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Document 52012IE1593

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Genossenschaften und Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 299 vom 4.10.2012, p. 45–48 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

4.10.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 299/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Genossenschaften und Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ (Initiativstellungnahme)

2012/C 299/09

Berichterstatter: Carlos TRIAS PINTÓ

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 19. Januar 2012, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Genossenschaften und Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. Juni 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 482. Plenartagung am 11./12. Juli 2012 (Sitzung vom 11. Juli) mit 144 gegen 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Auf der Suche nach einem nachhaltigeren Wirtschaftsmodell erweist sich das Genossenschaftswesen als eine wettbewerbsfähige und effiziente Alternative, die neue Antworten auf die Ungleichgewichte der Nahrungsgüter-Wertschöpfungskette bietet sowie Beschäftigung, lokale Lebensmittelversorgungsketten, Ernährungssicherheit, soziale Teilhabe und Verantwortung fördert.

1.2   In den heutigen Märkten für Nahrungsgüter müssen Strukturreformen im Einklang mit den Zielsetzungen der Europa-2020-Strategie und anderer EU-Initiativen durchgeführt werden. Die herkömmlichen Vermarktungsketten weisen nicht die erforderliche Transparenz der Preisbildung auf, was gravierende Ungleichgewichte in der Verhandlungsfähigkeit ihrer Akteure schafft und dadurch Erzeugern und Verbrauchern (dem ersten und dem letzten Glied der Kette) schadet. Gleichzeitig entstehen unnötige Umweltkosten infolge eines energetisch ineffizienten Vertriebs, wie z.B. bei der Kühllagerung frischer Nahrungsmittel außerhalb der Saison und deren Verbringung auf Märkte, die vom Erzeugungsort sehr weit entfernt sind.

1.3   Die Neuausrichtung des Marktes sollte nach einem zirkulären Konzept erfolgen, das eine Verkürzung der Absatzwege begünstigt. Ziel ist dabei eine bessere Verknüpfung von Angebot und Nachfrage in einem Netz, das ausgehend von seinen kleinsten Grundbausteinen in einem innovativen und technisch fortschrittlichen Kontext gefördert wird.

1.4   Durch die ihnen eigenen Grundsätze und Werte tragen die Genossenschaften zu gleichberechtigten und synergistischen Handelsbeziehungen bei, die dabei helfen, die Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft in ein neues Gleichgewicht zu bringen, indem Interessen verknüpft, die Wertschöpfung besser geteilt und die Nachhaltigkeit der Produktions- und Verbrauchsmuster gefestigt werden.

1.5   Der EWSA fordert die europäischen Institutionen folglich auf, die Voraussetzungen für die Förderung des genossenschaftlichen Modells zu schaffen, indem EU-Politiken verabschiedet werden, die sich der geeigneten rechtlichen, wirtschaftlichen, steuerlichen, technischen Maßnahmen usw. bedienen, um dessen harmonische Entwicklung zu garantieren.

2.   Einleitung

2.1   Das genossenschaftliche Modell fördert die Verbesserung des Unternehmensgefüges der Europäischen Union sowie insbesondere die Wirtschaftsdemokratie und leistet somit einen Beitrag zum notwendigen Wandel des Produktionsmodells.

2.2   Das Jahr 2012, das von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen wurde, ist der ideale Rahmen für Überlegungen über die Rolle der Genossenschaften bei der Schaffung neuer Impulse für ein nachhaltiges und integratives Wachstum, auf dessen Grundlage aus der aktuellen Krise eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft hervorgehen kann (1).

2.3   Die Realität des Genossenschaftssektors in der EU ist sehr vielgestaltig. Einige Genossenschaften üben eine Wirtschaftstätigkeit aus, die sich von der ihrer Konkurrenten in nichts unterscheidet, während andere ihre wirtschaftliche Tätigkeit mit "politischen" Aktionen zugunsten der Verbraucher, der Umwelt usw. kombinieren, die in ihre Informations- oder Verkaufsstrategien eingebunden sind. Es muss auch unterschieden werden zwischen Genossenschaften, die am Anfang (Produktion) bzw. am Ende (Verbrauch) der Wertschöpfungskette tätig sind, häufig ohne dass eine Abstimmung zwischen ihnen stattfindet.

2.4   Im Zuge der Strukturreform der Märkte zur Förderung der Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch muss die Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft in ein neues Gleichgewicht gebracht werden (2), wobei den Zusammenschlüssen im Agrarbereich im Allgemeinen und den Genossenschaften im Besonderen eine modulierende und integrative Funktion bei der Vornahme der notwendigen Anpassungen und Änderungen im Wege eines sektorübergreifenden Dialogs und Zusammenspiels zuerkannt werden muss.

2.5   Dieser Ansatz fließt auch in die Entwicklung der vom EWSA geäußerten Standpunkte ein und versucht, den künftigen Herausforderungen der Gemeinschaftspolitiken im Zusammenhang mit der Europa-2020-Strategie, der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik, dem Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Verbrauch, Produktion und Industrie sowie der Binnenmarktakte Rechnung zu tragen.

2.6   In diesem Sinne muss hervorgehoben werden, dass in dieser Initiativstellungnahme auf den Grundsatz eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums – gestützt auf Wissen, eine CO2-arme Wirtschaft (3), Beschäftigungsfähigkeit sowie sozialen und territorialen Zusammenhalt – abgestellt wird.

2.7   Schließlich leistet ein solcher Ansatz einen Beitrag zu anderen, für die Gemeinschaftspolitiken sehr wichtigen Querschnittsthemen, wie z.B. Fragen der Ernährungssouveränität und –sicherheit, das Gleichgewicht unter den einzelnen Gebieten, die Erhaltung lokaler Lebensmittelversorgungsketten (4), das soziale Unternehmertum, den Schutz der Rechte und Interessen der Verbraucher und die unmittelbare Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft (5).

3.   Bemerkungen des EWSA

3.1   Analyse des aktuellen Markts

3.1.1   Die Funktionsweise des Marktes muss ein Angebot von Produkten gewährleisten, die hinsichtlich ihrer Art und Qualität von den Verbrauchern gewünscht werden. Dies erfordert, dass die Signale des Verbrauchers über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg weitergeleitet werden und unverzerrt zu den Erzeugern gelangen. Leider ist der heutige Markt häufig durch seine Linearität – was positive Rückkopplungen verhindert – sowie durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet, die ihm seine Aufgabe schwermacht, sodass er seinen eigentlichen Zweck, nämlich der Bevölkerung möglichst zufriedenstellend seine Produkte zu liefern, nicht richtig erfüllen kann.

3.1.2   Die Verbraucher verlangen in zunehmendem Maße sichere, nachhaltige Erzeugnisse, die auf innovative, verantwortungsvolle und umweltfreundliche Weise unter Achtung der einschlägigen Arbeits- und Tierschutzbedingungen produziert werden; hier ist allerdings zu bedenken, dass auch günstigere Nahrungsmittel nachgefragt werden, da der Preis nach wie vor ein entscheidendes Kriterium für die Kaufentscheidung ist. In der Wertschöpfungskette der Nahrungsgüter werden die relevanten Informationen leider nicht zwischen den verschiedenen Gliedern (Primärerzeugung, Konfektionierung, Lagerung, Vertrieb und Verkauf) übermittelt.

3.1.3   Die Absatzwege haben zu einer größeren Distanz in der Beziehung zwischen Anbietern und Verbrauchern geführt und gleichzeitig die einzelnen Schritte intransparenter gemacht, sodass die Produktionskosten unterbewertet sind und die den Erzeugern gezahlten Preise häufig nicht die Mindestbeträge erreichen, die ihnen das wirtschaftliche Überleben ermöglichen.

3.1.4   Die schwache Verhandlungsmacht und die einschneidenden Abhängigkeiten der Akteure, die im Verhältnis zu der von ihnen geleisteten Arbeit ungerechte Preise verschmerzen müssen, verschärfen das in der Lebensmittelversorgungskette herrschende Ungleichgewicht (6), sodass das anormale Marktverhalten fortbesteht.

3.1.5   Folglich führt die – für seine Reform wichtige – Analyse des aktuellen Markts zu folgendem Schluss: Fragmentierung auf der Angebotsseite, Konzentration auf der Vertriebsseite und Unbeständigkeit der Nachfrage. Diese Umstände bilden einen natürlichen Nährboden für die Entwicklung der Spekulation.

3.1.6   Hinzu kommen in der Vertriebsphase auch ökologische und soziale Auswirkungen, die sich durch weite Transportwege, lange Kühllagerung, die Verlagerung von Unternehmen usw. ergeben.

3.2   Auf dem Weg zu einem stärker genossenschaftlich strukturierten Markt: ein Ansatz mit neuen Arten der nachhaltigen Produktion und des nachhaltigen Verbrauchs

Der Genossenschaftsgedanke wird durch die Werte der Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Transparenz und sozialen Verantwortung untermauert. Die International Co-operative Alliance (ICA) hat sieben Grundsätze für die Tätigkeit von Genossenschaften aufgestellt: "freiwillige und offene Mitgliedschaft, demokratische Entscheidungsfindung durch die Mitglieder, wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder, Autonomie und Unabhängigkeit, Aus- und Fortbildung sowie Information, Kooperation mit anderen Genossenschaften und Vorsorge für die Gemeinschaft der Genossenschaft" (7).

Ein genossenschaftlicher Markt im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft beruht auf Genossenschaften, die an der Basis des Angebots von und der Nachfrage nach Nahrungsgütern stehen, sowie auf der Wechselseitigkeit bzw. dem beiderseitigen Nutzen der Beziehungen mit dem Ziel einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch gerechteren und effizienteren Wertschöpfungskette. Letztlich geht es darum, den Markt zu einem Positivsummenspiel zu machen, bei dem alle Beteiligten profitieren und durch die Entwicklung langfristiger Bündnisse und Verpflichtungen unter den Hauptakteuren (Erzeugern und Verbrauchern) im Rahmen gleicher Bedingungen eines fairen Wettbewerbs ein möglichst großer gemeinsamer Wert geschaffen wird. Folgende Schlüsselaspekte können für eine Neuausrichtung des Marktes unter den Prämissen dieser Stellungnahme angeführt werden:

3.2.1

Investitionen in die "Produktionspyramide" nach einem grenzübergreifenden genossenschaftlichen Ansatz, bei dem die kritische Masse die nötige Größenordnung und den erforderlichen Umfang erreicht. Ausgehend vom einzelnen Erzeuger oder Familienbetrieb müssen an der Basis der Pyramide stehende Zusammenschlüsse und Genossenschaften als belebender Faktor der Wirtschaft in ländlichen Gebieten gefördert und in umfassendere Strukturen – regionale Netze und Wettbewerbspole – eingebettet werden, mit deren Hilfe die Landwirte in der Vermarktungskette an Bereiche mit höherer Wertschöpfung herangeführt werden. Diese genossenschaftliche Verflechtung wird es ermöglichen, die Erträge zu maximieren und der vielfältigen Nachfrage gerecht zu werden und auch die Absatzwege zwischen den Produktions- und den Verbrauchszentren zu verkürzen (8). Zugleich gewährleistet die genossenschaftliche Integration (9) eine bessere Rückverfolgbarkeit während des gesamten Prozesses, sowohl in puncto Qualität als auch bei der Preisbildung, was wiederum einen optimalen Ressourceneinsatz und eine höhere Effizienz bedeutet.

3.2.2

Ausschüttung der sozialen Rückvergütung. Die durch das Genossenschaftsnetz erwirtschafteten Erträge fließen zu den beteiligten Genossenschaften zurück, wodurch sich ihre Möglichkeiten zur Stärkung ihrer Marktposition erhöhen – zugunsten einer besseren Beschäftigungsfähigkeit und eines breiteren Zugangs zu grundlegenden Ressourcen und unter vorteilhafteren Bedingungen für Erzeuger und Verbraucher, sodass die Entwicklung von Synergien in diesem neuen Umfeld der Handelsbeziehungen gefördert wird.

3.2.3

Konzentration der Nachfrage  (10). Durch Verbrauchergenossenschaften sowie durch die Förderung von Verbraucherschutznetzen, die die Nachfrage der Bürgerinnen und Bürger zusammenführen, soll ein besserer Zugang zu den Erzeugnissen unter vorteilhafteren Preis- und Qualitätsbedingungen ermöglicht werden. Ein unmittelbarer Kontakt zu den Erzeugern wird über die lokalen und nahe gelegenen Märkte im Bemühen um eine weitere Optimierung virtueller Handelsgeschäfte über das Internet hergestellt. Dieser Ansatz fällt mit den erklärten Zielen der wichtigsten Organisationen von Landwirten und agrar- und ernährungswirtschaftlichen Genossenschaften der Europäischen Union zusammen, nämlich diejenigen Initiativen von Landwirten anzustoßen bzw. zu unterstützen, die auf den Direktverkauf ihrer Erzeugnisse an die Endverbraucher abzielen (wie etwa Direktverkäufe ab Hof über landwirtschaftliche Genossenschaften, auf den lokalen Märkten über kollektive Plattformen oder über von den Erzeugern kontrollierte Unternehmen) (11).

3.2.4

Zirkuläres Marktkonzept  (12) mit kürzeren Absatzwegen. Als Gegengewicht zu der zu starken Stellung von Marktteilnehmern, die keinen Mehrwert für die Nahrungsgüter-Vermarktungskette erbringen, muss die Möglichkeit von Absatzwegen geschaffen werden, bei denen eine möglichst geringe Entfernung zwischen den Produktions- und Verbrauchseinheiten, d.h. zwischen Primärerzeugern und Endverbrauchern, besteht (13). Auf diese Weise wird die Entstehung von "Marktschleifen" begünstigt, die in Bezug auf Mittel und Kosten eine ideale Abstimmung zwischen dem Bedarf der Bevölkerung und den Produktionsfaktoren ermöglicht, sodass Überschüsse oder Defizite vermieden werden, die zudem künstliche Preisfluktuationen zur Folge haben können. All dies wird ein gerechteres, transparenteres und ausgewogeneres Funktionieren der Lebensmittelversorgungskette bewirken, das zur Beseitigung wettbewerbsgefährdender missbräuchlicher und illegaler Praktiken beiträgt.

3.2.5

Neue Technologien  (14). Die technische Innovation ist das Fundament, auf das sich das Konzept eines stärker genossenschaftlich strukturierten Marktes stützt, sowohl im Hinblick auf die innovative Entwicklung der Produktionstechniken in der Agrar- und Ernährungswirtschaft als auch in Bezug auf den logistischen Unterbau, der erforderlich ist, um eine optimale Effizienz der Kommunikationsprozesse beim Aufbau intelligenter Netze für Produktion, Vertrieb und Verbrauch (als Organisationsformen, die ein hohes Maß an Selbstorganisation und evolutiver Flexibilität besitzen und lernfähig sind, wenn es darum geht, ihr Handeln auf die Erreichung ihrer Ziele auszurichten) sicherzustellen. Diese Netze mit ihrem viralen Charakter, ihrer Interoperabilität und ihrer gegenseitigen Verknüpfung werden in einem digitalen Umfeld an die Stelle sinnloser Zwischenakteure treten können. Daher müssten die neuen Technologien als Instrumente zur Gestaltung eines Prozesses genutzt werden, der zu mehr kollektiver Effizienz führt, indem die Nahrungsmittelketten und ihr Verarbeitungswert von Innovation getragen werden.

3.3   Wie sich ein stärker genossenschaftlich strukturierter Markt verwirklichen lässt

Der weltweite Wandel hin zu verantwortungsvollen und nachhaltigen Produktions- und Verbrauchsmustern ist als ein Prozess mit mehreren Interessenträgern aufzufassen, in dem jede einzelne Interessengruppe die genossenschaftliche Tätigkeit beeinflussen und von dieser beeinflusst werden kann ("genossenschaftliche soziale Mitverantwortung"). Eine strategische Frage, die bei der Förderung genossenschaftlicher und zwischengenossenschaftlicher Konsum- und Produktionsmodelle berücksichtigt werden muss, ist die Bereitstellung institutioneller Instrumente und Mechanismen in einer Weise, dass das Modell mit der herkömmlichen Wertschöpfungskette konkurrieren kann. Einige Erwägungen können für die einschlägige Beschlussfassung zweckmäßig sein:

3.3.1

Verabschiedung von Maßnahmen im Rahmen der EU-Politiken. Durch eine Reform des Rechtsrahmens und eine angemessene Anreizpolitik unterstützt werden müssen Maßnahmen zur Förderung von Genossenschaften über Entwicklungsagenturen, Finanzkredite usw., Maßnahmen zur genossenschaftlichen Integration und Internationalisierung, Maßnahmen für den sozialen Zusammenhalt und die soziale Innovation sowie Maßnahmen zur Förderung von Partnerschaften zwischen den öffentlichen Einrichtungen sowie kleinen und mittleren Unternehmen, Genossenschaften, Verbraucherverbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen.

3.3.2

Genossenschaftliches öffentliches Auftragswesen  (15). Die Fortschritte, die in den letzten Jahren im Rahmen des "grünen" öffentlichen Beschaffungswesens und neuerdings auch bei der Annahme ethischer Kriterien für die öffentliche Auftragsvergabe erzielt wurden, haben einen starken Effekt auf die soziale und wirtschaftliche Projektion von Nachhaltigkeits- und Kooperationsmaßnamen gehabt. Das öffentliche Auftragswesen ist aufgrund seines Vorbildcharakters und seines hohen Erwerbsvolumens zweifellos ein unverzichtbares Instrument zur Förderung der angestrebten Ziele. Die Ankurbelung der Marktströme zwischen den öffentlichen Verwaltungen und den Genossenschaftsnetzen kann für ein neues Modell der nachhaltigen Produktion und des nachhaltigen Verbrauchs von entscheidender Bedeutung sein.

3.3.3

Qualitätsmarken  (16). Qualitätsmarken sind indirekte Förderinstrumente zur Bestätigung der Herkunft, der Merkmale und der Eigenschaften der gehandelten Produkte, wobei in diesem Fall der Mehrwert der gesellschaftlichen Komponente ("Genossenschaftsmarke") hervorzuheben ist, der mit der genossenschaftlichen Produktion einhergeht. Dieses Markenimage verleiht Bekanntheit und ermöglicht den Zusammenschlüssen im Agrarbereich den Übergang von einer Produktions- zu einer Marktorientierung.

3.3.4

Transparenz und Information der Verbraucher  (17). In Verbindung mit Kampagnen zur Sensibilisierung und Aufklärung der Bürger über Kaufentscheidungen im Rahmen eines genossenschaftlichen Marktes ist Transparenz, insbesondere in Bezug auf Qualität und Rückverfolgbarkeit, ein Faktor des Gleichgewichts in der Wertschöpfungskette. Er führt zu größerer Informationssymmetrie und einer Koordinierung von Produktion und Verbrauch, beides notwendige Voraussetzungen für die Effizienz eines nachhaltigkeitsgestützten Modells, indem Angebot und Nachrage zeitlich und räumlich an die Integration der jeweiligen Vermarktungsprozesse gekoppelt sind. Einen Schwerpunkt müssen auch Verbraucherzusammenschlüsse und Rückverfolgungswege bilden, die zur entsprechenden Konzentration der Endnachfrage nach Nahrungsgütern führen.

3.3.5

Bildung und Ausbildung für soziales Unternehmertum und Genossenschaftswesen  (18). Obgleich es sich hierbei um ein eindeutig zukunftsorientiertes Instrument handelt, dessen Wirkung sich nicht unmittelbar beobachten lässt, ist es für die Konsolidierung der auf dem Markt entstandenen Veränderungen unverzichtbar. Die Kenntnis und Übernahme von Genossenschaftsgrundsätzen in Schulen bewirken nicht nur, dass sich schon früh eine positive Haltung gegenüber dem genossenschaftlichen Modell und gegenüber der Zusammenarbeit als Quelle des Vertrauens herausbildet; ihre praktische Anwendung überträgt sich auch auf die Eltern, indem ihnen Verbrauchsmuster vorgegeben werden, die mit den vorgeschlagenen Maßnahmen synergistisch sind. Besondere Bedeutung hat diesbezüglich die Förderung des Unternehmergeistes junger Menschen, um Anreize und Motivation für die Einrichtung und Konsolidierung von Genossenschaften zu schaffen, sei es in der Produktions-, Vermarktungs- oder Konsumphase. Die Kenntnis bewährter genossenschaftlicher Verfahren sowie deren Austausch und Verbreitung werden sicherlich einen Beitrag zu all diesen Punkten leisten.

3.3.6

Steuerliche Sonderbehandlung  (19). Eine gerechtere Besteuerung muss eine Neuausrichtung des Konsums in Richtung einer effizienten Ressourcennutzung ermöglichen (20), damit stärker berücksichtigt wird, was ein Produkt unter gesellschaftlichen und Umweltaspekten beinhaltet und welcher soziale Mehrwert aus dem genossenschaftlichen Modell erwächst. Ausgehend von einem speziellen Steuerrahmen gehören Steueranreize und Ausgleichsbeihilfen zu den direktesten Instrumenten mit dem größten Potenzial, die Zielsetzungen zu erreichen. Wie die bisherige Erfahrung in verschiedenen Mitgliedstaaten zeigt, fördert die Einführung einer steuerlichen Sonderbehandlung Autonomie und finanzielle Unabhängigkeit, erfordert jedoch ebenso wie einige der vorstehend beschriebenen Initiativen eine vorherige Wirkungsanalyse.

3.3.7

Technologieanwendung. Der technische Fortschritt und der universelle Zugang dazu sind der beste Impuls für das Erreichen der anvisierten Ziele. In diesem Zusammenhang sind die folgenden Maßnahmen hervorzuheben: Anwendung von Forschung und Innovation auf die agrar- und ernährungswirtschaftliche Produktion, Schaffung neuer Vermarktungsräume und -kanäle sowie Verstärkung der Qualitätszertifizierung durch die Vergabe von Zusatzpunkten je nach Nährwert, Liefergarantien und sonstige Vorteile für die Allgemeinheit, unter Abzug von Punkten u.a. für negative externe Effekte für Gesellschaft und Umwelt, sodass Kriterien wie Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie ökologischer bzw. sozialer Fußabdruck zum Tragen kommen können und darüber hinaus von den Verbrauchern im Verhältnis zum Preis und den jeweiligen Produktions- und Vertriebskosten beachtet werden. Um dieses Zertifizierungsinstrument umzusetzen, bedarf es eines Zusammenspiels verschiedener Elemente wie Smartphones, spezieller Computerprogramme und der sozialen Netze.

3.4   Wettbewerbsvorteile des genossenschaftlichen Marktes

Über die offenkundigen Vorteile eines auf Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher und sozialer Zusammenarbeit beruhenden Modells hinaus hat der genossenschaftliche Markt eine Reihe von Wettbewerbsvorteilen, was Auswirkungen auf Aspekte hat, die für die Unionspolitiken sehr wichtig sind, und zwar in folgenden Bereichen:

3.4.1

Wirtschaft: Stabiler und sicherer Marktzugang für die Erzeugnisse der Landwirte, nachhaltige Finanzierung, sozial verantwortliche Investitionen, Marktdynamisierung, Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, Schutz der Rechte und Interessen der Verbraucher usw.

3.4.2

Soziales: Raumplanung, ländliche Entwicklung und Inklusion, Kulturerbe und lokale und regionale Identität, Ernährungssouveränität und –sicherheit, Vermeidung von Überproduktion und Zugänglichkeit von Lebensmitteln, Rückverfolgbarkeit der Produkte, Unternehmensverlagerungen, Gewährleistung angemessener Löhne und Gehälter sowie Verbesserung der Arbeitsbedingungen, soziale Verantwortung und verantwortungsvoller Verbrauch, Gesundheitswesen und gesunde Lebensführung, direkte Teilhabe der Bürger an der Beschlussfassung der sie vertretenden Institutionen usw.

3.4.3

Umwelt: Energieeinsparungen, Erhalt von Ökosystemen, ökologischer Fußabdruck, Agrarökologie, rationale und verantwortungsbewusste Nutzung von Rohstoffen und natürlichen Ressourcen, Lebenszyklus der land- und ernährungswirtschaftlichen Erzeugnisse, Schaffung grüner Arbeitsplätze als Marktverbreitungsstrategie usw.

Brüssel, den 11. Juli 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Mitteilung der Kommission zur Binnenmarktakte, COM(2011) 206 final.

(2)  Mitteilung der Kommission über den Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch und für eine nachhaltige Industriepolitik, COM(2008) 397 final.

(3)  Stellungnahme zur CO2-armen Wirtschaft: Fahrplan bis 2050 (ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 110-116).

(4)  Vereinte Nationen, Generalversammlung "Bericht des Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung", Olivier de Schutter (A/HRC/19/59 – 26. Dezember 2011).

(5)  Schlussfolgerungen von Präsident Nilsson im Anschluss an die Konferenz "Nahrung für jeden – auf dem Weg zu einem globalen Abkommen".

(6)  Stellungnahme "Die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa verbessern" (ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 145).

(7)  Stellungnahme "Genossenschaften und Umstrukturierung".

(8)  Mitteilung der Kommission "Integrierte Produktpolitik", COM(2003) 302 final.

(9)  In diesem Zusammenhang ist die neu aufkommende Unternehmensform der integrierten Genossenschaft oder der genossenschaftlichen Gesellschaft von kollektivem Interesse anzuführen, die darauf ausgerichtet ist, durch die gemeinsame Mobilisierung der beteiligten Akteure Güter oder Dienstleistungen zur Erfüllung kollektiver Bedürfnisse eines bestimmten Gebiets anzubieten.

(10)  Mitteilung der Kommission "Die GAP bis 2020: Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche Gebiete – die künftigen Herausforderungen", COM(2010) 672 final.

(11)  Die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013, Reaktion der Landwirte und der landwirtschaftlichen Genossenschaften der EU auf die Legislativvorschläge der Kommission (COPA-COGECA, 2012).

(12)  Alejandro SALCEDO AZNAL: ¿Sociedad de consumo o redes de consumidores? Esbozo para un análisis social del consumidor actual (2008) (Konsumgesellschaft oder Verbrauchernetze? Entwurf einer Sozialanalyse des Verbrauchers von heute; der Artikel liegt nur auf Spanisch vor).

(13)  Mitteilung der Kommission über den Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch und für eine nachhaltige Industriepolitik, COM(2008) 397 final.

(14)  Stellungnahme zum Thema "Das gemeinschaftliche Agrarmodell: Produktionsqualität und Verbraucherkommunikation als Elemente der Wettbewerbsfähigkeit" (ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 5).

(15)  Mitteilung der Kommission "Eine neue EU-Strategie (2011-2014) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR)", COM(2011) 681 final.

(16)  Mitteilung der Kommission "Die GAP bis 2020: Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche Gebiete – die künftigen Herausforderungen", COM(2010) 672 final.

(17)  Mitteilung der Kommission über den Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch und für eine nachhaltige Industriepolitik, COM(2008) 397 final.

(18)  Mitteilung der Kommission "Initiative für soziales Unternehmertum – Schaffung eines "Ökosystems" zur Förderung der Sozialunternehmen als Schlüsselakteure der Sozialwirtschaft und der sozialen Innovation", COM(2011) 682 final.

(19)  Stellungnahme "Unterschiedliche Unternehmensformen" (ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22-28).

(20)  COM(2011) 571 final sowie Stellungnahme "Förderung der Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch in der EU" (ABl. C 191 vom 29.06.2012, S. 6).


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