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Document 52010IP0289

    Venezuela, insbesondere der Fall Maria Lourdes Afiuni Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Juli 2010 zur Lage in Venezuela, insbesondere zum Fall von Maria Lourdes Afiuni

    ABl. C 351E vom 2.12.2011, p. 130–132 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    2.12.2011   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    CE 351/130


    Donnerstag, 8. Juli 2010
    Venezuela, insbesondere der Fall Maria Lourdes Afiuni

    P7_TA(2010)0289

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Juli 2010 zur Lage in Venezuela, insbesondere zum Fall von Maria Lourdes Afiuni

    2011/C 351 E/20

    Das Europäische Parlament,

    unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in Venezuela, insbesondere seine Entschließungen vom 11. Februar 2010, 7. Mai 2009, 23. Oktober 2008 und vom 24. Mai 2007,

    gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,

    A.

    in der Erwägung, dass die Teilung und Unabhängigkeit der Gewalten die Grundlage jedes demokratischen Staates und jedes Verfassungsstaats bilden,

    B.

    in der Erwägung, dass Maria Lourdes Afiuni, Richterin aus Caracas, am 10. Dezember 2009 nach venezolanischem Recht und entsprechend einer Stellungnahme der UN-Arbeitsgruppe „Willkürliche Inhaftierungen“ unter sehr strengen Auflagen wie der Einbehaltung des Passes die bedingte Freilassung von Eligio Cedeño verfügt hat, der sich seit Februar 2007 in Untersuchungshaft befunden hatte,

    C.

    in der Erwägung, dass nach den Gesetzen Venezuelas die Untersuchungshaft maximal zwei Jahre betragen darf, und in der Erwägung, dass Richterin Afiuni bei ihrer Entscheidung grundlegende Rechte durchgesetzt hat, die sowohl in Venezuela als auch international gesetzlich geschützt werden,

    D.

    in der Erwägung, dass Richterin Afiuni ohne Anklage umgehend im Gericht von Beamten des Nationalen Direktorats für Nachrichtendienste und Abwehr (DISIP) verhaftet und am 12. Dezember 2009 ins Staatliche Frauengefängnis (INOF), einen Hochsicherheitstrakt, verbracht wurde, wo sie nach inzwischen sechs Monaten immer noch unter Haftbedingungen festgehalten wird, die ihre physische und psychische Gesundheit in Gefahr bringen, da 24 Mitgefangene von ihr aufgrund von Straftaten wie Mord, Drogenhandel und Entführung verurteilt wurden; in der Erwägung, dass sie seit Beginn ihrer Haft immer wieder Ziel von Übergriffen, Bedrohungen, verbalen und körperlichen Aggressionen und Angriffen auf ihr Leben wurde,

    E.

    in der Erwägung, dass Präsident Hugo Chávez sie am 11. Dezember 2009 in einer Fernsehansprache eine Banditin genannt und den Generalstaatsanwalt aufgefordert hat, die Höchststrafe zu beantragen, und sogar die Nationalversammlung dazu aufrief, ein neues Gesetz zu erlassen, um härtere Strafen für ein solches Verhalten verhängen zu können und dieses rückwirkend in Kraft zu setzen,

    F.

    in der Erwägung, dass es in Artikel 26 der Verfassung Venezuelas heißt, die Justiz sei autonom und unabhängig und der Präsident der Republik Venezuela für die Durchsetzung dieser Unabhängigkeit verantwortlich,

    G.

    in der Erwägung, dass Richterin Afiuni nach den Erklärungen des Präsidenten Machtmissbrauch, Korruption, Verschwörung und Mittäterschaft bei einer Flucht vorgeworfen wurden; sowie in der Erwägung, dass sie sich nach wie vor in Haft befindet, obwohl der Staatsanwalt bewiesen hat, dass sie kein Geld gezahlt hat und es folglich keinen Korruptionsbeweis gibt,

    H.

    in der Erwägung, dass die Situation von Richterin Afiuni zu zahlreichen Berichten, Resolutionen und Erklärungen geführt hat, in denen die Machthaber in Venezuela verurteilt werden, und dass Anwälte, Richter und Staatsanwälte aus der ganzen Welt, NRO wie Amnesty International oder Human Rights Watch und der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen sich besorgt über die Lage von Maria Lourdes Afiuni geäußert und erklärt haben, sie sei allein wegen ihrer Integrität und ihres Kampfes für die Unabhängigkeit der Justiz inhaftiert worden; sowie in der Erwägung, dass der Interamerikanische Ausschuss für Menschenrechte Vorsichtsmaßnahmen fordert, um ihre persönliche Sicherheit zu garantieren,

    I.

    in der Erwägung, dass es sich bei dem Fall von Richterin Afiuni nicht um einen isolierten Übergriff der politischen Behörden auf die Justiz handelt und einige Richter entlassen wurden und andere ins Exil gingen,

    J.

    in der Erwägung, dass der zunehmende Niedergang der Demokratie in Venezuela auch in anderen Bereichen offensichtlich ist, insbesondere was die Pressefreiheit – auch im Internet – betrifft, die von der Regierung attackiert wurde und gegen die verschiedenste Maßnahmen eingeleitet wurden, wie z. B. das Schließen von Zeitungen, Radiostationen, Websites und TV-Kanälen,

    K.

    in der Erwägung, dass die Freiheit der Medien angesichts ihrer wesentlichen Rolle für die Gewährleistung der freien Bekundung von Meinungen und Ideen von überragender Bedeutung für die Demokratie und die Achtung der Grundfreiheiten ist; sowie in der Erwägung, dass die Freiheit der Medien der Achtung der Rechte von Minderheiten – einschließlich Kräften der politischen Opposition – gebührend Rechnung tragen muss und zur wirksamen Mitwirkung der Bevölkerung am demokratischen Prozess beiträgt, damit freie und faire Wahlen abgehalten werden können,

    L.

    in der Erwägung, dass die staatliche Wahlkommission mit Blick auf die am 26. September 2010 anstehenden Parlamentswahlen die Einteilung der Wahlbezirke zur Wahl der 167 Abgeordneten der Nationalversammlung neu geregelt hat und diese Änderungen bis zu 80 % der Bundesstaaten betrifft, in denen die Opposition regiert,

    M.

    in der Erwägung, dass seit 2005 mehr als 760 Unternehmen Maßnahmen wie willkürlichen Konfiszierungen und Enteignungen ausgesetzt waren, von denen einige auch die Interessen der EU betrafen; sowie in der Erwägung, dass damit grundlegende soziale und wirtschaftliche Rechte der Bürgerinnen und Bürger verletzt wurden,

    N.

    in der Erwägung, dass die politische Lage in Venezuela durch Einschüchterungen, Bedrohungen, Schikanierungen und die politische und strafrechtliche Verfolgung der demokratischen Opposition und ihrer Vertreter, ihrer demokratisch gewählten Bürgermeister und Gouverneure, von Vertretern der Studentenbewegung, Angehörigen der Armee und der Justiz, Gegnern der offiziellen Politik von Präsident Hugo Chávez und Medienvertretern gekennzeichnet ist, was dazu geführt hat, das zahlreiche Personen aus diesem Kreis aus politischen Gründen inhaftiert wurden,

    1.

    verurteilt die Übergriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz; ist in Sorge angesichts der Verhaftung von Richterin Afiuni und betrachtet diese als eine Verletzung ihrer Grundfreiheiten und schwerwiegende Bedrohung für die Unabhängigkeit der Justiz, die eine der grundlegenden Stützen rechtstaatlicher Grundsätze ist;

    2.

    fordert die Freilassung von Richterin Afiuni und fordert die Regierung Venezuelas auf, rechtstaatliche Grundsätze zu achten und faire und zügige Prozesse zu ermöglichen, bei denen die erforderlichen rechtlichen Grundsätze eingehalten werden;

    3.

    ist besorgt angesichts der Haftbedingungen von Richterin Afiuni, die eine ernsthafte Bedrohung ihrer physischen und psychischen Unversehrtheit darstellen, und fordert die Gefängnisbehörden auf, umgehend und konsequent den Maßnahmen und Empfehlungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission bezüglich der Haftbedingungen von Maria Lourdes Afiuni vom 11. Januar 2010 Folge zu leisten;

    4.

    verurteilt die öffentlichen Erklärungen des Präsidenten der Republik Venezuela, in denen er die Richterin beschuldigt und verleumdet sowie die Verhängung der Höchststrafe gefordert hat und sich zudem dafür aussprach, die Gesetze zu ändern, um härtere Strafen verhängen zu können; vertritt die Auffassung, dass diese Erklärungen die Umstände der Haft von Maria Lourdes Afiuni verschlechterten und einen Angriff des Staatspräsidenten auf die Unabhängigkeit der Justiz darstellen, obwohl dieser der erste Garant dieser Unabhängigkeit sollte;

    5.

    erinnert die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela an ihre Verpflichtung, die Ausdrucks- und Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit sowie die Unabhängigkeit der Justiz zu achten, da sie dazu nach ihrer eigenen Verfassung und nach den verschiedenen internationalen und regionalen Übereinkommen und Chartas, die Venezuela unterzeichnet hat, verpflichtet ist; ist der Ansicht, dass die venezolanischen Medien eine pluralistische Berichterstattung über das politische und soziale Lebens in Venezuela gewährleisten sollten;

    6.

    fordert die Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik auf, diese Missstände gegenüber der Regierung Venezuelas zur Sprache zu bringen und der Besorgnis der EU im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte sowie demokratischer und rechtstaatlicher Grundsätze in diesem südamerikanischen Land Ausdruck zu verleihen und sich für die Interessen und den Schutz des Eigentums von Bürgern und Unternehmen aus den Mitgliedstaaten der EU einzusetzen;

    7.

    weist darauf hin, dass es in einer Demokratie gemäß der Interamerikanischen Demokratie- Charta der Organisation Amerikanischer Staaten zusätzlich zu einer klaren und notwendigen Legitimität des Ursprungs der Macht, die sich auf Wahlen stützt und bei diesen erworben wird, auch eine legitime Ausübung dieser Macht auf der Grundlage der Achtung des Pluralismus, der geltenden Regeln, der geltenden Verfassung, der Gesetze und der Rechtsstaatlichkeit als Garanten einer uneingeschränkt funktionsfähigen Demokratie geben muss, was notwendigerweise die Achtung der friedlichen und demokratischen Opposition einschließen muss, insbesondere dann, wenn diese Opposition aus Wahlen hervorgegangen ist und sich auf ein Mandat der Bevölkerung stützt;

    8.

    fordert die venezolanische Regierung auf, mit Blick auf die Parlamentswahlen am 26. September 2010 die Regeln der Demokratie und die Grundsätze der Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Wahlfreiheit zu achten, sowie die Europäische Union und andere internationale Gremien als Beobachter zu diesen Wahlen einzuladen;

    9.

    beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der Regierung und der Nationalversammlung der Bolivarischen Republik Venezuela, der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika und dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten zu übermitteln.


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