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Document 52003AE0578

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt" (KOM(2002) 539 endg.)

ABl. C 208 vom 3.9.2003, p. 16–22 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

52003AE0578

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt" (KOM(2002) 539 endg.)

Amtsblatt Nr. C 208 vom 03/09/2003 S. 0016 - 0022


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: 'Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt'"

(KOM(2002) 539 endg.)

(2003/C 208/04)

Die Kommission beschloss am 2. Oktober 2002, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der vorgenannten Mitteilung zu erarbeiten.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 1. April 2003 an. Berichterstatterin war Frau Sánchez Miguel.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 399. Plenartagung am 14. und 15. Mai 2003 (Sitzung vom 14. Mai) mit 103 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Einer der vielen wichtigen Themenbereiche des Sechsten Umweltaktionsprogramms (6. UAP) ist der Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt mit dem Ziel, eine nachhaltige Nutzung und den Schutz der Meere zu gewährleisten. Heute zeigt sich, dass auf den Schutz der Meeresumwelt gerichtete Einzelmaßnahmen für sich nicht die gewünschte Wirkung zeigen; es ist vielmehr festzustellen, dass viele der bei der Ausarbeitung des 6. UAP erkannten Gefahren in einem Ausmaß, das die schlimmsten Vorhersagen übertrifft, Wirklichkeit geworden sind.

1.2. Die Vorhersagen betreffend die Verschlechterung und den Verlust der meeresbiologischen Vielfalt sowie die Zerstörung von Lebensräumen durch den Bau von Hafenanlagen und den zunehmenden Nährstoff- und Schadstoffeintrag neben anderen Faktoren, die nicht immer im Gesamtzusammenhang gesehen werden, wie dem Seeverkehr und der Fischerei, erfordern eine Koordinierung aller Politikbereiche, die Auswirkungen auf die Meeresumwelt haben, um zu einer umfassenden Politik zu gelangen, die eine weitere Schädigung unserer Meere verhindert und ihr Einhalt gebietet.

1.3. Bemühungen zur Koordinierung aller auf die Meeresumwelt gerichteten Politiken müssen vor allem eine gemeinschaftliche Dimension haben. Geografisch müssen sie sich auf die Meere und Ozeane erstrecken, die Teil der Hoheitsgewässer der Mitgliedstaaten sowie der Beitrittskandidaten sind, ohne dabei Einwirkungen internationaler Verträge und Übereinkommen, die diese unterzeichnet haben, außer Acht zu lassen.

1.4. Die Strategie zur Erhaltung und zum Schutz der Meeresumwelt muss auf diese Weise in die gemeinschaftliche Strategie einer nachhaltigen Entwicklung eingebettet sein, die Wirtschaftswachstum und sozialen Zusammenhalt ebenso ermöglicht wie den Schutz der Umwelt.

1.5. Auf internationaler Ebene sind einige der Schlussfolgerungen des Weltgipfels von Johannesburg(1) von Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit den Titeln Ozeane und Meere, Fischereien, Meeresverschmutzung und Forschung, von denen wegen ihrer möglichen weltweiten Auswirkungen folgende hervorzuheben sind:

- Anwendung des Ökosystemansatzes bis 2010 unter Berücksichtigung der Erklärung von Reykjavik über eine verantwortungsvolle Fischerei im marinen Ökosystem sowie des Beschlusses 5/6 der Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über biologische Vielfalt

- Anwendung von Kapitel 17 der Agenda 21, das ein Aktionsprogramm zur nachhaltigen Entwicklung der Ozeane, Meere und Küsten vorsieht

- Schaffung eines Mechanismus zur Koordinierung zwischen allen einschlägigen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen

- Erhaltung oder Wiederherstellung der Fischbestände auf einem Niveau, das einen maximalen, nachhaltig vertretbaren Ertrag erlaubt, und dringende Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele für dezimierte Bestände, falls möglich bis spätestens 2015

- Anwendung der 1995 vereinbarten Verhaltensregeln für eine verantwortungsvolle Fischerei

- Umsetzung des FAO-Plans zur Regelung der Fangkapazitäten bis 2005 sowie des Aktionsplan zur Bekämpfung der illegalen Fischerei bis 2004

- Stärkere Koordinierung zwischen Gebern und Partnerorganisationen (partnerships), um auf nationaler, regionaler und subregionaler Ebene die Kapazitäten zur Schaffung der Infrastruktur und einer integrierten Bewirtschaftung der Fischbestände zu entwickeln

- Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung der Aquakultur

- Umsetzung des Weltaktionsprogramms und der Erklärung von Montreal über den Schutz der Meeresumwelt vor Gefährdungen durch landseitige Tätigkeiten, mit einem besonderen Schwerpunkt im Zeitraum 2002-2006 auf dem Problem kommunaler Abwässer und der Veränderung und Zerstörung der Lebensräume

- Verbesserung der Maßnahmen für den internationalen Schiffsverkehr mit radioaktiven Stoffen und Abfällen und abgebrannten Kernbrennstoffen

- Verbesserung der wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit durch Schaffung eines regelmäßigen Informationsprozesses über den Zustand der Meeresumwelt bei den Vereinten Nationen.

1.6. Zu bedenken ist allerdings auch, dass die umweltpolitischen Ziele und Maßnahmen der EU in vieler Hinsicht besser definiert sind und weiter gehen, als die auf dem Gipfel von Johannesburg festgelegten. Es wäre daher nur folgerichtig, wenn die EU bei der Umsetzung der beschriebenen Maßnahmen voranginge und als Garant für die Einhaltung der Abkommen von Kyoto und Göteborg aufträte.

1.7. Mit dieser Mitteilung wird auf die Debatte über eine Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt in der Europäischen Union eingegangen. Ziel muss es sein, sie nicht nur auf den Gemeinschaftsraum anzuwenden, sondern auch internationale Bezüge herzustellen, sodass sie, unabhängig davon, zu welchen Schlussfolgerungen man gelangt, einen Multiplikatoreffekt entfaltet, denn im Moment stehen wir sprachlos vor einer Situation, in der sich die Meeresumwelt verschlechtert und für die sektorale und nationale Lösungen zu kurz greifen; Lösungen sind vielmehr in einem gemeinschaftlichen und internationalen Rahmen zu suchen.

2. Inhalt der Mitteilung

2.1. Bei den Institutionen der Gemeinschaft gibt es große Wissenslücken hinsichtlich des gegenwärtigen Zustands der Meeresumwelt. Das Fehlen eines Ansatzes, in dem alle relevanten Politiken integriert sind, macht es notwendig, dass die Kommission eine Bestandsaufnahme aller verfügbaren Informationen vornimmt, auf deren Grundlage sie dann eine thematische Strategie erarbeiten kann.

2.2. Angaben über die Umweltqualität der Meere und Ozeane sind in erster Linie in folgenden Quellen zu finden:

- regionale Übereinkommen zum Schutz der Meere(2);

- Berichte der Europäischen Umweltagentur;

- Informationen über biologische Vielfalt im Rahmen der Revision der Gemeinsamen Fischereipolitik(3); Bauvorhaben in Meeres- und Küstengebieten; Eutrophierung des Wassers; Transport und Einleitung von Öl usw.

2.3. Bei den geltenden Rechtsnormen zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt sind zwei Arten zu unterscheiden: erstens solche mit einem rein auf die Gemeinschaft bezogenen Inhalt und zweitens internationale Vereinbarungen. Zur ersten Gruppe(4) allgemeiner Vorschriften gehören die Wasser-Rahmenrichtlinie(5), die Habitat-Richtlinie(6) und die Richtlinie über die Erhaltung von Vogelarten(7), die Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IPCC-Richtlinie)(8); punktuell relevant sind auch die Rechtsvorschriften über die Behandlung von Abwässern und über Badegewässer, die Vorschriften für den Seeverkehr, Bestimmungen der GAP u. a.

2.4. Internationale Rechtsnormen sind in Übereinkommen enthalten, die allgemein vom Schutz der Meeresumwelt bis zu konkreten Aspekten wie dem Schutz bestimmter Meereslebewesen, der Verhütung der Verschmutzung durch gefährliche Stoffe sowie der chronischen Ölverschmutzung usw. reichen. Die wichtigsten davon sind das OSPAR-(9), das HELCOM-(10) und das Barcelona(11)-Übereinkommen.

2.5. Über die Wirkung der geltenden Rechtsnormen stehen nur in begrenzten Umfang Informationen zur Verfügung, zum einen, weil deren Effekte nur langfristig erkennbar sind, und zum anderen, weil eine nationale Überwachung des meeresbiologischen Zustands der jeweiligen Hoheitsgewässer fehlt. Die Kommission stellt diese Situation unter zwei Aspekten dar:

- bestehende Wissenslücken;

- ein Überblick über die derzeitigen Aktivitäten in den Bereichen Überwachung, Bewertung, Berichterstattung, Datenverwaltung und Forschung(12).

2.6. Angesichts der alles andere als erfreulichen Schlussfolgerungen, die aus der Lage zu ziehen sind, werden für jeden in der Meeresumwelt unterscheidbaren Aspekte Ziele vorgeschlagen. Die Kommission sieht die Meeresstrategie grundsätzlich als Beitrag zur Strategie der Gemeinschaft für die nachhaltige Entwicklung. Aus diesem Grunde sollte sie - wie auch im 6. UAP festgelegt - die nachhaltige Nutzung der Meere und die Erhaltung der Meeresökosysteme, einschließlich der Meeresböden, Flussmündungen und Küstenzonen, fördern. Dabei sollte Standorten mit großer biologischer Vielfalt besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

2.6.1. Konkret beziehen sich die Ziele auf folgende Aspekte:

- Verlust der biologischen Vielfalt und Zerstörung von Lebensräumen (dagegen soll mit drei Zielen angegangen werden)

- Gefährliche Stoffe (ein Ziel)

- Eutrophierung (ein Ziel)

- Radionuklide (ein Ziel)

- Chronische Ölverschmutzung (ein Ziel)

- Abfälle (ein Ziel)

- Seeverkehr (ein Ziel)

- Gesundheit und Umwelt (ein Ziel)

- Klimaveränderung (drei Ziele)

- Verbesserung der Wissensgrundlage (ein Ziel).

2.7. Zur Erreichung der genannten Ziele schlägt die Kommission 23 Maßnahmen vor, die durch Prävention und Anwendung des Vorsorgeprinzips auf die einzelnen Ziele hinwirken sollen. Alle Maßnahmen beruhen auf in geltenden Regelwerken vorgeschlagenen Aktionen und sind vorwiegend auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt gerichtet; dazu werden besondere Schutzgebiete ausgewiesen und regionale Gewässerbewirtschaftungsprogramme im Einklang mit regionalen Meeresschutzübereinkommen aufgestellt.

2.8. Unter den vorgeschlagenen Aktionen sind solche zur Verbesserung der Koordinierung und Zusammenarbeit nicht nur auf Gemeinschaftsebene, sondern auch international hervorhebenswert. Besonders wichtig ist der Vorschlag zur Koordinierung zwischen allen im Bereich des Meeresschutzes tätigen Einrichtungen im Rahmen der UN und der Agenda 21.

2.9. Die Verbesserung der Wissensgrundlage ist gegenwärtig eines der am konkretesten ausformulierten Ziele, denn hierfür wird ein Zeitplan zur Durchführung von Überwachungsverfahren analog denen der Rahmenrichtlinie Wasser festgelegt.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission, mit dem die Debatte über die Erhaltung und den Schutz der Meeresumwelt mit allen Beteiligten eröffnet wird. Dennoch sieht er sich angesichts der schlimmen, immer häufiger auftretenden Fälle von Verschmutzung unserer Meere veranlasst, bei den Mitgliedstaaten einen stärkeren politischen Willen zur Umsetzung geltender Rechtsvorschriften anzumahnen und von allen Schadensverursachern wirkliches Verantwortungsbewusstsein einzufordern.

3.2. Zum Inhalt der in der Mitteilung gemachten Vorschläge betont der Ausschuss, dass er die Grundsätze, auf denen sie beruhen, voll und ganz teilt; so ist die Koordinierung von Politikbereichen, die Auswirkungen auf die Umwelt (in diesem Fall auf die Meeresumwelt) haben, eine in seinen Stellungnahmen immer wieder erhobene Forderung. Seinem Verständnis nach impliziert die Gemeinschaftsstrategie für eine nachhaltige Entwicklung die horizontale Verflechtung dieser Politikbereiche. Es hat jedoch wenig Sinn, neue Rechtsvorschriften zu erlassen, wenn die zuständigen Behörden nicht für ihre Anwendung und Kontrolle sorgen. Die Kompetenzaufteilung zwischen den Behörden darf nicht zu einem legislativen Vakuum führen, das die Wirksamkeit der Vorschriften unterhöhlt.

3.3. Bei genauerer Betrachtung der genannten Ziele zeigt sich, dass sich die meisten auf die Umsetzung bestehender Rechtsvorschriften, die Analyse und Bewertung der Auswirkungen von Stoffen und anderen Belastungen auf die Meeresumwelt, die Beobachtung und Untersuchung sonstiger Effekte etc. beziehen. Für richtig hält der Ausschuss den "Ökosystemansatz", der eine neue Herangehensweise bedeutet, allerdings wird nicht erklärt, worin dieser bestehen soll; das wäre aber nötig, um beurteilen zu können, ob die vorgestellte Strategie (Ziele und Maßnahmen) mit dem Ansatz übereinstimmt(13). Hier genügt der Hinweis, dass es im Bereich des Mittelmeers 33 modellhaft dargestellte Ökosysteme gibt, auf die je nach Standort ganz unterschiedliche Belastungsfaktoren und Effekte einwirken.

3.4. Zum anderen beschränkt sich die vorgestellte Strategie im Kern auf die Fortschreibung bereits existierender Leitlinien und Tätigkeiten, deren Resultat, wie das vieler anderer umweltpolitischer Maßnahmen, in dem Satz zu resümieren ist: "Auf einen Schritt voran im Umweltschutz macht der Zustand der Umwelt zwei Schritte zurück". An der Erreichung der Ziele soll von nun an nur noch wie folgt gearbeitet werden:

- bereits bestehende Richtlinien einhalten und/oder anpassen,

- bewerten, untersuchen, analysieren, beobachten,

- Übereinkommen und Berichte koordinieren.

3.5. Möglicherweise ist es notwendig, eine andere Strategie zu finden. Eine wichtige Rolle bei den dabei zu erkundenden Wegen könnte die Wirksamkeit spielen, verstanden als die tatsächliche Fähigkeit der EU zur Einflussnahme auf Fragen der Meeresumwelt mit folgenden Instrumenten:

- normative Instrumente (mit bindender Wirkung und verbindlich einzuhalten oder einfache Vereinbarungen oder Abkommen),

- wirtschaftliche Instrumente (Handelsabkommen, Finanzierungsprogramme für Drittländer).

3.6. So könnten Handlungsschwerpunkte nach Bereichen gesetzt werden, zum Beispiel:

- Handlungsbereich 1: Küstengewässer, die den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten entsprechen. Hier sind im Hinblick auf Regulierungs-, Kontroll- und Sanktionsfähigkeit vollkommene Einflussmöglichkeiten gegeben, und es gibt bereits zahlreiche Bestimmungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten.

- Handlungsbereich 2: Gewässer in Meeresgebieten mit starken Möglichkeiten der Einflussnahme (200-Seemeilen-Zone), weil sie als Hoheitsgewässer gelten oder es politische oder wirtschaftliche Beziehungen gibt, auf die eingewirkt werden kann.

- Handlungsbereich 3: Gewässer mit schwachen Möglichkeiten der Einflussnahme, weil es sich um internationale Gewässer handelt (Fanggründe der Gemeinschaftsflotten, Reiseziele für EU-Touristen).

3.7. Die Prüfung der aufgeführten Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die die Meeresumwelt betreffen, offenbart viele Lücken bei den Schutzmaßnahmen; so sind einige gegenwärtig Gegenstand von Änderungen, während andere wegen des Moratoriums für Ihr Inkrafttreten oder des Widerstands zahlreicher Mitgliedstaaten(14) nicht rechtswirksam sind, oder es kommt zu Verzögerungen bei ihrer Umsetzung und späteren Anwendung.

3.8. Den Meeresschutzübereinkommen wird in der Mitteilung ein hoher Stellenwert beigemessen, der relativiert werden muss. An ihre Stelle müssen zum Teil gesetzgeberische Initiativen der EU treten. Diese internationalen Übereinkommen enthalten wichtige Restriktionen, die im allgemeinen die tatsächlich bindenden Verpflichtungen betreffen. Sie sind von erheblicher Bedeutung für die Festlegung zielorientierter Strategien, die Einbindung heterogener Länder usw., doch fehlt ihnen im Fall von Verstößen genügend Durchsetzungs- und Sanktionsfähigkeit, wenn sie nicht voll in das innerstaatliche Recht jedes Landes überführt wurden. Zum anderen ist ihr Anpassungsvermögen an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt oder an soziale Veränderungen aufgrund der langwierigen Verfahren für ihre Ausarbeitung und Ratifizierung und ihr Inkrafttreten sehr begrenzt.

3.9. Ein wichtiges Merkmal der internationalen Übereinkommen ist ihre Begrenztheit. Zum einen ist ihr Geltungsbereich geografisch begrenzt, sodass sie nur für einen Teil der Ozeane und Meere gelten, der den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten und bestenfalls denen einiger Nachbarländer entspricht, ohne dass andere Teile geschützt werden können, in denen möglicherweise Gemeinschaftsinteressen bestehen, wie z. B. bei den von europäischen Unternehmen genutzten Fanggründen im Atlantik vor Afrika. Zum anderen sind sie auch nur in begrenztem Umfang bindend, weil ihre Einhaltung nicht erzwungen werden kann, was diese Übereinkommen etwas zahnlos macht.

3.9.1. Nichtsdestoweniger erachtet es der Ausschuss trotz der begrenzten Wirkung für notwendig, dass die EU auch weiterhin in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen ihre Umweltpolitik verfolgt und damit für das Modell der nachhaltigen Entwicklung eintritt.

3.10. Die vorgeschlagenen Ziele müssten nach Ansicht des Ausschusses um mindestens drei weitere, wichtige Aspekte ergänzt werden:

- Verhütung schwerer Unfälle mit Umweltfolgen für Gewässer, wie es sie sowohl an Land als auch auf See gegeben hat und für die Richtlinien bestehen (Seveso II, Erika),

- Küstenzonenmanagement gemäß den Bestimmungen der Rahmenrichtlinie Wasser (Bebauung, Infrastruktur, verbundene Wirtschaftstätigkeiten, Behandlung von Abwasser),

- Gebrauch rechtlich zweifelhafter Praktiken im internationalen Seeverkehr, wie z. B. der "Billigflaggen", die zum guten Teil für die herrschende Misswirtschaft in diesem Sektor und die damit verbundenen, erheblichen Umweltfolgen (Abfälle, Unfälle, Beförderung von Gefahrstoffen ohne Sicherheitsleistungen, Einsatz von auf die Meeresumwelt toxisch wirkenden Stoffen) verantwortlich sind.

3.11. Die übrigen, in der Mitteilung genannten Ziele sind sehr ehrgeizig und im Hinblick auf das festgelegte allgemeine Ziel (nachhaltige Nutzung der Meere und Erhaltung der Meeresökosysteme) sicherlich sinnvoll. Allerdings sind weder die Maßnahmen noch der vorgesehene Zeitplan gut auf die Ziele abgestimmt.

3.12. Bei den 23 Maßnahmen zur Erreichung der vierzehn Ziele werden keine neuen Wege beschritten; was ihnen fehlt, sind ein oder mehrere Elemente, die einen roten Faden für die Verflechtung der Politikbereiche bilden. In der Wasser-Rahmenrichtlinie ist dieser Dreh- und Angelpunkt, um den herum die Politikbereiche integriert werden, der "gute Zustand" der Gewässer.

3.13. Bei vielen Maßnahmen wird keine Umsetzungsfrist angegeben, und dort, wo dies doch der Fall ist, sind die Fristen so lang, dass sich die erwünschten Resultate schwerlich einstellen werden. Eine Ausnahme sind einige Untersuchungen (2004: Prüfung der Beziehung OSPAR/radioaktive Stoffe, Strategie zur Beseitigung von Öleinleitungen aus verschiedenen Quellen, Abfälle).

Als Beispiel seien hier die Fristen zur Verringerung der chronischen Ölverschmutzung genannt:

- Sicherstellung der Einhaltung der geltenden Grenzwerte für Öleinleitungen bis 2010,

- vollständige Unterbindung der Einleitungen bis 2020.

Dieser Verzug ist unbegreiflich, weil es bereits heute Technologien gibt, die die Aufspürung und Lokalisierung illegaler Einleitungen aus Schiffen in Echtzeit erlauben (Satelliten des ENVISAT-Typs).

3.14. Bei der Bewertung der Wirkung der Gemeinschaftsrichtlinien gibt es unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen des Meereszustands in der EU. Die Indikatoren für den Zustand der Meeresumwelt weisen nicht auf nennenswerte Fortschritte, in vielen Fällen dagegen auf Rückschritte hin. So deuten z. B. die Fangerträge in den Mittelmeer-Küstengebieten auf eine Erschöpfung der Gebiete hin, in denen Fischfang in Mündungsgewässern betrieben wird, die Fischerzeugungsbetriebe haben Probleme mit der ökologischen Nachhaltigkeit usw.

3.15. Zu dieser Verschlechterung kommt es trotz der zahlreichen Rechtsvorschriften, die die Bewirtschaftung und Nutzung der Hoheitsgewässer regeln sollen. Es wäre daher sinnvoll, eine Bewertung der Wirkung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften vorzunehmen, um die Ursachen für ihren relativen Fehlschlag zu ermitteln und ihre Wirksamkeit mit gezielten Maßnahmen zu verbessern. In diese Bewertung müssen die beteiligten Gruppen (Umwelt-, Berufs- und Branchenverbände) einbezogen werden, und die dafür nötigen finanziellen und wissenschaftlich-technischen Ressourcen müssen bereitgestellt werden. Die Europäische Umweltagentur muss dabei eine tragende Rolle spielen.

4. Vorschläge für neue Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt

4.1. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält eine Ergänzung der vorgeschlagenen Maßnahmen für notwendig, denn die bisherigen Geschehnisse belegen nach Darstellung der Mitteilung eindeutig die Notwendigkeit, diese Maßnahmen zu verstärken und alle Normen, die eine bessere Einhaltung des geltenden Gemeinschaftsrechts bewirken können, darin aufzunehmen.

4.2. Ohne Abstriche am Ziel dieser Mitteilung - dem Schutz und der Erhaltung der Meeresumwelt - spricht sich der Ausschuss daher für die Aufnahme folgender Vorschläge aus, die zum einen einer besseren Koordinierung unter den verschiedenen, die Meeresumwelt betreffenden Politikbereichen dienen und zum anderen zur Lösung von Situationen beitragen können, die die Bürger in Alarmstimmung versetzen:

4.2.1. Im Sinne der Kohärenz der verschiedenen Politikbereiche sollte die Kommission den Begriff des guten Meereszustands als übergeordnetes Ziel definieren, das den 23 Maßnahmen zur Erreichung der vierzehn Einzelziele einen roten Faden verleiht. Damit würde man eine gemeinsame Verbindung zwischen allen Maßnahmen herstellen und einen einheitlichen Leitgedanken vorgeben, der den Maßnahmen einen neuen Impuls gibt und sie miteinander verschmilzt.

4.2.2. Auch die Verkürzung der Fristen für die Anwendung der Rechtsnormen und der Zeiträume, für die die Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen vorgeschlagen werden, wäre ein wirkungsvolles Mittel, um der Verschlechterung der Meeresumwelt Einhalt zu gebieten; die Weiträumigkeit der für die Durchführung vieler Maßnahmen vorgesehenen Fristen würde sie angesichts der Häufigkeit, mit der Umweltverschlechterungen eintreten, wirkungslos machen.

4.2.3. Auf internationaler Ebene würde es eine stärkere Kontrolle der Einhaltung der internationalen Übereinkommen durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), wie auf der Tagung des Europäischen Rates am 12. und 13. Dezember 2002(15) in Kopenhagen vereinbart, erlauben, die Wirkung der Schutz- und Erhaltungsvorschriften auf umfassendere Bereiche auszudehnen. Gleichzeitig müssen Wege zur Erhöhung der Wirksamkeit dieser Übereinkommen durch wirtschaftliche Instrumente gefunden werden, die ihre ordnungsgemäße Einhaltung durch Drittländer, die Vertragsparteien dieser Übereinkommen sind, mit technischen und finanziellen Hilfen belohnen.

4.2.4. Ein Thema von großer Bedeutung, wie die jüngsten Schiffskatastrophen gezeigt haben, ist die wissenschaftliche Erforschung von Möglichkeiten zur biologischen Regenerierung, die eine umweltfreundlichere Schadenssanierung erlauben(16). In diesem Sinne sollte die Kommission die Koordinierung zwischen dem Sechsten Forschungsprogramm und dem Sechsten Umweltprogramm verstärken, sodass ein Teil der vorgesehenen Mittel in praktische Umweltforschungsvorhaben fließt.

4.2.5. Nach Auffassung des Ausschusses dürfen neben den vorgeschlagenen neuen Maßnahmen die Bemühungen zur umweltpolitischen Information nicht aus dem Blickfeld geraten; insbesondere muss die Aufklärung fortgeführt werden, um das Wissen über diese Politiken und ihre Durchführung auch für die Zukunft zu vermitteln.

4.2.6. Hinsichtlich der Aufnahme neuer Maßnahmen, die an den Ursachen der jüngsten Schiffsunglücke ansetzen und sie zu verhüten suchen und von denen viele bereits früher und unter ähnlichen Umständen wie heute erlassen wurden(17), muss unterschieden werden zwischen solchen, die sich nur auf Vorschriften beziehen, deren Inkrafttreten noch aussteht, solchen, deren Durchführung von wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen flankiert sein muss, und solchen, die neue Entwicklungen voraussetzen.

4.2.6.1. Zur ersten Gruppe gehören:

- eine Revision der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Februar 2002(18) zur beschleunigten Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für Öltankschiffe in dem Sinne, dass darin auch der Begriff des "sauberen, sicheren Schiffes" verankert wird;

- die sofortige Anwendung der Richtlinie 2001/106/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 95/21/EG des Rates zur Durchsetzung internationaler Normen für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen;

- Verabschiedung und Anwendung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt sowie des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt(19).

4.2.6.2. An zweiter Stelle sind die Maßnahmen zu nennen, die bereits gelten und nur eine wirtschaftliche Flankierung durch die EU erfordern(20), und zwar:

- unverzügliche Anwendung der in den Paketen ERIKA I und ERIKA II enthaltenen Maßnahmen, insbesondere die Maßnahmen für die Ausrüstung von Häfen für die Aufnahme in Seenot geratener Schiffe, den Ausbau eines transeuropäischen Netzes der Seeverkehrsüberwachung sowie die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Inspektoren für die Gemeinschaftshäfen durch die Mitgliedstaaten;

- Fernhalten gefährlicher Schiffe von den wichtigsten Schifffahrtsrouten durch Schaffung küstenferner Korridore;

- Errichtung eines Audit-Systems in den Staaten, in denen die Schiffe registriert sind;

- Erforschung und Bestandsaufnahme im Meer verklappter Produkte (z. B. chemische Kampfstoffe, Behälter mit radioaktiven Erzeugnissen).

4.2.6.3. An dritter Stelle ist schließlich die Entwicklung neuer Verfahrensweisen bei der Anwendung der Rechtsnormen zu nennen, die sich gegen Praktiken richten, mit denen Unternehmen und zuständige Behörden sich aus der Verantwortung ziehen und Kontrollen und Steuern aus dem Weg gehen wollen, wie z. B. Billigflaggen, als Schiffseigentümer zwischengeschaltete Firmen usw.

4.3. Der Ausschuss äußert seine Besorgnis angesichts der mangelhaften Koordinierung zwischen den einzelnen zuständigen Behörden, und zwar nicht nur von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, sondern auch von Region zu Region, sei es innerhalb eines Mitgliedstaats oder grenzübergreifend. Er schlägt daher die Anwendung eines der Systeme vor, die dazu im Gemeinschaftsrecht vorgesehen sind, wie z. B. der in der Wasser-Rahmenrichtlinie aufgestellten Regelung für die verschiedenen Verwaltungsbehörden von Wassereinzugsgebieten, die sich bei der Ausführung des Bewirtschaftungsplans für das jeweilige Einzugsgebiet koordinieren und vor allem einen ständigen Informationsaustausch über jedes Element der Umsetzung führen müssen.

Brüssel, den 14. Mai 2003.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger Briesch

(1) Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung, Johannesburg/Südafrika, 26. August bis 4. September 2002, Kapitel I bis IV.

(2) Anhang 1 enthält aus diesen Übereinkommen entnommene Informationen.

(3) KOM(2002) 181 endg. - ABl. C 85 vom 8.4.2003.

(4) Siehe Anhang 2.

(5) Richtlinie 2000/60/EG, ABl. L 327 vom 22.12.2000.

(6) Richtlinie 92/43/EWG, ABl. L 206 vom 22.7.1992.

(7) Richtlinie 79/409/EWG, ABl. L 103 vom 25.4.1979.

(8) Richtlinie 96/61/EG, ABl. L 82 vom 22.3.1997.

(9) Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks.

(10) Übereinkommen von Helsinki zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets.

(11) Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt und der Küstenregion des Mittelmeers.

(12) Siehe Anhang 3.

(13) Auf der Stakeholder-Konferenz zu dem Vorschlag der Kommission, die vom 4. und 6. Dezember 2002 in Køge/Dänemark stattfand, wurde das Konzept wie folgt definiert: "Das umfassende, integrierte Management menschlicher Tätigkeiten auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Kenntnisse über das Ökosystem und seine Dynamik zu dem Zweck, Einfluesse, die für die Gesundheit der marinen Ökosysteme wichtig sind, zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um dadurch eine nachhaltige Nutzung der Güter und Dienste eines Ökosystems zu erreichen und seine Unversehrtheit zu wahren". Darüber hinaus ist der Ökosystemansatz der vorrangige Rahmen für Maßnahmen nach dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Ein Ökosystemansatz für die biologische Vielfalt in Meeren und Küstengewässern befindet sich noch in Ausarbeitung.

(14) Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik, KOM(2002) 181 endg. - ABl. C 85 vom 8.4.2003.

(15) Siehe die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr (KOM(2002) 681 endg.) und die Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes auf der Tagung des Europäischen Rates am 12. und 13. Dezember 2002 in Kopenhagen (13.12.2002, Nr. 400/02).

(16) Sie wurden beim Exxon-Valdez-Unglück in Alaska erfolgreich eingesetzt.

(17) Die vom Europäischen Parlament und vom Rat beschlossenen Maßnahmen, die in den Paketen ERIKA I und ERIKA II enthalten sind, treten für Einhüllenschiffe am 1. Januar 2003 in Kraft.

(18) Die Kommission hat am 20.12.2002 einen Vorschlag zu ihrer Änderung vorgelegt.

(19) Die Anwendung des Verursacherprinzips entspricht der gängigen Praxis in den USA. Das Umgehen dieser Verantwortung durch die Nutzung von Billigflaggen, mit denen, wie die Erfahrung zeigt, das Gemeinschaftsrecht ausgehebelt wird, muss allerdings verhindert werden. Die Kommission hat soeben einen Vorschlag für eine Richtlinie "Meeresverschmutzung durch Schiffe und Einführung strafrechtlicher Sanktionen" (KOM(2003) 92 endg.) vorgelegt.

(20) Der Europäische Rat hat am 21. und 22. März 2003 eine Aufstockung dieser wirtschaftlichen Maßnahmen genehmigt.

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