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Document 52005AE0121

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“(KOM(2004) 374 endg.)

ABl. C 221 vom 8.9.2005, p. 17–21 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/17


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

(KOM(2004) 374 endg.)

(2005/C 221/04)

Die Kommission beschloss am 13. Mai 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr HENCKS, Mitberichterstatter Herr HERNÁNDEZ BATALLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 131 gegen 5 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind als gesellschaftliches Thema heutzutage eng mit der Frage der europäischen Integration verknüpft.

1.2

Den geltenden Verträgen zufolge gehören die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu den gemeinsamen Werten der Union und sind für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der EU von Bedeutung (Artikel 16); der Zugang zu diesen Dienstleistungen und die Rechte in Bezug auf spezifische Teilbereiche der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (soziale Sicherung und soziale Unterstützung, Gesundheitsschutz, Umweltschutz usw.) sind in der Charta der Grundrechte verankert (Kapitel IV Artikel II-34 bis II-36).

1.3

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind nicht nur ein wesentlicher Faktor für Wettbewerbsfähigkeit und ein wichtiges Element im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele von Lissabon, sondern sie sind auch ein Baustein des europäischen Sozialmodells. Sie tragen zur Wahrung der Grundrechte der Bürger bei und beeinflussen die Wissenswirtschaft, den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt sowie die nachhaltige Entwicklung.

1.4

Dem Antrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, die Förderung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse als Ziel in Artikel 3 des Verfassungsvertrags aufzunehmen, wurde zwar nicht stattgegeben, aber es wurde ein gewisser Fortschritt in Bezug auf die Dienste von allgemeinem Interesse erzielt: In Artikel III-122 wird der Europäischen Union das Recht eingeräumt, einem Querschnittsansatz folgend europäische Gesetze über die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse festzulegen. Ferner wird der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung anerkannt und die Möglichkeit, dass die lokalen Gebietskörperschaften selbst Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, zu einem Verfassungsgrundsatz erhoben, wodurch das Subsidiaritätsprinzip in Bezug auf die Zuständigkeiten der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in konkrete Form gegossen wird.

1.5

Dennoch herrscht im Sekundärrecht immer noch größtenteils ein allgemeines Ungleichgewicht zwischen dem Wettbewerbsrecht als ausführlichem und unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht einerseits und den Zielen der Daseinsvorsorge andererseits, die Gegenstand von Ausnahmeregelungen in diesem Recht sind.

1.6

Die Europäische Union hat nach wie vor Schwierigkeiten damit, die Widersprüche zwischen der Errichtung eines Marktes, der einzig und allein auf dem Grundsatz des freien Wettbewerbs beruht, und der notwendigen öffentlichen Steuerung derjenigen Verfahren, die nicht allein wirtschaftlichen Mechanismen überlassen werden dürfen, zu überwinden. Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind weder Mechanismen noch Instrumente, sondern Garant der Grundrechte jedes einzelnen Bürgers und „Bindeglied“ für die soziale Eingliederung.

1.7

Außerdem ist nicht zu übersehen, dass die Bürgerinnen und Bürger der Union zunehmend mit Unverständnis, Kritik und Ablehnung auf die Maßnahmen reagieren, die doch offensichtlich zur Förderung der europäischen Integration auf den Weg gebracht wurden, einer Integration, die sich jedoch immer weiter von den echten Anliegen der Bürger zu entfernen scheint und die soziale Kluft noch verstärkt, wodurch der soziale Zusammenhalt und das Sozialmodell gefährdet werden.

1.8

Die europäische Integration muss zu einer harmonischen Kombination der Marktmechanismen und der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben führen, und zwar in den Bereichen, in denen eine derartige Komplementarität mit den Zielen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vereinbar ist und den Nutzern oder Verbrauchern zusätzlichen Nutzen bringen kann. Das bedeutet, dass die effektive Erfüllung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe im Einklang mit der gemeinschaftlichen Rechtsprechung und vorbehaltlich der in Artikel 86 Absatz 2 des EG-Vertrags festgelegten Bedingungen im Falle einer Kollision Vorrang vor der Anwendung des Wettbewerbsrechts hat.

1.9

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse spiegeln den politischen Willen wider, die Erbringung der Daseinsvorsorge zu steuern und Bedürfnissen und Grundrechten im Rahmen des europäischen Sozialmodells Rechnung zu tragen, einem Modell, in dem alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von Alter, gesellschaftlicher Stellung oder Region, in der sie leben, nicht nur Anspruch auf einen angemessenen sozialen Schutz, sondern auch auf einen einfachen, hochwertigen und erschwinglichen Zugang zu grundlegenden Gütern wie Nahrung, Unterkunft, Wasser, Beförderung, Kommunikation usw. haben. Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind somit eindeutig ein Teil der sozialen Marktwirtschaft, die allein durch den Wettbewerb nicht gewährleistet werden könnte. Ohne angemessenes Tätigwerden der öffentlichen Hand wird die Europäische Union zu einer Union der zwei Geschwindigkeiten werden, in der sich Entwicklungsgefälle, Ungleichheiten und soziale Ausgrenzung weiter verschärfen.

1.10

Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger der Union wird sich in naher Zukunft im Rahmen eines Referendums zur Ratifizierung des Verfassungsvertrags äußern. Ein politisches Europa ohne die Unterstützung seiner Bürger wird es nicht geben. Und diese Unterstützung wird ausbleiben, wenn die Union nicht die Wahrung und Weiterentwicklung des europäischen Gesellschaftsmodells und des europäischen Sozialmodells sichert.

1.11

Vor diesem Hintergrund ist das Weißbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, insofern als es die Grundlagen für die Sicherung hochwertiger, zugänglicher und erschwinglicher Dienstleistungen von allgemeinem Interesse legt, ein wichtiger Schritt (neben anderen), um bei den Europäern für Europa zu werben und um zu verhindern, dass ein „Nein“ die Dynamik der europäischen Integration abrupt stoppt.

1.12

Die Überlegungen, die mit diesem Weißbuch eingeleitet wurden, und alle weiteren damit zusammenhängenden Vorlagen sind untrennbar mit den Überlegungen zu den öffentlich-privaten Partnerschaften, dem Dienstleistungsbinnenmarkt, unter anderem den sozialen Dienstleistungen, den staatlichen Beihilfen, dem derzeit erarbeiteten Bericht über den Wassermarkt, der Überprüfung der Lissabon-Strategie und den Bewertungsberichten verbunden.

2.   Das Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

2.1

In dem von der Europäischen Kommission am 12. Mai 2004 vorlegten Weißbuch wird eine Bilanz aus der grundlegenden Debatte gezogen, die im Anschluss an die Veröffentlichung des Grünbuches im Jahr 2003 auf europäischer Ebene geführt wurde, wie auch aus den zahlreichen Beiträgen zu diesem Grünbuch, insbesondere der europäischen Institutionen und der Zivilgesellschaft. Außerdem werden strategische Ausrichtungen für die kommenden Jahre vorgeschlagen.

2.2

Die Debatte über das Grünbuch hat deutlich gemacht, dass die Meinungen und Perspektiven auseinandergehen. Dennoch hat sich in der Frage der Notwendigkeit, ein harmonisches Miteinander von Marktmechanismen und Gemeinwohlaufgaben sicherzustellen, ein Konsens gebildet.

2.3

Während die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft organisiert oder aber privaten bzw. öffentlichen gewinnorientierten oder nicht gewinnorientierten Unternehmen übertragen werden kann, obliegt die Festlegung der Gemeinwohlaufgaben nach wie vor den öffentlichen Instanzen auf der jeweiligen Ebene. Letztere sind auch zuständig für die Marktregulierung, und sie haben sicherzustellen, dass die betreffenden öffentlichen oder privaten Akteure die ihnen übertragenen Gemeinwohlverpflichtungen wahrnehmen.

2.4   Der Ansatz der Kommission beruht auf neun Leitprinzipien:

2.4.1

Voraussetzungen für bürgernahe öffentliche Regulierung schaffen: Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sollten möglichst bürgernah organisiert und geregelt sein, und das Subsidiaritätsprinzip muss strengstens eingehalten werden.

2.4.2

Die Ziele öffentlicher Dienste in wettbewerbsfähigen, offenen Märkten erreichen: Die Kommission ist nach wie vor der Auffassung, dass die Ziele eines offenen, wettbewerbsfähigen Binnenmarkts einerseits und die Entwicklung allgemein zugänglicher, hochwertiger Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu erschwinglichen Preisen andererseits miteinander vereinbar sind. Dies bedeutet, dass dem EG-Vertrag zufolge vorbehaltlich der Bedingungen des Artikels 86 Absatz 2 die tatsächliche Erfüllung einer Gemeinwohlaufgabe bei Kollisionen Vorrang vor der Anwendung der Regeln des Vertrags hat.

2.4.3

Kohäsion und universellen Zugang sicherstellen: Dass die Bürgerinnen und Bürger und jedes Unternehmen im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu erschwinglichen Preisen Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hat, gilt als wesentliche Voraussetzung für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts in der Europäischen Union. In diesem Zusammenhang gelten Universaldienste als Schlüsselkonzept, das die Gemeinschaft im Hinblick auf die Sicherstellung eines effektiven Zugangs zu Grunddienstleistungen entwickelt hat.

2.4.4

Ein hohes Qualitäts-, Versorgungssicherheits- und Schutzniveau aufrechterhalten: Daneben ist die Sicherheit der Dienstleistungserbringung, insbesondere die Versorgungssicherheit, ein grundlegendes Erfordernis, das bei der Festlegung der Gemeinwohlaufgaben seinen Niederschlag finden muss. Die Bedingungen, unter denen Dienstleistungen erbracht werden, müssen zudem den Dienstleistungsanbietern ausreichende Anreize zur Beibehaltung langfristiger Investitionen in adäquater Höhe bieten.

2.4.5

Die Rechte der Verbraucher und Nutzer sichern: Dazu gehören insbesondere der Zugang zu Dienstleistungen, einschließlich grenzübergreifenden Dienstleistungen, auf dem gesamten Gebiet der Union und für alle Bevölkerungsschichten, die Erschwinglichkeit der Dienstleistungen sowie Sonderregelungen für Einkommensschwache, die physische Sicherheit, die Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit, Kontinuität, hohe Qualität, Angebotsvielfalt, Transparenz und Zugang zur Information der Dienstleistungserbringer und Regulierungsbehörden. Die praktische Verwirklichung dieser Grundsätze setzt gemeinhin unabhängige Regulierungsbehörden mit genau festgelegten Befugnissen und Verpflichtungen voraus. Dies umfasst auch Sanktionsbefugnisse (Mittel zur Kontrolle der Umsetzung und Durchsetzung des Universaldienstkonzepts). Des Weiteren sollten Möglichkeiten im Hinblick auf Vertretung und aktive Teilnahme von Verbrauchern und Nutzern bei der Festlegung der Vorgaben für Dienstleistungen und ihre Bewertung, die Verfügbarkeit adäquater Rechtschutz- und Entschädigungsmechanismen und eine Evolutivklausel vorgesehen werden, d.h. eine rechtliche Bestimmung, die nach Maßgabe der sich ändernden Bedürfnisse und Anliegen der Nutzer und Verbraucher in einem sich wandelnden wirtschaftlichen und technologischen Umfeld Anpassungen der Erfordernisse ermöglicht.

2.4.6

Monitoring und Leistungsevaluierung: Im Einklang mit der in der öffentlichen Konsultation zum Ausdruck gebrachten vorherrschenden Meinung vertritt die Kommission die Auffassung, dass jede Evaluierung mehrdimensional ausgerichtet sein müsste und sämtliche in Frage kommenden rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Aspekte abdecken sollte.

2.4.7

Die Verschiedenheit von Dienstleistungen und Situationen berücksichtigen: Jede Gemeinschaftspolitik im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse muss der Vielgestaltigkeit, die kennzeichnend ist für die unterschiedlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, und den divergierenden Gegebenheiten, unter denen sie erbracht werden, gebührend Rechnung tragen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der gemeinschaftliche Ansatz unbedingt sektorübergreifend mit der gleichen Systematik angewandt werden müsste oder dass die Ausgestaltung gemeinsamer Konzepte, die sich in mehreren Sektoren anwenden lassen, nicht genauso zweckdienlich sein könnte.

2.4.8

Mehr Transparenz schaffen: Das Transparenzprinzip sollte für sämtliche Aspekte der Erbringung von Dienstleistungen gelten und sowohl für die Festlegung von Gemeinwohlaufgaben als auch für die organisatorische Abwicklung, die Finanzierung, die Regulierung der entsprechenden Dienstleistungen, deren Erbringung und ihre Evaluierung sowie für Systeme zur Behandlung von Beschwerden als Richtschnur dienen.

2.4.9

Rechtssicherheit gewährleisten: Die Kommission ist sich dessen bewusst, dass durch die Anwendung des Gemeinschaftsrechts bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mitunter komplexe Fragen aufgeworfen werden. Deshalb wird sie beharrlich darauf hinarbeiten, die Rechtssicherheit bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in dem Bereich der Bereitstellung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu verbessern, und zwar ohne dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz davon berührt würde.

2.5   Auf dieser Grundlage werden im Weißbuch acht neue Ausrichtungen vorgeschlagen:

2.5.1

Die Vielfalt in einem kohärenten Rahmen berücksichtigen: Die Kommission wird sich bei Inkrafttreten des Verfassungsvertrags mit der Frage der Machbarkeit und der Notwendigkeit eines Rahmengesetztes für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse befassen, eine Überprüfung der Sachlage bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Angriff nehmen und vor Ende 2005 einen entsprechenden Bericht vorlegen.

2.5.2

Die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen präzisieren und vereinfachen: Die Kommission wird bis Juli 2005 eine Entscheidung annehmen über die Anwendung von Artikel 86 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen, soweit solche Ausgleichszahlungen bestimmten Unternehmen gewährt werden, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen. Sie wird bis Juli 2005 einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen festlegen, bis Juli 2005 eine Änderung zur Richtlinie 80/723/EWG über Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen annehmen und bis Juli 2005 genauer klären, unter welchen Bedingungen Ausgleichszahlungen für auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen als staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 des EG-Vertrags gelten können.

2.5.3

Einen präzisen, transparenten Rahmen für die Auswahl von Unternehmen vorgeben, denen die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auferlegt wird: Die Kommission wird eine öffentliche Konsultation zum Grünbuch über Fragen des öffentlichen Beschaffungswesens bei öffentlich-privaten Partnerschaften durchführen und auf der Grundlage der Ergebnisse der öffentlichen Konsultation für Bereiche, in denen dies angezeigt erscheint, Vorschläge unterbreiten.

2.5.4

Den Gemeinwohlauftrag bei Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen umfassend berücksichtigen: Die Kommission wird 2005 eine Mitteilung über Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen von allgemeinem Interesse vorlegen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in den Bereichen Gesundheitsdienstleistungen und medizinische Versorgung fördern, um damit zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus in der gesamten Union beizutragen.

2.5.5

Ergebnisse bewerten und Leistungsstand evaluieren: Die Kommission hat 2004 ihre erste, auf der Grundlage ihrer Evaluierungsmethodik basierende Querschnittsevaluierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgelegt und wird 2006 ihre Evaluierungsmechanismen einer Überprüfung unterziehen.

2.5.6

Die sektoralen Politikbereiche überprüfen: Die Kommission wird die Kooperation der nationalen Regulierungsbehörden im Rahmen der Netzwerke der Regulierungsstellen fördern und die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zum Grünbuch in den für die verschiedenen Sektoren bereits vorgesehenen Überprüfungen berücksichtigen: Überprüfung des sachlichen Geltungsbereichs des Universaldienstkonzepts im Bereich der elektronischen Kommunikation bis Juli 2005; Überprüfung des Maßnahmenpakets zur elektronischen Kommunikation bis Juli 2006; Überprüfung der Richtlinie über Postdienste bis Ende 2006; Überprüfung des Elektrizitätsbinnenmarkts bis 1. Januar 2006; Überprüfung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ zum Jahresanfang 2005; gegenwärtig laufende Bewertung des Sektors Wasserwirtschaft.

2.5.7

Die interne Politik der internationalen Handelspolitik zu Grunde legen: Die Kommission wird weiterhin sicherstellen, dass die von der Gemeinschaft bei internationalen Handelsverhandlungen vertretenen Positionen in vollem Umfang im Einklang mit dem internen Regelungsrahmen der EU für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse stehen.

2.5.8

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bei der Entwicklungszusammenarbeit fördern: Die Kommission wird die Entwicklungsländer darin unterstützen, solide institutionelle bzw. Regulierungsrahmenbedingungen als wesentliche Voraussetzung für verstärkte Investitionen in Grundversorgungsleistungen von allgemeinem Interesse und einen besseren Zugang zur Finanzierung solcher Leistungen zu schaffen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Veröffentlichung des Weißbuchs. Er nimmt die neun Leitprinzipien und die acht neuen Ausrichtungen zur Kenntnis, die in diesem Weißbuch zur Stärkung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgeschlagen werden. Allerdings bedauert er, dass seiner in den vergangenen Jahren wiederholt vorgetragenen Forderung nach einer Rahmenrichtlinie bzw. einem Rahmengesetz zur Sicherung des Fortbestehens der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei ihrer Definition und Organisation, der freien Wahl der Verwaltungsverfahren, ihrer langfristigen Finanzierung, der Bewertung ihrer Effizienz sowie der Verbraucherrechte (1) noch nicht stattgegeben wurde, wenngleich die Kommission bis Ende 2005 einen Bericht über diese Frage vorlegen will.

3.2

Erfreulicherweise enthält das Weißbuch einen genauen Zeitplan für die Vorschläge und Maßnahmen, zu deren Durchführung sich die Europäische Kommission verpflichtet hat, um diese Leitprinzipien und Ausrichtungen in den kommenden Jahren umzusetzen.

3.3

Der Ausschuss wird die Einhaltung dieser Verpflichtungen aufmerksam verfolgen und ist seinerseits bereit, konstruktiv dazu beizutragen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Das erste Leitprinzip „Voraussetzungen für bürgernahe öffentliche Regulierung schaffen“ beinhaltet, dass die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse so bürgernah wie möglich organisiert und geregelt sein sollten und „das Subsidiaritätsprinzip strengstens eingehalten werden müsste“. In Fußnote 30 wird jedoch auf den Vorschlag für eine Verordnung für den örtlichen Binnenverkehr hingewiesen, der „die Vergabe von Konzessionen für öffentliche Dienstleistungen seitens der Mitgliedstaaten erfordern würde“ und somit die systematische Durchführung öffentlicher Ausschreibungen. Wenn die Gebietskörperschaften jedoch nicht mehr frei entscheiden können, wie sie die Bereitstellung der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Dienstleistungen von allgemeinem Interesse handhaben wollen, dann kann von Subsidiarität keine Rede mehr sein.

4.2

In Bezug auf das dritte Leitprinzip „Kohäsion und universellen Zugang sicherstellen“ betont die Kommission, dass „Universaldienste als Schlüsselkonzept gelten, das die Gemeinschaft im Hinblick auf die Sicherstellung eines effektiven Zugangs zu Grunddienstleistungen entwickelt hat“. Das bedeutet, dass „nach Maßgabe der sich ändernden Bedürfnisse und Anliegen der Nutzer und Verbraucher in einem sich wandelnden wirtschaftlichen und technologischen Umfeld Anpassungen der Erfordernisse ermöglicht“ werden. Im Sinne dieser Prinzipien und im Rahmen des eEurope-Aktionsplans, in dem eine generelle Nutzung von Breitbandnetzen für die elektronische Kommunikation vorgesehen ist, erinnert der Ausschuss daran, dass 20 % der Bürgerinnen und Bürger in der EU-15 gegenwärtig vom Zugang zu diesen Dienstleistungen ausgeschlossen sind. Breitbanddienste sind Teil der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die zur Verbesserung des Lebensstandards beitragen, indem sie Entfernungen überbrücken und Gesundheitsfürsorge, Bildung und öffentliche Dienstleistungen sowohl für die geografisch isolierten als auch für die finanziell am schlechtesten gestellten Bürger zugänglicher machen. Daraus folgt, dass ohne eine preiswerte Ausweitung der Universaldienste im Telekommunikationsbereich auf den Zugang zu Hochgeschwindigkeitsverbindungen und zur Mobiltelefonie die Europäische Union bei der Einführung und Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und bei der Verwirklichung der wissensbasierten Gesellschaft noch weiter in Rückstand geraten und die digitale Kluft insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten noch größer wird.

4.3

Das sechste Leitprinzip „Monitoring und Leistungsevaluierung“ entspricht der Forderung des Ausschusses und zahlreicher anderer Akteure, der Leistungsevaluierung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eine progressive Dynamik zu verleihen, um sie effizienter zu gestalten, einen gleichberechtigten Zugang zu den Diensten zu gewährleisten und sie besser an die sich ändernden Anforderungen der Verbraucher, der Bürger und der Gesellschaft sowie an sich ändernde Vorschriften anzupassen. In dem Weißbuch wird zu Recht betont, dass die Evaluierung „mehrdimensional ausgerichtet sein müsste und sämtliche in Frage kommenden rechtlichen, ökonomischen, sozialen und umweltbezogenen Aspekte abdecken sollte“ — in diesem Zusammenhang spricht sich der Ausschuss dafür aus, dass im Rahmen der Evaluierung die Beschäftigungsfragen genau bewertet werden. Der Ausschuss verweist darauf, dass es Aufgabe der Europäischen Union ist, eine gemeinsame Methodik und gemeinsame Kriterien, insbesondere Qualitätskriterien, festzulegen sowie einen objektiven, unabhängigen und dynamischen Evaluierungsprozess unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips in Gang zu setzen. Nach Auffassung des Ausschusses müssen parallel zu den Vorschlägen des Grünbuches, die sektoralen Politikbereiche zu überprüfen (vgl. Ziffer 2.5.6), Bewertungsberichte über die Auswirkungen der früheren Maßnahmen erarbeitet werden. Er erinnert an seinen Vorschlag, an der Steuerung der Bewertung mitzuwirken, da in ihm alle beteiligten Interessenträger vertreten sind. Der Ausschuss wird im Hinblick darauf analysieren, ob es zweckmäßig ist, eine ständige Studiengruppe zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einzurichten.

4.4

Das siebte Leitprinzip „Die Verschiedenheit von Dienstleistungen und Situationen berücksichtigen“„bedeutet allerdings nicht, dass der gemeinschaftliche Ansatz unbedingt sektorübergreifend mit der gleichen Systematik angewandt werden müsste oder dass die Ausgestaltung gemeinsamer Konzepte, die sich in mehreren Sektoren anwenden lassen, nicht genauso zweckdienlich sein könnte.“ Der Vorschlag für die neue Ausrichtung besteht darin, dass die Kommission sich bei Inkrafttreten des Verfassungsvertrags mit der Frage der Machbarkeit und der Notwendigkeit eines Rahmengesetzes für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse befassen und vor Ende 2005 einen Bericht vorlegen soll. Die Forderung des Ausschusses und zahlreicher anderer europäischer Akteure nach einer Rahmenrichtlinie wird somit im Weißbuch nicht aufgegriffen (siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ — ABl. C 80 vom 30.3.2004). Und dies, obwohl es dringlich erscheint, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse insgesamt, einschließlich der Sozial- und Gesundheitsdienste von allgemeinem Interesse unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten, in Bezug auf das Wettbewerbsrecht, die Finanzierung, die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips und ihren Stellenwert in der europäischen Integration zu konsolidieren.

4.5

Gemäß dem neunten Leitprinzip „Rechtssicherheit gewährleisten“ wird die Kommission „beharrlich darauf hinarbeiten“, ohne dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz davon berührt würde. Für dieses Leitprinzip wurden zwei Ausrichtungen vorgeschlagen:

4.5.1

Bis Juli 2005 sind „die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen zu präzisieren und zu vereinfachen“, wodurch bei Wahrung der Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit einerseits die Sicherstellung der Langzeitfinanzierung der für die Kontinuität und Nachhaltigkeit der Dienstleistungen erforderlichen Investitionen und andererseits die Sicherung der Ausgleichszahlungen für Gemeinwohl- oder Universaldienstverpflichtungen gewährleistet werden sollte. Ferner gilt es anzuerkennen, dass diese Ausgleichszahlungen unterschiedliche Formen annehmen können, um eine Anpassung an die festgelegten Ausrichtungen zu ermöglichen: öffentliche Finanzhilfen, interner Finanzausgleich zur Finanzierung der entstehenden Kosten durch die Gewinne aus rentablen Tätigkeiten — eventuell in Verbindung mit ausschließlichen Rechten -, Ausgleichsfonds zwischen Betreibern, Steuerbefreiungen oder sonstige Vergünstigungen, öffentlich-private Partnerschaften, Finanzhilfen für die Erbringung von Dienstleistungen für die Nutzer usw.

4.5.2

Auf der Grundlage der öffentlichen Konsultation zum Grünbuch über Fragen des öffentlichen Beschaffungswesens bei öffentlich-privaten Partnerschaften „einen präzisen, transparenten Rahmen für die Auswahl von Unternehmen vorgeben, denen die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auferlegt wird“. Nach Auffassung des Ausschusses erfordert dies die Anerkennung der Vielfalt der möglichen Bewirtschaftungsmodalitäten für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie die Anerkennung der Wahlfreiheit für jede betroffene Gebietskörperschaft: entweder durch Eigenerbringung (Abteilung oder Regiebetrieb), durch Übertragung an ein öffentliches oder gemischtes Unternehmen, das von der Gebietskörperschaft im gleichen Maße wie deren eigene Dienststellen kontrolliert wird, oder ein sozialwirtschaftliches, genossenschaftliches oder vereinswirtschaftliches Unternehmen, oder durch Übertragung an ein Unternehmen für eine bestimmte Zeit (Konzession nach Ausschreibung), ohne die Möglichkeit einer Umkehr von einer Bewirtschaftungsmodalität in eine andere außer Acht zu lassen.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Das Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse stellt einen Fortschritt bei der Berücksichtigung dieser Dienstleistungen auf Unionsebene dar. Es ist eine gute Grundlage für die Entwicklung von Konzepten für eine europäische Politik im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die es ermöglicht, den europäischen Unternehmen und allen Bürgerinnen und Bürgern zugängliche, erschwingliche und effiziente öffentliche Dienstleistungen zu bieten, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen.

5.2

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind nicht nur ein Kernthema der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch ein Schlüsselelement im sozialen und ökologischen Bereich. Sie ergänzen den dreifachen Ansatz (Wirtschaft, Soziales, Umweltschutz) der Lissabon-Strategie und sind wichtig und unerlässlich, um die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen, auf Grundlage eines dauerhaften Wirtschaftswachstums mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt. Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gehen aufgrund ihrer Besonderheiten über den Rahmen des Binnenmarktes hinaus und sind eine Voraussetzung für das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen.

5.3

Es geht also darum, eine harmonische Kombination der Marktmechanismen und der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben in den Bereichen zu erreichen, in denen eine derartige Komplementarität mit den Zielen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vereinbar ist und im Sinne des Wirtschaftswachstums, der Schaffung von Arbeitsplätzen und des dauerhaften Wohlergehens zur Verbesserung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger der Union beitragen kann.

5.4

Das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf die Nutzung zugänglicher, preiswerter und leistungsfähiger Dienste von allgemeinem Interesse muss im Namen der im Vertrag anerkannten Grundprinzipien der Solidarität und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts gewahrt und gefestigt werden. Eine von einem Mitgliedstaat beschlossene Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse muss unter Einhaltung der vorgenannten Kriterien erfolgen. Deshalb sollte ein Korpus allgemeingültiger Grundsätze für verschiedenartige Dienstleistungen ausgearbeitet werden, deren Erbringungsmodalitäten sich je nach Staat voneinander unterscheiden, wobei das Subsidiaritätsprinzip jedoch in vollem Umfang gewahrt werden muss.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Leistungen der Daseinsvorsorge“, ABl. C 241 vom 7.10.2002, und zu dem „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“, ABl. C 80 vom 30.3.2004.


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