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Document 52021IE3078

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Freiwilligentätigkeit — Bürgerinnen und Bürger gestalten die Zukunft Europas“ (Initiativstellungnahme)

    EESC 2021/03078

    ABl. C 152 vom 6.4.2022, p. 19–26 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    6.4.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 152/19


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Freiwilligentätigkeit — Bürgerinnen und Bürger gestalten die Zukunft Europas“

    (Initiativstellungnahme)

    (2022/C 152/04)

    Berichterstatter:

    Krzysztof PATER

    Beschluss des Plenums

    25.3.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

     

    Initiativstellungnahme

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    24.11.2021

    Verabschiedung im Plenum

    8.12.2021

    Plenartagung Nr.

    565

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    214/3/4

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der EWSA stellt fest, dass sich die politischen Entscheidungsträger in der Debatte über die Zukunft Europas bewusst sein müssen, dass Europas Zukunft nicht nur von Politikern und Institutionen, einschließlich Organisationen der Zivilgesellschaft, gestaltet wird, sondern auch von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern — Freiwilligen, die täglich Zeit und Energie aufbringen und innerhalb und außerhalb zivilgesellschaftlicher Organisationen solidarisch für das Gemeinwohl handeln.

    1.2.

    In der Europäischen Union leisten Millionen von Bürgerinnen und Bürgern Freiwilligenarbeit und engagieren sich aus Solidarität für andere einzeln oder innerhalb organisierter (informeller und formeller) Strukturen. Diese Bewegung braucht sowohl auf Ebene der EU als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten eine systematische und wohlüberlegte Unterstützung, da ihre Auswirkungen auf die soziale Entwicklung bei weitem höher als die potenziellen Kosten sind. Der EWSA bringt den Wunsch zum Ausdruck, dass diese Unterstützung in den kommenden Jahren eine positive qualitative Veränderung erfährt, die den Wert der Freiwilligen für die Zukunft Europas besser widerspiegelt.

    1.3.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Jahr 2025 zum Jahr der Freiwilligen zu erklären. Dies würde dazu beitragen,

    den Millionen von Freiwilligen Anerkennung zu zollen, die vor allem in den letzten Monaten durch ihre Arbeit zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie ihre wichtige soziale Rolle unter Beweis gestellt haben;

    den Gedanken der Freiwilligenarbeit in den Gesellschaften der Mitgliedstaaten weiter zu fördern und damit mehr Menschen zu ermutigen, sich ehrenamtlich zu engagieren, und zu zeigen, dass dies eine inklusive, universelle Tätigkeit ist, an der Menschen aus allen Gruppen und mit unterschiedlichem Hintergrund unabhängig von ihrem Alter und ihrer Stellung in der Gesellschaft beteiligt sind;

    Erfahrungen und Wissen zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten über rechtliche und politische Instrumente zur Unterstützung der Tätigkeiten von Freiwilligen auszutauschen;

    die Europäische Kommission anzuregen, die Programme auszuweiten und neue Programme für Freiwillige aller Altersgruppen einzurichten;

    eine Möglichkeit zur Förderung des Verständnisses von für die Zukunft Europas und seiner Bürger entscheidenden Projekten zu schaffen, zugleich objektive Daten und Fakten zu liefern sowie Falschinformationen und verzerrende Darstellungen zu bekämpfen.

    1.4.

    Freiwilligentätigkeit hat einen realen ökonomischen Wert (in vielen Ländern beläuft sich ihr Anteil am BIP auf über 2 %); in zahlreichen sozialen Bereichen werden Freiwillige gebraucht, um die Grundversorgung der Bürger, auch im Sicherheitsbereich, zu gewährleisten; Freiwillige spielen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und stammen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Nach Ansicht des EWSA ist es daher nicht sinnvoll, die von der EU angebotenen und von ihr finanzierten Unterstützungsprogramme für Freiwillige auf junge Menschen zu beschränken.

    1.5.

    Im Anschluss an eine im Jahr 2013 verabschiedete Stellungnahme (1) fordert der EWSA die Europäische Kommission erneut auf, entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um genaue Regeln zur Erfassung vergleichbarer Daten aller Mitgliedstaaten zur Freiwilligentätigkeit festzulegen, und betont, dass ohne verlässliche Daten in keinem Bereich eine wirksame Politik verfolgt werden kann.

    2.   Der Begriff der „Freiwilligentätigkeit“

    2.1.

    Die EU hat keine offizielle Definition des Begriffs „Freiwilligentätigkeit“, im Allgemeinen wird darunter jedoch jede Art freiwilligen formellen bzw. informellen Engagements verstanden, zu der sich eine Person aufgrund einer eigenen Entscheidung und ohne finanzielle Gewinnabsicht entschließt und die zum Gemeinwohl beiträgt.

    2.2.

    Die Definition der Freiwilligenarbeit, die die Internationale Arbeitsorganisation 2011 in ihrem Manual on the Measurement of Volunteer Work (Handbuch zur Erfassung von Freiwilligenarbeit) veröffentlicht hat, entspricht dem allgemeinen Verständnis von Freiwilligenarbeit. Dieser Definition zufolge wird Freiwilligenarbeit als unbezahlte, nicht-verpflichtende Arbeit (unpaid non-compulsory work) definiert, also als Zeit, die Personen für Leistungen aufwenden, die sie im Rahmen einer Organisation bzw. direkt für andere, nicht in demselben Haushalt lebende Personen erbringen und für die sie kein Entgelt erhalten (2). Die Definition kann für internationale vergleichende Studien zur Erfassung der formellen Freiwilligentätigkeit (häufig beschrieben als indirekte Freiwilligenarbeit) und der informellen Freiwilligentätigkeit (von der IAO als direkte Freiwilligenarbeit (3) bezeichnet) in verschiedenen Kultur- und Rechtssystemen verwendet werden. Der EWSA weist darauf hin, dass mit der Entschließung über Arbeitsstatistiken, Erwerbstätigkeit und die Unterauslastung des Arbeitskräfteangebots (Resolution concerning statistics of work, employment and labour underutilization), die bei der 19. Internationalen Konferenz der Arbeitsstatistiker der IAO im Oktober 2013 verabschiedet wurde (4) (und die eine neue Definition von Arbeit, bei der zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit unterschieden wird, sowie Änderungen bei der Erfassung arbeitsbezogener Daten enthält), die Möglichkeit verbessert werden sollte, Freiwilligentätigkeiten getrennt von anderen Formen unbezahlter Arbeit wie der Betreuung von Menschen im eigenen Haushalt zu erfassen.

    2.3.

    Bei Untersuchungen der Freiwilligentätigkeit wird sehr häufig zwischen formeller und informeller Freiwilligentätigkeit unterschieden. Formelle Freiwilligentätigkeit, zu der Tätigkeiten im Rahmen einer Organisation gehören, leisten Menschen, die sich über organisierte (strukturierte) Gremien wie NGO, Vereine oder öffentliche Institutionen engagieren. Informelle Freiwilligentätigkeit bezieht sich auf unbezahlte Hilfe, die Einzelpersonen für andere Menschen außerhalb ihres eigenen Haushalts oder der engen Familie, aber nicht im Rahmen einer formellen Organisation leisten. Der EWSA bedauert, dass informelle Freiwilligentätigkeit häufig weder von den Personen, die ihre Hilfe anbieten, noch von den Begünstigten ihrer Tätigkeit oder in den Rechtsrahmen einiger EU-Mitgliedstaaten für Freiwilligentätigkeit als solche anerkannt wird. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die Bedeutung von Freiwilligen häufig unterschätzt wird.

    2.4.

    Freiwilligentätigkeit kann zeitweise, in Verbindung mit einem Ereignis oder Katastrophenhilfe, z. B. nach einem Brand oder einer Überschwemmung, stattfinden. Freiwilligentätigkeit kann auch ein eher dauerhaftes Engagement sein. Sie kann in einem eher zwischenmenschlichen Bereich, z. B. im Rahmen von Sozialdiensten, Gesundheit, Bildung, Sport, ausgeübt werden, oder in Verbindung mit Umwelt- oder Infrastrukturprojekten wie Schutz und Wiederherstellung natürlicher Ressourcen oder Pflege öffentlicher Parks stehen. Eine gelegentliche Freiwilligenarbeit ist auch in diesen Bereichen möglich, hier arbeiten jedoch eher regelmäßig tätige Freiwillige.

    2.5.

    Der EWSA betont, dass durch die Rechtsrahmen für die Freiwilligentätigkeit in Europa die Qualität der Tätigkeiten unterstützt und gefördert werden sollte und keine unnötigen Hindernisse für die Freiwilligentätigkeit entstehen sollten. Es muss dafür gesorgt werden, dass Voraussetzungen wie die Versicherung von Freiwilligen, Freiwilligenvereinbarungen und Strafregisterüberprüfungen gegeben sind, wobei Qualität und Zugang die wichtigsten Grundsätze sind.

    2.6.

    In seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2013 stellte der EWSA fest: „Die derzeitige Datenlage zum Thema Freiwilligentätigkeit erlaubt es nicht, die in den Dokumenten der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses geforderten Analysen durchzuführen. Derzeit kann weder eine seriöse Bewertung der wirtschaftlichen Bedeutung der Freiwilligentätigkeit noch ihres Beitrags zur Umsetzung der EU-Politik vorgenommen werden. So ist es nicht möglich, die Gesamtzeit der Freiwilligenarbeit oder ihren monetären Gegenwert zu bestimmen, und dadurch ist auch ihr Umfang gemessen an universellen wirtschaftlichen Indikatoren wie der nationalen Beschäftigung (Zahl der Erwerbstätigen in einer Volkswirtschaft) und am BIP nicht einschätzbar.“ Der EWSA hat ferner vorbereitende Arbeiten gefordert, die auf der Grundlage des Rahmenvorschlags der IAO zur Festlegung genauer Regeln für die Durchführung von Untersuchungen in der EU führen sollten. Der EWSA bedauert, dass seitdem keine Fortschritte bei der Einführung eines gemeinsamen Systems zur Messung des Werts der Freiwilligentätigkeit in Europa erzielt wurden. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission deshalb erneut auf, entschiedene Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen des EWSA zu ergreifen, und betont, dass ohne verlässliche Daten in keinem Bereich wirksame Maßnahmen ergriffen werden können.

    2.6.1.

    Der EWSA unterstreicht, dass eine bessere Datenerfassung von umfassendem Nutzen wäre, die über das BIP und den wirtschaftlichen Wert hinausgeht und bei der beispielsweise auch die von den Freiwilligen aufgewendete Zeit, ihr Alter, Geschlecht, die Tätigkeitsbereiche und der allgemeine Nutzen für die Gesellschaft ebenso wie Indikatoren für Gesundheit und Wohlergehen, Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt breiter berücksichtigt werden.

    2.6.2.

    Lediglich einige wenige nationale Statistikinstitute haben Untersuchungen zur Freiwilligenarbeit auf der Grundlage der IAO-Methodik eingeleitet und durchgeführt. Polen ist das einzige Land, dessen nationales Statistikinstitut bereits zweimal, 2011 und 2016, derartige Untersuchungen durchgeführt hat und eine weitere Studie für Anfang 2022 plant. In der Studie aus dem Jahr 2011 wurde der Wert der Freiwilligenarbeit auf etwa 2,8 % des BIP (5), in der Studie von 2016 auf etwa 1,2 % des BIP (6) beziffert. Der große Unterschied ist auf Änderungen bei der Methodik zurückzuführen. Dazu gehörte unter anderem, dass die Fragen im Jahr 2011 eine Freiwilligentätigkeit einschlossen, die der Befragte zugunsten von Familienmitgliedern ausübt, die jedoch in einem anderen Haushalt leben, während dies im Jahr 2016 nicht berücksichtigt wurde. Ein weiterer Unterschied bestand darin, dass die Fragen 2011 die Tätigkeit während des gesamten Jahres 2010 betrafen, wohingegen 2016 lediglich Freiwilligentätigkeiten berücksichtigt wurden, die im Zeitraum von vier Wochen im ersten Quartal unmittelbar vor der Erhebung ausgeübt wurden. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass ohne die Entwicklung einer gemeinsamen, von Eurostat festgelegten Methodik auf EU-Ebene keine vergleichbaren Daten gewonnen werden können.

    2.7.

    Freiwilligenarbeit hat als eine der sichtbarsten Ausdrucksformen von Solidarität einen Wert für Einzelpersonen, Gemeinschaften, die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesellschaft allgemein. Sie fördert und erleichtert die soziale Inklusion, trägt zum Aufbau von sozialem Kapital bei und hat eine transformative Wirkung auf die Gesellschaft. Durch die Entwicklung einer prosperierenden Zivilgesellschaft mit engagierten Freiwilligen können kreative und innovative Lösungen für gemeinsame Herausforderungen entstehen. Freiwilligentätigkeit trägt zum Wirtschaftswachstum bei und sollte deshalb im Hinblick auf das wirtschaftliche und soziale Kapital besonders und gezielt erfasst werden. Sie spielt auch zunehmend eine Rolle beim Umweltschutz und ist eine wichtige Quelle des Lernens für viele Freiwillige. In diesem Sinne sollte das unmittelbare Ziel staatlicher Maßnahmen zwar die Unterstützung von Freiwilligen sein, dabei muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Freiwilligentätigkeit eine unterstützende Infrastruktur mit ausreichenden und angemessenen Finanzmitteln beispielsweise zur Deckung von Schulungs- und Versicherungskosten benötigt.

    3.   Freiwilligentätigkeit auf EU-Ebene

    3.1.

    Der EWSA bedauert, dass die Freiwilligentätigkeit nach dem Ende des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011 nach und nach von der europäischen Agenda verschwunden ist. In offiziellen Dokumenten tauchte sie nur sporadisch auf — so im Zusammenhang mit der Einrichtung des Europäischen Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe und des Europäischen Solidaritätskorps sowie als Schwerpunktthema des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“.

    3.2.

    Der EWSA unterstreicht, dass in den Mitgliedstaaten nur wenige Untersuchungen zur Freiwilligentätigkeit durchgeführt wurden. Dabei wurden verschiedene Aspekte der Freiwilligentätigkeit (beispielsweise der Umfang der Teilnahme an Freiwilligentätigkeit, das demografische Profil der beteiligten Personen und ihre Motivation) beleuchtet. Aufgrund der mangelnden Kohärenz der methodischen Ansätze, so auch bei der Definition von Freiwilligentätigkeit, und der unterschiedlichen Forschungsdaten, können diese Forschungsarbeiten nicht für eine EU-weite Analyse genutzt werden. Der 2010 vom Beratungsunternehmen GHK (7) im Auftrag der Europäischen Kommission erstellte Bericht ist trotz der eingeschränkten Vergleichbarkeit der Daten nach wie vor die aktuellste Quelle für umfassende und wichtige Daten.

    3.2.1.

    Der Bericht der GHK zeigte, dass 22 bis 23 % der europäischen Bürgerinnen und Bürger über 15 Jahre eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, die als Tätigkeit definiert wird, die aus freiem Willen hauptsächlich innerhalb einer nichtstaatlichen, gemeinnützigen Organisation wahrgenommen wird.

    3.2.2.

    Gleichzeitig wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse aufgrund der unterschiedlichen Methoden häufig um 30 bis 40 Prozentpunkte voneinander abweichen können.

    3.3.

    Das Ad-hoc-Modul Social/cultural participation and material deprivation (8) (Soziale und kulturelle Beteiligung und materielle Deprivation), das 2015 in die jährliche Eurostat-Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen aufgenommen wurde, enthielt einige Fragen zur Freiwilligentätigkeit. Ausgehend von den Daten dieser Erhebung wird geschätzt, dass etwa 18,9 % der EU-Bürger eine formelle und etwa 22,5 % eine informelle Freiwilligentätigkeit ausübten, die Beteiligung der EU-Bürger entspricht damit ungefähr den im GHK-Bericht enthaltenen Zahlen.

    3.4.

    Die im April 2015 veröffentlichte Flash-Eurobarometer-Umfrage „Europäische Jugend“ (9) enthält die jüngsten verfügbaren Daten zur Tätigkeit junger Europäer im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Der EWSA stellt fest, dass die Ähnlichkeiten zwischen den Daten zu jungen Menschen in dieser Studie und den Daten zu allen erwachsenen EU-Bürgern aus anderen Studien deutlich zeigen, dass alle Altersgruppen in gleichem Umfang Freiwilligenarbeit leisten.

    3.4.1.

    Der Erhebung „Europäische Jugend“ zufolge waren 25 % der jungen Menschen in der EU in den vergangenen 12 Monaten an einer organisierten Freiwilligentätigkeit beteiligt, bei diesem Anteil bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern (zwischen 10 und 42 %).

    3.4.2.

    In derselben Erhebung wird auch festgestellt, dass es bei der Freiwilligentätigkeit junger Menschen zwei Schwerpunktbereiche gibt: Wohltätigkeit, humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe (44 %) sowie Bildung, Berufsbildung und Sport (40 %). Dies sind auch die häufigsten Bereiche für Freiwilligentätigkeiten junger Menschen in allen Mitgliedstaaten.

    3.4.3.

    93 % der Befragten gaben an, nie im Ausland eine Freiwilligentätigkeit ausgeübt zu haben.

    3.4.4.

    Das neue Europäische Solidaritätskorps, zu dem nun auch die Freiwilligentätigkeit im Bereich der humanitären Hilfe gehört (die zuvor vom Europäischen Freiwilligenkorps abgedeckt wurde), dürfte eine ausreichende Stärke und Reichweite haben, um mehr Freiwilligentätigkeiten junger Menschen, insbesondere in anderen Ländern, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Programms zu ermöglichen. Zur Verwirklichung dieses Ziels sollten die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Ferner sollte die Möglichkeit geprüft werden, das Programm auszuweiten, um die Beteiligung an Freiwilligentätigkeiten von Menschen über 30 Jahren zu unterstützen; alternativ sollten zusätzliche EU-Mittel für die Entwicklung eines Parallelprogramms ohne Altersbegrenzung vorgesehen werden.

    3.5.

    Im Januar 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission ihr „Grünbuch zum Thema Altern“, in dem hervorgehoben wurde, dass ein Großteil älterer Menschen weiterhin einen aktiven und wertvollen Beitrag zur Gesellschaft und zur Wirtschaft leistet, 20 % der 65- bis 74-Jährigen an formalen Freiwilligentätigkeiten teilnehmen und Personen im Alter von über 75 Jahren ebenfalls weiter aktiv sind, wenn ihr Gesundheitszustand dies zulässt.

    3.6.

    Im September 2020 veröffentlichte der Rat der Europäischen Union Schlussfolgerungen zum Thema „Menschenrechte, Teilhabe und Wohlergehen älterer Menschen im Zeitalter der Digitalisierung“ (10), in denen er unter anderem die Kommission dazu auffordert, die Einrichtung einer digitalen Plattform für „Teilhabe und Freiwilligenarbeit im Anschluss an das Erwerbsleben“ zu erwägen.

    3.6.1.

    Diese Plattform könnte Informationen für ältere Menschen zur Aufnahme einer Freiwilligentätigkeit im Ausland bereitstellen. Darüber hinaus könnte die Plattform örtliche Behörden und andere Akteure darüber informieren, wie ältere Menschen in Freiwilligenarbeit eingebunden werden können, und Personen, die nach geeigneten Möglichkeiten der Freiwilligenarbeit für ältere Menschen in ganz Europa suchen, Orientierungshilfen und Informationen zur Verfügung stellen.

    3.6.2.

    Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Einrichtung einer solchen Plattform, in die bestehende Plattformen einbezogen werden und mit der Doppelarbeit vermieden wird. Er unterstreicht, dass die Freiwilligentätigkeit älterer Menschen, die es ihnen ermöglicht, auch nach der Erwerbstätigkeit aktiv zu bleiben, eine wichtige Rolle spielt. Dies gilt sowohl für diejenigen, die durch ihre Tätigkeiten unterstützt werden, als auch für die Freiwilligen selbst, da sich die Freiwilligentätigkeit äußerst positiv auf ihr geistiges und körperliches Wohlbefinden auswirkt.

    3.6.3.

    Der EWSA weist darauf hin, dass das Europäische Solidaritätskorps für junge Menschen und die vorgeschlagene Plattform zur Unterstützung älterer Freiwilliger die Grundlage für eine umfassendere und übergreifende europäische Freiwilligenpolitik bilden sollten, mit der Solidarität und Verantwortung für und unter Menschen allen Alters gefördert wird, die sich auf der Grundlage von Solidarität und europäischen Werten freiwillig für die Zukunft Europas engagieren.

    3.6.4.

    Der EWSA empfiehlt, dass diese Plattform schrittweise auf Freiwillige einer breiteren Altersgruppe ausgeweitet wird und größere Anstrengungen zum Abbau von Hindernissen bei der grenzüberschreitenden Freiwilligentätigkeit unternommen werden, zu denen der Verlust des Anspruchs auf staatliche Leistungen und Unterstützungssysteme, das Aufenthaltsrecht und damit verbundene Bestimmungen, z. B. für den Zugang zu Mobiltelefon- und Internetverträgen, gehören.

    3.7.

    Viele Freiwillige in ganz Europa engagieren sich in Bereichen, die im Einklang mit langjährigen EU-Projekten der Europäischen Kommission stehen (und die von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Europas sind, z. B. Impfung, Digitalisierung, Klimafragen, Finanzreformen, Nukleardebatte, Arbeitsmarktreformen usw.). Da die Bürgerinnen und Bürger ein sachliches und unparteiisches Verständnis der wichtigsten Vorschläge der EU-Institutionen benötigen, bevor sie sie unterstützen können, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, die Tätigkeiten von Freiwilligen aktiv zu unterstützen, die dazu beitragen können, die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für wichtige EU-Projekte zu gewinnen, indem sie unter anderem das Risiko von Falschinformationen und verzerrenden Darstellungen verringern.

    3.8.

    Die zunehmende Finanzierung von Projekten in Form von Pauschalsätzen und Festbeträgen sollte es ermöglichen, dass der Beitrag von Freiwilligen als Kofinanzierung bei EU-Finanzhilfen anerkannt wird. In der Praxis funktioniert dies jedoch nicht gut, da die Zeit, die Freiwillige einbringen, in der Regel nicht in der Buchführung der Organisationen ausgewiesen werden kann. Darüber hinaus verlangen viele Agenturen, die EU-Finanzhilfen verwalten, dass Zahlungsbelege über die volle Höhe der Pauschalsätze und Festbeträge vorgelegt werden, was der Idee und dem Geist des Förderansatzes als Berechnungsmethode widerspricht. Der EWSA wiederholt seine diesbezüglichen Forderungen, die er in den 2006 (11) und 2013 (12) verabschiedeten Stellungnahmen erhoben hat, und bedauert, dass diese bislang noch nicht vollständig berücksichtigt wurden. Er weist darauf hin, dass es bei den Förderprogrammen des Europarates eine Regelung gibt, nach der die Zeit der Freiwilligentätigkeit als Kofinanzierung für die Finanzhilfen angerechnet wird.

    3.9.

    Der EWSA unterstützt nachdrücklich den Wettbewerb „Europäische Freiwilligenhauptstadt“ (13), den das Zentrum für europäische Freiwilligentätigkeit 2013 als Teil des Vermächtnisses des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011 ins Leben gerufen hat und bei dem lokale Maßnahmen und Verfahrensweisen im Bereich der Freiwilligentätigkeit mit dem europäischen Kontext und europäischen Werten und Strategierahmen verknüpft werden. Der EWSA fordert, dass die Initiative von allen EU-Institutionen gefördert und unterstützt wird, wobei ein besonderer Schwerpunkt auch auf der subnationalen Ebene liegen sollte, um die Bürgern den Entscheidungsträgern der EU näherzubringen und zu zeigen, wie die EU-Ebene solidarische Tätigkeiten und aktive Bürger unterstützt, die zur Zukunft Europas beitragen, unterstützt. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Verbreitung guter Beispiele für politische Maßnahmen zur Förderung der Freiwilligentätigkeit auf lokaler Ebene aktiv zu unterstützen und dabei insbesondere Beispiele aus Gemeinden zu nutzen, die Kandidaten und Gewinner des Wettbewerbs „Europäische Freiwilligenhauptstadt“ waren.

    4.   Trends bei der Freiwilligentätigkeit

    4.1.

    Der EWSA weist darauf hin, dass sich die derzeitigen demografischen Veränderungen in den kommenden Jahren auf die Tätigkeit von Freiwilligen auswirken werden.

    4.1.1.

    Europas Bevölkerung altert und die Geburtenraten sinken. Dies bedeutet, dass es mehr qualifizierte Freiwillige gibt, die für einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen, aber auch mehr ältere Menschen, die Unterstützung von Freiwilligen brauchen, weil sie länger leben. Aufgrund der sinkenden Geburtenraten wird es jedoch möglicherweise keine jungen Menschen mehr geben, die Freiwilligenarbeit leisten, und es werden mehr Peer-to-Peer-Projekte für erwachsene und ältere Freiwillige gebraucht.

    4.1.2.

    Europa hat eine zunehmend vielfältige und sich verändernde Bevölkerung, und es muss mehr getan werden, um die soziale Inklusion sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten können dies nicht allein mit öffentlichen Geldern finanzieren; doch auch, wenn die Mittel verfügbar wären, geht es hier nicht nur um Geld. Für eine wirkliche Inklusion wird ein humanerer und stärker solidaritätsbasierter Ansatz benötigt. Dafür werden Freiwillige gebraucht, die aus Solidarität zueinander handeln. Es sind größere Anstrengungen nötig, um Einsamkeit zu bekämpfen und Unterstützung durch Sozialdienste zu leisten, wenn die Familien immer weiter über die Länder und den Kontinent verstreut sind. Der EWSA ist der Ansicht, dass sich die öffentlichen Stellen auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene darauf einstellen sollten und dass in diesem Zusammenhang günstige Bedingungen für die Ausweitung von Freiwilligentätigkeiten geschaffen werden müssen.

    4.1.3.

    Die Mitgliedstaaten nehmen weniger Steuern ein, die öffentlichen Haushalte wurden gekürzt, gleichzeitig gibt es jedoch eine stärkere Nachfrage nach Dienstleistungen. Größere Ungleichheit und Armut führen zu größerer Bedürftigkeit in der Bevölkerung; dem steht jedoch eine Kürzung der Mittel für zivilgesellschaftliche Organisationen gegenüber, die mit Unterstützung von Freiwilligen viel zur Verbesserung der Situation einzelner Bürger und Familien beitragen könnten. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass hier ein ausgewogeneres Verhältnis erreicht werden muss.

    4.2.

    Er unterstreicht, dass die derzeitigen Veränderungen des Lebensstils und der Art von Tätigkeiten, die soziale Anerkennung einbringen, oder die Notwendigkeit, neue Kompetenzen zu erwerben, die für jüngere Generationen beruflich nutzbringend sein können, zu einer Diskrepanz zwischen dem Interesse der Bürger an Freiwilligentätigkeit und den tatsächlichen Möglichkeiten der Freiwilligenarbeit führen können und dass der Umfang der Freiwilligentätigkeit daher abnehmen kann, obwohl ein großes Angebot und eine starke Nachfrage bestehen. Dieses Phänomen muss ständig beobachtet werden, damit die öffentliche Politik rechtzeitig angepasst werden kann.

    4.3.

    Allgemein ist eine Verlagerung von traditioneller, regelmäßiger, langfristiger Freiwilligentätigkeit auf der Grundlage geplanter und langfristiger Verpflichtungen hin zu vorübergehender Freiwilligentätigkeit zu beobachten. Viele Freiwillige sind bereit, eine zeitweilige Tätigkeit, selbst für ein einmaliges Ereignis, zu übernehmen, wollen jedoch keine längerfristigen persönlichen Verpflichtungen eingehen. Dieser Trend kommt in der Zunahme des „Freiwilligentourismus“ zum Ausdruck, bei dem Menschen zum Zweck der Freiwilligenarbeit reisen oder Freiwilligentätigkeiten während eines Urlaubs übernehmen. Es muss genau darauf geachtet werden, dass bei dieser Art der Freiwilligentätigkeit ein echter gesellschaftlicher Nutzen im Mittelpunkt steht. Wird durch Freiwilligentätigkeit mehr Schaden als Nutzen bewirkt, zum Beispiel in Einrichtungen mit Kindern oder anderen schutzbedürftigen Personen (wie Waisenhäusern), sollte sie untersagt werden.

    4.4.

    Ein weiterer Trend, der in den letzten Jahren zu beobachten ist, ist die Entstehung von Vermittlungsstellen wie karitativen oder Bildungseinrichtungen, religiösen Vereinigungen, Freiwilligenorganisationen für Familien, lokalen Freiwilligenzentren oder die Freiwilligentätigkeit von Arbeitnehmern (betriebliche Freiwilligenarbeit). Diese Stellen helfen Freiwilligen dabei, eine Tätigkeit zu finden, und suchen Organisationen, die Freiwillige direkt vermitteln. Dabei werden Personen unterstützt, die nach einer Möglichkeit für die Aufnahme einer Freiwilligentätigkeit suchen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich die Arbeit dieser Vermittlungsstellen nachteilig darauf auswirkt, wie Freiwilligentätigkeit in der Gesellschaft wahrgenommen wird — vor allem, wenn diese Tätigkeiten kommerziell betrieben werden.

    4.5.

    Fortschritte bei den Online-Kapazitäten und den sozialen Medien ermöglichen es den Bürgern, sich leichter selbst um eine Freiwilligentätigkeit auf Ad-hoc-Basis zu kümmern. Dadurch werden alle Arten von Freiwilligentätigkeiten für die Bürger auch direkter zugänglich; Angebot und Nachfrage werden dabei über Online-Plattformen aufeinander abgestimmt. Die rasche Zunahme neuer Technologien hat zur Verbreitung neuer Formen von Freiwilligentätigkeit, wie Online-Freiwilligenarbeit, geführt, die nicht von bestimmten Zeiten und Orten abhängig sind und überall da übernommen werden können, wo die Freiwilligen Zugang zum Internet und ein Gerät zur Herstellung der Verbindung haben.

    4.5.1.

    Nach Ansicht des EWSA muss jedoch dafür gesorgt werden dass Personen, die keinen Internetzugang haben, nicht von Freiwilligentätigkeiten ausgeschlossen werden.

    4.5.2.

    Der EWSA betont, dass die Rechtsrahmen für die Freiwilligentätigkeit in den Mitgliedstaaten an diese Veränderung angepasst sein müssen und dass, beispielsweise im Hinblick auf den Datenschutz, sichergestellt sein muss, dass schutzbedürftige Personen weiterhin geschützt sind und Freiwillige angemessen ausgebildet werden, auch wenn sie ihre Freiwilligentätigkeit in informeller Form und ad hoc ausüben. Die Entscheidungsträger sollten sich darüber im Klaren sein, dass Organisationen, die Unterstützung und Infrastrukturen für Freiwilligentätigkeiten bieten, auch dann Finanzmittel benötigen, wenn die Menschen sich über das Internet selbst organisieren können.

    4.6.

    Nach Ansicht des EWSA muss im Rahmen der Freiwilligentätigkeit von Arbeitnehmern eine stärkere übergreifende Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern bestehen. Um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen, sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, die in den Bereichen und/oder bei den Anliegen, die sie unterstützen wollen, über Fachwissen verfügen, und nicht versuchen, Freiwilligenprogramme direkt selbst durchzuführen.

    4.7.

    Der EWSA stellt fest, dass der „Freiwilligentourismus“ in Europa ein wachsender Wirtschaftszweig ist und reguliert werden sollte, um die Integrität der Freiwilligentätigkeit, potenzielle Freiwillige und lokale Gemeinschaften zu schützen.

    4.8.

    54 % der jungen Menschen, die in einer Eurobarometer-Umfrage (14) befragt wurden, gaben an, ihnen seien im Rahmen ihrer Freiwilligentätigkeit keine Kosten entstanden, wohingegen 28 % erklärten, es seien Kosten angefallen, sie hätten aber keine Zuschüsse erhalten, und 16 %, ihnen seien Kosten entstanden, sie hätten jedoch Zuschüsse zu den Kosten erhalten. Diese Daten müssen von den Begünstigten oder Koordinatoren von Freiwilligenarbeit berücksichtigt werden, damit die Kosten nicht zu einem Hindernis für die Teilnahme junger Menschen werden. Der EWSA unterstreicht, dass den Freiwilligen selbst geringe Kosten erstattet werden müssen, und erwartet von den nationalen und lokalen Behörden in den Mitgliedstaaten, diesen Ansatz zu fördern und zu unterstützen, ohne dass dies nachteilige steuerliche Folgen für die Freiwilligen oder die betroffenen Organisationen hat.

    4.9.

    In Europa bestehen Unterschiede zwischen den Rechtsrahmen sowie den rechtlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen für Freiwillige und ihre Begünstigten. Der EWSA betont, dass Schritte eingeleitet werden müssen, um die Regelungen im Hinblick auf die Sicherheit und den Nutzen aller zu optimieren. In allen Ländern sollte eine Haftpflichtversicherung für Freiwillige angeboten werden, und es sollte eine Unterstützung durch den Staat und/oder eine Stiftung zur Deckung der Kosten vorgesehen werden. Strafregisterauszüge für Freiwillige, die mit Kindern oder schutzbedürftigen Personen arbeiten, sollten in allen Mitgliedstaaten vorgeschrieben und für alle potenziellen Freiwilligen leicht und kostengünstig zu beschaffen sein. Der EWSA ruft alle Mitgliedstaaten auf, dies umzusetzen, und fordert die Europäische Kommission dringend auf, bewährte Verfahrensweisen in diesem Bereich bekannt zu machen. Damit wird auch die grenzübergreifende Freiwilligenarbeit gefördert.

    4.10.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass Menschen, die in jungem Alter eine Freiwilligentätigkeit aufnehmen, mit größerer Wahrscheinlichkeit zu sozial integrierten und engagierten Erwachsenen werden, die ihren Beitrag zur Zukunft Europas leisten. Initiativen wie Lernen durch Engagement (Service Learning) in Schulen und Freiwilligentätigkeiten innerhalb der Familie sollten gefördert werden. Gegebenenfalls sollten rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Freiwilligentätigkeiten auch für jüngere Menschen und Kinder möglich zu machen. Jugendorganisationen spielen dabei eine wichtige Rolle und sollten deshalb eine angemessene und ausreichende Unterstützung staatlicher Stellen erhalten.

    5.   Die Rolle von Freiwilligen in der Gemeinschaft

    5.1.

    Freiwillige schaffen zweifellos wesentliche wirtschaftliche, ökologische und soziale Werte. In gemeinnützigen Organisationen sind Freiwillige eine der wichtigsten Ressourcen und zur wirksamen Erfüllung der Aufgaben dieser Organisationen häufig unverzichtbar. Sie werden von der Außenwelt häufig als Vertreter für die Tätigkeit dieser Organisationen wahrgenommen. Für viele und vor allem für junge Menschen ist die Freiwilligentätigkeit etwas Besonderes. Es ist häufig die erste Tätigkeit, die es ihnen ermöglicht, einen wirklichen gesellschaftlichen Bedarf zu decken und rasch die Folgen ihres Handelns als engagierte Bürger zu erkennen, wodurch sich das Risiko der sozialen Ausgrenzung deutlich verringert.

    5.2.

    In vielen Fällen wird es für die Bürger rechtlich schwieriger, sich zu Themen von gemeinsamem Interesse zu organisieren; es wird damit auch schwieriger, Menschen als Freiwillige zu gewinnen, die einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, ohne einen persönlichen Vorteil anzustreben. Die Vereinigungsfreiheit sowie die öffentliche Finanzierung und Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft sollten sichergestellt werden. Der EWSA unterstreicht, dass die öffentliche Finanzierung von Organisationen der Zivilgesellschaft nicht nur einen großen Beitrag zu deren Funktion und Rolle in der Gesellschaft, sondern auch zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit und Fähigkeit leistet, interne demokratische Prozesse sicherzustellen, damit die Forderungen ihrer Mitglieder anerkannt und ohne Einmischung von Außen vertreten werden können.

    5.2.1.

    Eine gut funktionierende Zivilgesellschaft ist ein Zeichen für eine gesunde Demokratie und trägt erheblich zu Lebensqualität, Frieden und Stabilität bei. Eine partizipatorische Demokratie ist eine Ergänzung und keine Bedrohung der repräsentativen Demokratie.

    5.2.2.

    Im Falle von Organisationen, die ehrenamtliche Tätigkeiten koordinieren, ermöglicht die öffentliche Finanzierung durch einen besonderen Hebelmechanismus einen weitaus größeren Nutzen für die Gesellschaft, der einen echten wirtschaftlichen Wert hat.

    5.3.

    Die Menschen in Europa übernehmen heute zunehmend kurzfristige und häufig mit einem klaren persönlichen Nutzen verbundene Freiwilligentätigkeiten, z. B. Freiwilligenarbeit bei einem Festival oder Konzert, statt eine langfristige Verpflichtung einzugehen, um einen bestehenden gesellschaftlichen Bedarf zu decken. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass Entscheidungsträger mehr tun, um den Nutzen von Freiwilligenarbeit als soziales Kapital und nicht nur als persönliche Chance oder ein Mittel zur Einsparung von Personalkosten herauszustellen. Staatliche Stellen müssen Freiwilligen und den sie unterstützenden Organisationen dabei helfen, ihren Wert und ihre Wirkung besser deutlich zu machen, um weiterhin Freiwillige zu gewinnen, da die Bürger eine immer größere Auswahl an Freizeitaktivitäten haben.

    5.4.

    Während der COVID-19-Pandemie konnten viele Entscheidungsträger und normale Bürgerinnen und Bürger das besondere Potenzial und die tatsächliche Wirkung von Freiwilligenarbeit sehen — sowohl bei strukturierten Tätigkeiten, die von einer öffentlichen Einrichtung oder Organisation koordiniert wurden, als auch bei individuellen Ad-hoc-Tätigkeiten, die spontan aufgrund des Wunsches, zu helfen, übernommen wurden. Der EWSA hat den Hunderttausenden von Freiwilligen in ganz Europa, die 2020 durch die Pandemie in Not geratenen Menschen geholfen haben, seine Anerkennung gezollt, indem er seinen Preis der zivilgesellschaftlichen Solidarität (15) an Organisationen und Einzelpersonen verliehen hat, die Freiwilligentätigkeiten in Verbindung mit den Folgen von COVID-19 übernommen haben.

    5.5.

    Für Beschäftigte mit weniger regelmäßigen Arbeitszeiten und einem weniger stabilen Arbeitsleben ist es schwieriger, sich langfristig für Freiwilligenarbeit zu engagieren. Beispielsweise empfinden es Beschäftigte im Einzelhandel, denen lediglich 24 Stunden im Voraus mitgeteilt wird, ob sie arbeiten müssen, als äußerst schwierig, eine Freiwilligentätigkeit zu übernehmen. Dies gilt z. B. auch für viele Beschäftigte, die auf Abruf arbeiten. Der EWSA weist darauf hin, dass Freiwilligenorganisationen durch Know-how und bewährte Verfahrensweisen beim Aufbau zusätzlicher Kapazitäten unterstützt werden müssen, damit sie mit der sich verändernden Verfügbarkeit potenzieller Freiwilliger umgehen und neue Möglichkeiten für das Management von Freiwilligen entwickeln können.

    5.6.

    Soziale Medikation (Social Prescribing(16) ist eine Möglichkeit, gesundheitliche Probleme ohne oder zusätzlich zur Verschreibung von Arzneimitteln zu behandeln. Freiwilligentätigkeiten sind zu einem wirksamen und zunehmend beliebten Teil von Systemen der sozialen Medikation geworden. Untersuchungen zeigen, dass Freiwilligenarbeit eine positive Wirkung auf die geistige Gesundheit hat und die Teilnahme an Freiwilligentätigkeiten im Rahmen von sozialer Medikation nutzbringend ist. Nach Ansicht des EWSA sollte Freiwilligenarbeit als eine Maßnahme der sozialen Medikation in Europa im Rahmen der Erholung von COVID-19 breiter eingesetzt werden, und ihre Folgen sollten genau überwacht werden. Es sollte sichergestellt werden, dass Organisationen, die Freiwilligentätigkeiten im Rahmen der sozialen Medikation anbieten, ethische Grundsätze einhalten und Qualitätsrichtlinien für wirksame, bedarfsorientierte, einen Mehrwert schaffende und auf Freiwilligkeit basierende Maßnahmen befolgen.

    5.7.

    Angesichts der positiven Wirkung des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011, der dringenden Notwendigkeit, einen rechtlichen und sozialen Rahmen für die Entwicklung der Freiwilligentätigkeit zu schaffen, und der erheblichen Veränderungen beim Verhalten von Freiwilligen und potenziellen Freiwilligen fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Jahr 2025 zum Europäischen Jahr der Freiwilligen zu erklären.

    5.7.1.

    Ein Europäisches Jahr der Freiwilligen wäre eine angemessene Würdigung der Anstrengungen und des Wirkens aller Freiwilligen während der COVID-19-Krise und würde deren Wirkung und Bedeutung für die Erholung und die Zukunft eines auf Solidarität, Respekt, Gleichheit und gemeinsamen Werten beruhenden Europas deutlich machen.

    5.7.2.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass das von der Europäischen Kommission koordinierte Maßnahmenpaket den Mitgliedstaaten einen Anstoß geben würde, die Freiwilligentätigkeit unter Berücksichtigung der Vorschläge des EWSA umfassend zu unterstützen, und dass die Frage der Freiwilligentätigkeit ein ständiger und nicht nur ein zeitweiliger Bestandteil der europäischen Politik sein wird.

    Brüssel, den 8. Dezember 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  ECO/343 — Statistische Erfassung von Freiwilligentätigkeit (ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 11).

    (2)  https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---stat/documents/publication/wcms_162119.pdf

    (3)  Indicator Description: Volunteer Work. ILO (Beschreibung des Indikators: Freiwilligenarbeit — IAO).

    (4)  ILO International Conference of Labour Statisticians Resolution (Entschließung der Internationalen Konferenz der Arbeitsstatistiker der IAO).

    (5)  Polnische Statistiken zu Freiwilligenarbeit 2011.

    (6)  Polnische Statistiken zu Freiwilligenarbeit 2016.

    (7)  Bericht der Firma GHK zur Freiwilligentätigkeit in der Europäischen Union, GHK 2010.

    (8)  2015 EU-SILC Module on Social/Culture Participation and Material Deprivation (EU-SILC-Modul 2015 zur sozialen/kulturellen Beteiligung und materieller Deprivation).

    (9)  Flash Eurobarometer 408 — Europäische Jugend.

    (10)  Schlussfolgerungen des Rates, 9. Oktober 2020.

    (11)  SOC/243 — Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen (ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 46).

    (12)  ECO/343 — Statistische Erfassung von Freiwilligentätigkeit (ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 11).

    (13)  European Volunteering Capital — CEV.

    (14)  Flash Eurobarometer 408 — Europäische Jugend.

    (15)  EWSA-Preis der zivilgesellschaftlichen Solidarität.

    (16)  The Healing Power of Social Prescribing und Policy Statement on Volunteering & Social Prescribing — CEV 2019.


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