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Document 52005AE0130

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EWG) Nr. 91/440 des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft“(KOM(2004) 139 endg. — 2004/0047 (COD))

ABl. C 221 vom 8.9.2005, p. 56–63 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EWG) Nr. 91/440 des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft“

(KOM(2004) 139 endg. — 2004/0047 (COD))

(2005/C 221/13)

Der Rat beschloss am 28. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorslag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10.Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 122 gegen 53 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der vorliegende Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen in der Gemeinschaft ist Bestandteil des so genannten Dritten Eisenbahnpakets, das von der Europäischen Kommission am 3. März 2004 verabschiedet wurde. Die weiteren Elemente sind:

Vorschlag einer Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal (KOM(2004) 142 endg.);

Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Verkehr (KOM(2004) 143 endg.);

Vorschlag einer Verordnung zu Entschädigungen und Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (KOM(2004) 144 endg.).

sowie

Mitteilung der Kommission zur Fortsetzung der Integration des europäischen Eisenbahnsystems (KOM(2004) 140 endg.);

Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission zur schrittweisen Öffnung des Marktes für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr (SEK(2004) 236).

1.2

Das so genannte Erste Eisenbahnpaket (auch Infrastrukturpaket genannt) trat am 15. März 2001 in Kraft und musste bis zum 15. März 2003 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: u.a. freier Markzugang für den internationalen Schienengüterverkehr auf dem Transeuropäischen Eisenbahngüternetz bis 15. März 2003 und Liberalisierung des gesamten internationalen Schienengüterverkehrs bis 15. März 2008 (1);

Ausweitung des Geltungsbereichs für eine Europäische Lizenz für Eisenbahnunternehmen (Änderung der Richtlinie 95/18/EG) (2);

Harmonisierung der Bestimmungen zur Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten und zur Berechnung der Infrastrukturgebühren, Regelungen für ein Sicherheitszertifikat (ersetzt Richtlinie 95/19/EG) (3).

1.3

Im Oktober 2003 hat die Europäische Kommission Klage gegen 9 Mitgliedstaaten beim Europäischen Gerichtshof eingereicht wegen fehlender Notifizierung der Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets in nationales Recht. Im Mai 2004 fehlte die Notifizierung von fünf Ländern, und zwei Mitgliedstaaten hatten nur teilweise die Bestimmungen in nationales Recht implementiert.

1.4

Das so genannte Zweite Eisenbahnpaket wurde am 30. April 2004 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht und muss bis zum 30. April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EG: Vorverlagerung des freien Marktzugangs für den internationalen Eisenbahngüterverkehr auf den 1. Januar 2006 und Liberalisierung des nationalen Eisenbahngüterverkehrs einschließlich Kabotage ab dem 1. Januar 2007 (4);

Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (5);

Verordnung zur Schaffung einer Europäischen Eisenbahnagentur (6);

Änderung der Richtlinien zur Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitssystems (Richtlinie 96/48/EG) und des konventionellen Eisenbahnsystems (Richtlinie 2001/16/EG) (7).

1.5

Mit dem 1. und 2. Eisenbahnpaket wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, einen Binnenmarkt für den Eisenbahngüterverkehr herzustellen. Die Maßnahmen umfassen den Marktzugang, die Lizenzierung und Sicherheitszertifizierung von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), den Zugang zur Infrastruktur und die Berechnung der Nutzungsgebühren, die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Eisenbahnsicherheit sowie Maßnahmen zur Herstellung einer technischen Interoperabilität des Eisenbahnsystems.

1.6

Dieser neu geschaffene Rechtsrahmen erfordert, wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket (8) angemerkt hat, eine völlige organisatorische Umstrukturierung des Sektors mit der Schaffung neuer Behörden und Zuständigkeiten.

1.7

Der EWSA hat in der gleichen Stellungnahme ebenfalls auf die Notwendigkeit von europäischen Sozialbestimmungen hingewiesen. Inzwischen haben die Europäischen Sozialpartner im Eisenbahnsektor, die Gemeinschaft der europäischen Bahnen (CER) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) am 17. Januar 2004 zwei europäische Abkommen unterzeichnet:

1)

Einführung einer europäischen Lokführerlizenz für Lokführer im grenzüberschreitenden Verkehr;

2)

Abkommen über bestimmte Aspekte der Einsatzbedingungen des mobilen Eisenbahnpersonals im grenzüberschreitenden Verkehr.

1.8

Die Kommission legt im Rahmen dieses 3. Eisenbahnpakets einen Richtlinienvorschlag zur Zertifizierung von Zugpersonal vor, der in 2010 bzw. 2015 wirksam wird.

1.9

Mit der Vorlage einer erneuten Änderung der Richtlinie 91/440/EWG verfolgt die Kommission weiterhin das Ziel einer schrittweisen Liberalisierung des Eisenbahnsektors.

2.   Der Vorschlag der Europäischen Kommission

2.1

Die Kommission schlägt vor, den Marktzugang für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr ab dem 1. Januar 2010 zu liberalisieren. Der Vorschlag umfasst die Kabotage, d.h. das Aufnehmen und Absetzen von Fahrgästen an Bahnhöfen der gesamten Strecke. Gleichzeitig soll die Bestimmung über den freien Marktzugang für internationale Gruppierungen gestrichen werden.

2.2

In der EU-25 werden jährlich etwa 6 Milliarden Fahrgäste mit dem Zug transportiert. Der Hauptanteil entfällt auf den Schienenpersonennahverkehr und den Regionalverkehr. Etwa 10 % gemessen an den verkauften Fahrkarten entfallen davon auf den internationalen Personenverkehr. Dieser umfasst grenzüberschreitende Regionalverkehre, grenzüberschreitende Fernverkehre und Hochgeschwindigkeitsverkehre.

2.3

Die Kommission erkennt an, dass die Wettbewerbsöffnung im internationalen Personenverkehr einschließlich Kabotage möglicherweise negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Gleichgewicht im gemeinwirtschaftlichen Personenverkehr haben kann. Es wird vorgeschlagen, Ausnahmen vom freien Marktzugang zuzulassen, wenn auf der gleichen Strecke Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehre gemäß Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 abgeschlossen wurden und der liberalisierte internationale Verkehr das Gleichgewicht dieser Verkehre gefährden kann. Diese Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn sie unbedingt für die Aufrechterhaltung des gemeinwirtschaftlichen Verkehrs notwendig ist und von der Regulierungsbehörde gemäß Artikel 30 der Richtlinie 2001/14/EG genehmigt wird. Eine gerichtliche Überprüfung muss möglich sein.

2.4

Die Kommission hat zum 31. Dezember 2012 einen Bericht über die Umsetzung der Bestimmung vorzulegen.

3.   Bewertung des Vorschlags

3.1   Vorraussetzungen zur Revitalisierung des Eisenbahnsektors

3.1.1

Dem Vorschlag zur Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs liegt die Annahme zugrunde, dass Wettbewerb im grenzüberschreitenden Verkehr zu einer oder zu mehreren der folgenden Auswirkungen führt: höhere Fahrgastzahlen, Verlagerung von anderen Verkehrsmodi (insbesondere Luftverkehr) auf die Schiene, bessere Qualität für den Kunden und niedrigere Preise.

3.1.2

Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket (9) auf grundlegende Voraussetzungen für die Revitalisierung des Eisenbahnsystems hingewiesen:

Finanzierung des Ausbaus und der Verbesserung der Infrastruktur;

Herstellung der technischen Interoperabilität und ihre Finanzierung;

Herstellung eines fairen Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern, insbesondere:

Durchsetzung einer Respektierung der Sozialvorschriften im Straßenverkehrssektor;

faire Infrastrukturgebühren für alle Verkehrsträger.

3.1.3

Bis heute fehlt der im Weißbuch zur Europäischen Verkehrspolitik 2010 angekündigte Vorschlag eines Rahmens für faire Infrastrukturpreise für alle Verkehrsträger.

3.1.4

Die Kontrolle und die angemessene Anwendung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr bleibt ein schwerwiegendes Problem.

3.1.5

Hinzu kommt der Bedarf an Lösungen zur Entschuldung vieler Bahnen. Insbesondere in den neuen EU-Mitgliedstaaten werden Bahnunternehmen nicht konkurrenzfähig sein, sollten sie keine Lösung für den Abbau ihres Schuldenbergs finden.

3.1.6

Der EWSA hatte ferner darauf verwiesen, dass die durch das Erste und Zweite Eisenbahnpaket einzurichtenden Behörden (Regulierungsstelle, entgelterhebende Stelle, Zuweisungsstelle, benannte Stelle, Sicherheitsbehörde, Unfallursachenuntersuchungsstelle) eine kurzfristige Neuausrichtung der Organisation des Eisenbahnsektors erfordert, deren reibungsloses Funktionieren einer Reihe von Jahren und praktischer Erfahrungen bedarf. Der EWSA hat sich dafür ausgesprochen, der Bahnsicherheit eine Priorität einzuräumen. Dies schließt europäische Sozialvorschriften für den Eisenbahnsektor ein.

3.2   Ex-post-Analyse der Liberalisierung des Eisenbahngüterverkehrs

3.2.1

Die Beschlüsse zur Liberalisierung des Eisenbahngüterverkehrs sind inzwischen gefasst. Allerdings müssen Erfahrungen mit den Wirkungen dieser Beschlüsse erst noch gemacht werden.

3.2.2

Die Europäische Kommission muss bis zum 1. Januar 2006 einen Bericht vorlegen, der die folgenden Elemente umfasst (10):

Durchführung der Richtlinie 91/440/EG in den Mitgliedstaaten und die tatsächliche Funktionsweise der verschiedenen beteiligten Gremien;

Marktentwicklungen, insbesondere internationale Verkehrstrends, Tätigkeiten und Marktanteile aller (einschließlich neuer) Marktteilnehmer;

Auswirkungen auf den gesamten Verkehrssektor, insbesondere hinsichtlich der Verlagerung auf alternative Verkehrsträger;

Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten;

die in den einzelnen Mitgliedstaaten in dem Sektor herrschenden Arbeitsbedingungen.

3.2.3

Der EWSA hält es für angemessen, diesen Bericht abzuwarten und Kenntnisse über die Entwicklungen der bisher beschlossenen Maßnahmen zu erhalten, bevor weitere Schritte zur Marktöffnung vorgeschlagen werden, und fordert die Kommission auf, ihren Bericht rechtzeitig vorzulegen.

3.3   Ex-ante-Analyse der Liberalisierung des internationalen Schienenpersonenverkehrs

3.3.1

Die Kommission hat vor Vorlage des 3. Eisenbahnpakets eine Studie zur Untersuchung der Liberalisierung des Personenverkehrs in Auftrag gegeben. Dabei lautete der Untersuchungsauftrag, verschiedene Modelle der Liberalisierung zu untersuchen und die Empfehlung für ein Modell auszusprechen. Die Modelle waren:

Internationale Verkehre ohne Kabotage;

Internationale Verkehre mit Kabotage;

Nationaler und internationaler Schienenpersonenverkehr.

3.3.2

Das Ergebnis empfiehlt unter den drei vorgegebenen Modellen die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs mit Kabotage (11).

3.3.3

Der EWSA bedauert, dass eine solche Ex-ante-Analyse nicht dazu genutzt wurde, wichtige Fragestellungen umfassend zu untersuchen. Solche Fragestellungen wären die Auswirkungen einer Liberalisierung des Personenverkehrs auf

den Regionalverkehr und den Schienenverkehr als Daseinsvorsorge, insbesondere in den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten;

die Servicequalität für den Kunden;

die Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im Schienenpersonenverkehr;

die Eisenbahnunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas.

3.3.4

Die Studie enthält einige Aussagen zu einzelnen angesprochenen Bereichen (einschließlich zur Bedeutung von Fahr- und Trassenpreisen), die auf Basis von vier Fallstudien (Schweden, Deutschland, Spanien, Ungarn) und einem Simulationsmodell für zwei Strecken getroffen wurden. Außerdem wird von einer Liberalisierung des nationalen Schienenpersonenverkehrs abgeraten. Der Auftrag lautete jedoch explizit, eine Empfehlung für eines von drei Modellen zu geben.

3.4   Auswirkungen der Marktöffnung auf den Regionalverkehr und den gemeinwirtschaftlichen Verkehr

3.4.1

Durch die Kabotage enthält der Vorschlag zur Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs ein Element der Marktöffnung für einen Teil des nationalen Personenverkehrs.

3.4.2

Der nationale Personenverkehr ist oftmals ein Netzverkehr, bei dem Gewinne auf stark frequentierten Strecken Verluste bei weniger frequentierten Strecken ausgleichen und somit ein größeres Angebot ermöglichen. Dies betrifft nicht nur den mit Ausschließlichkeitsrechten und/oder Beihilfen geförderten gemeinwirtschaftlichen Verkehr, für den gemäß Kommissionsvorschlag unter strengen Bedingungen Ausnahmen möglich sind.

3.4.3

Insbesondere in kleineren und mittleren Mitgliedsländern kann dies zu empfindlichen Störungen des Schienenpersonenverkehrs führen, der nicht vertraglich mit Ausschließlichkeitsrechten belegt ist.

3.4.4

In einigen Mitgliedsländern werden Verträge über Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes nicht als einzelne Streckenverträge abgeschlossen, sondern gelten für ein Netzwerk. Der Nachweis über die Gefährdung des Gleichgewichts für die gemeinwirtschaftlichen Verkehre ist hierdurch kaum zu erbringen.

3.4.5

Die von der Kommission vorgeschlagene Ausnahmemöglichkeit führt zu komplizierten Nachweisverfahren und droht Rechtsstreitigkeiten zur Folge zu haben.

3.4.6

Im Juli 2000 hat die Europäische Kommission das Dokument KOM(2000) 7 endg. vorgelegt, um die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 über Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes im Personenverkehr, in der die Bestimmungen für ausschließliche Rechte und Ausgleichsformen für den öffentlichen Personenverkehr festgelegt sind, durch eine neue Verordnung zu ersetzen.

3.4.7

Dieser Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 ist seit mehreren Jahren im Verkehrsministerrat blockiert. Es gibt grundsätzliche Abweichungen zwischen dem Vorschlag der Kommission und der Position des Europäischen Parlaments, die die Wirkung des Vorschlags im Rahmen der Liberalisierung des Eisenbahnpersonenverkehrs erheblich beeinflussen können. Ferner plant die Kommission, noch in diesem Jahr einen neuen Vorschlag vorzulegen.

3.4.8

Auch dies spricht dafür, dass die Verabschiedung des relevanten Rechtstextes zunächst abgewartet werden sollte, bevor Vorschläge zum Schutz des Gleichgewichts der gemeinwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehre im Rahmen der Liberalisierung verabschiedet werden.

3.5   Auswirkungen auf Servicequalität für die Kunden

3.5.1

Aufgrund der hohen Kosten und der traditionell niedrig angesetzten Fahrpreise, so die bereits zitierte Studie, ist kaum davon auszugehen, dass die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs zu einer weiteren Preisreduzierung für den Kunden führen wird.

3.5.2

Ein größeres Angebot durch konkurrierende Bahnunternehmen auf der gleichen Strecke kann gleichzeitig zur Folge haben, dass die bisher gebotenen Standards — ein Fahrplan, eine Fahrkarte, Informationen aus einer Hand — nicht mehr gewährleistet sind. Es werden größere Informationshürden aufgebaut.

3.5.3

Die Kommission reagiert auf diese Problematik mit dem Vorschlag von Rechtsvorschriften, die die konkurrierenden Unternehmen zur Zusammenarbeit verpflichten, um den bisher garantierten Standard hinsichtlich der Information aufrechtzuerhalten.

3.5.4

Der EWSA wird diesen Vorschlag in einer gesonderten Stellungnahme untersuchen. Er möchte jedoch grundsätzlich darauf hinweisen, dass eine Verpflichtung konkurrierender Unternehmen zu einer Zusammenarbeit zum Zweck der Kundeninformation erst durch die Marktöffnung für den Personenverkehr notwendig wird.

3.6   Auswirkung auf die Beschäftigung

3.6.1

Die Kommission geht davon aus, dass die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs kurzfristig zu einem Personalabbau führen wird, die Beschäftigung aufgrund vermehrter Verkehre mittelfristig jedoch steigen wird. Diese Annahme lässt beispielsweise die möglichen negativen Beschäftigungseffekte aus dem Einfluss auf den Regionalverkehr und den gemeinwirtschaftlichen Verkehr unberücksichtigt. Gemäß Artikel 1 Absatz 7 dieses Richtlinienvorschlags würden diese Effekte von der Entscheidung jedes einzelnen Mitgliedstaats über die Finanzierung regionaler Personenverkehrsdienste abhängen.

3.6.2

Die Zahl der Beschäftigten im Eisenbahnsektor ist in der vergangenen Dekade um die Hälfte gesunken. Die Eisenbahnunternehmen in den neuen Mitgliedsländern, aber auch westeuropäische Eisenbahnunternehmen, kündigen weiter hohe Zahlen für den Beschäftigungsabbau an. Sollte eine Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs dazu führen, dass die Bahnunternehmen in den kleinen und mittleren EU-Ländern auch im nationalen Fernverkehr verdrängt werden, ist kaum mit positiven Beschäftigungseffekten zu rechnen.

3.6.3

Der Eisenbahnpersonenverkehr ist traditionell ein Verkehrsmittel für alle Bevölkerungsschichten. Der Luftverkehr hat sich von einem Luxusverkehrsmittel zu einem Massenverkehrsmittel entwickelt. Die damit verbundenen Beschäftigungseffekte lassen sich in diesem Umfang für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr nicht wiederholen.

3.6.4

Gleichzeitig ist im Luftverkehrssektor zu beobachten, dass gute Arbeitsplätze in den ehemals staatlichen Luftverkehrsgesellschaften durch qualitativ schlechtere Arbeitsplätze in anderen Bereichen der zivilen Luftfahrt ersetzt wurden.

3.6.5

Der EWSA betrachtet den hohen Beschäftigungsabbau im Eisenbahnsektor mit großer Besorgnis. Insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit und schwachen Sozialsystemen führt der hohe Beschäftigungsabbau zu erheblichen sozialen Problemen. Flankierende soziale Maßnahmen sind dringend erforderlich. Der EWSA spricht sich gegen Maßnahmen aus, die zu weiterem Beschäftigungsabbau in diesem belasteten Sektor führen und zu einer Verschlechterung der Qualität der Beschäftigung im Eisenbahnsektor.

3.7   Auswirkungen auf die Bahnunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten

3.7.1

Die zitierte Studie von Steer Davies Gleave verweist darauf, dass der schlechte Zustand der Infrastruktur in den neuen Mitgliedsländern, die schlechte finanzielle Situation der Bahnunternehmen und Fahrpreise, die typischerweise weit unter dem langfristigen Kostenniveau liegen, zusätzliche signifikante Hindernisse für einen größeren Wettbewerb darstellen.

3.7.2

Ferner verfügen die Bahnunternehmen nicht über die Qualität an Rollmaterial, um einem Wettbewerb standhalten zu können.

3.7.3

Der Regionalverkehr spielt in den neuen Mitgliedsländern eine noch größere Rolle als in der bisherigen EU-15. Sollte die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs negative Effekte auf das Regionalangebot haben, werden die Auswirkungen in den neuen Mitgliedsländern stärker sein und ein Rückgang des heute vergleichsweise hohen Bahnanteils im Personenverkehr beschleunigen.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der EWSA hat sich in seinen Stellungnahmen immer für eine Revitalisierung der Eisenbahnen in Europa ausgesprochen und dabei auf wichtige notwendige Voraussetzungen verwiesen:

Infrastrukturausbau und Beseitigung von Engpässen;

Herstellung der Interoperabilität des Bahnsystems;

Realisierung eines fairen Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern;

Sicherung der Eisenbahnsicherheit und von Sozialbestimmungen.

4.2

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihren Beitrag zur Realisierung dieser Voraussetzungen so schnell wie möglich zu leisten.

4.3

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des Schienenpersonenverkehrs für die Verwirklichung der Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und seine Rolle als Leistung der Daseinsvorsorge.

4.4

Der EWSA erkennt den hohen Nutzen eines Netzwerkdienstleisters und seine Integration mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln für die Mobilitätsversorgung der Bevölkerung an. Diese Versorgung darf nicht gefährdet werden.

4.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass jedwede Entscheidung zur Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs auf einer umfassenden und klaren Kenntnis der Gesamtauswirkungen auf den Eisenbahnpersonenverkehr und der Wirkungsgrad der im Rahmen des ersten und zweiten Eisenbahnpakets festgelegten Maßnahmen beruhen müsste.

4.6

Der EWSA fordert die Kommission daher auf, eine ausreichende Ex-ante-Analyse der Vor- und Nachteile einer Liberalisierung des Personenverkehrs durchzuführen. Diese Analyse muss die Auswirkungen einer Liberalisierung untersuchen auf

den Regionalverkehr und den Schienenverkehr als Daseinsvorsorge, insbesondere in den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten;

die Servicequalität für den Kunden;

die Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im Schienenpersonenverkehr;

die Eisenbahnunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas.

4.7

Der EWSA fordert die Kommission auf, zunächst den in der Richtlinie 91/440/EWG (geändert durch die Richtlinie 2004/51/EG) geforderten Bericht über die Durchführung der Marktöffnung im Eisenbahngüterverkehr vorzulegen.

4.8

Der EWSA verweist darauf, dass der Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen (KOM(2000) 7 endg.), geänderter Vorschlag der Kommission KOM(2002) 107 endg.), weiterhin im Rat anhängig ist. Die Ausgestaltung dieser Verordnung kann Auswirkungen auf die Bestimmungen zum Schutz des gemeinwirtschaftlichen Verkehrs im Rahmen einer Liberalisierung des internationalen Eisenbahnpersonenverkehrs haben.

4.9

Eine Verbesserung der Dienstleistungsqualität im Schienenpersonenverkehr trägt zur Attraktivität des Verkehrsträgers bei und kann die Ziele der europäischen Verkehrspolitik für ein nachhaltiges Verkehrssystem unterstützen. Die Eisenbahnunternehmen tragen hier die Hauptverantwortung. Der EWSA steht jedoch kritisch zu Maßnahmen, die das jetzige Niveau der Dienstleistungsqualität gefährden können, und würde Maßnahmen zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität sehr begrüßen.

4.10

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Förderung einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Eisenbahnunternehmen der geeignete Ansatz für die Verbesserung der Dienstleistungsqualität für Fahrgäste im internationalen Eisenbahnpersonenverkehr, insbesondere im regionalen internationalen Eisenbahnpersonenverkehr ist.

4.11

Der EWSA würde es sehr begrüßen, wenn die Kommission einen Dialog mit den Europäischen Sozialpartnern über die Auswirkungen der Marktöffnung im Schienenverkehr und insbesondere über die quantitativen und qualitativen Beschäftigungswirkungen führen würde.

4.12

In den neuen Mitgliedsländern ist der Anteil des Schienenpersonenverkehrs am gesamten Personenverkehr erheblich höher als in den Ländern der EU-15. Der EWSA hält es für erforderlich, ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Schienenpersonenverkehrs in den neuen Mitgliedsländern und die Auswirkung einer Marktöffnung für diese Länder zu legen. Es ist im Interesse der gesamten Gemeinschaft und entspricht den Zielen des Weißbuches zur Verkehrspolitik, dass dieser hohe Anteil am Schienenpersonenverkehr aufrechterhalten bleibt.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie 2001/12/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(2)  Richtlinie 2001/13/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 26 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(3)  Richtlinie 2001/14/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 29 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(4)  Richtlinie 2004/51/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 164 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(5)  Richtlinie 2004/49/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 44 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 881/2004 – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(7)  Richtlinie 2004/50/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 114 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(8)  ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(9)  Siehe Fußnote 8.

(10)  Artikel 2 Buchstabe d) der Richtlinie 2004/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft.

(11)  EU Rail Passenger Liberalisation: Extended impact assessment, February 2004 by Steer Davies Gleave, London.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (gemäß Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung)

Die nachstehenden Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurden abgelehnt.

Ziffer 3.1.4

Ziffer streichen.

Begründung

Dieser Absatz hat nichts mit der Liberalisierung des Schienenverkehrs zu tun. Hier werden zwei Sektoren in einer Stellungnahme miteinander verquickt, deren Gegenstand die Änderung und Entwicklung der Eisenbahnunternehmen in Europa ist. Man kann nicht behaupten, dass die Kontrolle der Sozialvorschriften im Straßenverkehr ein schwerwiegendes Problem ist, wenn zahlreiche Rechtsvorschriften bestehen, die die Lenk- und Ruhezeiten sowie den Arbeitstag des Fahrpersonals regeln. Die Einhaltung all dieser Rechtsvorschriften wird mit dem Fahrtenschreiber überwacht. Im August dieses Jahres wird ein neues Kontrollinstrument, der digitale Fahrtenschreiber, eingeführt, mit dessen Hilfe der Arbeitstag der Fahrer noch genauer kontrolliert werden kann.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 58

Nein-Stimmen: 80

Stimmenthaltungen: 7

Ziffer 3.1.6

Den letzten Satz streichen:

Dies schließt europäische Sozialvorschriften für den Eisenbahnsektor ein.

Begründung

Die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs in der Gemeinschaft wurde in der Richtlinie 2004/49/EG geregelt.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 52

Nein-Stimmen: 93

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 3.2.3

Absatz wie folgt ersetzen:

„Der EWSA hält es für angezeigt, diesen Bericht nach seiner Veröffentlichung zunächst inhaltlich zu untersuchen, um zu ermitteln, ob der Richtlinienvorschlag abgeändert oder modifiziert werden muss.“

Begründung

Der derzeitige Wortlaut verlangt im Prinzip eine Blockierung des Gesetzgebungsverfahrens, was einer Art rechtlicher Unsicherheit Vorschub leistet, die für alle — Unternehmen, Arbeitnehmer und Kunden — nachteilig ist.

Es erscheint positiver und konstruktiver, wenn der EWSA deutlich zum Ausdruck bringt, dass er gewillt ist, die Schlussfolgerungen zu berücksichtigen, um den Richtlinienvorschlag eventuell abzuändern oder zu modifizieren.

So kann ein dynamischer und offener Prozess beibehalten werden.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 54

Nein-Stimmen: 92

Stimmenthaltungen: 9

Ziffer 3.4.7 und 3.4.8

Die beiden Ziffern durch folgenden Text ersetzen und als Ziffer 3.4.7 nummerieren:

Wenn der neue Vorschlag für eine Verordnung (EWG) Nr. 119/69 dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament vorgelegt wird, sollten die Auswirkungen untersucht werden, die dieser Vorschlag auf die Liberalisierung des Eisenbahnpersonenverkehrs und das Gleichgewicht der gemeinwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehre haben könnte.

Begründung

Die derzeitige Fassung spiegelt nicht den aktuellen Stand wider. Die Kommission hat einen neuen Vorschlag erstellt, der dem Verkehrsministerrat im Juni vorgelegt werden könnte. Die Reaktion des Ministerrats oder des Europäischen Parlaments kann nicht vorhergesagt werden.

Mit der vorgeschlagenen Änderung wird ein konstruktiverer Ansatz angestrebt.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 68

Nein-Stimmen: 90

Stimmenthaltungen: 8

Ziffer 3.6

Ziffer streichen.

Begründung

Man kann nicht behaupten, dass die Liberalisierung des Schienenverkehrs zu Arbeitsplatzverlusten führen wird und die neu geschaffenen Arbeitsplätze minderwertig sein werden, wenn eine der Folgen der Liberalisierung der übrigen Verkehrsträger die Schaffung neuer Arbeitsplätze war. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Schiene der einzige Verkehrsträger ist, der noch nicht liberalisiert wurde.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 66

Nein-Stimmen: 102

Stimmenthaltungen: 6


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