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Document 52005AE1074

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Armut unter Frauen in Europa

    ABl. C 24 vom 31.1.2006, p. 95–101 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/95


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Armut unter Frauen in Europa“

    (2006/C 24/18)

    Das Europäische Parlament beschloss am 28. April 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen: „Armut unter Frauen in Europa“.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2005 an. Berichterstatterin war Frau KING.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 29. September) mit 79 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Hintergrund

    1.1   Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut

    Die UNO-Vollversammlung hat den 17. Oktober zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut bestimmt, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Ausmerzung von Armut und Not in allen Ländern zu schärfen.

    1.2   Frauen und Armut in der EU

    Der Ausschuss der Regionen, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und das Europäische Parlament erstellen zur Zeit jeweils ein Dokument zum Thema „Frauen und Armut in der EU“, die an diesem Tag vorgestellt werden sollen, um einen Beitrag zu der breit angelegten Debatte über das Wesen der Armut in der heutigen EU zu leisten. Obwohl jedes dieser Dokumente aus einem anderen Blickwinkel verfasst wird, besteht zwischen diesen EU-Institutionen ein hohes Maß an Koordination.

    1.3   Die Definition von Armutsrisiko

    Armutsrisiko wird definiert als der Anteil von Personen mit einem Einkommen von unter 60 % des nationalen Durchschnittseinkommens. Unter Einkommen wird das gesamte dem Haushalt zur Verfügung stehende Einkommen, aufgeschlüsselt auf die einzelnen Haushaltsmitglieder, verstanden.

    1.4   Die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der EU

    Im Jahr 2000 einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine Gemeinschaftliche Strategie zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut (2000), bei der die Methode der offenen Koordinierung zum Tragen kommt. Diese Strategie umfasst gemeinsame Ziele sowie die Verpflichtung jedes Mitgliedstaates, entsprechend diesen Zielen halbjährlich einen nationalen Aktionsplan vorzulegen. Die Indikatoren beinhalten vier Aspekte der sozialen Eingliederung — finanzielle Armut, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung. Gleichberechtigung von Frauen und Männern als übergreifendes Ziel ist nicht Teil dieser EU-Strategie.

    1999 verabschiedete der Rat eine konzertierte Strategie zur Modernisierung des Sozialschutzes. Der Sozialschutz ist ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in den EU-Mitgliedstaaten. Die Strategie beinhaltet drei Schwerpunktthemen — Politik zur Eingliederung in die Gesellschaft, Reform des Rentensystems und Reform der Gesundheitssysteme. Gleichstellung der Geschlechter gehört nicht dazu.

    Angesichts der Ergebnisse der jüngsten Referenden zur EU-Verfassung hat der britische Ratsvorsitz für Oktober 2005 eine Mitteilung über die Sozialschutzsysteme angekündigt.

    1.5   Rechtsrahmen

    Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung fallen generell in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Die Gemeinschaft unterstützt und ergänzt jedoch nach Artikel 136 und 137 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung.

    Artikel 13 des Vertrages gestattet es der EU, Vorkehrungen — unter anderem rechtlicher Art — zu treffen, um gegen Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung vorzugehen.

    1.6   Verbreitung der Armut in der Europäischen Union

    Die Zahl der von relativer Einkommensarmut betroffenen Menschen in der Europäischen Union ist hoch: im Jahr 2001 waren über 55 Millionen Menschen, das entspricht 15 % der Bevölkerung der EU, armutsgefährdet (1). Über der Hälfte von ihnen stand dauerhaft nur ein geringes relatives Einkommen zur Verfügung. Der Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich: er liegt zwischen 9 % (Schweden) und 21 % (Irland). Generell sind Frauen in signifikant höherem Ausmaß davon betroffen.

    1.7   Umfang der sozialen Ausgrenzung

    Je länger eine Person mit einem geringen Einkommen auskommen muss, desto mehr besteht die Gefahr der Benachteiligung und des Ausschlusses vom gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Geschehen. In allen Mitgliedstaaten hatte im Jahr 2001 die Hälfte oder sogar mehr als die Hälfte der armutsgefährdeten Personen über einen längeren Zeitraum nur ein geringes Einkommen zur Verfügung, das heißt, dass ihr verfügbares Einkommen 2001 und in mindestens zwei der drei vorangegangenen Jahre (1998-2000) unter 60 % des Nettoäquivalenzeinkommens lag. 2002 waren im EU-Durchschnitt 9 % der Bevölkerung anhaltend von Armut betroffen. Auch hier sind Frauen in erheblich höherem Ausmaß davon betroffen.

    1.8   Demographische und gesellschaftliche Lage in der Europäischen Union

    Die demographische Lage in der Europäischen Union ändert sich zur Zeit drastisch: Jahrhunderte lang ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Europa stetig gewachsen, nun wird ihre Zahl bald rückläufig sein. Auf die Altersgruppe 65 Jahre und älter entfallen 16 % der Gesamtbevölkerung, wohingegen die Gruppe der unter 15jährigen 17 % ausmacht und die Lebenserwartung steigt. In den nächsten 15 Jahren wird die Zahl der über 80jährigen um fast die Hälfte ansteigen (2).

    Gleichzeitig verändert sich die Struktur der Haushalte. Eheschließungen erfolgen seltener und später, immer mehr Ehen scheitern, immer weniger Paare haben Kinder. Diese Entwicklungen bringen den Trend zu immer kleineren Haushalten durch alle Altersgruppen hindurch mit sich. Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Gary Becker stellt zusammen mit seinem Kollegen, dem Richter Richard Posner, fest, dass diese Veränderungen weitgehend ökonomisch zu erklären sind (3). Sie legen dar, dass mit der zunehmenden finanziellen Unabhängigkeit von Frauen durch Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit außerhalb des Hauses ein Wandel von der „patriarchalischen Ehe“ — mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Abhängiger — hin zur „partnerschaftlichen Ehe“ verbunden ist. Auch die Opportunitätskosten des Kinderkriegens steigen: Je größer das Einkommen und der Status der beruflichen Tätigkeit einer Frau ist, desto größer ist ihr Verzicht in Bezug auf einen möglichen beruflichen Aufstieg und in Bezug auf das Einkommen, wenn sie — ganz oder zeitweise — aus dem Erwerbsleben ausscheidet, um Kinder zu bekommen.

    Die zweite große Veränderung besteht in dem außerordentlich starken Anstieg der Zahl der Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen. Im Jahr 2000 lebten 10 % aller Kinder der Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren mit nur einem Elternteil, 1990 waren es im Vergleich dazu lediglich 6 %. Dies lässt sich auf die steigende Anzahl gescheiterter Ehen und Beziehungen sowie ungewollter Schwangerschaften zurückführen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Gelegenheit, seinen Standpunkt zu diesem Thema darzulegen, ist aber der Ansicht, dass das Schwerpunktthema besser „Geschlecht und Armut“ als „Frauen und Armut“ hätte heißen sollen, da somit das Verhältnis und die Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf die Ursachen von Armut stärker im Mittelpunkt stehen würden.

    Der Ausschuss empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die Definition von Armut zu überprüfen, da diese lediglich die offenkundigen Ursachen von Armut herausstreicht, das Ausmaß der Armut von Frauen und die Auswirkungen dieser Armut aber unterschätzt. Die Definition geht davon aus, dass die Finanzmittel eines Haushaltes innerhalb der Familie gleichmäßig verteilt sind; Armut ist jedoch eine individuelle Erfahrung, die, will man die Gender-Dimension begreifen, auf dieser individuellen Ebene untersucht werden muss.

    2.2

    Der Ausschuss begrüßt die Ankündigung des britischen Ratsvorsitzes, die Debatte über die Sozialschutzsysteme wieder aufzunehmen, und empfiehlt nachdrücklich, eine Analyse der geschlechtsspezifischen Auswirkungen vorzunehmen, um somit sicherzustellen, dass diese Systeme die Bedürfnisse von Männern und Frauen berücksichtigen. Implizit wird angenommen, dass Frauen auf das Einkommen eines Mannes zurückgreifen können. Diese Annahme, die mit der Realität der heutigen Gesellschaft nichts mehr gemein hat, ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Frauen einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt sind.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1   Die Verbreitung des Armutsrisikos

    Für Frauen ist allgemein das Risiko größer, in einem armen Haushalt zu leben: 2001 lag bei 16 % der erwachsenen Frauen (16 Jahre und älter) das Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle, dies galt nur für 14 % der Männer in derselben Altersgruppe (4). Die Situation stellt sich in allen Mitgliedstaaten vergleichbar dar. Das Armutsrisiko ist für allein Erziehende am höchsten (35 % im EU-Durchschnitt), 85 % der allein Erziehenden-Haushalte werden von Frauen geführt. Allein stehende Mütter sind einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt, wenn sie erst 18 Jahre alt oder jünger sind.

    Für die Altersgruppe 65 Jahre und älter besteht ein relativ hohes Armutsrisiko. Diese Altersgruppe besteht zu zwei Dritteln aus Frauen. Die Armutsrate unter alleinstehenden Rentnerinnen, insbesondere wenn sie über 80 Jahre alt sind oder keine Rente aus eigener Erwerbstätigkeit beziehen, ist besonders hoch. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die Tatsache, dass die Ausgaben von Rentnern mit zunehmendem Alter steigen, was hauptsächlich auf höhere Gesundheitskosten aufgrund von Behinderungen und ihren Beförderungsbedarf zurückzuführen ist.

    Untersuchungen haben ergeben, dass bei Frauen, die mehrfach diskriminiert sind — wie z.B. ältere Frauen, Frauen, die ethnischen Minderheiten- oder Einwanderergruppen angehören, Frauen mit Behinderungen, lesbischen Frauen — das Ausgrenzungs- und Armutsrisiko noch größer ist.

    3.2   Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen unter dem Aspekt der Beschäftigung

    Beschäftigung gilt als ein Schlüsselfaktor für gesellschaftliche Eingliederung und wird als der Königsweg aus der Armut betrachtet, und zwar nicht nur, weil durch Beschäftigung Einkommen entsteht, sondern auch, weil dadurch die gesellschaftliche Teilhabe und die persönliche Entwicklung gefördert werden. Dies kommt in den Zielen der Lissabon-Strategie zum Ausdruck, deren Absicht es ist, bis 2010 „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen — einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“. Die Beschäftigungsrate von Frauen ist hierzu notwendig und wichtig: ein konkretes Ziel dabei ist, die Beschäftigungsrate von Frauen bis 2010 auf 60 % zu erhöhen. Obwohl die Beschäftigungsrate von Frauen sich derjenigen von Männern nähert, sind auch erwerbstätige Frauen dem Armutsrisiko ausgesetzt. Der Grund hierfür ist in den großen Problemen zu sehen, die mit der Erwerbstätigkeit von Frauen verbunden sind: die hohe Arbeitslosenquote bei Frauen in der EU-25 (5), der schwierige Balanceakt zwischen Familie und Beruf, die Tendenz zu geschlechterspezifischer Trennung und Sektorisierung der Arbeit von Frauen, die weite Verbreitung prekärer Beschäftigungsformen mit geminderter sozialrechtlicher Absicherung sowie die unterschiedliche Entlohung von Männern und Frauen, die in allen europäischen Ländern festgestellt werden kann.

    3.2.1   Geschlechtsspezifisches Lohngefälle

    Dreißig Jahre nach der Verabschiedung der Richtlinie von 1975 zum Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verdienen Frauen im europäischen Durchschnitt bei gleicher Arbeitsleistung noch immer lediglich 85 % dessen, was ein Mann verdient (6). In zahlreichen Ländern ist dieses Differenzial weit höher und erreicht bis zu 33 %. Der EWSA teilt die Empörung des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments darüber, dass diese Kluft noch immer besteht und unterstützt dessen Empfehlung an den Rat und die Kommission, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um „dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen“.

    3.2.1.1   Die zusätzlichen Kosten des Kinderkriegens

    In vielen Untersuchungen wurde dies damit erklärt, dass es die Frauen sind, die Kinder bekommen und unverhältnismäßig mehr Zeit als Männer damit verbringen, für diese Kinder zu sorgen. Die Mehrzahl der Frauen scheidet zumindest für einen Teil ihres Lebens aus dem Erwerbsleben aus. Im Gegensatz dazu hat sich das männliche Muster im Allgemeinen durch Kontinuität und Vollzeitbeschäftigung vom Ende der Ausbildung bis zum Ruhestand ausgezeichnet. Die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit kann sich negativ auf die Entlohnung auswirken. Ein längerer Erziehungsurlaub kann auch mit kürzerer Beschäftigungsdauer, weniger Erfahrung und geringeren Fortbildungsmöglichkeiten verbunden sein. Dies erklärt sich dadurch, dass Lohnerhöhungen meist langjährigen Mitarbeitern zugute kommen. Tatsächlich ist die finanzielle Einbuße umso größer, je länger die Pause andauert.

    3.2.2   Das Bildungsniveau von Müttern

    Eine längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung von Kleinkindern ist bei Müttern mit geringem Bildungsniveau eher wahrscheinlich. Während Mütter mit abgeschlossenem Studium ihre Berufstätigkeit immer kürzer unterbrechen, hat sich das Verhalten von Müttern ohne Berufsausbildung nicht geändert. Mütter ohne Berufsausbildung bleiben tendenziell dem Erwerbsleben fern, bis das Kind zur Schule geht, während Mütter mit Hochschulabschluss tendenziell lediglich den Mutterschutz in Anspruch nehmen und die Betreuung ihres Kindes gegen Bezahlung einer anderen Person überlassen.

    Aus diesem Grunde sind Frauen mit geringerem Bildungsabschluss, die eher längere Unterbrechungen einlegen (und die auch über das geringste Verdienstpotenzial verfügen, bevor sie Kinder bekommen), finanziell am stärksten beeinträchtigt.

    3.2.3   Allein Erziehende

    Wie bereits unter Ziffer 1.8 erwähnt, ist die Zahl der allein Erziehenden gestiegen und die Zahlen weisen darauf hin, dass allein Erziehende besonders dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Da 85 % der allein erziehenden Frauen sind, ist dieses Armutsrisiko geschlechtsspezifisch. Zu einem großen Teil ist das Risiko der geringen Beschäftigungsquote zuzurechnen: lediglich 50 % der allein erziehenden Frauen gehen einer Berufstätigkeit nach, verglichen mit 68 % der verheirateten Frauen (7). Im Gegensatz zu der steigenden Beschäftigungsrate von Müttern hat sich die Beschäftigungsrate von allein erziehenden Müttern kaum verändert.

    Untersuchungen belegen, dass das fehlende Angebot an bezahlbarer Kinderbetreuung nicht das einzige Hindernis ist, das allein Erziehende von der Erwerbstätigkeit abhält. Weitere Gründe sind:

    Allein Erziehende, die nicht im Erwerbsleben stehen, verfügen in der Regel nicht über eine markttaugliche Qualifikation (8). Je geringer ihre Qualifikation, desto geringer ist ihre Chance für einen Verbleib auf dem Arbeitsmarkt. Diese hängt ganz entscheidend von den verfügbaren und leistbaren Weiterbildungsmöglichkeiten während der Elternkarenzzeit ab.

    Allein Erziehende wohnen mehrheitlich in den Gebieten, wo sich eine geringe Nachfrage nach Arbeitskräften beobachten lässt.

    Der Gesundheitszustand von allein Erziehenden, die nicht im Erwerbsleben stehen, ist im Allgemeinen schlechter und sie haben öfter ein krankes Kind oder eine andere Person im Haushalt, deren Krankheit oder Behinderung die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit einschränkt (10 % aller Alleinerziehenden, die nicht erwerbstätig sind).

    Allein Erziehende in besonderer Notlage befinden sich tendenziell in einer schlechteren moralischen Verfassung, was wiederum ein Hindernis für die Erwerbstätigkeit darstellen kann.

    Zahlreiche allein Erziehende müssen sich zumeist auch selbst um ihre Kinder kümmern und suchen eine berufliche Tätigkeit mit Arbeitszeiten, die es ihnen ermöglicht, so viel Zeit wie möglich mit ihren Kindern zu verbringen und dies mit der Berufstätigkeit zu vereinbaren. Daher sind viele von ihnen gezwungen, auf prekäre, weniger gesicherte und schlecht bezahlte Arbeitsplätze auszuweichen.

    3.2.3.1   Minderjährige Mütter

    Allein stehende Mütter sind einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt, wenn sie 18 Jahre alt oder jünger sind. In der EU sind 6 % der jungen Frauen mit 18 bereits Mutter, diese Zahl schwankt allerdings zwischen 3 % in Italien, den Niederlanden, Spanien und Schweden, 12 % in Ungarn und in der Slowakischen Republik sowie 13 % im Vereinigten Königreich (9).

    Bei minderjährigen Eltern ist im Vergleich zu Gleichaltrigen die Wahrscheinlichkeit wesentlich größer, dass sie in Armut und Arbeitslosigkeit leben und Schwierigkeiten haben, sich aus dieser Situation zu befreien; die Gründe hierfür sind im Wesentlichen in der fehlenden Ausbildung sowie den anderen eingangs genannten Aspekten zu sehen. In der EU-15 zum Beispiel leben 45 % der Frauen, die im Teenageralter Mutter geworden sind, in Haushalten, deren Einkommen zu den niedrigsten 20 % zählen, wohingegen nur 21 % der Frauen, die ihr erstes Kind zwischen 20 und 30 bekommen haben, in diese Einkommensgruppe fallen. 90 % der minderjährigen Eltern beziehen Sozialhilfe, und bei minderjährigen Müttern ist im Vergleich zu anderen allein erziehenden Müttern die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass sie ausschließlich und über einen längeren Zeitraum von Sozialhilfe leben.

    Die Mitgliedstaaten wollen vorrangig darauf hinwirken, dass die Zahl der minderjährigen Eltern zurückgeht, da dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Lebens in Armut und der Weitergabe der Armut von einer Generation zur nächsten verringert werden kann. Über die Möglichkeiten, die Zahl der Teenagerschwangerschaften zu verringern, wird ausführlich debattiert, und es wird eine breite Palette von Lösungen vorgeschlagen: sie reichen von der Forderung nach mehr Sexualerziehung zur Forderung nach weniger Sexualerziehung, von der Forderung nach einer Erziehung zur sexuellen Enthaltsamkeit zur Forderung nach der freien Ausgabe von Verhütungsmitteln in Schulen und von der Forderung nach einer Ausgabe der „Pille danach“ bis hin zur Forderung nach Überprüfung der Sozialleistungen, die das Zusammenleben und die Heirat minderjähriger Eltern fördern könnten.

    Die vier EU-Mitgliedstaaten mit der niedrigsten Zahl von Teenagerschwangerschaften könnten den anderen Mitgliedstaaten, die sich mit diesem Problem befassen, als Maßstab dienen.

    3.2.4   Armut trotz Erwerbstätigkeit

    Die stärkere Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist ein Ergebnis der gestiegenen Zahl von atypischen Arbeitsformen wie Teilzeit, Gleitzeit, Schichtarbeit und „term time“ (Beschäftigungsverhältnisse mit unbezahltem Urlaub während der Schulferien). Durchschnittlich 27 % der Frauen, aber lediglich 4 % der Männer sind teilzeitbeschäftigt (10). Tatsächlich sind die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern bei Teilzeiterwerbstätigkeit größer als bei Vollzeiterwerbstätigkeit: der durchschnittliche Stundenlohn einer Frau in Teilzeitarbeit beträgt etwa 60 % des Stundenlohns eines Mannes in Vollzeitarbeit, während eine Frau in Vollzeitarbeit 82 % des entsprechenden Stundenlohns eines Mannes erhält.

    Gering Qualifizierte, illegal Beschäftigte, Minderheiten oder Einwanderer, die nur über einen geringen oder gar keinen eigenständigen Rechtsstatus verfügen, sind besonders von Armut bedroht, da ihre Arbeit in der Regel schlecht bezahlt wird, geringes Ansehen hat und keine Arbeitsplatzsicherheit bietet. Untersuchungen haben gezeigt, dass in Extremfällen Frauen in dieser Lage von Menschenhandel, Prostitution und Gewalt bedroht sind.

    3.2.5   Unbezahlte Arbeit

    Frauen werden für ihre im häuslichen Umfeld geleistete Arbeit nach wie vor nicht bezahlt. Ungeachtet der außerordentlich großen Zahl erwerbstätiger Frauen gelten Einkaufen, Betreuung und Pflege von Angehörigen sowie Kinderbetreuung noch immer als Frauensache, während die Männer weniger als 40 % der im Haushalt anfallenden Arbeit und nur 25 bis 35 % der Aufgaben im Bereich der Kinderbetreuung übernehmen (11). Diese unentgeltlich geleistete Arbeit wird in den einzelstaatlichen Statistiken nicht systematisch erfasst und somit von den Entscheidungsträgern nicht wahrgenommen.

    Es ist hervorzuheben, dass die Vereinbarung von Familie und Beruf für Männer und Frauen ein schwieriges Unterfangen ist. Die Beschäftigungsquote von Frauen mit Kindern unter 12 Jahren fällt um mehr als 15 Prozentpunkte niedriger aus als bei Frauen ohne Kinder und liegt bei 60 % gegenüber 75 %. Die Beschäftigungsquote bei Männern mit Kindern unter 12 Jahren beträgt hingegen 91 % und liegt somit 5 Prozentpunkte höher als bei Männern ohne Kinder.

    3.2.6   Langzeitarbeitslosigkeit

    Langzeitarbeitslosigkeit geht sehr eng mit sozialer Not einher, da Personen, die lange Zeit arbeitslos waren, dazu neigen, ihre Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein, die notwendig sind, um auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, zu verlieren, wenn nicht rechtzeitig in geeigneter Weise gegengesteuert wird. EU-weit betrachtet ist die Langzeitarbeitslosenrate bei Frauen (4,5 %) höher als bei Männern (3,6 %) (12). Ungeachtet dessen sind die Programme, die dabei helfen sollen, Langzeitarbeitslose wieder in ein bezahltes Arbeitsverhältnis zu bringen, eher so ausgelegt, dass Männer davon profitieren, während Frauen eingeschränktere Ausbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen beziehungsweise stereotyp geschlechtsspezifische — und deshalb schlechter bezahlte — Stellen angeboten werden.

    3.2.7   Renten

    3.2.7.1

    Die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden Einkommensunterschiede setzen sich im Ruhestand fort. Der Grund hierfür liegt darin, dass das Rentenmodell in vielen Mitgliedstaaten aus der Perspektive der Männer entwickelt wurde und somit Frauen benachteiligt, die vielfach ihre berufliche Laufbahn unterbrechen, atypische Beschäftigungsverhältnisse eingehen oder über einen längeren Zeitraum keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Infolgedessen sind viele Frauen beim Erwerb der erforderlichen Ansprüche und Ersparnisse zur Alterssicherung benachteiligt. Zwei Drittel der Rentenempfänger sind Frauen, und im Durchschnitt liegt ihre Rente bei 53 % der eines Mannes, woraus sich Auswirkungen auf Gesundheit, Wohnung und Lebensqualität ergeben können. 75 % der Rentner, die einkommensbedingt auf Sozialhilfe angewiesen sind, sind Frauen. Deshalb gehören ältere Frauen, einschließlich Witwen und geschiedene Frauen, zu den ärmsten Rentnern. Und angesichts der langfristigen gesellschaftlichen Folgen der Alterung der Bevölkerung in der EU wird sich dieser Trend fortsetzen, wenn nichts unternommen wird, um dagegen zu wirken.

    In einer früheren Stellungnahme (13) hatte der EWSA zur Gewährleistung der Gleichstellung der Geschlechter die Anpassung der Rentensysteme mit dem langfristigen Ziel der Individualisierung der Renten empfohlen. Der EWSA empfahl ferner, die Mitgliedstaaten sollten ihre Erfahrungen untereinander austauschen, so dass die Renten insbesondere von Frauen, die ihre berufliche Laufbahn unterbrochen haben, nicht unangemessen gering ausfallen.

    In dieser früheren Stellungnahme wurde auch darauf hingewiesen, dass in manchen Mitgliedstaaten ältere Menschen zusätzlich zu den Renten noch andere Formen der Unterstützung erhalten. Hier zählen unter anderem Steuerentlastungen, kostenlose Stromversorgung, kostenlose oder ermäßigte Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie Steuerermäßigung für Mieten. Diese Empfehlung wird begrüßt, da die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen älter werden (aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung) und alleine leben (da sie ihre Partner überleben) größer ist als bei Männern. Bei Frauen ist somit die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie mit den Problemen älterer Rentenbezieher zu kämpfen haben. Der Verdienst älterer Rentner und ihre Einkünfte aus Kapitalanlagen sind im Allgemeinen geringer, während zugleich größere Ausgaben aufgrund von Behinderungen, Beförderungsbedarf und eine Wertminderung ihres Eigentums auf sie zukommen können.

    3.2.7.2

    Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, einschließlich Minderheiten angehörende Frauen und Immigrantinnen mit und ohne Aufenthaltsgenehmigung, sind noch stärker benachteiligt, da es wenig wahrscheinlich ist, dass sie über betriebliche Rentensysteme gesichert sind. Da Männer im Laufe ihres Erwerbslebens mehr verdienen als Frauen, fällt ihre Rente letztlich höher aus als diejenige von Frauen. Überdies wurden früher die Rentenansprüche an den Hauptverdiener gekoppelt, an die Person, die die Rentensprüche erworben hat, also gewöhnlich an den Mann. Durch steigende Scheidungsraten wurde dieses System in Frage gestellt, da im Falle eines Scheiterns der Beziehung in der Regel die Frau benachteiligt wird. Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat jedoch inzwischen neue Gesetze erlassen, auf deren Grundlage die Gerichte in die Lage versetzt werden, bei einer Scheidung die Rentenansprüche nach ihrem Ermessen aufzuteilen.

    3.3   Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen unter dem Aspekt der Bildung

    3.3.1

    Berufswahl und Einstieg in das Berufsleben sind abhängig vom Bildungsniveau. Erhebungen zeigen, dass dies insbesondere für Frauen zutrifft. Frauen mit hoher Schulbildung (definiert als hohes Bildungsniveau — Bildungsbereiche 5 und 6 gemäß der Internationalen Standardklassifikation für das Bildungswesen (ISCED) — gehen eher einer Erwerbstätigkeit nach als Frauen mit geringer Schulbildung (definiert als Bildungsniveau bis ISCED 2) (14). In der 25 Mitgliedstaaten umfassenden EU (EU-25) haben 49 % der Frauen im Alter von 20 bis 49 Jahren mit niedrigem Bildungsniveau einen Arbeitsplatz, wohingegen es bei den Frauen dieser Altersgruppe mit höherer Schulbildung 84 % sind. Es sei erwähnt, dass dieser bildungsbedingte Unterschied, der bei den Frauen 30 Prozentpunkte ausmacht, bei Männern der vergleichbaren Altersgruppe nur 10 Prozentpunkte beträgt (83 % im Vergleich zu 93 %). Höher qualifizierte Frauen mit Kindern bleiben allgemein weiter erwerbstätig. In der EU-25 fällt der Vergleich zwischen diesen beiden Gruppen von Frauen wie folgt aus: keine Kinder (88 % gegenüber 57 %); 1 oder 2 Kinder (80 % gegenüber 43 %); 3 oder mehr Kinder (63 % gegenüber 22 %).

    3.3.2

    Die Schul-Lehrpläne begünstigen eine Fächerwahl, die häufig stark geschlechterspezifisch getroffen wird: auf Anraten von Lehrern und Berufsberatern, die für geschlechterspezifische Fragen weder sensibilisiert noch ausgebildet sind, wählen Mädchen vielfach Ausbildungen und Berufe, die schlecht bezahlt sind. Am meisten von dieser geschlechterspezifischen Trennung betroffen sind Mädchen aus Familien, die bereits dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Untersuchungen (15) haben gezeigt, dass diese Gruppe aufgrund ihres geringen Bildungsniveaus überdurchschnittlich stark in schlecht bezahlten Arbeitsplätzen vertreten ist. Eine manuelle Tätigkeit in Teilzeitarbeit ist die für Frauen ungünstigste Beschäftigungskategorie — ungünstiger als andere Teilzeitarbeitsplätze und als eine manuelle Vollzeit-Tätigkeit, da Frauen in dieser Kategorie nur über ein sehr geringes Bildungsniveau verfügen. Diese Frauen sind in ihrer Berufswahl eingeschränkt, da ihre gesamte berufliche Laufbahn von dem Zusammenspiel von Armut und Geschlecht bestimmt wird, das sich nicht nur auf ihr Arbeitsleben und ihre Rente auswirkt, sondern auch zu einem Kreislauf generationenübergreifender Armut führen kann.

    3.3.3

    Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass in den Zielen der Lissabon-Strategie der Schwerpunkt auf Arbeitsplätzen, insbesondere auf der Beschäftigung für Frauen liegt; er weist aber darauf hin, dass dies für Frauen, die bereits von Armut bedroht sind, nicht ausreicht. Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, mit der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen, insbesondere aus dem Bereich Geschlechtergleichstellung und Armutsbekämpfung, zusammenzuarbeiten, um so den Kreislauf von lebenslanger und generationenübergreifender Armut zu durchbrechen, indem sie in den Bildungseinrichtungen einer geschlechtertypischen Berufswahl von jungen Mädchen und Jungen entgegenwirken sowie wirksame Bildungsmaßnahmen für Erwachsene entwickeln, die allen offen stehen, marktgerechte Fertigkeiten vermitteln und den Bedürfnissen dieser Frauen entgegenkommen.

    3.4   Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen unter dem Aspekt der Strafverfolgung

    3.4.1

    Bei den wegen einer strafbaren Handlung angeklagten oder verurteilten Personen sind Frauen eine Minderheit: nur jeder fünfte aktenkundige Straftäter ist eine Frau, nur 6 % der Gefängnisinsassen sind Frauen. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der weiblichen Gefängnisinsassen jedoch stark angestiegen, obwohl die Zahl der weiblichen Straftäter nicht im gleichen Maße zugenommen hat (16). Die meisten Frauen müssen für gewaltfreie Straftaten einsitzen, meist für weniger als ein Jahr. Fast ein Viertel aller weiblichen Gefängnisinsassen befindet sich in Untersuchungshaft und ist wegen keiner Straftat verurteilt.

    3.4.2

    Die gleiche Untersuchung zeigt, dass ein hoher Anteil der inhaftierten Frauen vor ihrer Inhaftierung finanziell nicht abgesichert ist, dass sie entweder nie einer Beschäftigung nachgegangen sind oder nur im Niedrig-Lohn-Sektor ohne Arbeitsplatzsicherheit gearbeitet haben, dass sie keine gesicherte Unterkunft haben, nur über sehr geringe Bildung verfügen und Opfer physischer und/oder sexueller Gewalt durch Familienmitglieder oder nicht zur Familie gehörende männliche Täter sind. Die Inhaftierung dieser Frauen stellt somit eine weitere soziale Ausgrenzung dar.

    3.4.3

    Der starke Anstieg der Zahl inhaftierter Frauen könnte durch die in einigen Mitgliedstaaten vorgenommenen Studien zu Gerichtsurteilen erklärt werden, deren Ergebnis auch in der Untersuchung belegt wird und die davon ausgeht, dass Frauen nicht selten inhaftiert werden, weil sie bereits sozial ausgegrenzt sind (ohne festen Wohnsitz, arbeitslos, drogenabhängig). Richter halten sie demnach für strafanfälliger, weil sie bereits aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind und sind der Auffassung, durch eine Inhaftierung und entsprechende Resozialisierungsmaßnahmen lasse sich die Wahrscheinlichkeit, dass bereits ausgegrenzte Frauen nach ihrer Haftentlassung wieder strafanfällig werden (oder wieder zu Drogen greifen), reduzieren.

    3.4.4

    Die Untersuchung zeigt, dass aufgrund des ungünstigen Berufs- und Bildungshintergrunds dieser Frauen, des hohen Anteils von Frauen mit psychischen Problemen (50 % in England und Wales) (17) und des relativ kurzen Gefängnisaufenthaltes der meisten weiblichen Gefangenen deren Resozialisierung und Wiedereingliederung unmöglich ist. Ob Gefängnisse Resozialisierungseinrichtungen sind, ist umstritten, aber auch wenn man dies annimmt, ist kaum davon auszugehen — das haben die Untersuchungsergebnisse gezeigt -, dass die Gefängnisse alleine dafür sorgen können, der Mehrzahl ihrer Insassen für die Zeit nach deren Entlassung eine effektive Berufsausbildung, einen nachhaltigen Drogenentzug, emotionale Unterstützung oder marktgerechte Qualifikationen zukommen zu lassen.

    3.4.5

    Gefängnisse dienen in erster Linie der Bestrafung. Die Untersuchung ergab, dass Frauen, die vor ihrer Inhaftierung sozial nicht ausgegrenzt waren, durch den Gefängnisaufenthalt eine Ausgrenzung erfahren und dass sozial bereits ausgegrenzte Frauen weiter ausgegrenzt werden. Durch die negativen Folgen für die Kinder, die eine Inhaftierung ihrer Mutter mit sich bringt, wirkt sich eine Inhaftierung für Frauen sogar noch nachteiliger aus als für Männer. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel erklärten 25 % der inhaftierten Frauen, dass der Vater ihrer Kinder, ihr Ehemann oder Partner, sich um ihre Kinder kümmere. Inhaftierte Männer gaben zu 92 % an, dass ihre Kinder von der Partnerin betreut werden. Die möglichen positiven Aspekte im Sinne von Strafvollzug, Abschreckung oder Risikominderung geraten hierdurch deutlich in den Hintergrund.

    3.4.6

    Ausländerinnen und Frauen, die einer ethnischen Minderheit angehören, sind doppelt benachteiligt und infolgedessen ist ihr Anteil im Strafvollzug unverhältnismäßig hoch.

    3.4.7

    Der Ausschuss befürwortet die in dem Bericht enthaltene Empfehlung, Maßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der inhaftierten Frauen deutlich zu reduzieren, insbesondere da sie sich vielfach in Untersuchungshaft befinden und nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden. Waren sie straffällig, so handelt es sich in der Regel um gewaltfreie Delikte. Einige Mitgliedstaaten haben weniger beeinträchtigende Alternativen zur Inhaftierung eingeführt, die es ermöglichen, dass Straftäterinnen mit vielfältigen Problemen durch die richtige Betreuung und Unterstützung resozialisiert und wieder in die Gemeinschaft eingegliedert werden.

    3.5   Bekämpfung von Frauen- und Kinderhandel

    Frauen- und Kinderhandel ist eine Folge der strukturellen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und stellt eine Form von Gewalt dar. Dieser Handel wird durch Armut bedingt, die Opfer leiden unter verschiedenen Formen von Armut, die sich unter anderem durch erzwungene Arbeit, sexuelle Ausbeutung, Gesundheitsprobleme körperlicher und psychischer Art sowie soziale Ausgrenzung auswirkt. Die Präventionsstrategien der Herkunftsstaaten und die Strategien zur Eindämmung von Armut und zur sozialen Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Möglichkeiten von Frauen müssen miteinander Hand in Hand gehen. Langfristige Präventionsstrategien müssen die eigentlichen Ursachen des Frauen- und Kinderhandels wie Armut, Diskriminierung, Rassismus, patriarchalische Strukturen, Gewalt gegenüber Frauen, Fundamentalismus, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, fehlende soziale Sicherheitsnetze, Geldwäsche, Korruption, politische Instabilität, Konflikte, unkontrollierte Gebiete, Barrieren und Disparitäten zwischen den Ländern bekämpfen. Alle Regierungen müssen Maßnahmen einführen, die das ungleiche Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen berücksichtigen, sowie positive Maßnahmen ergreifen, die eine stärkere Stellung der Frau in allen Lebensbreichen fördern.

    4.   Empfehlungen

    4.1

    Der EWSA begrüßt den Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über die soziale Eingliederung vom 5. März 2004 und befürwortet die sechs Hauptschwerpunkte für Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Aktionsplänen berücksichtigen sollen (siehe Anlage). Allerdings muss der EWSA ein himmelschreiendes Versäumnis feststellen, nämlich die Festlegung und Kontrolle von geschlechtsspezifischen Indikatoren. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, solche Indikatoren zu berücksichtigen, da im Hinblick auf Armut beträchtliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen. Werden die geschlechterspezifischen Aspekte der Armut nicht berücksichtigt bzw. werden die Auswirkungen diesbezüglicher Maßnahmen auf Männer und Frauen unterschiedslos analysiert, ist es möglich, dass viele Maßnahmen zur Linderung von Armut nur teilweise zum Erfolg führen. Die Bekämpfung der geschlechterspezifischen Aspekte von Armut ist an die Einhaltung der Verpflichtungen zur Armutsbekämpfung gebunden, die auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung 1995 in Kopenhagen aufgestellt wurden. Hier einigte man sich darauf, den Bedürfnissen und Rechten von Frauen und Kindern, die oftmals die größte Armutslast zu tragen haben, besondere Priorität einzuräumen.

    4.2

    Viele Mitgliedstaaten haben den institutionellen Rahmen für eine durchgängige Berücksichtigung von Armut und sozialer Eingliederung in ihren nationalen politischen Entscheidungen wesentlich verbessert. Es müsste jedoch noch viel mehr getan werden; so müssten zum Beispiel insbesondere in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Rente die Sozialpartner, einschließlich der Nichtregierungsorganisationen, auf lokaler, staatlicher und regionaler Ebene in die Ausarbeitung und Umsetzung politischer Maßnahmen einbezogen werden.

    4.3

    Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, die Ziele der Lissabon-Strategie für eine höhere Beschäftigungsrate von Frauen mit Strategien zu verbinden, die sicherstellen, dass armutsgefährdete Frauen marktgerechte Fertigkeiten entwickeln, die sie in die finanzielle Unabhängigkeit führen. Darüber hinaus sind zur Gewährleistung der Existenzsicherung von Frauen in allen Lebensphasen verstärkte Initiativen und Maßnahmen gefordert, die auf eine Förderung der Qualität der Beschäftigung sowie eine Schließung der Einkommensschere ausgerichtet sind. Der EWSA hat sich in diesem Zusammenhang kürzlich in einer Stellungnahme zu den integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung verwundert darüber gezeigt, dass das aktuelle Paket der beschäftigungspolitischen Leitlinien keine explizite Leitlinie zur Beschäftigung von Frauen enthält.

    4.4

    Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass es für die Mitgliedstaaten von großem Vorteil wäre, wenn sie auf Gebieten, die Frauen und Armut betreffen — Alterssicherung, Sozialschutzsysteme, Teenagerschwangerschaften, Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, einschließlich Frauenhandel, sowie Inhaftierung von Frauen — ihre Erfahrungen austauschen würden.

    4.5

    Einige Mitgliedstaaten haben die Aktionsplattform von Beijing (September 1995) unterzeichnet, in der die Regierungen dazu aufgerufen wurden, zu berechnen, welchen Wert unentgeltlich geleistete Arbeit für eine Volkswirtschaft hat. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, und die Mitgliedstaaten haben noch immer keine Berechnungs- und Kontrollsysteme entwickelt, die ihnen dies ermöglichen würden. Sie sollten aufgefordert werden, diese Berechnung durchzuführen und in ihre staatlichen Statistiken aufzunehmen.

    4.6

    Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen soll 2007 eröffnet werden. Da der Gender-Aspekt bei der Politik zur Bekämpfung von Armut in der EU vernachlässigt wird, fand auch der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Armut in Forschung und Statistik relativ wenig Beachtung. Um dies zu ändern, bedarf dieses Institut der entsprechenden budgetären Mittel. Der EWSA hat in einer eigenen Stellungnahme zum Gender-Institut bereits seine Sorge darüber ausgedrückt, dass dies im entsprechenden Verordnungsvorschlag nicht voll gewährleistet zu sein scheint.

    4.7

    Der EWSA schlägt deshalb einige vorrangige Bereiche vor. Das neue Institut sollte die vorhandenen Datensätze eingehend unter dem Gender-Aspekt untersuchen.

    4.8

    Ein weiteres Thema im Zusammenhang von Geschlecht und Armut, das besonderer Aufmerksamkeit bedarf, sind die Auswirkungen von Armut auf die physische und psychische Gesundheit von Frauen.

    4.9

    Drittens scheinen bislang auch kaum Untersuchungen darüber vorzuliegen, wie Frauen ihre Armut gedanklich und emotional verarbeiten und ob sie Armut anders als Männer erfahren.

    Brüssel, den 29. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Indikatoren für Armutsrisiken sind der Haushaltserhebung der Europäischen Gemeinschaft entnommen.

    (2)  Gemeinsamer Bericht der Kommission und des Rates über die soziale Eingliederung vom 5. März 2004.

    (3)  „The Sexual Revolution“ von Gary Becker und Richard Posner, 10. April 2005; abrufbar unter: http://ww.becker-posner-blog.com/archives/2005/04/index.html.

    (4)  Quelle: Eurostat 2001; Abgesehen von den Einpersonenhaushalten sind geschlechtsbedingte Unterschiede beim Armutsrisiko mit Vorsicht zu behandeln, da hier von einer gleichen Einkommensaufteilung innerhalb der Haushalte ausgegangen wird.

    (5)  Quelle: Eurostat 2004.

    (6)  Quelle: Eurostat 2003.

    (7)  Quelle: Eurostat 2003.

    (8)  Finch u.a. 1999: New Deal for Lone Parents: Learning From the Prototype Areas. DSS Research Report No. 92. Leeds: CDS; Lewis u.a. 2000: Lone Parents and Personal Advisers: Roles and Relationships. DSS Research Report No. 122. Leeds: CDS; Dawson u.a. (2000): New Deal for Lone Parents: Report on Qualitative Interviews with Individuals. Research and Development Report ESR55. Sheffield: Employment Service; Holtermann u.a. (1999): Lone Parents and the Labour Market. Results from the 1997 Labour Force Survey and Review of Research. Employment Service Report 23. London: The Stationary Office.

    (9)  Quelle: Innocenti Report Card, Ausgabe 3, Juli 2001: A League Table of Teenage Births in Rich Nations (UNICEF).

    (10)  Quelle: Eurostat European Labour Force Survey 2003 [Europäische Arbeitskräfteerhebung 2003].

    (11)  Quelle: How Europeans spend their time [Wie die Europäer ihre Zeit verbringen], Eurostat 1998-2002.

    (12)  Quelle: Eurostat 2003.

    (13)  Stellungnahme vom 29. November 2001 zum Thema „Wirtschaftswachstum, Besteuerung und Nachhaltigkeit der Rentensysteme in der EU“ (ABl. C 48 vom 21.2.2002 - Berichterstatter: Herr Byrne, Mitberichterstatter: Herr Van Dijk).

    (14)  Quelle: Eurostat: Statistik kurz gefasst - Bevölkerung und soziale Bedingungen, Ausgabe 4/2005.

    (15)  Warren, T.: „Divergent Female Part-time Employment in Britain and Denmark and the Implications for Gender Equality“. Sociological Review 2001, 49(4), S. 548-567.

    (16)  Quelle: Comparative Report based on National Reports Fieldwork Findings, vorgelegt von einer Arbeitsgemeinschaft der Central European University. Die Daten stammen aus den sechs EU-Mitgliedstaaten Spanien, Deutschland, England und Wales, Italien, Frankreich und Ungarn.

    (17)  UK Women National Commission, März 2005.


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