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Document 52013AE4368

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen COM(2013) 343 final

ABl. C 341 vom 21.11.2013, p. 92–96 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

21.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 341/92


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen

COM(2013) 343 final

2013/C 341/21

Berichterstatter: Richard ADAMS

Die Europäische Kommission beschloss am 27. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 31 und 32 des Euratom-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen

COM(2013) 343 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. September 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 492. Plenartagung am 18./19. September 2013 (Sitzung vom 18. September) mit 160 Stimmen gegen 9 Stimmen bei 15 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Änderungen zur Richtlinie über nukleare Sicherheit, die zur rechten Zeit kommen und das Ergebnis des Mandats sind, das der Europäische Rat der Europäischen Kommission erteilt hat, namentlich erforderliche rechtliche Änderungen infolge der Fukushima-Katastrophe in Erwägung zu ziehen und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Anschließend wurden im Zuge der Stresstests für europäische Kernkraftwerke Bereiche ermittelt, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Nukleare Sicherheit ist ein wichtiges grenzübergreifendes Anliegen in der EU. Die öffentliche Meinung zu dieser Frage hat einen wesentlichen Einfluss auf die nationale Politik. Die Bürger erwarten zu Recht überprüfbare hohe Standards und Kohärenz.

1.2

Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass mehrere Aspekte, auf die er in früheren Stellungnahmen (1) zur nuklearen Sicherheit hingewiesen hat, in diesem Vorschlag aufgegriffen wurden, u.a. eine stärkere Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten, Klarstellung der regulatorischen Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten und Kapazitäten, Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden sowie Maßnahmen für die anlageninterne Notfallvorsorge und -bekämpfung. Er begrüßt insbesondere die Förderung von Transparenz ganz allgemein und die Aufnahme spezifischer Anforderungen in diesen Vorschlag, die seiner Meinung nach unerlässlich und potenziell wirkungsvoll sind, um die Bedenken der Bürger auszuräumen.

1.3

Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich das wesentlich verbesserte Konzept für die Zuständigkeiten, Befugnisse und Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden sowie die Anwendung der Vorschriften, mit dem jeder dieser Bereiche gestärkt wird und außerdem auch Unterstützung und Überprüfungsmechanismen geboten werden.

1.4

Der umfassender angelegte Artikel "Begriffsbestimmungen" wird zur Auslegungsklarheit und Gewährleistung einer besseren Rechtsdurchsetzung beitragen; es sollte jedoch sichergestellt werden, dass diese Begriffsbestimmungen mit entsprechenden Definitionen seitens WENRA (Western European Nuclear Regulators Association) und IAEO (Internationale Atomenergie-Organisation) vereinbar sind und ggf. aktualisiert werden, damit sie mit der international vereinbarten Terminologie übereinstimmen.

1.5

Der Ausschuss nimmt die verstärkten Bestimmungen für die anlageninterne Notfallvorsorge und -bekämpfung zur Kenntnis. Nach Vorlage der Empfehlungen des Berichts über die anlagenexterne Notfallvorsorge, der derzeit ausgearbeitet wird, muss zügig gehandelt werden. Dieser Bereich ist in den Augen der europäischen Bürger sehr wichtig und erfordert dringend effiziente zusätzliche Maßnahmen.

1.6

Die Bestimmungen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und Transparenz wurden zwar verbessert, doch sollten die Mitgliedstaaten dazu verpflichten werden, die Öffentlichkeit und die Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv bei der Entwicklung partizipativer Verfahren in Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden zu unterstützen, um die Bürger umfassender in Planung, Überprüfung und Beschlussfassung einzubinden.

1.7

Der Ausschuss weiß das rasche Handeln der Europäischen Kommission in Form der Vorlage dieser Änderungs-Richtlinie zu würdigen. Er betont des Weiteren, dass Fukushima auf internationaler Ebene weiter analysiert wird, um Lehren aus dieser Katastrophe zu ziehen, und eine Überprüfung der Durchführung der geltenden Richtlinie über nukleare Sicherheit zu gegebener Zeit weitere Sicherheitshinweise bringen könnte. Alle Beteiligten streben weitere Verbesserungen an. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Stärkung der nuklearen Sicherheit ein ewiges Unterfangen ist.

2.   Einleitung

2.1

In seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag für einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit (2) aus dem Jahr 2009 brachte der Ausschuss sein Befremden darüber zum Ausdruck, wie lange die Ausarbeitung und Konsensfindung für die Vorlage der ersten Richtlinie über nukleare Sicherheit (2009/71/Euratom) gedauert hat – hatte der Rat doch bereits in einer Entschließung vom 22. Juli 1975 über die technologischen Probleme der Sicherheit bei der Kernenergie geeignete Maßnahmen und ein abgestimmtes Vorgehen auf Gemeinschaftsebene gefordert. Im Gegensatz dazu hat es nun lediglich vier statt 34 Jahre gedauert, um diesen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie aus dem Jahr 2009 vorzulegen.

2.2

Für diesen Tempowechsel gibt es vielerlei Gründe: Zum einen sind die vorgeschlagenen Änderungen eine Antwort auf den Bericht über die umfangreichen Stresstests, die infolge des Tsunami und seiner Auswirkungen auf die Reaktoren im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011 in Europa durchgeführt wurden. Diese Reaktorkatastrophe hat eine Reihe von technischen, betrieblichen und regulatorischen Schwachstellen und Mängeln in Japan aufgezeigt. Zum anderen tragen diese Änderungen aber auch den bereits vor 2009 von Regulierungsbehörden, Mitgliedstaaten und der Kernindustrie vorgebrachten Bedenken Rechnung, die nicht in die ursprüngliche Richtlinie aufgenommen werden konnten. Fukushima gab nicht nur den Anstoß, diese Bedenken erneut in Erwägung zu ziehen, sondern hatte auch umfassende und direkte Auswirkungen auf die Kernenergiepolitik in mehreren Mitgliedstaaten.

2.3

Mit dieser Stellungnahme kommt der Ausschuss seiner Verantwortung nach, den Meinungen und Anliegen der Zivilgesellschaft im Allgemeinen Gehör zu verschaffen; diese Verantwortung wird hier durch das Verfahren gemäß Artikel 31 Euratom-Vertrag (über Gesundheitsschutz und Sicherheit) untermauert, gemäß dem eine Stellungnahme seitens des Ausschusses eingeholt werden muss. Der Ausschuss hat bereits früher betont, dass die Richtlinien über nukleare Sicherheit grundlegende Aspekte in den Bereichen Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, Umwelt und öffentliche Sicherheit (Notfallmaßnahmen) betreffen, die von der EU nach EUV und AEUV gehandhabt werden. Daher sollte diese Thematik vielmehr gemäß den Bestimmungen dieser Verträge und nicht des Euratom-Vertrags behandelt werden. Damit würde außerdem die demokratische Glaubwürdigkeit gestärkt, da das Mitentscheidungsverfahren mit dem Europäischen Parlament zum Tragen kommen würde.

2.4

Einige Bürger sind nach wie vor über die 132 Kernreaktoren besorgt, die in Europa am Netz sind. Kernkraftwerke können trotz unterschiedlicher Einstellung der Bürger in den einzelnen Mitgliedstaaten nach wie vor ein unterschwelliges Gefühl der Angst auslösen, das durch externe Ereignisse erheblich gesteigert werden kann. Viele Bürger suchen eine verständliche und zuverlässige Art der Vergewisserung und wenden sich an die EU, die in Bezug auf die Verbesserung und Konsolidierung von Aspekten in Verbindung mit der öffentlichen Sicherheit über umfassende Erfahrung verfügt und einen guten Ruf bei den Bürgern genießt. Fukushima hat eindrucksvoll gezeigt, dass das Konzept der "absoluten Sicherheit", das in Japan gerne auf technologischer und institutioneller Ebene verfochten wird, nicht zu halten ist. Das Problem, das sich bei der Ausarbeitung jedweden Legislativvorschlags stellt, ist die Frage, ob dieser Vorschlag ein Konzept der "relativen Sicherheit" bekräftigen kann, das dem Vertrauen der Bürger zuträglich ist. Deren Vertrauen wird von der Wahrnehmung des Risikos und der Robustheit der Schutz- oder Eindämmungsmaßnahmen abhängen. Europa verfügt noch nicht über einheitliche Sicherheitsnormen, und die Bürger zeigen sich beunruhigt, wenn die Sicherheitsnormen oder ihre Durchsetzung in einem Nachbarland ihrer Meinung nach niedriger sind als in ihrem eigenen Land. Eine Antwort auf diese Variabilität könnte durchaus in der Einrichtung einer zuständigen Behörde auf EU-Ebene liegen.

2.5

Nukleare Sicherheit ist in allen Mitgliedstaaten Aufgabe der Kraftwerkbetreiber, die in einem Rahmen unter Aufsicht der nationalen Regulierungsbehörden operieren. Fukushima hat Fragen zu einer Reihe von Aspekten einschl. Anlagenkonzept und Gefahrenabwehr, Eindämmungs- und Notfallmaßnahmen, Informationsübermittlung, menschliches Versagen, Governance, Transparenz und regulatorische Aufsicht aufgeworfen. Die Auswirkungen einiger dieser Fragenkomplexe, die auch die europäischen Kernkraftwerke betreffen könnten, wurden im Zuge der Stresstests und in anschließenden Berichten untersucht.

2.6

Nukleare Sicherheit ist ein grenzüberschreitendes Thema, und die EU hat Maßnahmen ergriffen, da internationale Sicherheitsnormen und -übereinkommen für diesen Bereich entweder nicht rechtsverbindlich oder nicht direkt rechtlich durchsetzbar sind. Die vorliegenden Änderungsvorschläge sind das Ergebnis des Mandats, das der Europäischer Rat der Europäischen Kommission übertragen hat, namentlich die Überprüfung des geltenden Rechts- und Regulierungsrahmens und ggf. die Ausarbeitung von Verbesserungsvorschlägen.

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1

Mit dem Kommissionsvorschlag wird der geltende Rechts- und Regulierungsrahmen für nukleare Sicherheit überarbeitet, um kohärente und hohe Standards für nukleare Sicherheit und Aufsicht zu gewährleisten. Ausgehend von den Ergebnissen der Stresstests und den Erkenntnissen aus den Fukushima-Untersuchungen wird die Anpassung des EU-Rahmens für nukleare Sicherheit – in einigen Punkten und wo möglich – an den aktuellsten Stand der Technik vorgeschlagen und mehr Transparenz gefordert.

3.2

Die Befugnisse und die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden sollen gestärkt werden; sie sollen außerdem eine größere Rolle übernehmen und dabei durch sachkundige Mitarbeiter und angemessene Ressourcen unterstützt werden. Ferner sollen sie in Zusammenarbeit mit den Kraftwerksbetreibern eine Strategie zur Information der Öffentlichkeit, insbesondere bei Unfällen, aber auch für den Normalbetrieb entwickeln und veröffentlichen. Die Bürger sollen stärker in das Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen eingebunden werden.

3.3

Es werden neue Sicherheitsziele für Standortwahl, Bauweise, Bau, Inbetriebnahme, Betrieb und Stilllegung kerntechnischer Anlagen festgelegt; darüber hinaus wird ein EU-weites System von Peer Reviews für Kernkraftwerke eingeführt, die alle sechs Jahre durchgeführt werden und die Grundlage für die Ausarbeitung technischer Leitlinien für die Verbesserung der nuklearen Sicherheit bilden.

3.4

Neue Kernkraftwerke sollten so konstruiert sein, dass eine Reaktorkernschädigung keinerlei Folgen außerhalb der Anlage zeitigen kann. Außerdem muss jede Anlage über ein eigenes, gut geschütztes Notfallzentrum und strenge Unfallmanagement-Leitlinien verfügen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss hat die Debatte über die nukleare Sicherheit sowie die Stresstests und deren Folgemaßnahmen aufmerksam verfolgt. In seiner Stellungnahme zu dem Abschlussbericht AKW-Stresstests  (3) forderte er eine dringende Überarbeitung der Richtlinie aus dem Jahr 2009. Die Europäische Kommission hat ihre Ziele für die Richtlinie über nukleare Sicherheit in ihrem Bericht über die Stresstest klar herausgearbeitet (4) und vier Hauptbereiche für die Überarbeitung festgelegt, und zwar:

sicherheitstechnische Verfahren und Rahmenbedingungen;

Rolle und Mittel der Regulierungsbehörden;

Offenheit und Transparenz;

Überwachung und Überprüfung.

Die Frage, ob die in diesen vier Hauptbereichen festgelegten Ziele auch erreicht werden, wird kurz in Ziffer 6 beleuchtet.

4.2

Der derzeitige Vorschlag enthält mehr als 90 Änderungsvorschläge zur geltenden Richtlinie, einige sind sehr umfangreich und substanziell. Die ausführlichen Erwägungsgründe in der Richtlinie bieten eine Orientierungshilfe, um die Gründe und die praktische Durchführung der Vorschriften zu verstehen. Der substanzielle Inhalt ist allerdings in den Artikeln der Richtlinie zu finden, die daher auch in dieser Stellungnahme behandelt werden.

4.3

Der Ausschuss unterstreicht, dass der in der Richtlinie verwendete Begriff "vernünftigerweise erreichbar" trotz ausführlicher Begriffsbestimmung dazu führen könnte, dass wirtschaftlichen oder politischen Überlegungen zu viel Gewicht beigemessen wird. Alternativ könnten die Begriffe "beste verfügbare Technologien (BAT)" oder "beste Regulierungspraxis (BRP)" verwendet werden, dies hätte jedoch beträchtliche finanzielle Folgen.

4.4

Laut Europäischer Kommission soll mit dieser Richtlinie gewährleistet werden, dass durch die Auslegung neuer Kernkraftwerke eine Reaktorkernschädigung keine Auswirkungen auf den Bereich außerhalb der Kernenergieanlage hat. Die gegenwärtig in Technik und Wissenschaft vertretene Meinung lässt jedoch darauf schließen, dass eine derart weitreichende Gewähr nicht möglich ist und in der Praxis unmöglich alle Auswirkungen außerhalb der Anlage ausgeschlossen werden können.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Mit dieser Änderungs-Richtlinie werden die Bestimmungen der ursprüngliche Richtlinie gestärkt, ausweitet und klarer gefasst und eine Reihe von spezifischen Anliegen aufgegriffen, die für das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit von Belang sind. Der Ausschuss begrüßt insbesondere

die Ausweitung und Klarstellung von Artikel 3 - "Begriffsbestimmungen", vor allem betreffend etwaige Unsicherheiten. So werden beispielsweise mit einer klareren Bestimmung von Begriffen wie "praktisch ausgeschlossen" zahlreiche potenzielle Quellen für Doppeldeutigkeit ausgeräumt, wodurch wiederum das Vertrauen der Bürger in ein kohärentes Konzept gestärkt wird. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die Terminologie im Falle entsprechender Begriffsbestimmungen seitens IAEO und WENRA kohärent ist und ggf. aktualisiert wird;

die spezifische Anforderung, dass die sicherheitstechnischen Bestimmungen sämtliche Phasen des Lebenszyklus kerntechnischer Anlagen abdecken (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a);

die Beibehaltung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden und ihre erhebliche Stärkung, u.a. durch einen spezifischen Verweis auf ihre Unabhängigkeit von politischen Interessen, die Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel zur eigenständigen Verwendung und einer angemessen Anzahl an Mitarbeitern mit der erforderlichen Sachkenntnis (Art. 5 Abs. 2) sowie einer klareren Definition ihrer rechtlichen Befugnisse (Art. 5 Abs. 3);

die spezifische Aufnahme von Bestimmungen zur Überprüfung auf der Grundlage eines "gestaffelten Sicherheitskonzepts", das durch eine eindeutige Definition flankiert wird (Art. 6 Abs. 3);

die Bestimmung, dass Antragsteller zur Vorlage eines detaillierten Sicherheitsnachweises verpflichtet sind, der dem potenziellen Ausmaß der Gefahr angepasst sein muss (Art. 6 Abs. 4 Buchst. a);

die Ausweitung der Verpflichtung auf Unterauftragnehmer, dauerhaft umfangreiche Sachkenntnis in Bezug auf die Sicherheit bereitzuhalten (Art. 6 Abs. 5);

die Aufnahme von Bestimmungen zur Sicherstellung der anlageninternen Notfallvorsorge und -bekämpfung (Art. 7).

5.2

Der Ausschuss empfiehlt, Artikel 8 (nunmehr "Transparenz") und den neuen Abschnitt 2 (in dem ausführliche "Besondere Verpflichtungen" festgelegt werden) umzubenennen und auszuweiten. Artikel 8 der ursprünglichen Richtlinie mit dem Titel "Information der Öffentlichkeit" war inhaltlich sehr begrenzt. In der Änderungs-Richtlinie machen diese in Verbindung mit Artikel 8 Buchstabe a bis f und den erweiterten Begriffsbestimmungen in Artikel 3 nun beinahe 50 % des Textes aus. Mit diesen Bestimmungen soll die rechtliche Durchsetzung verbessert werden, einige Bereiche könnten jedoch nach wie vor unterschiedlich ausgelegt werden. Der Ausschuss erachtet die vorgeschlagenen ausführlichen neuen Bestimmungen als äußerst erfreulich, die einen erheblichen Fortschritt für die Berücksichtigung der nachvollziehbaren Bedenken der Bürger bedeuten könnten. Dazu zählen u.a.

die Verpflichtung zur Aufstellung und Umsetzung einer Transparenzstrategie, die alle Eventualitäten umfasst (Art. 8 Abs. 1);

die Betonung der Bereitstellung von Informationen unter Verweis auf internationale Verpflichtungen (Art. 8 Abs. 3). Wenn auch nicht im Richtlinientext selbst, so wird in der Begründung darauf hingewiesen, dass der Austausch mit Sachverständigen, an dem der Ausschuss mitgewirkt hat, die wichtige Rolle der Öffentlichkeit in der Beschlussfassung und der Anwendbarkeit der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus bestätigt hat;

ausdrückliche Unterstützung für strengere Sicherheitsziele und Methodik (Art. 8 Buchst. a bis c);

die Ausarbeitung von Anforderungen (in Verbindung mit Artikel 7) für anlageninterne Notfallvorsorge und -bekämpfung (Art. 8 Buchst. d);

die Ausweitung der Bestimmung für Peer Reviews (Art. 8 Buchst. e).

5.3

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die wichtigen Aspekte anlagenexterne Notfallvorsorge und Krisenkommunikation in dieser Richtlinie nicht aufgegriffen, derzeit allerdings Gegenstand einer Überprüfung sind, deren Ergebnisse in Form eines Berichts mit Empfehlungen Ende 2013 vorliegen sollen. Ausgehend von diesen Empfehlungen sollten umgehend ggf. erforderliche Maßnahmen ausgearbeitet werden.

5.4

Der Schutz kerntechnischer Anlagen vor Terroranschlägen war Gegenstand eines gesonderten Verfahrens parallel zu den Stresstests; dem Europäischen Rat wurde 2012 ein entsprechender Bericht vorgelegt. Aus Sicht der Mitgliedstaaten fallen Sicherheitsfragen in ihren Zuständigkeitsbereich und somit nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie über die nukleare Sicherheit. Hier ist anzumerken, dass die japanische Nuklearregulierungsbehörde im Zuge der Untersuchungen nach Fukushima alle Kernkraftwerksbetreiber aufgefordert hat, angemessene Maßnahmen zum Schutz ihrer Anlagen vor eventuellen Terroranschlägen zu ergreifen.

5.5

Mit dieser Änderungs-Richtlinie werden die rechtlichen Anforderungen in gewissem Maße ausgeweitet. Neue Anforderungen müssen wirklich notwendig und verhältnismäßig sein und dem Zweck dienen, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Nach Auffassung des Ausschusses wurde in dieser Änderungs-Richtlinie ein angemessenes Gleichgewicht erreicht.

6.   Werden mit diesem Vorschlag die Schwachstellen der geltenden Richtlinie beseitigt?

6.1

Anhaltende Unterschiede zwischen Mitgliedstaaten sind der Grund dafür, dass es kein kohärentes Konzepts für nukleare Sicherheit gibt. So lautet der wichtigste Schluss (der Europäischen Kommission); dem kann durch die Schaffung eines Rechtsrahmens Abhilfe geschaffen werden. Die Europäische Kommission betont das Fehlen eines kodifizierten EU-Mechanismus zur Vereinbarung technischer Normen und von Methoden für Sicherheitsüberprüfungen. Gemäß Artikel 8 Buchstabe f der Änderungs-Richtlinie wird ein derartiger Mechanismus eingerichtet, doch eine Formulierung wie "(…) arbeiten die Mitgliedstaaten mit Unterstützung der zuständigen Regulierungsbehörden gemeinsam Leitlinien (…) aus" ist nach Auffassung des Ausschuss nicht genau genug und bietet nur eine unzureichende Lösung für das Problem. Der Wirkungsgrad dieses Ansatzes sollte daher im Auge behalten und im Falle ernsthafter Zweifel die Einrichtung einer EU-Regulierungsagentur für nukleare Sicherheit in Betracht gezogen werden. Ein derartiger Ansatz könnte erhebliche Vorteile in Bezug auf den Zugang zu Fachwissen und Ressourcen für kleinere Mitgliedstaaten bieten.

6.2

Fragen in Bezug auf die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden, die Aufteilung der Zuständigkeiten, mangelnde Koordinierung, angemessene Ausstattung und klare Befugnisse müssen geklärt werden. Artikel 5 der Änderungs-Richtlinie enthält weitaus spezifischere rechtliche Anforderungen an die Mitgliedstaaten, die diesbezüglich erhebliche Fortschritte erlauben dürften. Allerdings müssen dringend Unabhängigkeit und Zuständigkeit der nationalen Regulierungsbehörden überprüft werden – ein Bereich, der im Kommissionsbericht ausdrücklich genannt wird. Eine derartige Überprüfung sollte als Verbesserung und nicht Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden gesehen und keinesfalls im Rahmen einer durch eine internationale Peer Review ergänzte Selbstbewertung alle zehn Jahre erfolgen. Der Ausschuss schlägt vor, bis spätestens 2018 eine erste Überprüfung und Peer Review in allen Mitgliedstaaten vorzunehmen und diese dann im 6-Jahres-Rhythmus zu wiederholen.

6.3

Derzeit sind die Überwachungs- und Überprüfungsmechanismen auf EU-Ebene auf die Peer Review des nationalen Sicherheitsrahmens und die zuständigen Regulierungsbehörden beschränkt. In Kapitel 2a der Änderungs-Richtlinie wird der Umfang der internationalen Peer Reviews beträchtlich erweitert, was zu begrüßen ist. Allerdings scheint das System von alle sechs Jahre durchgeführten "themenbezogenen" Peer Reviews Lücken zu lassen, sodass bestimmte Bereich jahrzehntelang nicht gründlich beleuchtet werden könnten. Der Ausschuss schlägt daher vor, die themenbezogenen Peer Reviews parallel zur Überprüfung des Übereinkommens über nukleare Sicherheit (CNS) alle drei Jahre durchzuführen. Die Öffentlichkeit sollte in die Diskussion, welche spezifischen Themen Gegenstand der Peer Review sind, als Teil des Bestrebens um mehr Transparenz eingebunden werden.

6.4

Unterrichtung der Öffentlichkeit und Transparenz wurde in der Änderungs-Richtlinie mit spezifischen Anforderungen, die in einigen Fällen die geltenden allgemeinen Anforderungen ersetzen, deutlich mehr Gewicht beigemessen. In der Praxis ist es für einzelne Bürger oder Organisationen der Zivilgesellschaft jedoch oftmals schwierig, sich an öffentlichen Konsultations- und Informationsmechanismen zu beteiligen. Die Wirksamkeit der öffentlichen Teilhabe hat sich in den zwei von ENSREG organisierten Sitzungen zu den Stresstests gezeigt. Der Ausschuss schlägt vor, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, die Öffentlichkeit und die Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv bei der Entwicklung partizipativer Verfahren in Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden für die Einbeziehung und Anhörung der Bürger bei der Planung, Überprüfung und Beschlussfassung zu unterstützen. Dies sollte auch für formelle oder de facto Verlängerungen der Lebensdauer von Kernkraftwerken gelten. Bestehende Verfahren wie das RISCOM-Modell (http://www.karita.se/our_approach/riscom_model.php) für Transparenz könnten bei unabhängiger Durchführung effektive Möglichkeiten bieten.

6.5

Die Vorstellung von einem umfassenden Konzept für nukleare Sicherheit entwickelt sich ständig weiter. Ethische, sozioökonomische und psychologische Faktoren haben in den intensiven Debatten nach der Katastrophe von Fukushima an Bedeutung gewonnen. Nach Meinung des Ausschusses können auch andere Bereiche der Energieerzeugung und -nutzung insbesondere in Zeiten von Wandel und globalem Druck von einer derartigen Analyse profitieren.

Brüssel, den 18. September 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 56;

ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 135;

ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 140.

(2)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 56.

(3)  ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 140.

(4)  COM(2012) 571 final.


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