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Document 52011IE1593

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Präventivmaßnahmen zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch“ (ergänzende Stellungnahme)

    ABl. C 24 vom 28.1.2012, p. 154–158 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    28.1.2012   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/154


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Präventivmaßnahmen zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch“ (ergänzende Stellungnahme)

    2012/C 24/33

    Berichterstatterin: Madi SHARMA

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011, gemäß Artikel 29 Buchstabe A der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung eine ergänzende Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    Präventivmaßnahmen zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch“ (ergänzende Stellungnahme).

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2011 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 475. Plenartagung am 26./27. Oktober 2011 (Sitzung vom 26. Oktober) mit 79 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) verurteilt sexuellen Missbrauch von Kindern aufs Schärfste und begrüßt die Zusage der Kommission, die Anstrengungen der EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu intensivieren, indem sie eine neue Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie vorlegt.

    1.2

    In einer früheren Stellungnahme (1) hatte der EWSA Empfehlungen zu der vorgeschlagenen Richtlinie abgegeben. Die Prävention wird in der Richtlinie zwar als Ziel genannt, aber nur unzureichend behandelt. Prävention auf mehreren Ebenen ist für den Schutz der Kinder von grundlegender Bedeutung. Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, leiden nicht nur an einer untolerierbaren Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, sondern auch an lebenslangen, schrecklichen sozialen, emotionalen und psychologischen Folgen. In dieser ergänzenden Stellungnahme sollen Empfehlungen zur Prävention ausgesprochen werden.

    1.3

    Der EWSA wiederholt seine Forderung an die Mitgliedstaaten und an die Europäische Union, im Rahmen des neuen Vertrags von Lissabon dringend das Übereinkommen des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch  (2) und das Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention betreffend den Kinderhandel, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie  (3) zu unterzeichnen und zu ratifizieren, damit die EU besser imstande ist, dem sexuellen Missbrauch von Kindern vorzubeugen.

    1.4

    Die Europäische Union muss einen kohärenten und einheitlichen Ansatz zur Prävention des sexuellen Missbrauchs von Kindern in den Mitgliedstaaten entwickeln. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, sich für die Annahme einer EU-Präventionsstrategie gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern einzusetzen, in der eine klare Vision der Mitgliedstaaten der Europäischen Union für den Schutz von Kindern und die Stärkung ihrer Position formuliert wird. Die Ziele der Strategie sollten sich auf folgende vier Bereiche beziehen:

    1.

    Erziehung und Bildung

    Kindgerechte Programme zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung

    Fortbildung und Unterstützung für Fachkräfte und Freiwillige

    Medienschulung

    Programme für konstruktive Kindererziehung

    Sichere Internetnutzung

    2.

    Strafverfolgung und sonstige unterstützende Strukturen

    Kontrollmechanismen

    Notrufnummer für vermisste Kinder

    Warnsystem für vermisste Kinder

    Internationales Strafverfolgungssystem

    3.

    Rolle der Zivilgesellschaft

    Weitere Fördermittel zur Entwicklung bestehender Programme

    Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit

    4.

    Forschung und Normen

    Europäische Zentralstelle

    Sicht und Meinungen von Kindern

    Internetsicherheitsnormen und Beseitigung von Kindermissbrauchsinhalten

    1.5

    Die in dieser Stellungnahme aufgeführten Maßnahmen sind nicht erschöpfend (4). Der EWSA begrüßt die Aktivitäten der vielen zivilgesellschaftlichen Akteure – insbesondere der NGO – zur Einführung von Präventivmaßnahmen. Die Beispiele für bewährte Praktiken sind zu umfangreich, um hier aufgelistet zu werden, sie können für andere jedoch überaus lehrreich sein. Deshalb hat der EWSA eine Datenbank mit diesbezüglichen Informationen erstellt (5).

    2.   Hintergrund und Ziele

    2.1

    Das wesentliche Bestreben vorbeugender Maßnahmen muss die Beseitigung des sexuellen Missbrauchs von Kindern sein. Alle Maßnahmen müssen den Grundsätzen der UN-Kinderrechtskonvention entsprechen. Im Einklang mit diesem Übereinkommen wird als Kind eine Person unter 18 Jahren definiert.

    2.2

    Der sexuelle Missbrauch von Kindern äußert sich in vielen Formen: Inzest und sexueller Missbrauch, Pornographie, Prostitution, Menschenhandel, Korruption und sexuelle Übergriffe unter Gleichaltrigen (6). Missbrauch muss auf mehreren Ebenen bekämpft werden: auf lokaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene. Vorbeugende Maßnahmen müssen koordiniert werden und auf allen Ebenen kohärent sein. Vorbeugende Maßnahmen müssen ständig überwacht werden, um sicherzustellen, dass sie den sich wandelnden Strukturen und bewährten Verfahren entsprechen und neue Möglichkeiten des Kindesmissbrauchs (etwa durch neue Technologien) konterkarieren können.

    2.3

    Kinder sind in besonders hohem Maße durch alle Formen des Missbrauchs gefährdet und fallen im Vergleich zu Erwachsenen häufiger Verbrechen im Allgemeinen einschließlich Übergriffen und Vergewaltigung zum Opfer. Trotz fehlender Statistiken deuten die vorhandenen Angaben darauf hin, dass jedes fünfte Kind in Europa im Lauf seiner Kindheit mindestens einmal Opfer sexuellen Missbrauchs wird  (7). Es wird davon ausgegangen, dass das Opfer den Täter in 70-85 % der Fälle kennt; dies sollte bei den vorbeugenden Maßnahmen besondere Berücksichtigung finden. Sowohl Jungen als auch Mädchen und alle ethnischen Gruppen und Bevölkerungsschichten sind betroffen. Wenngleich einige Untersuchungen nahelegen, dass sexueller Missbrauch von Kindern oft im Alter von 12-13 Jahren beginnt, konzentrieren sich viele Präventionsstrategien hauptsächlich auf jüngere Kinder. „Schutzbedürftige“ Kinder einschließlich Kinder mit Behinderungen, Heimkinder, von ihren Eltern getrennte und verschleppte Kinder, Kinder mit Drogen- und Alkoholproblemen, sozial benachteiligte Kinder sowie Kinder, die bereits zuvor Opfer von Missbrauch wurden, sind üblicherweise am stärksten gefährdet.

    2.4

    Die EU bekräftigt die Rechte des Kindes in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und in ihrer Grundrechtecharta, vor allem in Artikel 24, in der die positive Verpflichtung verankert ist, den notwendigen Schutz der Kinder sicherzustellen, wobei die Sorge für deren Wohl an erster Stelle stehen muss. Dies führte zu gezielten Maßnahmen zur Förderung, Sicherung und Durchsetzung der Kinderrechte (8).

    2.5

    Der EWSA begrüßt die vor Kurzem erfolgte Vorlage einer EU-Agenda für die Rechte des Kindes durch die EU-Kommission. Ausgehend von den Grundsätzen der Charta der Grundrechte stehen in der Agenda Maßnahmen in wesentlichen Bereichen - u.a. Sicherheit im Internet und Schutz vor Menschenhandel - die Rechte des Kindes im Mittelpunkt der Politik.

    2.6

    Ein wesentliches Ziel dieser Stellungnahme besteht darin, hervorzuheben, dass „präventive“ Maßnahmen möglich sind und dass auf diesem Gebiet bereits viel gute Arbeit von vielen Akteuren geleistet wird. Der EWSA begrüßt die Aktivitäten der vielen zivilgesellschaftlichen Akteure - insbesondere der NGO - zur Einführung von Präventivmaßnahmen. Die Beispiele für bewährte Praktiken sind zu umfangreich, um in dieser Stellungnahme aufgelistet zu werden, sie können für andere jedoch überaus lehrreich sein, da auf den Erfahrungen aufgebaut und die Zivilgesellschaft aktiviert werden kann. Deshalb hat der EWSA eine Datenbank mit den entsprechenden Informationen erstellt (9).

    3.   Allgemeine Bemerkungen - Vorbeugende Maßnahmen

    3.1

    Vorbeugende Maßnahmen sollten ganzheitlich konzipiert und auf das Kindeswohl ausgerichtet sein und so früh wie möglich mit einem Mindestmaß an Intervention greifen. In diesem Bereich gibt es viele hervorragende Initiativen, die Unterstützung verdienen. Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, eine EU-Präventionsstrategie gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern anzunehmen und umzusetzen. Diese sollte eine zwischen den Mitgliedstaaten koordinierte Vision zur Geltung bringen und sich auf die Ziele der untenstehend aufgeführten vier Bereiche stützen.

    3.2

    Der EWSA ist sich bewusst, dass die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern eine sehr komplexe Herausforderung ist. Diese Form des Missbrauchs ist oft unsichtbar, da die Taten grundsätzlich im Verborgenen geschehen und die Opfer aus einer diffusen Mischung von Scham, Furcht oder Unkenntnis ihrer Rechte selten Anzeige erstatten. Durch das Internet und andere Technologien ergeben sich für potenzielle Täter und die Produktion und Verbreitung von kinderpornografischem Material neue Möglichkeiten. Aufgrund der Reisefreiheit können Täter die am stärksten benachteiligten Kinder ins Visier nehmen. Die Täter werden raffinierter und sind zunehmend besser organisiert, wodurch jüngere Kinder mehr und mehr gefährdet sind. Ca. 10 % der Fälle werden den Kinderschutzdiensten gemeldet (10). Kinderschänder kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten; die meisten Täter sind nicht aufgrund einer Sexualstraftat verurteilt worden (11).

    3.3

    Primäre Präventionsmaßnahmen, die greifen sollen, bevor es zum Missbrauch kommt, sollten auf die am stärksten benachteiligten Kinder ausgerichtet sein, die akut oder langfristig gesehen gefährdet sind. Direkte Maßnahmen wie öffentliche Bildungsmaßnahmen und frühzeitiges Eingreifen sind lediglich erste Schritte. Es sollten auch Maßnahmen zur Verhinderung einer sekundären Viktimisierung ergriffen werden, um ggf. den „Missbrauchskreislauf“ zu durchbrechen. Des Weiteren sollte ein Schwerpunkt auf der Therapierung der (potenziellen) Täter liegen.

    3.4

    Wenngleich Missbrauch meistens in der Familie oder im Bekanntenkreis geschieht (12), kann dieser auch im Rahmen einer straff organisierten Kriminalität durch mehrere Täter verübt werden. Hiermit können enorme Profite erzielt werden - Menschenhandel ist weltweit die drittgrößte internationale Verbrechensform (13). Weltweit sind ca. 2,5 Mio. Menschen Opfer von Menschenhandel (14). Von diesen werden schätzungsweise 43 % sexuell ausgebeutet, von denen wiederum fast die Hälfte Kinder sein dürften (15). Sexueller Missbrauch von Kindern ist oft ein grenzübergreifendes Verbrechen, das auch grenzübergreifend bekämpft werden muss.

    3.5

    Die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen ist unerlässlich, um ihre Ansichten zur Kenntnis zu nehmen und in Präventionsstrategien zu integrieren. Es gibt viele solcher Modelle, die bereits funktionieren (16). Der Gebrauch von Kinder- und Jugendsprache ermutigt Kinder dazu, offener über dieses Thema zu sprechen und dieses Tabu zu brechen.

    4.   Bereich 1: Erziehung und Bildung

    4.1

    Der EWSA empfiehlt, alle Kinder in den Mitgliedstaaten mit Programmen zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung über den sexuellen Missbrauch von Kindern zu erreichen. Hierbei kommt es darauf an, dass die Kinder altersgerecht informiert und in die Lage versetzt werden, über sexuellen Missbrauch zu sprechen.

    4.2

    Bildungsprogramme haben sich in anderen Bereichen als erfolgreiche Primärpräventionsstrategie erwiesen. Sie sind hervorragend zur Vorbeugung geeignet und der ideale Weg, um zur Meldung von Missbrauch zu ermutigen. Wo möglich, können Bewusstseinsbildungsprogramme in bestehende Programme - z.B. die „Stay Safe“- (17) und „SPHE“-Programme - integriert werden (18). Die Programme sollten

    entwicklungsgerecht sein, eine gesunde geschlechtliche Entwicklung fördern, Viktimisierung vermeiden und dadurch das Selbstbewusstsein der Kinder stärken;

    spezifisch auf Kinder und weniger auf Eltern ausgerichtet sein, wobei älteren Kinder besondere Beachtung geschenkt werden sollte;

    die Umsetzung gezielter Präventionskonzepte für die am stärksten gefährdeten Kinder ermöglichen;

    in Verbindung mit kindgerechten und leicht zugänglichen Angeboten in Bezug auf Beratung, Beschwerden und Anzeigeerstattung stehen (19);

    an notwendige flankierende Dienste gekoppelt sein, die auch über ausreichend Personal verfügen;

    regelmäßig beobachtet und im Lichte neuer bewährter Verfahren bewertet werden.

    4.3

    Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, eine obligatorische Fortbildung zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern für Fachkräfte und Freiwillige einzuführen, die mit Kindern arbeiten, insbesondere im Gesundheits-, (formalen und informellen) Bildungs- und Strafverfolgungsbereich. Hierbei müssen alle Berufsverbände, Gewerkschaften und Sozialpartner ebenso wie Religionsgemeinschaften, Sport- und Freizeitvereine mitwirken. Es sollte angemessene Hilfsmechanismen wie regelmäßige Supervision und psychologische Unterstützung für diejenigen geben, die Opfer von Kindesmissbrauch betreuen.

    4.4

    Der EWSA empfiehlt, Bildungsprogramme für die Medien bereitzustellen. Ethische Leitlinien für das Melden von Verdachtsfällen sollten ebenfalls entwickelt werden.

    4.5

    Programme für konstruktive Kindererziehung sollten verfügbar sein, mit denen Eltern und Familien bei der Vorbeugung von sexuellem Missbrauch unterstützt werden. Eltern sollten im Rahmen der prä- und postnatalen Vorsorge Information zu Vorbeugemaßnahmen erhalten.

    4.6

    Der EWSA unterstützt Initiativen wie das Programm der Europäischen Kommission „Mehr Sicherheit im Internet“ (20) und die Netzwerke Insafe (21) und INHOPE (22), mit denen eine sichere Internetnutzung gefördert wird und zu deren Zielgruppe nicht nur Kinder gehören (23).

    5.   Bereich 2: Strafverfolgung und sonstige unterstützende Strukturen

    5.1

    Der EWSA empfiehlt einen kohärenten Ansatz der Mitgliedstaaten bezüglich Strafverfolgung, Informationsaustausch und der Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und eingetragenen internationalen Organisationen. Dies sollte bilaterale Abkommen, wirksamere IT-Instrumente für die Ermittlungsarbeit und bessere Kontrollmechanismen beinhalten. Lange Wartezeiten bis zur gerichtlichen Verfolgung können auf Opfer, die Anzeige erstatten wollen, abschreckend wirken. Daher sollten Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern vorrangig bearbeitet werden. Ernsthaft erwogen werden sollte die Möglichkeit, Gerichtsverhandlungen in Abwesenheit des Opfers abzuhalten. Dringend nötig ist eine angemessene Fortbildung des Strafverfolgungspersonals im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern; die Erstellung von Verhörprotokollen trägt zur Vermeidung sekundärer Viktimisierung bei. Kohärente europaweite Normen werden dazu beitragen, dass sich die Täter nicht in andere Mitgliedstaaten absetzen können. Die vor Kurzem von Europol und weiteren Behörden durchgeführte „Operation Rescue“, bei der über 200 Kinder (24) identifiziert und gerettet wurden, machte deutlich, wie die Europäische Union weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen kann.

    5.2

    Ein kohärenter Ansatz zur Überprüfung all derer, die mit Kindern arbeiten, ist unbedingt erforderlich, um Schlupflöcher zwischen den Mitgliedstaaten zu schließen. Es sollte eine obligatorische Überprüfung jedes Einzelnen auf Vergehen gegen Kinder geben, die eine Prüfung unbewerteter Anhaltspunkte einschließt (d.h. von Informationen über Personen, die als eine Gefahr für Kinder einzustufen sind, jedoch nicht strafrechtlich verurteilt sind). Der EWSA verweist - wie auch in seiner vorherigen Stellungnahme (25) auf das Modell der „Multi-Agency Public Protection Arrangements“ (26).

    5.3

    Es wurde zwar eine europaweite Notrufnummer für vermisste Kinder zugewiesen, die jedoch nur in 16 Mitgliedstaaten funktioniert; die verbleibenden 11 Mitgliedstaaten müssen unverzüglich tätig werden, um einen gut funktionierenden Notrufdienst sicherzustellen (27). Dieser Dienst muss mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet und mit den notwendigen flankierenden Diensten gekoppelt werden. Außerdem könnte über eine Ausweitung des Dienstes auf Länder außerhalb der EU nachgedacht werden.

    5.4

    Einzelne Mitgliedstaaten verfügen zwar über wirksame Arbeitsmodelle (28), der EWSA empfiehlt jedoch, ein koordiniertes europaweites Warnsystem für vermisste Kinder nach Maßgabe des „Amber Alert“ in den Vereinigten Staaten (29) einzurichten.

    5.5

    Schließlich wiederholt der EWSA seine Forderung nach einer internationalen Strafverfolgungsagentur, die bei Kindesmissbrauchsfällen in der ganzen Welt ermittelt, die Opfer identifiziert und die Täter verfolgt (30).

    6.   Bereich 3: Rolle der Zivilgesellschaft

    6.1

    Für die Verhütung des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist jeder Einzelne in der Gesellschaft verantwortlich. Der EWSA empfiehlt, dass staatliche Behörden und Akteure der Zivilgesellschaft weiterhin zusammenarbeiten, um entsprechende Präventionsmaßnahmen durchzuführen. Der EWSA unterstützt Initiativen wie die „1 in 5 campaign“ (31) und die „Unterwäsche-Regel“ (32) des Europarates. Auf Ebene der NGO wären „Stop it now!“ (33) sowie spezifische Kampagnen wie „Cut Them Free“ von Barnado's UK (34) sowie „ECPAT International and The Body Shop Stop Sex Trafficking of Children and Young People campaign“ (35) als Beispiele für die Tätigkeit der Zivilgesellschaft zu nennen.

    6.2

    Arbeitgeber, Gewerkschaften und weitere Organisationen der Zivilgesellschaft stehen in der Pflicht, deutliche Leitlinien für den Arbeitsplatz festzulegen, um sicherzustellen, dass sexueller Missbrauch von Kindern nicht toleriert wird (36). Die Bekämpfung dieser Vergehen gehört zur sozialen Verantwortung der Unternehmen. Die Wirtschaft, etwa die Tourismus- und Hotelbranche, hat auch eine wichtige Rolle zu spielen (37). Der EWSA ruft die Organisationen auf, die entsprechende vom EWSA vorgeschlagene Absichtserklärung (38) zu unterzeichnen, die in der vom EWSA erstellten Datenbank bewährter Praktiken in den Mitgliedstaaten enthalten ist. Der EWSA (39) verweist erneut darauf, dass weitere Mittel für die Ausweitung und Entwicklung der Programme bereitgestellt werden müssen, die von den zivilgesellschaftlichen Partnern durchgeführt werden.

    6.3

    Es sollte eine weltweite Sensibilisierungskampagne für Anzeigeerstattung bei sexuellem Missbrauch von Kindern geben, unterstützt durch eine kostenlose internationale Telefon-Hotline einschließlich eines Online-Mechanismus, mit dem Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet werden können (40). Diese könnte ähnlich wie das von „Child Helpline International“ betriebene Netzwerk funktionieren. Eine solche Hotline sollte an die notwendigen flankierenden Dienste gekoppelt sein.

    6.4

    Durch die aktive Förderung des Welttages zur Prävention von Kindesmissbrauch (41), der jedes Jahr am 19. November stattfindet, können die Zivilgesellschaft und die Regierungen zur Bewusstseinsbildung über den sexuellen Missbrauch von Kindern und zum Aufbau einer Präventionskultur beitragen.

    7.   Bereich 4: Forschung und Normen

    7.1

    Der EWSA fordert eine verstärkte Forschung, um den Mangel an Daten zu sexuellem Missbrauch von Kindern zu beheben, ein klareres Bild von den Profilen der Opfer und der Täter zu erhalten und bewährte Praktiken auszutauschen. Derzeit kommt ein Großteil der Daten von Strafverfolgungsbehörden. Es sollte eine Europäische Zentralstelle für die Forschung zur Prävention von Kindesmissbrauch, für entsprechende Maßnahmen und deren Umsetzung eingerichtet werden, ähnlich dem „National Child Protection Clearinghouse“ (42) in Australien oder dem „Child Welfare Information Gateway“ (43) in den Vereinigten Staaten. Dies würde auf den Arbeiten aufbauen, die im Rahmen individueller Projekte, etwa dem „European Online Grooming Project“, oder auf Länderebene, etwa Child Focus Belgien (44), durchgeführt werden. Gemeinsame, europaweite Definitionen würden den Austausch und die bessere Vergleichbarkeit der Daten fördern.

    7.2

    Die Forschung zum sexuellen Missbrauch von Kindern muss die Sicht und die Meinungen von Kindern berücksichtigen (45).

    7.3

    Der EWSA spricht sich für klar festgelegte, europaweite Internetsicherheitsnormen aus. Im Zusammenhang damit, dass „Internetanbieter (…) angeregt oder dabei unterstützt werden [können], auf freiwilliger Basis Verhaltenkodizes und Leitlinien für die Sperrung des Zugangs zu derartigen Internetseiten zu entwickeln“ (46), möchte der EWSA betonen, dass es vorrangig darum gehen muss, die Inhalte bereits an der Quelle zu entfernen, und nur wenn dies nicht möglich ist (z.B. weil diese außerhalb der EU liegen), den Zugang zu solchen Seiten zu sperren. Dies sollte innerhalb der EU zu einer gesetzlichen Vorschrift gemacht werden, wenn die Wirtschaft, die Internetdiensteanbieter, die Wirtschafts- und Finanzakteure wie etwa die Kreditkartenunternehmen es wirklich ernst mit ihrem Kampf gegen diese Form von Missbrauch meinen. Der EWSA ermutigt die Anbieter sozialer Netzwerke, die Selbstverpflichtungserklärung „Sichere Grundsätze für das Social Networking in der EU“ (2009) (47) zu unterzeichnen.

    7.4

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, in diesem Bereich die Koordinierung zu übernehmen, um einen europaweiten kohärenten Ansatz zu ermöglichen.

    Brüssel, den 26. Oktober 2011

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


    (1)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates“, ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 138-144.

    (2)  Die Tschechische Republik und Lettland haben dieses Übereinkommen noch nicht unterzeichnet; 15 Mitgliedstaaten haben es noch nicht ratifiziert (http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=201&CM=&DF=&CL=ENG).

    (3)  Die Tschechische Republik, Finnland und Irland haben das Fakultativprotokoll noch nicht ratifiziert (http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-11-c&chapter=4&lang=en).

    (4)  Sie wurden in Abstimmung mit dem irischen Kinderschutzbund (Children’s Rights Alliance Ireland) zusammengestellt, einem Zusammenschluss von über 90 NGO, die sich für die Rechte und Bedürfnisse von Kindern in Irland und für die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention einsetzen (www.childrensrights.ie), sowie europäischer NGO, die in diesem Bereich tätig sind.

    (5)  http://www.eesc.europa.eu/prevent-child-abuse.

    (6)  Kampagne des Europarats zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder: www.coe.int/t/dg3/children/1in5/source/Outline_en.pdf.

    (7)  Ebda.

    (8)  Z.B. die EU-Strategie für die Jugend, in der ein bereichsübergreifender Ansatz in Jugendfragen verfolgt wird und durch die die Zusammenarbeit bei der Politikgestaltung vertieft wird: http://europa.eu/legislation_summaries/education_training_youth/youth/ef0015_de.htm.

    (9)  Siehe Fußnote 6.

    (10)  Rede des stellvertretenden Generalsekretärs des Europarates auf dem fünften europäischen Forum für die Rechte des Kindes, Italien (November 2010): www.coe.int/t/dc/press/news/20101129_disc_sga_en.asp.

    (11)  FINKELHOR, The Prevention of Childhood Sexual Abuse (2009), S. 178.

    (12)  Siehe Fußnote 6.

    (13)  ECPAT International, Factsheet – Sex Trafficking of Children in the UK.

    (14)  Internationale Arbeitsorganisation, „Forced Labour Statistics Factsheet“ (2007).

    (15)  Rede von Viviane REDING, „A renewed commitment to children's rights“ (October 2010): http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=SPEECH/10/550&format=HTML&aged=1&language=EN&guiLanguage=en.

    (16)  Z.B. „Kiko und die Hand“ vom Europarat.

    (17)  Ein Programm zur Missbrauchprävention für irische Grundschulen: www.staysafe.ie.

    (18)  Mit dem Programm „Social, Personal and Health Education“ für irische Oberschulen wird die persönliche Entwicklung, die Gesundheit und das Wohlbefinden junger Menschen gefördert: www.sphe.ie.

    (19)  Siehe z.B. den gemeinsamen Bericht des Sonderberichterstatters über den Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie und der UN-Sonderbeauftragten zu Gewalt gegen Kinder über kindgerechte und leicht zugängliche Angebote in Bezug auf Beratung, Beschwerden und Anzeigeerstattung, http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/16session/A-HRC-16-56.pdf. Siehe auch die Resolution 2005/20 des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen zu Leitlinien für den Schutz kindlicher Opfer und Zeugen von Straftaten in Justizverfahren, www.un.org/docs/ecosoc/documents/2005/resolutions/Resolution%202005-20.pdf.

    (20)  http://ec.europa.eu/information_society/activities/sip/index_en.htm.

    (21)  Ein europäisches Netzwerk von Sensibilisierungszentren zur Förderung einer sicheren und verantwortungsvollen Internetnutzung junger Menschen, www.saferinternet.org.

    (22)  Eine Initiative zur anonymen Anzeige illegaler Internetinhalte einschließlich Kinderpornographie, www.inhope.org.

    (23)  Eine ähnliche NGO-Initiative wurde von Child Focus Belgien ergriffen.

    (24)  „More than 200 children identified and rescued in worldwide police operation“ (Über 200 Kinder bei weltweiter Polizeiaktion identifiziert und gerettet), https://www.europol.europa.eu/content/press/more-200-children-identified-and-rescued-worldwide-police-operation-465.

    (25)  ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 43-48.

    (26)  Ein britisches Modell zur Einschätzung von Sexualstraftätern in deren Umfeld, an dem verschiedene Instanzen beteiligt sind.

    (27)  http://www.missingchildreneurope.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=46:news01&catid=1:latest-news&Itemid=68.

    (28)  Z.B. „Child Alert“ in Belgien, www.childalert.be.

    (29)  www.amberalert.gov.

    (30)  Siehe Fußnote 1.

    (31)  Der EWSA hat sich bereit erklärt, Dokumente dieser Kampagne des Europarats in eine Reihe von Sprachen zu übersetzen.

    (32)  www.coe.int/t/dg3/children/1in5/default_en.asp und www.underwearrule.org.

    (33)  Diese Kampagne in Großbritannien und Irland wird von der Lucy-Faithfull-Stiftung zur Vorbeugung des sexuellen Missbrauchs von Kindern organisiert, www.stopitnow.org.uk bzw. www.lucyfaithfull.org.

    (34)  www.barnardos.org.uk/get_involved/campaign_form/cutthemfree.htm.

    (35)  Im Rahmen dieser weltweiten Kampagne wurden 2,3 Mio. Unterschriften in der EU gesammelt (Stand vom 22. Juni 2011), www.thebodyshop.com.

    (36)  Artikel 3, Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention betreffend den Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie.

    (37)  Z.B. Accor Hotels und die Weltorganisation für Tourismus.

    (38)  Anhang I zur Stellungnahme des EWSA zum Thema „Schutz gefährdeter Kinder vor auf Auslandsreisen verübten Sexualstraftaten“ (ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 43–48).

    (39)  Siehe Fußnote 1.

    (40)  Siehe Fußnote 25.

    (41)  http://www.woman.ch/index.php?page=children_19nov&hl=de_DE.

    (42)  www.aifs.gov.au/nch.

    (43)  www.childwelfare.gov/index.cfm.

    (44)  www.stopchildporno.be.

    (45)  Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention.

    (46)  Siehe Fußnote 1.

    (47)  http://ec.europa.eu/information_society/activities/social_networking/docs/sn_principles.pdf.


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