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Document 32011D0276

    2011/276/EU: Beschluss der Kommission vom 26. Mai 2010 über die von Belgien gewährte staatliche Beihilfe in Form einer Vergleichsvereinbarung über eine Ermäßigung der Mehrwertsteuerschuld zugunsten der Gesellschaft Umicore S.A. (vormals Union Minière S.A.) (Beihilfe C 76/03 (ex NN 69/03)) (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 2538) Text von Bedeutung für den EWR

    ABl. L 122 vom 11.5.2011, p. 76–99 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    Legal status of the document In force

    ELI: http://data.europa.eu/eli/dec/2011/276/oj

    11.5.2011   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    L 122/76


    BESCHLUSS DER KOMMISSION

    vom 26. Mai 2010

    über die von Belgien gewährte staatliche Beihilfe in Form einer Vergleichsvereinbarung über eine Ermäßigung der Mehrwertsteuerschuld zugunsten der Gesellschaft Umicore S.A. (vormals Union Minière S.A.) (Beihilfe C 76/03 (ex NN 69/03))

    (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 2538)

    (Nur der französische und der niederländische Text sind verbindlich)

    (Text von Bedeutung für den EWR)

    (2011/276/EU)

    DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

    gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere auf Artikel 108 Absatz 2 erster Unterabsatz,

    gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, insbesondere auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a,

    nach Aufforderung der Beteiligten zur Äußerung (1) gemäß den genannten Artikeln und unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahmen,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    I.   VERFAHREN

    (1)

    Die Kommission teilte mit Schreiben vom 11. Februar 2002 den belgischen Behörden mit, dass sie von einer Vereinbarung zwischen der belgischen Steuerbehörde (Inspection Spéciale des Impôts (ISI)) und der belgischen Umicore S.A. (Umicore, vormals Union Minière S.A.) über eine Ermäßigung der Mehrwertsteuerschuld Kenntnis erhalten hatte. In dem Schreiben forderte die Kommission die belgischen Behörden auf, ihr sämtliche zur Würdigung der Vereinbarung nach Artikel 107 und 108 AEUV erforderlichen Angaben vorzulegen (2).

    (2)

    Die Antwort der belgischen Regierung ging mit Schreiben vom 7. Mai 2002 ein.

    (3)

    Die Kommission bat mit Schreiben vom 9. August 2002 um weitere Informationen zur Würdigung der Maßnahme. Diese wurden von der belgischen Regierung mit Schreiben vom 18. September 2002 vorgelegt.

    (4)

    Am 21. Oktober 2003 bat die Kommission die belgischen Behörden um ergänzende Angaben zur Haltung der belgischen Steuerbehörde in Bezug auf die Vereinbarung mit Umicore.

    (5)

    Am 31. Oktober 2003 informierten die belgischen Behörden die Kommission von der Beschlagnahme der Umicore-Steuerakte sowie sämtlicher die Vereinbarung betreffenden Unterlagen durch die Brüsseler Staatsanwaltschaft, da der zuständige Untersuchungsrichter Lugentz ein Ermittlungsverfahren gegen X in Zusammenhang mit der zwischen der ISI und Umicore geschlossenen Vereinbarung eingeleitet hatte.

    (6)

    Die Kommission setzte mit Schreiben vom 10. Dezember 2003 Belgien von ihrem Beschluss in Kenntnis, wegen dieser Beihilfe das Verfahren nach Artikel 108 Absatz 2 AEUV einzuleiten.

    (7)

    Der Beschluss der Kommission über die Eröffnung des Verfahrens wurde im Amtsblatt der Europäischen Union  (3) vom 7. September 2004 veröffentlicht. Die Kommission fordere alle Interessierten zur Äußerung zu der betreffenden Beihilfe auf.

    (8)

    Da der am 7. September 2004 veröffentlichte Text einen Fehler enthielt, wurde der Beschluss nochmals am 17. November 2004 (4) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

    (9)

    Umicore äußerte sich in ihrem Schreiben an die Kommission vom 7. Oktober und 13. Dezember 2004 zur Sache, eine weitere schriftliche Äußerung von einem anonymen Dritten ging am 4. Oktober 2004 bei der Kommission ein.

    (10)

    Nach der erneuten Veröffentlichung des Beschlusses nahm Belgien mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 Stellung.

    (11)

    Die Stellungnahmen der anderen Beteiligten leitete die Kommission Belgien am 13. Mai 2005 zu. Belgien antwortete darauf am 13. Juni 2005.

    (12)

    Mit Schreiben vom 12. Dezember 2005 unterrichtete die Kommission Belgien von ihrem Beschluss, die Untersuchungen der Maßnahme auszusetzen, bis eine Entscheidung der Justizbehörden in dem laufenden Verfahren ergangen sei.

    (13)

    Am 19. Januar 2006 bestätigte Belgien, dass tatsächlich Durchsuchungen in den Räumen der Verwaltung durchgeführt und die gesamte Steuerakte beschlagnahmt worden war, und sagte außerdem zu, die Kommission zu unterrichten, sobald die Entscheidungen der Justizbehörden an die betreffende Verwaltung ergangen seien.

    (14)

    Mit Schreiben vom 31. März 2008 erbat die Kommission Auskunft über den Stand des Gerichtsverfahrens und ob bzw. wann mit der Rückgabe der beschlagnahmten Unterlagen gerechnet werden könne.

    (15)

    Belgien antwortete der Kommission mit Schreiben vom 16. Juni 2008 und bestätigte, dass das Gerichtsverfahrens am 13. November 2007 abgeschlossen worden war.

    (16)

    Am 28. Juli 2008 fand eine Sitzung zwischen den Vertretern der ISI und der Kommission statt; im Anschluss daran wurde den belgischen Behörden eine Fragenliste zu den von den Vertretern der Kommission in der Sitzung aufgeworfenen Punkten per E-Mail zugesandt. Die Antwort der belgischen Behörden ging mit Schreiben vom 9. September 2008 ein.

    (17)

    Am 17. Oktober 2008 ermahnte die Kommission Belgien ausdrücklich zur Pflicht, bei der Beantwortung der Fragen der Kommission mitzuwirken, und auch die Rückgabe der beschlagnahmten Unterlagen zu verlangen. Gleichzeitig wies die Kommission Belgien in diesem Schreiben darauf hin, dass sie von ihrer Möglichkeit, ein formelles Auskunftsverlangen an Belgien zu richten, Gebrauch machen könne, da ihre vorausgehenden Ersuchen bislang ergebnislos geblieben waren.

    (18)

    Am 21. Januar 2009 erinnerte die Kommission die belgischen Behörden in einer E-Mail an die noch ausstehende Antwort auf ihr Schreiben vom 17. Oktober 2008. In ihrem Antwortschreiben vom 29. Januar 2009 teilte Belgien mit, dass die ISI entsprechende Schritte eingeleitet habe, um die von der Kommission erbetenen Auskünfte vorzulegen.

    (19)

    Am 7. Mai 2009 informierte Belgien die Kommission schriftlich, dass die beschlagnahmten Unterlagen der belgischen Steuerbehörde nunmehr wieder vorlägen und derzeit im Hinblick auf die von der Kommission erbetenen Auskünfte geprüft würden.

    (20)

    Am 6. August 2009 beantwortete Belgien das Auskunftsersuchen der Kommission vom 17. Oktober 2008.

    (21)

    Auf Verlangen der Kommission übersandte Belgien mit E-Mail vom 22. September 2009 ergänzende Informationen zu einigen geltenden Verwaltungsvorschriften.

    II.   AUSFÜHRLICHE BESCHREIBUNG DER BEIHILFE

    II.1.   Allgemeiner Hintergrund der Vereinbarung zwischen der ISI und Umicore vom 21. Dezember 2000

    (22)

    Im Rahmen von Steuerprüfungen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Edelmetallgeschäften durchgeführt wurden, nahm die belgische Steuerbehörde, Regionaldirektion Brüssel, eine Kontrolle des Edelmetallverkäufe von Umicore S.A. im Zeitraum 1995 bis 1999 vor. Im Anschluss daran übersandte die ISI Umicore die beiden Steuerbescheide vom 30. November 1998 bzw. 30. April 1999, in denen sie eine fehlerhafte Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung im Zusammenhang mit den Silberverkäufen von Belgien an in Italien, Spanien und der Schweiz niedergelassene Gesellschaften feststellte.

    (23)

    Die beiden Bescheide beinhalteten insbesondere die vorläufige Festsetzung des Mehrwertsteuerbetrags, den Umicore aufgrund von unrechtmäßigen Mehrwertsteuerbefreiungen schuldete, die Höhe der Steuerstrafe sowie die rechtmäßig seit Entstehung der Mehrwertsteuerschuld angefallenen Verzugszinsen. Beide Bescheide forderten die Steuerpflichtige auf, der ISI innerhalb von 20 Tagen entweder schriftlich die so festgesetzten Steuerbeträge zu bestätigen oder entsprechend begründete Einwände mitzuteilen.

    (24)

    Daraufhin teilte Umicore der ISI im Juni 1999 in zwei Schreiben ihre Einwände zu den Feststellungen der ISI mit und machte die Rechtmäßigkeit der angewandten Mehrwertsteuerbefreiung geltend. Mit Schreiben vom 23. Dezember 1999 nahm die ISI zu den beiden Schreiben von Umicore Stellung und bekräftigte die Richtigkeit der Feststellungen in den beiden Steuerbescheiden. Die ISI forderte daher das Unternehmen auf, entweder schriftlich die festgesetzte Steuerschuld zu akzeptieren oder neue Aspekte zu ihrer Herabsetzung oder Aufhebung vorzubringen, und gegebenenfalls seinen Verzicht auf die Geltendmachung der bereits verstrichenen Verjährungszeit zur Unterbrechung der Verjährung wegen Beitreibung der Steuerschuld, der Verzugszinsen und Steuerstrafen zu erklären. Am 30. März 2000 legte Umicore ergänzende Argumente vor und wies die Forderungen der ISI wiederum zurück.

    (25)

    Am 21. Dezember akzeptierte die ISI einen Vereinbarungsvorschlag („Vergleichsvereinbarung“) von Umicore zu den beiden Steuerbescheiden und zur Anwendung der Mehrwertsteuer für den gesamten von der ISI geprüften Zeitraum. Diese Vereinbarung sieht eine erhebliche Verringerung der von Umicore zu zahlenden Steuerschuld gegenüber den in den vorgenannten Steuerbescheiden genannten Beträgen vor.

    II.2.   Steuerliche Regelung für innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhren von Gütern

    (26)

    Die MwSt.-Regelung für innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhren von Gütern, auf die sich die Vergleichsvereinbarung für die Jahre 1995 bis 1998 stützt, entspricht der Durchführung der Richtlinie 91/680/EWG des Rates (5) im belgischen MwSt.-Recht. Diese Richtlinie sah in Bezug auf die Mehrwertsteuer eine Übergangsregelung und eine Änderung der sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie (6) im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen in der Europäischen Union vor.

    1.   Besteuerung der Lieferungen von Gütern

    (27)

    Artikel 2 Absatz 1 des belgischen Mehrwertsteuergesetzbuches (MwSt.GB) bestimmt: „Die Lieferungen von Gütern und Erbringung von Dienstleistungen, die gegen Entgelt in Belgien von einem Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, bewirkt werden, unterliegen der Steuer.“

    (28)

    Außerdem heißt es in Artikel 10 MwSt.GB:

    „Als Lieferung eines Gutes gilt die Übertragung beziehungsweise der Übergang der Befähigung, wie ein Eigentümer über ein Gut zu verfügen. Es betrifft unter anderem die Zur-Verfügung-Stellung eines Gutes an den Erwerber oder Zessionar in Ausführung eines Übertragungs- oder Feststellungsvertrags.“

    (29)

    Weiterhin heißt es in Artikel 15 MwStGB:

    „§ 1 —   Eine Lieferung von Gütern erfolgt in Belgien, wenn der gemäß den Paragraphen 2 bis 6 bestimmte Ort in Belgien liegt.

    § 2 —   Als Ort einer Lieferung von Gütern gilt der Ort, an dem das Gut dem Erwerber oder dem Zessionar zur Verfügung gestellt wird.

    Als Ort der Lieferung gilt jedoch:

    1.

    der Ort, an dem der Versand oder die Beförderung an den Erwerber beginnt, wenn das Gut vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer Drittperson versandt oder befördert wird;

    (…)

    § 7 —   Außer bei Beweis des Gegenteils gilt für die Lieferung eines beweglichen Gutes, dass sie in Belgien erfolgt, wenn eine der von der Lieferung betroffenen Parteien zum Zeitpunkt der Lieferung dort den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Wohnort hat.“

    (30)

    Eine Lieferung von Gütern (deren Beförderung in Belgien beginnt) unterliegt daher grundsätzlich in Belgien der Steuer. Ist eine der an der Transaktion beteiligten Parteien in Belgien ansässig, führt das Gesetz eine Rechtsvermutung ein und geht von der Lieferung in Belgien aus.

    2.   Mehrwertsteuerschuld

    (31)

    Nach Artikel 51 Absatz 1 MwStGB wird die Steuer von dem Steuerpflichtigen geschuldet, der in Belgien eine steuerpflichtige Lieferung von Gütern oder eine steuerpflichtige Dienstleistung bewirkt.

    3.   Ausfuhren

    (32)

    Artikel 39 Absatz 1 MwStGB sieht eine Mehrwertsteuerbefreiung für Ausfuhren vor und legt fest: „Steuerfrei sind: 1. Lieferungen von Gütern, die vom Verkäufer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden; 2. Lieferungen von Gütern, die von einem nicht in Belgien ansässigen Käufer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden (….).“

    (33)

    Nach Artikel 39 Absatz 3 MwStGB hat der Königliche Erlass Nr. 18 vom 29. Dezember 1992 (K. E. Nr. 18) im belgischen Recht die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung bei der Ausfuhr von Gütern aus Belgien nach Orten außerhalb der Gemeinschaft (7) festgelegt.

    4.   Innergemeinschaftliche Lieferungen

    (34)

    Artikel 39bis MwStGB sieht ab dem 1. Januar 1993 vor: „Steuerfrei sind: 1. Lieferungen von Gütern, die vom Verkäufer, (…), vom Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb Belgiens, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen beziehungsweise an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, die als solche in einem anderen Mitgliedstaat handeln und die verpflichtet sind ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gütern dort der Steuer zu unterwerfen (…).“

    (35)

    Nach dem belgischen Steuerrecht müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, um die in Artikel 39bis MwStGB vorgesehene Steuerbefreiung rechtmäßig anzuwenden. Artikel 1 des Königlichen Erlasses Nr. 52 vom 29. Dezember 1992 (K. E. Nr. 52) bestimmt, dass die in Artikel 39 MwStGB vorgesehenen Steuerbefreiungen dem Nachweis unterliegen, dass die Güter nach Orte außerhalb von Belgien aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert wurden („Les exemptions de la taxe prévues par l’article 39 bis du Code sont subordonnées à la preuve que les biens ont été expédiés ou transportées en dehors de la Belgique mais à l’intérieur de la Communauté...“). Artikel 2 K. E. Nr. 52 sieht als weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung vor, dass die Lieferung an einen Steuerpflichtigen erfolgt, der in einem anderen Mitgliedstaat mehrwertsteuerpflichtig registriert ist („(elle) est en outre subordonnée à la preuve que la livraison est effectuée pour un assujetti … identifié à la taxe sur la valeur ajoutée dans un autre état membre“). Und Artikel 3 Absatz 1 K. E. Nr. 52 bestimmt, dass der Veräußerer immer im Besitz aller Dokumente zum Nachweis für die tatsächliche Ausfuhr oder Beförderung der Güter sein muss („Le vendeur doit être à tout moment en possession de tous les documents justifiant la réalité de l’expédition ou du transport des biens ….“). In diesem Zusammenhang weist die auszugsweise im Belgischen Staatsblatt Nr. 36 vom 20. Februar 1993 veröffentlichte Pressemitteilung die Abgabenpflichtigen darauf hin, dass die Beförderung durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung erfolgen muss. Dies bedeutet, dass bei einer Beförderung durch einen Abnehmer oder für dessen Rechnung (zum Beispiel bei sog. Kettenverkäufen, wo die Beförderung durch den Endabnehmer erfolgt) keine Befreiung für die Lieferungen, die der Lieferung an diesen Endabnehmer vorausgehen, möglich ist („“… le transport doit être effectué par le vendeur, par l’acquéreur ou pour leur compte. Ceci a pour conséquence qu’un transport effectué par ou pour compte d’un client subséquent (par exemple lors de ventes en chaîne où le transport est effectué par le client final) ne permettra pas d’exonérer les livraisons précédant la livraison à ce dernier client.“)

    (36)

    Die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige unter anderem nachweist, dass die Beförderung durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung bewirkt wurde (8).

    (37)

    Werden die Voraussetzungen für die Steuerbefreiungen im Sinne der Artikel 39 und 39bis MwStGB nicht erfüllt, müssen die Güter in Belgien versteuert werden und die Steuerschuld entsteht allein durch den Eintritt der Lieferung (9). Die belgische Steuerverwaltung ist jedoch bereit, nach dem Grundsatz eines fairen Verfahrens gegenüber dem Steuerpflichtigen auch dann die Steuerbefreiung im Sinne dieser Artikel anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, alle Nachweise für die Einhaltung der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung zu erbringen, die Steuerverwaltung aber selbst über diese Nachweise zum Beispiel im Rahmen der Amtshilfe zwischen Mitgliedstaaten oder Drittländern verfügt.

    5.   Sachverhaltsgerechte Besteuerung

    (38)

    Nach ständiger Rechtsprechung des belgischen Kassationshofes (Cour de Cassation/Hof van Cassatie) ist die Steuer (so auch die Mehrwertsteuer) auf der Grundlage des Sachverhalts festzusetzen (10). Entsprechend diesem Grundsatz ist die Verwaltung gehalten, der Besteuerung nicht das vom Abgabenpflichtigen dargelegte Scheingeschäft, sondern das tatsächliche (von den Beteiligten beabsichtigte) Geschäft zugrunde zulegen.

    6.   Verfahren

    (39)

    Beanstandet die Verwaltung die Mehrwertsteuerbefreiungen für die betreffenden Lieferungen, sendet sie dem Steuerpflichtigen einen im Allgemeinen mit einer Geldbuße belegten Steuerbescheid (11) zu.

    7.   Vergleichsvereinbarung mit dem Steuerpflichtigen

    (40)

    Artikel 84 Absatz 2 MwStGB sieht vor, dass der Minister der Finanzen mit den Steuerschuldnern Vergleiche schließt, insofern dies nicht eine Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung zur Folge hat. Diese Vergleiche können sich demnach nur auf Sachfragen, jedoch nicht auf Rechtsfragen beziehen. Vergleichsvereinbarungen kommen im Allgemeinen nur in Betracht, wenn beide Parteien gleichermaßen Zugeständnisse (12) (nicht in Bezug auf die sich möglicherweise aus den Feststellungen ergebende Steuerhöhe, sondern auf Sachfragen, die Verhängung der Geldbußen usw.) machen.

    (41)

    Der Minister der Finanzen hat entsprechende Befugnisse auf die Generaldirektionen der Mehrwertsteuerverwaltung und die ISI übertragen.

    8.   Verhängung von administrativen Geldbußen

    (42)

    Die Verhängung von Geldbußen, wenn das Recht auf Steuerbefreiung nicht nachgewiesen wurde, wird durch Artikel 70 Absatz 1 MwStGB bestimmt. Demnach wird jeder Verstoß gegen die Verpflichtung zur Zahlung der Mehrwertsteuer mit einer gestaffelten Geldbuße in Höhe des Doppelten der verspätet gezahlten oder hinterzogenen Steuer geahndet. Allerdings sieht der Königliche Erlass Nr. 41 vom 30. Januar 1987 (K. E. 41) eine Verringerungstabelle für die gestaffelten Geldbußen bei steuerrechtlichen Verstößen vor. Nach Artikel 1 Absatz 1 K. E. Nr. 41 verringert sich bei Verstößen gegen die Artikel 39bis MwStGB (unrechtmäßige Befreiung oder nicht nachgewiesenes Recht auf Steuerbefreiung) diese Geldbuße auf 10 % der geschuldeten Steuer (Tabelle G der Anlage). Dieselbe gestaffelte Geldbuße wird für gleichgeartete Verstöße bei der Anwendung von Artikel 39 MwStGB verhängt.

    (43)

    Auch sieht Artikel 70 Absatz 2 MwStGB eine Geldbuße vor, die dem Doppelten der auf diesen Umsatz geschuldeten Steuer entspricht, wenn die Rechnung nicht ausgestellt worden ist oder sie fehlerhafte Angaben in Bezug auf Mehrwertsteueridentifikationsnummer, Name oder Anschrift der am Umsatz beteiligten Personen enthält. Nach Artikel 70 Absatz 2 Unterabsatz 2 wird die Geldbuße jedoch nicht angewandt, wenn Unregelmäßigkeiten als rein gelegentlich anzusehen sind (13), oder wenn der Lieferer keine schwerwiegenden Gründe hatte, an der Eigenschaft des Vertragspartners als Nichtsteuerpflichtiger zu zweifeln (14).

    (44)

    K. E. Nr. 41 (15) sieht im Fall von fehlerhaften Angaben auf der Rechnung eine Verringerung der Geldbuße auf 100 % der auf die Umsätze geschuldeten Steuer vor. Artikel 3 desselben gewährt vollständigen Erlass der Geldbußen, wenn ein Steuerschuldner seine Lage spontan in Ordnung bringt, bevor eine Steuerverwaltung eingreift.

    9.   Verhältnismäßigkeit der Geldbußen

    (45)

    In einem Urteil vom 24. Februar 1999 (16) entschied der belgische Schiedsgerichtshof (Cour d’Arbitrage) (17), dass der Richter nachprüfen können muss, „ob eine Verwaltungsentscheidung mit Bestrafungscharakter de jure und de facto gerechtfertigt ist und ob sie die durch die Verwaltung zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen und allgemeinen Grundsätze, zu denen auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehört, respektiert.“ Diesbezüglich war der Hof auch der Ansicht, dass Geldbußen im Bereich Mehrwertsteuer Bestrafungscharakter haben.

    (46)

    In einer jüngeren Rechtsprechung hat der belgische Kassationshof (18) außerdem bestätigt, dass sowohl die zuständige Steuerverwaltung als auch der Richter gehalten sind, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf die Höhe der Geldbußen anzuwenden, auch dann, wenn dadurch von festen Sätzen abgewichen wird.

    10.   Möglichkeit der Herabsetzung oder des Erlasses der Geldbußen durch die Verwaltung

    (47)

    Nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 15. März 1999 über steuerrechtliche Streitsachen entfielen die Bestimmungen des MwSt.-Gesetzbuches (19), die dem Minister der Finanzen die Befugnis zum Erlass von Geldbußen verliehen. Allerdings bleibt auf der Grundlage von Artikel 9 des Erlasses des Regenten vom 18. März 1831 (20) die Befugnis des Ministers der Finanzen oder des von ihm hierzu beauftragten Beamten zur Ermäßigung oder zum Erlass der Geldbuße gewahrt. Der Minister hat diese Befugnis dem Generaldirektor und den Regionaldirektoren (21) der Mehrwertsteuerverwaltung übertragen (22).

    (48)

    Nach dieser Bestimmung hat die Verwaltung grundsätzlich die Möglichkeit, bei der Verhängung einer Geldbuße im Bereich der Mehrwertsteuer von den gesetzlich vorgegebenen Bemessungsstufen der Tabelle, wie sie Artikel 70 Absatz 2 MwStGB und K. E. Nr. 41 vorsehen, abzuweichen, insbesondere wenn die strenge Anwendung dieser Bemessungsstufen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht.

    (49)

    Kommt eine Verringerung der Geldbuße in Betracht, wäre es im Falle einer gütlichen Vereinbarung zwischen der Steuerverwaltung und dem Steuerschuldner normal, auch die Geldbuße und entsprechende Verhandlungen in diese Vereinbarung einzubeziehen.

    11.   Verzugszinsen

    (50)

    Nach Artikel 91 Absatz 1 MwStGB wird für verspätet eingehende Steuerzahlungen ein Zinssatz von 0,8 % der geschuldeten Steuer pro Monat Verspätung berechnet. Artikel 84bis MwStGB bestimmt, dass in besonderen Fällen der zuständige Regionaldirektor unter den von ihm bestimmten Bedingungen eine vollständige oder teilweise Befreiung von den Zinsen nach Artikel 91 Absätze 1 und 2 MwStGB bewilligen darf.

    (51)

    Aus den administrativen Kommentaren zum MwSt.-Gesetzbuch (23) geht allerdings hervor, dass eine solche teilweise oder vollständige Befreiung von den Verzugszinsen nur dann bewilligt werden kann, wenn der Steuerpflichtige sich in einer von seinem Einfluss unabhängigen schwierigen finanziellen Situation befindet. Diese Haltung bestätigt Belgien in seinem Schreiben vom 13. Juni 2005 in Bezug auf die Bemerkungen von Drittpersonen und führt aus, dass die Regionaldirektoren der ISI zu keiner Zeit in einer Steuersache vollständige oder teilweise Befreiung von den Verzugszinsen bewilligt haben und außerdem eine solche Bewilligung nur den Steuerschuldnern gewährt werde, die sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden (“… les directeurs régionaux de l’ISI n’ont jamais pour aucun dossier accordé la remise totale ou partielle des intérêts de retard. En outre, cette remise n’est accordée qu’aux redevables qui se trouvent dans une situation financière difficile (…)“).

    12.   Erstattung

    (52)

    Artikel 77 Absatz 1 Ziffer 7o MwStGB bestimmt, dass die Steuer auf Lieferungen von Gütern (oder Dienstleistungen) bei Verlust der gesamten oder eines Teils der Preisforderung im Verhältnis zu dem entsprechenden Betrags erstattet wird.

    (53)

    Das Rundschreiben Nr. 78 zu den Erstattungen im Bereich der Mehrwertsteuer (24) weist darauf hin, dass eine Erstattung nicht nur im Fall von Verlust der Preisforderung durch Konkurs oder Liquidation vorgesehen ist, sondern auch in allen Fällen, in denen der Lieferer nachweist, dass die Rechnung teilweise oder insgesamt nicht bezahlt wurde und er alle Mittel des Rechtswegs ausgeschöpft hat. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Verlust als sicher gelten kann, hängt von den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Falls ab (25).

    (54)

    Wird die Rechnung nur teilweise beglichen, weil beispielsweise der Rechnungsbetrag vom Erwerber ohne Mehrwertsteuer bezahlt und gleichzeitig ein der Mehrwertsteuer entsprechender Betrag nicht entrichtet wurde, kann die Mehrwertsteuer nur anteilsmäßig im Verhältnis zu dem nicht bezahlten Betrag (26) erstattet werden (27).

    13.   Absetzbarkeit der Mehrwertsteuer bei der Körperschaftsteuerveranlagung

    (55)

    Artikel 53 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 (EStGB 1992/CIR 92) schließt die Absetzbarkeit bei der Berechnung der Besteuerungsgrundlage für die Einkommensteuer (einschließlich Körperschaftsteuer) für bestimmte Steuern aus. Die Mehrwertsteuer wird darunter jedoch nicht genannt.

    (56)

    Nach den administrativen Anweisungen zur Einkommensteuer (28) ist die vom Abgabenpflichtigen an das Finanzamt entrichtete oder geschuldete Mehrwertsteuer, die nicht als Mehrwertsteuer an den Kunden weitergegeben wurde, als Betriebskosten zu betrachten.

    14.   Absetzbarkeit der Geldbußen bei der Körperschaftsteuerveranlagung

    (57)

    Wie es der belgische Kassationshof in ständiger Rechtssprechung und die administrativen Kommentare (29) bestätigen, können die Geldbußen im Bereich der Mehrwertsteuer bei der Körperschaftsteuerveranlagung in Abzug gebracht werden.

    15.   Befugnis der ISI

    (58)

    Nach Artikel 87 des Gesetzes vom 8. August 1980 verfügen die ISI und ihre Regionaldirektoren über dieselben Befugnisse wie die Verwaltung der Mehrwertsteuer.

    II.3.   Die Begünstigte

    (59)

    Umicore S.A. ist eine Aktiengesellschaft belgischen Rechts und spezialisiert auf die Gewinnung und den Vertrieb von Edel- und Sondermetallen, unter anderem Silbergranulat, auf dem Unionsmarkt und dem internationalen Markt. Insbesondere zählen ihre Silber-Raffineriekapazitäten zu den größten weltweit.

    (60)

    Das von Umicore gewonnene Silber wird von anderen Werkstoffen, überwiegend industriellen Abfällen, getrennt, die das Unternehmen im Lohnveredelungsgeschäft zur Wiedergewinnung von Edel- und Sondermetallen (Silber, Gold, Platin, Palladium, Rhodium, Iridium, Kobalt, Kupfer, Blei usw.) aufbereitet bzw. der Entsorgung zuführt. Das Hauptgeschäft von Umicore ist die Gewinnung von Silbergranulat, das im Allgemeinen an den Großhandel der Schmuckfertigung oder an die Industrie vertrieben wird.

    (61)

    Im Rahmen ihrer Silberverkaufsgeschäfte beliefert Umicore insbesondere andere Mitgliedstaaten. Die der belgischen Steuerverwaltung vorliegenden Informationen von Umicore belegen, dass das Silberabsatzvolumen zur Zeit des Sachverhalts weltweit etwa 26 000 Tonnen pro Jahr betrug und Italien mit etwa 2 000 Tonnen jährlich der größte Abnehmer in Europa und unter den Hauptmärkten war.

    II.4.   Kontrollen und Steuerbescheide der ISI

    (62)

    Die Regionaldirektion Brüssel der ISI hatte nach einer Kontrolle des Edelmetallvertriebs von Umicore von 1995 bis 1999 dem Unternehmen am 30. November 1998 und am 30. April 1999 einen Steuerbescheid zugesandt. In beiden Steuerbescheiden beanstandete sie die unrechtmäßige Anwendung von Steuerbefreiungen im Sinne von Artikel 39bis MwStGB (und in einigen Fällen im Sinne von Artikel 39 MwStGB betreffend die Befreiung von Ausfuhren von Gütern nach Orten außerhalb der Europäischen Union) im Zusammenhang mit Lieferungen von Silbergranulat nach Italien für italienische, spanische und schweizerische Abnehmer. Die von den zuständigen nationalen Dienststellen durchgeführten Untersuchungen brachten zudem ans Licht, dass es sich bei einigen ausländischen Abnehmern von Umicore um Scheinunternehmen handelte, die im Rahmen eines Karusselbetrugssystems die Mehrwertsteuerzahlungen zu umgehen suchten.

    (63)

    Die von der ISI festgestellten Unregelmäßigkeiten verletzen insbesondere die Artikel 39 und 39bis MwStGB sowie die Artikel 1 bis 3 K. E. Nr. 52 und betreffen die von Umicore auf einige innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhren angewandte Befreiungen. Die Verwaltung war insbesondere der Ansicht, dass der Steuerpflichtige für diese Lieferungen nicht den Nachweis für die Erfüllung der Voraussetzung für die Anwendung der Steuerbefreiung im Sinne der Artikel 39 und 39bis MwStGB erbringen konnte. Die ISI ging daher vorläufig davon aus, dass Umicore unberechtigterweise bestimmte innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. Ausfuhren von der Mehrwertsteuer befreit hatte.

    (64)

    Was speziell bestimmte Verkäufe an verschiedene italienische und spanische Steuerpflichtige (im Zeitraum 1995-1996) betrifft, kam die ISI zu dem (vorläufigen) Schluss, dass die Beförderung der Ware weder von Umicore noch von dem auf der Rechnung angegebenen Erwerber, noch für ihre Rechnung vorgenommen worden war, sondern von einem Abnehmer in der Absatzkette auf dem italienischen Markt. Nach Auffassung der ISI erfüllten die betreffenden Lieferungen demnach nicht die Voraussetzungen von Artikel 39bis MwStGB für die Befreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen von Gütern.

    (65)

    Auch was bestimmte Verkäufe an in der Schweiz niedergelassene Unternehmen betrifft, gelangte die ISI zu der Auffassung, dass die in Artikel 39 MwStGB vorgesehene Befreiung für Ausfuhren von Gütern außerhalb des Unionsgebiets ebenfalls nicht anwendbar war, da die Lieferungen der Güter nach Italien erfolgten und somit das Hoheitsgebiet der Union nicht verlassen hatten.

    (66)

    Die ISI kam demzufolge in ihrem Bescheid vom 30. November 1998 vorläufig zu dem Ergebnis, dass Umicore dem belgischen Staat für die Jahre 1995 und 1996 folgende Beträge schuldete:

    MwSt.: 708 211 924 BEF, das entspricht etwa 17 556 115 EUR;

    verringerte Steuerstrafe (nach Tabelle G der Anlage zu K. E. Nr. 41): 70 820 000 BEF, das entspricht etwa 1 755 582 EUR;

    Verzugszinsen: 0,8 % pro Monat Verspätung ab dem 21. Januar 1997, gerechnet auf den Betrag der geschuldeten MwSt.

    (67)

    In dem Bescheid vom 30. April 1999 kam die ISI zudem vorläufig zu dem Ergebnis, dass Umicore dem belgischen Staat für die Jahre 1997-1998 die folgenden Beträge schuldete:

    MwSt.: 274 966 597 BEF, das entspricht etwa 6 816 243 EUR;

    verringerte Steuerstrafe (nach Tabelle G der Anlage zu K. E. Nr. 41): 27 496 000 BEF, das entspricht etwa 681 608 EUR;

    Verzugszinsen in Höhe von 0,8 % pro Monat Verspätung ab dem 21. Januar 1999, gerechnet auf den Betrag der geschuldeten Mehrwertsteuer.

    (68)

    Die Beträge, die Umicore dem belgischen Staat laut den beiden Steuerbescheiden insgesamt schuldete, beliefen sich folglich auf 24 372 358 EUR an Mehrwertsteuer und 2 437 235 EUR an Steuerstrafe.

    (69)

    Mit ihren Schreiben vom 11., 18. Juni 1999 und 31. März 2000 erhob Umicore Einspruch gegen die beiden Bescheide. Umicore erklärte insbesondere, nichts mit den Unregelmäßigkeiten auf Seiten seiner Kunden zu tun zu haben. Das Unternehmen führte zu seiner Verteidigung aus, dass es als Großhändler auf dem Silbergranulatmarkt nicht zwangsläufig die Namen der Kunden seiner Abnehmer kenne, da die Verkaufsgeschäfte für Silber immer „ab Werk“ erfolgten, um Transportrisiken auszuschließen. Umicore machte außerdem geltend, dass alle ihre Abnehmer während des Zeitraums, in dem die Umsätze getätigt wurden, in anderen Mitgliedstaaten mehrwertsteuerpflichtig registriert waren, dass Umicore in ihren Quartalsmeldungen zu den innergemeinschaftlichen Lieferungen immer alle betreffenden Lieferungen entsprechend dem belgischen MwSt.-Gesetz angegeben hatte, dass die Rechnungen von Umicore immer nach den Geschäftbedingungen auf den Namen der mehrwertsteuerpflichtig registrierten Empfänger lauteten, dass die Transporte tatsächlich von Spezialspeditionen durchgeführt worden waren, die Ware tatsächlich das belgische Hoheitsgebiet verlassen hatte und nach Italien geliefert worden war. Demzufolge war Umicore der Auffassung, dass die Mehrwertsteuerbefreiung nach Artikel 39bis MwSt.GB zu Recht auf die betreffenden Umsätze angewandt worden war.

    (70)

    Des Weiteren hatte Umicore betont, dass einige Staaten lediglich den Nachweis für eine Beförderung der Güter in einen anderen Mitgliedstaat als den Ausgangsstaat verlangten. Belgien dagegen fordere den Nachweis für die Beförderung durch oder auf Rechnung des Verkäufers oder Erwerbers, was dem Unionsrecht widerspreche und schwere Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil von Umicore und anderen belgischen Unternehmen zur Folge habe, die gleichartige innergemeinschaftliche Lieferungen durchführten. Umicore habe also in gutem Glauben keine Mehrwertsteuer auf die fraglichen Umsätze erhoben.

    II.5.   Begründung der Vergleichsvereinbarung vom 21. Dezember 2000

    (71)

    Am 21. Dezember 2000 akzeptierte die ISI einen Vergleichsvorschlag von Umicore in Bezug auf deren Mehrwertsteuerschuld der Jahre 1995 bis 1998. In der Vereinbarung heißt es, dass Umicore den von der ISI geforderten Berichtigungen widerspricht, aber den vorgeschlagenen Vergleich im Sinne eines Kompromisses akzeptiert.

    (72)

    Danach sollte Umicore einen Betrag von 423 000 000 BEF (ca. 10 485 896 EUR) zahlen womit sämtliche Forderungen im Zusammenhang mit den Mehrwertsteuerkonten von Umicore von 1995 bis einschließlich 1999 als beglichen gegolten hätten. Weiterhin weist die Vereinbarung darauf hin, dass dieser Betrag nicht bei der Körperschaftsteuerveranlagung absetzbar ist.

    (73)

    Wie von Belgien bereits in der Voruntersuchungsphase vor Eröffnung des Verfahrens vorgetragen hatte, ist die Steuerverwaltung der Ansicht, dass der Vergleichsbetrag einer nach Artikel 70 Absatz 2 MwSt.GB festgesetzten und nach Artikel 84 MwStGB verringerten Geldbuße entspricht. Artikel 70 Absatz 2 insbesondere besagt, dass bei fehlerhaften Angaben auf der vom Steuerpflichtigen erstellten Rechnung „in Bezug auf Mehrwertsteueridentifikationsnummer, Name oder Adresse der am Umsatz beteiligten Parteien, in Bezug auf Art oder Menge der gelieferten Güter oder der erbrachten Dienstleistungen oder in Bezug auf Preis oder Nebenkosten“ eine Geldbuße verwirkt wird, die dem Doppelten der auf diesen Umsatz geschuldeten Steuer entspricht. Die Geldbuße wird jedoch entsprechend Artikel 1 Absatz 3 K. E. Nr. 41 (Tabelle C der Anlage zu K. E. 41) auf 100 % der geschuldeten Steuer verringert.

    (74)

    Weiterhin behauptet Belgien, dass der von Umicore und der ISI festgesetzte Vergleichsbetrag nach dem belgischen Recht absolut legitim und gerechtfertigt sei und sich insbesondere aus der folgenden Berechnung ergebe:

    grundsätzlich geschuldete Steuer (theoretische Berechnung) auf die fraglichen Umsätze: 708 Mio. BEF;

    gesetzliche Geldbuße: 708 Mio. BEF × 200 % = 1 416 Mio. BEF (Anwendung von Art. 70 Abs. 2 MwStGB);

    Verringerung auf 100 %, nach K. E. Nr. 41 (Tabelle C) zur Festsetzung der Geldbußen im Bereich der Mehrwertsteuer, bei Verstößen, bei denen keine Absicht im Hinblick auf eine Steuerumgehung bzw. eine Möglichkeit der Steuerumgehung vorliegt: 708 Mio. BEF;

    Berücksichtigung der Nicht-Absetzbarkeit der Geldbuße als Geschäftskosten (708-40,17 % von 708): 423 Mio. BEF, ergibt ca. 10 485 896 EUR.

    (75)

    Nach Auffassung Belgiens ist eine solche Vereinbarung gerechtfertigt, weil die Steuerbescheide lediglich den ersten Schritt in einem komplexen Verwaltungsverfahren zur Festsetzung der Steuerschuld einer mehrwertsteuerpflichtigen Person darstellen. Eine genauere Prüfung der Angaben und Argumente von Umicore, das im Übrigen jeglichen Betrugsvorwurf zurückweise, habe die ISI davon überzeugt, dass im vorliegenden Fall keine Steuer hätte eingefordert werden dürfen. Aus den vorliegenden Angaben, insbesondere auch aus den von Umicore und der italienischen Verwaltung übermittelten Unterlagen, gehe — so die ISI — hervor, dass — entgegen dem Tenor der Bescheide — die Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung erfüllt waren. Da kein Steuerbetrag festgesetzt worden sei, habe auch keine Herabsetzung der MwSt.-Schuld stattgefunden.

    III.   GRÜNDE, DIE ZUR ERÖFFNUNG DES VERFAHRENS GEFÜHRT HABEN

    (76)

    In ihrem Verfahrenseröffnungsbeschluss äußerte die Kommission Zweifel an der rechtmäßigen Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung auf die in den Steuerbescheiden der ISI gegenständlichen Lieferungen. Nach Auffassung der Kommission vergrößere eine unrechtmäßig angewandte Mehrwertsteuerbefreiung die Gewinnspanne des Lieferers auf die betreffenden Absätze.

    (77)

    Die Kommission wies darauf hin, dass folgende beiden Voraussetzungen gegeben sein müssen, um eine — grundsätzlich in Belgien steuerpflichtige — innergemeinschaftliche Lieferung von Gütern von der Steuer zu befreien:

    Die Versendung oder Beförderung der Güter muss durch den Verkäufer oder Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orte erfolgen, die außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats des Beginns der Versendung oder Beförderung jedoch innerhalb der Union liegen, und

    die Lieferung von Gütern muss für eine andere steuerpflichtige Person erfolgen, die als solche der Steuerpflicht in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung unterworfen ist.

    (78)

    Nach Kenntnis der Kommission konnte Umicore bei den Kontrollen der ISI nicht nachweisen, dass diese Voraussetzungen erfüllt waren. Folglich und entsprechend den Vorschriften über die Anwendung der Mehrwertsteuer auf Lieferungen in Belgien entstand eine Steuerschuld, da steuerpflichtige Umsätze eingetreten waren.

    (79)

    Nach Auffassung der Kommission gewährt die betreffende Vereinbarung Umicore anscheinend einen Vorteil, der in der Verringerung von Finanzlasten besteht, die das Unternehmen normalerweise selbst hätte tragen müssen:

    (80)

    Die Kommission hob außerdem hervor, dass es unlogisch und ungerechtfertigt sei, einerseits eine Geldbuße entsprechend der nicht bezahlten Mehrwertsteuer zu verhängen und andererseits die Mehrwertsteuer selbst nicht zu verlangen.

    (81)

    Die Kommission ist der Auffassung, dass die mutmaßlich fehlende betrügerische Absicht seitens Umicore nicht rechtfertige, anstatt der Steuer eine Geldbuße anzuwenden.

    (82)

    Weiterhin hob die Kommission hervor, dass der bei der Berechnung der gestaffelten Geldbuße zugrunde gelegte Mehrwertsteuerbetrag (708 Mio. BEF) nur einen Teil der ursprünglich in den Steuerbescheiden festgesetzten Schuld (983 Mio. BEF) ausmacht. Aus den Angaben der belgischen Behörden zur Berechnung des Vergleichsbetrags geht hervor, dass die in dem Steuerbescheid vom 30. April 1999 festgestellte Mehrwertsteuerschuld für die Jahre 1997-1998 anscheinend nicht berücksichtigt wurde.

    (83)

    Die Kommission äußerte auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nachträglichen Herabsetzung der fraglichen Steuerschuld unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Geldbuße bei der Körperschaftsteuerveranlagung nicht als Geschäftskosten abgesetzt werden kann.

    (84)

    Auch äußerte die Kommission Zweifel hinsichtlich der Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung. So stelle der Umstand, dass der Vergleichsvorschlag weder einen Verweis auf seine Rechtsgrundlage noch eine förmliche juristische Begründung enthält, eine Abweichung von dem in Belgien üblichen Verfahren zur Festsetzung und Erhebung einer Mehrwertsteuerschuld nach einer Feststellung von Unregelmäßigkeiten dar. Wenn die Verwaltung die vom Steuerpflichtigen angewandte Mehrwertsteuerbefreiung beanstande, werde ihm ein im Allgemeinen mit einer Geldbuße belegter Steuerbescheid zugesandt. Erhebe der Betreffende Einwände gegen die von der Verwaltung festgesetzte Besteuerung und können seine Einwände die betreffende Dienststelle nicht überzeugen, müsse die Verwaltung grundsätzlich eine Zwangsbeitreibung mit einer um 50 % erhöhten Geldbuße bescheiden.

    (85)

    Hinsichtlich des Kriteriums der Selektivität der Maßnahme wies die Kommission darauf hin, dass Ermessensmaßnahmen der Steuerbehörden zu Vorteilen führen können, die unter Artikel 107 Absatz 107 AEUV (30) fallen.

    (86)

    Die Kommission gelangte folglich zur Auffassung, dass ein — wie im Falle von Umicore — gütlicher Vergleich über die Herabsetzung von Mehrwertsteuerschuld, Geldbußen und Zinsen im Allgemeinen nicht allen Steuerpflichtigen gleichermaßen zugänglich sei, selbst wenn man davon ausginge, sie würden die Berechtigung der ihnen gegebenenfalls angelasteten Verstöße bestreiten. Daher sei im vorliegenden Fall das Kriterium der Selektivität erfüllt.

    (87)

    Nach Auffassung der Kommission falle daher die fragliche Beihilfe nicht unter die in Artikel 107 AEUV vorgesehenen Ausnahmen.

    IV.   STELLUNGNAHME BELGIENS

    (88)

    Belgien betont, dass das Mehrwertsteuergesetzbuch keine Angaben zu einem formellen Verfahren im Hinblick auf die Steuerberichtigungen durch den Steuerschuldner enthält. Allerdings wird nach üblicher Praxis der Steuerschuldner zunächst von der anstehenden Berichtigung durch die Verwaltung in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, seine möglichen Einwände gegen den Steuerbescheid vorzubringen. Diese Praxis entspreche den Grundsätzen der guten Verwaltung und des Verteidigungsrechts. So gesehen sei der Steuerbescheid lediglich ein Vorschlag der Verwaltung, der die Grundlage für eine Erörterung mit dem Steuerpflichtigen darstelle, ohne Begründung einer Rechtswirkung für diesen oder einer Forderung seitens des Staates. Der Steuerbescheid ermögliche demnach in erster Linie dem Steuerschuldner, Einwände gegen die vorläufige Bescheidung der Verwaltung und Angaben zur Stützung seiner Argumentation vorzubringen.

    (89)

    Wie Belgien ausführt, kann es vorkommen, dass nach Prüfung der Argumente des Steuerschuldners gegen den Steuerbescheid, der erste Bescheid geändert oder sogar von einer Besteuerung ganz abgesehen werden muss.

    (90)

    Belgien führt weiter aus, dass der Steuerbescheid nicht die Entstehung einer Schuld bewirkt. Erst mit der — vollstreckbaren — Zwangsbeitreibung sei ein Titel erwirkt, mit dem der Staat seine Mehrwertsteuerforderung geltend machen könne (31). Umicore sei zu keiner Zeit eine Zwangsbeitreibung im Rahmen der fraglichen Sache zugestellt worden. Es sei falsch von einer „Herabsetzung der Mehrwertsteuerschuld“ zu sprechen.

    (91)

    Zum Nachweis, dass das in der Umicore-Steuerakte angewandte Verfahren auch bei der Behandlung von Akten anderer Steuerschuldner gilt, legt Belgien die Kopie einer im Jahr 2000 mit einem Steuerpflichtigen getroffenen Vergleichsvereinbarung vor; die betreffende Vergleichssumme beläuft sich auf 6 Mio. BEF, während ein dieselben Umsätze betreffendes Protokoll aus dem Jahr 1995 demselben Steuerschuldner noch eine Steuerschuld in Höhe von 14 Mio. BEF bescheinigte.

    (92)

    Was den Verfahrensablauf bei der steuerpflichtigen Partei betrifft, fügt Belgien hinzu, dass steuerliche Vereinbarungen zu den grundlegenden Instrumentarien im Bereich der Mehrwertsteuer zählen, und weitgehend sowohl in der Lehrmeinung als auch in der Rechtsprechung als übliche Praxis gelten und ausdrücklich in Artikel 84 MwStGB vorgesehen sind. Der Vergleich ist demnach untrennbarer Bestandteil des Verfahrens selbst und ist ausnahmslos allen Steuerpflichtigen zugänglich.

    (93)

    In Bezug auf die fehlende Rechtsgrundlage der Vereinbarung gibt Belgien an, dass Artikel 84 MwStGB weder eine bestimmte Form noch einen bestimmten Inhalt für die steuerlichen Vereinbarungen im Bereich der Mehrwertsteuer vorschreibt. Folglich muss die Vereinbarung auch keine Rechtsgrundlage oder formelle Rechtfertigung enthalten.

    (94)

    Die belgischen Behörden verweisen auf die Rüge, die die Kommission Belgien im Jahr 1999 erteilt hatte, weil die belgische Verwaltung die Belege, die die Steuerschuldner zum Nachweis ihrer innergemeinschaftlichen Lieferungen vorgelegt hatten, außergewöhnlich streng beurteilte. Diesbezüglich beziehen sich die belgischen Behörden auf eine Korrespondenz zwischen der Kommission und dem belgischen Minister der Finanzen über die für die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen erforderlichen Nachweisvoraussetzungen (32).

    (95)

    Belgien weist auch darauf hin, dass weder das Unionsrecht noch das belgische Recht formelle Modalitäten vorsehen, wie die Steuerschuldner den Nachweis für ihr Recht auf Steuerbefreiung unter allen Umständen erbringen könnten oder sollten. Vielmehr obliegt es zunächst der Verwaltung und, gegebenenfalls, danach dem Gericht von Fall zu Fall zu beurteilen, ob die Elemente zum Nachweis für die Erfüllung aller Voraussetzungen der Befreiung genügen oder nicht. In diesem Zusammenhang übersendet Belgien auch Kopien mehrerer Urteile, in denen das Gericht erster Instanz und der Gerichtshof in dieser Frage zu gegenteiligen Entscheidungen gelangt sind.

    (96)

    Zum ersten Steuerbescheid für die Jahre 1995 und 1996 führt Belgien aus, dass folgende Punkte für die Aufhebung der ursprünglich festgesetzten Besteuerung berücksichtigt wurden:

    fehlende Mitwirkung von Umicore im Betrugssystem;

    die Bezahlung der Waren war vor Abholung durch die von den Erwerbern beauftragten Speditionsfirmen erfolgt;

    der Beweis für die Beförderung der Waren nach Italien wurde erbracht, wenn auch nicht in erster Linie von Umicore sondern von den italienischen Behörden selbst (33).

    (97)

    Belgien führt jedoch aus, dass die ISI, nachdem sie Verfehlungen auf Seiten von Umicore in Bezug auf die Identifizierung der tatsächlichen Abnehmer feststellen musste, zur Auffassung gelangte, dass die Steuerpflichtige mit einer hohen Geldbuße zu belegen sei. In diesem Zusammenhang habe die Verwaltung dann lediglich einen Kompromiss in Bezug auf die Höhe der Geldbuße geschlossen, was durch die Verbuchung der Zahlung des Steuerschuldners als Geldbuße bei der Staatskasse nachgewiesen sei.

    (98)

    Zum zweiten Steuerbescheid für die Jahre 1997 und 1998 führt Belgien aus, dass die Aufhebung der ursprünglich festgesetzten Besteuerung gerechtfertigt sei, denn es habe sich herausgestellt, dass die Voraussetzungen für die Befreiung tatsächlich erfüllt waren. Die Waren seien nämlich in einen anderen Mitgliedstaat (Italien) versandt worden, und die Lieferung war für einen Steuerpflichtigen erfolgt, der in einem anderen Mitgliedstaat (Vereinigtes Königreich) mehrwertsteuerpflichtig registriert war (34).

    (99)

    Belgien gibt außerdem an, dass die Änderung in der Beurteilung sich aus dem Umstand ergibt, dass sämtliche einschlägigen Unterlagen in den Jahren 1998 und 1999 noch nicht vorlagen. Nachdem man diese dann erhalten hatte, musste die Verwaltung anhand aller ihr vorliegenden Informationen prüfen, ob sie die Befreiung ablehnen und ob sie diese Ablehnung mit guten Chancen auf Erfolg auf dem Rechtsweg verteidigen könnte. Weiterhin habe die ISI, nachdem sie eine Risikoeinschätzung analog zu der eines privaten Gläubigers vorgenommen habe, einem sofortigen, reellen und unstrittigen Ergebnis gegenüber einem langen und kostenintensiven Rechtstreit mit eher ungewissem Ergebnis den Vorzug gegeben.

    (100)

    Belgien weist darauf hin, dass die Beamten bei der Abfassung der Steuerbescheide automatisch die für die voraussichtliche Besteuerung geltenden gesetzlichen Bestimmungen angewandt hätten. Bei einer unrechtmäßig angewandten oder beanspruchten Steuerbefreiung ohne betrügerische Absicht sehen Artikel 70 Absatz 1 MwStGB und Tabelle G (Ziffer VII, 2, A) K. E. 41 eine Geldbuße in Höhe von 10 % der geschuldeten Steuer vor. Belgien betont diesbezüglich, dass die Verwaltungsbeamten dabei zwangsläufig davon ausgegangen waren, dass Umicore keine betrügerische Absicht nachgewiesen werden könne.

    (101)

    Nach Auffassung Belgiens unterscheide sich die Grundlage für die in der Vereinbarung vom 21. Dezember 2000 akzeptierte Geldbuße radikal von der für die Geldbuße aus den Steuerbescheiden. Nachdem die Richtigkeit der innergemeinschaftlichen Lieferungen rechtlich hinreichend nachgewiesen worden war, wäre, so Belgien, die Verhängung einer Geldbuße nach Artikel 70 Absatz 1 MwStGB völlig unlogisch gewesen, weil die Befreiung nach Artikel 39bis MwStGB zu Unrecht beansprucht worden wäre.

    (102)

    In seinen weiteren Ausführungen hebt Belgien hervor, dass, auch wenn nachgewiesen war, dass es sich tatsächlich um innergemeinschaftliche Lieferungen handelte, die von Umicore vorgelegten Rechnungen dennoch schwerwiegende Fahrlässigkeiten in Bezug auf die Identifizierung der eigentlichen Abnehmer der Silberlieferungen in Italien aufwiesen. Bei der Beurteilung der Schwere dieser Fahrlässigkeit habe man die Größe, Bedeutung und Präsenz von Umicore als Teilnehmer auf dem internationalen und damit auf dem europäischen Markt berücksichtigt. Auf der Grundlage einer Vermutung war man zu dem Schluss gelangt, dass es den Führungskräften des Unternehmens nicht entgangen sein konnte, dass ihre Fakturierung Mängel hinsichtlich der Empfängerangabe aufwies und damit nicht zu 100 % im Einklang mit den belgischen Vorschriften stand. Mangels anderer belastender Elemente war diese Vermutung jedoch nicht hinreichend, um Umicore eine betrügerische Absicht nachzuweisen.

    (103)

    In Bezug auf die Art und Weise, wie der Vergleichsbetrag der Geldbuße festgesetzt wurde, gibt Belgien an, dass die Verhängung einer Geldbuße, wenn keine Mehrwertsteuer gefordert wird, keinen Widerspruch zu den geltenden Rechtsvorschriften darstelle. Ist ein Umsatz grundsätzlich steuerbar (35), erlaubt das Gesetz die — ausschließlich — spätere Befreiung bestimmter Umsätze, darunter auch die innergemeinschaftlichen Lieferungen, von der Steuer in Belgien. Daraus ergibt sich, dass eine Geldbuße auf die Höhe der grundsätzlich auf die betreffenden Umsätze geschuldeten Steuer angewandt werden kann, selbst wenn die Befreiung von der Steuer später erfolgt (36).

    (104)

    Belgien folgert daraus, dass, unabhängig von der auf die betreffenden Umsätze anzuwendenden Mehrwertsteuerregelung, die Geldbuße nach Artikel 70 Absatz 2 MwStGB fehlerhafte Angaben auf den Rechnungen sanktioniere. Somit sei die Verhängung einer Geldbuße nur dann nicht möglich, wenn die Umsätze nach Artikel 2 MwStGB nicht besteuert werden können. Außerdem sanktioniere Artikel 70 Absatz 2 MwStGB nicht den Verstoß gegen die Pflicht zur Zahlung der Steuer — dieser würde mit Artikel 70 Absatz 1 MwStGB sanktioniert — sondern die Tatsache, dass die Steuerhinterziehung in der anschließenden Vertriebskette ermöglicht wurde. Durch die Verschleierung der tatsächlichen Identität des Empfängers würde der Staat die Spur der Waren verlieren und könne weder die Mehrwertsteuer und noch nicht einmal die direkten Steuern, die aufgrund der anschließenden Umsätze mit den gelieferten Waren geschuldet würden, erheben. Der Kommentar zum Mehrwertsteuergesetzbuch enthalte hierzu klare Angaben (37).

    (105)

    Was die Festsetzung der gestaffelten Geldbuße betrifft, führt Belgien aus, dass eine Herabsetzung von 200 % — wie sie Artikel 70 Absatz 2 MwStGB vorsieht — auf 100 % in jedem Fall rechtmäßig ist, da eine solche Verringerung der Höhe der Geldbußen entspricht, die die Tabelle C im Anhang zu K. E. Nr. 41 für die Fälle nennt, in denen keine betrügerische Absicht vorliegt.

    (106)

    Schließlich unterstreicht Belgien, dass nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes die Geldbußen im Bereich der Mehrwertsteuer von der Besteuerungsgrundlage für die Körperschaftsteuer absetzbar sind (38). In Anbetracht der Tatsache, dass die Gesellschaft Umicore diesen Abzug gewissermaßen vorwegzunehmen wünschte, um ihre Streitigkeiten mit der ISI vor Ende des Geschäftsjahrs 2000 beizulegen, habe die Verwaltung diese Vorwegnahme daher im Rahmen des Vergleichs vom 21. Dezember 2000 berücksichtigt. Belgien führt weiter aus, dass die Berücksichtigung dieses Antrags voll und ganz unter die ministerielle Zuständigkeit für Herabsetzungen oder Erlasse von Steuerstrafen fiel. Außerdem habe Umicore seine Zusage eingehalten und den Betrag von 423 Mio. BEF tatsächlich vor dem 31. Dezember 2000 bezahlt.

    (107)

    Belgien bestreitet, Umicore eine Beihilfe gewährt zu haben. Es betont außerdem, dass die fragliche Beihilfe weder eine Besonderheit noch einen Vorteil für Umicore darstelle, und es damit die Stellung des Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel nicht gestärkt habe. Umicore habe auch keinerlei Sonderbehandlung erfahren, vielmehr sei gegenüber dem Unternehmen in einem konkreten Fall ein im Übrigen vielfach eingesetztes grundlegendes Instrument angewandt worden.

    (108)

    Solche Vergleichsvereinbarungen seien, so Belgien, nicht nur in Belgien üblich, sondern aus erklärlichen Gründen (zur Vermeidung langer und kostspieliger Rechtstreitigkeiten mit unsicherem Ausgang) auch bei Verwaltungen vieler anderer Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang verweist Belgien darauf, dass die Kommission selbst von einer solchen Vergleichsvereinbarung mit Philip Morris International Gebrauch gemacht habe, als es um den Ausfall von Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen ging, die bei legaler Einfuhr (39) hätten entrichtet werden müssen.

    (109)

    Außerdem, wenn auf die fraglichen Umsätze die Mehrwertsteuer angewandt worden wäre, hätte die Steuerverwaltung diese Mehrwertsteuer den Abnehmern von Umicore erstatten müssen, da diese in ihrer Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtige ihr Recht auf Vorsteuerabzug ausüben könnten. Infolgedessen habe sich somit für die belgische Finanzkasse eine kostenneutrale Buchung, ohne Transfer staatlicher Mittel, ergeben.

    (110)

    In Bezug auf das Kriterium der Selektivität ist Belgien der Auffassung, dass, anders als von der Kommission in ihrem Eröffnungsbeschluss dargelegt, der einfache Umstand, dass die Vereinbarung nur Umicore betrifft, nicht darauf schließen lasse, dass das Kriterium der Selektivität erfüllt sei (40). Für die Feststellung, ob ein besonderer Vorteil vorliegt, müsse die Maßnahme in Bezug auf die Behandlung beurteilt werden, die Unternehmen zuteil wird, die sich in gleicher sachlicher und rechtlicher Situation wie das angeblich begünstigte Unternehmen befinden (41).

    (111)

    Wenn, so führt Belgien aus, wie im vorliegenden Fall, jeder Mehrwertsteuerpflichtige Einspruch gegen einen Steuerbescheid erheben kann, bei den Behörden seine Argumente vorbringen und eine Vereinbarung über seinen speziellen Fall mit der Verwaltung schließen kann, und wenn diese Vereinbarung keine Ausnahmeregelung von den gesetzlichen Vorschriften enthält und nur — auf der Grundlage der vorgelegten Beweise — die Stichhaltigkeit der vom Steuerpflichtigen vorgetragenen Tatsachen akzeptiert, dann handele es sich um eine allgemeine Maßnahme und nicht um eine Beihilfe im Sinne von Artikel 107 AEUV. Nach Auffassung Belgiens stehe somit das bei Umicore angewandte Verfahren auch anderen Unternehmen offen und werde in ähnlicher Weise auf alle fraglichen Fälle angewandt.

    (112)

    Belgien betont diesbezüglich, dass die Verwaltung im vorliegenden Fall bei der Anwendung des Mehrwertsteuergesetzes weder nach Ermessen noch willkürlich verfügt oder gehandelt habe.

    (113)

    Weiterhin sei die fragliche Maßnahme zudem durch die Natur oder den inneren Aufbau des belgischen Steuersystems gerechtfertigt. Es sei nämlich im Sinne eines jeden Verwaltungsverfahrens, möglichst schnell ein gerechtes der Rechtssicherheit dienendes Ergebnis unter strenger Beachtung der Verfahrensökonomie zu erzielen und gleichzeitig die Einziehung der Steuer wirksam zu gewährleisten. Vereinbarungen mit den Abgabenpflichtigen wie im Fall von Umicore dienten schließlich dazu, den Risiken langer Rechtsstreitigkeiten mit unsicherem Ausgang vorzubeugen.

    (114)

    Belgien hebt hervor, dass nach seinem Kenntnisstand europäische Wettbewerber von Umicore an dieselben italienischen Abnehmer wie Umicore unter denselben Bedingungen Feingold geliefert haben und dass die Besteuerungssituation dieser Hersteller im Hinblick auf die Mehrwertsteuer von den jeweiligen nationalen Behörden nicht beanstandet worden sei, weil das Betrugsvergehen in Italien und nicht bei den Herstellern eingetreten war. Indem Umicore eine hohe Geldbuße akzeptierte, während andererseits ihre Wettbewerber weder Mehrwertsteuer noch Geldbuße zahlten, sei ihre Wettbewerbsstellung auf dem betreffenden Markt beeinträchtigt worden. Und wenn der Handel beeinträchtigt wurde, dann zum Nachteil von Umicore; von der Gewährung einer Beihilfe könne daher auf keinen Fall die Rede sein.

    (115)

    Infolgedessen ist Belgien der Meinung, dass die Maßnahme nicht die Voraussetzungen für den Nachweis einer staatlichen Beihilfe im Sinne des AEUV erfüllt. Es habe nämlich im vorliegenden Fall weder Zuwendung von Mitteln, noch Begünstigung, Selektivität oder Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder des Handels zwischen den Mitgliedstaaten gegeben.

    (116)

    Schließlich kommt Belgien zu dem Schluss, dass, sollte die Kommission beabsichtigen, künftig das immerhin weit verbreitete System der steuerlichen Vergleiche, das eine wesentliche Rolle für das reibungslose Funktionieren der Steuererhebung durch die Steuerverwaltung spiele, als solches in Frage zu stellen, müsse sie sich selbst in jedem Fall an die Stelle des nationalen Gerichts, quasi als „Rekursinstanz“ gegen die Entscheidungen der nationalen Verwaltung, setzen, um über die sachliche Anwendung des Rechts zu entscheiden.

    V.   BEMERKUNGEN DER BETEILIGTEN

    V.1.   Umicore

    (117)

    Umicore weist zunächst darauf hin, dass nach üblicher Praxis im internationalen Edelmetallhandel Lieferungen ab Werk („ex works“) erfolgen, das heißt, dass der Käufer die Beförderung der Waren übernimmt. Diese Lieferbedingung erweise sich im Rahmen der neuen Mehrwertsteuerregelung für innergemeinschaftliche Lieferungen als äußerst problematisch. Dass die Beförderung tatsächlich stattfindet, müsse nämlich vom Verkäufer nachgewiesen werden, während in diesem Fall aber der Käufer die Dokumente zum Nachweis der Beförderung in Händen habe (wobei seit 1993 der Beförderungsnachweis par excellence für innergemeinschaftliche Lieferungen, nämlich das Zollsiegel auf dem Ausfuhrdokument, nicht mehr existiert).

    (118)

    Insbesondere in Bezug auf den Nachweis der Warenbeförderung betont Umicore, dass sie der ISI sehr umfangreiche Belege für diese Beförderung übergeben habe.

    (119)

    Umicore beruft sich hinsichtlich der fraglichen Umsätze im Übrigen auf ihre Gutgläubigkeit; diese sieht sie dadurch nachgewiesen, dass die Steuerbescheide einen Aufschlag von 10 % als Geldbuße vorsehen, was für die Fälle gilt, in denen von der Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen ausgegangen wird. In diesem Zusammenhang erklärt Umicore außerdem, sie habe spontan mit den italienischen Justizbehörden zusammengearbeitet, die, von Umicores Gutgläubigkeit überzeugt, im Übrigen von rechtlichen Schritten gegen das Unternehmen abgesehen haben.

    (120)

    Außerdem betont Umicore, dass nach ihrem Dafürhalten die Verantwortlichkeit bei den italienischen Behörden liege, insofern als Italien die Mehrwertidentifikationsnummer italienischer Scheingesellschaften nicht umgehend nach der Aufdeckung schwerwiegender Unregelmäßigkeiten entzogen hat.

    (121)

    Außerdem behauptet das Unternehmen, dass verschiedene in anderen Mitgliedstaaten ansässige konkurrierende Silberproduzenten an dieselben italienischen und schweizerischen Zwischenhändler unter denselben Umständen und Bedingungen geliefert haben wie es selbst, ohne dass jene Lieferungen von den jeweiligen Steuerverwaltungen beanstandet worden seien. Daher sei es unannehmbar, wenn Umicore, nachdem sie einen Betrag von 423 Mio. BEF (10 485 896 EUR) bezahlt hat, als Begünstigte einer staatlichen Beihilfe angesehen werde, während es für die anderen Wettbewerber keinerlei rechtliche Folgen gäbe.

    (122)

    Schließlich schließt sich Umicore der Auffassung Belgiens an, wonach durch einen Steuerbescheid — anders als bei einer Zwangsbeitreibung — keine Mehrwertsteuerschuld nach belgischem Recht entstehe.

    (123)

    In Bezug auf die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Vereinbarungen zwischen Verwaltung und Steuerpflichtigen im Bereich der Mehrwertsteuer bringt Umicore ähnliche Argumente wie Belgien vor. Die Betroffene weist darauf hin, dass sich solche Vereinbarungen nur auf Sachfragen, wie den Beförderungsnachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen (und die sich daraus ergebende Besteuerungsgrundlage) beziehen können. Umicore trägt in diesem Zusammenhang vor, dass solche Vereinbarungen sehr häufig geschlossen werden, auch bei den Dienststellen der ISI (42).

    (124)

    Die Rechtsprechung (43), so führt die Betroffene weiter aus, bestätige die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit der Verringerungen von Geldbußen nach einer Vergleichsvereinbarung mit dem Abgabenpflichtigen über die Höhe des Betrages.

    (125)

    Zur Berücksichtigung der steuerlichen Absetzbarkeit des zu zahlenden Betrages hebt Umicore Folgendes hervor:

    In die Zuständigkeit der ISI fallen nicht nur alle Mehrwertsteuer relevanten Belange, sondern auch die Einkommensteuer;

    anstatt von Umicore die Zahlung eines Bruttobetrages vor Einkommensteuer zu verlangen, der steuerlich absetzbar sei, habe die ISI die Zahlung eines Nettobetrages nach Steuern akzeptiert, natürlich unter der in der Vereinbarung enthaltenen Bedingung, dass dieser (Netto-) Betrag selbst nicht steuerlich abgesetzt werden könne. Im Gegenzug habe Umicore akzeptiert, die Zahlung des (Netto-) Betrags zeitnah (innerhalb einer Woche) vorzunehmen, was gegen keine Rechtsvorschrift in diesem Bereich verstoße.

    (126)

    Umicore ist der Auffassung, dass der Betrag von 423 Mio. BEF dem für die Jahre 1995-1996 geschuldeten Mehrwertsteuerbetrag entspricht und dass die ISI Umicore die Zahlung der Verzugszinsen nach Artikel 84bis MwStGB sowie die gestaffelte Geldbuße (10 %) nach Artikel 9 des Erlasses des Regenten erlassen habe.

    (127)

    In Bezug auf die Herabsetzung des geschuldeten Mehrwertsteuerbetrags von 708 Mio. BEF auf 423 Mio. BEF, führt Umicore an, dass diese Herabsetzung deshalb gerechtfertigt sei, weil die Mehrwertsteuerforderung aus der Rechnung von Umicore an die italienischen und schweizerischen Abnehmer, nicht realisierbar und infolgedessen von der Steuer absetzbar sei.

    (128)

    In Bezug auf die Jahre 1997-1998 gibt Umicore an, dass der Steuerbescheid vom 30. April 1999 keine weiteren Folgen hatte, da der Steuerpflichtige ordnungsgemäß nachgewiesen hatte, dass die betreffenden Umsätze auf der Grundlage von Artikel 39bis MwStGB befreit werden konnten.

    (129)

    Umicore vertritt die Auffassung, dass eine steuerliche Vereinbarung wie die fragliche keinen Vorteil im Sinne des AEUV darstelle und daher die in Frage stehende Maßnahme nicht unter den Begriff der staatlichen Beihilfe falle. Insbesondere widerspricht Umicore der Behauptung der Kommission, dass ihr die fragliche steuerliche Vereinbarung einen finanziellen Vorteil gegenüber anderen Abgabenpflichtigen verschafft habe.

    (130)

    Erstens, führt Umicore aus, sei in Wirklichkeit die ISI zur Überzeugung gelangt, dass die steuerlichen Vereinbarung für die Finanzkasse vorteilhafter sei als ein gerichtliches Verfahren mit einem möglicherweise weniger günstigen Endergebnis.

    (131)

    Zweitens stelle die Möglichkeit, eine steuerliche Vergleichsvereinbarung zu schließen, für sich keinen besonderen Vorteil für Umicore dar, denn solche Vereinbarungen sind allen Steuerpflichtigen allgemein zugänglich und übliche und normale Praxis im Bereich der Mehrwertsteuer.

    (132)

    Drittens verschaffe eine Vergleichsvereinbarung ihrem Wesen nach keinen Vorteil, der die Regelung für staatliche Beihilfen berühre. Definitionsgemäß beinhalte jede Kompromissvereinbarung eine Risikoabwägung durch jede der beteiligten Parteien und die Wahl zwischen einer sicheren und sofortigen Zahlung einerseits und dem vermuteten oder möglichen Ergebnis am Ende eines Rechtsstreits andererseits.

    (133)

    Infolgedessen sei es irreführend, so Umicore, die Bedingungen eines Vergleichs als „Vorteil“ zu bezeichnen, abgesehen von den Ausnahmesituationen, in denen eine Partei aus dem Vergleich ein eindeutig besseres Ergebnis erzielt als das, das sie am Ende eines Rechtsstreits hätte erreichen können.

    (134)

    Nach Auffassung von Umicore geht die Kommission davon aus, dass bei einem Rechtsmittel gegen die Verwaltungsentscheidung das mit der steuerrechtlichen Auseinandersetzung befasste belgische Gericht Umicore zwangsläufig zu einem höheren Betrag als den zwischen ISI und Umicore vereinbarten Vergleichsbetrag verurteilt hätte. Um jedoch zu einem solchen Schluss zu gelangen, müsste die Kommission folglich die Beurteilung der nationalen Verwaltung oder, gegebenenfalls, sogar des nationalen Gerichts durch ihre eigene Beurteilung ersetzen.

    (135)

    Viertens verweist Umicore auf die Rechtssache Déménagements-Manutention Transport SA (44) („DMT“), in der der Gerichtshof die Auffassung vertreten habe, dass das ONSS (45), das dem betreffenden Unternehmen Zahlungserleichterungen gewährt hatte, sich dadurch wie ein öffentlicher Gläubiger verhalten habe, der ebenso wie ein privater Gläubiger die Bezahlung der ihm von einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, geschuldeten Beträge zu erlangen sucht. Der Hof habe dann entschieden, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, festzustellen, ob diese Zahlungserleichterungen offensichtlich größer waren als diejenigen, die ein privater Gläubiger dieser Gesellschaft gewährt hätte.

    (136)

    Umicore folgt der Argumentation des Hofes und vertritt im vorliegenden Fall die Auffassung, dass die ISI als öffentlicher Gläubiger, der wie ein privater Gläubiger die Bezahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen sucht, sich für die sofortige Bezahlung eines Nettobetrags anstelle eines Bruttobetrags entschieden habe, was ihr eine sichere und extrem schnelle Einziehung der Steuer ermöglichte. Dieses Verhalten sei wirtschaftlich rational und umsichtig und vergleichbar mit dem eines hypothetischen privaten Gläubiger in derselben Situation.

    (137)

    In Bezug auf den vorliegenden Fall ist Umicore der Auffassung, dass das Kriterium der Selektivität hier eindeutig nicht erfüllt ist, insofern als die fragliche steuerliche Vereinbarung gegenüber dem Steuerpflichtigen nur eine besondere Ausgestaltung einer allen Abgabenpflichtigen in derselben Situation zugänglichen allgemeinen Regelung darstelle und die ISI, wenn sie einen Vergleich abschließt, über kein Ermessen verfüge.

    (138)

    Selbst wenn die fragliche Maßnahme als selektiv angesehen würde, sei sie dennoch durch das Wesen und den Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt. Nach Auffassung von Umicore sei nämlich selbst eine selektive steuerliche Maßnahme als keinen Vorteil verschaffend anzusehen, wenn sie nachweislich zur Effizienz der Steuererhebung beiträgt (46). In dem vorliegenden Fall geht Umicore davon aus, dass die Maßnahme durch das Wesen und den Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sei, da die getroffene Vereinbarung zur Effizienz der Steuererhebung beigetragen habe (47).

    (139)

    Umicore behauptet, dass die Kommission, wenn sie in die Auslegung des Begriffs der staatlichen Beihilfe eine steuerliche Vereinbarung, wie sie mit der ISI geschlossen wurde, einschließe, zwangsläufig ihre Zuständigkeit überschreite. Denn sie maße sich so eine Kompetenz im Bereich der Steuereinziehung an, über die sie selbst nicht verfüge. Damit berühre sie die Rechte der nationalen Gerichte, die allein für Entscheidungen über Steuerstreitigkeiten zuständig seien.

    (140)

    Umicore gibt an, einen großen Betrag an die ISI bezahlt zu haben, während verschiedene in anderen Mitgliedstaaten ansässige konkurrierende Silberlieferanten weder Mehrwertsteuer, noch Geldbußen oder Zinsen für Lieferungen unter gleichen Umständen und Bedingungen bezahlt haben.

    (141)

    In diesem Zusammenhang ist Umicore der Auffassung, dass die fragliche Maßnahme zweifellos ihre Wettbewerbsstellung auf dem betreffenden Markt, also dem Vertrieb von Silber in Kornform, nicht habe stärken können. Demzufolge gelangt Umicore zu dem Schluss, dass die mit der ISI geschlossene Vereinbarung weder den Wettbewerb noch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtige und folglich die Anwendung von Artikel 107 Absatz 1 AEUV im vorliegenden Fall ausgeschlossen sei.

    V.2.   Kommentar des anonymen Dritten

    (142)

    Ein anonymer Sender hat der Kommission die Kopie eines Schreibens an den belgischen Minister der Finanzen vom 15. Februar 2002 mit einer rechtlichen Analyse der Vereinbarung mit Umicore und der betreffenden Umsätze zugeleitet.

    (143)

    In seinem Schreiben legte der anonyme Dritte dar, dass a) die Vereinbarung zwischen der ISI und Umicore eine Mehrwertsteuerschuld in eine Geldbuße umqualifiziert habe und damit gegen die Artikel 10 und 172 der belgischen Verfassung und Artikel 84 MwStGB verstoße; b) die Berücksichtigung der Auswirkung der Körperschaftsteuer bei der Bestimmung des geschuldeten Mehrwertsteuerbetrags oder der Geldbuße rechtswidrig und c) die Verhängung einer Geldbuße (auf den Mehrwertsteuerbetrag) ohne Forderung der Mehrwertsteuer selbst widersinnig sei.

    VI.   STELLUNGNAHME BELGIENS ZU DEN BEMERKUNGEN DER BETEILIGTEN

    (144)

    Belgien ist der Auffassung, dass die Haltung von Umicore im Allgemeinen die Haltung der belgischen Behörden zu den betreffenden Verfahren bestätige, insbesondere was die Nichtexistenz eines förmlichen Verfahrens der Mehrwertsteuerberichtigung, die fehlende Rechtsverbindlichkeit eines Steuerbescheides ohne Zustimmung des Steuerschuldners, die Rechtmäßigkeit der steuerlichen Vereinbarungen und ihre Zugänglichkeit für alle Steuerschuldner, und allgemeiner das Fehlen von Merkmalen, die eine staatliche Beihilfe begründen, betrifft.

    (145)

    In Bezug auf das anonyme Schreiben vom 1. Oktober 2004 ist Belgien der Meinung, dass dieses Schreiben keine spezifische Bemerkung zum Verfahren der staatlichen Beihilfe enthält und deshalb unerheblich sei.

    VII.   VON BELGIEN ÜBERSANDTE ERGÄNZENDE INFORMATIONEN

    (146)

    Nach der Rückgabe der von den Justizbehörden beschlagnahmten Unterlagen übersandte Belgien der Kommission eine Reihe von Informationen und Unterlagen zu den verfahrensrelevanten Umsätzen.

    (147)

    Was die Lieferungen an die in Italien ansässigen Abnehmer betrifft, übersandte Belgien Unterlagen, auf Grund derer die in Artikel 39bis MwStGB genannte Steuerbefreiung bewilligt worden war. Die betreffenden Unterlagen umfassen insbesondere von Umicore ausgestellte Rechnungen, Speditionsrechnungen und verschiedene Versandpapiere.

    (148)

    Was die Lieferungen an in der Schweiz ansässige Abnehmer betrifft, übersandte Belgien ebenfalls eine Reihe von Unterlagen zum Nachweis, dass die Waren direkt nach Italien befördert wurden. Belgien führt dazu aus, dass die schweizerischen Gesellschaften lediglich finanziell an den Verkäufen und Beförderungen beteiligt gewesen waren.

    (149)

    Zu den Lieferungen im Zeitraum 1997-1998 erklärte Belgien, dass die für die Jahre 1995-1996 festgesetzte Berichtigung für die Folgejahre übernommen worden war und dass die Inspektoren der ISI selbst schnell zur Aufhebung der Berichtigung für diesen Zeitraum gelangt waren. Hierzu übermittelte Belgien auch die Kopie der internen Aktenvermerke, die belegen, dass die betreffenden Inspektoren die veranschlagte Besteuerung tatsächlich aufgehoben hatten.

    VIII.   WÜRDIGUNG DER BEIHILFE

    (150)

    Nach Artikel 107 Absatz 1 AEUV sind „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

    (151)

    Eine Maßnahme stellt eine staatliche Beihilfe dar, wenn sie die folgenden kumulativen Voraussetzungen erfüllt: 1. Die Maßnahme verschafft einen Vorteil durch die Bereitstellung staatlicher Mittel; 2. dieser Vorteil ist selektiv; 3. die Maßnahme verfälscht den Wettbewerb oder droht ihn zu verfälschen und beeinträchtigt den Handel zwischen Mitgliedstaaten.

    (152)

    Auch muss darauf hingewiesen werden, dass nach ständiger Rechtsprechung der Begriff der Beihilfe nicht nur positive Leistungen umfasst, sondern auch Eingriffe, die in unterschiedlichen Formen die Belastungen, die normalerweise für den Haushalt eines Unternehmens bestehen, wie Steuerbefreiungen und -erleichterungen, verringern (48).

    VIII.1.   Vorbemerkungen

    (153)

    Zunächst ist festzustellen, dass Vergleichsvereinbarungen mit den Abgabenpflichtigen übliche Praxis der belgischen Steuerverwaltung und im Bereich der Mehrwertsteuer ausdrücklich in Artikel 84 MwStGB vorgesehen sind. Die Zweckmäßigkeit solcher Vereinbarungen, durch die zahlreiche Rechtsstreitigkeiten vermieden werden können, wird im Übrigen durch den vorliegenden Beschluss nicht in Frage gestellt.

    (154)

    Es ist darauf hinzuweisen, dass die betreffenden belgischen administrativen Anweisungen vorsehen, dass ein Vergleichsabschluss mit dem Steuerschuldner im Allgemeinen beidseitige Zugeständnisse beinhaltet. Allerdings sind nach Artikel 84 MwStGB Vergleiche nur möglich, insofern diese nicht eine Steuerbefreiung oder -ermäßigung zur Folge haben. In Anwendung dieses Grundsatzes kann sich ein Vergleich also nicht auf den sich aus den Feststellungen ergebenden Steuerbetrag, jedoch sehr wohl auf Sachfragen beziehen.

    (155)

    In diesem Zusammenhang ist die Kommission der Meinung, dass eine Vergleichsvereinbarung zwischen einem Mehrwertsteuerschuldner und der belgischen Steuerverwaltung nur unter folgenden Bedingungen das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils begründen kann:

    wenn die Zugeständnisse der Verwaltung in Anbetracht der Umstände offensichtlich unverhältnismäßig im Vergleich zu den Zugeständnissen des Steuerpflichtigen sind und sich herausstellt, dass die Verwaltung offensichtlich den anderen Abgabenpflichtigen in einer vergleichbaren Situation nicht dieselbe bevorzugte Behandlung gewährt;

    wenn die Rechtmäßigkeit der Vereinbarung in Frage gestellt werden muss, beispielsweise wenn der geschuldete Steuerbetrag entgegen Artikel 84 MwStGB verringert worden wäre (Steuerbefreiung oder -ermäßigung bei einer Rechtsfrage).

    (156)

    Daher gilt es zu prüfen, ob die Vereinbarung zwischen der ISI und Umicore die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt.

    VIII.2.   Zum Vorliegen eines Vorteils

    (157)

    Zunächst ist zu prüfen, ob die Maßnahme dem Begünstigten einen Vorteil verschafft, der Belastungen, die normalerweise für seinen Haushalt bestehen, verringert (49). Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass festzustellen ist, ob der fragliche Vergleich rechtswidrig oder auf der Grundlage von unverhältnismäßigen Zugeständnissen der Steuerverwaltung geschlossen wurde.

    VIII.2.1.   Zur Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens

    (158)

    In ihrem Eröffnungsbeschluss äußerte die Kommission die Auffassung, dass das von den Steuerbehörden praktizierte Verfahren eine Abweichung vom üblichen Verfahren zur Festsetzung und Begleichung einer Mehrwertsteuerschuld darstellen könne, insofern die Vereinbarung keinen Verweis auf seine Rechtsgrundlage enthält und, da eine Zustimmung des Steuerpflichtigen nicht vorlag, die Verwaltung eine Zwangsbeitreibung mit einer um 50 % erhöhten Geldbuße hätte bescheiden müssen.

    (159)

    Wie in Erwägungsgrund 39 dargelegt, ist die Versendung eines Steuerbescheides zur Wahrung gewisser Grundsätze wie das Verteidigungsrecht übliche Praxis der belgischen Steuerbehörden im Bereich der Mehrwertsteuer. Demzufolge müssen die beiden an Umicore versandten Steuerbescheide der ISI als vorläufige Bescheide der Steuerbehörden und nicht als den Mehrwertsteueranspruch begründenden Steuertatbestand angesehen werden.

    (160)

    Im Übrigen ist die Möglichkeit der Vergleichsvereinbarungen mit den Steuerpflichtigen ausdrücklich im belgischen Mehrwertsteuergesetz vorgesehen und muss als normale Praxis der belgischen Steuerbehörden angesehen werden. Letztere müssen allerdings den Grundsatz respektieren, dass Vergleiche keine Steuerbefreiung oder -ermäßigung zur Folge haben. Solche Vergleiche werden daher grundsätzlich in den Situationen geschlossen, wo die Steuerbehörden einen Rechtsstreit mit dem Steuerpflichtigen über einen nicht eindeutigen Sachverhalt vermeiden wollen.

    (161)

    Im Übrigen ist festzustellen, dass die Steuerbehörden zur Zustellung einer Zwangsbeitreibung nicht verpflichtet sind, wenn die Verwaltung nicht die Zustimmung des Steuerpflichtigen zu der im Steuerbescheid festgesetzten Steuerhöhe erhalten konnte. Dagegen haben die zuständigen Behörden in den Fällen, wo Zweifel an dem betreffenden Sachverhalt besteht, immer die Möglichkeit, eine Vereinbarung mit dem Steuerpflichtigen suchen.

    (162)

    Schließlich ergibt sich auch aus der Analyse der Rechtsvorschriften. dass keine Bestimmung die belgischen Steuerbehörden dazu verpflichtet, in die betreffenden Vereinbarungen einen ausdrücklichen Verweis auf die Rechtsgrundlage einzuschließen.

    (163)

    Die Kommission muss daher auf der Grundlage des im vorliegenden Beschluss beschriebenen Rechtskontextes zu dem Schluss kommen, dass das von den Steuerbehörden gegenüber Umicore angewandte Verfahren entsprechend den geltenden Regeln und Praktiken erfolgte und keine Abweichung vom normalen Verfahrensablauf darstellt.

    (164)

    Anschließend gilt es, die fraglichen Umsätze unter Berücksichtigung der Vorbemerkungen im Hinblick auf die mögliche Existenz eines Vorteils zu analysieren. Die nun folgenden Ausführungen stützen sich auf die Untersuchung von zwei getrennten Zeiträumen, nämlich auf den ersten Zeitraum, der die Jahre 1995 und 1996 umfasst und den ersten Steuerbescheid der Steuerbehörden betrifft und den zweiten Zeitraum mit den Jahre 1997 und 1998, für den die Besteuerung vollständig zurückgenommen wurde.

    VIII.2.2.   Jahre 1995-1996

    (165)

    In Bezug auf den Zeitraum 1995-1996 sind im Hinblick auf die mögliche Existenz eines Vorteils drei unterschiedliche Umsatzarten im Rahmen des vorläufigen Steuerbescheids an Umicore vom 30. November 1998 zu analysieren. Die Analyse soll für jeden Umsatztyp die Mindestbeträge für Mehrwertsteuer, Geldbußen und Verzugszinsen ermitteln, die auf der Grundlage einer angemessenen Auslegung des Sachverhalts von den belgischen Steuerbehörden ohne unverhältnismäßige Zugeständnisse ihrerseits oder unregelmäßige Anwendung der Mehrwertsteuervorschriften hätten festgesetzt werden müssen.

    1.   Lieferungen von Gütern an in Italien niedergelassene Unternehmen

    (166)

    In diesem ersten Fallbeispiel handelt es sich um Reinsilberlieferungen „ab Werk“, die zwischen Februar 1995 und Februar 1996 nach dem folgenden System abgewickelt wurden:

    Image

    (167)

    Umicore hatte die Waren einem in Italien niedergelassenen und dort mehrwertsteuerpflichtig registrierten Unternehmen B (50) in Rechnung gestellt. Dieses stellte wiederum die Waren einem ebenfalls in Italien ansässigen mehrwertsteuerpflichtigen Abnehmer C in Rechnung. Die Beförderung der Waren erfolgte im Auftrag des Steuerpflichtigen C direkt vom belgischen Herstellerwerk nach Italien. Die Rechnungen von Umicore an ihren Kunden B wurden größtenteils vom Steuerpflichtigen C beglichen.

    (168)

    Die von Umicore an B gestellten Rechnungen wurden nach Artikel 39bis MwStGB von der Steuer befreit. Aus den Proforma-Rechnungen, die im Rahmen der Amtshilfe mit den italienischen Steuerbehörden geprüft wurden, geht hervor, dass der Steuerpflichtige C Empfänger der Waren war.

    (169)

    In ihrem Steuerbescheid vom 30. November 1998 hatte die ISI zunächst festgestellt, dass das Beförderungskriterium für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen nicht erfüllt sei, insofern die Beförderung für Rechnung eines Zwischenabnehmers (und nicht durch oder für Rechnung des Verkäufers oder Erwerbers wie in Artikel 39bis MwStGB vorgeschrieben) erfolgt war. Bei dieser Voraussetzung gelangte die Verwaltung daher zu dem Schluss, dass die Transaktion zwischen Umicore und dem Kunden B eine Lieferung von Gütern ohne Warenbewegung darstellte und demzufolge nicht nach Artikel 39bis MwStGB befreit werden konnte.

    (170)

    Die Informationen, die die Kommission von Belgien und Umicore erhalten hat, scheinen jedoch zu belegen, dass die belgischen Steuerbehörden begründeten Zweifel daran haben konnten, dass die Transaktion zwischen Umicore und dem Unternehmen B tatsächlich durchgeführt worden war. Diesbezüglich ist nämlich anzumerken, dass:

    die von den italienischen Steuerbehörden übermittelten Informationen darauf hindeuteten, dass die Gesellschaft B möglicherweise als ein „Missing Trader“ fungierte, dessen Aufgabe allein darin bestand, Rechnungen mit Mehrwertsteuer auszustellen, und danach unterzutauchen, ohne seinen steuerlichen Verpflichtungen, wie die Entrichtung der Mehrwertsteuer an die italienische Steuerbehörde, nachzukommen;

    die von denselben italienischen Steuerbehörden übermittelten Informationen weiterhin ergaben, dass der einzige Geschäftsführer der Gesellschaft B in den amtlichen Registern nicht verzeichnet war;

    zwei Auskunftsersuchen der belgischen Steuerbehörden an ihre italienischen Amtskollegen vom 26. August 1998 bzw. 1. April 1999 zudem belegen, dass die belgische Steuerverwaltung ernsthaft bezweifelte, dass die Gesellschaft B vor Abschluss der Vereinbarung tatsächlich existiert hatte;

    die Beförderung der Waren nach Italien für Rechnung des Steuerpflichtigen C erfolgte;

    die Waren direkt vom Produktionsstandort in Belgien zu einem italienischen Zwischenlager wurden, wo sie C zur Verfügung gestellt wurden;

    die meisten der von Umicore an die Gesellschaft B ausgestellten Rechnungen von der Gesellschaft C bezahlt wurden;

    auf der Grundlage der in einem Protokoll erfassten Angaben der Umicore-Manager, die auszugsweise in dem Steuerbescheid enthalten sind, hervorgeht, dass zwischen Umicore und der Gesellschaft B kein Rahmenvertrag bestand;

    dagegen die tatsächliche Existenz der Gesellschaft C von den italienischen Steuerbehörden, die im Rahmen einer Nachprüfung uneingeschränkte Einsicht in die Buchhaltung dieser Gesellschaft erhalten hatten, anscheinend zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt wurde.

    (171)

    Für sich allein genommen ist wahrscheinlich keine dieser Feststellung ausreichend, um den Scheincharakter der Verkäufe zwischen Umicore und der Gesellschaft B nachzuweisen. In der Gesamtschau lassen jedoch dieselben Feststellungen berechtigten Zweifel an der tatsächlichen Existenz der Verkäufe zwischen Umicore und der Gesellschaft B. Die belgischen Steuerbehörden, die Kenntnis von den Zweifeln an der tatsächlichen Existenz der Geschäftstätigkeit von B vor dem Zustandkommen der Vergleichsvereinbarung mit der Gesellschaft Umicore am 21. Dezember 2000 hatten, verfügten daher über einen großen Spielraum, um die tatsächliche Existenz der Transaktionen und eine mögliche Umqualifizierung zu beurteilen.

    (172)

    In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung des belgischen Kassationshofs die Besteuerung sachverhaltsgerecht erfolgen muss (51). Demzufolge ist die belgische Steuerbehörde grundsätzlich verpflichtet, den Steuerpflichtigen nicht nach den scheinbaren von ihm zur Rechtfertigung einer möglichen Steuerbefreiung vorgelegten Transaktionen zu veranlagen, sondern nach den von den Beteiligten beabsichtigten tatsächlichen Transaktionen.

    (173)

    Wenn aus den Informationen, die den belgischen Steuerbehörden vorliegen, hervorgeht, dass es sich bei dem Verkaufsgeschäft zwischen A und B um ein Scheingeschäft handelt und der tatsächliche Verkauf (mit Übergang der Befähigung über das Gut zu verfügen) eigentlich im Rahmen der Geschäftsbeziehung zwischen A und C stattfand, haben diese Behörden folglich die Lieferung von Gütern zwischen A und B zu Recht zu einer Lieferung zwischen A und C umqualifiziert und auf eine solche umqualifizierte Transaktion die Mehrwertsteuerregelung angewandt.

    (174)

    Der Umstand, dass es in Italien durch Zwischenschaltung eines Missing Trader zu einem Betrugsgeschäft kam, lässt es nicht zu, das Umicore zustehende Recht auf Steuerbefreiung in Frage zu stellen, insofern als dessen Gutgläubigkeit von der belgischen Verwaltung nicht angezweifelt wurde.

    (175)

    Demnach konnten die belgischen Steuerbehörden rechtmäßig die betreffenden Transaktionen zu innergemeinschaftlichen Lieferungen zwischen Umicore und der Gesellschaft C umqualifizieren, ohne dass eine solche Umqualifizierung ein unverhältnismäßiges Zugeständnis der Verwaltung oder eine unrechtmäßige Anwendung der Mehrwertsteuerregelung darstellt. Auch konnten sie die Mehrwertsteuerbefreiung auf die umqualifizierten Umsätze gewähren, da alle Voraussetzungen für eine Befreiung erfüllt waren (auch die Beförderung durch oder für Rechnung des Erwerbers).

    (176)

    Es ist daher zu prüfen, i) ob die Verhängung einer Geldbuße nach Artikel 70 Absatz 2 MwStGB wegen fehlerhaften Angaben auf den Rechnungen zu Recht durch die belgischen Behörden erfolgte, und wenn ja, ii) in welcher Höhe diese Geldbuße hätte festgesetzt werden müssen und iii) ob Umicore durch unverhältnismäßige Zugeständnisse oder die unrechtmäßige Anwendung der gesetzlichen Vorschriften durch die Steuerverwaltung begünstigt wurde.

    (177)

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass fehlerhafte Angaben auf einer Rechnung für innergemeinschaftliche Lieferungen nach K. E. Nr. 41 mit einer Geldbuße in Höhe von 100 % der auf die betreffenden Umsätze geschuldeten Steuer belegt werden. Die Verhängung einer administrativen Geldbuße unterliegt jedoch, wie in den Erwägungsgründen 45 und 46 dargelegt, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und die Verwaltung ist nach Artikel 9 des Erlasses des Regenten vom 18. März 1831 befugt, von den im K. E. Nr. 41 vorgesehenen Staffelungen für Geldbußen abzuweichen.

    (178)

    Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass eine Geldbuße von 100 % angesichts der Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen, die von der Verwaltung nicht angezweifelt wurde, unverhältnismäßig gewesen wäre. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die belgische Steuerverwaltung im Zusammenhang mit der Rechtsstreitigkeit mit Umicore, die größtmöglichen Einnahmen zu erzielen versucht hätte, so wie ein Gläubiger bei der Eintreibung seiner Forderung das bestmögliche Ergebnis zu erzielen sucht. Diesbezüglich ist daran zu erinnern, dass eine solche Praxis nicht unter Artikel 107 AEUV fällt, insofern als sie keine unverhältnismäßigen oder unrechtmäßigen Zugeständnisse durch die Verwaltung zur Folge hat.

    (179)

    In Anbetracht des Ermessensspielraum, den die Verwaltung in diesem Zusammenhang hat, darf man wohl davon ausgehen, dass die Verwaltung im Rahmen einer Vergleichsvereinbarung die Geldbuße auf einen Betrag zwischen 10 % und 15 % hätte festsetzen müssen. Einerseits kann ein Aufschlag von 10 % als akzeptabel betrachtet werden, wenn man die 10 % aus Tabelle G (Anhang zu K. E. 41) für die in Artikel 70 Absatz 1 MwStGB vorgesehenen Verstöße und die Geldbuße in Höhe von 10 % im Steuerbescheid vom 30. November 1998 berücksichtigt. Andererseits könnte ein Betrag in Höhe von 50 % als anwendbarer Höchstbetrag angesehen werden, wenn man den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Umstände einer Vergleichsvereinbarung berücksichtigt. Die Verhängung einer Geldbuße von 50 % scheint im Übrigen durch die jüngere Rechtsprechung des belgischen Kassationshofes bestätigt (52). Unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Kontextes, auf den sich letzteres Urteil bezieht ist daher davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall, da Umicore keine Betrugsabsicht nachgewiesen wurde, der Höchstsatz bei 50 % festzulegen ist.

    (180)

    Demnach ist unter Berücksichtigung der Umstände im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass die Geldbuße hierfür durchaus auf einen Betrag zwischen 33 238 698 BEF (10 % × 332 386 976) und 166 193 488 BEF (50 % × 332 386 976) festgesetzt werden konnte.

    (181)

    Soweit sich ein besonderer Vorteil nur aus unverhältnismäßigen Zugeständnissen der Steuerverwaltung hätte ergeben können, ist nur der Mindestbetrag, das heißt 33 238 698 BEF, für die Berechnung eines möglichen Vorteils heranzuziehen. Dieser Betrag kann grundsätzlich von der Besteuerungsgrundlage für die Körperschaftsteuer abgesetzt werden (53).

    2.   Lieferungen von Gütern an in der Schweiz niedergelassene Unternehmen

    (182)

    Im zweiten Fallbeispiel wurden die fraglichen Transaktionen mit den schweizerischen Unternehmen nach dem folgenden System abgewickelt:

    Image

    (183)

    Zwischen Februar 1996 und Oktober 1996 stellte Umicore einer in der Schweiz niedergelassenen, in keinem Mitgliedstaat mehrwertsteuerpflichtig registrierten Gesellschaft (54) die Waren in Rechnung. Die schweizerische Gesellschaft stellte danach wiederum die Waren einem in Italien ansässigen und dort mehrwertsteuerpflichtig registrierten Kunden C in Rechnung. Die Waren wurden direkt vom belgischen Produktionsstandort nach Italien befördert. Aus den von Belgien übermittelten Unterlagen geht hervor, dass die Beförderungskosten anscheinend von der Gesellschaft C getragen wurden. Im Übrigen wurde in einigen Fällen anscheinend der Warenpreis von C direkt an Umicore bezahlt, während in anderen Fällen die Zahlung durch die Gesellschaft B erfolgte. Weiterhin ist zu bemerken, dass es sich nach Erkenntnissen der italienischen und spanischen Steuerbehörden bei C in Wirklichkeit um Scheingesellschaften handelt (55).

    (184)

    Die Rechnungen, die Umicore der schweizerischen Gesellschaft B zwischen Februar und Oktober 1996 stellte, betreffen Reinsilberverkäufe „ab Werk Hoboken“ („ex usines Hoboken“) und enthalten die Angaben „Ausfuhr — MwSt.-Befreiung nach Artikel 39 MwStGB“ („Exportation — Exemption de TVA en vertu de l’article 39 du code“).

    (185)

    Obgleich Umicore die betreffenden Lieferungen nach Artikel 39 MwStGB mehrwertsteuerfrei vorgenommen hatte, ging aus den Informationen, die die ISI vom Steuerpflichtigen und der belgischen Zollverwaltung erhielt, hervor, dass die Waren nach Italien geliefert worden waren, ohne dass es zu einer Ausfuhr gekommen war.

    (186)

    Da keine Ausfuhr und folglich kein Recht auf Steuerbefreiung nach Artikel 39 MwStGB vorliegt, stellt sich erneut die Frage, ob die belgischen Steuerbehörden zu dem Schluss hätten kommen können, dass es sich bei den Transaktionen zwischen Umicore und dem schweizerischen Abnehmer um Scheingeschäfte handelte, dass die wirklichen Transaktionen zwischen Umicore und C stattfanden und diese nach Artikel 39bis MwStGB von der Steuer befreit werden konnten.

    (187)

    In ihrem Steuerbescheid vom 30. November 1998 war die ISI der Auffassung, dass die Voraussetzung für eine Befreiung nach Artikel 39 MwStGB (Ausfuhren) nicht erfüllt war, da kein Nachweis für die tatsächliche Durchführung der Ausfuhren, insbesondere keine Ausfuhrerklärung vorgelegt werden konnte.

    (188)

    Auf dieser Grundlage war die Verwaltung daher zu der Auffassung gelangt, dass die Transaktionen zwischen Umicore und den schweizerischen Abnehmern nicht nach Artikel 39 MwStGB von der Steuer befreit werden konnten und sie als Lieferungen innerhalb Belgiens nach Artikel 15 Absatz 7 MwStGB zu betrachten und folglich der belgischen Mehrwertsteuerpflicht nach Artikel 2 MwStGB zu unterwerfen waren. Sie gelangte daher zu dem Schluss, dass Umicore dem belgischen Staat Mehrwertsteuer in Höhe von 312 608 393 BEF (56) (7 749 359 EUR) sowie eine Geldbuße in Höhe von 10 % dieses Betrages schuldete.

    (189)

    In einer ergänzenden Stellungnahme vom 30. März 2000 zu den Steuerbescheiden behauptet Umicore, dass es nunmehr erwiesen sei, dass das errichtete System Scheincharakter hatte, von dem die Verkaufsabteilung von Umicore nicht Kenntnis hatte haben können. Es habe zu keinem Zeitpunkt Einfuhren in die Schweiz gegeben, und daher sei es wichtig, hervorzuheben, dass in diesen Fällen ebenso wie in den anderen die tatsächliche Durchführung der Lieferungen nach Italien nicht angezweifelt werde („… il est maintenant établi que le mécanisme mis en place avait un caractère fictif, dont le service commercial d’Umicore ne pouvait avoir connaissance. Les importations en Suisse n’ont jamais eu lieu et il est donc essentiel de souligner que, dans ces dossiers comme dans les autres, la réalité des livraisons en Italie n’est pas mise en doute“).

    (190)

    Die Proforma-Rechnungen von Umicore an seine schweizerischen Abnehmer belegen im Übrigen, dass der steuerpflichtige italienische Empfänger der Waren ausdrücklich namentlich genannt ist und der Name dieses Empfängers durch die Frachtbriefe der Spedition bestätigt wird.

    (191)

    Eine Umqualifizierung der betreffenden Transaktionen zu innergemeinschaftlichen Lieferungen zwischen Umicore und der Gesellschaft C kommt aus den folgenden Gründen nicht in Betracht:

    Zu dem Zeitpunkt, als die Vereinbarung geschlossen wurde, war die belgische Verwaltung bereits darüber informiert, dass es sich bei C in Wirklichkeit um Unternehmen handelte, die von den italienischen und spanischen Steuerbehörden als Scheingesellschaften angesehen wurden;

    zu keinem Zeitpunkt wurde die tatsächliche Existenz der schweizerischen Gesellschaft weder von den belgischen oder italienischen Steuerbehörden noch von Umicore in Frage gestellt;

    der Gesellschaft Umicore muss bewusst gewesen sein, dass sie, da keine Warenausfuhr stattfand, auch nicht zur Steuerbefreiung nach Artikel 39 MwStGB (Mehrwertsteuerbefreiung für Ausfuhren) berechtigt war.

    (192)

    Daher konnten die betreffenden Transaktionen weder nach Artikel 39 MwStGB (denn es lag keine Ausfuhr vor) noch nach Artikel 39bis MwStGB von der Mehrwertsteuer befreit werden. Die betreffenden Transaktionen mussten in diesem Fall als Lieferungen ohne Warenbewegung angesehen werden, die folglich auch nicht von der Mehrwertsteuer befreit werden konnten. Somit ergibt sich aus der Anwendung von Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 7 MwStGB sowie Artikel 2 MwStGB, dass Umicore Mehrwertsteuer in Höhe von 312 608 393 BEF (7 749 359 EUR) schuldete. Zudem war auch eine Geldbuße in Höhe von 10 %, das heißt 31 260 839 BEF, auf diesen Betrag nach Artikel 70 Absatz 1 MwStGB und Artikel 1 Absatz 1 K. E. Nr. 41 anzuwenden. In den Akten findet sich kein Hinweis dafür, der der Kommission Grund zur Annahme gäbe, dass der Aufschlag von 10 % im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes problematisch sein könnte (57).

    (193)

    Die geltende Steuerregelung sieht vor, dass der vom Steuerpflichtigen geschuldete zusätzliche Mehrwertsteuerbetrag, der dem Kunden nicht in Rechnung gestellt wurde, als eine für die Berechnung der Besteuerungsgrundlage bei der Körperschaftsteuer abzugsfähige Ausgabe anzusehen ist. Auch der Betrag der administrativen Geldbuße ist bei der Körperschaftsteuer absetzbar.

    3.   Lieferungen von Gütern an in Italien und Spanien niedergelassene Unternehmen

    (194)

    Zwischen Oktober und Dezember 1996 stellt sich der Ablauf der fraglichen Transaktionen mit diesen Kunden schematisch wie folgt dar:

    Image

    (195)

    Umicore stellte die Waren den in Italien bzw. Spanien niedergelassenen und dort mehrwertsteuerpflichtig registrierten Gesellschaften B in Rechnung. Die betreffenden Rechnungen bezogen sich auf Reinsilberverkäufe „ab Werk“ und wurden ohne Mehrwertsteuer nach Artikel 39 MwStGB (Ausfuhren) bzw. nach Artikel 39bis MwStGB (innergemeinschaftliche Lieferungen) ausgestellt. Die Waren wurden direkt vom belgischen Produktionsstandort nach Italien befördert. Die Rechnungen wurden zum überwiegenden Teil von der schweizerischen Gesellschaft C (58) beglichen, die auch die Kosten für die Beförderung trug (59).

    (196)

    Schließlich deuten die Informationen, die von den spanischen und italienischen Steuerbehörden an die belgische Verwaltung vor Abschluss der Vergleichsvereinbarung übermittelt wurden, auf eine Scheinexistenz der Gesellschaften B hin.

    (197)

    Die belgische Steuerverwaltung vertrat in ihrem Steuerbescheid vom 30. November 1998 den Standpunkt, dass die Erwerber auf den Verkaufsrechnungen falsch angegeben und die eigentlichen Erwerber der Waren die schweizerischen Gesellschaften C waren. Da keine Ausfuhr aus dem Hoheitsgebiet der Union erfolgt war, gab die belgische Verwaltung in ihrem Steuerbescheid an, dass die Befreiung nach Artikel 39 MwStGB nicht möglich sei und die betreffenden Umsätze als nach Artikel 15 Absätze 2 und 7 MwStGB und Artikel 2 MwStGB in Belgien mehrwertsteuerpflichtig umqualifiziert werden müssten. Folglich kam die Verwaltung zu dem Schluss, dass Umicore Mehrwertsteuer in Höhe von 63 216 555 BEF (60) (1 567 097,46 EUR) sowie eine administrative Geldbuße in Höhe von 10 % dieses Betrags schulde.

    (198)

    Im Rahmen des Korrespondenzwechsels mit der ISI gab Umicore an, dass die schweizerischen Gesellschaften von den Gesellschaften B mit der Organisation der Warenbeförderung beauftragt waren und zudem als Finanzmakler für diese Gesellschaften handelten.

    (199)

    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Akte keinen Hinweis enthält, dass die schweizerischen Gesellschaften als Bevollmächtigte handelten und die Warenbeförderung für Rechnung der italienischen und spanischen Gesellschaften organisierten. Dagegen deuten die der Kommission übermittelten Unterlagen in der Gesamtschau vielmehr darauf hin, dass die Beförderung der Waren für Rechnung der schweizerischen Gesellschaften erfolgte und diese in Wirklichkeit die Nutznießer und Eigentümer der betreffenden Lieferungen waren.

    (200)

    Die Kommission ist daher der Meinung, dass die belgischen Steuerbehörden zu Recht die fraglichen Umsätze in ihrem Steuerbescheid in Lieferungen an die schweizerischen Gesellschaften umqualifiziert haben. Diese Lieferungen unterlagen demnach der belgischen Mehrwertsteuer nach Artikel 15 Absätze 2 und 7 MwStGB und Artikel 2 MwStGB und können nicht auf der Grundlage von Artikel 39 oder 39bis MwStGB von der Steuer befreit werden.

    (201)

    Selbst wenn die Steuerbehörden die Richtigkeit der Transaktionen mit den italienischen und spanischen Gesellschaften rechtmäßig hätten anerkennen können, hätte eine Steuerbefreiung nach Artikel 39bis MwStGB verwehrt werden müssen, da keine Beförderung durch oder für Rechnung des Veräußerers (Umicore) oder des Erwerbers (B) stattfand.

    (202)

    Daher schuldete Umicore Mehrwertsteuer in Höhe von 63 216 555 BEF (1 567 097,46 EUR) und eine Geldbuße in Höhe von 6 321 655 BEF (10 % der geschuldeten Mehrwertsteuer) nach Artikel 70 Absatz 1 MwStGB und Artikel 1 Absatz 1 K. E. Nr. 41.

    (203)

    Der Betrag von 63 216 555 BEF und die Geldbuße können grundsätzlich bei der der Körperschaftsteuer in Abzug gebracht werden.

    4.   Berücksichtigung der Nichtabsetzbarkeit des Vergleichsbetrags

    (204)

    Die Verfahrensweise, wonach eine grundsätzlich (von der Besteuerungsgrundlage) bei der Körperschaftsteuer absetzbare administrative Geldbuße als nicht absetzbar betrachtet und diese Geldbuße anschließend im Hinblick auf ihre Nichtabsetzbarkeit verringert wird (Ausgleich oder „Netting“), entspricht weder den Vorschriften noch der Verwaltungspraxis in diesem Bereich (61). Daher muss ein Vergleich des sich aus dieser Verfahrensweise ergebenden Vorteils bzw. Nachteils im Hinblick auf einen Fall angestellt werden, in dem ein solcher Ausgleich nicht von der Verwaltung angewandt worden wäre.

    (205)

    Derselbe Ansatz gilt in Bezug auf die Mehrwertsteuerbeträge, die grundsätzlich bei der Körperschaftsteuer absetzbar sind und für die dasselbe Ausgleichsprinzip angewandt worden wären.

    (206)

    Von den in den vorstehenden Erwägungsgründen ermittelten Beträgen müssen die folgenden als absetzbar betrachtet werden:

    33 238 698 + 312 608 393 + 31 260 839 + 63 216 555 + 6 321 655 = 446 646 140 BEF.

    (207)

    Für Umicore lassen sich die negativen Auswirkungen der Nichtabsetzbarkeit dieser Beträge grundsätzlich wie folgt beziffern:

    446 646 140 × 40,17 % (62) = 179 417 754 BEF.

    (208)

    Da jedoch Umicore für die steuerpflichtigen Einkünfte im Jahr 2000 einen steuerlichen Verlust auswies, wirkte sich die Nichtabsetzbarkeit der betreffenden Beträge in Wirklichkeit nur für den nachfolgenden Steuerzeitraum (Einkünfte 2001), im Verlauf dessen Umicore tatsächlich den gesamten vortragsfähigen Steuerverlust angerechnet hatte, negativ aus. Demnach hatte die von der belgischen Verwaltung vorgenommene Ausgleichsmaßnahme einen Aufschub der Steuerzahlung bzw. der Geldbuße auf den folgenden Steuerzeitraum zur Folge.

    (209)

    Wenn im Übrigen die belgische Körperschaftsteuer grundsätzlich durch Vorauszahlungen des Abgabenpflichtigen während des Steuerjahres erhoben wird, um Steuererhöhungen zu vermeiden (63), kann davon ausgegangen werden, dass Umicore ohne Anwendung eines Ausgleichs die betreffenden Zahlungen Mitte des Jahres 2001 hätte vornehmen müssen, was praktisch bedeutet, dass Umicore für den Betrag von 179 417 754 BEF von einem sechsmonatigen Zahlungsaufschub profitierte.

    (210)

    Der Vorteil der Nichtabsetzbarkeit lässt sich demnach für Umicore auf folgenden Betrag beziffern:

    179 417 754 BEF × 0,8 % (64) × 6 Monate = 8 612 052 BEF.

    5.   Verzugszinsen

    (211)

    Auf die vorstehend berechneten Mehrwertsteuerbeträge sind Verzugszinsen in Höhe von monatlich 0,8 % ab dem 21. Januar 1997 (65) bis zur tatsächlichen Zahlung Ende Dezember 2000 zu berechnen:

    37,6 % (66) × (312 608 393 + 63 216 555) = 141 310 180 BEF.

    6.   Aufstellung der für den Zeitraum 1995-1996 geschuldeten Beträge

    (212)

    Die von Umicore geschuldeten Mindestbeträge für den Zeitraum 1995-1996 sind in der nachstehenden Tabelle aufgeführt:

    (in BEF)

    BESCHREIBUNG

    GESCHULDETE BETRÄGE

    1.

    Erster Transaktionstyp

     

    Administrative Geldbuße

    33 238 698

    2.

    Zweiter Transaktionstyp

     

    Geschuldete MwSt.

    312 608 393

    Administrative Geldbuße (10 %)

    31 260 839

    3.

    Dritter Transaktionstyp

     

    Geschuldete MwSt.

    63 216 555

    Administrative Geldbuße (10 %)

    6 321 655

    Zwischensumme

    446 646 140 BEF

    4.

    Verzugszinsen

    141 310 180

    Grundsätzlich geschuldete Gesamtsumme (MwSt. + Zinsen)

    587 956 320 BEF

    5.

    Auswirkung der Nichtabsetzbarkeit:

     

    – Nachteil aus Nichtabsetzbarkeit

    – 179 417 754

    + Vorteil aus Zahlungsaufschub

    +8 612 052

    SUMME

    417 150 618 BEF

    (213)

    Aus der vorstehenden Berechnung geht hervor, dass sich der Mindestbetrag, den Umicore für die Jahre 1995 und 1996 im Rahmen einer Vergleichsvereinbarung mit der Steuerverwaltung schuldete, auf 587 956 320 BEF (14 575 056,46 EUR) beläuft. Bevor jedoch dieser Betrag mit dem Vergleichsbetrag verglichen werden kann, ist die Nichtabsetzbarkeit zu berücksichtigen, wodurch sich der errechnete Betrag auf 417 150 618 BEF (10 340 893,71 EUR) verringert.

    VIII.2.3.   Die Jahre 1997-1998

    (214)

    Im Zeitraum 1997-1998 wurden die im Steuerbescheid vom 30. April 1999 beanstandeten Transaktionen nach dem folgenden System abgewickelt:

    Image

    (215)

    In diesem letzten Szenario handelt es sich bei dem Umicore-Kunden B um die Niederlassung eines schweizerischen Unternehmens im Vereinigten Königreich, das dort mehrwertsteuerpflichtig registriert ist. Der Abnehmer ist ein in Italien ansässiger Mehrwertsteuerpflichtiger C. Die Waren wurden direkt vom belgischen Produktionsstandort nach Italien befördert. Die Warenrechnungen von Umicore wurden vom Steuerpflichtigen B bezahlt.

    (216)

    Die Steuerbehörde gab in ihrem Steuerbescheid vom 30. April 1999 an, dass der Steuerpflichtige B kein Recht auf Beanspruchung der Mehrwertsteuerbefreiung nach Artikel 39bis MwSt.GB habe, weil er keine gültige MwSt.-Identifikationsnummer in Italien hatte. Hilfsweise begründete sie die Auffassung, dass selbst wenn man eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen B, die ihm Steuerpflichtigeneigenschaft verleihe, unterstelle, müssten die betreffenden Transaktionen als innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte gelten. In diesem Fallbeispiel wäre das erste Veräußerungsgeschäft als ein in Belgien mehrwertsteuerpflichtiges Inlandsgeschäft ohne Warenbewegung zu verstehen, für das keine Steuerbefreiung möglich ist, da die Beförderung für Rechnung der italienischen Abnehmer erfolgt wäre.

    (217)

    Vorab ist anzumerken werden, dass, anders als für den Zeitraum 1995-1996, die Inspektoren der ISI später selbst zu der Auffassung gelangten, dass eine Ablehnung der Steuerbefreiung nicht hinreichend begründet werden könne. Dies geht eindeutig aus den internen Mitteilungen der Inspektoren an ihren Dienstleiter aus der Zeit vor und nach Abschluss der Vereinbarung hervor.

    (218)

    Zweitens belegen die der Kommission von Belgien am 6. August 2009 übermittelten Unterlagen, dass die Beförderung tatsächlich für Rechnung des Steuerpflichtigen B (und nicht für Rechnung eines möglichen Abnehmers) erfolgte. Eine weitere Bestätigung hierfür ergibt sich offensichtlich aus den von Umicore an die ISI am 11. Juni 1999 übersandten Kopien von Unterlagen, die belegen, dass der Steuerpflichtige B Umicore für jede Lieferung eine Bestätigung per Fax mit dem Namen der Spedition, des Fahrers und des Kennzeichens des LKWs übersandte.

    (219)

    Zudem erscheint der Umstand, dass der Steuerpflichtige B in Italien keine gültige MwSt.-Identifikationsnummer führte, wie es die belgische Verwaltung in ihrem Steuerbescheid vom 30. April 1999 vorträgt, unerheblich, wenn ein Steuerpflichtiger nicht zur mehrwertsteuerpflichtigen Registrierung in dem Mitgliedstaat, in den die Waren versendet werden, verpflichtet ist. Im Übrigen ist festzustellen, dass die britische Steuerverwaltung, die der belgischen Verwaltung auf deren Ersuchen Informationen übersandte, die tatsächliche Existenz der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen B im Vereinigten Königreich in keiner Weise in Frage stellte.

    (220)

    Schließlich ist festzustellen, dass die belgische Steuerverwaltung keinen Zweifel daran hatte, dass die Waren das belgische Hoheitsgebiet tatsächlich verlassen haben und in einen anderen Mitgliedstaat befördert wurden.

    (221)

    Diese Erwägungen scheinen hinreichend darauf hinzuweisen, dass die ISI nicht über Anhaltspunkte verfügte, die ihr eine Verweigerung der von Umicore angewandten MwSt.-Befreiung ermöglicht hätte. Hieraus ist zu folgern dass, Umicore für den Zeitraum 1997-1998 keine zusätzliche Mehrwertsteuer, Geldbuße oder Zinsen schuldete.

    VIII.2.4.   Schlussfolgerungen zum Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils

    (222)

    Auf der Grundlage der vorstehenden Würdigung ist davon auszugehen, dass sich der Mindestbetrag, den Umicore im Rahmen der Vergleichsvereinbarung mit der Steuerverwaltung für die Jahre 1995 bis 1998 schuldete, auf insgesamt 417 150 618 BEF (10 340 893,71 EUR) belief.

    (223)

    Da dieser Betrag geringer als der von Umicore auf der Grundlage der Vereinbarung vom 21. Dezember 2000 bezahlte Betrag ist, kann nicht von unverhältnismäßigen Zugeständnissen seitens der belgischen Steuerbehörden ausgegangen werden. Die Vereinbarung weicht von der Regelung und von der administrativen Praxis lediglich hinsichtlich der Ausgleichsmaßnahme ab, durch die der geschuldete Betrag unter Berücksichtigung der Nichtabsetzbarkeit bei der Körperschaftsteuer verringert wurde. Die wirtschaftliche Auswirkung dieser Maßnahme wurde jedoch bei der betreffenden Bewertung angemessen berücksichtigt.

    (224)

    Die Kommission ist daher der Meinung, dass die belgischen Steuerbehörden der Gesellschaft Umicore keinen wirtschaftlichen oder finanziellen Vorteil im Rahmen der Vergleichsvereinbarung vom 21. Dezember 2000 gewährt haben.

    IX.   SCHLUSSFOLGERUNG

    (225)

    Die Kommission stellt fest, dass die Vergleichsvereinbarung zwischen den belgischen Steuerbehörden und der Gesellschaft Umicore vom 21. Dezember 2000 letzterer keinen Vorteil verschafft hat und damit keine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV darstellt —

    HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

    Artikel 1

    Die Vergleichsvereinbarung zwischen dem belgischen Staat und der Gesellschaft Umicore S.A. (vormals Union Minière S.A.) über einen Betrag in Höhe von 423 Mio. BEF stellt keine Beihilfe im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dar.

    Artikel 2

    Dieser Beschluss ist an das Königreich Belgien gerichtet.

    Brüssel, den 26. Mai 2010

    Für die Kommission

    Joaquín ALMUNIA

    Vizepräsident


    (1)  ABl. C 280 vom 17.11.2004, S. 10.

    (2)  Mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 sind an die Stelle der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag die Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) getreten. Die Artikel 87 und 88 EG-Vertrag und die Artikel 107 und 108 AEUV sind im Wesentlichen identisch. Im Rahmen dieses Beschlusses sind Bezugnahmen auf die Artikel 107 und 108 AEUV als Bezugnahmen auf die Artikel 87 und 88 EG-Vertrag zu verstehen, wo dies angebracht ist. Mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wurden einige Begriffe geändert. So wurde zum Beispiel „Gemeinschaft“ durch „Union“ und „Gemeinsamer Markt“ durch „Binnenmarkt“ ersetzt.

    (3)  ABl. C 223 vom 7.9.2004, S. 2.

    (4)  Siehe Fußnote 1.

    (5)  ABl. L 376 vom 31.12.1991, S. 1.

    (6)  Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage („Sechste Mehrwertsteuer-Richtlinie“) (ABl. L 145 vom 13.6.1977, S. 1).

    (7)  In Artikel 5 Absatz 2 K. E. Nr. 18 heißt es, dass der nicht in Belgien ansässige Erwerber, der selbst Besitz von den Gütern in Belgien nimmt, verpflichtet ist bei der Besitzübernahme dem in Belgien ansässigen Veräußerer den Empfang der Güter zu bescheinigen. Die dem Veräußerer auszuhändigende Empfangsbescheinigung muss das Datum der Übernahme, die Beschreibung und das Bestimmungsland der Güter enthalten. Dieselbe Bescheinigung ist dem Veräußerer zu übergeben, wenn die Besitzübernahme in Belgien durch einen Dritten, der für Rechnung des nicht in Belgien ansässigen Erwerbers handelt, erfolgt. In diesem Fall ist die Bescheinigung von diesem Dritten auszuhändigen, der bestätigt, dass er für Rechnung seines Auftraggebers handelt („l’acheteur non établi en Belgique, qui prend lui-même possessions des biens en Belgique, doit délivrer, lors de la prise de possession, un accusé de réception à son vendeur établi en Belgique. L’accusé de réception à livrer au vendeur doit mentionner la date de la remise des biens, la description de ceux-ci et le pays de destination. Le même document doit être délivré au vendeur lorsque la prise de possession des biens en Belgique est réalisée par une tierce personne, qui agit pour le compte de l’acheteur qui n’est pas établi en Belgique. Dans ce cas, le document doit être délivré par ladite tierce personne, qui y déclare agir pour le compte de son donneur d’ordre“). Nach Artikel 6 K. E. Nr. 18 muss der Ausfuhrnachweis vom Veräußerer, unabhängig von dem unter Artikel 5 Absatz 2 vorgeschriebenen Dokument, erbracht werden („La preuve de l’exportation doit être fournie par le vendeur (…) indépendamment du document prescrit par l’article 5, § 2“). Artikel 3 K. E. Nr. 18 bestimmt weiter, dass der Veräußerer immer im Besitz aller Dokumente zum Nachweis für die tatsächliche Ausfuhr der Güter sein muss und verpflichtet ist, sie auf Verlangen der Kontrollbeamten vorzulegen. Diese Dokumente umfassen insbesondere Auftragsscheine, Beförderungspapiere, Rechnungsunterlagen sowie die Ausfuhrerklärung gemäß Artikel 2 („Le vendeur doit être à tout moment en possession de tous les documents justifiant la réalité de l’exportation et produire ceux-ci à toute demande des agents chargés du contrôle. Ces documents comprennent notamment les bons de commande, les documents de transport, les documents de paiement, ainsi que la déclaration d’exportation visée à l’article 2“); dieser bestimmt, dass eine Kopie der Verkaufsrechnung oder ersatzweise eine Versandbestätigung mit allen Angaben, die eine Verkaufsrechnung enthalten muss, bei der Zollstelle vorzulegen ist, bei der die Ausfuhrerklärung entsprechend den Zollbestimmungen für die Ausfuhr erfolgt („Une copie de la facture de vente ou, à défaut de facture de vente, une note d’envoi contenant toutes les mentions que doit porter une facture de vente, doit être remise au bureau de douane où conformément à la réglementation douanière en matière d’exportation, une déclaration d’exportation doit être déposée.“).

    (8)  In einem Auszug der Antwort des belgischen Ministers der Finanzen auf die parlamentarische Frage Nr. 248 vom 23. Januar 1996 (Fragen und Antworten, Kammer, ordentliche Sitzungsperiode 1995-1996, Nr. 26 vom 18.3.1996) heißt es, dass eine in Belgien begonnene innergemeinschaftliche Lieferung demnach grundsätzlich in Belgien mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn sie von einem Steuerpflichtigen, der als ein solcher handelt, vorgenommen wird. Das Recht auf Steuerbefreiung müsse selbstverständlich vom Lieferer, der sie beansprucht, nachgewiesen werden. Diesem obliege daher die Beweispflicht dafür, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Steuerbefreiung erfüllt sind. („Une livraison intracommunautaire au départ de la Belgique constitue dès lors une opération qui rend la TVA en principe exigible en Belgique lorsqu‘elle est effectuée par un assujetti agissant en tant que tel. Le droit au bénéfice de cette exemption doit bien entendu être prouvé par le fournisseur qui l’invoque. C’est donc à lui qu’incombe la charge de la preuve que les conditions d’application de l’exemption sont remplies.“)

    (9)  Artikel 16 MwStGB bestimmt, dass die Lieferung zu dem Zeitpunkt erfolgt, an dem das Gut dem Erwerber oder Zessionar zur Verfügung gestellt wird, und Artikel 17 MwStGB, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung des Gutes erfolgt.

    (10)  Kassationshof, Urteil vom 21.5.1982, Pas. I, 1982, S. 1106.

    (11)  Obgleich das Mehrwertsteuergesetz dieses Verfahren nicht ausdrücklich vorsieht, entspricht es der üblichen Praxis der Steuerverwaltung zur Wahrung verschiedener Grundsätze, zu denen das Verteidigungsrecht und der Grundsatz der guten Verwaltung zählen.

    (12)  Kommentar (Commentaire) Nr. 84/91 MwStGB.

    (13)  Insbesondere aufgrund der Zahl und der Höhe der Umsätze für die kein reguläres Dokument ausgestellt worden ist, im Vergleich zur Zahl und zur Höhe der Umsätze, die Gegenstand regulärer Dokumente waren.

    (14)  Der Kommentar Nr. 70/67 sieht die Anwendung dieser Bestimmung dann vor, wenn der Steuerpflichtige ohne Rechnung an einen sich als Privatperson ausweisenden Abnehmer verkauft und wenn der Steuerpflichtige keine schwerwiegenden Gründe hatte, an der Eigenschaft seiner Vertragspartner als Nichtsteuerpflichtige zu zweifeln.

    (15)  Siehe Tabelle C.

    (16)  Schiedsgerichtshof, Entscheid vom 24. Februar 1999, Sache 22/99.

    (17)  Nunmehr Verfassungsgerichtshof (Cour Constitutionnelle).

    (18)  Kassationshof, Urteil vom 12. Februar 2009, Sache C.07.0507.N, nicht veröffentlicht; Kassationshof, Urteil vom 13. Februar 2009, Sache F.06.0107.N, nicht veröffentlicht; Kassationshof, Urteil vom 12. Februar 2009, Sache F.06.0108.N.

    (19)  Siehe vormaligen Artikel 84 MwStGB.

    (20)  Artikel 9 des Erlasses des Regenten überträgt dem Minister der Finanzen die Befugnis, über den Erlass von Geldbußen und die Anhebung von Gebühren zur Erwirkung einer Geldbuße in den Fällen, wo keine gerichtliche Entscheidung erfolgt, zu entscheiden.

    (21)  Die Regionaldirektoren (directeurs régionaux) der ISI verfügen über dieselben Befugnisse nach Artikel 95 des Gesetzes vom 15. März 1999, der Artikel 87 des Gesetzes vom 8. August 1980 ersetzt.

    (22)  Kommentar Nr. 84/59 MwStGB.

    (23)  Kommentar Nr. 84 bis/4ff. MwStGB.

    (24)  Rundschreiben Nr. 78 zur MwSt. vom 15. Dezember 1970, Punkt 9.

    (25)  Handbuch zur Mehrwertsteuer (Manuel TVA), veröffentlicht von der Verwaltung der Mehrwertsteuer, S. 1116, Punkt 530.

    (26)  Stellt ein Steuerpflichtiger ursprünglich einen Betrag von 100, zuzüglich einer Mehrwertsteuer von 21, also insgesamt 121 in Rechnung und bezahlt der Erwerber nur einen Betrag von 100, so beläuft sich der Erstattungsbetrag nicht auf 21, sondern auf 21 × (21/121) = 3,64.

    (27)  Es gibt keine genauen Vorgaben zur Berechnungsweise der Erstattung bei teilweisem Verlust der Preisforderung. Allerdings steht der Anwendung einer Erstattung nichts im Wege, wenn der Mehrwertsteuerbetrag im Nachhinein vom Steuerpflichtigen (auch mehrere Jahre nach dem Steuertatbestand) in Rechnung gestellt wird.

    (28)  Kommentar Nr. 53/88 EStGB (Com. IR 1992).

    (29)  Kommentar Nr. 53/97 und Nr. 53/97 EStGB.

    (30)  Siehe insbesondere EuGH, Urteil vom 26. September 1996, Frankreich/Kommission, Rechtssache C-241/94, Slg. 1996, I-4551; EuG, Urteil vom 6. März 2002, verbundene Rechtssachen T-127/99, T-129/99 und T-148/99: Diputación Foral de Álava,, Comunidad Autónoma del País Vasco et Gasteizko Industria Lurra und Daewoo Electronics Manufacturing España, Slg. 2002, II-1275, Randnrn. 151 und 154.

    (31)  Artikel 85 MwStGB.

    (32)  In diesem Schreiben (SG (99) 3364) der Kommission vom 10.5.1999 heißt es, dass die Kommission trotz der anscheinenden Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der belgischen Vorschriften mehrfach Beschwerden erhalten habe, wonach insbesondere in den Fällen, wo das erworbene Gut vom Erwerber selbst befördert werde, die Verwaltung Dokumente, vor allem die Frachtdokumente, verlange, die der Verkäufer nicht vorlegen könne.

    (33)  Diesbezüglich verweist Belgien auf die belgische Rechtsprechung, wonach die Steuer sachverhaltsgerecht begründet werden muss, und auf den Grundsatz der guten Verwaltung. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sieht sich die Verwaltung in der Pflicht, Beweise, die von den Behörden eines anderen Landes vorgelegt werden, im Hinblick auf die mögliche Bewilligung der Mehrwertsteuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen zu berücksichtigen.

    (34)  Im vorliegenden Fall hatte die erwerbende schweizerische Gesellschaft einen verantwortlichen Vertreter im Vereinigten Königreich bestellen lassen, der dort selbst mehrwertsteuerpflichtig registriert war und seinen steuerlichen Verpflichtungen nachkam.

    (35)  Nach Artikel 2 MwStGB unterliegt die Lieferung von Gütern und Erbringung von Dienstleistungen, die gegen Entgelt in Belgien von einem Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, bewirkt werden, der Steuer. Nach Artikel 53 Absatz 2 MwStGB ist für alle Lieferungen oder Dienstleistungen eine Rechnung auszustellen, unabhängig davon ob sie tatsächlich in Belgien besteuert werden oder nicht.

    (36)  Artikel 70 Absatz 2 MwStGB käme im Übrigen zur Anwendung, wenn die Rechnungen, deren Ausstellung in den Artikeln 53, 53g Absatz 2 und 54 MwStGB vorgeschrieben ist, nicht oder nicht richtig ausgestellt wurden.

    (37)  Kommentare Nr. 70/60 bis 70/62 MwStGB.

    (38)  Kommentar Nr. 53/97 und Nr. 53/97.1 EStGB.

    (39)  Pressemitteilung IP/04/882 vom 9. Juli 2004.

    (40)  Erwägungsgrund 55 des Eröffnungsbeschlusses.

    (41)  Schlussanträge des Generalanwalts, Rechtssache C-353/95 P, Slg. 1997, I-7007, Randnr. 30.

    (42)  Umicore zitiert die Statistik der ISI, die belegt, dass 22 % der Nachzahlungen im Bereich der MwSt., die auf eine Umsatzerhöhung im Zeitraum 2000-2002 zurückzuführen sind, nach einer Vereinbarung mit dem Steuerschuldner festgesetzt wurden.

    (43)  Gericht Namur, 10.1.91, FJ.F, 91/204: „L’administration fiscale et le contribuable peuvent valablement transiger sur la base imposable en matière de T.V.A. Les dispositions légales et réglementaires applicables prévoient qu’en marquant son accord sur la transaction relative à la base imposable, le contribuable sollicite également le bénéfice de la réduction des amendes. L’opération répond ainsi, de par sa nature même, à la définition de la transaction dont la caractéristique essentielle est l’existence de concessions réciproques que se font les parties. La concession du contribuable consiste, en l’espèce, en l’accord qu’il marque sur la base imposable résultant du relevé de régularisation après contrôle. La concession de l’administration fiscale consiste en la réduction des amendes légales liées à l’accord relatif à la détermination de la base imposable“. (Die Steuerverwaltung und der Abgabenpflichtige können rechtmäßig einen Vergleich über die Besteuerungsgrundlage im Bereich der Mehrwertsteuer schließen. Die geltenden Rechtsvorschriften und Bestimmungen sehen vor, dass der Abgabenpflichtige, indem der dem Vergleich in Bezug auf die Besteuerungsgrundlage zustimmt, auch Anspruch auf eine Verringerung der Geldbußen hat. Die Maßnahme entspricht daher ihrem Wesen nach der Definition des Vergleichs, dessen Hauptmerkmal das Vorliegen von gegenseitigen Zugeständnissen der Parteien ist. Das Zugeständnis der Steuerverwaltung besteht in der Verringerung der gesetzlichen Geldbußen in Verbindung mit der Vereinbarung über die Höhe der Besteuerungsgrundlage.)

    (44)  EuGH, Urteil vom 29.6.1999, DM Transport, Rechtssache C-256/97, Slg.1999, I-3913. Die DM Transport schuldete dem Office national de sécurité sociale belge („ONSS“) insgesamt 18,1 Mio. BEF an Steuern, Gehältern und Sozialversicherungsbeiträgen. Nach belgischem Recht haben Arbeitgeber, die die Beiträge nicht fristgemäß zahlen, einen Beitragszuschlag und Verzugszinsen zu entrichten. Allerdings kann das ONSS Arbeitgebern in eigener Verantwortung Nachfristen setzen. In der Annahme, dass diese Zahlungserleichterungen zu einer künstlichen Aufrechterhaltung der Tätigkeit eines zahlungsunfähigen Unternehmens beigetragen haben, hat das Tribunal de Commerce Brüssel dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung zur Feststellung vorgelegt, ob Maßnahmen in Form von Zahlungserleichterungen als staatliche Beihilfen anzusehen sind.

    (45)  Office national de sécurité social — die belgische Sozialversicherungsanstalt..

    (46)  EuGH, Urteil vom 6.3.2002, Diputación Forai de Álava u. a., Rechtssache T-127/99, Slg. 2002, II-1275, Randnrn. 164-166.

    (47)  Umicore verweist diesbezüglich auf Punkt 26 der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung (ABl. C 384 vom 10.12.1998, S. 3), wonach der eigentliche Zweck des Steuersystems „in der Erzielung von Einnahmen zur Finanzierung der Staatsausgaben“ bestehe.

    (48)  Vgl. insbesondere EuGH, Urteil vom 15. März 1994, Banco Exterior de España, Rechtssache C-387/92, Slg. 1994, I-877, Randnr. 13; EuGH, Urteil vom 8. November 2001, Adria Wien Pipeline GmbH, Rechtssache C-143/99, Slg. 2001, I-8365, Randnr. 38; EuGH, Urteil vom 22. November 2001, Ferring, Rechtssache C-53/00, Slg. 2001, I-9067, Randnr. 15; EuGH, Urteil vom 3. März 2005, Heiser, Rechtssache C-172/03, Slg. 2005, I-1627, Randnr. 36; EuGH, Urteil vom 22. Juni 2006, verbundene Rechtssachen C-182/03 und C-217/03, Forum 187 ASBL, Slg. 2003, I-6887, Randnr. 86.

    (49)  Siehe Punkt 9 der in Fußnote 46 erwähnten Mitteilung der Kommission von 1998.

    (50)  Bei B handelt es sich in Wirklichkeit um zwei verschiedene italienische Gesellschaften.

    (51)  Vgl. Abschnitt II.2.

    (52)  Kassationshof, o.g. Urteile vom 12.9.2009. Der Hof bestätigte die Unverhältnismäßigkeit einer Geldbuße von 200 % unter Berücksichtigung der Umstände und die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung der Geldbuße durch das Berufungsgericht auf 50 %.

    (53)  Vgl. Abschnitt II.2.

    (54)  Bei B handelt es sich in Wirklichkeit um zwei in der Schweiz niedergelassene Gesellschaften.

    (55)  Bei C handelt es sich in Wirklichkeit um dieselben Gesellschaften wie bei B im nachstehend beschriebenen dritten Fallbeispiel.

    (56)  1 488 611 396 BEF × 21 % = 31 608 393 BEF.

    (57)  Bei Anwendung von Artikel 70 Absatz 1 entspräche der Aufschlag von 10 % dem von den Steuerbehörden anzuwendende Mindestsatz.

    (58)  Bei C handelt es sich in Wirklichkeit um dieselben schweizerischen Gesellschaften wie im zweiten Beispielfall.

    (59)  Auf den Proforma-Rechnungen von Umicore wird in Zusammenhang mit der Warenbezeichnung der Name der Gesellschaft C als „Eigentümer“ genannt. Die Frachtdokumente sind in erster Linie an die schweizerische Gesellschaft C adressiert und geben im Allgemeinen an, dass die Waren für Rechnung der schweizerischen Gesellschaft C zur Beförderung nach Italien bestimmt sind.

    (60)  21 % der in Rechnung gestellten Beträge: (29 595 944 + 34 744 972 + 32 355 113 + 73 803 950 + 130 531 237) × 21 % = 63 216 555 BEF.

    (61)  Vgl. Abschnitt II.2

    (62)  Gültiger Körperschaftsteuersatz zum Zeitpunkt der Vereinbarung.

    (63)  Vgl. Artikel 218 EStGB 92 in Verbindung mit den Artikeln 157-168 EStGB 92.

    (64)  Zinssatz der belgischen Steuerverwaltung für die Berechnung der Verzugszinsen.

    (65)  Datum im Steuerbescheid, festgesetzt auf der Grundlage der üblichen Praxis der Steuerverwaltung.

    (66)  (3 × 12 Monate) + 11 Monate = 47 Monate × 0,8 % = 37,6 %.


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