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Document 52010AE1623

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen“ KOM(2010) 375 endg. — 2010/0208 (COD)

ABl. C 54 vom 19.2.2011, p. 51–57 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen“

KOM(2010) 375 endg. — 2010/0208 (COD)

(2011/C 54/16)

Berichterstatter: Gerfried GRUBER

Am 7. September 2010 beschloss das Europäische Parlament und am 10. September 2010 der Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen“

KOM(2010) 375 endg. – 2010/0208 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 9. Dezember) mit 169 gegen 12 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erkennt an, dass die Verwendung gentechnisch veränderter Organismen in der europäischen Landwirtschaft in weiten Bevölkerungskreisen große Bedenken hervorruft. Daher würdigt der EWSA die Absicht der Europäischen Kommission, die sensible Frage der Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Anbau von GVO mit dem Ziel anzugehen, eine praktikable Lösung zu finden und einen europäischen Rahmen abzustecken, der mit der guten Funktionsweise des Binnenmarktes vereinbar ist. Nach Ansicht des EWSA ruft der vorgelegte Vorschlag, der im Wesentlichen auf ethischen und moralischen Kriterien beruht, jedoch mehr Zweifel denn Gewissheit hervor und könnte praktisch zu einer Vielzahl unterschiedlicher (und rechtlich unsicherer) Maßnahmen in den Staaten und Regionen führen. Dies wiederum könnte die Funktionsweise des Binnenmarktes in der EU, die Rechtssicherheit der Wirtschaftsbeteiligten und die Glaubwürdigkeit des Systems insgesamt beeinträchtigen.

1.2   Zum vorliegenden Entwurf besteht nach Ansicht des Ausschusses im Sinne der obigen Ausführungen jedoch erheblicher Verbesserungs- und Konkretisierungsbedarf, vor allem im Hinblick auf Rechtssicherheit für die Betroffenen. Nach Ansicht des Ausschusses könnte diese Rechtssicherheit zum Beispiel dadurch erzielt werden, dass im Sekundärrecht der EU eine konkrete und durchsetzbare Rechtsgrundlage geschaffen wird, die die auf nationale Maßnahmen anwendbaren spezifischen Grundlagen, Voraussetzungen und Verfahren enthält. Allgemeiner fordert der Ausschuss dringend dazu auf, die Rechtsgrundlage des Vorschlags und die Vereinbarkeit möglicher Verbote durch die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Artikel 26b mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und dem Handelsrecht der WTO sowie anderer internationaler rechtlicher Verpflichtungen genauer zu klären.

1.3   Die Frage der Einschränkung des Anbaus von GVO auf nationaler Ebene ist eng verknüpft mit den Fragen der Koexistenz und der Haftung bei Schäden durch GVO und unbeabsichtigte Vermischung. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass diese Themen als Teil einer umfassenderen Überprüfung des Rechtsrahmens der EU für Biotechnologie und in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Rates Umwelt vom Dezember 2008 zusammen oder in parallelen Legislativvorschlägen erörtert werden sollten.

1.4   Angesichts des Zeitplans für den derzeitigen Kommissionsvorschlag im Vorfeld der laufenden allgemeinen Prüfung des bestehenden Rechtsrahmens lässt sich noch keine abschließende Meinung zu dem Entwurf abgeben, der nur in Zusammenhang mit der laufenden Evaluierung des Zulassungssystems und des Rechtsrahmens insgesamt ausreichend bewertet werden kann. Allerdings sollte die Verbesserung des derzeitigen Vorschlags dadurch nicht über Gebühr verzögert werden.

2.   Hintergrund und Inhalt des Verordnungsentwurfs

2.1   Die Europäische Union (EU) verfügt über einen umfassenden Rechtsrahmen für die Zulassung von genetisch veränderten Organismen (GVO). Regelungen bezüglich des Anbaus von GVO finden sich in der Richtlinie 2001/18/EG (1) und der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 (2). Einschränkungen des Anbaus von bereits zugelassenen GVO auf Ebene der Mitgliedstaaten sind im Wege von Schutzmaßnahmen, die auf zusätzlichen wissenschaftlichen Informationen beruhen, die den Schluss zulassen, dass ein bestimmter GVO ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, gemäß Artikel 23 Richtlinie 2001/18/EG unter den dort verankerten Bedingungen möglich. Außerdem können Mitgliedstaaten nach Artikel 26a geeignete Maßnahmen ergreifen, um das unbeabsichtigte Vorhandensein von GVO in anderen Produkten zu verhindern (Koexistenz).

2.2   Im März 2009 wurde der Antrag der Europäischen Kommission, bestehende nationale Schutzmaßnahmen (namentlich in Österreich und Ungarn) wegen mangelnder wissenschaftlicher Begründung aufzuheben, im Rat abgelehnt. Dieses Bild spiegelt sich in ähnlichen, vorangegangenen Abstimmungen des Rates wider, sodass von einer politisch festgefahrenen Situation gesprochen werden kann, ähnlich wie beim Zulassungssystem. 13 Mitgliedstaaten (3) haben im Juni 2009 in einer gemeinsamen Erklärung die Europäische Kommission aufgefordert, Vorschläge mit dem Ziel zu erarbeiten, die Entscheidung über den Anbau von GVO den Mitgliedstaaten zu überlassen.

2.3   Ausgehend von den politischen Leitlinien von Kommissionspräsident Barroso hat die Europäische Kommission in Folge mit Beschluss vom 13. Juli 2010 einen Legislativvorschlag vorgelegt, mit dem es den Mitgliedstaaten überlassen werden soll, über den Anbau von GVO selbst zu entscheiden. Die Vorschläge der Kommission bestehen aus einer Mitteilung zur Freiheit der Mitgliedstaaten, über den Anbau von genetisch veränderten Kulturen zu entscheiden (4), und einem Entwurf einer Verordnung, mit welcher der Rechtsrahmen entsprechend angepasst wird (5).

2.4   Rechtstechnisch erfolgt die Ergänzung der Richtlinie 2001/18/EG um einen neuen Artikel 26b mittels Verordnung. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen erlassen können, um den Anbau von bereits am Binnenmarkt zugelassenen GVO auf ihrem Hoheitsgebiet oder in Teilen desselben zu beschränken oder zu untersagen, sofern es sich um Begründungen handelt, die nicht im Zusammenhang mit ökologischen oder gesundheitlichen Risiken stehen, die bereits vom geltenden Zulassungssystem umfasst sind und die im Einklang mit den Verträgen stehen.

2.5   Ziel des Verordnungsentwurfs ist es, den Mitgliedstaaten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips mehr Entscheidungsfreiheit betreffend den Anbau von GVO einzuräumen und die erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen. Die Kommission geht davon aus, dass der Verordnungsvorschlag im Einklang mit den Regeln des Binnenmarktes und internationalen Verpflichtungen steht. Die neue Regelung steht nach Meinung der Kommission auch nicht im Widerspruch zum geltenden Zulassungssystem, sondern soll dieses lediglich ergänzen.

2.6   Am 5. November gab der Juristische Dienst des Rates ein Gutachten über die Wahl der Rechtsgrundlage, die möglichen nationalen Maßnahmen und die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen mit den GATT-Abkommen ab. Der Juristische Dienst argumentiert, dass die gewählte Rechtsgrundlage nicht gültig ist, äußert erhebliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten verabschieden könnten, mit den Verträgen oder dem GATT und unterstreicht, dass eine von einem Staat oder einer Region auf der Grundlage ethischer oder moralischer Kriterien verabschiedete Maßnahme vor dem Gerichtshof oder der WTO nur schwerlich zu verteidigen wäre. Diese Bedenken wurden teilweise vom Juristischen Dienst des Europäischen Parlaments unterschrieben, der sich in seiner Stellungnahme vom 17. November 2010 ähnlich kritisch zur Vereinbarkeit nationaler, z.B. ethisch begründeter, Einschränkungen mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und dem Handelsrecht der WTO.

3.   Zum geltenden Zulassungssystem von GVO

3.1   Das auf europäischer Ebene etablierte Zulassungsverfahren soll sicherstellen, dass das Leben und die Gesundheit der Menschen, die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere, die Belange der Umwelt und die Interessen der Verbraucher in hohem Maße geschützt werden und gleichzeitig das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet wird.

3.2   Die geltenden Regeln zur Zulassung und Verwendung von GVO beruhen auf einer Reihe von (rechtlichen) Grundprinzipien, die aus Sicht des EWSA Beachtung finden sollten. Hierbei sind insbesondere zu nennen:

eine unabhängige, wissenschaftlich basierte Zulassung,

ein hohes Schutzniveau in Bezug auf Gesundheit und Umwelt gemäß dem Vorsorgeprinzip,

die Einhaltung des Binnenmarktes und internationaler Verpflichtungen,

Wahlfreiheit und Transparenz entlang der Lebensmittelkette,

Rechtssicherheit, sowie

Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.

3.3   Die Vorschläge der Europäischen Kommission sind im zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit der Umsetzung der Schlussfolgerungen des Rates vom Dezember 2008 zu sehen, die u.a. eine Überprüfung des geltenden Zulassungssystems fordern, die voraussichtlich Ende 2010 abgeschlossen sein wird. Es handelt sich hierbei insbesondere um eine Neuregelung der Leitlinien der EFSA betreffend die Bewertung der potenziellen Risiken für Gesundheit und Umwelt (6), einen Bericht der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Umweltüberwachung nach erfolgter Zulassung sowie eine Studie betreffend die sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen des GVO-Anbaus. Außerdem erfolgt eine Bewertung des Rechtsrahmens sowohl für GVO-Lebens- und Futtermittel, als auch für den Anbau von GVO. Bis 2012 soll eine vollständige Überarbeitung des gesamten Zulassungssystems von GVO erfolgen.

3.4   Darüber hinaus ist das Verhältnis von nationalen Anbauverboten oder -einschränkungen auf die Regeln zur Koexistenz hin zu beleuchten, da beide Fragen eng verknüpft sind und die Europäische Kommission auch hier den Mitgliedstaaten eine größere Flexibilität einräumen möchte. In diesem Zusammenhang sind die Feststellungen der Kommission in ihrem Bericht vom 3. April 2009 über die Umsetzung der Leitlinien zur Koexistenz (7) von Bedeutung.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Auch wenn sich der Ausschuss naturgemäß noch nicht zur konkreten Ausgestaltung nationaler Anbauverbote geäußert hat, so finden sich doch Aussagen, die im inhaltlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf zu sehen sind und als Diskussionsbeiträge bzw. Vorschläge nach wie vor Gültigkeit aufweisen.

4.2   So hat sich der Ausschuss in seiner Initiativstellungnahme vom 16. Dezember 2004 (8) eingehend zur Koexistenz von GVO, konventioneller und biologischer Landwirtschaft geäußert und Vorschläge betreffend die Regelungsebene unterbreitet. Er führt darin u.a. aus, dass bestimmte Maßnahmen, mit denen Auskreuzungen nach den jeweiligen regionalen Bedingungen vermieden werden sollen, sowie regionale Bestimmungen zum Anbau oder eines Anbauverbotes auf nationaler Ebene geregelt werden sollten. Außerdem wird die Notwendigkeit von EU-Mindestnormen für Koexistenz und Haftung hervorgehoben.

4.3   Ein besonderes Augenmerk ist auf Maßnahmen zum Schutz von Naturschutzgebieten und ökologisch sensiblen Gebieten zu legen. Zu berücksichtigen sind ferner Maßnahmen zum Schutze regionaler Wirtschafts- und Kulturinteressen sowie andere sozioökonomische Auswirkungen.

4.4   Der Ausschuss hat in dieser Stellungnahme außerdem darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Koexistenz je nach regionalen Bedingungen variieren und insbesondere bei einer kleinteiligen Landwirtschaft der parallele Anbau von GVO und Nicht-GVO, sowohl konventionell als auch ökologisch, innerhalb einer Region nicht praktikabel erscheint.

4.5   In diesem Zusammenhang wurden in der Stellungnahme Vermarktungschancen regionaler Qualitätsmarken und Herkunftsgarantien behandelt, für welche – im Hinblick auf die Erwartung der Konsumenten – auf den Einsatz von GVO verzichtet wird. Vor diesem Hintergrund haben sich viele Regionen als gentechnikfrei deklariert, wobei der Ausschuss auf die damit verbundenen rechtlichen Unsicherheiten verwiesen hat, die einer Klärung zuzuführen sind.

5.   Besondere Bemerkungen und offene Fragen

5.1   Kriterien eines möglichen Anbauverbots/einer Anbaubeschränkung

5.1.1   Mit der Richtlinie 2001/18/EG wurden die Bestimmungen zur Zulassung von GVO, inklusive der Ergreifung von Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 23 und der Koexistenz gemäß Artikel 26a harmonisiert. Grundlage ist Artikel 114 AEUV (vormals Artikel 95 EUV) zur Angleichung von Rechtsvorschriften zur Erreichung der Ziele des Binnenmarktes. Mit dem neuen Artikel 26b wird nun verfügt, dass Mitgliedstaaten selbst bei einer EU-einheitlichen Zulassung den Anbau von GVO untersagen können.

5.1.2   Es stellt sich zunächst die Frage, inwiefern ein nationales Anbauverbot vom harmonisierten Rechtsbereich ausgenommen werden kann und ob dieses nicht den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Binnenmarktes widerspricht. Darüber hinaus scheint laut einem vor kurzem abgegebenen Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates (9) angesichts der Ziele, des Inhalts und des Umfangs des Vorschlages für Artikel 26b die Rechtsgrundlage des Artikels 114 AEUV unzutreffend zu sein. Der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments hingegen stellt Artikel 114 AEUV nicht als Rechtsgrundlage des Vorschlags in Frage, was zeigt, dass es in dieser Frage auf EU-Ebene unterschiedliche juristische Interpretationen gibt, die einer Klärung und Lösung bedürfen.

5.1.3   Der Entwurf enthält keine Auflistung von Begründungen, sei es abschließend oder beispielhaft, die den Mitgliedstaaten als Anhaltspunkt für ein Anbauverbot dienen können. In Artikel 26b ist einzig angeführt, dass die Gründe andere sein müssen, als jene, die im Rahmen der Zulassung überprüft werden. Es ist daher nicht möglich, sich auf Gründe zu stützen, die bei der Bewertung des Risikos für Gesundheit und Umwelt im Rahmen des EU-weiten Zulassungssystems herangezogen werden oder die einen Bezug hierzu aufweisen. Die Rechtssicherheit, die der Vorschlag bietet, könnte nach Auffassung des EWSA dadurch gestärkt werden, dass Artikel 26b um eine beispielhafte (aber nicht abschließende) Liste konkreter Gründe erweitert wird, auf die die Mitgliedstaaten sich berufen können, um den Anbau genetisch veränderter Kulturen zu beschränken oder zu untersagen. Zu diesen Gründen könnten neben ethischen, moralischen und religiösen Motiven auch bestimmte sozio-ökonomische Belange gehören. Eine derartige Klarstellung im Sekundärrecht wäre eine Lex specialis gegenüber den Gründen, die in Artikel 36 AEUV aufgeführt sind und in der Rechtsprechung des EuGH weiterentwickelt wurden, und würde somit die Vereinbarkeit mit den Binnenmarktregeln und den Verträgen verbessern.

5.2   Rechtssicherheit

5.2.1   Zur Frage der Rechtssicherheit ist der Ausschuss der Ansicht, dass diese durch einen bloßen Verweis auf das Primärrecht nicht erfüllt werden kann. Diesbezüglich ist beispielhaft auf das EuGH-Urteil C-165/08 (10) zu verweisen, in welchem ein nationales Verbot der Zulassung von GVO-Saatgut als nicht mit den EU-Bestimmungen vereinbar betrachtet wurde. Dieses Urteil verdeutlicht die Schwierigkeit für Mitgliedstaaten, sich auf andere Begründungen als Aspekte des Gesundheits- und Umweltschutzes zu stützen.

5.2.2   Der EWSA erkennt jedoch an, dass angesichts der gegenwärtigen rechtlichen und politischen Situation die Schaffung einer klaren und soliden Rechtsgrundlage den Mitgliedstaaten eine erhöhte Rechtssicherheit gegenüber dem Status quo bringen sollte. Dies ist jedoch eher mit einer konkreten und detaillierten Rechtsgrundlage im Sekundärrecht (d.h. der RL 18/2001/EG) zu erreichen als durch einen Verweis auf enge und unklare Spielräume aufgrund der allgemeinen Regeln des Binnenmarktes.

5.3   Prüfumfang der EFSA – Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

5.3.1   Zur Absicherung des wissenschaftlich basierten Zulassungssystems ist auf die Überarbeitung der EFSA-Leitlinien zur Bewertung der potenziellen Risiken für Gesundheit und Umwelt hinzuweisen, die nach Zustimmung der Mitgliedstaaten auch normativen Charakter aufweisen sollen. Der EWSA erhofft sich in diesem Zusammenhang eine Weiterentwicklung des Systems der wissenschaftlich basierten und unabhängigen Prüfung im Zulassungsverfahren im Sinne des Vorsorgeprinzips.

5.3.2   Der EWSA gibt zu überlegen, ob nicht im Rahmen der wissenschaftlichen Risikobewertung von GVO durch die EFSA für spezielle Thematiken die Mitgliedstaaten verstärkt einbezogen werden sollten. So ist die EFSA durch die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (11) ursprünglich für die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten zu der Lebens- und Futtermittelsicherheit unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Risiken für die Umwelt eingerichtet worden. Natürlich werden die Auswirkungen von GVO auf die Umwelt auch in den Mitgliedstaaten untersucht. Die unterschiedlichen umweltbezogenen Gegebenheiten können auch genauer von den jeweiligen Mitgliedstaaten für den eigenen Hoheitsbereich untersucht werden und die Ergebnisse wären dann von der EFSA noch zu bestätigen.

5.3.3   Generell sollten Methodologiekriterien aufgestellt werden, denen alle wissenschaftlichen Arbeiten für die EFSA und der EFSA entsprechen müssen. Dies sollte bis zu peer reviews gehen und könnte helfen, die Koordinierung zwischen der EFSA und den Mitgliedstaaten zu verbessern (12). Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass von der EFSA formell strengste und völlig unabhängige wissenschaftliche Kriterien zur Risikobewertung angelegt werden, weshalb diese EU-Einrichtung auch international ein hohes Ansehen genießt. Forschungseinrichtungen, Universitäten und einzelne Forscher, die in den Mitgliedstaaten Risikobewertungen durchführen, sollten enger als bisher mit der EFSA bei der Konzipierung von Untersuchungsmethoden zusammenarbeiten.

5.3.4   Ungeachtet der vorstehenden Aussagen schlägt der EWSA im Sinne von mehr Transparenz und Qualität der wissenschaftlichen Prüfverfahren für GVO eine Reform der EFSA vor, damit alle Interessenträger (Verbraucher, Industrie, Handel, Öko-Landwirte und -Viehzüchter, Konsumgenossenschaften, Ernährungswissenschafter, Mediziner usw.) und nicht nur eine Gruppe von Forschern im GVO-Gremium vertreten sind.

5.4   Binnenmarkt

5.4.1   Die Europäische Kommission geht davon aus, dass mit der Möglichkeit nationaler Anbauverbote der Binnenmarkt für GVO als Saatgut, Lebens- oder Futtermittel nicht gestört wird. Auch diese Annahme ist fragwürdig, da es zumindest in den Gebieten oder Mitgliedstaaten, in denen ein Anbauverbot erlassen wurde, zu einer Einschränkung des Handels mit zugelassenem GVO-Saatgut kommen könnte. Diese Einschätzung ergibt sich aus der bestehenden Rechtsprechung des EuGH in vergleichbaren Fällen (13).

5.4.2   Ob durch ein Anbauverbot Wettbewerbsverzerrungen eintreten können, ist vom jetzigen Standpunkt schwer abzuschätzen. Da es jedoch auf EU-Ebene keine (Mindest-)Normen für Koexistenz und Haftungsfragen gibt, kann man davon ausgehen, dass die Wettbewerbsbedingungen in den landwirtschaftlichen Branchen, die nicht auf GVO zurückgreifen, beeinträchtigt werden. Jedenfalls sind mit den notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Koexistenz Aufwand und Kosten verbunden, die bei allen künftigen Lösungen mit zu berücksichtigen sind. Andererseits könnte eine GVO-Freiheit allenfalls Vermarktungs-vorteile mit sich bringen, wobei die Preisbildung stets vom Konsumverhalten abhängen wird.

5.4.3   Gentechnisch veränderte Pflanzen benötigen im Vergleich zu konventionellen Pflanzen zum Teil andere kulturtechnische und pflanzenbauliche Maßnahmen, wie zum Beispiel andere Pflanzenschutzmittel, wobei es auf Grund des fehlenden und nicht funktionierenden Binnenmarktes für Pflanzenschutzmittel zu Problemen mit deren Verfügbarkeit kommen kann. Mit diesem Beispiel soll illustriert werden, wie vielfältig die Bedingungen sind, unter denen Landwirte ihre Produktionsentscheidungen zu treffen haben.

5.5   Sozioökonomische Auswirkungen

5.5.1   Betreffend sozioökonomische Auswirkungen von GVO-Zulassungen ist auf den Ende 2010 zu erwartenden Bericht der Europäischen Kommission zu verweisen. Die darin enthaltenen Erkenntnisse sollten jedenfalls bei der Bewertung des vorliegenden Vorschlages mit einbezogen werden, da vermutlich vor allem Auswirkungen auf Wirtschaft, Soziales und Umwelt bei der Begründung von Anbauverboten gemäß Artikel 26b herangezogen werden. Bis zur Fertigstellung dieses Berichts ist es nicht möglich, zu dem derzeitigen Vorschlag umfassend Stellung zu nehmen.

5.5.2   Es ist jedenfalls zu erwähnen, dass es die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 unter bestimmten Bedingungen bereits jetzt zulässt, bei Einzelfallprüfungen weiteren berücksichtigungswürdigen Faktoren im Verlaufe des Risikomanagements, das an die Bewertung des Risikos für Gesundheit und Umwelt anschließt, Rechnung zu tragen.

5.5.3   Aufgrund fehlender Erkenntnisse in Bezug auf die ökonomischen und wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen sollte im Entwurf eine Evaluierungsklausel vorgesehen und von der Europäischen Kommission vorab eine entsprechende Folgenabschätzung durchgeführt werden.

5.6   Internationale Verpflichtungen

5.6.1   Ein wichtiger Aspekt ist aus Sicht des Ausschusses die Klärung der Einhaltung internationaler Verpflichtungen, speziell jener der WTO/GATT als auch des Protokolls von Cartagena. Da zu erwarten ist, dass sich Mitgliedstaaten, die ein Anbauverbot verhängen wollen, nun auch auf den neuen Artikel 26b stützen, ist es von besonderer Bedeutung, dass die Entscheidungen dazu auf einer soliden, international abgesicherten Rechtsgrundlage erfolgen.

5.6.2   Angesichts der Bedeutung dieser Frage vermisst der EWSA nähere Erläuterungen der Europäischen Kommission zur Konformität mit internationalen Verpflichtungen der EU. Diesbezüglich sollten auch Gutachten der juristischen Dienste der europäischen Institutionen zur WTO-Verträglichkeit berücksichtigt werden, insbesondere das jüngste Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates (9), in dem starke Zweifel daran geäußert werden, dass etwaige Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten unter Berufung auf den neuen Artikel 26b ergreifen - wie dies von der Kommission vorgeschlagen wird - mit den Verträgen oder mit dem GATT-Abkommen vereinbar sind. Auch im Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments werden ähnliche Zweifel an der Vereinbarkeit möglicher ethischer Begründungen mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und dem WTO-Handelsrecht geäußert.

5.7   Wahlfreiheit entlang der Lebensmittelkette

5.7.1   Ebenso wichtig ist es, die Wahlfreiheit sowohl der Produzenten und der Einzelhändler als auch der Konsumenten ausreichend zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte es den Produzenten als Unternehmern erlaubt sein, über Anbaumethoden frei zu entscheiden. Gleichermaßen sollen Importeure und Händler ungeachtet des vorgeschlagenen neuen Artikels 26b ihrer rechtmäßigen Berufstätigkeit nachgehen können.

5.7.2   Nationale Einschränkungen oder Verbote des Anbaus sollten sich daher an den allgemeinen Grundsätzen der Verträge, insbesondere den Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit orientieren.

5.7.3   Damit auch die Verbraucher die Freiheit haben, zwischen Lebensmitteln mit und ohne GVO zu wählen, bedarf es einer reibungslos funktionierenden Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung, aber auch eines entsprechenden Angebotes, das die Konsumenten auch annehmen wollen. Hierbei ist insbesondere auf die regionale Verfügbarkeit der Produkte Bedacht zu nehmen. Der europäische Verbraucher muss sich im Klaren darüber sein, dass durch ein potenzielles Verbot des GVO-Anbaus in seiner Region oder seinem Land die freie Kommerzialisierung von GVO in diesem Gebiet nicht verhindert würde und dass es weiterhin massive Einfuhren von GVO für die Tierernährung oder den menschlichen Verzehr aus Drittländern mit zweifelhafter Rückverfolgbarkeit geben würde.

5.8   Wechselwirkung mit Fragen der Koexistenz

5.8.1   Ziel der Koexistenz ist generell die Vermeidung zufälliger Vermischung von konventionellen oder biologischen mit gentechnisch veränderten Produkten, um einerseits den Produzenten und Konsumenten die Wahlfreiheit zu erhalten und andererseits wirtschaftliche Schäden auf Unternehmerseite zu vermeiden.

5.8.2   Der EWSA erachtet die effektive Umsetzung und Sicherung der Koexistenz als einen wesentlichen Faktor in der gesamten Frage der Anwendung von GVO, wobei noch viele Unklarheiten bestehen und weitere Erkenntnisse vor allem zu den Langzeitfolgen auf allen Ebenen zu sammeln sind.

5.8.3   Ein mögliches Anbauverbot gemäß dem Kommissionsvorschlag kann zwar das Problem zufälliger Vermischungen oder Auskreuzungen in den betroffenen Gebieten vermindern, soll die Bemühungen um Entwicklung von Regeln für ein langfristiges Nebeneinander der verschiedenen Anbaumethoden jedoch in keiner Weise schmälern. Entsprechend den Empfehlungen des Ausschusses aus dem Jahr 2004 (14) wird für die Koexistenz- und Haftungsnormen ein Mindestmaß an Harmonisierung auf EU-Ebene (oder alternativ dazu in Artikel 26a eine rechtliche Grundlage, die Mitgliedstaaten verpflichtet, entsprechende Regeln auf nationaler oder regionaler Ebene einzuführen) zwingend erforderlich sein, um die Wahlfreiheit, gleiche Wettbewerbsbedingungen im Agrarsektor und die Kontrolle der sozio-ökonomischen Folgen des Anbaus von GVO zu gewährleisten. Dies wird insbesondere für Grenzregionen von Bedeutung sein.

5.8.4   Sollte die Ausgestaltung der Koexistenz-Regelungen stärker auf nationaler und regionaler Ebene entwickelt werden, ist der Austausch von Wissen und guten Praktiken um so mehr von Bedeutung. Die Arbeit des Europäischen Büros für Koexistenz (ECoB) ist entsprechend darauf auszurichten, die Stakeholder auf allen Ebenen entsprechend einzubinden.

5.8.5   Immer noch offen sind zudem die Fragen nach einem Grenzwert für GVO in Saatgut sowie einem Grenzwert für nicht in der EU zugelassene GVO bei Einfuhren in die EU (dies betrifft hauptsächlich Futtermittel). Diese Fragen sind noch von der Europäischen Kommission zu beantworten bzw. es sollte zügig an einer Umsetzung von vorgelegten Vorschlägen der Kommission gearbeitet werden.

5.9   Grenzüberschreitende Sachverhalte und Haftungsfragen

5.9.1   Weiterhin ungeklärt bleiben Haftungsregelungen bei zufälliger Vermischung mit GVO, vor allem bei Kontaminationen über nationale Grenzen hinweg. Es bestehen zurzeit zwischen benachbarten Mitgliedstaaten keine gegenseitigen Verpflichtungen zur Information darüber, wo GVO angebaut werden. So werden Informationen vielfach nur aufgrund persönlicher Kontakte ausgetauscht.

5.9.2   Ein Vorschlag könnte sein, dass Mitgliedstaaten, an deren Grenzen GVO angebaut werden, verpflichtet werden, Informationen über den Anbau von GVO auch in der Sprache der Nachbarstaaten im Internet zu veröffentlichen. Mit einer solchen Maßnahme könnten auch über nationale Grenzen hinweg Ansprüche im Falle zufälliger Vermischung mit GVO und daraus resultierender wirtschaftlicher Einbußen möglicherweise besser rechtlich geltend gemacht werden.

5.9.3   Eine Verbesserung wird die am 12. Oktober 2010 beschlossene Ergänzung zum Cartagena-Protokoll bringen, in welcher gemeinsame Regeln zur Haftung und Wiedergutmachung bei Schäden an der biologischen Vielfalt bei grenzüberschreitendem Transport festgelegt wurden. Eine Umsetzung der dort vorgesehenen Verpflichtungen sollte ohne unnötige Verzögerung erfolgen.

5.9.4   Der EWSA regt darüber hinaus an zu prüfen, inwiefern verbindliche europäische Mindestnormen für Koexistenz und Haftungsfragen (oder alternativ dazu eine Rechtsgrundlage in Artikel 26a, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, entsprechende Regeln auf nationaler oder regionaler Ebene einzuführen) zumindest für Grenzregionen von den Mitgliedstaaten eingeführt werden könnten und privatrechtliche Haftungsrisiken vermindert sowie Zweifelsfragen zwischen Mitgliedstaaten geklärt werden können. Angesichts der Tatsache, dass die Versicherungsgesellschaften derzeit noch keinen Versicherungsschutz für Schäden im Zusammenhang mit GVO anbieten und dass die gegenwärtige EU-Umwelthaftungsregelung gemäß Richtlinie 2004/35/EG nur unzureichenden Schutz für diese Art von Schäden bietet, stellt der Ausschuss fest, dass derartige Haftungsregelungen dringend benötigt werden.

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates. ABl. L 106 vom 17.4.2001, S. 1.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel; ABl. L 268 vom 18.10.2003, S. 1.

(3)  AT, BG, IE, EL, CY, LV, LT, HU, LU, MT, NL, PL und SI.

(4)  KOM(2010) 380 endg.

(5)  KOM(2010) 375 endg.

(6)  Siehe die eingeleitete öffentliche Anhörung zu dem am 12. November vorgelegten Entwurf der neuen Leitlinien der EFSA, die bis zum 24. Januar 2011 laufen wird,

im Internet: http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/gmo101112.htm.

(7)  KOM(2009) 153 endg.

(8)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 155.

(9)  Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates vom 5.11.2010; 2010/0208(COD), Nr. 15696/10.

(10)  Urteil des Europäischen Gerichtshofs C-165/08 (Europäische Kommission gegen Republik Polen) vom 16. Juli 2009.

(11)  Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit; ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1.

(12)  Siehe Klage Ungarn gegen Europäische Kommission in der Rechtssache T-240/10 betr. Amflora.

(13)  Siehe z.B. die Rechtssachen C-110/05, Kommission vs. Italien; C-142/05, Mickelsson und Roos; C-188/04, Alfa Vita; und C-416/00, Morellato.

(14)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 155.


ANHANG

Die folgende Textstelle wurde infolge eines im Plenum angenommenen Änderungsantrages gestrichen, wobei jedoch mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf ihre Beibehaltung entfiel:

Ziffer 5.8.5

„Die Lösung für den niedrigen Anteil an nicht zugelassenen GVO sollte technischer Art sein, indem ein Grenzwert auf niedrigstem Niveau festgelegt wird, der sowohl für Futtermittel als auch für Lebensmittel gilt.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 83

Nein-Stimmen: 79

Stimmenthaltungen: 29


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