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Document 52010IE0969
Opinion of the European Economic and Social Committee on ‘Financial transaction tax’ (own-initiative opinion)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Steuer auf Finanztransaktionen“ (Initiativstellungnahme)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Steuer auf Finanztransaktionen“ (Initiativstellungnahme)
ABl. C 44 vom 11.2.2011, p. 81–89
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
11.2.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 44/81 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Steuer auf Finanztransaktionen“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 44/14
Berichterstatter: Lars NYBERG
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 18. Februar 2010 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Steuer auf Finanztransaktionen“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 23. Juni 2010 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 464. Plenartagung am 14./15. Juli 2010 (Sitzung vom 15. Juli) mit 121 gegen 55 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Gesamtwert der Finanztransaktionen ist von etwa dem 15-fachen des weltweiten BIP im Jahre 1990 auf ca. das 70-fache des weltweiten BIP im Jahre 2007 (1) angestiegen. Da der Anteil der Kassageschäfte am weltweiten BIP wertmäßig beinahe unverändert geblieben ist, ist die Vervierfachung der Finanztransaktionen fast ausschließlich auf Derivate, davon in der Hauptsache Zinsderivate, zurückzuführen. In der zweiten Jahreshälfte 2008 ging der Handel mit Derivaten zurück, jedoch war in der ersten Jahreshälfte 2009 ein erneuter Anstieg zu verzeichnen. Am Verhalten des Finanzsektors scheint sich nicht sehr viel geändert zu haben.
1.2 Im Jahr 2007 erwirtschaftete die Finanzbranche, deren wichtigste Aufgabe die Unterstützung der Realwirtschaft ist, 40 % aller Unternehmensgewinne in den USA, während ihr Anteil am BIP lediglich 7 % betrug. Überdies ist es zu einer Konzentration auf wenige Finanzplätze gekommen, insbesondere London und New York, die mit einer Konzentration auf wenige sehr große Finanzinstitute einherging. Astronomische Summen wurden in diese Branche gepumpt, um den Zusammenbruch dieser Finanzinstitute zu verhindern, was zu Haushaltsdefiziten von beispiellosen Ausmaßen führte.
1.3 Eine Finanztransaktionsteuer könnte sich entscheidend auf das Verhalten der Finanzinstitute auswirken, indem die Zahl der kurzfristigsten, häufig auch riskanten Finanztransaktionen gesenkt wird.
1.4 Der EWSA hat sich in seiner Stellungnahme zum Bericht der de-Larosière-Gruppe im Prinzip für eine Steuer auf Finanztransaktionen ausgesprochen (2): „Nach Auffassung des EWSA muss an die Stelle des kurzfristigen Denkens ein langfristiges treten, bei dem Boni nicht nach Spekulationsgeschäften berechnet werden. Daher unterstützt der EWSA den Gedanken einer Steuer auf Finanztransaktionen […]“. Mit der vorliegenden Stellungnahme möchte sich der EWSA an den laufenden Diskussionen beteiligen und die Überlegungen zu den Zielen und Auswirkungen einer solchen Steuer vertiefen.
1.5 Die Einführung einer Wertpapiertransaktionssteuer wurde erstmals 1936 von J.M. KEYNES vorgeschlagen, um destabilisierende Aktienspekulationen zu verringern und eine langfristige Stabilisierung der Aktienkurse herbeizuführen. In den Siebzigerjahren griff James TOBIN diese Idee auf. TOBIN wollte den Finanzmarkt entschleunigen und durch eine Steuer auf internationale Währungsgeschäfte am Kassamarkt stärker an die Realwirtschaft anbinden. Das damalige Ziel - die Reduzierung der kurzfristigen Transaktionen - wird u.a. auch heute verfolgt.
1.6 TOBIN empfahl, die Einnahmen aus dieser Steuer dem IWF oder der Weltbank zukommen zu lassen, aber Einnahmen waren nicht sein Hauptanliegen: „Je mehr diese Steuer den wirtschaftlichen Zweck erfüllt, um den es mir in erster Linie ging (…), desto weniger Einnahmen generiert sie (…)“.
1.7 In der Finanzkrise 2008 wurde die Idee dieser Steuer wieder aufgegriffen, sie soll nun aber auf sämtliche Finanztransaktionen zwischen Finanzinstituten erhoben werden.
1.8 Vorrangiges Ziel einer Finanztransaktionssteuer soll nach Auffassung des EWSA eine Änderung des Verhaltens im Finanzsektor sein, indem kurzfristige spekulative Finanztransaktionen eingeschränkt werden. Dadurch würden die Tätigkeiten in der Finanzbranche dem Preismechanismus des Marktes unterworfen. Einige dieser Transaktionen wurden von Lord TURNER (britische Finanzaufsichtsbehörde) sogar als sozial sinnlos bezeichnet. Der gewünschte Effekt könnte erzielt werden, da die Steuer bei Finanztransaktionen im Hochfrequenzhandel am stärksten greift.
1.9 Wenn eine Steuer auf Finanztransaktionen den kurzfristigen Handel mit Wertpapieren und Derivaten einschneidend reduzieren würde, so würden dadurch auch die Profite im Finanzsektor eingeschränkt, was zu einer Senkung der Boni, aber auch zu einer Minderung der Gewinnsteuereinnahmen führen könnte. Nicht betroffen wäre die traditionelle Tätigkeit der Banken, die durch Einlagen gegenfinanzierte Vergabe von Krediten an Unternehmen und Haushalte, bei der der Gewinn durch die Zinsdifferenz entsteht. Dadurch würde diese Art der Bankengeschäfte wieder zum Hauptziel der Finanzbranche, wobei die Spareinlagen optimal für Investitionen genutzt werden. Bei den neuerlichen finanziellen Turbulenzen 2010 und der Suche von IWF und EU nach einem Finanzierungsmechanismus zur Bewältigung künftiger Finanzkrisen sollte man die sich damit bietende Gelegenheit zu Verbesserungen in der Finanzbranche - gegen kurzfristiges Denken - nicht verstreichen lassen.
1.10 Eine Steuer auf Finanztransaktionen verfolgt außerdem das Ziel, Mittel für die öffentlichen Kassen zu erschließen. Diese neue Einnahmequelle könnte zur allgemeinen Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Entwicklungsländern, für die Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen in den Entwicklungsländern oder zur Stützung der öffentlichen Haushalte eingesetzt werden. Letzteres bedeutet auch, dass die Finanzbranche die öffentlichen Finanzhilfen zurückerstattet. Langfristig könnte eine solche Steuer eine neue allgemeine Einnahmequelle für die öffentliche Hand sein.
1.11 Die Finanztransaktionssteuer könnte progressiv gestaltet werden, da die Kunden der Finanzinstitute und die Institute selbst im Eigenhandel den finanzstärksten Teil der Gesellschaft bilden. Außerdem leistet die Finanzbranche nach allgemeinem Dafürhalten keinen fairen steuerlichen Beitrag.
1.12 Die Steuer auf Finanztransaktionen sollte einen möglichst breiten Anwendungsbereich haben und vorzugsweise auf sowohl nationalen als auch internationalen Börsenplätzen erhoben werden. Der EWSA empfiehlt für ein globales System einen niedrigen Steuersatz von 0,05 %. Für ein europäisches System wäre ein niedrigerer Satz zweckdienlich, um zu gewährleisten, dass die Steuer nicht die Funktionsweise des Finanzmarktes verzerrt.
1.13 Die Einführung einer solchen Steuer senkt stets den Wert von Aktiva, aber hat sie auch Auswirkungen auf den Finanzplatz, an dem solche Geschäfte abgewickelt werden, wenn sie nicht als globale Steuer konzipiert wird? Einer Studie zufolge hat die derzeitige britische Stempelgebühr den Umsatz um 20 % reduziert, aber kaum zu einer Abwendung vom Finanzplatz London geführt.
1.14 Die Einführung dieser Steuer würde im Prinzip keine verwaltungsmäßigen, technischen oder wirtschaftlichen Kosten verursachen, da die Transaktionen bereits computerisiert sind. Beim außerbörslichen Handel (OTC – over the counter) gibt es allerdings noch keinen computerisierten Markt, jedoch ist eine europäische Regelung in Vorbereitung. An der Notwendigkeit, alle Transaktionen - und dadurch auch den OTC - in eine organisierte Form des Börsenhandels zu überführen, zeigt sich, dass Regelwerke und Steuern, darunter auch die Steuer auf Finanztransaktionen, gegenseitige Ergänzungen und keine Handlungsalternativen sind.
1.15 Diese Steuer würde im Zuge eines veränderten Verhaltens der Finanzbranche, die zu einer stärkeren Würdigung der langfristigen Bewertungsgrundlage führt, und im Zuge höherer Einnahmen der öffentlichen Hand eine doppelte Dividende abwerfen. Allerdings ist auch klar: je höher der Steuersatz, desto stärker die Auswirkungen auf die kurzfristigen Transaktionen, und daher auch desto geringer die Einnahmen. Deshalb muss ein Steuersatz gefunden werden, bei dem sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den beiden Zielen der Steuer auf Finanztransaktionen – einer Änderung des Verhaltens und den Steuereinnahmen – einstellt.
1.16 Bei einer EU-weiten Anwendung käme man auf Steuereinnahmen in einer Größenordnung von rund 1,5 % des BIP, wobei die meisten Einnahmen auf dem britischen Finanzmarkt erzielt würden. Bei einer globalen Anwendung wäre mit Einnahmen in Höhe von ca. 1,2 % des weltweiten BIP zu rechnen. Für Europa und die USA kann in etwa mit ähnlichen Ergebnissen gerechnet werden.
1.17 Die G20 hat auf ihrem Gipfeltreffen am 26./27. Juni 2010 in Toronto keine globale Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen. Nach Meinung des EWSA sollte ein europäisches System dennoch auf der Agenda für Finanzreformen bleiben.
2. Hintergrund
2.1 Für den dramatischen Ausbruch der Finanzkrise nach dem Bankrott des Bankhauses Lehman Brothers (3) 2008 wurden viele Gründe angeführt: billiges Geld aufgrund niedriger Zinssätze, die Verbreitung stark risikobehafteter Wertpapierkonstrukte mittels Verbriefung, Versäumnisse bei der Regulierung und Aufsicht, die Verfügbarkeit wirtschaftlicher Ressourcen für Spekulationen infolge einer lang anhaltenden Umverteilung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit hin zu Kapital, die globale Natur des Finanzmarktes usw.
2.2 Der Anteil der Finanzbranche am BIP hat in einer Art und Weise zugenommen, die jede Vorstellung übersteigt. Im Jahre 1990 machte der Wert der Finanztransaktionen rund das 15-fache des weltweiten BIP aus. Bis zur Krise 2008 war dieser Anteil auf das 70-fache des weltweiten BIP (4) angestiegen. Da Kassageschäfte beinahe denselben Prozentanteil am weltweiten BIP haben wie im Jahre 1990, ist die Vervierfachung der Finanztransaktionen fast ausschließlich auf Derivate zurückzuführen. Diese werden hauptsächlich auf dem „Over the Counter Market“ (OTC) gehandelt, das heißt im Wege direkter Vereinbarungen zwischen dem Kunden und dem Finanzinstitut, wobei diese vorwiegend aus Zinsderivaten bestehen (5). Auch langfristig angelegte Geschäfte wie Hypothekenpfandbriefe gerieten in den Sog des kurzfristigen Handels, da sie oft den Eigentümer wechseln. Die Gründe für viele dieser neuen Handelsaktivitäten liegen sowohl in der Risikoabsicherung als auch in der reinen Spekulation.
2.2.1 Die Ausbildung des Derivatemarkts ist ein neuer Aspekt des Wirtschaftssystems, der mit der Realwirtschaft nicht immer auf dieselbe Art und Weise verbunden ist, wie das bei Kapital im herkömmlichen Sinne der Fall ist. Es gibt eine Vielzahl von Derivaten, wie Optionen, Futures, Forwards und Swaps, deren Basiswerte verschiedene Güter, Währungen oder Zinssätze sein können, die manchmal aber rein spekulativer Natur sind.
2.2.2 Die Statistiken belegen einen Rückgang des Handels mit Derivaten in der zweiten Jahreshälfte 2008. Dieser Umsatzrückgang war jedoch nicht besonders ausgeprägt, sondern nur ein Rückgang auf das drei Jahre zuvor erreichte Niveau. Außerdem war in der ersten Jahreshälfte 2009 wieder ein Anstieg zu verzeichnen (6). Diese Entwicklung ist wiederum hauptsächlich auf Zinsderivate zurückzuführen. Daraus kann gefolgert werden, dass sich am Verhalten des Finanzsektors nicht sehr viel geändert hat. Andererseits sind die Verbriefungen, die die Finanzkrise maßgeblich verursachten, quasi ganz vom Markt verschwunden (7).
2.2.3 Im Jahr 2007, am Vorabend der Krise, erwirtschaftete die Finanzbranche 40 % aller Unternehmensgewinne in den Vereinigten Staaten von Amerika, während ihr Anteil am BIP lediglich 7 % betrug (8). Wenn 40 % der Gewinne auf die Finanzbranche entfallen, so hat sie sich von ihrer Aufgabe als Finanzintermediär entfernt. In dieser Hinsicht kann der Finanzsektor mit seinen oligopolistischen Zügen in einigen Ländern bei der Finanzierung der Realwirtschaft nicht effizient arbeiten.
2.2.4 Überdies ist es zu einer Konzentration auf wenige Finanzplätze gekommen, insbesondere London und New York, die mit einer Konzentration auf wenige sehr große Finanzinstitute einherging. Aufgrund ihrer Größe sind sie nunmehr „zum Scheitern zu groß“ („too big to fail“), sodass viele Regierungen gezwungen waren, einige dieser Banken zu retten, um den Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Astronomische Summen wurden in diese Branche gepumpt, was zu Haushaltsdefiziten von beispiellosen Ausmaßen führte.
2.3 Im Bericht der de-Larosière-Gruppe wurden zahlreiche Vorschläge zur Umgestaltung des Finanzsystems unterbreitet, um Krisen in Zukunft (9) zu vermeiden. Kurz darauf folgten vier Vorschläge der Europäischen Kommission zur Regulierung der Makro- und Mikroaufsicht des Finanzwesens (10) sowie mehrere Vorschläge für die Änderung der Regeln in der Finanzbranche (11). Gleichzeitig wird dieses Thema auch in den USA intensiv diskutiert.
2.3.1 Die Vorschläge für neue Rechtsvorschriften beziehen sich hauptsächlich auf die Aufsicht und die Regulierung bestimmter Finanzinstitute und sollen die Selbstkontrolle in der Finanzbranche teilweise ersetzen. Nur ein kleiner Teil der Vorschläge zielt darauf ab, das Verhalten in der Finanzbranche zu ändern. Bislang gibt es keine Vorschläge zur Regulierung der Instrumente der Finanzbranche, obwohl die wahren Gründe für die Finanzkrise auch bei ihnen zu suchen sind.
2.4 Es liegen auch keine offiziellen Vorschläge seitens der EU für eine Steuer auf Finanztransaktionen vor, obwohl darüber in den letzten Jahren immer deutlicher gesprochen wurde. Eine solche Steuer könnte sich nach Auffassung des EWSA entscheidend auf das Verhalten der Finanzinstitute und die Finanzinstrumente auswirken. Dies könnte über die Reduzierung einiger der gegenwärtig dominierenden kurzfristigen Finanztransaktionen erfolgen.
2.4.1 Die führenden Politiker der G20-Staaten ersuchten auf ihrer Tagung in Pittsburgh im September 2009 den IWF um Ausarbeitung eines Berichts für ihre nächste Tagung (Juni 2010). Darin sollten die verschiedenen Maßnahmen dargestellt werden, die die Länder ergriffen haben oder ergreifen wollen, um die Finanzbranche zu einer fairen und substantiellen Beteiligung an den Finanzlasten zu bewegen, die aus den staatlichen Eingriffen zur Rettung des Bankensystems entstanden sind. In dem vorläufigen IWF-Bericht vom April 2010 wird vor allem auf Maßnahmen zur Bekämpfung künftiger Finanzkrisen abgehoben, wobei hauptsächlich eine Abgabe zur finanziellen Stabilität im Verbund mit einem Abwicklungssystem anvisiert wird. In dieser Stellungnahme geht es dem EWSA nicht darum, diese Vorschläge eingehend zu erörtern, sondern er möchte nur kurz auf die Diskussion im Rahmen des IWF über die Finanztransaktionssteuer vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise eingehen.
2.4.2 Der EWSA hat sich in seiner Stellungnahme zum Bericht der de-Larosière-Gruppe im Prinzip für eine Steuer auf Finanztransaktionen ausgesprochen: „Nach Auffassung des EWSA muss an die Stelle des kurzfristigen Denkens ein langfristiges treten, bei dem Boni nicht nach Spekulationsgeschäften berechnet werden. Daher unterstützt der EWSA den Gedanken einer Steuer auf Finanztransaktionen […]“. Mit der vorliegenden Stellungnahme möchte der EWSA an den laufenden Diskussionen teilnehmen und die Überlegungen zu den Zielen und Auswirkungen einer solchen Steuer vertiefen.
3. Einleitung
3.1 Die Einführung einer Wertpapiertransaktionssteuer wurde erstmals 1936 von J.M. KEYNES vorgeschlagen, um destabilisierende Aktienspekulationen zu verringern und eine langfristige Stabilisierung der Aktienkurse zu bewerkstelligen.
3.2 In den Siebzigerjahren schlug James TOBIN eine Währungstransaktionssteuer, die „Tobin-Steuer“, vor, um destabilisierende Währungsspekulationen zu verringern. Aufgrund des freien Kapitalverkehrs wurden spekulative Angriffe auf Währungen leichter. TOBIN wollte den Finanzmarkt entschleunigen und ihn stärker an die Realwirtschaft anbinden sowie die Rolle der Geldpolitik aufwerten. Die Steuer, für die ein Steuersatz von 0,5 % vorgesehen war, sollte auf Währungsgeschäfte am Kassamarkt erhoben werden. Obwohl die Steuer nicht auf alle Finanztransaktionen angewendet werden sollte (Kassageschäfte machen heute weniger als 10 % der globalen Transaktionen aus), so ging es damals um eines der Ziele, das auch heute verfolgt wird, nämlich um die Reduzierung der kurzfristigen Transaktionen.
3.2.1 TOBIN empfahl, die Einnahmen aus dieser Steuer dem IWF oder der Weltbank zukommen zu lassen. Sein Hauptanliegen waren allerdings nicht diese Einnahmen: „Je mehr diese Steuer den wirtschaftlichen Zweck erfüllt, um den es mir in erster Linie ging, … desto weniger Einnahmen generiert sie …“ (12).
3.3 In der Finanzkrise 2008 wurde die Idee dieser Steuer wieder aufgegriffen, die nun aber nicht mehr nur auf Währungstransaktionen, sondern auf sämtliche Finanztransaktionen erhoben werden soll. Zu erwähnen ist, dass trotz des breiten Anwendungsbereichs Finanztransaktionen von Haushalten und Unternehmen nicht berücksichtigt werden sollen. Die Steuer soll ausschließlich für Transaktionen zwischen Finanzinstituten erhoben werden. Eine solche Finanztransaktionssteuer wird von etlichen Organisationen der Zivilgesellschaft, Wirtschaftswissenschaftlern und Vertretern des Finanzwesens, wie Lord TURNER (Vorsitzender der britischen Finanzaufsichtsbehörde), befürwortet, und nun auch vom Europäischen Rat in seinen Vorschlägen für das G20-Treffen am 17. Juni 2010 (13). Zu den Gegnern der Einführung einer Finanztransaktionssteuer gehören der IWF, die OECD und die Weltbank.
3.4 Was sind die Hauptziele einer solchen Steuer? Auf welche Transaktionen soll sie erhoben werden? Wie hoch soll sie sein? Kann sie lediglich in einem Staat erhoben werden, oder müsste sie in der ganzen EU oder gar weltweit erhoben werden? Welche Auswirkungen sind zu erwarten? Diese Fragen sollen erörtert werden, und sie sollen durch Zahlen auf der Grundlage von Studien des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) (14) und des Center for Economic and Policy Research (CEPR) und des Political Economy Research Institute (PERI, Universität Massachusetts, Amherst) (15) untermauert werden.
3.5 Die Wirkung einer Steuer auf kurzfristige Finanztransaktionen könnte gemäß der Logik von KEYNES und TOBIN einen Mechanismus zur Beeinflussung des Verhaltens in der Finanzbranche darstellen. Angesichts der Häufigkeit der Transaktionen im kurzfristigen Handel würde eine Finanztransaktionssteuer kurzfristige Transaktionen relativ teurer als langfristige Geschäfte machen. Die Regierungen können über den Preismechanismus des Marktes, also über eine Änderung der relativen Kosten, Einfluss auf den Finanzsektor ausüben, so dass eine stärkere Anbindung an die langfristigen realwirtschaftlichen Grundlagen hergestellt wird.
4. Ziele
4.1 Bei einer eingehenden Betrachtung des Finanzmarkts zeigt sich, dass die Zunahme des Handelsvolumens hauptsächlich auf kurzfristige Transaktionen zurückzuführen ist, die spekulativ sind oder der Risikoabsicherung dienen. Im Verhältnis zur Realwirtschaft sind diese Transaktionen häufig viel zu umfangreich. Da sich kurzfristige Preisfluktuationen zu langfristigen Preisausschlägen bei den Preisen der Vermögenswerte aufschaukeln können, besteht die Gefahr einer Abkopplung von der Entwicklung der Realwirtschaft (16). Einige dieser Transaktionen wurden von Lord TURNER als sozial sinnlos bezeichnet.
4.1.1 Nach Auffassung des EWSA sollte ein erstes Ziel einer Finanztransaktionssteuer darin bestehen, eine Verhaltensänderung im Finanzsektor herbeizuführen, indem kurzfristige spekulative Finanztransaktionen eingeschränkt werden. Kurzfristige Transaktionen dieser Art sind hauptsächlich für den Zuwachs der Aktivitäten der Finanzbranche im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts verantwortlich. Die Finanzbranche muss wieder ihren dauerhaften Verpflichtungen gegenüber der Realwirtschaft nachkommen.
4.1.2 Der IWF erwähnt in seinem Bericht die verhaltensregulierenden Auswirkungen einer Steuer auf Finanztransaktionen - allerdings in einem negativen Ton. Zu den negativen Aspekten, die aufgeführt werden, heißt es, dass dies kein Weg zur Finanzierung eines künftigen Lösungsmechanismus sei. Dies war jedoch auch nie das Ziel dieser Steuer. Ein weiterer Einwand ist, dass es besser wäre, direkt die Transaktionen zu besteuern, die reduziert werden sollen. Genau dies wird aber mit der Steuer auf Finanztransaktionen erreicht, die bei den kurzfristigen Transaktionen am stärksten greift.
4.1.3 Durch eine Reduzierung des Volumens kurzfristiger Handelsaktivitäten nähme zugleich auch ihr Anteil an den Geschäftstätigkeiten der Finanzinstitute ab. Dadurch würden andere Geschäftstätigkeiten, wie etwa die Funktion als Intermediäre zwischen Anlegern und Kreditnehmern, wieder größere Bedeutung erlangen. Die Finanzbranche existiert nicht um ihrer selbst willen, sondern sie ist ein Mittel zum Erreichen anderer wirtschaftlicher Ziele. Eine effiziente Finanzbranche wird Spareinlagen optimal zu Investitionen in die Realwirtschaft nutzen.
4.1.4 Im Kern besteht die traditionelle Tätigkeit von Geschäftsbanken in der Vergabe von Krediten an Unternehmen und Haushalte, wobei der Gewinn durch die Zinsdifferenz entsteht. Die Banken unterstützen ihre Kunden dabei, an den Kapitalmärkten Geld aufzunehmen und sich gegen Währungs- und Rohstoffpreisschwankungen im internationalen Handel bzw. mit Warentermingeschäften im Bereich landwirtschaftlicher Erzeugnisse abzusichern. Bei der Erbringung dieser Dienstleistungen kompensieren die Banken ihre eigenen Risiken durch Transaktionen mit anderen Banken, normalerweise in Echtzeit. Zum Kundendienst können mehrere sehr kurzfristige Transaktionen gehören. Des Weiteren erwirtschaften Banken auch Gewinne durch den Eigenhandel mit Wertpapieren und Derivaten. Dieser soll natürlich nicht gänzlich vom Finanzmarkt verschwinden, da er Teil des Interbankenmarkts ist und damit auch für Liquidität sorgt. Wenn aber eine Steuer auf Finanztransaktionen den kurzfristigen Handel mit Wertpapieren und Derivaten einschneidend reduzieren würde, so würden dadurch auch die Profite der Banken eingeschränkt, sodass in der Folge wahrscheinlich auch die Boni wie auch die Gewinnsteuereinnahmen sinken würden. Das traditionelle Bankgeschäft bleibt dabei quasi unangetastet; künftige Gewinne der Finanzinstitute werden niedriger ausfallen und vornehmlich aus hergebrachten Bankgeschäften erwirtschaftet.
4.1.5 Obwohl in der Fachliteratur divergierende Auffassungen vertreten werden, wäre ein Nebeneffekt vermutlich auch ein Rückgang der Volatilität bei den Preisen der Vermögenswerte. Bei den weniger spekulativen Geschäften gäbe es möglicherweise eine größere Stabilität der Aktivapreise. Andere vertreten wiederum die Ansicht, dass gelegentliche Transaktionen sehr volatil und zufallsbedingt sein können, ohne dass sich ein dämpfender Mengeneffekt ergibt.
4.1.6 Mit der Zusammenfassung der potenziellen Effekte der Steuer auf verschiedene Finanzinstitute möchte der EWSA hervorheben, dass solche Änderungen den Hochfrequenzhandel reduzieren könnten. Vor dem Hintergrund der neuerlichen finanziellen Turbulenzen 2010 und der Suche des IWF und der EU nach Finanzierungsmethoden zur Bewältigung künftiger Finanzkrisen sollte man diese sich bietende Gelegenheit für Verbesserungen in der Finanzbranche nicht verstreichen lassen.
4.2 Eine Steuer auf Finanztransaktionen verfolgt außerdem das Ziel, Mittel für die öffentlichen Kassen zu erschließen. Eine solche Steuer würde beträchtliche Einnahmen generieren. Bei den Überlegungen, wie diese neue Einnahmequelle genutzt werden könnte, werden genannt: die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Entwicklungsländern, die Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen in den Entwicklungsländern oder die Erleichterung der durch die Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogenen öffentlichen Haushalte. In Anbetracht der aktuellen politischen Diskussionen in der EU würde sie wohl als Einnahmequelle der öffentlichen Hand dienen.
4.2.1 Der Europäischen Kommission zufolge wurden finanzielle Unterstützungen in Höhe von 30 % des BIP der EU gebilligt. Werden die Garantien herausgerechnet, dann beläuft sie sich auf 13 %. Für das Vereinigte Königreich wäre von einem doppelt so hohen Prozentsatz auszugehen. Bei der Betrachtung der Kosten, die der Allgemeinheit durch die Unterstützung für die Finanzbranche in der Krise entstanden sind, darf nicht vergessen werden, dass die Hälfte davon nicht in Anspruch genommen wurde und ein Großteil dieser Hilfen letztlich zurückgezahlt wird. Die 13 % beziehen sich auf Kapitalzuführung (Kapitalbeteiligung an Banken), Kauf von Vermögenswerten und direkte Unterstützung. Ein großer Teil der Bürgschaften scheint allerdings gar nicht abgerufen worden zu sein.
4.2.2 Die Einnahmen aus der Steuer auf Finanztransaktionen könnten anfänglich zur Reduzierung der nicht zurückerstatteten Hilfen eingesetzt werden. Dort, wo die meisten öffentlichen Gelder zur Bankenrettung geflossen sind, sollten aufgrund der Konzentration der Finanzbranche auch die größten Einnahmen im Wege einer Steuer auf Finanztransaktionen erzielt werden. Der Allgemeinheit sind indes weitaus höhere Kosten entstanden, denn zu berücksichtigen sind auch der Ausfall von Sozialabgaben, die Kosten für die automatischen Stabilisatoren, die höheren Zinskosten, die die öffentliche Hand für Anleihen aufwenden muss usw. Auch der IWF stellt fest, dass aufgrund der großen steuerlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgekosten der Finanzkrise ein Beitrag des Finanzsektors zu den allgemeinen Einnahmen jenseits der Deckung des finanziellen Aufwands für die direkte Unterstützung angezeigt wäre (17).
4.2.3 Künftig sollte die Steuer auf Finanztransaktionen indes als eine neue allgemeine öffentliche Einnahmequelle gesehen werden. Angesichts der Tatsache, dass Finanzdienstleistungen von der Mehrwertsteuer ausgenommen sind und diejenigen, die Bankdienstleistungen in Anspruch nehmen, demnach hierfür weniger Steuern zahlen als für die meisten anderen Dienstleistungen, während die Finanzbranche jedoch hohe Gewinne erwirtschaften konnte, erscheint die stärkere Besteuerung dieser Branche besonders gerechtfertigt.
4.2.4 Einer OECD-Studie zufolge wird 2011 beinahe die Hälfte des Volumens aller in den OECD-Staaten bestehenden öffentlichen Defizite auf die USA entfallen. Im selben Jahr wird das Haushaltsdefizit, ausgedrückt als Prozentanteil des BIP, im Euroraum schätzungsweise annähernd 6 % betragen. Echte Probleme gibt es aber nicht nur in den zur Eurozone gehörenden Ländern wie Griechenland, sondern auch im Vereinigten Königreich, wo das Defizit schätzungsweise ca. 12 % beträgt.
4.2.5 Eine Alternative zur Steuer auf Finanztransaktionen, die im vorläufigen IWF-Bericht erörtert wird, ist eine Finanzaktivitätssteuer, die auf Gewinne und Vergütungen erhoben werden könnte. Sie ist ein einfacher Weg zur Besteuerung von Finanzaktivitäten, deren wichtigster Unterschied zur Steuer auf Finanztransaktionen jedoch darin besteht, dass durch eine Finanzaktivitätssteuer alle Arten von Aktivitäten erfasst werden und nicht zwischen kurz- und langfristigen Transaktionen unterschieden wird. Sie ist lediglich ein Mittel, um den steuerlichen Beitrag der Banken zu erhöhen.
4.2.6 Selbst bei einem einheitlichen Steuersatz hätte die Steuer auf Finanztransaktionen einen progressiven Charakter, da die Kunden der Finanzinstitute und die Institute selbst im Eigenhandel den finanzstärksten Teil der Gesellschaft bilden. Obwohl es wichtig ist, sich darauf zu konzentrieren, die Steuer so zu konzipieren, dass sie möglichst wirksam bei der Finanzbranche ansetzt, müssen die Auswirkungen dieser Steuer auch berücksichtigt werden. Im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen (18) ist davon die Rede, dass innovative Steuerquellen den Vorteil der größeren politischen Akzeptanz haben, insbesondere wenn die Steuerlast von Gruppen oder Branchen getragen wird, von denen angenommen wird, dass sie keinen fairen Beitrag zum Steueraufkommen leisten.
4.2.7 Das Europäische Parlament ersuchte die Kommission, „rechtzeitig vor dem nächsten G20-Gipfel eine Abschätzung der Auswirkungen der globalen Steuer auf Finanzgeschäfte unter Ermittlung ihrer Vor- und Nachteile auszuarbeiten“ (19). Auch der EWSA ist der Auffassung, dass zahlreiche technische Aspekte der Steuer auf Finanztransaktionen geprüft werden müssen. Die Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (20) kommt den Vorschlägen des Parlaments nicht vollständig nach. Daher unterstreicht der EWSA, dass es einer umfassenden Folgenabschätzung zusammen mit einem formellen Vorschlag für eine Steuer auf Finanztransaktionen bedarf.
5. Konzeption
5.1 Allgemeiner Anwendungsbereich
5.1.1 Dieser Steuer sollten nicht nur internationale Transaktionen, sondern alle Finanztransaktionen unterworfen werden. Selbst wenn hier von „allen“ Transaktionen die Rede ist, so gibt es bei den meisten Simulationen doch Einschränkungen entweder in Bezug auf die betroffenen Transaktionen oder bezüglich des zu besteuernden Wertes. In der CEPR/PERI-Studie werden verschiedene Besteuerungsgrundlagen unter die Lupe genommen. In der WIFO-Studie wird eine Variante gewählt, die sämtliche Transaktionen umfasst.
5.1.2 Ein Kriterium bei der Wahl der zu besteuernden Transaktionen sollte sein, sich auf die kurzfristigsten zu konzentrieren. Zweitens sollte der Anwendungsbereich möglichst breit sein. Eine dritte Entscheidung betrifft die Frage, ob nur nationale Märkte zu erfassen sind oder auch internationale Transaktionen einbezogen werden sollen.
5.1.3 Würden sowohl nationale als auch ausländische Transaktionen eingeschlossen sein, so wären alle Finanztransaktionen eingeschlossen. Das Bestreben, Verzerrungen in der Realwirtschaft zu vermeiden, könnte ein Argument für die Ausklammerung von Kassageschäften sein.
5.1.4 Werden nicht alle Transaktionen einbezogen, befinden sich die verschiedenen Transaktionen in einer ungleichen Wettbewerbssituation. Solche Auswirkungen sind erwünscht, sofern die kurzfristigen spekulativen gegenüber den langfristigen, nicht spekulativen Transaktionen erschwert werden. Dies wird tatsächlich der Fall sein, da sich die Steuer bei einer höheren Frequenz der Transaktionen umso stärker auswirkt.
5.1.5 Gegen den Nominalwert von Finanztransaktionen als Grundlage für eine Steuer auf Finanztransaktionen wurde vorgebracht, dass diese Grundlage quasi fiktiv sei. Alternativ zur Steuer auf Finanztransaktionen könnten die Gelder, mit denen die Finanzinstitute im Derivatehandel tatsächlich operieren - Gebühren, Prämien oder sonstige für den Kunden anfallende Kosten – besteuert werden. Die Entwicklung der Finanztransaktionen, bei denen der Nominalwert im Verhältnis zum BIP herangezogen wird, ist nach Auffassung des EWSA dennoch ein nützliches Maß für die gehandelten Volumina auf dem Finanzmarkt und deren Fluktuation im zeitlichen Verlauf.
5.2 Geografischer Anwendungsbereich
5.2.1 Sollte die Steuer auf Finanztransaktionen national, regional (auf Ebene der EU) oder global sein? Zweifelsohne wäre eine globale Steuer zu bevorzugen. Erweist sich diese als nicht durchführbar, müsste unbedingt über eine EU-weite Anwendung nachgedacht werden. Es gibt gleichwohl auch Beispiele dafür, dass eine solche Steuer auf nationaler Ebene möglich ist, zumal bei Ländern mit einer großen Finanzbranche. Es fragt sich, ob dies starke Auswirkungen hat auf den Finanzplatz, an dem der Handel stattfindet. Die Erfahrung zeigt indes, dass dies kein großes Problem zu sein scheint (21).
5.2.2 Die Einführung einer Steuer auf Aktiva wirkt sich stets wertmindernd auf die Aktiva aus - hat sie aber auch Auswirkungen darauf, wo solche Geschäfte abgewickelt werden? Einer Studie zufolge hat die britische Form der Stempelgebühr von 0,5 % auf Aktien und bestimmte Anleihen zwar den Umsatz um 20 % reduziert, es kann aber nicht gesagt werden, dass sie zu einer Abkehr vom Standort London geführt hat (22).
5.3 Steuersatz
5.3.1 Für den Steuersatz sind Werte zwischen 0,1 und 0,01 % vorgeschlagen worden. Am häufigsten werden 0,05 % genannt. Dies ist auch der Wert, den der EWSA für ein globales System empfiehlt. Dieser Satz ist so niedrig, dass er ohne die Gefahr starker Auswirkungen auf die kurzfristigen Transaktionen – durch die das Funktionieren des Finanzmarktes beeinträchtigt würde – angewendet werden kann. Wird eine derartige Steuer als europäisches System eingeführt, sollte jedoch ein niedrigerer Satz erwogen werden.
5.3.2 Mit einer Änderung des Verhaltens in der Finanzbranche, die dann stärker auf langfristige Parameter achten würde, bei gleichzeitig gestiegenen Einnahmen der öffentlichen Hand würde diese Steuer einen doppelten Ertrag erbringen. Allerdings ist auch klar: je höher der Steuersatz, desto stärker die Auswirkungen auf die kurzfristig gehandelten Transaktionen und desto geringer die Einnahmen aus dieser Steuer. Daher muss ein Steuersatz gefunden werden, bei dem sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den beiden Zielen der Steuer auf Finanztransaktionen - der Änderung des Verhaltens und den Steuereinnahmen - einstellt.
5.3.3 Alle konkreten Beispiele für Steuern oder sonstige Abgabe belegen: Sie wurden stets nur auf einige Finanztransaktionen angewendet, nie auf alle. Wird eine Steuer auf alle Transaktionen erhoben, können die Effekte nicht im Voraus abgeschätzt werden. Deshalb sollte der Steuersatz beispielsweise alle drei Jahre einer Überprüfung unterzogen werden, um festzustellen, ob er erhöht oder gesenkt werden soll.
5.4 Durchführbarkeit
5.4.1 Ein anderes Problem ist der Einzug dieser Steuer. Die meisten Transaktionen, die besteuert werden sollen, werden bereits im computerisierten Handel abgewickelt. Dies bedeutet, dass es keine verwaltungsmäßigen, technischen oder wirtschaftlichen Kosten im Zusammenhang mit der Einführung dieser Steuer gibt. Selbstverständlich müsste eine spezielle Software entwickelt werden; einige Tests wurden bereits durchgeführt.
5.4.2 Es muss überprüft werden, ob nicht besteuerte innovative Finanzprodukte geschaffen wurden oder bereits bestehen, die vielleicht sogar zu dem ausdrücklichen Zweck der Steuervermeidung entwickelt wurden. Auch sie müssen in die Besteuerungsgrundlage aufgenommen werden.
5.4.3 Beim außerbörslichen Handel (OTC, over the counter) gibt es noch keinen computerisierten Markt, eine europäische Regelung ist in Vorbereitung. An der Notwendigkeit, den Freiverkehrsmarkt in eine organisierte Form des Börsenhandels zu überführen, zeigt sich, dass Regelwerke und Steuern, darunter auch die Steuer auf Finanztransaktionen, gegenseitige Ergänzungen und keine Handlungsalternativen sind.
6. Wirkungen
6.1 Reduzierung kurzfristiger Finanztransaktionen
6.1.1 Es liegen keine genauen Schätzungen dafür vor, wie eine Steuer auf Finanztransaktionen das kurzfristige Trading beeinflusst würde. Es kann lediglich mit Annahmen operiert werden - ein echtes Problem bei der Diskussion der Finanztransaktionssteuer. Für den Hauptzweck, die Reduzierung der kurzfristigen Finanztransaktionen, liegen daher auch keine Statistiken vor. Die einzigen vorhandenen statistischen Schätzungen beziehen sich auf die mögliche Höhe der Steuereinnahmen.
6.1.2 Eine empirische Auswirkung der Steuer auf Finanztransaktionen ist die Reduzierung der Liquidität. Aber wo liegt die optimale Liquidität? Funktionierten die Wirtschaftssysteme mit der extrem hohen Liquidität im Jahre 2007 besser als in den Jahren 1990 oder 2000? Soll Liquidität hier als die Gesamtzahl der durchgeführten Finanztransaktionen verstanden werden? Dies ist zu verneinen, wenn zahlreichen Transaktionen dieselben Wertpapiere zugrunde lagen. Die Gesamtzahl der Transaktionen kann folglich nicht als ein besonders guter Indikator für die „echte“ Liquidität angesehen werden. Wenn man sich noch einmal die wesentliche Funktion der Finanzbranche – nämlich ihre Rolle als Finanzintermediär – vor Augen führt, erscheint es angebracht, die Liquidität der Entwicklung des BIP anzugleichen. Ohne den Umfang der Reduzierung genau benennen zu wollen, scheint es doch klar, dass eine Rückführung der Liquidität – ausgehend von dem Stand von 2007 – anzustreben ist.
6.1.3 Da eine Steuer auf Finanztransaktionen hauptsächlich beim Hochfrequenzhandel ansetzt, würde die Zahl der Transaktionen gesenkt und es käme zu einer Verschiebung zwischen kurzfristigen und langfristigen Transaktionen. Ein Argument, das gegen eine Steuer auf Finanztransaktionen ins Feld geführt wird, ist, dass die Finanzmärkte aufgrund der Abnahme kurzfristiger Transaktionen undurchsichtiger würden. Angesichts der derzeitigen Zahl solcher Transaktionen würde aber selbst eine umfassende Reduzierung nicht zum Verschwinden sämtlicher Tagesgeschäfte führen. Es kann kaum behauptet werden, dass der Finanzsektor unter diesem Aspekt z.B. im Jahr 2000 undurchsichtig gewesen wäre.
6.1.3.1 Wie in der WIFO-Studie beschrieben, hat der vermehrte Einsatz von Finanzderivaten zu extremen kurz- und langfristigen Preisausschlägen geführt. Würden weniger Derivate gehandelt, könnte demzufolge die Preisvolatilität in den Finanzmärkten abnehmen – und nicht zunehmen, wie mitunter behauptet wird.
6.1.3.2 Der Finanzhandel ist fast gleichmäßig auf Banken und sonstige Finanzinstitute verteilt. Über die Verteilung zwischen kurz- und langfristigen Transaktionen liegen allerdings keine Daten vor.
6.2 Umfang der öffentlichen Einkünfte
6.2.1 In der WIFO-Studie wird davon ausgegangen, dass das Volumen der besteuerten Transaktionen bei einem Steuersatz von 0,05 % um 65 % reduziert wird. Bei einem niedrigeren Satz wird von einem geringeren Rückgang der Transaktionen ausgegangen, während ein höherer Wert zu einer stärkeren Reduzierung führen dürfte.
6.2.1.1 Wie dieser Studie zu entnehmen ist, könnte eine Steuer auf Finanztransaktionen allein im Vereinigten Königreich zu Steuereinnahmen in Höhe von beinahe 7 % des BIP führen. In Deutschland, dem EU-Land, in dem nach dem Vereinigten Königreich die meisten dieser Finanztransaktionen durchgeführt werden, würde dies Einnahmen von etwas mehr als 1 % des BIP bedeuten. Bei einer EU-weiten Anwendung käme man auf Steuereinnahmen in einer Größenordnung von rund 1,5 % des BIP, wobei die meisten Einnahmen auf dem britischen Finanzmarkt generiert würden. Bei einer globalen Anwendung wäre mit Einnahmen in Höhe von ca. 1,2 % des weltweiten BIP zu rechnen.
6.2.2 In der CEPR/PERI-Studie wird für den Rückgang der Transaktionen eine Bandbreite zwischen 25 % und 50 % veranschlagt. Im Sinne der Vergleichbarkeit mit den Werten der WIFO-Studie werden nur die Werte für einen Rückgang der Besteuerungsgrundlagen um 50 % beachtet. In dieser Studie werden die Angaben nach den verschiedenen Anlageklassen aufgeschlüsselt. Die Angaben in US-Dollar in der Studie werden in Anteile am BIP der USA umgerechnet.
— |
Aktien und Wertpapiere 0,75 % |
— |
Anleihen 0,18 % |
— |
Optionen 0,03 % |
— |
Devisenkassageschäfte 0,05 % |
— |
Futures 0,05 % |
— |
Swaps 0,16 % |
— |
INSGESAMT 1,23 % |
6.2.3 Beide Studien ergeben in etwa dieselben Resultate für Europa und die USA. Der CEPR/PERI-Studie ist ferner zu entnehmen, dass die Kassageschäfte nur einen sehr kleinen Anteil der Gesamttransaktionen ausmachen.
Brüssel, den 15. Juli 2010
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Mario SEPI
(1) Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.
(2) „Bericht der de-Larosière-Gruppe“, ABl. C 318/11 vom 23.12.2009, S. 57.
(3) Globaler Finanzdienstleister.
(4) Stephan SCHULMEISTER, A General Financial Transaction Tax, WIFO Working Papers 344/2009.
(5) Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ); in: DAVAS / VON WEIZSÄCKER, Financial Transaction Tax: Small is Beautiful, 2010.
(6) Siehe Fußnote 5.
(7) H.W. SINN bei der Vorlage des Berichts der European Economic Advisory Group 2010 am 23. Februar 2010 in Brüssel.
(8) Helene SCHUBERT, Österreichische Nationalbank.
(9) „Bericht der de-Larosière-Gruppe“, ABl. C 318/11 vom 23.12.2009, S. 57.
(10) „Vorschlag für eine Verordnung […] über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken“, ABl. C 277/25 vom 17.11.2009, S. 117.
(11) „Ratingagenturen“, ABl. C 277/25 vom 17.11.2009, S. 117.
„Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist“ und „Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind“, ABl. C ….
(12) TOBIN, James: A Proposal for International Monetary Reform, 1978.
(13) Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom 17. Juni 2010: „Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung von weltweit gleichen Wettbewerbsbedingungen sollte die EU bei den Bemühungen um ein globales Konzept zur Einführung von Systemen für Abgaben und Steuern für Finanzinstitute die Führungsrolle übernehmen, und sie wird diese Position gegenüber ihren G20-Partnern mit Nachdruck vertreten. In diesem Zusammenhang sollte die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer sondiert und weiter ausgestaltet werden.“
(14) Stephan SCHULMEISTER, A General Financial Transaction Tax, WIFO Working Papers 344/2009.
(15) BAKER, POLLIN, MCARTHUR, SHERMAN: The Potential Revenue from Financial Transactions Taxes. CEPR/PERI, Dezember 2009.
(16) Ebenda, Fußnote 14.
(17) IWF, „A fair and substantial contribution by the financial sector“. Zwischenbericht für die G20.
(18) SEK(2010) 409 - Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: „Innovative financing at a global level“ [Anm. d. Übers.: nur in englischer Sprache verfügbar].
(19) PE432.992v01-00 Entschließungsantrag.
(20) SEK(2010) 409 endg.
(21) Steuern dieser Art gibt es in Südkorea, Hongkong, Australien, Taiwan und Indien. Ähnliche Steuern werden in Belgien, Argentinien und Brasilien erhoben.
(22) Institute for Fiscal Studies 2002: Stamp duty on share transactions: is there a case for change. Kommentar 89.
ANHANG
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:
Ziffer 1.10 – Änderungsantrag 1 - José SARTORIUS
Wie folgt ändern:
„Eine Steuer auf Finanztransaktionen verfolgt außerdem das Ziel, Mittel für die öffentlichen Kassen zu erschließen. Diese neue Einnahmequelle könnte . Letzteres bedeutet auch, dass die Finanzbranche die öffentlichen Finanzhilfen zurückerstattet. Langfristig könnte eine solche Steuer eine neue allgemeine Einnahmequelle für die öffentliche Hand sein.“
Begründung
In manchen Mitgliedstaaten wurden keine öffentlichen Mittel eingesetzt, um Banken zu retten, sodass die Banken nicht zu einer Belastung für die öffentlichen Finanzen wurden. Allerdings ist es empfehlenswert, künftigen Krisen vorzubeugen, und natürlich müssen auch die Finanzinstitutionen zu diesem Fonds beitragen, der ausschließlich dafür genutzt würde, den Bankrott eines insolventen Instituts geordnet abzuwickeln und eine Destabilisierung des Finanzsystems insgesamt zu verhindern.
Ziffer 4.2 – Änderungsantrag 4 - José SARTORIUS
Sätze 1-3 streichen und durch die für Ziffer 1.10 vorgeschlagene neue Formulierung ersetzen:
„“
Begründung
Wie für Ziffer 1.10.
Ziffer 4.2.3 – Änderungsantrag 5- José SARTORIUS
Neuen Satz anfügen:
„Künftig sollte die Steuer auf Finanztransaktionen indes als eine neue allgemeine öffentliche Einnahmequelle gesehen werden. Angesichts der Tatsache, dass Finanzdienstleistungen von der Mehrwertsteuer ausgenommen sind und diejenigen, die Bankdienstleistungen in Anspruch nehmen, demnach hierfür weniger Steuern zahlen als für die meisten anderen Dienstleistungen, während die Finanzbranche jedoch hohe Gewinne erwirtschaften konnte, erscheint die stärkere Besteuerung dieser Branche besonders gerechtfertigt. “
Begründung
Geht es einzig und allein um die Erschließung von Mitteln, so ist die allgemeine Auffassung in der öffentlichen Finanzverwaltung, dass eine Belastung der Transaktionen zwischen Unternehmen wegen der möglichen negativen Auswirkungen nicht empfehlenswert ist. Es wäre besser, das Endergebnis zu besteuern, denn die Besteuerung der Transaktionen löst eine Kaskade aus, die zu Preissteigerungen führt. Es gibt wirksamere Mittel, um Einnahmen zu erschließen.
Über diese drei Änderungsanträge wurde zusammen abgestimmt.
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
: |
52 |
Nein-Stimmen |
: |
91 |
Stimmenthaltungen |
: |
9 |
Ziffer 1.11 – Änderungsantrag 2 - José SARTORIUS
Den letzten Satz streichen:
„Die Finanztransaktionssteuer könnte progressiv gestaltet werden, da die Kunden der Finanzinstitute und die Institute selbst im Eigenhandel den finanzstärksten Teil der Gesellschaft bilden. .“
Begründung
Diese Behauptung entbehrt jeder Grundlage. Die Finanzbranche leistet wie jede andere einen steuerlichen Beitrag. Mit welcher anderen Branche vergleicht sie der Berichterstatter? Mit welchen Zahlen kann er diese Behauptung untermauern?
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
: |
65 |
Nein-Stimmen |
: |
102 |
Stimmenthaltungen |
: |
10 |
Ziffer 1.16 - Änderungsantrag 3 - José SARTORIUS
Nach Ziffer 1.16 neue Ziffer hinzufügen
„“
Begründung
Diese Aussage entspricht der Realität und sollte daher in die Stellungnahme aufgenommen werden. Die Steuer wird in einem entscheidenden Moment negative Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft haben.
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
: |
62 |
Nein-Stimmen |
: |
116 |
Stimmenthaltungen |
: |
4 |
Die folgende Textstelle der Fachgruppenstellungnahme wurde zugunsten eines im Plenum angenommenen Änderungsantrages abgelehnt, hatte jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhalten:
Ziffer 5.3.1 – Änderungsantrag 8 - Lars NYBERG
Wie folgt ändern:
„Für den Steuersatz sind Werte zwischen 0,1 und 0,01 % vorgeschlagen worden. Am häufigsten werden 0,05 % genannt. Dies ist auch der Wert, den der EWSA empfiehlt. Dieser Satz ist so niedrig, dass er ohne die Gefahr starker Auswirkungen auf die kurzfristigen Transaktionen – durch die das Funktionieren des Finanzmarktes beeinträchtigt würde – angewendet werden kann. “
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
: |
102 |
Nein-Stimmen |
: |
52 |
Stimmenthaltungen |
: |
15 |