Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52016AE4474

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue europäische Agenda für Kompetenzen — Humankapital, Beschäftigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam stärken“ (COM(2016) 381 final), „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Einführung einer Kompetenzgarantie“ (COM(2016) 382 final — 2016/0179 (NLE)), „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über den Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen und zur Aufhebung der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ (COM(2016) 383 final — 2016/0180 (NLE)), „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rahmen für die Bereitstellung besserer Dienste für Kompetenzen und Qualifikationen (Europass) und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2241/2004/EG“ (COM(2016) 625 final — 2016/0304 (COD)), „Verbesserung der Qualifikationen von Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt“ (Sondierungsstellungnahme (maltesischer Ratsvorsitz))

ABl. C 173 vom 31.5.2017, p. 45–54 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue europäische Agenda für Kompetenzen — Humankapital, Beschäftigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam stärken“

(COM(2016) 381 final),

„Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Einführung einer Kompetenzgarantie“

(COM(2016) 382 final — 2016/0179 (NLE)),

„Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über den Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen und zur Aufhebung der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“

(COM(2016) 383 final — 2016/0180 (NLE)),

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rahmen für die Bereitstellung besserer Dienste für Kompetenzen und Qualifikationen (Europass) und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2241/2004/EG“

(COM(2016) 625 final — 2016/0304 (COD)),

„Verbesserung der Qualifikationen von Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt“

(Sondierungsstellungnahme (maltesischer Ratsvorsitz))

(2017/C 173/09)

Berichterstatterin:

Indrė VAREIKYTĖ

Mitberichterstatterin:

Tatjana BABRAUSKIENĖ

Befassung

Europäisches Parlament, 6.10.2016

Europäische Kommission, 17.2.2017

Rat der Europäischen Union, 21.10.2016

Maltesischer EU-Ratsvorsitz, 16.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

196/0/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene neue europäische Agenda für Kompetenzen und sieht in ihr einen positiven Schritt auf dem Weg zu mehr Ausgewogenheit zwischen dem Kompetenzbedarf des Einzelnen, des Arbeitsmarkts und der Gesellschaft. Außerdem dürfte nach Ansicht des EWSA eine bessere Abstimmung von Kompetenzbedarf und -nachfrage kompetenten Fachkräften den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern.

1.2.

Nachvollziehbarerweise liegt der Schwerpunkt der neuen Agenda und ihrer Maßnahmen auf der Lösung der aktuellen Probleme hauptsächlich durch Änderungen bestehender Instrumente und Maßnahmen, um ihre Anwendung und Wirkungsweise zu verbessern. Jedoch besteht die Notwendigkeit, innovativere Lösungen in den Bereichen Bildung und Kompetenzentwicklung einzuführen, da Europa einen echten Paradigmenwechsel in Bezug auf die Ziele und das Funktionieren des Bildungssektors und das Verständnis seiner Stellung und Rolle in der Gesellschaft benötigt.

1.3.

Der EWSA betont, dass die Erhöhung der Erwerbsquote und die Deckung des Bedarfs sich wandelnder, unsicherer und komplexer Arbeitsmärkte sowie die Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Diskriminierung in der EU nur richtig angegangen werden können, wenn auch die damit verbundenen sozialen und geschlechtsspezifischen Aspekte berücksichtigt werden.

1.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf, eine umfassendere Perspektive für das Funktionieren und Ineinandergreifen der Bildungs- und Berufsbildungs-, Arbeits- und Sozialsysteme insgesamt und ihrer individuellen Maßnahmen vorzulegen, insbesondere im Hinblick auf Fragen im Zusammenhang mit höheren Bildungsebenen, der Rolle des lebenslange Lernens, grenzüberschreitender Mobilität, unternehmerischem Denken, Kreativität, Innovation und sozialen und interkulturellen Kompetenzen.

1.5.

Ferner würde sich der EWSA deutlichere Verbindungen der neuen Agenda zum Europäischen Semester und zu der Strategie Europa 2020 — insbesondere in Bezug auf ihre bildungs- und beschäftigungspolitischen Ziele — wünschen; auch sollte die Rolle der neuen Agenda für Kompetenzen bezüglich der Agenda 2030, der Strategie für den digitalen Binnenmarkt, der Strategie für die Kreislaufwirtschaft, des Strategischen Engagements für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019, der europäischen Säule sozialer Rechte und der Nachhaltigkeitszielen eingeordnet werden.

1.6.

Der EWSA bedauert, dass in der neuen Agenda spezifische Maßnahmen bezüglich der zentralen Rolle des nichtformalen und informellen Lernens bei der Vorbereitung junger Menschen auf das Leben vernachlässigt werden. Daneben wird unternehmerische Kompetenz im weiteren Sinne (d. h. als Unternehmungsgeist) in der neuen Agenda nicht als Lebenskompetenz herausgestellt, die jedem Einzelnen zugutekommt. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission ferner besonderes Augenmerk auf den speziellen Kompetenzbedarf der freien Berufe richten (1).

1.7.

Für den EWSA ist das Fehlen eines Finanzierungsplans für die Durchführung der neuen Agenda nicht hinnehmbar und er ist überzeugt, dass auch die bestmögliche Nutzung bestehender Finanzierungsprogramme nicht ausreichen wird, um die Ziele der Agenda zu erreichen. Zudem werden die vorgeschlagenen Finanzierungsquellen für die Agenda — der ESF und Erasmus+ — bereits auf nationaler Ebene eingeplant und aufgeteilt, was ihre Verwendung für die Umsetzung der Agenda noch unsicherer macht.

1.8.

Der EWSA begrüßt die starke Betonung des Dialogs mit den Sozialpartnern und der Wirtschaft in der Agenda und ruft zu einer weiteren Stärkung dieses Dialogs sowie des Dialogs mit einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Organisationen auf, die unmittelbar mit den potenziell Begünstigten arbeiten und benachteiligte Menschen erreichen können.

1.9.

Nach Auffassung des EWSA wird die vorgeschlagene Kompetenzgarantie nur dann spürbar etwas bewirken, wenn die Lehren aus der Umsetzung der Jugendgarantie berücksichtigt werden.

1.10.

Die Entwicklung von Kompetenzen findet im digitalen Zeitalter im Kontext eines raschen und gelegentlich disruptiven Wandels statt, in dem sich Geschäftsmodelle grundlegend ändern können. Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass es nicht ausreicht, den Einzelnen dabei zu unterstützen, ein Mindestmaß an Kompetenzen zu erwerben, und dass unbedingt sicherzustellen ist, dass die Kompetenzgarantie zu einem garantierten Ausbildungsweg wird, der den Menschen Anreize zur Weiterbildung bietet und ihnen Fortschritte und den Aufstieg bis zum höchsten jeweils erreichbaren Qualifikationsniveau ermöglicht. Der EWSA drängt auf weitere Lösungen für die Aufstockung der für die Sicherstellung einer raschen Vermittlung von Kompetenzen erforderlichen Finanzmittel, wie etwa öffentliche und private Investitionen. Auch die in einigen Mitgliedstaaten eingesetzten Instrumente, z. B. Tarifverträge zur Regelung von bezahlter Bildungsfreistellung, sollten geprüft werden.

1.11.

Zugleich sollte berücksichtigt werden, dass der Ausbau individueller Kompetenzen allein nicht den gewünschten Effekt der Beschäftigungsfähigkeit erzielen wird, wenn nicht eng miteinander verknüpfte sozial-, wirtschafts- und gleichstellungspolitische Unterstützungsmaßnahmen ebenfalls weiter ausgebaut werden.

1.12.

Nach Auffassung des EWSA sollte der Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung des EQR auf die Stärkung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und aller Interessenträger, auf die Bedeutung der Anerkennung von Kompetenzen und Weiterbildungsqualifikationen sowie auf die Validierung von durch nichtformales und informelles Lernen erworbenen Qualifikationen unter besonderer Berücksichtigung von Querschnittskompetenzen gelegt werden. Außerdem ist es insbesondere mit dem Ziel eines hohen Qualifikationsniveaus vor Augen wichtig, das nichtformale und informelle Lernen so zu stärken, dass es problemlos in bestehende formale Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung auf eine Art und Weise einfließen kann, die für alle einschlägigen Akteure akzeptabel ist.

1.13.

Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bemühungen um eine Aufwertung des EQR nicht zu aufwendig und bürokratisch werden, auch sollte mehr Kohärenz zwischen den Qualifikationsinstrumenten der EU — d. h. EQR, ECVET und EQAVET — angestrebt werden. Die ESCO sollte die Entwicklung des EQR und seine Nutzung unterstützen, aber zunächst muss die Zuordnung abgeschlossen werden, damit die ESCO einsatzfähig werden kann.

1.14.

Der EWSA unterstützt den neuen Europass-Rahmen nachdrücklich, insbesondere die Weiterentwicklung des Europasses von einem Angebot von Dokumenten hin zu einer Dienstleistungsplattform. Transparenz, Nutzerfreundlichkeit, Zugänglichkeit und Effizienz sollten die wesentlichen Impulsgeber für seine Entwicklung sein. Es muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass der Zugang von Menschen mit Behinderungen zum neuen Europass-Rahmen sichergestellt ist.

1.15.

Der EWSA hat jedoch Bedenken, ob es ethisch gerechtfertigt ist, Finanzmittel aus dem Erasmus+-Programm als Anfangsfinanzierungsquelle zu nutzen. Gleichzeitig sollte die Kommission die Auswirkungen auf den Haushalt erneut und diesmal realistischer bewerten, insbesondere in Bezug auf die finanziellen Auswirkungen für die Mitgliedstaaten und die mit der Verbreitung des neuen Europass-Rahmens in der Öffentlichkeit verbundenen Auswirkungen auf den Haushalt.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1.

Die Kommission hat eine neue europäische Agenda für Kompetenzen angenommen, um zu gewährleisten, dass die Menschen vom frühesten Kindesalter an ein breites Spektrum von Kompetenzen erwerben, sodass das Humankapital Europas optimal genutzt wird, was wiederum Beschäftigungsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in Europa fördern soll.

2.2.

Schätzungen der Kommission zufolge verfügen 70 Mio. Europäerinnen und Europäer nicht über ausreichende Kompetenzen im Lesen, Schreiben oder Rechnen, und mehr als 20 % verfügen über praktisch keine digitalen Kompetenzen (2) und sind dadurch von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Umgekehrt stecken 30 % der hoch qualifizierten jungen Menschen in Jobs fest, die nicht ihren Talenten und Zielvorstellungen entsprechen, während 40 % der europäischen Arbeitgeber berichten, dass sie keine Arbeitskräfte mit den für Wachstum und Innovation benötigten Kompetenzen finden. Außerdem verfügen zu wenige Menschen über den Unternehmergeist und die Kompetenzen, die für die Gründung eines eigenen Unternehmens und für die kontinuierliche Anpassung an die sich wandelnden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt notwendig sind.

2.3.

Nach Auffassung der Kommission ist es wichtig, das Kompetenzniveau anzuheben, Querschnittskompetenzen zu fördern und Methoden zu entwickeln, um die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes besser zu antizipieren — auch im Dialog mit der Wirtschaft. Denn dies sind entscheidende Faktoren, um den Menschen bessere Chancen im Leben zu bieten, faires, inklusives und nachhaltiges Wachstum zu fördern und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Als Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen im Bereich Kompetenzen schlägt die Kommission zehn Initiativen vor, die in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden sollen:

Die Kompetenzgarantie soll gering qualifizierten Erwachsenen dabei helfen, ein Mindestniveau an Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen sowie digitalen Kompetenzen zu erreichen, und ihnen letztlich den Erwerb eines Abschlusses der Sekundarstufe II ermöglichen.

Der Europäische Qualifikationsrahmen wird überarbeitet, damit Qualifikationen verständlicher und vorhandene Fertigkeiten auf dem europäischen Arbeitsmarkt besser genutzt werden.

Die Kommission ruft die „Koalition für digitale Kompetenzen und Arbeitsplätze“ ins Leben, die es den Mitgliedstaaten und Akteuren aus dem Bildungswesen, dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft ermöglichen soll, gemeinsam ein großes Reservoir an IT-Fachkräften zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger und insbesondere die Arbeitskräfte in Europa über angemessene digitale Kompetenzen verfügen.

Die „Blaupause zur Branchenzusammenarbeit für Kompetenzen“ soll die Erfassung von Daten über Kompetenzen verbessern und dem Fachkräftemangel in spezifischen Wirtschaftszweigen entgegenwirken.

Das „Instrument zur Erstellung von Kompetenzprofilen für Drittstaatsangehörige“ soll die frühzeitige Ermittlung und Erfassung der Kompetenzen und Qualifikationen von Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderen Migranten fördern.

Durch die Überarbeitung des Europass-Rahmens sollen den Menschen bessere, leichter nutzbare Instrumente an die Hand gegeben werden, um ihre Kompetenzen zu präsentieren und nützliche aktuelle Informationen über den Kompetenzbedarf und dessen Entwicklung abzurufen, die ihnen dann als Orientierungshilfe bei Entscheidungen innerhalb des Berufs- und Bildungswegs dienen können.

Die Berufsausbildung soll zur „ersten Wahl“ werden; zu diesem Zweck sollen Lernende in der Berufsbildung mehr Möglichkeiten erhalten, um berufspraktische Erfahrungen am Arbeitsplatz zu sammeln, und die Erfolge der Berufsbildung auf dem Arbeitsmarkt sollen stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Die Empfehlung zu Schlüsselkompetenzen soll überarbeitet werden, um mehr Menschen den Erwerb bestimmter grundlegender Kompetenzen zu ermöglichen, die im 21. Jahrhundert zum Leben und Arbeiten benötigt werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Förderung des Unternehmer- und Innovationsgeistes und entsprechender Kompetenzen gelegt.

Eine Initiative zur Nachverfolgung des Werdegangs von Hochschulabsolventinnen und -absolventen soll die Datenlage über deren Vorankommen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

Es wird ein Vorschlag vorgelegt, um die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte („Brain Drain“) eingehender zu analysieren und bewährte Vorgehensweisen bei der Eindämmung dieses Phänomens auszutauschen.

3.   Geltungsbereich des Dokuments

3.1.

In dieser Stellungnahme konzentriert sich der EWSA auf die eigentliche Agenda sowie auf drei bereits zusammen mit der Agenda vorgeschlagene Initiativen: die Kompetenzgarantie, die Überprüfung des Europäischen Qualifikationsrahmens und die Überarbeitung des Europass-Rahmens.

3.2.

Daneben geht der EWSA auf ein Ersuchen des maltesischen EU-Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema Verbesserung der Qualifikationen von Erwerbstätigen im Arbeitsmarkt ein. Aufgrund der Überschneidungen beim Gegenstand und beim Themenspektrum wird die Reaktion des EWSA auf dieses Ersuchen in diese Stellungnahme eingebaut und bereichert diese durch die Ausweitung der Standpunkte des EWSA auf die soziale Dimension und geschlechtsspezifische Aspekte in Bezug auf Kompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit.

4.   Allgemeine Bemerkungen zu der Agenda

4.1.

Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene neue europäische Agenda für Kompetenzen und sieht in ihr einen positiven Schritt auf dem Weg zu mehr Ausgewogenheit zwischen dem Kompetenzbedarf der Gesellschaft und der Wirtschaft. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass der Schwerpunkt der neuen Agenda und ihrer Maßnahmen auf der Lösung der aktuellen Probleme hauptsächlich durch Änderungen bestehender Instrumente und Maßnahmen liegt, um ihre Anwendung und Wirkungsweise zu verbessern, betont der EWSA die Notwendigkeit, innovativere Lösungen in den Bereichen Bildung und Kompetenzentwicklung einzuführen. Viele EU-Mitgliedstaaten und EWR-Staaten verfolgen bereits verschiedene innovative Ansätze; diese werden jedoch in der Agenda nicht untersucht bzw. erwähnt, geschweige denn den Mitgliedstaaten nahegelegt.

4.2.

Der EWSA ist der festen Überzeugung (und wird in dieser Überzeugung durch die relativ geringe Wirkung der seit 2009 von der EU im Bildungs- und Jugendbeschäftigungsbereich ergriffenen Maßnahmen bestätigt (3)), dass es nun an der Zeit für einen echten Paradigmenwechsel in Bezug auf die Ziele und das Funktionieren des Bereichs der allgemeinen und beruflichen Bildung und ihren verschiedenen Komponenten — der formalen, nichtformalen und informellen Bildung — und das Verständnis seiner Stellung und Rolle in der Gesellschaft ist; ferner muss die Bildung selbst als Faktor für Produktivität anerkannt werden. Künftig muss in Europa unbedingt mehr in die Entwicklung des Menschen investiert werden; daher sollte die neue Agenda nicht nur Teillösungen für bestehende Ungleichheiten auf den Arbeitsmärkten, sondern Maßnahmen anbieten, die jeden Einzelnen in der EU befähigen, besser, qualifizierter und flexibler bei der Auswahl einer Erwerbstätigkeit zu werden.

4.3.

Die Verbesserung der Qualifikationen und die Abstimmung von Kompetenzbedarf und -nachfrage sowie Umschulungen und kontinuierliche berufliche Weiterbildung sind äußerst relevant für die sozialen und politischen Verpflichtungen der Europäischen Union, um die Erwerbsquote zu erhöhen und den Bedarf der sich wandelnden Arbeitsmärkte zu decken, sowie zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Diskriminierung in der EU. Diese Fragen können jedoch nur richtig angegangen werden, wenn auch die damit verbundenen sozialen und geschlechtsspezifischen Aspekte berücksichtigt werden. Der EWSA bedauert, dass der Schwerpunkt der neuen Agenda auf Qualifikationen und Beschäftigungsfähigkeit im Allgemeinen liegt, jedoch keine spezifischen Maßnahmen für die Erschließung des Potenzials von Teilzeitbeschäftigten, prekär Beschäftigten und nicht erwerbstätigen Frauen, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen aufgelistet werden, die einen maßgeblichen Beitrag zu Entwicklung und Wirtschaftswachstum in der EU leisten könnten.

4.4.

Nach Auffassung des EWSA wurden die Hauptaspekte geschlechtsspezifischer Ungleichheiten (4) in Bezug auf die Entwicklung von Kompetenzen in der Planungsphase der Agenda unberücksichtigt gelassen. Hierzu zählen: der Druck, der auf Frauen lastet, die Pflege- und Betreuungsarbeit leisten und ihre familiären und beruflichen Verpflichtungen miteinander vereinbaren müssen, Diskriminierung, Stereotype, ein höherer Frauenanteil in atypischen Arbeitsverhältnissen, begrenzte berufliche Möglichkeiten für Teilzeitbeschäftigung (was die Gefahr von Überqualifizierung birgt, insbesondere im Fall einer „beruflichen Verschlechterung“) und Studienrichtungen, in denen Frauen oder Männer stark vertreten sind, was wiederum die Gefahr einer Überqualifizierung für den Arbeitsmarkt birgt.

4.5.

Die Agenda ist im Wesentlichen auf die Bereitstellung eines Mindestmaßes an Kompetenzen und den Erwerb geringer bis mittlerer Qualifikationen ausgerichtet, doch stellt der EWSA das Fehlen einer umfassenderen Perspektive der Kommission für das Funktionieren und Ineinandergreifen der Bildungs-, Arbeits- und Sozialsysteme und ihrer individuellen Maßnahmen fest. Eine solchermaßen eingeschränkte Perspektive lässt ebenso wichtige Probleme auf höheren Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung, die Rolle des lebenslangen Lernens, der grenzüberschreitenden Mobilität, von Unternehmergeist, Kreativität, Innovation, sozialen Kompetenzen und der interkulturellen Bildung, um nur einige Beispiele zu nennen, außer Acht. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission ferner besonderes Augenmerk auf den speziellen Kompetenzbedarf der freien Berufe richten (5).

4.6.

Daher fordert der EWSA die Kommission auf, bei ihren politischen Initiativen einen koordinierten, kohärenten und konsequenten Ansatz zu verfolgen, vor allem wenn es um die Entwicklung von Kompetenzen geht. Bei den von verschiedenen Generaldirektionen vorgeschlagenen, parallelen und eng miteinander verknüpften Initiativen mangelt es an Abstimmung. Durch eine bessere Koordinierung könnten die Wirksamkeit und Wirkung solcher Maßnahmen erheblich gesteigert werden.

4.7.

Angesichts der erheblichen Auswirkungen der Entwicklung von Kompetenzen auf das Wirtschaftswachstum und zur Gewährleistung einer echten Wirkung wäre es nach Auffassung des EWSA außerdem wünschenswert, mehr direkte Verbindungen zwischen der neuen Agenda und dem Europäischen Semester (insbesondere zu den länderspezifischen Empfehlungen) sowie der Strategie Europa 2020 aufzuzeigen. Dies betrifft vor allem ihre bildungs- und beschäftigungspolitischen Ziele sowie die Rolle der Agenda in Bezug auf die Agenda 2030, die Strategie für den digitalen Binnenmarkt, die Strategie für die Kreislaufwirtschaft, das Strategische Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019, die europäische Säule sozialer Rechte (insbesondere die vorgeschlagenen Benchmark-Systeme) und die Nachhaltigkeitsziele. Die Herstellung solcher Verbindungen würde die Stellung der Agenda unter den langfristigen Zielen und übergeordneten politischen Rahmen der EU stärken und damit auch ihren Status als strategische Initiative garantieren.

4.8.

Der EWSA ist sich der maßgeblichen Bedeutung einer wirksamen Abstimmung von Angebot und Nachfrage bei Kompetenzen bewusst, da der Anteil von 30 % junger Europäerinnen und Europäer, die aufgrund ihrer formalen Qualifikationen für ihre Tätigkeit überqualifiziert sind, nicht tragbar ist, wenn gleichzeitig 40 % der europäischen Arbeitgeber über einen Mangel an Arbeitnehmern mit den notwendigen Kompetenzen berichten. Für eine voll funktionsfähige und effektive Gesellschaft ist es jedoch von größter Bedeutung, die Abstimmung von Kompetenzangebot und -nachfrage mit der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze in Einklang zu bringen und die Bedeutung der grenzüberschreitenden Mobilität als Möglichkeit für diese Abstimmung hervorzuheben.

4.9.

In der neuen Agenda wird die Bedeutung sowohl der Inklusion als auch des Erwerbs von Kompetenzen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit hervorgehoben. Zudem liegt ihr Schwerpunkt hauptsächlich auf dem Bedarf der Wirtschaft, während der EWSA eine stärkere Berücksichtigung der Kompetenzen für erforderlich hält, die für die Gesellschaft im weiteren Sinne relevant sind. Von solchen Kompetenzen profitiert sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft insgesamt; dazu zählen u. a. bereichsübergreifende oder Querschnittskompetenzen oder persönliche Kompetenzen (z. B. kritisches und kreatives Denken, soziale, bürgerschaftliche und kulturelle Kompetenzen) (6). Der EWSA bedauert ferner, dass in der neuen Agenda unternehmerische Kompetenz (im weiteren Sinne, d. h. als Unternehmungsgeist) nicht als Lebenskompetenz herausgestellt wird, die jedem Einzelnen zugutekommt.

4.10.

Außerdem verweist der EWSA erneut auf eine verpasste Gelegenheit, die mehrere Milliarden Euro gekostet hat, nämlich die mangelnde Unterstützung für Unternehmerinnen (7). Frauen schaffen als Unternehmerinnen Arbeitsplätze, Innovationen und neue Kompetenzen in allen Wirtschaftszweigen. Daneben fördern sie das soziale Unternehmertum, die Gemeinschaft und soziale Innovation (8).

4.11.

Der EWSA ist sich bewusst, dass unbedingt dafür gesorgt werden muss, dass alle jungen Menschen über Grundkompetenzen verfügen, bedauert jedoch, dass in der neuen Agenda keine spezifischen Maßnahmen enthalten sind, die der zentralen Rolle des nichtformalen und informellen Lernens bei der Vorbereitung junger Menschen auf das Leben gerecht werden. Außerhalb des formalen Systems der allgemeinen und beruflichen Bildung erworbene Fähigkeiten und Kompetenzen befähigen junge Menschen, einen Arbeitsplatz und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und ihren Beitrag zur Gesellschaft im weiteren Sinne zu leisten. Die meisten der kommunikativen, kulturellen, persönlichen und Führungskompetenzen, die Arbeitgeber suchen, werden über das nichtformale und informelle Lernen erworben, weswegen diese Kompetenzen validiert und anerkannt werden müssen (9).

4.12.

In Anbetracht der Vorrangstellung für Investitionen in Bildungsdisziplinen, die eher für die Stärkung der nationalen Volkswirtschaften relevant sind, ist der EWSA der Ansicht, dass die neue Agenda die Regierungen nicht dazu ermuntern sollte, sich den im Bukarester Kommuniqué zum Bologna-Prozess eingegangenen Verpflichtungen für eine angemessene Finanzierung der Hochschulbildung zu entziehen. Solche Differenzierungen könnten zu Lasten anderer Bereiche der Bildung gehen und den allgemeinen Zugang zu Bildung und allgemeinen Kompetenzen einschränken.

4.13.

Um jungen Menschen die Integration in den heutigen Arbeitsmarkt weiter zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten ferner zu dem strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung („ET 2020“) auf der Grundlage der nach wie vor gültigen Oslo-Agenda aus dem Jahr 2006 zurückkehren. Ohne weitere Fortschritte in den MINT-Fächern und im Bereich der praktischen Fähigkeiten wird es schwer werden, die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie die Lehrlingsausbildung zu verbessern.

4.14.

Der EWSA hebt hervor, dass in erster Linie die nationalen Bildungssysteme für eine effiziente und gut funktionierende allgemeine und berufliche Bildung zuständig sind; die Verantwortung für die Sicherstellung eines Mindestmaßes an Grundfertigkeiten liegt also bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Daher sollte die Kommission unbedingt prüfen, ob die neue Agenda die erforderlichen Änderungen auf der nationalen Ebene ermöglicht und fördert und die Mitgliedstaaten tatsächlich dabei unterstützt, die vorhandenen Mittel besser einzusetzen. Dennoch sollte ein nationales System für die Konsultation zwischen Regierungen und Interessenträgern unterstützt werden, um den sozialen Dialog zu stärken, die Zusammenarbeit zu fördern und die wirksame Verbreitung bewährter Verfahren sowie die rasche Einholung von Rückmeldungen und Sammlung von einschlägigen Daten sicherzustellen.

4.15.

Der EWSA ist jedoch besorgt, dass die vorgeschlagenen Initiativen ins Leere laufen könnten, da sich viele Länder in Europa noch in der Krise befinden. Die Korrektur der ungleichen Ausgangsbedingungen für junge Menschen und die Förderung einer hochwertigen lebenslangen allgemeinen und beruflichen Bildung für alle könnten durch die Haushaltskürzungen, insbesondere bei den Mitteln für die allgemeine und berufliche Bildung, erschwert werden.

4.16.

Für den EWSA ist das Fehlen eines neuen Finanzierungsplans für die Durchführung der neuen Agenda nicht hinnehmbar. Er schlägt vor, die Agenda in einen unterstützenden makroökonomischen Rahmen einzubetten, bei dem Investitionen in die Kompetenzen und Fertigkeiten der Menschen nicht als Kosten betrachtet werden, sondern als Anfangsinvestition, die sich im Laufe der Zeit amortisiert.

4.17.

Der EWSA ist überzeugt, dass auch die bestmögliche Nutzung bestehender Finanzierungsprogramme nicht ausreichen wird, um die Ziele der Agenda zu erreichen. Daher werden über die in dem Dokument angekündigten möglichen Anpassungen im Zuge der Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 hinaus zusätzliche Finanzmittel erforderlich sein. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, ihre Bildungsausgaben aufzustocken und dafür zu sorgen, dass die Mittel wirksam eingesetzt werden. Seiner Ansicht nach sollten die Beiträge der Mitgliedstaaten zu den Ausgaben für die allgemeine und berufliche Bildung nicht in die Berechnung ihres Haushaltsdefizits einfließen.

4.18.

Zudem unterstreicht der EWSA, dass die vorgeschlagenen Finanzierungsquellen für die neue Agenda — der ESF und Erasmus+ — bereits auf nationaler Ebene eingeplant und aufgeteilt werden, was ihre Verwendung für die Umsetzung der Agenda noch unsicherer macht.

4.19.

Der EWSA begrüßt die starke Betonung des Dialogs und der Abstimmung mit den Sozialpartnern und den Unternehmen in der neuen Agenda und ruft zu einer weiteren Stärkung dieses Dialogs auf, um die Abstimmung von Kompetenzbedarf und -nachfrage zu verbessern und Fachkräften einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu sichern, beides sowohl im Rahmen des Neubeginns für den sozialen Dialog  (10) als auch in den Mitgliedstaaten. Ferner muss auch die Rolle anerkannt und unterstützt werden, die den zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrung als Dienstleistungserbringer im sozialunternehmerischen Kontext und ihrer Bereitschaft zukommt, sozialunternehmerische Kompetenzen einzubringen, die einen wichtigen Baustein der Agenda bilden. Daneben ist es insbesondere mit Blick auf die Ausschöpfung des Potenzials von unternehmerischer Initiative und Kompetenz wichtig, die berufsständischen Vertretungsorgane an dem Dialog zu beteiligen.

4.20.

Ferner betont der EWSA die Notwendigkeit, einen stärkeren Schwerpunkt auf gezielte Maßnahmen zu legen, um benachteiligte Gruppen, darunter auch Menschen mit Behinderungen, zu erreichen. Dies umfasst auch die Erhebung von Daten auf der nationalen Ebene, um die Wirkung der derzeitigen Maßnahmen auf die Zielgruppen zu bewerten und um sicherzustellen, dass die Maßnahmen auf die spezifischen Bedürfnisse der Lernenden in Bezug auf Zugang, Dauer und Ergebnis zugeschnitten sind. Dies bedeutet eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern, Organisationen und Verbänden, die unmittelbar mit den potenziell Begünstigten arbeiten. Einige dieser Verbände sind u. U. recht klein, weswegen sie keinen Zugang zu EU-Fördermitteln haben. Daher sollten Lösungen gesucht werden, um ihnen den Zugang zu einer solchen finanziellen Unterstützung zu erleichtern.

5.   Zu dem Vorschlag zur Einführung einer Kompetenzgarantie

5.1.

Nach Auffassung des EWSA wird die vorgeschlagene Kompetenzgarantie nur dann spürbar etwas bewirken, wenn die Lehren aus der Umsetzung der Jugendgarantie berücksichtigt werden (d. h. Vermeidung von Überschneidungen, Sicherstellung von mehr Kohärenz). Insbesondere sollte die Sicherstellung einer rascheren Umsetzung der Kompetenzgarantie angestrebt werden, sie sollte über einen integrierten Ansatz mit begleitenden sozialen Diensten einhergehen, offener sein für Partnerschaften mit Unternehmen, Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen und flexibler sein, um Begünstigten mit besonderem Integrationsbedarf gerecht zu werden. Die Kompetenzgarantie sollte eher als Mehrwert schaffende Interventionsmaßnahme und weniger als reine Maßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen betrachtet werden.

5.2.

Der EWSA hat schon früher betont (11), dass die Entwicklung von Kompetenzen im digitalen Zeitalter im Kontext eines raschen und gelegentlich disruptiven Wandels stattfindet, in dem sich Geschäftsmodelle grundlegend ändern können. Einige Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigung sind bereits sichtbar, wobei verschiedene Schätzungen darauf hindeuten, dass etwa 50 % der heutigen Arbeitsplätze mit mittlerem Qualifikationsniveau in den nächsten 20 Jahren durch digitale Technik ersetzt werden und dass die Arbeitnehmer künftig alle fünf Jahre umfassende Umschulungsmaßnahmen benötigen werden (12). Daher sind ein Konzept für kontinuierliche Umschulungen und lebenslanges Lernen sowie ein enger Dialog mit den Unternehmen, den Sozialpartnern und den Interessenträgern umso wichtiger. Der EWSA drängt auf weitere Lösungen für die Aufstockung der für die Sicherstellung einer raschen Vermittlung von Kompetenzen erforderlichen Finanzmittel, wie etwa öffentliche und private Investitionen. Auch die in einigen Mitgliedstaaten eingesetzten Instrumente, z. B. Tarifverträge zur Regelung von bezahlter Bildungsfreistellung, sollten geprüft werden.

5.3.

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass es nicht ausreicht, den Einzelnen dabei zu unterstützen, ein Mindestmaß an Kompetenzen zu erwerben, und dass unbedingt sicherzustellen ist, dass die Kompetenzgarantie zu einem garantierten Ausbildungsweg wird, der den Menschen Fortschritte und den Aufstieg bis zum höchsten jeweils erreichbaren Qualifikationsniveau ermöglicht. Ziel der Garantie sollte nicht nur die Verbesserung der Grundkompetenzen sein, sondern sie sollte auch den Erwerb höherer Qualifikationen und umfassenderer Kompetenzen ermöglichen. Andernfalls bleiben diese Personen, insbesondere Frauen (13) und ältere Menschen, in Arbeitslosigkeit oder gering qualifizierten Tätigkeiten gefangen, die in einer digitalisierten Welt zunehmend weniger werden.

5.4.

Zugleich sollte berücksichtigt werden, dass der Ausbau individueller Kompetenzen allein nicht den gewünschten Effekt der Beschäftigungsfähigkeit erzielen wird, wenn nicht eng miteinander verknüpfte sozial-, wirtschafts- und gleichstellungspolitische Unterstützungsmaßnahmen ebenfalls weiterentwickelt werden. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen in folgenden Bereichen: Dienstleistungen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, die Förderung von unternehmerischer Initiative, Unterstützung für Alleinerziehende in Schwierigkeiten, die Bereitstellung von qualitativ hochwertiger, zugänglicher und bezahlbarer Ganztagskinderbetreuung als wesentlicher Impulsgeber für die Steigerung der Erwerbsbeteiligung von sowohl Frauen als auch von Männern sowie die Verfügbarkeit guter Pflege- und Betreuungsdienste für ältere Menschen usw (14).

5.5.

Der EWSA verweist auf die wesentliche Rolle der Sozialpartner und ihrer Tätigkeiten (15) für die Kompetenzförderung und die Entwicklung der einschlägigen Politik. Nach Auffassung des EWSA sollte ferner die Rolle der einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen angesichts ihrer weitreichenden Erfahrung mit Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen, die derzeit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, stärker hervorgehoben werden. Diese Gruppen weisen gewöhnlich ein niedrigeres Qualifikationsniveau auf, daneben sind ihre Verbindungen zu anderen Bildungsträgern wie etwa öffentliche Arbeitsverwaltungen, Anbieter von formaler allgemeiner und beruflicher Bildung usw. schwächer ausgeprägt. Zudem macht die Vielfalt der Dienstleistungsnutzer, die sich bei gemeinnützigen Anbietern von Diensten für die Arbeitsintegration sammeln und die teilweise komplexe Bedürfnisse haben, die zivilgesellschaftlichen Organisationen zu geeigneten Akteuren für maßgeschneiderte Lernangebote, die eine der drei Säulen der Kompetenzgarantie bilden. Wenn Geringqualifizierte die wichtigste Zielgruppe der Kompetenzgarantie sind, sollten die zivilgesellschaftlichen Organisationen als mit die wichtigsten Akteure bei ihrer Umsetzung anerkannt werden.

5.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich Staat, Unternehmen, Lernende und Bildungsanbieter die Aufgaben und Zuständigkeiten für den Erwerb von Qualifikationen und Bildungsmöglichkeiten der zweiten Chance sowie für Weiterbildungsprogramme teilen und die Tätigkeiten auf einer erfolgreichen Zusammenarbeit aufbauen sollten. Doch ist noch nicht klar, wie die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erforderlichen Anreize geschaffen werden sollen, damit sie solche Aufgaben und Zuständigkeiten zur Steigerung des Kompetenzniveaus akzeptieren und sich daran beteiligen.

6.   Zu dem Vorschlag zur Überarbeitung des Europäischen Qualifikationsrahmens

6.1.

Nach Auffassung des EWSA sollte der Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung des EQR auf die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und anderen Interessenträgern gelegt werden, was das gegenseitige Vertrauen in die jeweiligen Qualifikationsrahmen und Qualitätssicherungssysteme im Bildungsbereich stärken würde. Im Sinne der Grundsätze des lebenslangen Lernens sollte berücksichtigt werden, wie wichtig die Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen für die Weiterbildung und nicht nur für den Arbeitsmarkt ist. Bei formalen Qualifikationen müssen Wege zur Validierung von Kompetenzen gefunden werden, die über nichtformales und informelles Lernen erworben wurden, wobei Querschnittskompetenzen besonders zu berücksichtigen sind. Dies ist nur eine Möglichkeit zum Wissenserwerb über alternative und flexiblere Lernpfade, für die die Grundprinzipien von Lernergebnissen und Qualifikationsrahmen eine solide Grundlage schaffen.

6.2.

Diesbezüglich ist anzumerken, dass die ESCO zwar über großes Potenzial verfügt, sich aber noch in der Entwicklungsphase befindet und Unsicherheit unter den Mitgliedstaaten hervorruft. Die ESCO sollte die Entwicklung des EQR und seine Nutzung unterstützen, aber zunächst muss die Zuordnung abgeschlossen werden, damit die ESCO einsatzfähig werden kann.

6.3.

Der EWSA stimmt zu, dass die Verständlichkeit und Vergleichbarkeit der verschiedenen Qualifikationen verbessert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist sehr zu begrüßen, dass der Schwerpunkt der vorgeschlagenen Überarbeitung auf der Stärkung von Transparenz und Kohärenz des EQR liegt. Dennoch muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bemühungen um eine Aufwertung des EQR nicht zu aufwendig und bürokratisch werden.

6.4.

Der EWSA betont, dass insbesondere mit dem Ziel eines hohen Qualifikationsniveaus vor Augen noch viel getan werden muss, um das nichtformale und informelle Lernen so zu stärken, dass es problemlos in bestehende formale Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung auf eine Art und Weise einfließen kann, die für alle einschlägigen Akteure akzeptabel ist. Derzeit findet eine solche Integration nur sehr begrenzt statt, da allgemein anerkannte Begriffsbestimmungen in Bezug auf die Äquivalenz fehlen, das gegenseitige Vertrauen in die nationalen Qualifikationsrahmen gering ist und große Unterschiede bei den Referenzwerten zwischen den nationalen Qualifikationsrahmen und dem EQR bestehen.

6.5.

Der EWSA empfiehlt ferner mehr Kohärenz zwischen den Qualifikationsinstrumenten der EU — d. h. EQR, ECVET und EQAVET.

7.   Zu dem Vorschlag zur Überarbeitung des Europass-Rahmens

7.1.

Der EWSA unterstützt den neuen Europass-Rahmen nachdrücklich, insbesondere die Weiterentwicklung des Europasses von einem Angebot von Dokumenten hin zu einer Dienstleistungsplattform.

7.2.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Einrichtung einer EU-weiten Plattform, über die die Bürgerinnen und Bürger Zugang zu verschiedenen Diensten erhalten, vor allem auf Transparenz, Nutzerfreundlichkeit, Zugänglichkeit und Effizienz ausgerichtet sein. Es muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass der Zugang von Menschen mit Behinderungen zum Europass-Rahmen sichergestellt ist. Ferner muss der Zugang zu Informationen auch unter dem Gesichtspunkt des räumlichen Umfelds berücksichtigt werden, da manche Behinderungen die Fähigkeit zur Nutzung von IT-Systemen einschränken; für diese Fälle sollten spezielle Zugangspunkte und andere alternative Zugangsmöglichkeiten bereitgestellt werden.

7.3.

Der EWSA hat jedoch Bedenken, ob es ethisch gerechtfertigt ist, Finanzmittel aus dem Erasmus+-Programm zu nutzen — vorgesehen sind Anfangsinvestitionen in Höhe von 2 500 000 EUR in die Entwicklung von Webdiensten zur Beschreibung von Kompetenzen und Qualifikationen. Gleichzeitig fordert der EWSA die Kommission zu einer realistischeren Neubewertung der Auswirkungen auf den Haushalt auf, da sich für die Mitgliedstaaten finanzielle Auswirkungen ergeben werden, die dem erweiterten Ausmaß der gesammelten Informationen und der infolge dessen erforderlichen Aufrüstung ihrer eigenen Instrumente und Kanäle für die Übermittlung von Daten geschuldet sind.

7.4.

Der EWSA hält es ferner für wichtig, auch die Auswirkungen auf den Haushalt zu bewerten, die mit der Verbreitung des neuen Europasses in der Öffentlichkeit verbunden sind, da der Erfolg des neuen Rahmens nicht nur stark von der allgemeinen Verbesserung der Qualität und Anzahl der Dienste, sondern auch von einer deutlichen Erhöhung der Nutzerzahl abhängt.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  http://ec.europa.eu/growth/smes/promoting-entrepreneurship/we-work-for/liberal-professions_en.

(2)  Dieser Anteil ist in der Altersgruppe zwischen 55 und 65 Jahren höher, in der 50 % der Erwachsenen keine grundlegenden IKT-Kompetenzen haben. OECD, Studie zu den Kompetenzen Erwachsener im Rahmen des Programms für die internationale Kompetenzmessung bei Erwachsenen (PIAAC), Juni 2015.

(3)  Z. B. Europäische Kommission, Anzeiger für die allgemeine und berufliche Bildung 2016, September 2016; European Policy Centre, „Towards a Europeanisation of Youth Employment Policies? A Comparative Analysis of Regional Youth Guarantee Policy Designs“, September 2016.

(4)  Internationale Arbeitsorganisation, „Skills mismatch in Europe“ Statistics Brief, September 2014.

(5)  http://ec.europa.eu/growth/smes/promoting-entrepreneurship/we-work-for/liberal-professions_en.

(6)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Förderung von Kreativität, unternehmerischer Kompetenz und Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 20).

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Unternehmerinnen (ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 24).

(8)  10 Länderfallstudien zur Wirkung von Sozialunternehmertum von Frauen in Europa wurden im Rahmen des Projekts WEStart der Europäischen Frauenlobby untersucht.

(9)  Stellungnahme des EWSA zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit, (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 150).

(10)  Ein Neubeginn für den sozialen Dialog, Erklärung des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und der europäischen Sozialpartner, 27. Juni 2016.

(11)  EWSA-Stellungnahme „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Dienstleistungsbranche und die Beschäftigung“ (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161).

(12)  Z. B. Bowles, J. „The computerisation of European jobs — who will win and who will lose from the impact of new technology onto old areas of employment?“, 2014, „The computerisation of European jobs“, Frey, C. M., Osborne, M. „The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation?“, 2013, Pajarinen, M., Rouvinen, P., Ekeland, A. „Computerization Threatens One-Third of Finnish and Norwegian Employment“, ETLA, 2015.

(13)  Fahrplan der Europäischen Kommission „Neubeginn zur Bewältigung der Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für Erwerbstätige mit Familie“ (liegt nur auf Englisch vor), August 2015.

(14)  Stellungnahme des EWSA zu der Beziehung zwischen Frauenerwerbsquote und Wachstum, (ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 6).

(15)  Gemeinsame Aktivitäten der europäischen Sozialpartner mit Schwerpunkt auf Berufsbildung und insbesondere Lehrlingsausbildung, Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung, Senkung der Schulabbrecherquote und Erzielung besserer Lernergebnisse.


ANHANG

Beispiele relevanter EWSA-Stellungnahmen

SOC/555

Hochwertige Bildung für alle, (2017)

SOC/552

Halbzeitbewertung des Programms Erasmus+, läuft (2017)

SOC/524

Hochschulen engagieren sich für Europa, 2015

SOC/523

Verbesserung der Leistungsfähigkeit nationaler dualer Ausbildungssysteme, (2015)

SOC/521

Die Validierung der durch nichtformales und informelles Lernen erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen — der praktische Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft, 2015

SOC/518

Förderung von Kreativität, unternehmerischer Kompetenz und Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung, (2015)

CCMI/136

Auswirkungen der Digitalisierung auf die Dienstleistungsbranche und die Beschäftigung, 2015

SOC/502

Frauen in der Wissenschaft, 2014

SOC/499

Qualitätsrahmen für Praktika, (2014)

SOC/493

Die Bildung öffnen, 2014

CCMI/118

Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen — Anpassung der Ausbildung an den Bedarf der Industrie in Zeiten der Sparpolitik, 2014

SOC/486

Beziehung zwischen Frauenerwerbsquote und Wachstum, 2013

SOC/476

Neue Denkansätze für die Bildung, (2013)

INT/679

Aktionsplan Unternehmertum 2020, 2013

SOC/469

Die Rolle der Wirtschaft für die Bildung in der EU, (2013)

SOC/446

Unternehmerinnen, 2012

SOC/439

Junge Menschen mit Behinderungen, 2012

SOC/438

Erasmus für alle, 2012

SOC/431

EU-Politik und Freiwilligentätigkeit, 2012

SOC/429

Modernisierung von Europas Hochschulsystemen, 2012

SOC/421

Jugendbeschäftigung, technische Fertigkeiten und Mobilität, (2012)

SOC/409

Postsekundäre berufliche Aus- und Weiterbildung als attraktive Alternative zur Hochschulbildung, 2012

SOC/404

Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten, (2011)


Top