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Document 52007AE0615

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten

    ABl. C 168 vom 20.7.2007, p. 77–86 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    20.7.2007   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 168/77


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“

    (2007/C 168/17)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2006 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu obenerwähnter Thema zu erarbeiten.

    Kurz vor Abschluss der Arbeiten an dieser Initiativstellungnahme, am 7. November 2006, wandte sich die deutsche Präsidentschaft mit der Bitte an den Ausschuss, eine Sondierungsstellungnahme zum Thema: „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“ zu erarbeiten.

    Das Präsidium des EWSA entschied, 5 der insgesamt 12 aufgeworfenen Fragestellungen von der Fachgruppe TEN bearbeiten zu lassen, die es wiederum als sinnvoll ansah, diese in die laufende Arbeit zum Thema „Die Situation des ÖPNV und SPNV in Europa und insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten“ zu integrieren und das Thema entsprechend zu erweitern.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr RIBBE.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 106 gegen 2 Stimmen bei 30 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der EWSA beobachtet mit großer Sorge den festzustellenden starken Rückgang des Anteils des öffentlichen Personennahverkehrs am insgesamt stark steigenden Gesamtverkehrsaufkommen in den Städten, der nicht nur in der EU (15) stattfindet, sondern auch und besonders in den neuen Mitgliedstaaten mit großer Geschwindigkeit abläuft.

    1.2

    Die zunehmende Belastung der Städte durch die Verkehrsströme, besonders durch den Autoverkehr, verursacht eine Vielzahl von in den meisten Fällen ungelösten Problemen, weshalb eine konzertierte Aktion von Kommission, Mitgliedstaaten und Gemeinden nötig ist, um diesen Trend umzukehren.

    1.3

    40 % aller verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen werden in Europa verursacht. Stadtverkehrspolitik zeigt somit Auswirkungen, die weit über die räumliche Struktur der Städte selbst hinaus reichen.

    1.4

    Der EWSA sieht zur Verbesserung der Lebensqualität und des Umweltschutzes in den Städten, zur Erfüllung der Ziele zum Klimaschutz und zur Energieeffizienz eine doppelte Notwendigkeit: Oberste Prämisse jeglicher urbaner Planungs- und Verkehrspolitik sollte es nach Auffassung des EWSA sein, Verkehr zunächst nicht oder nur in einem geringen Maße „entstehen“ zu lassen, in der zweiten Priorität den Mobilitätsbedarf möglichst mit umweltverträglichen Verkehrsmitteln, also mit dem ÖPNV, dem Rad bzw. zu Fuß abzuwickeln bzw. abwickeln zu können.

    1.5

    Die Städte müssen lebenswert bleiben, es kann keine „autogerechte“ Stadt geben. Die Zeiten der gleichzeitigen Förderung aller Verkehrsträger müssen zu Ende sein, denn dafür fehlt es sowohl an Geld als auch Fläche. Der EWSA appelliert daher an die kommunalen Gebietskörperschaften ebenso wie an die nationalen Regierungen und die Kommission, diesen Grundsatz bei allen Verordnungen und Förderprogrammen zu berücksichtigen.

    1.6

    Die Stadt- und Bauleitplanung der Gebietskörperschaften muss zukünftig die weitere Zersiedlung und die funktionale Trennung von Stadtgebieten verhindern, um Verkehrsentstehung möglichst zu vermeiden. Hierzu sollten auch übergeordnete Instrumente der Landes- und Regionalplanung genutzt werden, damit Verkehr in Abstimmung der Siedlungsentwicklung zwischen den Städten und ihren Umlandbereichen von vorneherein vermieden werden kann.

    1.7

    Der Ausschuss fordert darüber hinaus eine klare Zielhierarchie und eine Priorisierung zugunsten des ÖPNV — sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs — gegenüber der Kfz-Infrastruktur. Nur so kann die Wohn-, Lebens- und Umweltqualität der Metropolen wieder verbessert werden.

    1.8

    Er sieht somit im Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebotes aus Gründen der Umwelt- und Gesundheitsvorsorge, ebenso wie zur Sicherstellung eines Grundangebotes an Mobilität und aus Gründen der Daseinsvorsorge für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere auch für behinderte Menschen, ein wichtiges Handlungsfeld für Kommission, Parlament, nationale Regierungen und Kommunen.

    1.9

    „Wenn … weitere nachteilige Auswirkungen auf Lebensqualität und Umwelt vermieden werden sollen, muss öffentlichen Personenverkehrssystemen im Rahmen einer integrierten Politik in diesem Bereich höhere Priorität eingeräumt werden. Dies betrifft jeden und insbesondere die etwa 40 % der europäischen Haushalte ohne eigenen Pkw.“ Diese Erkenntnis und dieses Bewusstsein der EU-Kommission, niedergeschrieben vor knapp 10 Jahren in „Die Entwicklung des Bürgernetzes“ (1) hat bisher auf die konkrete Politik leider kaum Einfluss gehabt. Überhaupt muss der EWSA feststellen, dass zwischen den vielfachen positiven Bekundungen pro ÖPNV und den realen politischen Taten extreme Lücken klaffen.

    1.10

    Der EWSA bittet die Kommission im Rahmen des angekündigten „Grünbuchs Stadtverkehr“ um die Vorlage eines entsprechenden politischen Aktionspakets, in dem klare Leitlinien und Programme dargestellt werden, die eine entsprechende Zielerreichung fördern. Darin sollte auch aufgearbeitet werden, warum viele der guten Ankündigungen aus den „Bürgernetzen“ nicht umgesetzt wurden.

    1.11

    Die Mitgliedstaaten sollen sich verpflichtet fühlen, für die sozialen Leistungen, die sie von den Verkehrsunternehmen verlangen (z.B. ermäßigte Tickets für Schüler, Rentner, behinderte Personen etc.), auch finanziell aufzukommen und die Kommunen bei Investitionsvorhaben zu unterstützen. Kommunen sollten nachhaltige städtische Verkehrspläne, wie in der „Thematischen Strategie für eine Städtische Umwelt“ angesprochen, mit dem verpflichtenden Ziel für eine Verlagerung hin zu umweltverträglichen Verkehrsmitteln (ÖPNV, Rad-, Fußverkehr) aufstellen, die noch festzulegenden europäischen Mindestansprüchen genügen. Hierzu sollte u.a. eine quantitative Zielvorgabe zur Erhöhung der Verkehrsanteile des ÖPNV sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs gehören. Erstellen sie solche Pläne nicht, sollten sie von finanziellen Förderungen aus den Gemeinschaftsfonds ausgeschlossen werden.

    1.12

    Auch zur Einhaltung der EU-Zielwerte und -Vorschriften für die innerstädtische Luftqualität und zur Verringerung der Feinstaub- und Lärmbelastungen ist der prioritäre Ausbau eines attraktiven öffentlichen Verkehrssystems mit neuen technologischen Informationssystemen und Angeboten (z.B. Handyticketing, Rufbusse und -taxis) sowie Mobilitätsberatung und -marketing erforderlich. Der so genannte Umweltverbund, das heißt das Zusammenspiel z.B. von Bus, Bahn und Fahrrad, muss dringend verbessert werden, Fahrpläne sind besser aufeinander abzustimmen.

    1.13

    Der EWSA empfiehlt der Kommission, dem Rat, aber auch und besonders dem Ausschuss der Regionen, eine Untersuchung darüber anzustellen, was die Erfolgsfaktoren in jenen Städten waren, in denen die Entwicklung im Bereich einer umweltverträglichen Stadtverkehrsentwicklung entsprechend positiv war, bzw. woran es liegt, dass in vielen anderen weiterhin negative Entwicklungen vonstattengehen. Der EWSA ist sich sicher: es liegt nicht allein am Geld, sondern extrem stark am politischen Bewusstsein und den verkehrs- und siedlungspolitischen Beschlüssen der Entscheidungsträger. Hieran zu arbeiten, ist mindestens ebenso wichtig wie das Sammeln und Zurverfügungstellen von gelungenen Beispielen wie dies z.B. im Civitas-Projekt der EU erfolgt ist.

    2.   Hauptelemente und Hintergrund der Stellungnahme

    2.1

    In den vergangenen Jahren ist das Verkehrsaufkommen sowohl in den Städten als auch außerorts allgemein stark gewachsen und es hat sich vielfach ein dramatischer Wandel im sog. Modal-Split ergeben: Immer mehr Fahrten werden mit Autos, real bzw. vergleichsweise immer weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Dies betrifft den absolut überwiegenden Teil der großen Städte und Ballungszentren in ganz Europa. Unter „öffentlichem Verkehr/öffentlichen Verkehrsmitteln“ (ÖPNV) wird im Folgenden der Verkehr mit Bus, Bahn und Straßenbahnen bezeichnet, der im Auftrag der öffentlichen Hand geplant oder beauftragt und von privaten, kommunalen oder staatlichen Unternehmen durchgeführt wird.

    2.2

    Von den 50er bis in die 90er Jahre hinein war die verkehrspolitische Strategie der meisten westeuropäischen Länder und vieler Kommunen fast einseitig auf die Entwicklung von Straßeninfrastruktur und Autoverkehr ausgerichtet, während der öffentliche Verkehr zum großen Teil bedeutende Einschnitte hinnehmen musste. Eine Vielzahl zusätzlicher Faktoren wie z.B. die unterschiedlichen Bodenpreise zwischen städtischen und ländlichen Räumen, eine verfehlte Raum- und Regionalplanung, die Steuergesetzgebung sowie die Standortentscheidungen von Unternehmen (Gewerbe- und Handelsgebiete im Außenbereich) haben das Verkehrsaufkommen sowie die Länge der Wege zwischen Arbeit, Ausbildung, Versorgung und Freizeit insgesamt anwachsen lassen.

    2.3

    Diese Entwicklung hat vielfältige Folgen, sowohl im wirtschaftlichen, im sozialen, gesundheitlichen wie auch im ökologischen Bereich: Arbeitsplätze wurden abgebaut, Menschen, die über kein eigenes Fahrzeug verfügen können oder wollen, bekommen mehr Schwierigkeiten, sich fortzubewegen, Behinderte sind immer noch in vielen europäischen Städten weitgehend vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen, die Umweltschäden bis hin zur ökonomisch wie ökologisch bedrohlichen Veränderung des Weltklimas, sind nicht mehr hinnehmbar.

    2.4

    Besonders spür- und wahrnehmbar ist die Situation in vielen großen Städten und Ballungszentren, wo sich die Lebensbedingungen aufgrund des sich immer stärker entwickelnden Automobilverkehrs negativ entwickelt haben: Die Anwohner klagen über Lärm- und Luftbelastung, für das Auto und seine Infrastruktur werden große Flächenanteile zu Lasten der Wohn- und Stadtqualität genutzt. Der EWSA erinnert daran, dass rund 80 % der Europäer in urbanen Gebieten leben, die Betroffenheit also sehr groß ist. Doch auch die Autofahrer stöhnen, sie leiden unter den alltäglichen langen Staus und unter der Parkplatzsuche, um nur zwei typische Situationen zu beschreiben.

    2.5

    In den europäischen Städten werden 40 % aller verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen verursacht (2), und dies hauptsächlich vom Autoverkehr. In Hauptverkehrszeiten, wenn also in städtischen Gebieten die meisten Verkehrsprobleme auftreten, ist der ÖPNV zehnmal energieeffizienter (und somit emissionsärmer) als der Pkw-Verkehr (3). Folglich könnten erhebliche Entlastungen durch eine Verlagerung des Autoverkehrs auf den ÖPNV und den Radfahr- und Fußgängerverkehr erzielt werden. Nur wenn Verkehrsvermeidung und eine Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel vorangebracht werden, können die Nationalstaaten und die EU ihre eingegangenen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung nach dem Kyoto-Protokoll — und darüber hinaus — erreichen.

    2.6

    Unzählige offizielle Papiere und wissenschaftliche Studien sind in den letzten Jahren geschrieben worden, die meisten mit dem gleichen Tenor: Die Stadt muss lebenswert bleiben, es kann und darf deshalb keine „autogerechte“ Stadt geben, auch wenn man sich der Bedeutung des Autos in der heutigen Gesellschaft bewusst ist. In den Städten sollten vielmehr öffentliche Verkehrsmittel und der umweltfreundliche Individualverkehr (wie Radfahren oder Zufußgehen) die tragenden Säulen einer modernen städtischen Verkehrsplanung sein.

    2.7

    „Ein gut funktionierendes europäisches Verkehrssystem setzt einen attraktiven und umweltverträglichen lokalen und regionalen Personenverkehr voraus. Dieser trägt zu wirtschaftlicher Entwicklung und Beschäftigung bei und verringert das Verkehrsaufkommen. Dank eines geringeren Energieverbrauchs, einer geringeren Lärmbelastung und eines verminderten Schadstoffausstoßes trägt er außerdem zur Regenerierung der Umwelt bei. Er vermindert die soziale Ausgrenzung, indem er den Menschen die Möglichkeit gibt, ihren Arbeitsplatz, die Schule, Einkaufsmöglichkeiten, medizinische und Freizeiteinrichtungen auch ohne Auto zu erreichen, wobei der Tatsache Rechnung getragen wird, dass Frauen, Jugendliche, ältere Menschen, Arbeitslose und Behinderte ganz besonders von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängen. Ein attraktiver und umweltverträglicher Personenverkehr ist in städtischen Gebieten … von grundlegender Bedeutung“. Diese Feststellung, vor fast 10 Jahren von der Kommission in ihrer Mitteilung „Die Entwicklung des Bürgernetzes“ (4) getroffen, sagt eigentlich alles aus, was zu diesem Thema politisch zu sagen wäre. Der EWSA hat die Mitteilung damals unterstützt, er steht auch noch heute zu den dort getroffenen Aussagen und erkennt ausdrücklich die hohe Bedeutung des ÖPNV und nicht emittierender Verkehrsträger an.

    2.8

    Denn verändert hat sich kaum etwas. Im Gegenteil: die jahrzehntelange Straßenbau- und Autoorientierung hat inzwischen vielfach räumliche und ökonomische Strukturen sowohl in der Stadt als auch in der Fläche hervorgebracht, die in höchstem Maße an den Autoverkehr angepasst bzw. auf diesen angewiesen sind und nur schwer verändert werden können. Allein wegen dieser „festgefahrenen“ Strukturen, deren Etablierung nun auch in den neuen Mitgliedstaaten beobachtet werden kann, aber auch aufgrund des nicht wirklich vorhandenen politischen Willens, strukturelle Veränderungen in der Verkehrspolitik anzugehen (5), ist es eine nach wie vor große und bislang weitgehend ungelöste Herausforderung, die negativen Tendenzen der Verkehrsentwicklung aufzuhalten oder gar umzukehren. Die erfolgreiche Trendumkehr in einigen wenigen Städten (z.B. Freiburg und Münster in Deutschland oder Delft in den Niederlanden) aufgrund einer klaren „push and pull“-Verkehrspolitik zeigt jedoch, dass die Entwicklungen politisch beeinfluss- und umkehrbar sind.

    2.9

    Die Kommission hat in ihren „Bürgernetzen“ (6) darauf hingewiesen hat, dass sie bei der Entwicklung des ÖPNV und SPNV Prioritäten setzen möchte und dass sie es gar für geboten hält, eine sog. „push and pull“-Strategie zu fahren, die darauf abzielt, das Auto bewusst aus den Ballungszentren zu verdrängen und den ÖPNV stark zu fördern. Die derzeitige und immer noch zu beobachtende Entwicklung lässt nur den Schluss zu, dass die Kommission bei der Umsetzung ihres eigenen Anspruchs nicht sehr erfolgreich gewesen ist. Insgesamt scheint die Politik über Ankündigungen, Forschungsprojekte und Modellvorhaben nicht wirklich hinaus zu kommen, was der EWSA zutiefst bedauert.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1   Die derzeitige Situation des öffentlichen Verkehrs in den EU-Erweiterungsstaaten

    3.1.1

    Im Vergleich mit Westeuropa stehen viele MOE-Länder heute, was eine umwelt- und sozialverträgliche Verkehrsabwicklung betrifft, noch besser da. Die Entwicklung des Verkehrssektors hat sich in diesen Ländern aus historischen und politischen Gründen anders gestaltet als in Westeuropa, der öffentliche Verkehr beförderte lange Zeit weitaus mehr Passagiere als das Auto; dies galt sowohl im Fern-, im Regional- wie auch im städtischen Verkehr.

    3.1.2

    Und obwohl nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ ein extrem starker Trend in Richtung der westeuropäischen Entwicklung zu beobachten ist, zeigen heute eine Reihe von Umweltindikatoren, die in Verbindung mit Flächenverbrauch und Verkehr stehen, dass die MOE-Länder im Vergleich mit Westeuropa noch immer besser abschneiden.

    3.1.3

    Nichtsdestotrotz sind die Trends im Verkehrsbereich in den MOE-Ländern derzeit besonders Besorgnis erregend: Die Pkw-Besitzrate steigt stetig, die für den öffentlichen Verkehr und den Erhalt der gewachsenen Innenstädte negative Zersiedelung und Suburbanisierung nehmen bedrohliche Ausmaße an. Der EWSA sieht hier einen großen Handlungsbedarf für die Gebietskörperschaften, die Nationalstaaten, die Kommission sowie das europäische Parlament, dass auch in den MOE-Staaten diesen Fehlentwicklungen entgegengesteuert wird.

    3.1.4

    Die Verkehrspolitik der Regierungen der MOE-Länder ist hauptsächlich auf den Bau neuer Schnellstraßen und Autobahnen ausgerichtet. Beim städtischen Verkehr ist festzustellen, dass sich die meisten Zentralregierungen vielfach völlig aus dem einst zentral organisierten und staatlich betriebenen ÖPNV zurückgezogen haben und sich nun völlig unverantwortlich fühlen. Investitionshilfen, wie es sie in Deutschland beispielsweise im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes gibt, durch das mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt die Gebietskörperschaften beim Aufbau und der Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Verkehrsangebotes unterstützt werden, sind in vielen MOE-Staaten nicht vorhanden. Der EWSA hält den Aufbau derartiger Fördersysteme für sinnvoll. In den meisten MOE-Ländern besteht zudem im Vergleich zu den EU-15 ein erheblicher Nachholbedarf im Bereich Kundenorientierung, Komfort, Information und Marketing im Bereich des öffentlichen Verkehrs, das einer Lösung bedarf.

    3.1.5

    Bei der Verteilung der wenigen EU-Mitteln, beispielsweise aus dem EFRE, die für ÖPNV Investitionen bereitgestellt werden, ergeben sich weitere Probleme. Einerseits sind es häufig die Zentralregierungen, die „ihre“ Prioritäten festlegen und im Rahmen der operationalen Programme in Brüssel anmelden; und die müssen nicht kongruent mit denen der Gemeinden sein. Ferner wurde der Studiengruppe glaubhaft versichert, dass die Antragsstellungsverfahren bei Projekten im ÖPNV bzw. SPNV wesentlich schwieriger und komplizierter seien als bei Straßenbauinvestitionen. Es kommt ferner bei den vergleichsweise wenigen ÖPNV Projekten z.T. zu einer Konkurrenz zwischen Großprojekten wie dem Bau von Metrosystemen und dem Ausbau der wesentlich kostengünstigeren Straßenbahn- und Bussysteme.

    3.1.6

    Der EWSA ist der Auffassung, dass bei knapper werdenden öffentlichen Geldern auch beim öffentlichen Verkehr die Kosten-Nutzen-Relation beachtet werden und für die eingesetzten Finanzmittel ein möglichst großes Angebot an attraktiven Beförderungsmöglichkeiten mit einem dichten Haltestellen und Liniennetz bei guter Verknüpfung der Stadt- und Regionalnetze erreicht werden muss. Straßenbahnsysteme erfordern — bei vielfach gleicher Effektivität — aber nur ca. 10 % der Investitionskosten von U-Bahnsystemen und weisen geringere Folgekosten auf. Die Fehler vieler westeuropäischer Städte, die wie zum Beispiel Nantes in Frankreich ein hervorragendes Straßenbahn- und Oberleitungsbussystem abgeschafft haben und nun mit Millionen Euro an Aufwendungen wieder ein Straßenbahnsystem installieren, um ihre Verkehrsprobleme zu lösen, sollten in den MOE-Ländern nicht wiederholt werden.

    3.1.7

    Die beschriebenen Entwicklungen in den MOE-Ländern gleichen somit mehr und mehr jenen, die seit Jahren in der EU-15 als nicht nachhaltig und unverantwortlich erkannt worden sind.

    3.2   Die Entwicklungen im städtischen Verkehr in den letzten Jahrzehnten

    3.2.1

    In den letzten Jahrzehnten hat sich ein massiver Wandel vollzogen, der in den Städten zu einer verschärften Konkurrenzsituation für den ÖPNV geführt hat:

    Das Auto ist längst kein Luxusprodukt mehr, sondern ein allgemein verfügbares und immer komfortableres Gebrauchsgut geworden; wobei der EWSA allerdings zu bedenken gibt, dass 40 % der Haushalte — in der EU über kein Auto verfügen bzw. verfügen wollen.

    Um das Auto und alle damit verbundenen Wirtschaftsbereiche herum hat sich eine sehr einflussreiche Lobby gebildet.

    Mit dem Auto unterwegs zu sein, ist extrem bequem: es ist quasi immer verfügbar, man erreicht sein Ziel direkt, ohne „umzusteigen“, Witterungseinflüssen ist man in den mehr und mehr klimatisierten Fahrzeugen kaum ausgesetzt; das Auto bietet somit viele Vorteile und Annehmlichkeiten gegenüber dem ÖPNV.

    Zu dem zu beobachtenden Verkehrswachstum hat zweifellos die funktionale Aufteilung von Stadtgebieten beigetragen: in einem Stadtteil (oder gar in einer Umlandgemeinde) wird gewohnt, an anderer Stelle gearbeitet, woanders wiederum eingekauft, am vierten Ort wird sich erholt. Der Bau von Einkaufszentren am Rande der Stadt symbolisiert diese Entwicklung wohl am besten.

    In den Städten wurden lange Zeit erhebliche Investitionen vorgenommen, um die wachsenden Ansprüche des Autos zu befriedigen: Straßen wurden erweitert, Parkhäuser geschaffen, technische Systeme etabliert, um den ständig steigenden Verkehr überhaupt noch bewältigen zu können.

    Andererseits verschwanden aus vielen großen Städten (z.B. Hamburg, Westberlin oder Nantes) beispielsweise die Straßenbahnsysteme, viele Metropolen vernachlässigten ihre ÖPNV-Systeme und achteten auch weniger auf die Bedürfnisse von Radfahrern oder Fußgängern.

    Die Investitionen in den ÖPNV, aber auch in die Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur waren in den meisten Städten zu gering, um eine attraktive Alternative zum Auto zu entwickeln.

    Vielerorts gibt es keine ausreichende Verknüpfung und Koordination zwischen den öffentlichen Verkehrssystemen der Städte und den Regionalverkehrssystemen, ebenso fehlen in vielen Großstädten tangentiale Verbindungen, so dass die Fahrt zwischen Vorstädten und Stadtvierteln über das Zentrum führt und im Vergleich zur Autonutzung zeitlich nicht attraktiv ist.

    3.2.2

    Natürlich ist auch dem EWSA klar, dass es keine allgemein gültige Entwicklung gibt, die für alle europäischen Städte gleichermaßen zutrifft. Die Entwicklung ist von Stadt zu Stadt und Region zu Region unterschiedlich verlaufen. Es gab und gibt nämlich auch Städte, die bereits in den letzten Jahren, z.T. Jahrzehnten, sehr intensiv darauf geachtet haben, die ÖPNV-Systeme und den Rad- und Fußgängerverkehr zu fördern. So ist auffällig, dass beispielsweise die Fahrradinfrastruktur in Brüssel eine andere ist als z.B. in Amsterdam oder Münster, und entsprechend unterschiedlich fällt auch der Anteil des Fahrrades am Gesamtverkehr aus. Freiburg, Mulhouse oder jüngst Paris haben — neben anderen Städten — neue Straßenbahnlinien etabliert und so viele Autofahrer zum Umsteigen bewegt.

    3.2.3

    Es gibt auch einige wenige positive Beispiele in den neuen Mitgliedstaaten, wo Kommunen erfolgreich die „Wende“ überwunden und positive Akzente im Bereich des ÖPNV gesetzt haben. Zweifellos gehört die Stadt Krakau (Polen) hierzu (7). Ein Besuch der für die Erarbeitung dieser Stellungnahme verantwortlichen Studiengruppe in Krakau hat dies eindrucksvoll gezeigt. Dort konnten unabhängige Verkehrsplaner und Umweltgruppen die städtische Verwaltung überzeugen, im Rahmen der — finanziell sehr eingeschränkten — Möglichkeiten den ÖPNV zu modernisieren und zu verbessern. Die Erhaltung, Modernisierung und gar der teilweise Ausbau eines faszinierend dichten Straßenbahnnetzes, der Kauf neuer Straßenbahnfahrzeuge, die Modernisierung der Busflotte, aber auch der Haltestellen, die beginnende Etablierung von Vorrangschaltungen für den ÖPNV, die Schaffung separater Fahrspuren für Busse und Bahnen, aber auch der konsequente Umbau und die teilweise Neuorientierung der ÖPNV-Verwaltung und des Betriebs zeigen dort mittlerweile Erfolge. Der Kostendeckungsgrad liegt bei knapp 90 % und damit weit über den üblicherweise erreichten Werten. Er könnte sogar noch weiter verbessert werden, wenn der kommunale Verkehrsbetrieb keine erheblichen Einnahmeverluste zu verzeichnen hätte, weil die Zentralregierung Fahrpreisermäßigungen für bestimmte Nutzergruppen (wie Schüler, Studenten, Rentner, Behinderte etc.) beschlossen hat, aber die entsprechenden Einnahmeverluste nicht ausgleicht.

    3.2.4

    Der EWSA spricht sich selbstverständlich nicht gegen entsprechende Fahrpreisverbilligungen für solche Nutzergruppen aus, meint aber, dass die entsprechenden Kosten nicht den Verkehrsunternehmen aufgebürdet werden dürfen.

    3.2.5

    Die Analyse des positiven Fallbeispiels Krakau bringt allerdings auch die Probleme an den Tag, mit denen die Kommunen, aber auch die Betreiber des ÖPNV zu kämpfen haben: oftmals fehlendes Bewusstsein in der Politik (und dies leider auf allen hierarchischen Ebenen), die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung des Verkehrsmittels (Auto = modern, ÖPNV = altmodisch, etwas für Menschen mit begrenzten finanziellen Ressourcen, die sich kein Auto leisten können), Nichtbeachtung der verkehrstechnischen Folgen städtebaulicher Entwicklung, mangelnde Abstimmung zwischen städtischem Verkehr und Umlandverkehr.

    3.2.6

    In einigen Städten ist also zumindest partiell ein Umdenken deutlich erkennbar, es wird in „umweltfreundlichere“ Verkehrsträger investiert, was vom EWSA begrüßt wird. Wichtig ist dem Ausschuss deutlich zu machen, dass angesichts knapper öffentlicher Mittel und angesichts der hohen negativen Folgen des innerstädtischen Autoverkehrs die Zeiten der gleichzeitigen Förderung aller Verkehrsträger zu Ende sein müssen. Die Bedeutung des Autos sollte, ganz im Sinne der mittlerweile fast 10 Jahre alten Ideen der „Bürgernetze“, in den Städten zurückgedrängt werden, wozu nicht nur massive Attraktivitätssteigerungen beim ÖPNV und der Fußgänger- und Radfahrinfrastruktur notwendig sind, sondern auch bewusste „Erschwernisse“ beim Auto selbst. Denn für einen gleichzeitigen Ausbau sowohl einer Autoinfrastruktur als auch des ÖPNV fehlt es einerseits an Geld, andererseits an Fläche.

    3.2.7

    Nur bei einer klaren Zielhierarchie und Priorisierung von ÖPNV- sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs — gegenüber der Kfz-Infrastruktur kann also die Wohn-, Lebens- und Umweltqualität in Metropolregionen verbessert werden. Die ÖPNV-Belange müssen daher vor der Entscheidung über die Flächennutzungsplanung sowie vor der Entscheidung über die übrige Verkehrserschließung im planerischen und politischen Prozess sowie bei der Finanzierung berücksichtigt werden.

    3.2.8

    Die Maßnahmen, die Kommunen anwenden müssten, sind so vielfältig, dass es nicht Sinn und Aufgabe einer EWSA-Stellungnahme sein kann, hier alle aufzulisten. Zur Attraktivitätserhöhung beim ÖPNV gehört nicht nur ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Angebot hinsichtlich Taktfrequenz, Schnelligkeit, Sauberkeit und Sicherheit, Information etc. Verfügbarkeit und Zugänglichkeit (ganz besonders relevant für Behinderte, Mütter mit Kindern etc.) müssen als unabdingbare Voraussetzungen in die Planung einfließen; der Zugänglichkeitsaspekt muss im Hinblick auf die Schaffung attraktiver Umsteigemöglichkeiten zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln besonders berücksichtigt werden, um für alle Bürger ein kohärentes Beförderungsangebot von einem Ort zum anderen sicherzustellen. Auch bezahlbare Fahrpreise spielen bei der Wahl des Verkehrsmittels eine wichtige Rolle. Konkrete, praktische Hinweise, wie eine entsprechende Qualitätssteigerung erreicht werden kann, sollten den politisch Verantwortlichen noch besser als bisher zur Verfügung gestellt werden. Weniger (und dafür teure) Parkmöglichkeiten in den Zentren, dafür mehr und billige Parkangebote an den Endhaltestellen der schienengebundenen Nahverkehrssysteme, separate Straßenbahn- und Busspuren, die teilweise natürlich zu Lasten des Platzangebotes für Autos gehen (müssen) sind weitere Maßnahmen, entsprechende Verkehrsverlagerungen zu erreichen. (Im Zusammenhang mit der Verknappung des Parkraums muss bei der diesbezüglichen Planung weiterhin eine ausreichende Zahl an Sonderparkplätzen für Personen mit stark eingeschränkter Mobilität, die sich nur mit Hilfe eines speziell ausgestatteten Kraftfahrzeugs fortbewegen können, sichergestellt werden.) London, Stockholm (nach einem Bürgerentscheid!) haben damit begonnen, von Autofahrern Nutzungsgebühren zu erheben, wenn sie in die Innenstadt fahren wollen (bzw. bestimmte Straßen benutzen), und sie erreichen damit gute Erfolge. In Madrid und weiteren europäischen Großstädten wird dies derzeit geprüft.

    3.2.9

    In London beispielsweise werden die Einnahmen aus der sog. City-Maut überwiegend in das städtische Bussystem investiert. Allein dies führte zu einer bemerkenswerten Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und zu einer klaren Verringerung der Treibhausgasemissionen (um — 10 %), des Energieverbrauchs (minus 20 %) sowie der Stickoxid- und der Partikelemissionen (minus 16 %) (8).

    3.2.10

    Doch leider geht der Trend trotz dieser genannten guten Beispiele und trotz der Verfügbarkeit von Best-practice-Beispielen — die u.a. im Civitas-Projekt der EU gefördert und dokumentiert wurden — noch nicht in Richtung einer wirklich „neuen“ städtischen Verkehrspolitik. Und gerade in den mittel- und osteuropäischen Ländern werden derzeit jene „Fehler“ wiederholt, deren schwerwiegende Konsequenzen Tag für Tag in den westeuropäischen Städten beobachtet werden können.

    3.2.11

    Oberste Prämisse jeglicher urbaner Planungs- und Verkehrspolitik sollte es nach Auffassung des EWSA sein, Verkehr zunächst nicht oder nur in einem geringen Maße „entstehen“ zu lassen, in der zweiten Priorität den Mobilitätsbedarf möglichst mit umweltverträglichen Verkehrsmitteln, also mit dem ÖPNV, dem Rad bzw. zu Fuß abzuwickeln bzw. abwickeln zu können.

    3.2.12

    Hierzu ist es notwendig, einen großen Mix aus planerischen und organisatorischen Maßnahmen zusammenzustellen und entsprechende Investitionsentscheidungen zu treffen. Dass eine nachhaltige städtische Verkehrsplanung funktionieren kann, und dass diese einerseits die Lebensbedingungen in der Stadt verbessert, ohne dass sie die Wirtschaftskraft schwächt, zeigen viele Einzelbeispiele in europäischen Städten. Es zeigt sich aber auch, dass vielerorts solche Maßnahmen bislang nicht ergriffen worden sind, was an fehlendem Know-how bzw. anderen politischen Prioritäten liegt.

    3.2.13

    Der EWSA empfiehlt der Kommission, dem Rat, aber auch und besonders dem Ausschuss der Regionen, eine Untersuchung darüber anzustellen, was die Erfolgsfaktoren in jenen Städten waren, in denen die Entwicklung im Bereich einer umweltverträglichen Stadtverkehrsentwicklung entsprechend positiv waren, bzw. woran es liegt, dass in vielen anderen weiterhin negative Entwicklungen vonstattengehen. Der EWSA ist sich sicher: es liegt nicht allein am Geld, sondern extrem stark am politischen Bewusstsein und den verkehrs- und siedlungspolitischen Beschlüssen der Entscheidungsträger. Hieran zu arbeiten, ist mindestens ebenso wichtig wie das Sammeln und Zurverfügungstellen von gelungenen Beispielen.

    3.3   Die Fragen der deutschen Präsidentschaft

    3.3.1   Koordinierung der Planung von Verkehrs- und Siedlungsstruktur (Wie kann Siedlungsentwicklung und ÖPNV-Netz in Übereinstimmung gebracht werden?)

    3.3.1.1

    Es ist keine Frage: Es bedarf in den meisten Fällen einer besseren Koordination bei der Planung. Es ist eindeutig, dass sich die Verkehrs- und Siedlungsstruktur wechselseitig bedingen. Dies ist seit langem bekannt. Die Flächennutzungs- und Bauleitplanung, die in der Hauptverantwortung der Kommunen liegt, ist somit eine der entscheidenden Determinanten für Höhe und Art des zukünftigen Verkehrsaufkommens. Eine besser abgestimmte Regional- und Landesplanung sollte zukünftig eine stärker an den Zielen der Verkehrsvermeidung ausgerichtete Siedlungsentwicklung fördern und die Zersiedelung sowie die Erschließung von Handels- und Gewerbestandorten in der Peripherie zu Lasten der Innenstädte verhindern.

    3.3.1.2

    Die Verkehrserschließung von bestehenden und neuen Siedlungs- und Gewerbegebieten z.B. durch leistungsfähige ÖPNV-Systeme verbessert eindeutig deren Standortattraktivität. Dies lässt sich relativ leicht durch die Veränderungen bei Bodenpreisen nachweisen. Sie ist aber auch Voraussetzung dafür, nicht übermäßig neue Umweltbelastungen zu erzeugen.

    3.3.1.3

    Für den EWSA ist es keine Frage, dass die Metropolregionen, aber nicht nur diese, sondern alle Städte, zukünftig noch wesentlich stärker als bisher auf die sog. „Innenentwicklung“ achten sollten, also primär innerstädtische Flächen nutzen sollten, bevor Flächen in den Randbereichen bzw. Außenbezirken der Städte neu erschlossen werden. Diese Auffassung steht im Einklang mit den Zielsetzungen der Bodenschutzstrategie der EU.

    3.3.1.4

    Weitere Voraussetzungen sind verkehrssparsame, verdichtete, funktionsgemischte Siedlungsstrukturen mit entsprechenden Handels- und Gewerbestandorten, Akzeptanz und Kultivierung eines massiv verlangsamten an die anderen Verkehrsteilnehmer angepassten Autoverkehrs zur Rückeroberung städtischer Lebensräume. Dazu sind flächendeckende Verkehrsberuhigung, „Spielstraßen“, in denen Fußgänger und Radfahrer Vorrecht vor motorisiertem Verkehr haben, sowie Fußgängerzonen auszubauen. Sozial und kulturell aufgewertete Stadtviertel mit dezentralen Einkaufs- und Freizeitangeboten wirken besonders verkehrssparend.

    3.3.2   Sicherstellung eines leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Personennahverkehrs zur Entlastung der Ballungsräume vom Individualverkehr (Marktordnung, Finanzierung, Kundenzufriedenheit)

    3.3.2.1

    Eine Entlastung der Ballungsräume vom Individualverkehr wird nur möglich sein, wenn ein leistungsfähiger und attraktiver ÖPNV zur Verfügung steht. „Attraktiv“ und „leistungsfähig“ heißt, dass das Angebot in Menge und Qualität so gestaltet sein muss, dass die Benutzung möglichst einfach und möglichst angenehm ist.

    3.3.2.2

    Es kann nicht die Aufgabe des EWSA sein, in einer solchen Stellungnahme das ganze Bündel notwendiger Maßnahmen im Bereich Marktordnung, Finanzierung und Kundenzufriedenheit aufzuzählen. Klar ist jedoch: Die Attraktivität der Verkehrsmittel definiert sich nicht nur über Menge und Qualität des Angebotes, sondern auch über den Preis. Die Internalisierung der externen Kosten im Bereich des Verkehrs, oft genug politisch angekündigt, würde eindeutig helfen, die Wettbewerbsposition des ÖPNV zu verbessern.

    3.3.2.3

    Die Kunden werden den ÖPNV in Konkurrenz zum Auto nur dann wieder stärker nutzen, wenn ein preiswürdiges Angebot vorliegt, das heißt, wenn ein qualitativ hochwertiges Angebot zu einem angemessenen Preis geboten wird. Das lässt sich nur erreichen, wenn die Effizienz des ÖPNV kontinuierlich gesteigert wird. Wird hier ein Optimum erreicht, kann auch der Kostendeckungsgrad erhöht werden. Vollständige Kostendeckung der Investitions- und Betriebskosten des ÖPNV aus den Fahrpreisen kann dennoch kein politisches Ziel sein. Eine derartige einseitige betriebswirtschaftliche Kostenrechnung blendet nämlich die Internalisierung externer Kosten des Verkehrs in den Städten aus. Der EWSA sieht es deshalb als extrem wichtig an, dass von Seiten der Politik endlich Kostenwahrheit im Verkehr geschaffen wird, wozu die Internalisierung der externen Kosten unverzichtbar gehört. Die Internalisierung der externen Kosten im Bereich des Verkehrs, oft genug politisch angekündigt, würde eindeutig helfen, die Wettbewerbsposition des ÖPNV zu verbessern

    3.3.2.4

    Staatliche oder nationale Infrastrukturentscheidungen (z.B. Fernstraßen, die für den Nah- und Regionalverkehr in Konkurrenz zum ÖPNV genutzt werden) und steuerliche Rahmensetzungen (Kfz-Entfernungspauschale, Kraftstoffbesteuerung, Ökosteuer zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs etc.) bis hin zur EU-Förderpolitik (z.B. im Rahmen der transeuropäischen Netze) sind wichtige Einflussfaktoren für die Verkehrsmittelwahl und damit die Chance, einen finanzierbaren und kundenorientierten ÖPNV mit hoher Netzdichte und zeitlicher Angebotsqualität aufzubauen.

    3.3.2.5

    Zur Sicherstellung eines leistungsfähigen und attraktiven ÖPNV sowie der Entlastung der Ballungsräume vom motorisierten Individualverkehr und dem Straßengüterverkehr (nicht vom gewünschten individuellen Rad- und Fußverkehr) bedarf es einer integrierten Raum- und Verkehrsplanung, welche die einzelnen Verkehrsarten und -zwecke erfasst und im regionalen Verbund mit den peripheren Räumen bewertet. Nach einer abgestimmten Zielhierarchie und entsprechend abgeleiteten Strategien sind dann unterschiedlichste Maßnahmen in einem politischen und kommunikativen Prozess umzusetzen. Hierzu ist die Integration von Planungskompetenz und Finanzierungskompetenz wichtig. Weitere Vorraussetzungen sind verkehrssparsame, verdichtete, funktionsgemischte Siedlungsstrukturen mit entsprechenden Handels- und Gewerbestandorten, Akzeptanz und Kultivierung des Langsamverkehrs zur Rückeroberung städtischer Lebensräume.

    3.3.2.6

    Um die Anbindung des in der ländlichen Umgebung benutzten oder von fern kommenden Individualverkehrs an die öffentlichen städtischen Verkehrsnetze attraktiv und praktikabel zu gestalten, sollten (siehe auch Ziffer 3.2.8) an geeigneten peripheren Halteknoten ausreichend ausgestattete, preiswerte und bequeme Parkmöglichkeiten geschaffen werden („Park and Ride“)

    3.3.2.7

    Der EWSA fordert als steuernde Maßnahme zur Verkehrsvermeidung und -verlagerung auch eine schrittweise Angleichung der Kraftstoffbesteuerung in der EU auf hohem Niveau, um eine einheitliche Wettbewerbsituation sowie Finanzierungsquellen für den ÖPNV zu erschließen.

    3.3.3   Förderung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs

    3.3.3.1

    Gemessen an der Anzahl der Wege (nicht der Länge) wird jede dritte Strecke ausschließlich zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt, was die hohe Bedeutung des Rad- und Fußgängerverkehrs in unseren europäischen Städten deutlich macht. Auf der anderen Seite wird immer noch mehr als die Hälfte aller Wege unter 5 km mit dem Auto zurückgelegt, obwohl in dieser Distanz häufig das Rad das schnellere Verkehrsmittel wäre. Durch die Verbesserung der Erreichbarkeit von Haltestellen des ÖPNV, von Abstell- und Mitnahmemöglichkeiten können im innerstädtischen Verkehr auch weitere Distanzen mit einer Kombination von umweltverträglichen Verkehrsmitteln zurückgelegt und der Modal-Split verändert werden. (Die Frage, wie der Radverkehr, gerade über Ländergrenzen hinweg, auf europäischer Ebene gefördert werden kann, wird in der Sondierungsstellungnahme „Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs“ TEN/277, R/CESE 148/2007, gesondert behandelt).

    3.3.3.2

    Als öffentliches Verkehrsmittel bietet das „Citybike“ die Möglichkeit, in der ganzen Stadt Distanzen mit dem Fahrrad zurückzulegen. Diese Citybikes können an öffentlichen Bike-Stationen innerhalb der Stadt entliehen und an jeder beliebigen Station zurückgegeben werden. Es ist nur eine Anmeldung, z.B. mit einer Kreditkarte, erforderlich. Die Nutzungsgebühr muss sehr preiswert sein.

    3.3.3.3

    Fahrradfahren und Zufußgehen ist nicht nur extrem umweltfreundlich, sondern zudem auch gesund. In unserer Gesellschaft, in der Bewegungsmangel mittlerweile hohe Gesundheitskosten verursacht, sollte es auch aus gesundheitspolitischen Gründen durchaus wünschenswert sein, den Anteil des Rades und des Fußgängerverkehrs zu fördern.

    3.3.3.4

    Es ist leicht zu verstehen, dass hierfür eine entsprechende qualitativ hochwertige Infrastruktur vorhanden sein muss. Beim Rad gehören hierzu nicht nur die Radwege in den Städten, sondern auch gesicherte Abstellmöglichkeiten und andere Serviceangebote (z.B. Mitnahmemöglichkeiten im ÖPNV und in der Bahn). Die Niederlande dürften das europäisch beste Beispiel dafür sein, wie man eine Fahrradinfrastruktur entwickelt. Deshalb stellt sich auch weniger die Frage, was Kommunen machen können, sondern die, warum sie die vergleichsweise kostengünstigen Möglichkeiten zur Attraktivitätssteigerung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs bisher nicht nutzen und umsetzen.

    3.3.3.5

    Gerade in Ballungsräumen, in denen die Wohn- und Aufenthaltsqualität verbessert sowie die Umsetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinien und der EU-Umgebungslärmrichtlinien überfällig ist, kommt der Förderung des Rad- und Fußgängerverkehrs besondere Bedeutung zu. Bei einem Vergleich der Modal-Split-Werte von europäischen Großstädten und Ballungsräumen wird deutlich, dass es entscheidende Faktoren für hohe Anteile dieser Verkehrsarten an den täglichen Wegen, die Attraktivität der angebotenen Infrastruktur sowie begleitende Förder- und Imagemaßnahmen gibt: Anteil der verkehrsberuhigten und autofreien Räume, dichtes Netz, Vorrang bei Querungen und an Ampeln, Gehsteigbreiten, Beschilderung, Aufenthalts- und Ruhemöglichkeiten, Radabstellanlagen und -stationen, Öffentlichkeitskampagnen (walk to school-days, Wettbewerb mit dem Rad zur Arbeit, car-free days, Rad-Mitnahmemöglichkeit im ÖPNV). Ebenso ist ein Rad- und Fußwegebeauftragter als Stabsstelle sinnvoll.

    3.3.4   Einsatz moderner Informations-, Kommunikations- und Leittechniken

    3.3.4.1

    Die Verkehrstelematik kann zur Verlagerung von Verkehr auf den ÖPNV und die bessere Ausnutzung vorhandener Kapazitäten beitragen. Hierdurch lassen sich Verkehrssicherheit erhöhen und Umweltbelastung verringern. Letzteres sowie die Verkehrsverlagerung stehen allerdings bisher nicht im Fokus bei Entwicklung und Nutzung der Verkehrstelematik. Der EWSA sieht mit Sorge, dass Millionen Euro an Forschungs- und Entwicklungsgeldern sowie Förderungen in diesem Bereich eher zu einer „Verflüssigung“ des Kfz-Verkehrs und damit zu keiner Umweltentlastung geführt haben. Ebenso hat die Kapazitätserhöhung bei gleichmäßigerem Straßenverkehr nicht zu einem Verzicht auf den Neu- oder Ausbau des Straßennetzes beigetragen. Die Umlenkung des Autoverkehrs bei Stausituationen auf den ÖPNV trägt nicht zu einer gleichmäßigeren Auslastung von ÖV-Systemen bei und ist daher — aus Sicht des ÖPNV — eher kontraproduktiv zu werten.

    3.3.4.2

    Der EWSA spricht sich für den prioritären Einsatz der Verkehrstelematik im Bereich des ÖPNV zur umfassenden Verkehrs- und Reisendeninformation aus. Ebenso sieht er Einsatzmöglichkeiten im Bereich des Flottenmanagements und der City-Logistik (Leerfahrtenvermeidung, Fahrtenbündelung). Ebenso sollte im Rahmen einer integrierten Verkehrsplanung die Effizienzsteigerung durch telematische Systeme zur Vermeidung von Aus- und Neubau bestehender Infrastrukturen genutzt werden. Insgesamt macht der Einsatz von Telematik im Verkehrsbereich nur Sinn, wenn damit tatsächlich eine Reduktion von Pkw- und Kfz-Fahrten erreicht wird.

    3.3.5   Reduzierung von städtischen Umweltbelastungen

    3.3.5.1

    Nur mit den vorgeschlagenen Maßnahmen für eine klare Priorisierung des Umweltverbundes aus Rad fahren, zu Fuß gehen und ÖPNV-Nutzung können die städtischen Umweltbelastungen wie z.B. Feinstaub, Lärm und der Flächenverbrauch durch den fließenden und ruhenden Autoverkehr verringert und die entsprechenden EU-Richtlinien zur Gesundheitsvorsorge und Attraktivitätssteigerung der Städte umgesetzt werden. Technische Maßnahmen wie Russfilter etc. können, so wichtig und sinnvoll sie vielfach auch sind, die städtischen Umweltbelastungen allein nicht reduzieren. An strukturellen verkehrspolitischen Änderungen werden die Gemeinden nicht vorbei kommen.

    4.   Forderungen

    Der ÖPNV kann nur dann sinnvoll entwickelt werden, wenn im Rahmen einer konzertierten Aktion EU-Kommission, Mitgliedstaaten und lokale Stellen eine aktive Politik für öffentliche Verkehrsträger entwickeln, wozu auch gehört, die Dominanz des Autos in Frage zu stellen.

    Forderungen an die EU-Ebene

    4.1

    Die Kommission ist aufgerufen, die Finanzmittelverteilung bei den Regionalentwicklungsmaßnahmen neu zu regeln. Der EWSA schlägt vor, dass auch beim EFRE, analog zum Kohäsionsfonds, ein bestimmter, hoher Anteil der für Verkehrsprojekte vorgesehenen Investitionen für Investitionen in öffentliche Verkehrsprojekte zweckgebunden werden muss.

    4.2

    Solange die verursachten Kosten des motorisierten Individualverkehrs nicht über Straßenbenutzungsgebühren und andere finanzielle Belastungen getragen werden, ist eine vollständige Erwirtschaftung der Trassenkosten schienengebundener Verkehre nicht gerechtfertigt.

    4.3

    Eine Internalisierung der externen Kosten im Verkehrsbereich sowie eine Steuerung der Verkehrsmittelwahl über die Preisgestaltung (Kfz-Steuer, Benzinsteuer, Parkgebühren, Straßenbenutzungsgebühren) sind notwendige Rahmenbedingungen zum Stoppen des Abwärtstrends des öffentlichen Verkehrs und zur Erzielung einer Trendwende in Richtung Ausweitung des Angebots, Vernetzung, Erzielung höherer Nachfrage und Kostendeckungsgrade im öffentlichen Verkehr. Der EWSA hat sich mehrfach für die Internalisierung externer Kosten ausgesprochen, die Kommission hat mehrfach entsprechende Ankündigungen gemacht. Doch passiert ist nichts. Die Kommission ist aufgerufen, u.a. bei der geplanten Vorlage eines Grünbuchs „Stadtverkehr“ endlich entsprechende Aussagen zu machen und die Umsetzung unverzüglich anzugehen.

    4.4

    Der EWSA bittet die Kommission, ähnlich dem Marco-Polo-Programm, ein konkretes EU-Förderprogramm für die Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr auszuarbeiten, mit dem auch Pilotprojekte für zukunftsweisenden öffentlichen Personennah- und -regionalverkehr insbesondere in den MOE-Staaten finanziert werden können. Solche Pilotprojekte sollten auf Strecken mit bislang ungenutztem großen Fahrgastpotenzial eine Modernisierung der Infrastruktur (inkl. sinnvoller Neubaumaßnahmen), eine Modernisierung der Fahrzeuge, Einführung eines attraktiven Fahrplans und eine optimale Vernetzung mit dem übrigen öffentlichen Personennah- und -regionalverkehr beinhalten. Und auch in Städten sollten modellhafte Initiativen unterstützt werden.

    4.5

    Ebenso wäre ein konkretes EU-Förderprogramm zum Thema Mobilität und Stadtentwicklung bzw. Regionalplanung sinnvoll. Hier könnten Modellprojekte gefördert werden, die nicht zu einer planlosen Zersiedelung führen, sondern die bestehenden Siedlungskerne sowie ein abgestuftes System zentraler Orte fördern, Siedlungsachsen definieren, die dann auch tatsächlich mit einem attraktiven SPNV bzw. ÖPNV erschlossen werden können.

    4.6

    Der EWSA empfiehlt ferner zur Verbesserung der statistischen Datengrundlage eine Berichtspflicht für ausgewählte Parameter des öffentlichen Verkehrs in den einzelnen Ländern und die systematische Verbreitung von Best-practice-Beispielen im öffentlichen Verkehr. Eine gute Grundlage bietet hierfür der Europäische Informationsdienst für den Nahverkehr und sein Internetportal Eltis (www.eltis.org), eine Initiative der Kommission. Die dort aufgeführten Fallbeispiele zu einzelnen Maßnahmen sollten vor allem im Hinblick auf Beispiele aus den neuen Mitgliedstaaten und den Beitrittskandidaten systematisch ergänzt werden.

    4.7

    Die EU-Kommission und der Rat sollten überlegen, die Gebietskörperschaften zu verpflichten, nachhaltige städtische Verkehrspläne, mit dem verpflichtenden Ziel für eine Verlagerung hin zu umweltverträglichen Verkehrsmitteln (ÖPNV, Rad-, Fußverkehr) aufzustellen. Diese sollten noch festzulegenden europäischen Mindestansprüchen genügen. Sollten die Kommunen solche Pläne nicht erstellen, sollten sie von finanziellen Förderungen aus den Gemeinschaftsfonds ausgeschlossen werden.

    Forderungen an die Mitgliedstaaten

    4.8

    Die neuen Mitgliedstaaten bittet der EWSA ihre Verantwortung für den SPNV und den ÖPNV wahrzunehmen und z.B. über Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetze zu unterstützen. Sie dürfen die Kommunen nicht finanziell und organisatorisch im Regen stehen lassen.

    4.9

    Es kann nicht angehen, dass Unternehmen die finanziellen Lasten zu tragen haben, die aus durchaus sinnvollen sozialpolitischen Entscheidungen (wie reduzierte Fahrpreise für sozial schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen) resultieren. Der EWSA kann hierin nur ein verantwortungsloses Verhalten von Regierungen gegenüber dem ÖPNV erkennen.

    4.10

    Die Mitgliedstaaten sollten sich verpflichtet fühlen, für die sozialen Leistungen, die sie von den Verkehrsunternehmen verlangen (z.B. ermäßigte Tickets für Schüler, Rentner, behinderte Personen etc.), auch finanziell aufzukommen.

    4.11

    Die Mitgliedstaaten sollten eine Internalisierung der externen Kosten des motorisierten Individualverkehrs vorantreiben, um mit den eingenommenen Geldern die öffentlichen Verkehrsangebote massiv auszubauen und die Verkehrsverlagerung voranzutreiben.

    4.12

    Gegebenenfalls gemeinsam mit der EU Kommission sollten die Mitgliedstaaten versuchen, Best-practice-Beispiele für eine positive Entwicklung des ÖPNV möglichst breit bekannt zu machen. Dem ÖPNV mangelt es zwar auch an Geld, aber nicht nur: ohne Bewusstsein und ohne Ideen, ohne „benchmarking“ kann man selbst mit noch so viel Geld oft nichts erreichen.

    Forderungen an die Kommunen

    4.13

    Zur Sicherstellung eines leistungsfähigen und attraktiven ÖPNV sowie der Entlastung der Ballungsräume vom motorisierten Individualverkehr und dem Straßengüterverkehr bedarf es einer integrierten Raum- und Verkehrsplanung, welche einerseits auf Verkehrsvermeidung ausgerichtet ist und andererseits auf umweltschonende Verkehrsträger setzt. Dazu müssen zunächst die einzelnen Verkehrsarten und -zwecke erfasst und im regionalen Verbund mit den peripheren Räumen bewertet werden.

    4.14

    Nach einer abgestimmten Zielhierarchie und entsprechend abgeleiteten Strategien sind dann von den Kommunen unterschiedlichste Maßnahmen in einem politischen und kommunikativen Prozess umzusetzen.

    4.15

    Die Gebietskörperschaften sollten sich klare Ziele setzen, wie und um wie viel sie den Anteil des ÖPNV und des Umweltverbundes aus Radfahren und Zufußgehen erhöhen und den absoluten Anteil des motorisierten Individualverkehrs somit verringern wollen. Hierzu ist die Integration von Planungskompetenz und Finanzierungskompetenz wichtig.

    4.16.

    Eine vorausschauende Planung für den öffentlichen Verkehr als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge muss auch eine Bodenbevorratungspolitik für z.B. Trassen und Stationen des öffentlichen Verkehrs berücksichtigen.

    4.17.

    Die Beteiligung der Bürgerschaft sowie von Nutzervereinigungen an den Planungsprozessen ist für den Erfolg der öffentlichen Verkehrssysteme von großer Bedeutung. Der EWSA empfiehlt daher den Gebietskörperschaften eine umfangreiche Bürgerbeteiligung beim Ausbau ihrer öffentlichen Nahverkehrssysteme.

    Brüssel, den 25. April 2007.

    Der Vorsitzende

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  „Die Entwicklung des Bürgernetzes — warum ein attraktiver lokaler und regionaler Personenverkehr wichtig ist und wie die Europäische Kommission zu seiner Schaffung beiträgt!“ — KOM(1998) 431 endg. vom 10.7.1998.

    (2)  GD TEN Roadmap 2006/TREN/029.

    (3)  S. UITP „Die Rolle des ÖPNV bei der Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen und der Verbesserung der Energieeffizienz“, März 2006.

    (4)  KOM(1998) 431 vom 10.7.1998.

    (5)  U.a. mit Hinweis auf die Bedeutung der Automobilindustrie für die Gesamtwirtschaft.

    (6)  Siehe dazu KOM(1998) 431 endg.

    (7)  Die Umsetzung der Maßnahmen wurde dort durch das Programm Caravelle im Rahmen von Civitas von der EU-Kommission unterstützt.

    (8)  S. UITP (FN2).


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