kommissionspräsident, der vom EP oder direkt von den Unionsbürgern gewählt würde, unter der Bedingung, dass sich auch seine Rolle ändert. Der gegenwärtige Rat könnte die Aufgabe eines „Senats der Staaten“ übernehmen und eine neue Geschäftsordnung erhalten.

5.4

Zu den Politikbereichen, in denen die EU die ungeteilte bzw. geteilte Zuständigkeit und die Entscheidungsbefugnis haben sollte, könnten auch gehören: die Außenpolitik und das internationale Handeln der Union — einschließlich einer einzigen Vertretung in den internationalen Organisationen, die Verteidigungspolitik (für diejenigen, die dies möchten), die Energiepolitik, die Forschungspolitik, die Asyl- und Zuwanderungspolitik sowie die Wahrung von Normen und Rechten, wobei die Union die Befugnis haben sollte, gegen regelverstoßende Staaten vorzugehen, wie dies auch in Wirtschafts- und Haushaltsfragen der Fall ist.

5.5

Die neue institutionelle Ordnung, die nicht im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit allein erreicht werden kann, wie auch die Rolle des Parlaments, des Rates, der Kommission, des EWSA und des AdR könnten von einem neuen Konvent festgelegt werden, der seine Arbeiten bis 2019 abgeschlossen haben sollte, dem Zeitpunkt der nächsten Europawahlen nach 2014.

6.   Kommunikation und Vereinfachung

6.1

Für die Wiedergewinnung von Vertrauen ist gute Kommunikation unerlässlich. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die beste Kommunikation durch gute politische Maßnahmen und Verfahren sichergestellt wird, die eine langfristige Perspektive für die gesamte europäische Gesellschaft bieten.

6.2

Es gilt, die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken und zu verbessern. Kommunikation weckt Interesse und letztlich Verständnis. Dies wurde bislang unzureichend berücksichtigt, und daran sind in erster Linie die Kommission und die Mitgliedstaaten schuld. Das gesamte Spektrum der sozialen Medien sollte genutzt werden.

6.3

Die WWU und verwandte Bereiche wurden häufig als eine technische Angelegenheit präsentiert. Das sind sie aber nicht, denn sie sind von grundlegender politischer Natur und wirken sich stark auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger aus. Aus dieser Perspektive wird die Frage aber selten erörtert, geschweige denn der Öffentlichkeit mitgeteilt. Das erklärt auch zu einem großen Teil die immense Kluft zwischen der EU und den Bürgern.

6.4

Unterschiedliche Traditionen und Gegebenheiten führen Tag für Tag schmerzlich vor Augen, dass in Sachen WWU keine gemeinsame Sprache gesprochen wird. Dies führt mitunter zu großer Verwirrung und beeinträchtigt den Rückhalt in der Bevölkerung. Nach Auffassung des EWSA ist die Kommission aufgrund ihres Initiativrechts im EU-Legislativprozess die einzige Institution, die eine Lösung vorschlagen kann. Dies muss unter dem Gesichtspunkt einer in stärkerem Maße politischen Rolle der Kommission und des Parlaments als bislang gesehen werden.

6.5

Als mitverantwortliche Akteure müssen die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner künftig eine eigene Rolle in der Kommunikation spielen, was bislang häufig nicht ausreichend der Fall ist. Die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner sollten den Behörden die Sorgen und Anliegen der Bürger und Unternehmen übermitteln und bei der Bewältigung mitwirken. Der Meinungsaustausch sollte in beiden Richtungen erfolgen.

6.6

Europa sollte nicht mehr länger den — in breiten Teilen der Öffentlichkeit entstandenen — Eindruck eines Elfenbeinturms vermitteln. Die Errungenschaften der europäischen Integration, die konkreten Fortschritte und der daraus resultierende Nutzen vor allem in puncto Investitionen, neue Arbeitsplätze und Verbraucherschutz müssen den Bürgern deutlich vor Augen geführt werden. Das sogenannte neue Narrativ für Europa sollte mit einer gemeinsamen Kommunikations- und Vereinfachungsstrategie der Kommission und der Mitgliedstaaten beginnen, die zusammen mit den Parteien und der Zivilgesellschaft die zentralen Akteure sind.

Brüssel, den 9. Juli 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/336 „Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist“, Berichterstatter: Thomas DELAPINA, Ziffer 1.6 (ABl. C 133 vom 9.5.2013).

(2)  Siehe. Dr. Wolfgang Schäuble, insbesondere seine Reden vom 3. Oktober 2011 in der Paulskirche sowie vom Mai 2012 anlässlich der Verleihung des Karlspreises, sowie Rede von Giorgio Napolitano vom 3. Februar 2014 im Europäischen Parlament.

(3)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/340 „Eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion“, Berichterstatter: Carmelo CEDRONE (ABl. C 271 vom 19.9.2013).

(4)  Siehe EWSA-Stellungnahmen ECO/307 „Wachstum und Staatsverschuldung“ (ABl. C 143 vom 22.5.2012), ECO/334 „Zehn Jahre Euro — und jetzt?“ (ABl. C 271 vom 19.9.2013) und ECO/340 „Eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion“ (ABl. C 271 vom 19.9.2013), Berichterstatter: Carmelo CEDRONE.

(5)  Siehe EWSA-Stellungnahme SOC/496 „Auswirkungen von Sozialinvestitionen“, Berichterstatter: Wolfgang GREIF (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(6)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/336 „Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist“, Berichterstatter: Thomas DELAPINA (ABl. C 133 vom 9.5.2013).

(7)  Siehe EWSA-Stellungnahme EUR/006 „Jahreswachstumsbericht 2014“, Berichterstatterin: Evelyne PICHENOT (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(8)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/339 „Bankenunion-Paket“, Berichterstatter: Carlos TRIAS PINTÓ (ABl. C 11 vom 15.1.2013).

(9)  Siehe Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 19./20. Dezember 2013.

(10)  Siehe die am 20. April 2014 erzielte Einigung von Rat und EP über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus.

(11)  Siehe EWSA-Stellungnahmen ECO/333 „Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten“, Berichterstatterin: Lena ROUSSENOVA (ABl. C 44 vom 15.2.2013) und ECO/350 „Einheitlicher Abwicklungsmechanismus“, Berichterstatter: Daniel MAREELS (ABl. C 67 vom 6.3.2014).

(12)  Siehe EWSA-Stellungnahmen ECO/347 „Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft“, Berichterstatter: Michael SMYTH (ABl. C 327 vom 12.11.2013) und ECO/365 „Langfristige Finanzierung — Folgemaßnahmen“, Berichterstatter: Michael SMYTH, Mitberichterstatter: Vincent FARRUGIA (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(13)  Siehe Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 19./20. Dezember 2013.

(14)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/348 „Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit/größere wirtschaftspolitische Reformvorhaben“, Berichterstatter: David CROUGHAN (ABl. C 271 vom 19.9.2013) und EWSA-Stellungnahme EUR/006 „Jahreswachstumsbericht 2014“, Berichterstatterin: Evelyne PICHENOT (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(15)  Siehe auch die Rede des Vorsitzenden der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, mit dem gleichen Tenor auf dem OECD-Seminar am 17.2.2014 in Brüssel: „The Euro Area at the crossroads“.

(16)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/336 „Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist“, Berichterstatter: Thomas DELAPINA (ABl. C 133 vom 9.5.2013). Weitere relevante Steueraspekte sollten schrittweise in Betracht gezogen werden.

(17)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/307 „Wachstum und Staatsverschuldung“, Berichterstatter: Carmelo CEDRONE (ABl. C 143 vom 22.5.2012).

(18)  Siehe COM(2012) 777 final/2.

(19)  Siehe EWSA-Stellungnahme CCMI/108 „Industriepolitik (Aktualisierung)“, Berichterstatter: Joost VAN IERSEL, Ko-Berichterstatter: Enrico GIBELLIERI, (ABl. C 327 vom 12.11.2013).

(20)  Siehe EWSA-Initiativstellungnahme SOC/494 „Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion“, Hauptberichterstatter: Georgios DASSIS (ABl. C 67 vom 6.3.2014).

(21)  Dies beinhaltet auch die Armutsbekämpfung. Siehe hierzu EWSA-Stellungnahme SOC/496 „Auswirkungen von Sozialinvestitionen“, Berichterstatter: Wolfgang GREIF (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).


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