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Document 52005IE1069

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts

    ABl. C 24 vom 31.1.2006, p. 52–62 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/52


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts“

    (2006/C 24/13)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juli 2005 an. Berichterstatter war Herr VAN IERSEL.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 90 gegen 6 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    Durchführung und Durchsetzung

    Zusammenfassung

    In dieser Stellungnahme argumentiert der EWSA, dass eine bessere Rechtsetzung eng mit der Durchführung und Durchsetzung des Rechts zusammenhängt: Ein Gesetz ist gut, wenn es durchsetzbar ist und auch durchgesetzt wird. Die Kommission beschäftigt sich wie auch der Rat und der Europäische Gerichtshof regelmäßig mit den Problemen bei der Anwendung des EU-Rechts. Die Folgemaßnahmen sind jedoch begrenzt, was auf die unterschiedlichen Rechtskulturen und Zuständigkeiten sowie auf eine unterschiedlich starke Einbindung in die effiziente Durchführung des EU-Rechts in der Union zurückzuführen ist. Der EWSA unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten und der Kommission unternommen werden sollten. In den Mitgliedstaaten ist in erster Linie der politische Wille entscheidend. Die Einstellung der einzelstaatlichen Verwaltungen muss nach außen hin deutlich machen, dass sie sich mit der EU identifizieren und voll und ganz hinter den Entscheidungen der Union stehen. Dies setzt Änderungen in einigen spezifischen Bereichen voraus, beispielsweise die Sicherstellung ausreichender Verwaltungskapazitäten, die Überprüfung der innerstaatlichen Regelungen und Verfahrensweisen, den Verzicht auf eine übergenaue Umsetzung („gold-plating“) oder das „Rosinenpicken“ sowie die Verbesserung der Informationsstrukturen. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten ist es wünschenswert, dass zwischen allen betroffenen Behörden innerhalb der EU eine systematische Diskussion stattfindet sowie Ex-post-Bewertungen und Rechenschaftslegungen der nationalen Behörden gegenüber ihren Partnern in anderen Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Es ist ebenfalls erforderlich, dass die der nationalen Ebene nachgeordneten Körperschaften mit eigenen Gesetzgebungsbefugnissen einbezogen werden. Der EWSA befürwortet eine aktive Rolle der Kommission, um das Vertrauen zwischen den für die Durchsetzung des EU-Rechts zuständigen Behörden zu fördern und die Netze der einzelstaatlichen Behörden, die systematische Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit und damit die Ermittlung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu unterstützen. Eine Ausweitung der bestehenden Fortbildungsprogramme für Richter und Beschäftigte öffentlicher Verwaltungen sollte in Erwägung gezogen werden. Einige der in dieser Stellungnahme gemachten Vorschläge werden bereits in der Kommission diskutiert und einige Veränderungen bereits von den Mitgliedstaaten in die Praxis umgesetzt. Das gegenwärtige Gesamtbild der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zeigt jedoch gravierende Unzulänglichkeiten auf. Auch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sollten mit einbezogen werden. Nach Ansicht des EWSA ist ein Wandel in der Rechtskultur erforderlich, wobei nicht mehr der Erlass neuer Rechtsvorschriften, sondern die effiziente Anwendung des bestehenden EU-Rechts im Mittelpunkt steht, also sichergestellt wird, dass verabschiedetes Gemeinschaftsrecht und die gemeinsame Politik ihre volle Wirkung entfalten. Dies wird dazu beitragen, das reibungslose Funktionieren der EU-25 zu gewährleisten und darüber hinaus die notwendige Kohäsion zu fördern.

    1.   Das EU-Recht als Grundlage der europäischen Integration

    1.1

    Ein gut funktionierender Binnenmarkt mit entsprechenden Sozial-, insbesondere Arbeitnehmerschutz-, Konsumentenschutz- und Umweltnormen ist das Kernstück der europäischen Integration. Er legitimiert die Integration, weil er den Bürgern und Bürgerinnen und Unternehmen erhebliche Vorteile bietet.

    1.2

    Die Europäische Union ist auf Rechtsstaatlichkeit gegründet. Das Recht stärkt die Grundlagen des Binnenmarktes und verhindert jegliche Diskriminierung von Waren, Personen oder Unternehmen aus Gründen der Herkunft oder Nationalität. Eine effiziente Anwendung des EU-Rechts stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die europäische Politik und die europäischen Verfahren und unterstreicht die Bedeutung der EU im Zusammenhang mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. Das setzt allerdings eine rechtzeitige und korrekte Umsetzung des EU-Rechts auf nationaler Ebene voraus.

    1.3

    Ferner muss die EU-Rechtsetzung EU-weit von allen zuständigen Behörden auf nationaler und regionaler Ebene unverzüglich und kohärent angewandt und effizient durchgesetzt werden, wenn durch sie Hemmnisse jeder Art abgebaut und gleiche Bedingungen für alle geschaffen werden sollen.

    1.4

    Der Binnenmarkt entfaltet erst dann seine Wirkung und wird zu einer Quelle für Wachstum und Wohlstand, wenn für Bürger und Unternehmen keine diskriminierenden oder verdeckten Hemmnisse einschließlich schwerfälliger und langwieriger Verwaltungsverfahren bestehen. Die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen sind oft zu restriktiv, zu komplex und nicht angemessen, was Jahr für Jahr zu zahlreichen Klagen von Seiten der Bürger und Unternehmen führt. (1) Der Grund dafür liegt zum Teil in einer übergenauen Umsetzung („gold-plating“) der EU-Rechtsetzung in nationales Recht. Durch das „gold-plating“ werden nationale Vorschriften hinzugefügt, die die Ziele der EU- Rechtsetzung verschleiern können.

    1.5

    Eine bessere Rechtsetzung ist integraler Bestandteil der Agenda von Lissabon. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 22./23. März 2005 wird ausdrücklich der positive Einfluss eines verbesserten Regelungsumfeldes auf die Wettbewerbsfähigkeit hervorgehoben. In diesem Sinne sprach sich auch der Rat für Wettbewerbsfähigkeit vom 6./7. Juni 2005 aus. (2) In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass eine bessere Rechtsetzung eng mit der Durchführung und Durchsetzung des Rechts verbunden ist: Ein gutes Gesetz ist ein durchsetzbares und auch durchgesetztes Gesetz.

    1.6

    Damit ein Gesetz durchsetzbar ist, muss es hinreichend präzise formuliert sein, und um wirksam zu sein, muss es die passende Antwort auf spezielle Probleme bieten. Wird ein Gesetz zu komplex und zu allgemein formuliert, weil beispielsweise keine angemessene Folgenabschätzung durchgeführt wurde, so werden bei seiner Umsetzung unweigerlich Probleme auftreten. Zur Lösung dieser Probleme sind dann wieder weitere Gesetze erforderlich. Schlechte Gesetze führen zu einer Flut weiterer Gesetze und übermäßig vielen Regelungen, durch die den Unternehmen unnötige Auflagen gemacht und die Bürger verunsichert werden. (3)

    1.7

    Um Gesetze erfolgreich durchsetzen zu können, müssen die Behörden über die erforderlichen Verwaltungskapazitäten verfügen. Schwachstellen in der Verwaltung haben andererseits zur Folge, dass bei der Durchführung und Durchsetzung Probleme entstehen.

    1.8

    Gleichzeitig verbessert eine effiziente Durchführung des EU-Rechts die Wettbewerbsfähigkeit und erleichtert die grenzübergreifende Zusammenarbeit — beides grundlegende Ziele der Agenda von Lissabon.

    1.9

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Union ein Problem mit der Durchführung und Einhaltung des Gemeinschaftsrechts hat. Statistiken über den Stand der Durchführung des EU-Rechts zeigen, dass die Mitgliedstaaten bei der fristgerechten Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht zurückliegen. Statistiken über Vertragsverletzungsverfahren machen deutlich, dass die Umsetzung häufig unkorrekt oder unvollständig erfolgt. 78 % der von der Europäischen Kommission in den Jahren 2002-2005 gegen Mitgliedstaaten eingeleiteten Verfahren betreffen die Umsetzung und Durchführung von Richtlinien. Das bedeutet, dass es für die Mitgliedstaaten problematisch ist, ihre eigene Methode zur effizienten Umsetzung der Richtlinien festzulegen.

    1.10

    In mehreren Entschließungen hat sich der Rat mit den Problemen der Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts beschäftigt. (4) In der interinstitutionellen Vereinbarung aus dem Jahre 2003 über bessere Rechtsetzung wurde ebenfalls auf eine „bessere Umsetzung und Anwendung“ hingewiesen.

    1.11

    In mehreren Fällen hat der Europäische Gerichtshof über die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer effizienten Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts entschieden. (5)

    1.12

    Die Kommission hat in verschiedenen Dokumenten ausgeführt, wie die Mitgliedstaaten ihre Leistungsfähigkeit bei der Umsetzung und Durchführung des EU-Rechts verbessern könnten. (6) In ihrem Weißbuch zum Europäischen Regieren stellt die Kommission fest: „Wie sich die Regeln der Europäischen Union auswirken, hängt letztlich von der Bereitschaft und Fähigkeit der Behörden in den Mitgliedstaaten ab, für eine effiziente und rechtzeitige Um- und Durchsetzung zu sorgen.“ (7) In jüngster Zeit stellte sie in ihrer Mitteilung vom 16. März 2005 über „Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union“ einen Aktionsplan vor, mit dem die regulatorischen Rahmenbedingungen der Gemeinschaft ohne übermäßig hohen Verwaltungsaufwand verbessert werden sollen.

    1.13

    Seit 1985 hat sich das neue Konzept als zunehmend nützliches Instrument zur Verbesserung einer effizienten Harmonisierung von Standards und Regulierungskonzepten erwiesen. Es schafft einen festen, übersichtlichen und transparenten Rechtsrahmen, in dem durch die Anwendung der zahlreichen in den Richtlinien definierten Instrumente entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für die Behörden sowie eine erhebliche Verantwortung für Hersteller und Dritte enthalten sind. In Bezug auf die Umsetzung kommt die Kommission in erster Linie auf Grundlage einer eingehenden Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die „Erfahrung … aber auch gezeigt [hat], dass sich die Umsetzung dieser Richtlinien in vielerlei Hinsicht verbessern lässt“. (8) Dieses Dokument deckt schwerwiegende Mängel auf.

    1.14

    In ihrem Zweiten Bericht über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie 2003-2006 (9) analysiert die Kommission die Mängel in der Durchführung und Durchsetzung auf zahlreichen Gebieten. Sie verdeutlicht auch Absichten und Ziele im Hinblick auf eine Verbesserung der Lage. Unter anderem wird ein stärkeres direktes Engagement, mithin ein politischer Wille der Mitgliedstaaten vorausgesetzt. In der „Empfehlung der Kommission zur Umsetzung binnenmarktrelevanter Richtlinien in innerstaatliches Recht“ (10) werden einige Verfahren aufgezeigt, deren Übernahme den Mitgliedstaaten dringend empfohlen wird. Die wichtigsten dieser Verfahren bestehen darin, die Verantwortung für die Überwachung und Koordinierung einem einzigen Minister bzw. Ministerium zu übertragen, eine nationale Datenbank mit Informationen über umgesetzte Richtlinien einzurichten sowie die enge Zusammenarbeit zwischen den an den Verhandlungen in Brüssel beteiligten nationalen Beamten und jenen, die die einzelstaatlichen Maßnahmen durchführen, zu fördern.

    1.15

    Anzeiger zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts decken die Mängel bei seiner formalen Umsetzung auf. Zwar scheinen die einzelnen europäischen Institutionen die Probleme zu kennen, aber die Art und Weise, wie die vereinbarten Regelungen in einzelstaatliche Rechts- und/oder Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden, ist bislang nicht der Gegenstand einer systematischen Untersuchung oder einer Folgediskussion im Rat gewesen. Während Unterschiede bei der Durchführung des EU-Rechts in verschiedenen Teilen eines Mitgliedstaates rasch den Ruf der Öffentlichkeit nach Abhilfemaßnahmen laut werden lassen würden, steht die unterschiedliche Durchführung von einem Mitgliedstaat zum anderen nicht einmal auf der politischen Tagesordnung.

    1.16

    Zweifellos haben die Anzeiger dazu beigetragen, die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten transparenter zu gestalten. Es gibt indes noch keine entsprechenden Anzeiger, um die Transparenz in Bezug auf die Anwendung des EU-Rechts und der EU-Politik durch die einzelstaatlichen Behörden zu erhöhen.

    1.17

    Obwohl über Verbesserungsvorschläge diskutiert wird, sind sich die öffentlichen Akteure in ganz Europa immer noch zu wenig der Tatsache bewusst, dass das EU-Recht als Grundlage der europäischen Integration nur dann seine Wirksamkeit entfalten wird, wenn der ganze Prozess — Annahme von Richtlinien, Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung — korrekt beachtet wird. In vielen Fällen dürfte es auch an dem entsprechenden Willen fehlen, den ganzen Prozess konsequent durchzuführen. Die Kommissionsdokumente, zahlreiche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs sowie die Forschungsliteratur zum Thema geben den Mitgliedstaaten genügend Hilfen an die Hand, um die Erfüllung ihrer Rechtsverpflichtungen stetig zu verbessern.

    1.18

    Eine effiziente Umsetzung des EU-Rechts erfordert besondere Aufmerksamkeit sowie Schutzmechanismen in einer EU mit einer steigenden Anzahl von Mitgliedstaaten. Der EU-Integrationsprozess darf nicht durch eine Aufweichung der Wirksamkeit der in der EU geltenden Vorschriften gefährdet werden.

    2.   Zusammenhänge und Entwicklungen

    2.1

    Während im EG-Vertrag eine Reihe von Maßnahmen für die Annäherung und Angleichung von Vorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarktes vorgesehen sind (11), haben Erfahrungen in den 70er und frühen 80er Jahren deutlich gemacht, dass eine vollständige Harmonisierung ein zeitraubender, mühseliger und in einigen Fällen unnötiger Prozess ist. Maßnahmen, die auf gegenseitiger Anerkennung sowie auf einzelstaatlicher Kontrolle beruhen, lassen sich leichter aushandeln und umsetzen. Sie sind auch effizienter, wenn es darum geht, Handel und Investitionstätigkeit zu erleichtern, ohne übermäßige Auflagen für die Unternehmen. Es muss indes darauf hingewiesen werden, dass die EU in eine neue Phase eingetreten ist, die durch zunehmende Unterschiede der Regierungskulturen gekennzeichnet ist. Das könnte zu dem Wunsch führen, weitere Verordnungen zu erlassen, um Konvergenz und die Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu gewährleisten.

    2.2

    Trotz der Hinwendung zu neuen politischen Instrumenten war das Anwachsen des Gemeinschaftsrechts zum Teil die natürliche Folge einer vertieften und ausgedehnten Integration, teilweise jedoch auch das Ergebnis einer unvollständigen oder mangelhaften Umsetzung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten. Neue Verordnungen wurden hinzugefügt, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen oder die einzelstaatlichen Vorschriften zu sehr verkomplizieren. (12) Ein anschauliches Beispiel sind die Liberalisierungsrichtlinien der Kommission auf der Grundlage von Artikel 86 Absatz 3 EGV in Bereichen wie den Telekommunikationsdiensten und -geräten.

    2.3

    Angesichts der in vielen Mitgliedstaaten aufgetretenen Umsetzungsschwierigkeiten (13) erfordert eine bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts koordinierte Anstrengungen auch von Seiten der einzelstaatlichen Behörden. Diese sind bisher nicht unternommen worden, gleichermaßen fehlt es auch an Bemühungen von Seiten der Mitgliedstaaten, die Umsetzung und Kontrolle der Politik mit weniger Einmischung und leichter zu handhabenden Instrumenten durchzuführen.

    2.4

    Der Europäische Rat von Lissabon im Jahre 2000, auf dem der Prozess zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Union eingeleitet wurde, führte die Methode der offenen Koordinierung mit dem Ziel ein, die Umsetzung und Durchführung durch qualitative und quantitative Kriterien, Leistungsvergleiche (Benchmarking) und bewährte Verfahrensweisen zu verbessern. Die Mitgliedstaaten haben bislang nicht systematischer und intensiver auf solche bewährten Praktiken zurückgegriffen, um ihre Ergebnisse bei der Durchführung der Politik zu verbessern.

    2.5

    Zu Beginn wurden durch die Methode der offenen Koordinierung wie auch den angestrebten Leistungsvergleich und den Rückgriff auf bewährte Praktiken hohe Erwartungen geweckt. Die Erfahrungen lassen indes keine positive Schlussfolgerung zu. Ohne verbindliche Verpflichtungen scheinen die Mitgliedstaaten einfach nicht bereit zu sein, das Gemeinschaftsrecht zu übernehmen, von Durchführung und Durchsetzung ganz zu schweigen.

    2.6

    Bis zum Jahre 2004 hatten die zehn Beitrittskandidaten den Acquis communautaire in ihr nationales Recht übernommen. Formell ist dieser Termin demnach eingehalten worden. Veränderungen im Recht aber bedeuten noch längst nicht, dass diese auch korrekt durchgeführt werden. Außerdem erfordern Durchführung und Durchsetzung angemessene Verwaltungsstrukturen und -verfahren, die in einigen Fällen auf eine ganz neue Grundlage gestellt werden mussten, da es in der EU noch an den notwendigen Erfahrungen im Hinblick auf die effiziente Anwendung des EU-Rechts mangelt. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden und den Gemeinschaftsinstitutionen sollte dazu beitragen, eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts innerhalb der EU zu erleichtern. (14)

    2.7

    Obwohl die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU darauf abzielen, gemeinsame Bedingungen in einem offenen europäischen Markt zu schaffen, können die Instrumente zu dessen Verwirklichung je nach Anwendungsbereich beträchtlich voneinander abweichen. Das Prinzip mag in allen Bereichen dasselbe sein, aber der erwünschte Integrationsgrad kann ganz unterschiedlich sein. Das führt zu mehr oder weniger strengen Gemeinschaftsvorschriften und folglich zu unterschiedlichen Perspektiven und juristischen Ansätzen.

    2.8

    Diese Unterschiede liegen in den verschiedenen Integrationszielen begründet, die beispielsweise zwischen Bereichen wie dem Binnenmarkt und der Umweltpolitik und Bereichen wie der hauptsächlich nationalen Sozial- und Gesundheitspolitik bestehen. Der Vertrag selbst verwendet auch Ausdrücke, die im Bereich der öffentlichen Gesundheit oder der Bildung weniger hochgesteckte Ziele erkennen lassen. In diesen Politikbereichen besteht die Aufgabe der EU darin, eher zu „koordinieren“ und zu „ermutigen“ denn zu integrieren.

    2.9

    Folglich zeigen die derzeitigen Entwicklungen ein farblich vielschichtiges Bild, in dem auf EU-Ebene verschiedene Rechtsinstrumente nebeneinander existieren, welche sich ihrerseits wieder auf einzelstaatliche Ansätze auswirken. Dazu gehören:

    die EU-Instrumente zur vollständigen Harmonisierung der Rechtsvorschriften;

    die EU-Instrumente zur Gewährleistung eines Minimums an Harmonisierung. Durch sie bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, strengere Vorschriften zu erlassen (die in einem grenzübergreifenden Zusammenhang nur bei gegenseitiger Anerkennung angewandt werden können);

    die Richtlinien des neuen Konzepts, die darauf abzielen, grundlegende Anforderungen festzulegen, denen die Produkte auf dem EU-Markt genügen müssen;

    die EU-Gesetzgebung, die auf dem Ursprungslandprinzip basiert;

    Rahmenrichtlinien, die den Mitgliedstaaten einen recht großen Ermessensspielraum bei der Durchführung einräumen;

    Empfehlungen, die in das Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden können;

    Beschlüsse.

    2.10

    Diese breite Palette von Gemeinschaftsinstrumenten, die Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung in den Mitgliedstaaten erfordern, lässt häufig Raum für einzelstaatliche und folglich unterschiedliche Interpretationen darüber, was auf nationaler Ebene durchgeführt und durchgesetzt werden muss und wie dies zu geschehen hat.

    2.11

    Die praktischen Auswirkungen des Modells in seiner jetzigen Form ziehen im Hinblick auf die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße folgende Elemente in Betracht:

    unterschiedliche nationale Rechtskulturen und -systeme

    unterschiedliche Zuständigkeiten innerhalb der einzelstaatlichen Verwaltungen und Ministerien

    spezifische regionale und lokale Zuständigkeiten in den Mitgliedstaaten

    Einflüsse durch die nationalen politischen, sozioökonomischen und gesellschaftlichen Interessengruppen

    innenpolitische Bedürfnisse/Wünsche, die zu einer übergenauen Durchführung der EU-Richtlinien („gold-plating“) oder zu einer selektiven Umsetzung der Bestimmungen („cherry-picking“) führen

    finanzielle und organisatorische Mittel zur korrekten Durchführung des EU-Rechts.

    2.12

    Der EU-Ansatz respektiert selbstredend die Vielfalt der Mitgliedstaaten und ihr reiches Erbe im Bereich der Verwaltungsstrukturen, der Rechtskultur und der politischen Systeme. Dabei handelt es sich um eine Grundsatzfrage. Die unterschiedlichen Traditionen und Kulturen müssen jedoch eine effiziente Durchführung des EU-Rechts gewährleisten, um Verzerrungen oder Diskriminierungen zu verhindern. Die Komplexität dieser Aufgabe wird durch die Ausweitung der Zuständigkeiten der Union und den laufenden Erweiterungsprozess noch verdeutlicht.

    2.13

    Die Kommission stellte einige besondere Elemente heraus, die Auswirkungen auf das Endergebnis haben:

    fachlich und juristisch mangelhafte Formulierung der Rechtsvorschriften (einschließlich Übersetzungsprobleme);

    unterschiedlich strikte Anwendung der mehr oder weniger verbindlichen Instrumente als Folge von Ratsbeschlüssen;

    unterschiedlich starke Einbindung in die Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts innerhalb der Kommission; es gibt wichtige Unterschiede zwischen den Generaldirektionen;

    mitunter fehlende Klarheit über die Vorrechte der Mitgliedstaaten und/oder die Vorrechte der Kommission aufgrund der Auswirkungen der Subsidiarität;

    mitunter personelle Engpässe in der Kommission;

    sprachliche Probleme (bei der Durchführung der Überwachung in den neuen Mitgliedstaaten);

    Bedeutung und Auswirkungen der Vertragsverletzungsverfahren.

    2.14

    Gemeinsam mit dem Anwachsen des Gemeinschaftsrechts ist eine entsprechende Erweiterung der Instrumente und Verfahrensweisen außerhalb der Rechtsetzung zu verzeichnen, die darauf abzielen, die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, EU-Recht fristgerecht und korrekt umzusetzen. Hierzu gehören die regelmäßigen Berichte und Anzeiger, die über die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten informieren.

    2.15

    Darüber hinaus hat die Kommission verschiedene Aktionen eingeleitet, um Bürger und Bürgerinnen und Unternehmen über ihre Rechte zu informieren und sie zu ermutigen, diese Rechte bei den einzelstaatlichen Behörden und vor nationalen Gerichten auch wahrzunehmen. Beispielsweise ist es das Ziel der Kontaktstellen für Bürger und Unternehmen sowie der SOLVIT-Zentren, die Schwierigkeiten zu ermitteln, die Einzelpersonen und Unternehmen bislang entstanden sind, die sich in anderen Mitgliedstaaten aufhalten bzw. dort tätig sind.

    2.16

    Der jüngste Bericht über die Fälle, mit denen die SOLVIT-Zentren konfrontiert wurden, macht deutlich, dass über 50 % aller Probleme die Anerkennung der beruflichen Qualifikation, den Marktzugang für Produkte, die Zulassung von Kraftfahrzeugen sowie Aufenthaltsgenehmigungen betreffen. Zwar konnten 80 % der Fälle erfolgreich abgeschlossen werden, aber die statistischen Daten zeigen, dass die Probleme nicht neu sind. Bürger und Unternehmen sehen sich vor allem deswegen großen Schwierigkeiten ausgesetzt, weil die Verfahren bürokratisch und die einzelstaatlichen Behörden nicht bereit sind, ihre Anforderungen zu rationalisieren. Ungeachtet des Erfolgs der SOLVIT-Zentren werden 20 % der Probleme nicht gelöst. Die Mitgliedstaaten sollten darauf hinwirken, dass dieser Prozentsatz reduziert wird und die nationalen SOLVIT-Büros sowie das europäische SOLVIT-Netzwerk — bei Unternehmen und Bürgern gleichermaßen — im Bekanntheitsgrad steigen.

    2.17

    Die Erweiterung der Europäischen Union stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Die Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten kann nur dann erfolgreich vonstatten gehen, wenn die Konsultations- und Überwachungsmechanismen entsprechend ausgebaut werden.

    2.18

    Dieser Ausbau der Konsultations- und Überwachungsmechanismen wurde insbesondere im Zuge der jüngsten Erweiterung und bei den Parametern deutlich, die auf dem Europäischen Rat von Brüssel im Dezember 2004 bezüglich der künftigen Erweiterungen beschlossen wurden. Künftige Mitgliedstaaten werden durch die Kommission einer genaueren Überprüfung unterzogen, und es wird erwartet, dass sie den Acquis communautaire zum großen Teil umgesetzt haben, bevor sie der EU beitreten. Es wird ferner erwartet, dass Übergangsregelungen, die ihnen zugestanden wurden, schneller zum Abschluss gebracht werden.

    3.   Notwendige Überlegungen

    3.1

    Eine effiziente Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts sind von großer Bedeutung für Bürger und Unternehmen. Sie sind integraler Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit. Die häufig unterschiedlichen Auslegungen der gemeinsam verabschiedeten Rechtsvorschriften haben Fragen der Bürger und Bürgerinnen und der Unternehmen zur Folge, wie beispielsweise: Wo kann ich mich beschweren? Wer ist zuständig? Was kann kurzfristig unternommen werden? Grundlegender noch ist aber die Frage: In welchem Ausmaße führt eine ineffektive Durchführung zu Verzögerungen oder Veränderungen des Investitionsverhaltens und zu einem Vertrauensverlust bei den Bürgern? Diese Frage berührt auch die Legitimität, Kohärenz und Vorhersehbarkeit der EU-Politik. Eine weiterhin schleppende Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts kann nicht länger hingenommen werden.

    3.2

    Die große Komplexität und die undurchsichtigen Entwicklungen bei der genauen Durchführung der auf EU-Ebene verabschiedeten Richtlinien erfordern eine allumfassende SWOT-Analyse des bestehenden Systems: Wo stehen wir? Wo liegen die Gründe für bestehende Probleme? Mit welchen Herausforderungen sind die Mitgliedstaaten konfrontiert? Was streben die Mitgliedstaaten an, wie soll das Verhältnis und die Interaktion zwischen Subsidiarität und EU-Kontrolle aussehen? Anders ausgedrückt: Wer überprüft was und nach welchen Kriterien? In welchem Maße entsprechen die Rechtsinstrumente und die derzeitigen Verfahren den Zielen der europäischen Integration? Wie werden die EU und die Mitgliedstaaten auf Unternehmen und Bürger reagieren, die sich über die mangelhafte und mitunter kontraproduktive Art der Umsetzung, Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts in einzelstaatlichen Vorschriften und Praktiken beschweren?

    3.3

    Zusätzlich zu den Diskussionen über Verbesserungen in den Mitgliedstaaten müssen diese bohrenden Fragen gestellt werden, um zwischen den politischen Entscheidungsträgern und Beamten auf der einen Seite und der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite eine breit angelegte und offene Debatte über wünschenswerte Anpassungen der Verfahren und Methoden auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene anzuregen. Dadurch soll das Bewusstsein über die Auswirkungen einer korrekten Umsetzung, Durchführung und Durchsetzung der gesamten EU-Politik geweckt werden.

    3.4

    Es ist notwendig, Überlegungen über die Auswirkungen anzustellen, die künftige Erweiterungen auf die Kohärenz und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts innerhalb der EU haben. Die EU sollte auch darüber nachdenken, wie vermieden werden kann, dass eine Union von 27 oder mehr Mitgliedstaaten, die eine noch größere Vielfalt aufweist, sich selbst in eine Lage manövriert, in der Handel, Investitionen und die Niederlassung erschwert werden.

    3.5

    Es gibt verschiedene Ansichten, wie das Problem einer fehlerhaften Anwendung des EU-Rechts gelöst werden kann, das aus einer politischen Perspektive mit dem Spannungsverhältnis zwischen Subsidiarität und einem gemeinschaftlichen Ansatz zusammenhängt. Zum einen gibt es die Ansicht, die zwar die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Recht gänzlich anerkennt, von der Kommission aber erwartet, dass sie diese genau verfolgt. Ein zweiter Ansatz basiert auf der Subsidiarität: Den Mitgliedstaaten soll Freiraum gewährt werden, und jeder soll sich um seine eigenen Probleme kümmern. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass die Mitgliedstaaten größere Verantwortung übernehmen, indem sie einander zur Rechenschaft ziehen, während die Kommission genau auf die Einhaltung achtet und nötigenfalls von ihren rechtlichen Befugnissen Gebrauch macht.

    3.6

    Als Hüterin der Verträge und als Initiatorin der Rechtsetzung spielt die Kommission eine wichtige Rolle, nämlich das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten. Sie trägt die Verantwortung, einfache und durchsetzbare Rechtsvorschriften vorzuschlagen, durch die die Probleme im Binnenmarkt gelöst werden, ohne den Mitgliedstaaten und Unternehmen übermäßige Kosten aufzubürden. Die Kommission hat in den vergangenen Jahren große Anstrengungen zur Vereinfachung der Rechtsetzung und zur Folgenabschätzung der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften unternommen. Gleichzeitig muss sie auch bei Zuwiderhandlungen schnell und entschieden handeln. Die Kommission sollte der Frage nachgehen, wie die Empfehlungen zur fristgerechten und korrekten Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, die sie 2004 (siehe oben) abgegeben hat, auch auf die Durchführung und Durchsetzung ausgedehnt werden könnten.

    3.7

    Die Mitgliedstaaten sind als Anteilseigner der Union verpflichtet, der Union gegenüber loyal zu sein, ihren Verpflichtungen nachzukommen, die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben zu erleichtern und von einer Gefährdung der Vertragsziele gemäß Artikel 10 EG-Vertrag Abstand zu nehmen. Es liegt auf der Hand, dass durch die Einstellung der Mitgliedstaaten nach außen hin deutlich werden muss, dass sie sich mit der EU identifizieren und sie voll und ganz hinter den Entscheidungen der Union stehen (15).

    3.8

    Der Europäische Gerichtshof hat durch zahlreiche Urteile deutlich gemacht, dass Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung mangelhafter oder ungenauer Durchführung des Gemeinschaftsrechts nicht auf interne Verwaltungsschwierigkeiten verweisen können. Diese Urteile können dazu beitragen, die für die Zukunft vorgesehenen Verfahrensweisen zu verbessern.

    3.9

    Es wird ferner notwendig sein darüber nachzudenken, welche rechtlich bindenden und außerrechtlichen Instrumente und Verfahren am ehesten geeignet sind, eine effiziente Umsetzung der Politik in einer Union mit mehr als 30 Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

    3.10

    Der Einsatz außerrechtlicher Instrumente und Verfahren zeitigte eher unterschiedliche Ergebnisse. Die Methode der offenen Koordinierung hat offensichtlich trotz eines vielversprechenden Anfangs nicht zum Erfolg geführt. Dagegen waren die SOLVIT-Zentren in der Lage, 80 % der Probleme zu lösen, mit denen sie befasst wurden.

    3.11

    Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit hat in seinen Beschlüssen vom März 2005 die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre interne Gesetzgebung auf Kompatibilität mit dem EU-Recht hin zu überprüfen, um Markthemmnisse abzubauen und den Wettbewerb zu ermöglichen. Das Europäische Parlament hat ebenfalls anerkannt, wie vorteilhaft es ist, wenn einzelstaatliche Verwaltungen die Übereinstimmung mit dem EU-Recht in ihren Ländern überwachen. Durch eine derartige Überprüfung werden Handelshemmnisse identifiziert und abgebaut, ob sie nun von falscher Durchführung oder einem Mangel bei der Durchsetzung des EU-Rechts oder aber einfach von den administrativen Vorgehensweisen herrühren, die nicht im Einklang mit den EU-Anforderungen stehen.

    4.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    4.1   Allgemeines

    4.1.1

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts unverzichtbare Bestandteile einer besseren Rechtsetzung sind und deshalb zu den politischen Prioritäten gehören (16). Dies ist bisher trotz einer in die richtige Richtung weisenden Änderung des Ansatzes in einigen Mitgliedstaaten und innerhalb der Kommission noch nicht der Fall. Die Gesetzgeber haben die Erfordernisse zur Durchführung und Durchsetzung bislang oft nur in unzureichendem Maße berücksichtigt. Beständige Folgenabschätzungen für eine bessere Rechtsetzung werden auch in Betracht ziehen müssen, auf welche Weise das Gemeinschaftsrecht entwickelt werden sollte und es durchgesetzt werden muss. Der gesamte Prozess ist eine Voraussetzung, um gleiche Bedingungen für alle Beteiligten zu schaffen und die Legitimität der EU zu stärken.

    4.1.2

    Grundsätzlich liegt es in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, für eine korrekte Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts Sorge zu tragen. Die Aufgabe der Kommission als der Hüterin der Verträge besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen auch nachkommen. Die Kommission kann jede Fehlentwicklung durch Vertragsverletzungsverfahren oder andere Maßnahmen bekämpfen, die für angemessen erachtet werden, Probleme im Zusammenhang mit der fehlerhaften Anwendung von EU-Recht zu lösen.

    4.1.3

    Als Folge der interinstitutionellen Vereinbarung aus dem Jahre 2003 berät der Rat derzeit über eine Verbesserung der Rechtsetzung und eine Vereinfachung des Rechts. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine effizientere Anwendung nicht nur der Richtlinien, die in den Mitgliedstaaten durchzusetzen sind, sondern aller EU-Rechtsvorschriften im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen muss.

    4.1.4

    Der EWSA ist der Meinung, dass der Rat für Wettbewerbsfähigkeit, der den Binnenmarkt zum zentralen Bestandteil des Integrationsprozesses erklärt hat, der natürliche Partner der Kommission auf EU-Ebene sein sollte, wenn es um Fragen der Durchführung und Durchsetzung von EU-Recht geht.

    4.1.5

    Ein sehr wichtiger und häufig entscheidender Aspekt ist, dass die internen verwaltungsrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten außerhalb des Anwendungsbereichs der Verträge liegen. Doch folgt aus Artikel 10 des EG-Vertrags sowie aus der Rechtsprechung, dass die nationalen Behörden dafür Sorge tragen müssen, dass das EU-Recht korrekt durchgeführt und durchgesetzt wird. In diesem Zusammenhang verweist der EWSA mit Nachdruck auf die Mitverantwortung der Mitgliedstaaten der EU.

    4.1.6

    Der Erlass neuer EU-Rechtsvorschriften stand viel zu lange im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der EWSA ist wie die Kommission der Meinung, dass in der EU-25 das Hauptaugenmerk auf die Durchführung und Durchsetzung des geltenden Gemeinschaftsrechts gerichtet werden sollte und nicht auf die Hinzufügung neuer Regelungen. Ein neues Gemeinschaftsrecht bietet keine echte Alternative, weil es viel Zeit in Anspruch nehmen und beträchtliche Ressourcen erfordern würde. Aber auch der ausschließliche Einsatz von Rechtsmitteln, um die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, die Probleme anzugehen, wäre genauso zeitraubend und würde knappe Ressourcen binden. Vielmehr ist ein Wandel der Rechtskulturen vonnöten, wobei sich Mitgliedstaaten und Kommission nicht mehr auf neue Verordnungen konzentrieren, sondern mehr auf Durchführung und Durchsetzung des bestehenden Rechts, also dafür Sorge tragen, dass verabschiedetes Gemeinschaftsrecht und die gemeinsame Politik ihre volle Effizienz erlangen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Betonung auf Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts als ein Alibi verwendet werden kann, wenn in Bereichen, in denen neue Rechtsvorschriften benötigt werden, nichts unternommen wird.

    4.1.7

    Die Überprüfung des bestehenden und bereits umgesetzten EU-Rechts — siehe auch die Erfahrungen in Dänemark — wird sich positiv auf den Prozess einer besseren Rechtsetzung auswirken. Es handelt sich um ein anschauliches Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Vereinfachung und Verbesserung der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts.

    4.1.8

    Die Alternativen, d.h. Selbstregulierung und Koregulierung (17), müssen von Fall zu Fall überprüft werden, um herauszufinden, wo diese Systeme greifen und wo nicht. Trotz des erforderlichen Anreizes für Selbst- und Koregulierungsinitiativen muss die Durchführbarkeit dieser Alternativen im Zuge der konkreten Anwendung geprüft werden.

    4.1.9

    Nach Ansicht des EWSA liegt es ebenfalls auf der Hand, dass die wachsenden Schwierigkeiten bei der Durchführung und Durchsetzung auf nationaler Ebene durch eine engere Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden und den Gemeinschaftsinstitutionen angegangen und gelöst werden müssen.

    4.1.10

    Der EWSA ist der Ansicht, dass eine derart intensivierte Zusammenarbeit auch zur Vermeidung überflüssigen Gemeinschaftsrechts dient, das kaum der richtige Weg ist, einzelstaatliche Umsetzungsverfahren zu optimieren. Diese sind zu langsam und schwerfällig und suchen oft mit unverhältnismäßigen Mitteln nationale politische Zielsetzungen zu verfolgen.

    4.2   Die Mitgliedstaaten

    4.2.1

    Nach Ansicht des EWSA sollten die Mitgliedstaaten auch weiterhin nach ihrem Ermessen eigene Methoden und Verfahren zur Durchführung des EU-Rechts festlegen können. Diese Methoden und Verfahren könnten von den Mitgliedstaaten und der Kommission auch in ihren Folgenabschätzungen zur Sprache kommen.

    4.2.2

    Welche Methoden oder Verfahren die Mitgliedstaaten auch immer wählen, um EU-Recht oder nationales Recht, das Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes hat, durchzuführen, so müssen sie nach Ansicht des EWSA doch innerhalb der gesamten EU zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Außerdem müssen es die Ergebnisse ermöglichen, dass das primäre und abgeleitete Recht der EU tatsächlich seine Wirkung entfaltet.

    4.2.3

    Nach Ansicht des EWSA ist es im Zusammenhang mit den Mitgliedstaaten auch angebracht, dass die der nationalen Ebene nachgeordneten Körperschaften einbezogen werden, die mit Gesetzgebungsbefugnissen ausgestattet und/oder für die Umsetzung von Rechtsvorschriften verantwortlich sind (z.B. Länder, Provinzen, Regionen).

    4.2.4

    Der nächste Schritt in der Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den einzelstaatlichen Behörden zur Durchführung des EU-Rechts und der europäischen Politik sollte nach Meinung des EWSA darin bestehen, die nationalen Verwaltungskapazitäten zur Anwendung und Durchsetzung der Politik zu stärken oder zu rationalisieren, wie dies zur Zeit in einigen Mitgliedstaaten diskutiert wird.

    4.2.5

    Die Verwaltungskapazitäten sind eine Angelegenheit gemeinsamen Interesses, und die Mitgliedstaaten sollten nachweisen, dass ihre Behörden zur Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts über solche Kapazitäten auf hoher Ebene verfügen. Für den EWSA setzt dies unter anderem eine enge Zusammenarbeit zwischen den in Brüssel tätigen Beamten und den Legislativorganen auf der einzelstaatlichen Ebene voraus.

    4.2.6

    Eine besondere Maßnahme ist in den Augen des EWSA der Einsatz nationaler Regulierungsbehörden auf einigen Gebieten wie dem der Telekommunikation. Nationale Regulierungsbehörden sind gleichzeitig dem europäischen Recht und den nationalen Überwachungsinstanzen verpflichtet. Auch diese Verfahren müssen einer genauen Untersuchung unterzogen werden.

    4.2.7

    Die Mitgliedstaaten sollten dazu angeregt werden, interne Regelungen und Verfahrensweisen einer Überprüfung zu unterziehen (was einige Staaten, wie z.B. Dänemark, bereits tun). Probleme bei der Umsetzung des EU-Rechts entstehen häufig deswegen, weil einzelstaatliche Regelungen und Verfahrensweisen nicht genügend auf den großen europäischen Markt abgestimmt sind.

    4.2.8

    Eine besondere Art der Umsetzung des EU-Rechts ist das „gold-plating“ und das „cherry-picking“, die übergenaue und die selektive Umsetzung der EU-Gesetzgebung. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine allgemeine Regelung festgelegt werden könnte, nach der Mitgliedstaaten, wenn sie über ihre nationalen Umsetzungsmaßnahmen berichten, der Kommission durch Umsetzungstabellen formell begründen, dass diese in vollständigem Einklang mit dem EU-Recht stehen.

    4.2.9

    Es mag wünschenswert sein, dass die Mitgliedstaaten sowohl ihren eigenen Verwaltungen als auch der Öffentlichkeit ausführlichere und bessere Informationen über Rechte und Pflichten zukommen lassen. Häufig ist fehlende Information der Grund für die Nichteinhaltung des Gemeinschaftsrechts. Der EWSA regt an, nationale Sanktionen für Nichteinhaltung des EU-Rechts durch Bürger oder Unternehmen in Erwägung zu ziehen.

    4.2.10

    Zur Zeit sind die Verhandlungen über Umsetzung und Durchführung des EU-Rechts im Wesentlichen auf bilaterale Kontakte zwischen den Regierungen und der Kommission beschränkt. Hier ist eine stärkere Interaktion und Flexibilität gefragt. Der Einfluss multilateraler Gespräche, die bereits mit Blick auf Umsetzung und Anwendung in Gruppen nationaler Sachverständiger stattfinden, sollte verstärkt werden. Es ist notwendig, dass alle betroffenen Behörden innerhalb der EU in allen politischen Bereichen eine regelmäßige und sachliche Diskussion über die erreichten Ergebnisse und über die Erfahrungen der einzelnen Mitgliedstaaten führen. In gleicher Weise sind auch Ex-post-Bewertungen wünschenswert.

    4.2.11

    Im Zuge der bilateralen Kontakte zwischen den Mitgliedstaaten sollte der Austausch von Beamten im Rahmen der erfolgreichen Partnerschaften in Betracht gezogen werden, die den neuen Mitgliedstaaten und den Bewerberländern eine große Hilfe sind.

    4.2.12

    Ex-post-Bewertungen von Richtlinien und angewandtem EU-Recht müssen systematisch durchgeführt werden. Da Konsultationen eine der Grundvoraussetzungen für eine bessere Rechtsetzung sind, müssen ähnliche Verfahren auch für den Prozess der Ex-post-Bewertungen vorgesehen werden (18). Die eigentlichen Legislativorgane sollten nicht für diese Bewertungen zuständig sein, aus denen gegebenenfalls auch hervorgehen kann, dass bestimmte Vorschriften künftig notwendig und relevant sind.

    4.2.13

    Diese Diskussionen werden nach Ansicht des EWSA dazu führen, systematisch bewährte Verfahrensweisen zu ermitteln, die von den Behörden in der ganzen EU übernommen werden können. In den Fällen, in denen Unterschiede in der Verwaltungsstruktur der einzelnen Mitgliedstaaten die Übernahme derartiger bewährter Praktiken verhindern, sollten die nationalen Behörden nachweisen müssen, wie sie durch Anwendung eigener Methoden und Verfahren zu Ergebnissen gelangen, die mit denen anderer Mitgliedstaaten, die bewährte Verfahrensweisen anwenden, vergleichbar sind. Die Beachtung einer „Vorrangregelung“ beispielsweise ist ein derartiges bewährtes Verfahren, das in einigen Mitgliedstaaten angewandt wird. Dabei gilt das Prinzip, dass die Umsetzung des EU-Rechts immer Vorrang vor der Durchführung nationalen Rechts hat.

    4.2.14

    Die nationalen Behörden sind in der Regel der Regierung oder Ministern und gegebenenfalls auch dem Parlament rechenschaftspflichtig. Da mangelhafte oder fehlende Umsetzung des EU-Rechts sich auch nachteilig auf die Interessen der Bürger und Bürgerinnen sowie der Unternehmen anderer Mitgliedstaaten auswirken kann, sollte die EU nach Ansicht des EWSA ein neues Konzept der gegenseitigen Verantwortlichkeit gegenüber den entsprechenden Behörden in anderen Mitgliedstaaten entwickeln. (19)

    4.2.15

    Die einzelstaatlichen Behörden müssen ihren Partnern ihre Verwaltungsverfahren, formale Entscheidungen und andere mit der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zusammenhängende Aktionen erläutern, wenn die Partner in anderen Mitgliedstaaten den Eindruck gewinnen, dass diese Praktiken, Entscheidungen und Aktionen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes behindern.

    4.2.16

    Für den EWSA ist es von großer Wichtigkeit, dass die Mitgliedstaaten regelmäßig die Leistungsfähigkeit ihrer mit der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts beauftragten Behörden sowie die Übereinstimmung der internen Regelungen, Verordnungen und Verwaltungspraktiken mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts überprüfen.

    4.2.17

    Im Zuge der künftigen Erweiterung der EU müssen Kandidatenländer den gesamten Acquis communautaire umgesetzt haben. Der EWSA hält es für wünschenswert, dass sie über angemessene Verwaltungskapazitäten verfügen, um ihn vor dem Beitritt zur EU korrekt umzusetzen.

    4.2.18

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten bereit sein müssen, zur ernsthaften Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts umfangreichere Human- und Finanzressourcen einzusetzen. Der Ausschuss verweist auf den auffallenden Unterschied zwischen den für die Methode der offenen Koordinierung zur Verfügung gestellten Mitteln (Beamte, Tagungen, Dokumente) und den finanziellen und personellen Schwierigkeiten in vielen Mitgliedstaaten bei der Unterstützung derart wichtiger Netze wie SOLVIT. Eine positive Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang beispielsweise Schweden.

    4.2.19

    Große Aufmerksamkeit verdient die Arbeitsweise der Gerichte — der Organe, die in großem Umfang dafür zuständig sind, das Gemeinschaftsrecht (Verordnungen) und das daraus resultierende Recht (Richtlinien) auszulegen und unmittelbar anzuwenden, und bei denen erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Vereinheitlichung der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Schnelligkeit seiner Anwendung auf konkrete Fälle festzustellen sind. Daraus erwächst die besondere Notwendigkeit der Ausbildung von Richtern und Anwälten auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts, vor allem in den Bereichen Wettbewerb, Gesundheitswesen und Verbraucherschutz.

    4.3   Die Kommission

    4.3.1

    Der EWSA ist der Meinung, dass es auch Aufgabe der Kommission ist — neben ihren Bemühungen, in ihren eigenen Diensten eine bessere Rechtsetzung auf den Weg zu bringen –, das Vertrauen zwischen den für die Durchsetzung des EU-Rechts zuständigen Behörden zu fördern und die Netze der einzelstaatlichen Behörden, die systematische Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit und damit die Ermittlung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu unterstützen. Durch besondere Instrumente wie Informationssysteme kann sie dazu beitragen, die tägliche administrative Zusammenarbeit zwischen den Beamten zu erleichtern. In diesem Zusammenhang stellt der Beratende Ausschuss für den Binnenmarkt für Kommission und Mitgliedstaaten ein nützliches Forum dar. Das gleiche gilt für den geplanten Informationsdienst zu Fragen des Binnenmarkts, mit dem die Kommission die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördern will.

    4.3.2

    Zusätzlich zu den Instrumenten, die die Kommission in ihrer Mitteilung zur besseren Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts  (20) im Hinblick auf die Vermeidung von Vertragsverletzungen aufführt, ist nach Ansicht des EWSA eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden von großer Bedeutung. Die Kommission kann dabei behilflich sein, nationale Verfahrensweisen — selbst wenn diese nicht zu formellen Vertragsverletzungsverfahren geführt haben — zu überprüfen sowie das Lösen von Problemen zu vereinfachen und die Anwendung bewährter Verfahren in den Mitgliedstaaten zu fördern.

    4.3.3

    Der EWSA empfiehlt, dass die Kommission aufgefordert wird, die Durchführungsstrukturen in den Mitgliedstaaten zu überprüfen — gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines neutralen Partners — und regelmäßig in Form von Anzeigern über Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zu berichten.

    4.3.4

    Von der EU finanzierte Fortbildungsprogramme, die auf nationalen Studien und Erfahrungen beruhen und Beteiligte aus ganz Europa an einen Tisch bringen, müssen gefördert werden. Die jüngst erfolgte und von der Kommission finanzierte Weiterbildungsmaßnahme für Richter im Wettbewerbsrecht zeitigte positive Ergebnisse. Derartige Fortbildungsprogramme für Richter an unteren und regionalen Gerichten sowie für Beschäftigte öffentlicher Verwaltungen müssen auf allen relevanten Gebieten ausgeweitet werden, da die notwendigen Sachkenntnisse häufig immer noch fehlen. Auch die Rolle der Ombudsmänner könnte berücksichtigt werden.

    4.3.5

    Die Kommission sollte sich ernsthaft um Alternativen für formale rechtliche Schritte bemühen, die für den Kläger oft zu zeitraubend sind. 50 % der Vertragsverletzungsverfahren dauern mehr als vier Jahre! Alternativen umfassen Paketsitzungen und Instrumente wie SOLVIT. Die Kommission könnte eine Veröffentlichung der Ergebnisse der Paketsitzungen in Erwägung ziehen.

    4.3.6

    Das Hauptanliegen sollte darin bestehen, die angemessensten Maßnahmen zu ermitteln, durch die die Politik zum gewünschten Erfolg geführt werden kann. In besonderen Fällen und um verlässliche Resultate in den Mitgliedstaaten zu erhalten, könnte die Kommission erwägen, Vorschläge für eine Verordnung anstatt Vorschläge für eine Richtlinie zu machen. Allgemein gesprochen sollte die Kommission die Probleme berücksichtigen, die aus den verschiedenen einzelstaatlichen Umsetzungsverfahren für das EU-Recht erwachsen.

    4.3.7

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Kommission mit den nötigen Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden sollte, damit sie ihre traditionelle Aufgabe erfüllen und die Umsetzung des EU-Rechts überwachen kann, gleichzeitig aber auch in der Lage ist, ihre neue Aufgabe wahrzunehmen, nämlich die Ermittlung und Verbreitung bewährter Praktiken zu fördern. Der EWSA begrüßt die von der Kommission für das Jahr 2006 geplante interne Überprüfung, um die bestehenden Verfahrensweisen und Arbeitsmethoden auf diesem Gebiet zu analysieren.

    4.3.8

    Die Kommission sollte ermutigt werden, ihre Bemühungen um eine Überwachung der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zu rationalisieren. Dazu könnten auch umfangreichere Ressourcen in der Kommission erforderlich sein. In diesem Zusammenhang ist eine größere Kohärenz zwischen den Ansätzen der verschiedenen Generaldirektionen vonnöten.

    4.4   Gutes Regieren und die Gesellschaft

    4.4.1

    Nach Ansicht des EWSA dürfen Berichterstattung und Beratung über Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts sowie deren Überwachung nicht auf Verwaltungen und Beamte beschränkt bleiben. Das Europäische Parlament wie auch die nationalen Parlamente sollten in diesen Prozess mit einbezogen werden. Der EWSA begrüßt die kürzlich vom Europäischen Parlament ergriffene Initiative, Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts auf seine Tagesordnung zu setzen. Diese Maßnahme wird sicherlich dazu beitragen, die dringend erforderliche politische Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken.

    4.4.2

    Im Rahmen der Initiative für besseres Regieren hat die Kommission weitreichende Konsultationen durchgeführt. (21) Gleiches wurde auch von den Mitgliedstaaten erwartet. Einige abgeleitete Rechtsvorschriften wie Verordnungen zum Wettbewerb oder Richtlinien zur Telekommunikation setzen voraus, dass die einzelstaatlichen Behörden die betroffenen Parteien stets anhören, bevor sie Maßnahmen treffen. In einigen Mitgliedstaaten werden traditionell Volksbefragungen durchgeführt, um die Politik besser gestalten und beurteilen zu können. Die meisten Mitgliedstaaten führen eine Art von Folgenabschätzung in Bezug auf finanzielle Auswirkungen oder Folgen für die Umwelt durch. Bei der Folgenabschätzung gibt es beide Phasen — eine Konsultation und eine Bewertungskomponente. Derartige Konsultationen und Bewertungen, durch die im Grunde die Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen und der Unternehmen sowie die Auswirkungen der Politik auf sie ermittelt werden, sorgen nach Ansicht des EWSA für ein besseres Verständnis politischer Maßnahmen, stärken ihre Legitimität und bilden die Grundlage für Verbesserungen der Politik.

    4.4.3

    Wegen der Komplexität dieser Prozesse setzt gutes Regieren voraus, dass in ganz Europa erklärt wird, dass ungeachtet der Subsidiarität und besonderer Verwaltungstraditionen die Regierungen verpflichtet sind, die Rechtsvorschriften umzusetzen, über die sie sich auf EU-Ebene geeinigt haben. Das bedeutet gleichermaßen, dass neben der Kommission und den Mitgliedstaaten auch ein Engagement des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft höchst willkommen ist, um Verbesserungen und vorbildliche Verfahrensweisen zu verbreiten.

    4.4.4

    Nach Ansicht des EWSA ist eine ausgewogene Öffentlichkeitsarbeit erforderlich, sobald Kommission und Mitgliedstaaten konkrete Vorstellungen darüber entwickelt haben, wie die Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts als integraler Bestandteil einer besseren Rechtsetzung präsentiert werden können.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Die Ergebnisse einer vom EWSA durchgeführten Umfrage über mögliche Mängel und Defizite bei der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten sind in Anhang B zusammengefasst.

    (2)  Unter Ziffer 11 der Schlussfolgerungen heißt es, dass der Rat die Mitgliedstaaten auffordert, ihre Anstrengungen zur Reduzierung der Umsetzungsdefizite zu verdoppeln sowie eine Überprüfung ihrer internen Gesetzgebung auf Kompatibilität mit dem EU-Recht hin in Erwägung zu ziehen.

    (3)  An dieser Stelle soll auf die British Better Regulation Task Force hingewiesen werden, die in den Jahren 2003 und 2004 drei nützliche Dokumente über die Gesetzgebung auf nationaler und europäischer Ebene sowie deren Umsetzung veröffentlicht hat. Die Untersuchungen und Empfehlungen heben unter anderem die Notwendigkeit einer präzisen und effizienten Gesetzgebung hervor, um die notwendige Interaktion zwischen den verschiedenen Prozessen zum Erfolg zu führen.

    (4)  Entschließungen des Rates vom 16. Juni 1994, 29. Juni 1995 and 8 Juli 1996, siehe Hans Petter Graver: „National Implementation of EU Law and the Shaping of European Administrative Policy“, in: ARENA Working Papers WP 02/17, S. 6.

    (5)  Ebd. S. 21.

    (6)  Siehe die Empfehlung der Europäischen Kommission vom 12. Juli 2004, 2005/309/EG.

    (7)  Weißbuch über Europäisches Regieren, KOM(2001) 428 endg., S. 25.

    (8)  Verbesserte Umsetzung der Richtlinien des neuen Konzepts, KOM(2003) 240 endg., S. 3.

    (9)  KOM(2005) 11 endg., 27. Januar 2005.

    (10)  ABl. L 98/47 vom 16.4.2005.

    (11)  Artikel 94 - 97 des EG-Vertrages.

    (12)  Siehe das Weißbuch über Europäisches Regieren, KOM(2001) 428 endg.

    (13)  Z.B. 21. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, KOM(2004) 839, 30.12.2004.

    (14)  Siehe auch: J. Vervaele: Compliance and Enforcement of European Community Law, The Hague, Kluwer Law International, 1999; Ph. Nicolaides, From Graphite to Diamond: The Importance of Institutional Structure in Establishing Capacity for Effective and Credible Application of EU Rules, European Institute of Public Administration, 2002 sowie darin angeführte Referenzen.

    (15)  Eine Analyse der gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden macht deutlich, in welch enttäuschendem Ausmaß das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und „Brüssel“ von der öffentlichen Meinung und einigen Politikern (!) durch die Verwendung der Ausdrücke „wir hier“ und „die da“ charakterisiert wird.

    (16)  Diese Meinung steht vollkommen im Einklang mit den Ansichten, die in den Stellungnahmen des EWSA seit dem Jahre 2000 bezüglich der Aktualisierung, Vereinfachung und Verbesserung des Acquis communautaire sowie des Regelungsumfeldes geäußert wurden.

    (17)  „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“, Berichterstatter: Herr Vever, CESE 1182/2004.

    (18)  In den Ergebnissen der EWSA-Fragebogenaktion – siehe Anhang B – werden Beispiele aufgeführt, die die Notwendigkeit derartiger Ex-post-Bewertungen unterstreichen.

    (19)  Zumal kürzlich das Vereinigte Königreich ein Gremium für die Rechenschaftspflicht der Regionen in Sachen Rechtsetzung eingerichtet hat. Aus diesem Gremium könnten auch nützliche, auf der EU-Ebene zu verwendende Elemente hervorgehen.

    (20)  KOM(2002) 725 endg. vom 11.12.2002.

    (21)  Siehe KOM(2002) 713 endg. vom 11.12.2002.


    ANHANG

    zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Folgende Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

    Ziffer 1.2

    ergänzen wie folgt:

    „Die Europäische Union ist auf Rechtsstaatlichkeit gegründet. Das Recht stärkt die Grundlagen des Binnenmarktes und verhindert jegliche Diskriminierung von Waren, Personen oder Unternehmen aus Gründen der Herkunft oder Nationalität. Eine effiziente Anwendung des EU-Rechts unter strikter Beachtung der bestehenden Sozial-, Konsumentenschutz- und Umweltschutznormen stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die europäische Politik und die europäischen Verfahren und unterstreicht die Bedeutung der EU im Zusammenhang mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. Das setzt allerdings eine rechtzeitige und korrekte Umsetzung des EU-Rechts auf nationaler Ebene voraus.“

    Begründung

    Nur ein durch obige Rahmenbedingungen geordneter Binnenmarkt wird die gewünschten Ergebnisse für den überwiegenden Teil der Bevölkerung sicherstellen. Die Volksabstimmungen (zur EU-Verfassung in FR, NL) und Umfragen (Eurobarometer) der letzten Zeit zeigen, dass die Bevölkerung deutlich eine Politik wünscht, in der sie sich insgesamt wiederfinden kann.

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen: 43

    Nein-Stimmen: 45

    Stimmenthaltungen: 7

    Ziffer 2.1

    ändern wie folgt:

    „2.1

    Während im Im EG-Vertrag sind eine Reihe von Maßnahmen für die Annäherung und Angleichung von Vorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarktes vorgesehen. sind.  (1) , haben Die Erfahrungen in den 70er und frühen 80er Jahren haben deutlich gemacht, dass eine vollständige Harmonisierung ein zeitraubender, mühseliger und unnötiger Prozess ist. eine große Herausforderung darstellt. Maßnahmen, die auf gegenseitiger Anerkennung sowie auf einzelstaatlicher Kontrolle beruhen, lassen sich in manchen Fällen zwar leichter aushandeln und umsetzen. Sie sind auch effizienter, wenn es darum geht, Handel und Investitionstätigkeit zu erleichtern, ohne übermäßige Auflagen für die Unternehmen. Für einem flächendeckenden Ansatz des Herkunftslandprinzips müssen jedoch erst die Voraussetzungen geschaffen werden, indem ein differenzierter Ansatz mit dem Vorrang auf Harmonisierung mit hohen Arbeitnehmer-, Verbraucher- und Umweltstandards in den einzelnen Sektoren verfolgt wird. Nur so lässt sich der Binnenmarkt insgesamt auf einem angemessenen Qualitätsniveau verwirklichen. Dies entspricht auch der Forderung des EWSA in seiner Stellungnahme zur Dienstleistungsrichtlinie, die im Februar 2005 (2) verabschiedet wurde. Es muss indes auch darauf hingewiesen werden, dass die EU in eine neue Phase eingetreten ist, die durch zunehmende Unterschiede der Regierungskulturen gekennzeichnet ist. Das könnte zu dem Wunsch führen, weitere Verordnungen zu erlassen, um Konvergenz und die Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu gewährleisten.“

    Begründung

    In der aktuellen Stellungnahme die Harmonisierung der Vorschriften weitgehend in Frage zu stellen, wäre nach der langen Diskussion im Rahmen der Stellungnahme zur Dienstleistungsrichtlinie, nach dem schließlich obiger Konsens gefunden wurde, unangebracht. Die Erkenntnisse aus dieser Diskussion hier anzuführen trägt nicht nur zur besseren Abstimmung der Stellungnahmen des EWSA bei, sondern ist auch eine hilfreiche inhaltliche Ergänzung zum hier angesprochenen Thema der Harmonisierung.

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen: 44

    Nein-Stimmen: 48

    Stimmenthaltungen: 9

    Der folgende Text der Stellungnahme der Fachgruppe, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde zugunsten eines Änderungsantrags abgelehnt:

    Ziffer 1.1

    „1.1

    Ein gut funktionierender Binnenmarkt ist das Kernstück der europäischen Integration. Er legitimiert die Integration, weil er den Bürgern und Unternehmen erhebliche Vorteile bietet.“

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen: 38

    Nein-Stimmen: 44

    Stimmenthaltungen: 10


    (1)  Artikel 94-97 des EG-Vertrages.

    (2)  ABl. C 221 vom 8.9.2005.


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