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Document 52020AE5278

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Herausforderungen der Telearbeit: Arbeitszeitgestaltung, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Recht auf Nichterreichbarkeit“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des portugiesischen Ratsvorsitzes)

    EESC 2020/05278

    ABl. C 220 vom 9.6.2021, p. 1–12 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    9.6.2021   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 220/1


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Herausforderungen der Telearbeit: Arbeitszeitgestaltung, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Recht auf Nichterreichbarkeit“

    (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des portugiesischen Ratsvorsitzes)

    (2021/C 220/01)

    Berichterstatter:

    Carlos Manuel TRINDADE

    Ersuchen des portugiesischen Ratsvorsitzes

    26.10.2020

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    11.3.2021

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    24.3.2021

    Plenartagung Nr.

    559

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    221/15/20

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt an, dass die Telearbeit während der COVID-19-Pandemie zur Kontinuität der Wirtschaftstätigkeit und zum Schutz der Beschäftigung in den einzelnen Mitgliedstaaten beigetragen und damit Aktivitätsverluste begrenzt hat. Viele Millionen europäischer Erwerbstätiger sind inzwischen dazu übergegangen, von Zuhause aus zu arbeiten (ca. 40 % nach Schätzungen von Eurofound).

    1.2.

    Vor der Pandemie hatte die Telearbeit im Vergleich zu den USA und Japan einen geringeren Anteil (weniger als die Hälfte). Zudem hat die Pandemie dazu geführt, dass Telearbeit immer stärker eingesetzt wird und bei der Bewältigung der Gesundheitskrise nunmehr unentbehrlich geworden ist. Damit sind allerdings für Unternehmen, Arbeitnehmer und die Gesellschaft enorme Herausforderungen verbunden. Natürlich müssen aus dieser Pandemie viele Lehren gezogen, um die sich bietenden Chancen möglichst gut zu nutzen und die mit der Telearbeit verbundenen Risiken zu beseitigen.

    1.3.

    In diesem Zusammenhang würdigt der EWSA die Weitsicht der europäischen Sozialpartner in Bezug auf die Vereinbarung über Telearbeit von 2002. Der EWSA appelliert an die Sozialpartner der Mitgliedstaaten, den sozialen Dialog und die Tarifverhandlungen fortzusetzen und Regeln und Verfahren festzulegen, die jeweils auf den Mitgliedstaat und die branchenspezifische Situation abgestimmt sind.

    1.4.

    Er ist der Ansicht, dass die potenziellen Lösungen unter dem Aspekt des Übergangs der Wirtschaft hin zur Digitalisierung, zu einer nachhaltigeren Entwicklung und zum Abbau bestehender Ungleichheiten zu betrachten sind.

    1.5.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung der Vereinbarungen über Telearbeit (2002) und Digitalisierung (2020) zu überwachen. Auf der Grundlage der in der Pandemie gesammelten Erfahrungen könnten die in der EU und in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften geändert und neue Vorschriften entwickeln werden, um die positiven Aspekte der Telearbeit zu fördern und die Grundrechte der Arbeitnehmer zu schützen. Der EWSA stellt fest, dass die Arbeitszeitgestaltung, die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, das Recht auf Nichterreichbarkeit und die Wirksamkeit der Arbeitnehmerrechte bei der Telearbeit Themen sind, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Aufgrund des immer schnelleren technologischen Wandels in der Arbeitswelt und der neuen Arbeitsformen muss sichergestellt werden, dass die Regeln und Verfahren den neuen künftigen Bedingungen entsprechen.

    1.6.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten unter Einbeziehung der Sozialpartner für einen geeigneten nationalen Rahmen für die Telearbeit Sorge tragen müssen, in dem die Regeln für die an der Einführung dieser Beschäftigungsform interessierten Unternehmen und Arbeitnehmer festgelegt sind.

    1.7.

    Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ordnungsgemäß umzusetzen und anzuwenden.

    1.8.

    Der EWSA betont, dass die aus den Jahren 2002 und 2020 stammenden Vereinbarungen zwischen den europäischen Sozialpartnern die wichtigsten Grundsätze enthalten, die die positiven Auswirkungen der Telearbeit verstärken und ihre negativen Folgen minimieren können.

    1.9.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass mit den Rechtsvorschriften vor allem sichergestellt werden muss, dass die Entscheidung für die Telearbeit freiwillig und umkehrbar ist, dass die Telearbeiter die gleichen individuellen und kollektiven Rechte haben wie vergleichbare Arbeitnehmer im selben Unternehmen (einschließlich einer Arbeitsorganisation, die ein vergleichbares Arbeitspensum gewährleistet) und dass die Telearbeitsregelungen schriftlich niedergelegt sind. Gegebenenfalls müssen gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um die Wirksamkeit der Rechte der Telearbeiter zu gewährleisten, u. a. bezüglich der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.

    1.10.

    Der EWSA hält es für wichtig, dass vor Beginn der Telearbeit alle Fragen im Zusammenhang mit Ausrüstung, Verantwortung bzw. Aufgaben und Kosten eindeutig geklärt werden. Nach Ansicht des EWSA muss grundsätzlich der Arbeitgeber für die Bereitstellung, Einrichtung und Wartung der für eine regelmäßige Telearbeit erforderlichen Ausrüstung Sorge tragen. Der Arbeitgeber sollte die durch die Telearbeit verursachten Kosten, insbesondere die Kommunikationskosten (Verbrauchsmaterial, Mobiltelefon und Internet) unmittelbar übernehmen.

    1.11.

    Der EWSA schlägt vor, dass die Unternehmen im Rahmen der Telearbeit und im Einklang mit den europäischen und nationalen Rechtsvorschriften sowie den nationalen, regionalen, branchen- und unternehmensspezifischen Tarifverträgen geeignete Verfahren zur Messung der Regelarbeitszeit und der Überstunden einsetzen sollten.

    1.12.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Methoden zur Überwachung und Erfassung der Arbeitszeit gemäß den geltenden Datenschutzgrundsätzen nur diesem Zweck dienen dürfen, den Arbeitnehmern bekannt sein müssen und nicht in ihre Privatsphäre eingreifen dürfen.

    1.13.

    Der EWSA betont, dass Telearbeiter in ihrem Berufsleben nicht benachteiligt werden dürfen. Dies gilt insbesondere für die berufliche Laufbahnentwicklung, die Weiterbildung, den Zugang zu unternehmensinternen Informationen, die Arbeitnehmerbeteiligung und gewerkschaftliche Vertretung, besondere Arbeitnehmerrechte (Arbeitsmedizin, Versicherungen usw.) und den Zugang zu anderen spezifischen Rechten im Unternehmen.

    1.14.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass im Nachgang zu den Untersuchungen zu den Auswirkungen der Telearbeit ein gemeinsamer Prozess der Europäischen Kommission, der IAO und der OECD in Gang gesetzt werden sollte, um ein IAO-Übereinkommen über Telearbeit zu erarbeiten. Der EWSA ist überdies der Auffassung, dass gute Telearbeitsbedingungen Teil der IAO-Agenda für menschenwürdige Arbeit und der entsprechenden Programme auf nationaler Ebene sein sollten.

    2.   Konzepte und Kontext der Telearbeit

    2.1.

    In dieser Stellungnahme werden die vom portugiesischen Ratsvorsitz aufgeworfenen Fragen zu den Herausforderungen der Telearbeit hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung, der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und dem Recht auf Nichterreichbarkeit im Hinblick auf die Förderung des europäischen Sozialmodells beantwortet. Zu diesen Fragen gehört auch die Geschlechterperspektive, die jedoch in einer gesonderten Stellungnahme (SOC/662) untersucht wird, die sich mit der vorliegenden Stellungnahme ergänzen soll.

    2.2.

    Der EWSA würdigt die Arbeiten der IAO und von Eurofound bezüglich der Methoden und Konzepte im Bereich Telearbeit, die einen Vergleich der Daten auf europäischer und internationaler Ebene ermöglichen (1).

    2.3.

    Im Einklang mit den vorgenannten Arbeiten verwendet der EWSA den Begriff „Telearbeit“ für den Fall, dass Arbeitnehmer ihre berufliche Tätigkeit aus der Ferne, d. h. nicht in den Räumlichkeiten des Unternehmens, unter Verwendung von IKT ausüben. Der Ort, an dem die Arbeit verrichtet wird, und der Einsatz von IKT sind daher zwei der Kernaspekte der Telearbeit. Der EWSA erkennt an, dass es je nach den bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verschiedene Möglichkeiten zur Ausübung von Telearbeit gibt. Der Schwerpunkt der vorliegenden Stellungnahme liegt auf der Telearbeit von abhängig Beschäftigten. Die Problematik der Selbstständigen wird hier nicht berücksichtigt und soll in einer künftigen Stellungnahme gesondert behandelt werden.

    2.4.

    Die Telearbeit war bereits Gegenstand von Rechtssetzungsmaßnahmen. Es gibt zwar auf europäischer und internationaler Ebene keine spezifischen Richtlinien oder Rechtsvorschriften über Telearbeit; die EU verfügt aber über anwendbare Instrumente, insbesondere die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Arbeitszeitgestaltung (2), die Richtlinie 89/391/EWG des Rates über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (3), die Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der EU (4) und die Richtlinie (EU) 2019/1158 des Euroäischen Parlaments und des Rates über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (5). Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, diese Richtlinien wirksam umzusetzen.

    2.5.

    Auch die Sozialpartner haben dieser Thematik bereits Aufmerksamkeit geschenkt. Im Jahr 2002 wurde eine Rahmenvereinbarung über Telearbeit (autonome Vereinbarung) unterzeichnet, aber in Europa uneinheitlich umgesetzt. Dabei sind folgende Aspekte herauszustellen: Freiwilligkeit der Telearbeit; Gleichbehandlung mit vergleichbaren Arbeitnehmern im Unternehmen, einschließlich spezifischer Verweise auf Arbeitsbelastung, Zugang zu Weiterbildung und kollektiven Rechten; Umkehrbarkeit; keine Änderung des Arbeitsstatus durch den Wechsel zur Telearbeit; Achtung der Privatsphäre der Telearbeiter; Datenschutz und Einhaltung der Standards für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Um zu überprüfen, ob die Gesundheits- und Sicherheitsstandards korrekt angewandt werden, haben der Arbeitgeber, die Gewerkschaften/Arbeitnehmervertreter und andere relevante Instanzen im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und der Tarifbestimmungen Zugang zum Arbeitsplatz. Arbeitet ein Telearbeiter von Zuhause aus, muss er vor einem solchen Besuch unterrichtet werden und zustimmen. Telearbeiter haben das Recht, selbst Kontrollbesuche zu beantragen.

    2.6.

    Im Juni 2020 schlossen die europäischen Sozialpartner eine autonome Rahmenvereinbarung über die Digitalisierung, die vor allem vier spezifische Bereiche abdeckt: digitale Kompetenzen und Arbeitsplatzsicherheit; Modalitäten der (Nicht-)Erreichbarkeit; künstliche Intelligenz und Gewährleistung der Kontrolle durch den Menschen; Achtung der Menschenwürde und Überwachung. Der EWSA hält es für notwendig, eine Bewertung der Ergebnisse der Umsetzung der in dieser Vereinbarung vorgesehenen Bestimmungen so bald wie möglich vorzunehmen. Er fordert die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner auf, die rasche und ordnungsgemäße Umsetzung der Vereinbarung zu fördern. Eine Gesetzgebungsinitiative könnte im Einklang mit den Bestimmungen des Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen zur Sozialpolitik (Artikel 151 ff. AEUV) auf europäischer Ebene und/oder auf Ebene der Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht werden, um das Recht der Arbeitnehmer auf Nichterreichbarkeit zu schützen und durchzusetzen.

    2.7.

    Wichtige Arbeit wurde und wird weiterhin von den europäischen Sozialpartnern auch in einer beträchtlichen Anzahl von Branchen geleistet. Im Anhang befindet sich eine nicht erschöpfende Liste der Vereinbarungen im Bereich Telearbeit und Digitalisierung, die diese Anstrengungen im Rahmen des sozialen Dialogs veranschaulichen.

    2.8.

    Auf der Ebene der Mitgliedstaaten werden durch das Arbeitsrecht Aspekte geregelt, die für die Telearbeit relevant sind, wie z. B. die Dauer und Gestaltung der Arbeitszeit, das Beschäftigungsverhältnis und die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, einschließlich besonderer Bestimmungen etwa über die Notwendigkeit eines schriftlichen Arbeitsvertrags. Die Rahmenvereinbarung über Telearbeit hatte Einfluss auf den Inhalt der erlassenen Rechtsvorschriften.

    2.9.

    Telearbeit war und ist weiterhin Gegenstand von Tarifverhandlungen und Vereinbarungen auf nationaler (in einigen Fällen trilateraler), sektoraler oder betrieblicher Ebene, deren Inhalt auch von der europäischen Vereinbarung von 2002 beeinflusst wurde. Die Verhandlungen finden häufig auf Unternehmensebene statt, sodass über den Inhalt der Vereinbarungen wenig bekannt ist (6).

    2.10.

    Die osteuropäischen Mitgliedstaaten bilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Der EWSA fordert die Sozialpartner in diesen Mitgliedstaaten auf, Übereinkommen über Telearbeit auszuhandeln bzw. zu aktualisieren.

    2.11.

    Nach den Daten der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen 2015 war der Anteil der Telearbeiter in den nordeuropäischen Ländern Dänemark (37 %), Schweden (33 %) und Niederlande (30 %) hoch, in Ländern wie Luxemburg (26 %), Frankreich (25 %), Estland (24 %), Belgien (24 %) und Finnland (24 %) durchschnittlich und in der Hälfte der EU-Länder niedrig, d. h. 12-13 % (Deutschland, Spanien, Bulgarien, Litauen und Rumänien) und 7-11 % (Italien, Tschechische Republik, Polen, Slowakei, Portugal und Ungarn). Es sei darauf hingewiesen, dass sich die Hälfte der Telearbeiter auf die Kategorie „gelegentliche Telearbeiter“ und etwas weniger als ein Viertel auf die Kategorie „regelmäßige Telearbeiter“ (home-based telework) entfallen (7).

    2.12.

    Es ist auf eine Reihe aktueller Forschungsergebnisse hinzuweisen (8):

    2.12.1.

    Im Jahr 2019 arbeiteten nur 5,4 % der Erwerbstätigen in der EU-27 regelmäßig von Zuhause aus, wobei sich dieser Anteil in den letzten zehn Jahren praktisch nicht verändert hat. Zwischen 2009 und 2019 stieg der Anteil der gelegentlichen Telearbeiter jedoch von 5,2 % im Jahr 2009 auf 9 % im Jahr 2019. Studien der IAO zeigen, dass der Anteil der Telearbeiter (einschließlich „mobiler“ Telearbeiter) an allen Arbeitskräften in der EU 8 % beträgt, gegenüber 20 % in den USA und 16 % in Japan (9).

    2.12.2.

    Die Prävalenz der Telearbeit ist in den einzelnen Branchen und Berufen sehr unterschiedlich und besonders hoch in IT- und wissensintensiven Bereichen sowie unter hochqualifizierten Fachkräften. Die Industriestruktur in den Mitgliedstaaten, die Verteilung der Beschäftigung nach Unternehmensgröße, die Selbstständigenquote und die digitalen Kompetenzen der Arbeitnehmer sind einige der Faktoren, die die Unterschiede und Schwankungen bei der Häufigkeit der Telearbeit in den Mitgliedstaaten erklären.

    2.12.3.

    Die Unterschiede beim Zugang zur Telearbeit und beim Schutz der Arbeitnehmer können die Ungleichheiten zwischen den Arbeitnehmern verschärfen (dies gilt auch für die in SOC/662 behandelte Geschlechterperspektive). Für dieses Problem muss eine Lösung gefunden werden.

    2.12.4.

    Die Entwicklung der digitalen Kompetenzen der Arbeitnehmer ist der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus dem technologischen Wandel und den neuen Arbeitsformen ergeben (im Jahr 2019 führten weniger als 25 % der Unternehmen in der EU Schulungen zu digitalen Kompetenzen durch, wobei dieser Wert von 6 % in Rumänien bis 37 % in Finnland reicht).

    2.13.

    Mit dem Ausbruch von COVID-19 haben viele Millionen Arbeitnehmer in Europa begonnen, von Zuhause aus zu arbeiten. Eurofound schätzt, dass etwa 40 % der Arbeitnehmer infolge der Pandemie mit Telearbeit in Vollzeit begonnen haben. Infolge von Beschlüssen, die die Behörden zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gefasst haben, ist Telearbeit in den meisten Fällen verpflichtend.

    2.14.

    Der EWSA bekräftigt seine Standpunkte, die er in verschiedenen Stellungnahmen (10) zu Fragen der Zukunft der Arbeit, der Digitalisierung, der Arbeitszeitgestaltung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vertreten hat.

    3.   Chancen und Risiken der Telearbeit

    3.1.

    Unternehmen können durch Telearbeit ihre Produktivität steigern, sind unter Umständen aber auch mit Schwierigkeiten bezüglich ihrer Organisationskultur und Arbeitsgestaltung konfrontiert. Aus Sicht der Unternehmen sind mit dem Einsatz von Telearbeit mehrere Ziele verbunden, u. a. (11):

    i.

    ergebnisorientierte Organisation der Arbeit, mit größerer Autonomie für die Arbeitnehmer und Verantwortung für die Ergebnisse;

    ii.

    Arbeit mit höherer Produktivität und Effizienz (mit weniger Unterbrechungen);

    iii.

    Raumersparnis in den Betriebsstätten und Büros und damit verbundene Kosteneinsparungen;

    iv.

    Erleichterung des Zugangs zur Arbeit für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern (solche mit Betreuungspflichten oder einer körperlichen Behinderung).

    3.2.

    Für Arbeitnehmer kann die Telearbeit die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erleichtern und die mit dem Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz verbundenen Kosten senken. Im Allgemeinen kann die Telearbeit mehr Autonomie, Konzentration und Produktivität ermöglichen (12). Die Autonomie beseitigt jedoch nicht immer die negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden und kann sogar die Arbeitsintensität erhöhen, und zwar wenn sie mit übermäßigen Arbeitsbelastungen und Organisationskulturen einhergeht, die durch Wettbewerb geprägt sind, um hohe Arbeitsleistungen zu erzwingen, die wiederum zu einem exzessiven (und unbezahlten) Arbeitspensum und unzureichenden Ruhezeiten führen (13).

    3.3.

    Der EWSA betont, dass die Telearbeit ein positiver Faktor für die nachhaltige Entwicklung und die Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie für die Verbesserung der städtischen Mobilität ist.

    3.4.

    Der EWSA stellt fest, dass dank der Telearbeit die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erheblich reduziert werden konnten. Ihre signifikante Zunahme hat das Überleben zahlreicher Wirtschaftsbereiche ermöglicht.

    3.5.

    Der EWSA stellt fest, dass die fehlende scharfe Trennung zwischen Arbeits- und Nichtarbeitszeit die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und die Arbeitsintensität erhöhen, das „Abschalten“ von der Arbeit erschweren und auf Kosten der Zeit für die Familie gehen kann. Für die Arbeitsaufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten stellen die Messung und Überwachung der Arbeitszeit eine große Herausforderung dar, die eine probate Herangehensweise erfordert.

    3.6.

    Untersuchungen zufolge bestehen für die Arbeitnehmer verschiedene Risiken. Es geht dabei nicht nur um Risiken im Zusammenhang mit verschiedenen Formen von Isolation wie Stress, Depressionen und Angstzuständen, sondern auch um Belastungen des Stütz- und Bewegungsapparats, Kopfschmerzen, Erschöpfung, Schlafstörungen und um neue Phänomene der Digitalära wie etwa „digitalen Präsentismus“. Präsentismus wirkt sich unterschiedlich auf das Arbeitsleben aus. Laut Eurofound ist es für einige Arbeitnehmer eine negative Erfahrung, während andere zufrieden sind, bei Unwohlsein von zu Hause aus arbeiten zu können und nicht ihre Arbeitsstätte aufsuchen zu müssen. Dies darf jedoch nicht das Recht auf Abwesenheit im Krankheitsfall beeinträchtigen. Zudem kann Telearbeit zu erheblichen Probleme in Bezug auf die Organisation und Teilnahme an Gewerkschaftstätigkeiten, Unsichtbarkeit, Verletzung der Privatsphäre und Vereinzelung der Arbeitnehmer führen.

    3.7.

    Der EWSA stellt fest, dass es weitere Risiken für die Telearbeit gibt, insbesondere im Bereich der Cybersicherheit. Diese Risiken müssen angemessen angegangen werden, um die Unternehmen zu schützen und die Privatsphäre der Telearbeiter zu gewährleisten. Bei der Telearbeit kann es außerdem zu negativen Auswirkungen auf die bestehende Organisationskultur in Produktionseinheiten für Waren und Dienstleistungen oder in Verbänden und/oder Freiwilligenorganisationen kommen.

    3.8.

    Telearbeit erfordert IKT-Kenntnisse und Zugang zu entsprechenden Geräten und Diensten sowie geeigneten Wohnraum und andere für die Erbringung von Arbeitsleistungen angemessene Bedingungen. Damit sind Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit verbunden.

    3.9.

    Der EWSA erkennt an, dass die Telearbeit die Eingliederung bestimmter diskriminierter Gruppen in den Arbeitsmarkt erleichtern kann. Dies gilt insbesondere für Menschen mit Behinderungen, Schwangere und Alleinerziehende, die häufig mit strukturellen Hindernissen beim Zugang zur Beschäftigung konfrontiert sind.

    3.10.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass es mit Rechtsvorschriften sichergestellt werden muss, dass die Entscheidung für die Telearbeit freiwillig und umkehrbar ist — außer in Ausnahmefällen wie einer Pandemie, wenn die Behörden Telearbeit verpflichtend anordnen —, dass die Telearbeiter die gleichen individuellen und kollektiven Rechte haben wie vergleichbare Arbeitnehmer im selben Unternehmen und dass die Telearbeitsregelungen schriftlich niedergelegt sind. Gegebenenfalls müssen gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um die Wirksamkeit der Rechte der Telearbeiter und die Gleichbehandlung mit den übrigen Arbeitnehmern zu gewährleisten.

    3.11.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass Rechtsvorschriften über die Telearbeit angemessene Arbeitsbedingungen gewährleisten sowie zur Verringerung von Ungleichheiten und Erwerbstätigenarmut beitragen können (14).

    3.12.

    Nach Ansicht des EWSA muss der Arbeitgeber für die Bereitstellung, Einrichtung und Wartung der für eine regelmäßige Telearbeit erforderlichen Ausrüstung Sorge tragen Der Arbeitgeber sollte die durch die Telearbeit verursachten Kosten, insbesondere die Kommunikationskosten (Verbrauchsmaterial, Mobiltelefon und Internet) unmittelbar übernehmen.

    3.13.

    Es sollten alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Telearbeitsdaten, insbesondere der personenbezogenen Daten der Telearbeiter, ergriffen werden.

    3.14.

    Der EWSA stellt fest, dass Unternehmen immer stärker Systeme zur Beaufsichtigung, Kontrolle und Überwachung der Tätigkeit von Telearbeitern einsetzen. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Nutzung dieser Überwachungsinstrumente den Grundsätzen des Datenschutzes Rechnung tragen und ggf. im Zuge künftiger europäischer Rechtsvorschriften und/oder Tarifverhandlungen auf nationaler, regionaler, Branchen- und Unternehmensebene zwischen den Sozialpartnern der Mitgliedstaaten geregelt werden sollte.

    4.   Herausforderungen der Telearbeit

    4.1.   Arbeitszeitgestaltung

    4.1.1.

    Der EWSA stellt fest, dass die Untersuchungen zur Auswirkungen der Telearbeit auf die Arbeitszeitgestaltung zu dem einhelligen Schluss gelangen, dass der größte Nachteil dieser Beschäftigungsform in längeren Arbeitszeiten liegt (15). Den Arbeitnehmern wird ermöglicht, ihren Arbeitstag zu strukturieren, und die Wege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz fallen weg; die Kehrseite der Medaille besteht aber in längeren Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende.

    4.1.2.

    Der EWSA begrüßt, dass die europäischen Sozialpartner vor Kurzem im Rahmen des gemeinsamen Partnerschaftsprozesses, der die Grundlage einer Vereinbarung bildet, u. a. einen regelmäßigen Meinungsaustausch zwischen der Geschäftsleitung und den Arbeitnehmern und/oder ihren Vertretern über die Arbeitsbelastung und die Arbeitsprozesse vereinbart haben (16).

    4.1.3.

    Tatsächlich wurde in einer Eurofound-Studie (17) Folgendes festgestellt:

    4.1.3.1.

    Bei „regelmäßiger“ Telearbeit arbeiten etwa 30 % der Arbeitnehmer täglich oder mehrmals pro Woche während ihrer Freizeit; etwa 50 % der Arbeitnehmer müssen ihre laufende Arbeit unterbrechen, um unvorhergesehene Aufgaben zu übernehmen; etwa 20 % arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche (etwa 30 % bei „mobiler“ und 10 % bei „gelegentlicher Telearbeit“).

    4.1.3.2.

    Im Falle der „regulären“ Telearbeit haben ca. 40 % der Arbeitnehmer weniger als 11 Stunden Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen (ca. 25 % im Falle der „gelegentlichen“ Telearbeit und ca. 60 % im Falle der „mobilen“ Telearbeit).

    4.1.4.

    Umfragen von Eurofound zeigen, dass die hohe Arbeitsbelastung in den europäischen Ländern ein weit verbreitetes Problem ist (z. B. berichten 37 % der Arbeitnehmer von knappen Fristen). Dieses Problem tritt bei der Telearbeit gehäuft auf, insbesondere bei mobiler Telearbeit (18).

    4.1.5.

    Die Auswirkungen der intensiven IKT-Nutzung auf Gesundheit und Wohlbefinden sollten bewertet werden, z. B. Arbeiten am Bildschirm oder mit Smartphones. Die negativen Folgen, die durch Telearbeit verstärkt werden können, betreffen den psychischen Druck (Stress), die Belastung für die Augen, Angstzustände, Kopfschmerzen, Erschöpfung, Schlafstörungen und Probleme des Stütz- und Bewegungsapparats (19).

    4.1.6.

    Es gibt zwar europäische Rechtsvorschriften, die auf die Telearbeit anwendbar sind; es muss aber geprüft werden, ob die Arbeitszeitrichtlinie und die anderen in Ziffer 2.4 genannten Richtlinien oder die Vereinbarungen über Telearbeit (2002) und die Digitalisierung (2020) ausreichend Schutz für diese Arbeitnehmer bieten (20). In diesem Zusammenhang weist der EWSA auf die Bedeutung der europäischen Rechtsprechung hin, der zufolge „die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten [müssen], ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ (21). Der EWSA weist darauf hin, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems festzulegen, wobei unter anderem die Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren und Tätigkeiten zu berücksichtigen sind (22).

    4.1.7.

    Der EWSA schlägt in dieser Hinsicht vor, dass die Unternehmen im Rahmen der Telearbeit und im Einklang mit den europäischen und nationalen Rechtsvorschriften sowie den regionalen, branchen- und unternehmensspezifischen Tarifverträgen geeignete Verfahren zur Messung der Regelarbeitszeit und der Überstunden einsetzen sollten.

    4.1.8.

    Nach Auffassung des EWSA umfasst die Gleichbehandlung mit vergleichbaren Arbeitnehmern desselben Unternehmens die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, die eine vergleichbare Arbeitsbelastung gewährleistende Arbeitsorganisation und das Recht der Gewerkschaften/Arbeitnehmervertreter auf Zugang zu den Telearbeitsplätzen im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Tarifverträge.

    4.1.9.

    Telearbeiter dürfen in ihrem Berufsleben nicht benachteiligt werden. Dies gilt insbesondere für die berufliche Laufbahnentwicklung, die Weiterbildung, den Zugang zu unternehmensinternen Informationen, die Arbeitnehmerbeteiligung und gewerkschaftliche Vertretung, besondere Arbeitnehmerrechte (Arbeitsmedizin, Versicherungen usw.) und den Zugang zu anderen spezifischen Rechten im Unternehmen.

    4.2.   Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

    4.2.1.

    Ein wesentlicher Faktor für die Ausweitung der Telearbeit ist, dass diese Beschäftigungsform offenbar ein besseres Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben sowie höhere Produktivität, größere Loyalität und geringere Fluktuation ermöglicht. Da es beim aktuellen Stand der einschlägigen Forschung jedoch schwierig ist, endgültige Schlussfolgerungen in Bezug auf die Auswirkungen der Telearbeit auf die Arbeitswelt zu ziehen, könnte die Realität viel komplexer und mehrdeutiger und vielleicht auch widersprüchlicher sein als diese potenzielle „Win-Win“-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber (23).

    4.2.2.

    Der EWSA stellt fest, dass die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten im Widerspruch zu dem von der IAO vertretenen Ziel menschenwürdiger Arbeitsbedingungen steht.

    4.2.3.

    Der EWSA betont, dass sich die negativen Auswirkungen in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben im Falle von Telearbeitern potenzieren. Sie unterscheiden sich auch je nach Arbeitnehmer, Arbeitskultur und Arbeitsorganisation (24). Der EWSA ist der Auffassung, dass die wirksame Umsetzung der einschlägigen Richtlinie sicherlich zu besseren Bedingungen für Telearbeiter beitragen kann (25). Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, diese Richtlinie ordnungsgemäß umzusetzen und anzuwenden.

    4.2.4.

    Der EWSA stellt fest, dass die Auswirkungen der Telearbeit auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sehr gemischt, wenn nicht sogar widersprüchlich sind und dass weitere Untersuchungen zum Gleichgewicht zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben notwendig sind (26).

    4.2.5.

    Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit einer angemessenen Schulung von Arbeitnehmern und Managern zu bewährten Verfahren für das Telearbeitsmanagement und die Einhaltung gesetzlicher und vertraglicher Bestimmungen, insbesondere zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

    4.2.6.

    Der EWSA fordert von den Mitgliedstaaten angemessene Investitionen in die Schaffung und/oder Entwicklung allgemein zugänglicher hochwertiger Sozialbetreuungsdienste für Senioren und Kinder zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

    4.3.   Recht auf Nichterreichbarkeit

    4.3.1.

    Der EWSA ist sich bewusst, dass die Kultur des always on, die ständige Verbindung mit dem Netz und der Mangel an Ruhezeit für Telearbeiter große physische und psychosoziale Risiken mit sich bringen (27). Aufgrund dieser Erreichbarkeit ist es sehr schwierig geworden, zwischen bezahlter Arbeit und Privatleben zu trennen.

    4.3.2.

    Zur Eindämmung dieser negativen Auswirkungen haben die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner und Unternehmen in der letzten Zeit — wenngleich mit unterschiedlichen Ansätzen — Maßnahmen in Bezug auf das Recht der Nichterreichbarkeit ergriffen, um Arbeitnehmer in ihrer Freizeit zu schützen.

    4.3.3.

    Die dauerhafte Konnektivität hat negative Folgen. Frauen sind dabei stärker betroffen, da sie die Last der unbezahlten Hausarbeit und der Betreuung von Kindern, älteren Menschen oder Kranken tragen (28).

    4.3.4.

    Die meisten mit der Telearbeit verbundenen Themen sind in Rechtsvorschriften geregelt, deren wirksame Umsetzung nach wie vor von großer Bedeutung ist. Auf europäischer Ebene wurde im Juni 2020 eine Rahmenvereinbarung über die Digitalisierung unterzeichnet, die u. a. die Modalitäten des Rechts auf Nichterreichbarkeit und die Einhaltung von gesetzlichen, tarifvertraglichen oder anderen vertraglichen Arbeitszeitregelungen umfasst und der zufolge die Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet sind, außerhalb der Arbeitszeiten für den Arbeitgeber erreichbar zu sein. Der EWSA stellt fest, dass diese Vereinbarung derzeit von den Sozialpartnern in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Es bleibt jedoch möglich, eine Gesetzgebungsinitiative im Einklang mit den Bestimmungen des AEUV (Artikel 151 ff.) auf den Weg zu bringen, um das Recht der Arbeitnehmer auf Nichterreichbarkeit zu schützen und durchzusetzen und somit eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zu verhindern.

    4.3.5.

    In den Mitgliedstaaten gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Einführung eines Rechts auf Nichterreichbarkeit (29). Vier Länder (Belgien, Frankreich, Italien und Spanien) haben spezifische Rechtsvorschriften dazu erlassen. In zwei Ländern fand Diskussionen über die Gesetzesentwürfe (Portugal) bzw. ein Konsultationsverfahren (Niederlande) statt, wurden aber keine spezifischen Gesetze verabschiedet. In den übrigen Mitgliedstaaten werden unterschiedliche Positionen vertreten: In einigen Fällen plädieren die Gewerkschaften für spezielle Rechtsvorschriften, weil die bereits geltenden als nicht ausreichend angesehen werden; in anderen Fällen sind sie der Meinung, dass Tarifverhandlungen die beste Form der Regulierung sind; in wieder anderen Fällen argumentieren sie, dass die Rechtsvorschriften zur Regelung der Arbeitszeit ausreichen.

    4.3.6.

    Angesichts dieser Situation begrüßt der EWSA nachdrücklich, dass das Europäische Parlament am 21. Januar 2021 eine Entschließung (30) verabschiedet hat, die von der Europäischen Kommission im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte vom 4. März (Kapitel zur Telearbeit und zum Recht auf Nichterreichbarkeit) berücksichtigt wurde. In diesem Rahmen sollte nach Ansicht des EWSA das Recht auf Nichterreichbarkeit im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte angemessen berücksichtigt werden.

    4.3.7.

    Der EWSA betont, dass Überstunden in Bezug auf das Recht auf Nichterreichbarkeit kein Problem an sich darstellen, sofern sie im Einklang mit den geltenden Vorschriften (insbesondere mit ihrer Obergrenze) geleistet werden und sofern die Vergütung der gesamten geleisteten Arbeit gemäß dem Rechtsrahmen des betreffenden Landes gewährleistet ist.

    5.   Maßnahmen der Europäischen Kommission, der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner

    5.1.

    Der EWSA stellt fest, dass mehr und bessere statistische Informationen — und mehr Untersuchungen — zur Telearbeit erforderlich sind, um bewährte Verfahren zu ermitteln und ihre Auswirkungen auf Arbeitnehmer, Unternehmen und Gesellschaft zu analysieren. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, Telearbeit und ihre Folgen besser zu erforschen, den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und das Recht auf Nichterreichbarkeit zu fördern und den notwendigen Kompetenzerwerb unter Beachtung des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern auf verschiedenen Ebenen zu unterstützen.

    5.2.

    Der EWSA betont, dass die Vereinbarungen von 2002 und 2020 die wichtigsten Grundsätze enthalten, die die positiven Auswirkungen der Telearbeit verstärken und ihre negativen Folgen minimieren können.

    5.3.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung der Vereinbarungen von 2002 und 2020 zu überwachen und, falls notwendig, die geltenden Rechtsvorschriften auf der Grundlage der in der Pandemie gesammelten Erfahrungen anzupassen (sowie neue Vorschriften zu entwickeln), um die positiven Aspekte der Telearbeit zu fördern und die Grundrechte der Arbeitnehmer zu schützen. Aufgrund des immer schnelleren technologischen Wandels in der Arbeitswelt und der neuen Arbeitsformen müssen die Regeln und Verfahren in der Zukunft gegebenenfalls den neuen Bedingungen angepasst werden.

    5.4.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten unter Einbeziehung der Sozialpartner einen geeigneten nationalen Rahmen für die Telearbeit gewährleisten müssen, in dem die Regeln für die an der Einführung der Telearbeit interessierten Unternehmen und Arbeitnehmer festgelegt sind. Dabei sollten die vorgenannten Vereinbarungen Berücksichtigung finden.

    5.5.

    Vor allem die Arbeitszeitgestaltung, die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, das Recht auf Nichterreichbarkeit und die Wirksamkeit der Arbeitnehmerrechte bei der Telearbeit sind Themen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen.

    5.6.

    Der EWSA ist überzeugt, dass die Probleme im Zusammenhang mit der Telearbeit im Rahmen der Leitlinien der europäischen Säule sozialer Rechte, der Digitalisierung und der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung angegangen werden sollten.

    5.7.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die Beteiligung und Einbeziehung der Sozialpartner auf allen Ebenen, insbesondere durch Tarifverhandlungen, von entscheidender Bedeutung ist, um ausgewogene, angemessene und gerechte Lösungen zu finden.

    5.8.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass im Nachgang zu den Untersuchungen zu den Auswirkungen der Telearbeit ein gemeinsamer Prozess der Europäischen Kommission, der IAO und der OECD in Gang gesetzt werden sollte, um ein IAO-Übereinkommen über Telearbeit zu erarbeiten. Der EWSA ist überdies der Auffassung, dass gute Telearbeitsbedingungen Teil der IAO-Agenda für menschenwürdige Arbeit und der entsprechenden Programme auf nationaler Ebene sein sollten.

    Brüssel, den 24. März 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  Alex Soojung-Kim Pang (2017): „Rest — Why you get more done when you work less“ (Penguin Life, 2018) (deutsche Ausgabe: Pause: Tue weniger, erreiche mehr).

    (2)  ABl. L 299 vom 18.11.2003, S. 9.

    (3)  ABl. L 183 vom 29.6.1989, S. 1.

    (4)  ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 105.

    (5)  ABl. L 188 vom 12.7.2019, S. 79.

    (6)  Eurofound und IAO (2017): Working anytime, anywhere: The effects on the world of work, S. 51-54 (im Folgenden „Eurofound- und IAO-Studie von 2017“).

    (7)  Europäische Kommission (2020): Telework in the EU before and after the COVID-19: where we were, where we head to (Science for Policy Briefs).

    (8)  Ebenda.

    (9)  IAO (2019): Telework in the 21st century, S. 294.

    (10)  ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 44, ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 45, ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8, ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 15, ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 37, ABl. C 232 vom 14.7.2020, S. 18.

    (11)  Eurofound- und IAO-Studie von 2017, S. 51.

    (12)  Eurofound, Telework and ICT-based mobile work: flexible working in the digital age, 2020 (im Folgenden „Eurofound-Studie von 2020“), S. 53.

    (13)  Eurofound- und IAO-Studie von 2017, S. 40.

    (14)  Siehe die unlängst verabschiedete Entschließung des Europäischen Parlaments.

    (15)  IAO (2019): Telework in the 21st century, S. 298.

    (16)  Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner über die Digitalisierung, Juni 2020, S. 10.

    (17)  „Further exploring the working conditions of ICT-based mobile workers and home-based teleworkers“, Arbeitspapier, 2020, S. 23-33.

    (18)  Eurofound (2016): Sechste Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen — Übersichtsbericht, S. 47-51. Siehe auch vorherige Fußnote.

    (19)  Zu den Auswirkungen der Telearbeit auf Gesundheit und Wohlergehen: Eurofound-Studie von 2020, S. 27-35.

    (20)  Eurofound-Studie von 2020, S. 54.

    (21)  Urteil des Europäischen Gerichtshofs, Rechtssache C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, Rdnr. 60. Weitere Urteile im Bereich Telearbeit: C-518/15; C-344/19; C-580/19; C-214/20; C-84/94.

    (22)  Siehe ebenfalls Rechtssache C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402: Rdnr. 63.

    (23)  IAO (2019): Telework in the 21st century, S. 302.

    (24)  Als wichtigste Quelle ist zu nennen: Eurofound-Studie von 2020, S. 13-26.

    (25)  Eurofound-Studie von 2020, S. 54.

    (26)  Eurofound- und IAO-Studie von 2017, S. 33 und S. 40.

    (27)  Eurofound- und IAO-Studie von 2017, S. 37.

    (28)  Siehe die Stellungnahme des EWSA SOC/662 (siehe Seite 13 dieses Amtsblatts).

    (29)  Als wichtigste Quelle ist zu nennen: Eurofound-Studie von 2020, S. 13-26.

    (30)  Siehe die unlängst verabschiedete Entschließung des Europäischen Parlaments.


    ANHANG I

    EUROPEAN SECTORAL SOCIAL DIALOGUE JOINT TEXTS ON TELEWORK AND DIGITALISATION (1)

    Telework

    Eurocommerce and UNI, Europa, European agreement on guidelines on Telework and ICT-mobile work in commerce, 25 May 2018 (commerce)

    EACB, EBF-FBE, ESBG and UNI Global Union, Declaration on Telework in the European Banking Sector, 17 November 2017 (banking)

    ETNO and UNI Europa, Joint Declaration on ICT-based mobile work, 2 February 2017 (telecommunications)

    ETNO and UNI Europa, Joint declaration on telework, 9 June 2016 (telecommunications)

    ACME, BIPAR, CEA and UNI-Europa, Joint declaration on telework by the European social partners in the insurance sector, 10 February 2015 (insurance)

    CEMR-CCRE and EPSU, CEMR-EP/EPSU joint statement on telework, 13 January 2004 (local and regional government)

    Eurelectric and EPSU, EMCEF, Joint declaration on telework, 13 November 2002 (electricity)

    Eurocommerce and UNI Europa, European Agreement on Guidelines on Telework in Commerce, 26 April 2001 (Commerce)

    ETNO and UNI Europa, Guidelines for Telework in Europe, 7 February 2001 (telecommunications)

    Joint Committee, Opinion on telework, 23 November 1998 (telecommunications)

    Digitalisation

    ETNO and UNI-Europa, Joint Declaration on Artificial Intelligence, 30 November 2020 (telecommunications)

    CEEMET and IndustriAll, Joint opinion on the impact of digitalisation on the world of work in the met industries, 9 November 2020 (metal industry)

    EFIC and EFBWW, European Social Partners joint statement on Digital Transformation in workplaces of the European Furniture Industry, 6 July 2020 (Furniture)

    Federation of European Social Employers and EPSU, Joint Position Paper on Digitalisation in the Social Services Sector — Assessment of Opportunities and Challenges, 6 June 2020 (social services)

    Eurelectric and EPSU, IndustriAll, Digitalisation at the heart of social partners' commitment to keep the lights on, 9 April 2020 (electricity)

    Eurelectric and EPSU, IndustriAll, A Social Partners' Framework of Actions — Challenges and opportunities of the digitalisation for the workforce in the European Electricity Sector, 9 April 2020 (electricity)

    PostEurop and UNI Europa, Joint Declaration on Training in the Digital Era, 6 December 2019 (postal services)

    ECEG and IndustriAll, Joint recommendations on digital transformations in the workplace for the European chemicals, pharmaceuticals, rubber and plastics sectors, 8 November 2019 (chemical industry)

    EFCI/FENI and UNI Europa, Joint Statement on the Impact of Digitalization on Employment in the Cleaning and Facility Services Industry, 29 October 2019 (industrial cleaning)

    INTERGRAF and UNI-Europa, Print is vital for the future of reading — INTERGRAF and UNI Europa Graphical & Packaging joint statement, 21 October 2021 (graphical industry)

    FEPORT, ESPO and ETF, Joint statement „Market based and technological developments in the shipping sector and technological innovation represent major challenges for the port sector“, 24 June 2019 (ports)

    AMICE, BIPAR, Insurance Europe and UNI Europa, Follow-up statement on the social effects of digitalization, 15 February 2019 (insurance)

    IRU and ETF, Joint statement from Social partners for better regulation and digital enforcement, 7 December 2018 (road transport)

    EBF-FBE and UNI Europa, Joint Declaration on the Impact of Digitalisation on Employment, 30 November 2018 (banking)

    CEPI and IndustriAll, A social partner resolution addressing the ongoing digitalisation in the European pulp and paper sector and its potential impact on industry and employment, 6 July 2018 (paper industry)

    CEEMET and IndustriAll, The impact of digitalisation on the world of work in the metal, engineering and technology-based industries, 8 December 2016 (metal industry)

    AMICE, BIPAR, Insurance Europe and UNI Europa, Joint declaration on the social effects of digitalisation by the European social partners in the insurance sector, 12 October 2016 (Insurance)

    EPSU and CEMR, Joint Declaration on the opportunities and challenges of digitalisation in local and regional administration, 11 December 2015 (local and regional administration)


    (1)  Based on the European Commission EU social dialogue texts database, the European Trade Union Institute (ETUI) EU Social Dialogue texts database (not yet publicly available) and own research.


    ANHANG II

    Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Artikel 43 Absatz 2 der Geschäftsordnung):

    Ziffer 1.14 (in Verbindung mit Ziffer 5.8)

    Ändern:

     

    1.14.

    Der EWSA hält es ist der Ansicht, dass im Nachgang zu den Untersuchungen zu den Auswirkungen der Telearbeit für wichtig, dass gute Telearbeitsbedingungen in die Agenda der IAO für menschenwürdige Arbeit im Allgemeinen und in die Landesprogramme für menschenwürdige Arbeit im Besonderen aufgenommen werden. Ein ein gemeinsamer Prozess der Europäischen Kommission, der IAO und der OECD sollte in Gang gesetzt werden sollte, um die Notwendigkeit eines ein IAO-Übereinkommens über Telearbeit zu prüfen erarbeiten.

    Abstimmungsergebnis:

    Ja-Stimmen:

    109

    Nein-Stimmen:

    130

    Enthaltungen:

    14

    Ziffer 4.1.1

    Ändern:

     

    4.1.1.

    Der EWSA stellt fest, dass sich auf der Grundlage des derzeitigen Forschungsstands kaum endgültige Schlüsse zu den Auswirkungen der Telearbeit auf die Arbeitswelt ziehen lassen. die Untersuchungen zur Auswirkungen der Telearbeit auf die Arbeitszeitgestaltung zu dem einhelligen Schluss gelangen, dass der größte Nachteil dieser Beschäftigungsform in längeren Arbeitszeiten liegt . (15) Den Arbeitnehmern wird ermöglicht, ihren Arbeitstag zu strukturieren, und die Wege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz fallen weg; die Kehrseite der Medaille besteht aber in längeren Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende.

    Abstimmungsergebnis:

    Ja-Stimmen:

    111

    Nein-Stimmen:

    120

    Enthaltungen:

    18

    Ziffer 5.8 (in Verbindung mit Ziffer 1.14)

    Ändern:

     

    5.8.

    Der EWSA hält es ist der Ansicht, dass im Nachgang zu den Untersuchungen zu den Auswirkungen der Telearbeit für wichtig, dass gute Telearbeitsbedingungen in die Agenda der IAO für menschenwürdige Arbeit im Allgemeinen und in die Landesprogramme für menschenwürdige Arbeit im Besonderen aufgenommen werden. Ein ein gemeinsamer Prozess der Europäischen Kommission, der IAO und der OECD sollte in Gang gesetzt werden sollte, um die Notwendigkeit eines ein IAO-Übereinkommens über Telearbeit zu prüfen erarbeiten.

    Abstimmungsergebnis:

    Ja-Stimmen:

    109

    Nein-Stimmen:

    130

    Enthaltungen:

    14


    (15)  IAO (2019): Telework in the 21st century , S. 298.


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