Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52010AE1376

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates“ KOM(2010) 95 endg. — 2010/0065 (COD)

    ABl. C 51 vom 17.2.2011, p. 50–54 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    17.2.2011   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 51/50


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates“

    KOM(2010) 95 endg. — 2010/0065 (COD)

    2011/C 51/10

    Berichterstatter: Ionuț SIBIAN

    Der Rat beschloss am 22. Juli 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates

    KOM(2010) 95 endg. — 2010/0065 (COD).

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft, nahm ihre Stellungnahme am 2. September 2010 an.

    Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, auf der Plenartagung im Oktober über diese Stellungnahme abzustimmen und Ionu SIBIAN gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter zu bestellen.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 466. Plenartagung am 21. Oktober 2010 einstimmig folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der EWSA unterstützt das Engagement der EU für die Verhinderung und Bekämpfung des Menschenhandels und den Schutz der Opfer und begrüßt den ganzheitlichen, integrierten Ansatz der Richtlinie.

    1.2

    Menschenhandel ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte, eine Straftat mit vielfältigen Facetten, die alle berücksichtigt werden müssen. Die in der Richtlinie vorgeschlagene Begriffsbestimmung schließt verschiedene Arten von Opfern und verschiedene Formen der Ausbeutung ein, darunter Betteltätigkeiten und die Ausnutzung strafbarer Handlungen als zwei neue Bereiche. Die Definition umfasst auch den Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme, eine äußerst schwere Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenrechte. Diese breite Definition von Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel wird vom EWSA mit Nachdruck befürwortet.

    1.3

    Der EWSA unterstützt die Auffassung, dass strafrechtliche Sanktionen von Menschenhandelsdelikten der außerordentlichen Schwere dieser Straftaten entsprechen müssen. Daher empfiehlt er die Verhängung härterer Strafen und Sanktionen und die Beschlagnahme von aus illegalen Handlungen erzielten Vermögenswerten. Zu den Ermittlungen gegen Menschenhändler müssen auch Finanzermittlungen gehören. Eine Angleichung der Strafmaße und Sanktionen zwischen den Mitgliedstaaten ist unerlässlich.

    1.4

    Bei der Bekämpfung dieser schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte gilt neben der Bestrafung der Täter ein anderer äußerst wichtiger Aspekt, nämlich dass von Gerichten verhängte Strafen auch tatsächlich verbüßt werden. Der EWSA empfiehlt, bei Menschenhandel die Möglichkeit der Umwandlung einer Strafe oder vorzeitigen Haftentlassung auszuschließen.

    1.5

    Der EWSA unterstützt die Auffassung, dass die Opfer des Menschenhandels Hilfe brauchen und vor sekundärer Viktimisierung („zweite Opferwerdung“) und weiteren Traumata während des Strafverfahrens geschützt werden müssen. Diesbezüglich empfiehlt der EWSA, den bisherigen Wortlaut von Artikel 7 der Richtlinie „Jeder Mitgliedstaat sieht (…) die Möglichkeit vor, Opfer von Menschenhandel (…) nicht strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen“ zu ändern und das Wort „Möglichkeit“ durch einen stärkeren Begriff zu ersetzen, damit der Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung keine Ausnahme bleibt, sondern zur Regel wird.

    1.6

    Der EWSA schlägt vor, dass Opfer von Menschenhändlern - angesichts ihrer besonderen Situation - sobald sie als solche anerkannt sind, unentgeltlich hochwertige Rechtshilfe erhalten sollten.

    1.7

    Für minderjährige Opfer von Menschenhandel sollte die Hilfe und Unterstützung vor allem darin bestehen, sie wieder mit ihren Familien zusammenzuführen, sofern diese nicht an dem Menschenhandel beteiligt waren.

    1.8

    Damit die Opfer nach ihrer Rückkehr erfolgreich wiedereingegliedert werden können und nicht erneut Menschenhändlern in die Hände geraten, sollte ihnen eine Bedenkzeit (1) eingeräumt werden, in der sie neben medizinischer Hilfe auch Bildungs- und/oder Ausbildungsangebote erhalten.

    1.9

    Im Fall von Menschenhandel ist auch der Grundsatz der Nichtzurückweisung anzuwenden, damit die Opfer nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, wenn dort Gefahr für ihr Leben oder ihre Freiheit besteht.

    1.10

    Der EWSA teilt die Ansicht, dass zu weiteren Maßnahmen und Beschlüssen in Bezug auf den Menschenhandel auch Präventionsmaßnahmen gehören sollten. In diesem Zusammenhang ist eine eingehende Kenntnis und Analyse der eigentlichen Ursachen des Menschenhandels erforderlich, um die Faktoren wirksam bekämpfen zu können und so eine Eindämmung des Menschenhandels zu erreichen.

    1.11

    Menschenhandel ist sowohl ein globales als auch ein lokales Problem. Nach Ansicht des EWSA setzt die wirksame Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung eine umfassende partnerschaftliche Zusammenarbeit voraus, in die NRO, Arbeitgeberverbände, die Privatwirtschaft, Gewerkschaften und alle Regierungsebenen eingebunden sind. Es muss ein für Menschenhändler unerträgliches Umfeld geschaffen werden.

    1.12

    Auch die Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Menschenhandels. Der EWSA begrüßt es, dass in der Richtlinie eine Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen vorgesehen ist. Wichtig ist vor allem, dass diese Organisationen in alle Phasen des Prozesses einbezogen werden, angefangen von der Ermittlung der Opfer bis hin zu den Hilfeleistungen. Zivilgesellschaftliche Organisationen könnten eine entscheidende Rolle bei der gesellschaftlichen Wiedereingliederung potenzieller Opfer spielen, womit sie indirekt auch präventiv tätig werden und dazu beitragen, dass die Betroffenen nicht erneut zu Opfern werden und Menschenhändlern in die Hände geraten.

    1.13

    Der EWSA stimmt zu, dass es an vergleichbaren Daten zum Menschenhandel fehlt. Daher ist es erforderlich, in den EU-Mitgliedstaaten aufeinander abgestimmte Erhebungen hochwertiger Daten zu diesem Phänomen durchzuführen und dafür nationale Berichterstatter einzusetzen.

    1.14

    Die Einrichtung nationaler Meldestellen zu dieser Thematik sollte der Regelfall sein und ihr Auftrag klar festgelegt werden. Der Richtlinie zufolge können die Mitgliedstaaten nationale Meldestellen oder gleichwertige Mechanismen einrichten. Nach Auffassung des EWSA sollte nur eine Art von Institution genannt werden, und diese nationale Stelle in jedem Mitgliedstaat sollte die Politik und Maßnahmen auf regionaler Ebene koordinieren, um größere Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden.

    1.15

    Der EWSA erwartet von der zwischen den Mitgliedstaaten erzielten Vereinbarung, einen EU-Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels zu ernennen, kohärente, zufriedenstellende und entschiedene Maßnahmen.

    2.   Kommissionsvorschlag

    Der Richtlinienvorschlag stützt sich auf das Übereinkommen des Europarats und übernimmt denselben ganzheitlichen Ansatz mit den Aspekten Prävention, Strafverfolgung, Opferschutz und Kontrolle. Außerdem enthält er im Wesentlichen die folgenden Komponenten, die einen zusätzlichen Nutzen haben:

    Maßnahmen zur Anpassung des Strafmaßes an die Schwere der Straftaten;

    umfassendere, verbindlichere Regelung der extraterritorialen gerichtlichen Zuständigkeit, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, eigene Staatsangehörige und Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat, die eine mit Menschenhandel im Zusammenhang stehende Straftat außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaates begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen;

    weiter gefasster Anwendungsbereich der Bestimmung im Sinne des Protokolls von Palermo, wonach keine Strafen gegen Opfer wegen deren Beteiligung an rechtswidrigen Handlungen der Menschenhändler zu verhängen sind, gleichgültig, um welche illegalen Maßnahmen es sich handelt;

    verbesserte Unterstützung der Opfer, insbesondere bei der medizinischen Behandlung, sowie Schutzmaßnahmen;

    Gewährleistung des Schutzes im Herkunftsland der Opfer, wenn sie dorthin zurückgeschickt werden;

    spezielle Schutzmaßnahmen für Kinder, Frauen und andere besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sind;

    darüber hinaus ist die Einbeziehung inhaltlich ähnlicher Bestimmungen in den Besitzstand der EU insofern von Vorteil, als diese Bestimmungen, sobald sie Teil der EU-Rechtsordnung sind, unmittelbar in Kraft treten können und ihre Umsetzung kontrolliert werden kann.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1

    Der EWSA unterstützt das Engagement der EU für die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und den Schutz der Opfer des Menschenhandels. Das Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie besteht darin, Mindestvorschriften für Sanktionen bei Menschenhandelsdelikten festzulegen und die Bemühungen zur Prävention derartiger Machenschaften sowie zum Schutz der Opfer zu intensivieren.

    3.2

    Der EWSA begrüßt den ganzheitlichen, integrierten Ansatz der Richtlinie. Da der Menschenhandel eine moderne Form der Sklaverei und ein höchst gewinnbringendes Geschäft der organisierten Kriminalität ist und da er in Europa zunimmt (laut dem Bericht 2009 von Europol), benötigt die EU eine menschenrechtsorientierte und ganzheitliche Bekämpfungsstrategie mit Maßnahmen in den Bereichen Außenbeziehungen, Rückkehr und Wiedereingliederung, Soziales, soziale Eingliederung, Migration und Asyl.

    3.3

    Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass mit der Richtlinie den jüngsten Entwicklungen im Bereich Menschenhandel Rechnung getragen wird und die verwendete Definition des Begriffs Menschenhandel daher international vereinbarten Standards entspricht; diese finden sich beispielsweise im UN-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, in Ergänzung des UN-Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, sowie im Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels.

    3.4

    Die Präambel der Richtlinie enthält klare Aussagen zum Umfang des Begriffs „besonders schutzbedürftige Personen“. Da Kinder schutzbedürftiger sind, weil sie leichter Opfer von Menschenhandel werden, sollte dieser Kategorie von Opfern besondere Beachtung gelten. Nach Ansicht des EWSA muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein, wie auch im UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes und in der Charta der Grundrechte der EU gefordert.

    3.5

    Dennoch ist es wichtig, dass sich die Definition von Menschenhandel auf sämtliche Opfergruppen bezieht, d. h. auch auf Frauen und Männer, deren mögliche Schutzbedürftigkeit anerkannt wird.

    3.6

    Es kommt darauf an, alle Facetten dieser Straftat zu berücksichtigen. Die Definition des Begriffs „Menschenhandel“ schließt verschiedene Arten von Opfern und verschiedene Formen der Ausbeutung ein, darunter Betteltätigkeiten und die Ausnutzung strafbarer Handlungen, womit in die vorgeschlagene Richtlinie zwei neue Bereiche einbezogen werden. Die Definition umfasst auch den Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme, eine äußerst schwere Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenrechte. Diese breite Definition von Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel wird vom EWSA mit Nachdruck befürwortet.

    3.7

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten eine breitere Definition des Menschenhandels (und darüber hinaus weiter gefasste Begriffe bezüglich der Bekämpfung des Menschenhandels) in ihre Gesetzgebung aufnehmen sollten, um einen Rechtsrahmen zur Bewältigung dieses komplexen und sich entwickelnden Phänomens in seinen verschiedensten Formen zu schaffen. Zum Beispiel sollten auch mögliche Formen der Straftaten unter Nutzung des Internets und der Informationstechnologien insgesamt berücksichtigt werden.

    3.8

    Durch die Festlegung konkreter Strafmaße und Sanktionen ist die Richtlinie ein bedeutender Fortschritt. Das Dokument zielt darauf ab, eine Angleichung der Strafmaße in den Mitgliedstaaten sicherzustellen.

    3.9

    Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die Erarbeitung der Richtlinie hinsichtlich der Festlegung einheitlicher Höchststrafen Schwierigkeiten bereitet hat. Dennoch ist eine Angleichung der Strafmaße wichtig, da sie zwischen den Mitgliedstaaten stark variieren: Die Freiheitsstrafe beträgt drei bis zwanzig Jahre für den Grundtatbestand sowie zehn Jahre bis lebenslänglich bei Vorliegen erschwerender Umstände. Ungeachtet der Unterschiede in den Strafrechtssystemen und der Strafrechtspolitik vertritt der EWSA den Standpunkt, dass eine grundsätzlich strenge und konsequente Bestrafung des Menschenhandels und seine unmissverständliche Erklärung zum Straftatbestand die richtige Antwort auf die Zunahme dieser Straftaten ist.

    3.10

    Nach Schätzungen auf der Grundlage der momentan verfügbaren Daten werden Jahr für Jahr Hunderttausende von Personen durch Menschenhandel in die EU verbracht oder innerhalb der EU verschleppt. Eurojust verzeichnete bei der Zahl der im Jahr 2008 neu aufgenommenen Fälle von Menschenhandel einen Anstieg von 10 % gegenüber 2007. Heute kommt Menschenhandel in der einen oder anderen Form in allen 27 Mitgliedstaaten vor, und die Zahl dieser Straftaten nimmt weiter zu.

    3.11

    Das Strafmaß und die Sanktionen gegen Personen, die vom Menschenhandel profitieren, sollten der Schwere der Straftat angemessen sein und tatsächlich abschreckende Wirkung haben. Daher könnten die vorgeschlagenen Strafmaße nach oben korrigiert werden, denn nach Ansicht des EWSA wird eine fünfjährige Freiheitsstrafe der Schwere dieser Straftat nicht wirklich gerecht. Härtere Sanktionen würden dem Anliegen dieser Richtlinie besser Rechnung tragen. Bei Vorliegen erschwerender Umstände sollte das Strafmaß entsprechend verschärft werden. Die Praxis der vorzeitigen Haftentlassung wegen guter Führung oder von Amnestien anlässlich nationaler Feiertage sollte auf Straftaten dieser Kategorie nicht angewendet werden.

    3.12

    Sicherstellen, dass die Urteile auch vollstreckt werden, ist ein weiterer Aspekt, dem die Mitgliedstaaten vorrangige Beachtung schenken müssen. Aufgrund der Schwere dieser Straftaten sollte die Praxis der Umwandlung einer Haftstrafe und vorzeitigen Entlassung nicht akzeptiert werden.

    3.13

    Zusätzlich zu den in dieser Richtlinie vorgesehenen Strafen sollten die Mitgliedstaaten Sanktionen in Form der Beschlagnahme von Vermögenswerten - die diesen Machenschaften die wirtschaftliche Basis entzieht (2) - sowie des Ausreiseverbots und der Beschränkung bestimmter bürgerlicher und politischer Rechte verhängen. Die Ermittlungen gegen Menschenhändler sollten auch Finanzermittlungen einschließen.

    3.14

    Der EWSA unterstützt die Auffassung, dass die Opfer des Menschenhandels Hilfe brauchen und vor sekundärer Viktimisierung und weiteren Traumata während des Strafverfahrens geschützt werden müssen. Außerdem müssen sie ihre Rechte wirksam in Anspruch nehmen können und die nötige Unterstützung und Betreuung erhalten.

    3.15

    Der Ausschuss stimmt vorbehaltlos zu, dass die Opfer des Menschenhandels vor strafrechtlicher Verfolgung und Bestrafung wegen strafbarer Handlungen im Zusammenhang mit der Opfersituation (wie etwa Verwendung falscher Dokumente, Prostitution, illegale Einwanderung usw.) geschützt werden sollten. Dieser Schutz ist erforderlich, um eine weitere Viktimisierung zu vermeiden und die Opfer zu ermutigen, in Strafverfahren als Zeugen auszusagen. Nach Art. 7 „sieht jeder Mitgliedstaat (…) die Möglichkeit vor, Opfer von Menschenhandel (…) nicht strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen“. Der EWSA empfiehlt, das Wort „Möglichkeit“ durch einen stärkeren Begriff zu ersetzen, damit der Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung keine Ausnahme bleibt, sondern zur Regel wird.

    3.16

    Die Opfer des Menschenhandels sollten vor sekundärer Viktimisierung und weiteren Traumata während des Strafverfahrens geschützt werden. Daher sollten sie die Möglichkeit erhalten, Zeugenaussagen hinter einem Wandschirm oder in einem gesonderten Raum abzugeben, um die direkte Konfrontation mit den Menschenhändlern/Tätern zu vermeiden, die Stress oder Angst auslösen könnte.

    3.17

    Der EWSA ist der Auffassung, dass Opfer von Menschenhändlern, sobald sie als solche anerkannt worden sind, unentgeltlich hochwertige Rechtshilfe erhalten sollten. Diese Unterstützung liegt auch im Interesse des Staates, weil sie sicherstellt, dass dem Opfer möglichst rasch der erforderliche Schutz geboten wird, und dessen freiwillige Kooperation bei strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren fördert.

    3.18

    Der EWSA hält es für unerlässlich, erneut den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu betonen, damit die Opfer nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, wenn dort Gefahr für ihr Leben oder ihre Freiheit bestehen könnte.

    3.19

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die in der Richtlinie vorgeschlagene Regelung der extraterritorialen gerichtlichen Zuständigkeit zu Zuständigkeitskonflikten in Strafverfahren führen könnte.

    3.20

    Die Hilfe und Unterstützung für Kinder, die Opfer von Menschenhändlern sind, sollte vor allem darin bestehen, die Kinder wieder mit ihren Familien zusammenzuführen, sofern diese nicht an dem Menschenhandel beteiligt waren.

    3.21

    Damit die Opfer nach ihrer Rückkehr erfolgreich wiedereingegliedert werden können und nicht erneut Menschenhändlern in die Hände fallen, sollte ihnen eine Bedenkzeit (3) eingeräumt werden, in der sie neben medizinischer Hilfe auch Bildungs- und/oder Ausbildungsangebote erhalten. Die Bedenkzeit sollte nicht von einer Zeugenaussage gegen die Täter und von einer freiwilligen Rückkehr in das Herkunftsland abhängig gemacht werden.

    3.22

    Der EWSA stimmt zu, dass zu den weiteren Maßnahmen und Beschlüssen in Bezug auf den Menschenhandel sowohl Präventionsmaßnahmen als auch der Schutz und die Unterstützung der Opfer sowie die stärkere Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren gehören sollten.

    3.23

    Die Mitgliedstaaten sollten sich mit den eigentlichen Ursachen des Menschenhandels auseinandersetzen, für die exemplarisch die Armut und die globalen Unterschiede in der Rechtsstaatlichkeit stehen. Die ungleiche Verteilung von Wohlstand, der Bildungsmangel, Diskriminierung, schlechte Verwaltung, hohe Arbeitslosenraten, mangelnde Rechtsdurchsetzung, bewaffnete Konflikte und Korruption schaffen einen idealen Nährboden für Menschenhandel. Die Bekämpfung dieser Faktoren dürfte auch zu einer Abnahme des Menschenhandels führen.

    3.24

    Die in der Richtlinie verwendete Definition einer juristischen Person, die für Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel verantwortlich gemacht werden kann, schließt zwar „Staaten oder sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte“ aus, doch kommt es darauf an, dass die Staaten alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um eine etwaige Beteiligung oder Komplizenschaft des öffentlichen Sektors am Menschenhandel aufzudecken und zu unterbinden. Beamte, die in solche rechtswidrigen oder strafbaren Handlungen verwickelt sind, sollten ohne Ausnahme strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden.

    3.25

    Die Mitgliedstaaten müssen berücksichtigen, dass auch beim Menschenhandel das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt. In Anbetracht dessen sollten Maßnahmen zur Senkung der Nachfrage ergriffen werden, weil dies zur Eindämmung des Menschenhandels an sich beitragen würde. Wenn die Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen ergreifen würden, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung begünstigt, entgegenzuwirken und um die Gefahr zu verringern, dass Menschen Opfer von Menschenhandel werden, dann wäre dies ein großer Fortschritt bei der Verringerung der Zahl dieser Straftaten.

    3.26

    Menschenhandel ist sowohl ein globales als auch ein lokales Problem. Nach Ansicht des EWSA setzt die wirksame Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung eine umfassende partnerschaftliche Zusammenarbeit voraus, in die NRO, Arbeitgeberverbände, die Privatwirtschaft, Gewerkschaften und alle Regierungsebenen eingebunden sind. Es muss ein für Menschenhändler unerträgliches Umfeld geschaffen werden.

    3.27

    Der Richtlinie zufolge sollte jeder Mitgliedstaat, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft, geeignete Initiativen ergreifen, wie beispielsweise Informations- und Aufklärungskampagnen, Forschungs- und Schulungsprogramme, um die Gefahr, dass Menschen und insbesondere Kinder Opfer von Menschenhändlern werden, zu verringern. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Einmal-Kampagnen nicht effizient genug sind und schlägt vor, kontinuierliche Schulungskampagnen auf europäischer Ebene durchzuführen.

    3.28

    Der EWSA begrüßt es, dass die Richtlinie eine Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen vorsieht. Wichtig ist vor allem, dass diese Organisationen in alle Phasen des Prozesses einbezogen werden, angefangen von der Ermittlung der Opfer bis hin zu Hilfeleistungen.

    3.29

    Zivilgesellschaftliche Organisationen könnten eine entscheidende Rolle bei der gesellschaftlichen Wiedereingliederung potenzieller Opfer spielen, womit sie indirekt präventiv tätig werden und dazu beitragen, dass die Betroffenen nicht erneut viktimisiert werden und Menschenhändlern in die Hände geraten. Mitgliedstaaten sollten eng mit NRO bei der Gewährung von Hilfen zusammenarbeiten. In Zusammenarbeit mit NRO könnten die Mitgliedstaaten den Aufbau von Informations-Hotlines und anderen Informationsquellen für gefährdete Gruppen, Opfer von Menschenhandel und ihre Familien unterstützen.

    3.30

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Europäische Kommission (4) eine gezielte Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen veröffentlicht hat; dies geschah im Rahmen des spezifischen Programms „Prävention und Bekämpfung von Kriminalität“, das wiederum Teil des allgemeinen Programms „Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte“ ist. Diese Initiative soll der EU-Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels neue Impulse verleihen und entsprechende nichtlegislative Maßnahmen verbessern. In diesem Zusammenhang wurden für 2020 unter anderem folgende Schwerpunktbereiche festgelegt: Präventionsmaßnahmen, Opferschutz, Verfolgung und Bestrafung der Täter, Mechanismen zur Koordination und Zusammenarbeit sowie Erhebung zuverlässiger Daten. Durch das mit 4 Mio. EUR dotierte Programm sollen 12 Projekte gefördert werden. Dies ist ein guter Anfang, aber angesichts des erheblichen Unterstützungsbedarfs der NRO, die sich für die Bekämpfung des Menschenhandels engagieren, sollten die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur diesbezüglichen Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen eingehen.

    3.31

    Nach Ansicht des EWSA könnten Wirtschaftsunternehmen durch freiwillige Selbstkontrolle (z.B. Verhaltenskodizes), faire Handelspraktiken und Lieferkettenmanagement dafür sorgen, dass Opfer von Menschenhändlern nicht zur Arbeit gepresst und damit nicht in die Waren- und Dienstleistungsproduktion der Unternehmen einbezogen werden. Weitere äußerst begrüßenswerte Präventionsmaßnahmen sind Leitlinien für eine gute Praxis bei der Einstellung von Wanderarbeitnehmern und eine bilaterale Zusammenarbeit zwischen Entsende- und Aufnahmeländern zur Überwachung der Einstellung und der Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitnehmern.

    3.32

    Da sich die Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels nicht auf die Verabschiedung von Legislativinstrumenten beschränken dürfen und zusätzliche - nichtlegislative - Maßnahmen wie die Erhebung und Übermittlung von Daten, die Pflege der Zusammenarbeit, der Aufbau von Partnerschaften und der Austausch bewährter Verfahren erforderlich sind, möchte der EWSA betonen, dass ein gemeinsamer, einheitlicher Ansatz auf europäischer Ebene unerlässlich ist.

    3.33

    Der EWSA stimmt darin zu, dass es an vergleichbaren Daten zum Menschenhandel fehlt. Daher ist es erforderlich, in den EU-Mitgliedstaaten aufeinander abgestimmte Erhebungen hochwertiger Daten zu diesem Phänomen durchzuführen und dafür nationale Berichterstatter einzusetzen.

    3.34

    Die Einrichtung nationaler Meldestellen zu diesem Sachbereich sollte der Regelfall sein und ihr Auftrag klar festgelegt werden. Der Richtlinie zufolge können die Mitgliedstaaten nationale Meldestellen oder gleichwertige Mechanismen einrichten. Nach Auffassung des EWSA sollte nur eine Art von Institution genannt werden, und diese nationale Stelle in jedem Mitgliedstaat sollte die Politik und Maßnahmen auf regionaler Ebene koordinieren, um größere Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden.

    3.35

    Zwar wird das Thema Menschenhandel in zahlreichen Abkommen zwischen der Europäischen Union und Drittländern zur Sprache gebracht (so z.B. bei der Strategischen Partnerschaft Afrika - Europäische Union und bei der Östlichen Partnerschaft, außerdem ist es ein wichtiger Gegenstand der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den westlichen Balkanländern), doch sollte die Bekämpfung des Menschenhandels nach Ansicht des EWSA zu einer Schwerpunktaufgabe dieser Abkommen gemacht werden. Der Abschluss ähnlicher Vereinbarungen zwischen der EU und anderen Ländern sollte aktiv in Angriff genommen werden.

    3.36

    Der EWSA erwartet von der zwischen den Mitgliedstaaten erzielten Vereinbarung, einen EU-Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels zu ernennen, kohärente, zufriedenstellende und entschiedene Maßnahmen.

    Brüssel, den 21. Oktober 2010

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


    (1)  Diese Bedenkzeit könnte mindestens sechs Monate betragen, wie dies in Norwegen der Fall ist.

    (2)  Aus dem Europol-Bericht von 2009 über den Menschenhandel in der Europäischen Union geht hervor, dass sich der Umsatz aus diesem Geschäft auf mehrere Millionen Euro pro Jahr beläuft.

    (3)  Diese Bedenkzeit könnte mindestens sechs Monate betragen, wie dies in Norwegen der Fall ist.

    (4)  Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit, Direktion F: Sicherheit, Referat F4: Finanzielle Unterstützung – Sicherheit.


    Top