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Document 52008AE1905

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens

ABl. C 175 vom 28.7.2009, p. 73–77 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens“

KOM(2008) 128 endg.

(2009/C 175/12)

Die Europäische Kommission beschloss am 6. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens“

KOM(2008) 128 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2008 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Das „Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens“ (KOM(2008) 128 endg. vom 6. März 2008) knüpft an das Grünbuch zur vorläufigen Kontenpfändung (KOM (2006) 618 endg.) an und reiht sich ein in die Palette von Maßnahmen der Kommission zur Schaffung eines europäischen Raums des Rechts, mit dem die Verwirklichung des Binnenmarktes aus rechtlicher Sicht unterstützt werden soll.

1.2   Der EWSA hat diese Maßnahmen stets grundsätzlich befürwortet, jedoch auch darauf hingewiesen, dass sie im Hinblick auf die Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sowie die Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien des Zivilverfahrensrechts, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, und auf die umfassende Einhaltung der Grundrechte entsprechend gerechtfertigt sein müssen.

1.3   Sowohl in seiner Stellungnahme zum früheren Grünbuch zur Kontenpfändung als auch in dieser Stellungnahme vertritt der EWSA die Auffassung, dass diese Initiativen nicht in ausreichender Weise auf Tatsachengrundlagen basieren, welche die Fälle, die damit angegangen werden sollen, entsprechend definieren und charakterisieren. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen gehen aus der Sicht der Verhältnismäßigkeit weit über das Maß dessen hinaus, was notwendig ist und sich nicht durch bereits bestehende einzelstaatliche Mittel erreichen lässt. In einigen Fällen können sie sogar die Verletzung bestimmter Grundrechte der Bürger wie des Schutzes der Privatsphäre oder des Rechts auf Ausgewogenheit der Verteidigungsmittel bewirken.

1.4   Nach Ansicht des EWSA gibt es in den hier untersuchten Bereichen ein großes Potenzial für mögliche und notwendige Verbesserungen in der Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden, in Bezug auf ein effizienteres und schnelleres Funktionieren der bestehenden einzelstaatlichen Instrumente, einen besseren Zugang zu bestehenden Registern und Informationen, einen besseren Informationsaustausch und ein besseres gegenseitiges Verständnis darüber, wie die einzelstaatlichen Systeme arbeiten und wie sie reibungsloser funktionieren könnten.

1.5   Der EWSA spricht sich daher eindeutig gegen die Vorschläge aus, a) ein zentrales Melderegister für Unionsbürger einzurichten, b) allen Gläubigern vollständig und unterschiedslos Zugang zu Steuer- und Sozialversicherungsregistern zu gewähren und c) auf Gemeinschaftsebene ein Standardformular zur Offenbarung des gesamten Schuldnervermögens einzuführen.

1.6   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Einrichtung und regelmäßige Aktualisierung einer rechtsvergleichenden Datenbank durch kompetente Fachleute dazu beitragen würde, die nationalen Vollstreckungssysteme und ihre Funktionsweise in der gerichtlichen Praxis besser bekannt zu machen.

1.7   Schließlich regt der EWSA an, dass eine Reihe von alternativen Maßnahmen (siehe Ziffer 5.8), deren Ziel mit dem des Grünbuchs übereinstimmt und für die keine zusätzlichen gemeinschaftlichen Rechtsakte notwendig sind, Berücksichtigung finden.

2.   Wesentlicher Inhalt des Grünbuchs

2.1   Mit dem vorliegenden Grünbuch unternimmt die Kommission eine zweite Konsultation (1) der einschlägigen Akteure über eine bessere Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, wobei es diesmal darum geht, wie die aufgrund des schwierigen Zugangs zu verlässlichen Informationen über den Aufenthaltsort von Schuldnern und den Verbleib ihres Vermögens entstehenden Probleme überwunden werden können.

2.2   Die Kommission vertritt die Ansicht, dass Informationen wie die Anschrift des Schuldners und der Zugang zu genauen Informationen über sein Vermögen die Grundlage für effizientere Vollstreckungsverfahren bilden; sie räumt jedoch ein, dass die Systeme der Registerauskunft und Offenbarungsversicherung der Schuldner in den einzelnen Mitgliedstaaten zwar vergleichbar sind, zugleich aber erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Voraussetzungen und Verfahren für die Erlangung der Auskünfte und des Inhalts aufweisen, die die Verlässlichkeit dieser Angaben und ihre zügige Bereitstellung beeinträchtigen.

2.3   Die grenzüberschreitende Eintreibung von Schulden wird durch die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsordnungen und durch die unzureichenden Kenntnisse der Gläubiger über die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Auskunftssysteme erschwert. Die Kommission verfolgt daher mit diesem Grünbuch das Ziel, ggf. auf europäischer Ebene eine Reihe von Maßnahmen zu verabschieden, mit denen die Transparenz des Schuldnervermögens verbessert und das Auskunftsrecht der Gläubiger und der nationalen Vollstreckungsbehörden gestärkt wird. Diese Maßnahmen sollen eine wirksame Vollstreckung von Urteilen über Zwangsvollstreckungen zur Zahlung von Schulden in Zivil- und Handelssachen unter Einhaltung der Grundsätze des Datenschutzes gemäß Richtlinie (EG) 95/46 gewährleisten.

2.4   Um dieses Ziel zu erreichen, beleuchtet die Kommission eine Reihe von eventuellen Maßnahmen, die sie anhand von 10 Fragen beschreibt.

3.   Hintergrund der Initiative

3.1   Diese Initiative reiht sich ein in die breite Palette von Maßnahmen, welche die Kommission in der lobenswerten Absicht verabschiedet hat, einen europäischen Rechtsraum zu schaffen, um so aus rechtlicher Sicht die Verwirklichung des Binnenmarktes zu unterstützen (2). Erleichtert werden soll insbesondere die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union durch Maßnahmen zur Ermittlung des Wohnortes oder Geschäftssitzes des Schuldners, an dem diesem der Vollstreckungsbeschluss zugestellt werden kann, sowie durch genaue Informationen über sein Vermögen, das auf dem Gebiet eines beliebigen Mitgliedstaats vorhanden ist und aus dem die ausstehenden Schulden beglichen werden können.

3.2   Die Kommission hat sich diesmal lobenswerterweise die Mühe gemacht, nicht nur die 15 Mitgliedstaaten, deren Situation bereits in der diesem Grünbuch zugrunde liegenden Studie untersucht wurde (3), sondern auch die anderen 12 Staaten, die heute Mitglied der Europäischen Union sind, um ihre Beiträge zu diesem Thema zu bitten. Die erfassten Daten sind jedoch nicht immer genau bzw. wurden nicht immer richtig interpretiert.

3.3   Hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass bei dieser Initiative offenbar die Empfehlung berücksichtigt wurde, die der EWSA in seiner Stellungnahme zum Grünbuch über die vorläufige Kontenpfändung unterbreitet hat, nämlich dass „[…] die Maßnahmen angemessen gewichtet werden [müssen], die das Vermögen der Schuldner transparenter machen“.

3.4   Leider legt die Kommission weder Daten — insbesondere statistischer Art — über das Ausmaß des von ihr anvisierten Problems vor, noch definiert sie die genaue Beschaffenheit dieses Problems und die konkreten Nutznießer der von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Dieses Grünbuch ist die Fortsetzung bzw. Ergänzung des Grünbuchs über die vorläufige Kontenpfändung [KOM(2006) 618 endg.], zu dem der EWSA am 31.10.2007 eine Stellungnahme (4) vorgelegt hat, auf die hier verwiesen wird.

4.2   Wie oben festgestellt wurde, ist die in diesem Grünbuch behandelte Frage logische Voraussetzung für die vorläufige Kontenpfändung. Sie macht zu Recht die Notwendigkeit ausreichender Informationen über das Schuldnervermögen deutlich, damit es für die Gläubiger eine wirksame allgemeine Sicherheit gibt — dies ist ein grundlegendes Prinzip und Paradigma des Zivilprozessrechts. Für ihr Verständnis muss jedoch zunächst die Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene für eine ganze Reihe von Bereichen des materiellen Zivilrechts hinterfragt werden, die dieser Frage unweigerlich vorausgeht.

4.3   Der EWSA anerkennt die Tatsache, dass die zuständigen Vollstreckungsbehörden aller Mitgliedstaaten Zugang zu genauen Informationen über den Aufenthaltsort von Schuldnern — angefangen bei ihrem Geschäftssitz oder Wohnort — und über deren bewegliches und unbewegliches Vermögen — unabhängig von dessen Standort — haben müssen.

4.4   Der EWSA bringt jedoch — in ähnlicher Weise wie in der bereits zitierten früheren Stellungnahme — ernste Vorbehalte und begründete Zweifel hinsichtlich der tatsächlichen Notwendigkeit konkreter Maßnahmen zur gemeinschaftlichen Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet zum Ausdruck; er anerkennt allerdings die Zuständigkeit der Europäischen Union in diesem Bereich und das Vorhandensein einer entsprechenden Rechtsgrundlage für solche Maßnahmen.

4.5   Aus den im Grünbuch festgestellten Erfordernissen — Verbesserung der Informationen, Daten und Auskünfte — ergibt sich nämlich nicht automatisch die Notwendigkeit der Einrichtung neuer Gemeinschaftsregister oder der Einführung neuer Vermögensoffenbarungspflichten. Es steht zudem zu befürchten, dass solche Maßnahmen dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit nicht standhalten und nicht hinnehmbare Verletzungen von Grundrechten bewirken könnten.

4.6   Statt der Einrichtung von in Brüssel angesiedelten zentralen Melde-, Handels- und Verbraucherregistern, von Registern für bewegliche und unbewegliche Vermögenswerte oder Steuer- und Sozialversicherungsregistern würden nach Ansicht des Ausschlusses ein besserer Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden und einen einfacheren und schnelleren Zugang zu den bestehenden Daten ausreichen, um die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung bei der Ermittlung des Schuldnervermögens unabhängig von der Art oder Staatsangehörigkeit des Gläubigers zu gewährleisten.

4.7   Das heißt nicht, dass die Gemeinschaft keine Anreize und Leitlinien für die Verbesserung des Inhalts, der Funktionsweise und des Zugangs zu den genannten öffentlichen Registern und anderen privaten Datenbanken schaffen sollte. Dabei gilt es jedoch, den Schutz dieser Daten gemäß den geltenden Gemeinschaftsrichtlinien zu gewährleisten und sicherzustellen, dass diese Informationen ausschließlich zweckentsprechend verwendet werden, und zwar in dem für die Begleichung der ausstehenden Schulden notwendigen Maße.

4.8   Überdies darf es beim Zugang zu den Daten keine Diskriminierung zwischen privaten und öffentlichen Gläubigern geben; letztere dürfen nicht aufgrund ihrer privilegierten Stellung von einem schnelleren und effizienteren Zugang zu den öffentlichen Registern in den Bereichen Steuern, Sozialversicherung oder öffentliche Vermögensregister profitieren.

4.9   Ebenso muss die Zusammenarbeit mit Drittstaaten und insbesondere mit Andorra, der Schweiz und Liechtenstein sowie anderen Staaten mit starker Anbindung an Steuerparadiese oder Finanzplätze in Europa sichergestellt werden.

5.   Besondere Bemerkungen: zu den acht Fragen

5.1   Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene?

5.1.1   Die in dem Grünbuch aufgeworfenen zehn Fragen sind in Wirklichkeit nur acht, die im Folgenden eingehender beleuchtet werden.

5.1.2   Hinsichtlich der Frage nach dem Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene, um die Vermögensverhältnisse von Schuldnern transparenter zu machen, knüpft der EWSA an die bereits im Abschnitt Allgemeine Bemerkungen geäußerten Vorbehalte an: für erforderlich hält er lediglich Gemeinschaftsinitiativen zur Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und zur Optimierung des Inhalts und des Zuganges zu den bestehenden einzelstaatlichen Registern für die Ermittlung und Auffindung der Schuldner und des zur Begleichung der ausstehenden Schulden notwendigen Vermögens.

5.2   Handbuch zu den nationalen Zwangsvollstreckungsverfahren?

5.2.1   Nach Ansicht des EWSA sollte alles, was zu einer besseren Kenntnis und besseren Informationen über die nationalen Rechtsvorschriften und die nationale Rechtspraxis beiträgt, unterstützt und durch Anreize gefördert werden. Angesichts der Komplexität der Materie glaubt der Ausschuss jedoch nicht, dass sich das durch die Erstellung eines simplen Handbuchs erreichen lässt, denn das ginge auf Kosten der Qualität und Genauigkeit; ein solches Handbuch darf auch nicht zu stark vereinfacht werden, um es für die Benutzung durch die breite Öffentlichkeit geeignet zu machen.

5.2.2   Daher schlägt der EWSA vor, dass die Kommission eher die Möglichkeit einer rechtsvergleichenden Datenbank über die Zwangsvollstreckungsverfahren in den 27 Mitgliedsstaaten erwägen sollte, die von kompetenten und zugelassenen Fachleuten aus den jeweiligen Mitgliedstaaten erstellt, kommentiert und ständig aktualisiert wird und elektronisch und in allen Sprachen der Mitgliedstaaten zugänglich ist.

5.3   Bessere Angaben in den Handelsregistern und besserer Registerzugang?

5.3.1   Der Grad an bereits vorhandener Harmonisierung in diesem Bereich scheint für die hier angestrebten Ziele ausreichend. Nach Ansicht des Ausschusses ist es weder notwendig noch zweckmäßig, Schritte zur Einrichtung zentraler Handelsregister auf Gemeinschaftsebene zu unternehmen, was jedoch nicht die Möglichkeit einer Harmonisierung der jeweils gemeinsamen Elemente dieser Register ausschließt.

5.3.2   Das spricht keineswegs gegen Initiativen zur Verbesserung des Inhalts der in diesen Registern vorhandenen Angaben, insbesondere der Informationen über Einzelunternehmer, und zur Aktualisierung sowie zur Vereinfachung des Zugangs (vor allem des elektronischen Zugangs) zu diesen Registern.

5.3.3   Gleiches gilt für die Register für Grundstücke und Immobilien, nach dem Vorbild von EULIS (European Land Information Service), einem europäischen Grundbuchverbund (5).

5.4   Besserer Zugang zu den Melderegistern?

5.4.1   Ebenso undenkbar ist ein zentrales Melderegister der europäischen Bevölkerung, da es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, zentrale und dezentrale Melde- und Personenstandsregister zu führen und die Bedingungen für den diskriminierungsfreien Zugang zu diesen Registern zu definieren.

5.4.2   Trotzdem muss gewährleistet sein, dass die Vollstreckungsbehörden eines beliebigen Mitgliedstaats problemlos Zugang zu diesen Melderegistern und Auskünfte über den Wohnort bestimmter Schuldner erhalten, wobei dies insbesondere für den elektronischen Registerzugang gilt.

5.5   Besserer Zugang zu Steuer- und Sozialversicherungsregistern?

5.5.1   Der EWSA lehnt die Idee eines allgemeinen und unterschiedslosen Zugangs zu den Sozialversicherungs- und Steuerregistern rundweg ab.

5.5.2   Nach Ansicht des EWSA dürfen nur Justizbehörden Zugang zu den in diesen Registern gespeicherten Angaben erhalten, und zwar in klar definierten Fällen und mit ausreichenden Garantien für den Schutz der in diesen Registern enthaltenen personenbezogenen Daten.

5.5.3   In jedem Fall muss der Zugang in einem anderen Mitgliedstaats als dem der Vollstreckungsbehörde notwendigerweise im Rahmen der Zusammenarbeit mit einer Justizbehörde in dem Mitgliedstaat des Registers erfolgen.

5.6   Besserer Informationsaustausch zwischen Vollstreckungsbehörden?

5.6.1   Wie schon in den allgemeinen Bemerkungen angeführt wurde, betrifft der Bereich, in dem Gemeinschaftsmaßnahmen wirklich angezeigt sind, die verbesserte Zusammenarbeit beim Informationsaustausch zwischen den nationalen Vollstreckungsbehörden, insbesondere durch Schaffung eines elektronischen Systems des direkten Informationsaustausches zur Ermittlung und Auffindung von Schuldnern und zur Feststellung ihres Vermögens.

5.6.2   In den Mitgliedstaaten, in denen die Vollstreckungsorgane keine öffentlichen Behörden sind, müssen die Auskunftsverfahren jedoch unbedingt durch die für die Überwachung des Vollstreckungsprozesses zuständigen Justizorgane kontrolliert werden.

5.6.3   Als mögliche Vorbilder können — mit entsprechenden Anpassungen — die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 (6) über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen und die Richtlinie 76/308/EWG (7) dienen.

5.6.4   Wesentliche Bedeutung kommt hier dem Einsatz elektronischer Medien zu, wobei sogar die Schaffung eines Intranet erwogen werden sollte, über das die nationalen Behörden miteinander verbunden sind.

5.6.5   Die über dieses Kooperationsnetz übermittelten Informationen dürfen nur den mit Vollstreckungsfällen befassten Stellen zugänglich sein — wie zum Beispiel Vollstreckungsbeamten, der die Vollstreckung beantragenden Partei, Gerichten, Insolvenzverwaltern —, wobei der Schuldner stets über das Auskunftsergebnis informiert werden muss.

5.6.6   Zu erwägen wäre auch, inwieweit das Binnenmarktinformationssystem (BIS) für den Informationsaustausch zwischen den einzelstaatlichen Vollstreckungsbehörden genutzt werden könnte.

5.7   Einführung einer europäischen Vermögenserklärung?

5.7.1   Der EWSA lehnt die Einführung eines europäischen Standardformulars für die Erklärung des gesamten Schuldnervermögens zum Zwecke der Zwangsvollstreckung energisch ab und spricht sich von vornherein gegen die Möglichkeit aus, die Nichtbeachtung dieser Offenbarungspflicht mit Strafen zu belegen, die bis zu Zwangshaft reichen können.

5.7.2   Der Schuldner haftet ja nicht mit seinem gesamten Vermögen für die eingegangenen Schulden, wobei es den Mitgliedstaaten obliegt festzulegen, welche Vermögenswerte absolut, relativ oder teilweise pfändbar sind.

5.7.3   Überdies sollte die Pflicht des Schuldners zur Offenbarung seines Vermögens auf die zur Begleichung der Schulden notwendigen Vermögenswerte beschränkt sein, wobei es den nationalen Gerichten obliegt sicherzustellen, dass diese Vermögensangaben der Wahrheit entsprechen, wobei andernfalls Zwangsgelder verhängt werden können.

5.7.4   Überdies vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Einführung eines gemeinschaftsweit einheitlichen Standardformulars für die Vermögenserklärung weit über das mit einer derartigen Maßnahme angestrebte Ziel hinausgeht. Er sieht in diesem Bereich vielmehr ein besonderes Potenzial für eine stärkere Kooperation und Zusammenarbeit zwischen den Vollstreckungsbehörden, damit diese mit den ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln das zur Begleichung der Schulden notwendige Schuldnervermögen feststellen können; dabei sollte insbesondere den mit der Vollstreckung beauftragten Justizbeamten die Befugnis zur Untersuchung des Schuldnervermögens von Amts wegen eingeräumt werden.

5.7.5   In jedem Fall sollte der Schuldner immer das Recht haben, die Offenbarung seines pfändbaren Vermögens durch die Rückzahlung der ausstehenden Schulden oder durch den Nachweis ausreichender Vermögenswerte zur Begleichung der Schulden oder durch Leisten geeigneter Sicherheiten oder Zahlungsgarantien wie Bankbürgschaften o.ä. abzuwenden. Das gilt auch für das Recht, sich gegen die Überpfändung seines Vermögens über das zur Begleichung der ausstehenden Schulden und der gesetzlichen Vollstreckungskosten notwendige Maß hinaus zu wehren.

5.7.6   Eine Veröffentlichung der Offenbarungsversicherung des Schuldners in einem öffentlichen Verzeichnis („Schuldnerverzeichnis“) verletzt das Grundrecht des Schuldners auf Schutz seiner Privatsphäre und ist daher ebenso ausgeschlossen.

5.8   Sonstige Maßnahmen für mehr Transparenz?

5.8.1   Überlegenswert sind zudem folgende Maßnahmen:

a)

Schaffung eines Zugangs zum Register von Aktien und Unternehmensbeteiligungen des Schuldners;

b)

Zugang zu den Registern für Konsumentenkredite oder Hypotheken, allerdings mit den entsprechenden Schutzmechanismen;

c)

Einrichtung eines europaweiten Kfz-Registers (8);

d)

Einrichtung eines Registers für alle anhängigen Zwangsvollstreckungsverfahren mit Online-Zugriff von allen Mitgliedstaaten aus;

e)

Zugang zu den Registern für Börseninvestitionen ab einem bestimmten Mindestbetrag;

f)

Zugang zu den Grundbüchern für Daten über die Eigentümer von Grundstücken und Immobilien.

Brüssel, den 3. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Die erste Konsultation galt dem Grünbuch zur vorläufigen Kontenpfändung (KOM (2006) 618 endg.), Stellungnahme des EWSA, veröffentlicht im ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 2.

(2)  Für eine hinreichende Aufzählung solcher Maßnahmen wird auf folgende Stellungnahme des EWSA verwiesen: Dossier INT/342, verabschiedet am 31.7.2007, veröffentlicht im ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 2, Thema: Grünbuch über die vorläufige Kontenpfändung.

(3)  Um den Inhalt dieses Grünbuchs vollständig zu verstehen, sollte man nicht nur das Arbeitsdokument der Kommission (SEK (2006) 1341 vom 24.10.2006) heranziehen, sondern auch die Studie Nr. JAI/A3/2002/02 in ihrer überarbeiteten Fassung vom 18.2.2004, die von Prof. Dr. Burkhard Heß, Direktor des Instituts für Internationales Privatrecht der Universität Heidelberg, erstellt wurde und unter http://europa.eu.int.comm/justice_home/doc_centr/civil/studies/doc_civil_studies_en.htm zu finden ist.

(4)  ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 2.

(5)  Es handelt sich dabei um einen 2006 gegründeten Grundbuchverbund als ersten Schritt für den Zugang zu Grundbuchdaten der diesem Verbund angehörenden Mitgliedstaaten (England, Irland, Litauen, Norwegen, Wales, Niederlande und Schweden). Website: www.eulis.org.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001, in ABl. L 174 vom 27.6.2001. In diesem Bereich kommt der Frage der Kommunikation zwischen den Behörden wegen der unterschiedlichen Sprachen besondere Bedeutung zu, wobei sich die Bestimmungen von Artikel 5 der genannten Verordnung als nicht ausreichend erweisen.

(7)  Richtlinie des Rates Nr. 76/308/EWG 15. März 1976, in ABl. L 073 vom 19.3.1976.

(8)  Dieser Vorschlag wurde bereits in der Initiativstellungnahme des EWSA 1630/2004 zum Thema „Europäische Straßenverkehrsordnung und europäisches Kfz-Register“ unterbreitet (Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ, in ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 34).


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