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Document 52010AE1615

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem  „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen“ KOM(2010) 289 endg. — 2010/0160 (COD)

ABl. C 54 vom 19.2.2011, p. 37–41 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen“

KOM(2010) 289 endg. — 2010/0160 (COD)

(2011/C 54/12)

Berichterstatter: Carmelo CEDRONE

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union beschlossen am 23. Juni 2010 bzw. am 13. Juli 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen“

KOM(2010) 289 endg. - 2010/0160 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 25. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 172 gegen 12 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Diese Stellungnahme befasst sich mit der zweiten Phase des dreistufigen Ansatzes der Kommission bezüglich der Regulierung von Ratingagenturen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die EU angesichts eines so wichtigen Problems, das unserer Wirtschaft, unseren Unternehmen und unseren Bürgern großen Schaden zugefügt hat (und das noch nicht gelöst ist), - auch mit dem hier behandelten Vorschlag – tatkräftig reagiert und analoge Maßnahmen auf internationaler Bühne angestoßen hat. Der EWSA hofft, dass diese Arbeit mit Beständigkeit und Kohärenz fortgesetzt wird.

1.2   Der EWSA ist außerdem der Ansicht, dass die Unterschiede zwischen dem Integrationsgrad des Finanzmarkts und dem der Aufsicht (die im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verblieb) rasch beseitigt werden müssen, da sie zu den Ursachen der Krise gehören. Aus diesen Gründen befürwortet er den Vorschlag, die Aufsicht über die Ratingagenturen der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) (1) anzuvertrauen. Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist die Angleichung der einschlägigen nationalen Vorschriften und die Beseitigung der nach wie vor vorhandenen Systemlosigkeit. Dabei muss, wie dies von einigen Mitgliedstaaten gefordert wird, über die vorliegenden Vorschläge hinausgegangen werden.

1.3   Der EWSA begrüßt auch die in der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen (2) enthaltenen Vorschläge in Bezug auf Kernprobleme wie: Transparenz und Interessenkonflikte, Information, Wettbewerb und Ratingagenturen in Drittstaaten. Der EWSA bedauert indes - wenngleich er sich der Komplexität der Materie bewusst ist - die Verzögerung beim Inkrafttreten dieser Verordnung, die bereits die Vorschriften des derzeitigen Änderungsvorschlages hätte enthalten müssen.

1.4   Der EWSA ist auch angesichts der besonderen Natur staatlicher Schuldtitel besorgt und bedauert insbesondere, dass die Einrichtung eines europäischen Gremiums zur Bewertung staatlicher Schuldtitel gescheitert ist. Er sieht den Ergebnissen der laufenden öffentlichen Konsultation (3) für eine künftige Verordnung erwartungsvoll entgegen.

1.5   Für den EWSA ist es von zentraler Bedeutung, dass die europäischen Tochterunternehmen von Muttergesellschaften mit Sitz außerhalb der EU der neuen Aufsichtsregelung unterworfen werden. Der EWSA begrüßt in diesem Zusammenhang die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung von 2009. Die beste Lösung wäre ein Abkommen auf Ebene der G20, um weltweite Vorschriften zu erlassen, die verschiedenen Rechtssysteme in diesem Bereich aufeinander abzustimmen und internationale Verhaltenskodizes einzuführen, die von allen Ratingagenturen zu beachten sind. Die Aufsicht sollte einem Rat für Finanzstabilität anvertraut werden, der auch die Befugnis haben sollte, im Einklang mit den Aufsichtsbehörden der verschiedenen Staaten Strafen zu verhängen. Der EWSA begrüßt, dass dieser Prozess auf Veranlassung der EU bereits eingeleitet wurde.

1.6   Der EWSA ist der Auffassung, dass der bereits begonnene Reformprozess möglichst rasch abgeschlossen werden muss.

1.7   Es ist in der Tat unerlässlich, das Vertrauen der „Verbraucher“ und Investoren in den Finanzmarkt wiederherzustellen. Dies kann nur erreicht werden, wenn der Eindruck und die Sicherheit vermittelt wird, dass wirklich gehandelt wird. Dafür müssen Vorschriften erlassen werden, und gegen die „Akteure“, die sich nicht an die Regeln halten, muss entschlossen vorgegangen werden.

1.8   Der EWSA begrüßt, dass angesichts der Rolle der Ratingagenturen in der jüngsten weltweiten Krise der Wertpapier- und Finanzmärkte ein dreistufiges Programm zur Regulierung der Aufgaben dieser Agenturen, die sie für Investoren und Verbraucher verfolgen, gestartet wurde (siehe das von der Kommission vorgelegte Dokument zur diesbezüglichen öffentlichen Konsultation). Die Aufgabe der Ratingagenturen, die für die Vermeidung unverhältnismäßig hoher Risiken bei Kreditgeschäften notwendigen Informationen zu gewährleisten – was allein schon für die Sicherstellung von Stabilität und Sicherheit der Finanzmärkte wichtig ist –, ist von großer Bedeutung. Ihre Aktivität bei der Bewertung der Bonität von souveränen Staaten scheint eher Fragen aufzuwerfen. Der EWSA begrüßt, dass staatliche Schuldtitel Gegenstand der laufenden öffentlichen Konsultation sind.

1.9   Die Gründe dafür, über das Oligopol einiger weniger Ratingagenturen nachzudenken, das diese bei der Risikobewertung von Finanzinstrumenten oder Verbindlichkeiten von Investoren, Banken, Versicherungen oder auch nationalen Regierungen haben, liegen in erster Linie darin, dass die von diesen Agenturen veröffentlichten Informationen die Eigenschaft eines öffentlichen Gutes haben. Folglich sind die von ihnen erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Der EWSA begrüßt es deshalb, dass es einige im Ratingsektor neue europäische Unternehmen waren, die als erste die Zulassung als Ratingagentur bei der ESMA beantragt haben.

1.10   Bewerten Ratingagenturen die langfristige Tragfähigkeit des öffentlichen Haushalts eines souveränen Staates (Länderrisiko) - wie unlängst im Falle der Senkung der Bonitätseinstufung der öffentlichen Schuldtitel Griechenlands und anderer, auf den internationalen Märkten hochverschuldeter EU-Staaten -, dann stellt sich unmittelbar ein Problem der Kohärenz ihres Vorgehens mit den von ihnen verfolgten Zielen (auf transparente und verantwortliche Art und Weise dem Markt geeignete Informationen liefern). Es kann aber auch zu einem Interessenkonflikt kommen zwischen den privaten internationalen Investoren (die dieses Rating für die Risikobewertung ihrer Investitionstätigkeit verwenden) einerseits und den Bürgern/Verbrauchern des von den Folgen einer Erklärung der voraussichtlichen Zahlungsunfähigkeit bei staatlichen Schuldtiteln des betroffenen Landes andererseits – unbeschadet der Tatsache, dass die Zahlungsunfähigkeit durch Inkompetenz und grobes Verschulden von Politikern verursacht wurde.

1.11   Die Ratingagenturen können öffentliche Schuldtitel nur dann wirkungsvoll bewerten, wenn sie über die geeigneten Instrumente und Verfahren verfügen und bei ihrem Vorgehen die Vorschriften der zuständigen Aufsichtsbehörden einhalten.

1.12   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bewertung staatlicher Schuldtitel eine Frage des öffentlichen Interesses ist. Er begrüßt die von der Kommission eingeleitete öffentliche Konsultation und wird zu gegebener Zeit eine fundierte Stellungnahme vorlegen. Der EWSA spricht sich jedoch dafür aus, dass staatliche Schuldtitel im Interesse der Allgemeinheit von einer unabhängigen internationalen oder europäischen Agentur bewertet werden, die zu diesem Zweck eingerichtet wird. Diese Agentur sollte zeitnah, transparent und mit geeigneten Instrumenten arbeiten.

1.13   Entscheidend ist, dass es bei dem Rating zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen voneinander und von Dritten unabhängigen Ratingagenturen kommt. Der EWSA empfiehlt des Weiteren, bei Verzögerungen oder fehlenden internationalen Übereinkünften auch die Möglichkeit der Einrichtung einer europäischen Agentur für die öffentlichen Schuldtitel zu erwägen. Außerdem sollte die Schaffung einer maßgeblichen europäischen Agentur für das Rating normaler Schuldtitel gefördert werden, um den Wettbewerb in diesem Bereich zu stärken.

1.14   Der EWSA begrüßt, dass zusammen mit dem Vorschlag bezüglich der Beaufsichtigung der Ratingagenturen auch damit verbundene Fragen wie Sanktionen, Wettbewerb, Interessenkonflikte und Information durch die Verordnung von 2009 geklärt wurden (4).

1.15   Der Ausschuss begrüßt, dass in den Rechtsvorschriften zur Regulierung der Branche der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten eingeschränkt wird. Damit soll der Informationsaustausch sowie die Kohärenz der verschiedenen Rechtssysteme gefördert werden, um zu verhindern, dass die Auswirkungen der europäischen Aufsicht neutralisiert werden.

1.16   Der EWSA schlägt vor, die Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zum Schutz der Nutzer von Finanzprodukten und -dienstleistungen (Verbraucher, Unternehmen usw.) zu erleichtern. Ferner könnte auf Vorschlag der Sozialpartner und der Verbraucherschutzverbände eines oder mehrerer Verbrauchervertreter in die europäischen Aufsichtsbehörden (nunmehr Europäisches Finanzaufsichtssystem - ESFS) entsandt werden.

1.17   Der EWSA regt an, das System der Erstellung von Finanzinformationen umfassend zu fördern und dabei eine Vielzahl von Akteuren sowie neue Bestimmungen für erhöhte Transparenz und Wirksamkeit der Bewertungsverfahren – insbesondere für Derivate – anzustreben.

1.18   Der EWSA empfiehlt, das derzeitige System der Selbstregulierung auch auf internationaler Ebene zu überwinden. Es bedarf eines Prozesses der Koordinierung der verschiedenen zuständigen Behörden und der Ermittlung strikter Vorschriften, die für alle zu gelten haben, sowie der Gewissheit, dass die Vorschriften auch angewendet werden. Die EU muss sich voll und ganz für die Durchsetzung dieses Ziels in den internationalen Institutionen einsetzen.

1.19   Der EWSA schlägt schließlich vor, die Verordnung zu vereinfachen und zu verdeutlichen, damit sie verständlicher und ihre Anwendung erleichtert wird. Komplizierte Vorschriften sind einfacher zu umgehen.

1.20   Der EWSA fordert, die Pflicht abzuschaffen, Wertpapiere vor ihrem Verkauf von Ratingagenturen bewerten zu lassen (wie auch vom Rat für Finanzstabilität vorgeschlagen wurde). Die Beseitigung dieser Voraussetzung für die Neuemission von Wertpapieren würde die passive Akzeptanz hochriskanter Finanzinstrumente, auch wenn sie über ein hervorragendes Rating verfügen, vermeiden! Der EWSA teilt die Besorgnis der de Larosière-Gruppe, dass mit der Verwendung von Ratings für Eigenkapital den Finanzinstituten zu viel Verantwortung abgenommen und gleichzeitig das Oligopol der Ratingagenturen zementiert wird. Der EWSA begrüßt, dass diese Frage in der laufenden öffentlichen Konsultation aufgegriffen worden ist.

2.   Einleitung

2.1   Bekanntlich gehören die gravierenden Mängel bei der Regulierung und Überwachung der internationalen Finanzen zu den tieferen Ursachen der jüngsten Krise. Außerdem hat die Krise den Widerspruch deutlich gemacht, dass Finanzinstitute und Banken zwar international agieren, aber als Einrichtungen des nationalen Rechts reguliert werden und Pleite gehen (Mervyn King, Gouverneur der Bank von England).

2.2   Das gilt auch für die Ereignisse innerhalb der EU, weshalb die Krise die Notwendigkeit verstärkt hat, rasch einen europäischen Bezugsrahmen sowohl für die Regulierung als auch für die Aufsicht zu schaffen. Angesichts eines immer stärker integrierten Finanzmarkts wurde deutlich, dass die Mitgliedstaaten über stark voneinander unterscheidende Vorschriften und Aufsichtssysteme verfügen.

2.3   Die Europäische Kommission hat einen stufenweisen Ansatz für die Regulierung der Ratingagenturen gewählt. Unmittelbar nach der Bankenkrise stand die Regulierungs- und Aufsichtsproblematik im Vordergrund, mit besonderem Schwerpunkt auf der Bewertung komplexer Derivate und den entsprechenden Interessenkonflikten. Das Versagen bei der Bewertung dieser Instrumente hat in erheblichem Maße zur Krise beigetragen (5)

2.4   Parallel zum Rechtssetzungsprozess, der in der Verordnung von 2009 gipfelte, haben die Ergebnisse der de Larosière-Gruppe zu dem Beschluss geführt, die Regulierung des Finanzsektors und die Finanzmarktaufsicht in der EU grundlegend zu überarbeiten. Mittlerweile wurde ein Vorschlag angenommen, mit dem ein zweiteiliger aufsichtsrechtlicher Rahmen in der EU geschaffen wird. Der erste Teil besteht aus drei spezifischen Aufsichtsbehörden, und eine davon ist die für Ratingagenturen zuständige Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority - ESMA). Der Verordnungsvorschlag, der Gegenstand der vorliegenden Stellungnahme ist, befasst sich ausschließlich mit den Änderungen der Verordnung von 2009, die notwendig wurden, um Vorschriften über die Befugnisse der ESMA in die Verordnung von 2009 aufzunehmen.

2.5   Da die Finanzkrise, die vor allem die Banken erfasst hatte, von der Staatsschuldenkrise abgelöst wurde, ist eine Reihe neuer Fragen aufgekommen, die sich u.a. auf die Rolle der Ratingagenturen bei Staatsschuldtiteln beziehen. Möglicherweise führen diese Vorgänge zu einer dritten Verordnung über Ratingagenturen, zu der derzeit nur ein Dokument vom 5.11.2010 zur öffentlichen Konsultation vorliegt. Die Kapitelüberschriften geben einen Hinweis auf die betroffenen Themen: Vertrauen in Ratings für Eigenkapital, Staatsanleihe-Ratings, Stärkung des Wettbewerbs im Ratingsektor, zivilrechtliche Haftung von Ratingagenturen und mögliche Interessenkonflikte. Es ist davon auszugehen, dass der EWSA zu diesen Themen im Rahmen der angedeuteten neuen Verordnung zu gegebener Zeit eine fundierte Stellungnahme abgeben wird.

2.6   Außerdem lassen auch die auf europäischer Ebene harmonisierten Vorschriften viel Raum für Ermessen und nationale Optionen, abgesehen vom den nationalen „Auslegungen“ in der Umsetzungsphase.

2.7   Die gleichen gravierenden Mängel sind laut de Larosière auch bei den Ratingagenturen zutage getreten, die insbesondere in Bezug auf komplexe Derivate (4) in puncto angewandte Bewertungsverfahren, fehlende Informationen, Transparenz und natürlich vorhandene Interessenkonflikte alle an ihre Grenzen gestoßen.

2.8   Außerdem besteht hier ein echtes Oligopol, da nur drei, fast ausschließlich amerikanische Ratingagenturen (Moody's, Standard & Poor's und Fitch) ca. 90 % des Markts für Ratings beherrschen. Diese haben bekanntlich eine wichtige Rolle bei der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise gespielt. Das Verfahren, bei dem der Emittent für das Rating bezahlt, funktioniert zwar für Staats- und Unternehmensschuldtitel relativ gut, verursachte aber bei der Bewertung komplexer Derivate einen größeren Interessenkonflikt, was zu einem Teufelskreis auf Kosten der Transparenz der abgewickelten Transaktionen geführt hat.

2.9   Diese Ratingagenturen geben nach wie vor, als sei nichts geschehen, nicht unbedingt objektive Bewertungen ab. So stufte Standard & Poor's im vergangenen April (26.4.2010) die griechischen Staatsschulden auf das Niveau Aserbaidschans herab – trotz der Bewilligung von 110 Mrd. EUR für Griechenland durch die EU.

2.10   Erst aufgrund dieser Ereignisse und der Kritik einflussreicher europäischer Führungspersönlichkeiten an der Funktionsweise der Ratingagenturen hat der Europäische Rat beschlossen, die genannte öffentliche Konsultation einzuleiten, die sich auch auf staatliche Schuldtitel erstreckt. Den Regierungen bestimmter Mitgliedstaaten missfällt überaus die Vorstellung, dass der Markt die Fehler und Fehleinschätzungen verschwenderischer Regierungen bloßlegen könnte, obgleich es Staatsbankrotte bereits seit Menschengedenken gibt. Diese Stellungnahme bezieht sich indes auf die Verordnung von 2009.

2.11   Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 2. Juni 2010 (siehe Tabellen im Anhang (6)) eine Bestandsaufnahme vorgenommen, was bezüglich des Aufbaus eines europäischen Finanzsystems bislang geleistet wurde und was noch zu tun ist, um ein sichereres, transparenteres und verantwortlicheres Finanzsystem, das für die Realwirtschaft und die Gesellschaft insgesamt arbeitet, zu schaffen.

2.12   Deshalb wird eine zentrale Aufsicht über die in der EU tätigen Ratingagenturen gefordert, wobei die Zuständigkeit dem neuen Europäischen Finanzaufsichtssystem und den drei Europäischen Aufsichtsbehörden übertragen wird. Die Behandlung damit verbundener grundlegender Fragen wird auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

3.   Die Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 im Überblick

3.1   Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen (Änderungen zu Titel I)

3.1.1   Der zentrale und wichtigste Punkt betrifft, wie bereits angesprochen, den Übergang der Aufsicht von der einzelstaatlichen auf die europäische Ebene, wobei die Aufsichtsbefugnis über die Ratingagenturen, die in der EU tätig sind oder die ihren Sitz in Drittstaaten haben (europäische Tochterunternehmen), großteils der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) übertragen wird.

3.1.2   In Artikel 4 werden die Verwalter alternativer Investmentfonds aufgeführt, um sie hinsichtlich der Verwendung von Ratings so behandeln zu können wie andere Finanzinstitute in der EU. Dies bedeutet, dass von alternativen Investmentfonds verwendete Ratings von einer gemäß der neuen Verordnung registrierten oder zertifizierten Ratingagentur vergeben worden sein müssen.

3.2   Abgabe von Ratings, Informationszugang (Änderungen zu Titel II)

3.2.1   Emittenten von strukturierten Finanzinstrumenten oder mit ihnen verbundene Dritte müssen auch den Agenturen, die mit den von ihnen beauftragten Ratingagenturen konkurrieren, Zugang zu den Informationen gewähren, die nicht für andere Zwecke als für die Abgabe eines Ratings verwendet werden dürfen. Damit sollen Interessenkonflikte bei den Agenturen verhindert werden, die ja vom Emittenten, d.h. vom Auftraggeber des Ratings (sic!) bezahlt werden (gemäß dem „Modell des zahlenden Emittenten“).

3.3   Registrierungsverfahren und Beaufsichtigung der Ratingtätigkeit (Änderungen zu Titel III)

3.3.1   Infolge der Einrichtung einer zentralen Aufsichtsbehörde auf europäischer Ebene sind bestehende Bestimmungen über die kollegiale Aufsicht zu streichen (Abschaffung des Kollegiums), um eine wirksame Aufsicht über die in verschiedenen Gebieten tätigen Ratingagenturen zu gewährleisten. Die europäische Aufsichtsbehörde kann außerdem die Kommission ersuchen, das Registrierungsverfahren zu regeln und Normen für die beizubringenden Informationen festzulegen. Sie kann auch selbst Informationen anfordern und bei eventuellen Verstößen gegen die Verordnung Nachforschungen und Prüfungen vor Ort durchführen usw.

3.4   Zusammenarbeit zwischen der ESMA und den einzelstaatlichen Behörden (Änderungen zu Titel III)

3.4.1   Die einzelstaatlichen Behörden sind weiterhin für die Kontrolle der Nutzung von Ratings durch beaufsichtigte Unternehmen (wie Banken, Versicherungen, Wertpapierfirmen) zuständig. Sie tauschen die Informationen über die Ratingagenturen mit der ESMA aus, arbeiten mit dieser zusammen und unterstützen sie.

3.4.2   Die ESMA kann - auch aus Kostengründen - bestimmte Aufgaben an die nationalen Behörden delegieren. Insbesondere können folgende Aufgaben übertragen werden: Nachforschungen und Prüfungen vor Ort, Bewertung des Antrags auf Registrierung und mögliche Aspekte im Zusammenhang mit der Aufsicht. Diesbezüglich muss die ESMA, die jedenfalls die Zuständigkeit in diesem Bereich behält, spezifische Leitlinien erarbeiten.

3.5   Sanktionen und Ausschussverfahren (Änderungen zu Titel IV Kapitel I)

3.5.1   Die europäische Aufsichtsbehörde ist befugt, der Kommission die Verhängung von Sanktionen gegen Ratingagenturen vorzuschlagen, um einen Verstoß abzustellen und dies öffentlich bekannt zu geben, die angeforderten Informationen beizutreiben oder die Ratingagenturen einer Untersuchung zu unterziehen. Verstößt eine Ratingagentur gegen die Verordnung, darf die ESMA eine Geldbuße und ein befristetes Verbot, Ratings abzugeben, veranlassen, die Agentur auffordern, den Verstoß abzustellen oder sogar den Widerruf der Registrierung einer Ratingagentur veranlassen.

3.5.2   Die Ausschussverfahren wurden entsprechend dem Vertrag von Lissabon angepasst.

3.6   Übergangs- und Schlussbestimmungen (Änderungen zu Titel IV Kapitel II)

3.6.1   Nach Aufnahme der Tätigkeit der ESMA müssen die einzelstaatlichen Behörden ihre Kompetenzen in diesem Bereich abgeben. Die Modalitäten für die Übermittlung der Unterlagen und Informationen seitens der nationalen Behörden müssen noch festgelegt werden.

3.7   Der EWSA ist der Auffassung, dass der Inhalt der von der Europäischen Kommission gestarteten öffentlichen Konsultation zum Thema Ratingagenturen mit den Schlussfolgerungen der vorliegenden Stellungnahme im Großen und Ganzen übereinstimmt. Er behält sich vor, die bei der Konsultation angesprochenen Themen gegebenenfalls zu vertiefen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der neue Kommissionsvorschlag geht, was die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufsicht von der nationalen auf die europäische Ebene anbelangt, in die richtige Richtung. Dies ist eine sehr komplexe Tätigkeit, die keine zufriedenstellenden Ergebnisse zeitigen kann, wenn sie - gemäß dem vorhergehenden Verordnungsvorschlag (7) - lediglich von den Mitgliedstaaten auf kollegiale Art und Weise durchgeführt wird. Außerdem entspricht der neue Vorschlag dem bereits im de Larosière-Bericht (8) vorgegebenen richtigen Ansatz. Die Rechtsvorschrift ist vielleicht etwas zu vage, da nicht immer eindeutige Lösungen vorgegeben werden.

4.2   Davon abgesehen werden indes die Vorschriften, denen Ratingagenturen im Hinblick auf ihre Registrierung und die Ausübung ihrer Aktivität entsprechen müssen, im neuen Vorschlag gegenüber der Verordnung vom September 2009 nicht maßgeblich verändert.

4.3   Die wichtigste Frage betrifft jedoch die außerhalb der EU tätigen Ratingagenturen, die von den vorgeschlagenen Änderungen de facto nicht berührt werden: Wer ist wirklich von der Verordnung betroffen? Wie können z.B. von Moody's, Standard & Poor's und Fitch (die trotz der von ihnen verursachten Desaster nach wie vor die einflussreichsten Agenturen sind) abgegebene Ratings neutralisiert werden? Reicht es aus, ihre europäischen Tochterunternehmen zu kontrollieren, um ihr weltweites Oligopol zu brechen?

4.4   Die wichtigsten, weltweit tätigen Ratingagenturen sind bekannt: Moody's, Standard & Poor's, Fitch ratings, Dun & Bradstreet, A.M. Best, Egan-Jones Rating Company (alles US-amerikanische Unternehmen), Dominion Bond Rating (Kanada), Baycorp Advantage (Australien), China Credit Information Service (China), Japan Credit Rating (Japan), Rating Agency Malaysia (Malaysia), NKC Independent Economists (Südafrika). Und wo bleibt Europa? Fakt ist, dass Europa, die größte Wirtschaftsmacht der Welt, über KEINE Ratingagentur verfügt, auch nicht für die Bewertung öffentlicher Schuldtitel.

4.5   Die angelsächsische Gruppe von Agenturen bringt die frühere Vorherrschaft des angelsächsischen Kapitalismus zum Ausdruck, die auch durch die beiden Weltkriege nicht unterbrochen wurde; zudem spiegelt die Zusammensetzung die besonderen operativen Erfordernisse der asiatischen Volkswirtschaften wider. Erstaunlicherweise ist seit Einführung des gemeinsamen Marktes keine europäische Ratingagentur entstanden, wobei Fitch zwar in französischem Besitz ist, ihren Sitz jedoch außerhalb Frankreichs hat. Die Tatsache, dass die EU seit 1957 keine weltweit operierende Ratingagentur hervorgebracht hat, kann mit dem ebenso schwachen Abschneiden der EU bei den Hochtechnologiebranchen im gleichen Zeitraum verglichen werden. Die EU betreibt keine Wirtschaftsförderung für Unternehmer in den modernen Branchen. Im Rahmen der Konsultation über eine neue Verordnung soll auch die Frage des Wettbewerbs überprüft werden. Der Mangel an unternehmerischer Initiative muss angegangen werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Der EWSA begrüßt die Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde. Der Vorschlag ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, der den europäischen Rechtsrahmen besser an die zutage getretenen Erfordernisse anpasst und den Märkten, den Bürgern und den Unternehmen Vertrauen und Sicherheit geben soll. Der Vorschlag ist gleichwohl noch nicht ausreichend, um den erklärten Zielen gerecht zu werden.

5.2   Begrüßt wird auch der Vorschlag, alternative Investmentfonds auf Antrag von registrierten oder zertifizierten Ratingagenturen bewerten zu lassen.

5.3   Schwieriger erscheint hingegen, mit dem vorliegenden Vorschlag das „Modell des zahlenden Emittenten“ transparent, objektiv und wettbewerbsfähig werden zu lassen, zumal der diesem System innewohnende Interessenkonflikt nicht beseitigt wird. Ratingagenturen, die sich in einer solchen Lage befinden, müsste vielmehr die Abgabe von Ratings ihrer Geschäftspartner untersagt werden. Es ist zu begrüßen, dass ein internationaler Prozess der Angleichung der Regelungen begonnen hat, wie in den USA, Japan usw. zu sehen ist.

5.4   Der EWSA begrüßt, dass - auch aus Kostengründen - bestimmte Aufgaben an die nationalen Behörden delegiert werden, aber unter der Bedingung, dass die Zuständigkeiten zwischen europäischen und nationalen Behörden stets klar abgegrenzt werden. Insbesondere müssen in Bezug auf korrekte Informationen, Registrierung und Inspektionen vor Ort die Auflagen eingehalten und die Maßnahmen definiert werden.

5.5   Der EWSA begrüßt die Einführung des Grundsatzes, dass gegen Ratingagenturen, die ihren Pflichten nicht nachkommen oder die gegen die Verordnung verstoßen, Sanktionen verhängt werden können.

5.6   Die wirkliche Herausforderung für die Politik besteht angesichts der Tatsache, dass es sich hier nicht um Novizen handelt, nicht nur darin, klare und abschreckende Bestimmungen zu finden, sondern vielmehr in ihrer Durchsetzung. Deshalb sollten auch Sanktionen für die Leiter und Verantwortlichen der europäischen und internationalen Aufsichtsbehörden vorgesehen werden, falls sie ihre Aufsichtspflichten missachten - angesichts des Schadens, der ihre Untätigkeit den gesunden Banken und Finanzinstituten sowie der Wirtschaft, den Unternehmen und den Bürgern zufügen kann. Damit erweisen sie allenfalls der Spekulation und sämtlichen damit verbunden Interessen einen großen Gefallen. Jedenfalls sollten sie persönlich für die Nichterfüllung ihrer Pflicht aufkommen. Die in diesen turbulenten Zeiten von vielen beschworene „Ethik“ kann ohne Verantwortlichkeit – und folglich ohne Sanktionen – kaum erreicht werden.

5.7   Außerdem ist der Teil, der sich mit den internationalen Aspekten befasst, nicht ganz angemessen. Auch auf Fragen bezüglich der Nutzer von Finanzprodukten - Unternehmen und vor allem Bürger - müssen bessere Antworten gefunden werden.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  European Securities Market Authority.

(2)  Im Folgenden: „Verordnung von 2009“.

(3)  Öffentliche Konsultation zum Thema Ratingagenturen, 5.11.2010.

(4)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen“, ABl. C 277/25 vom 17.11.2009, S. 117.

(5)  Einen Überblick über die Verordnung von 2009 bietet Ziffer 3 der Stellungnahme des EWSA zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Ratingagenturen“, ABl. C 277/25 vom 17.11.2009, S. 117.

(6)  KOM(2010) 301 endg.: Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum.

(7)  Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen.

(8)  Vgl. die Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorschlägen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, KOM(2009) 499 endg. - 2009/0140 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, KOM(2009) 501 endg. – 2009/142 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, KOM(2009) 502 endg. - 2009/143 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 503 endg. – 2009/144 (COD), ABl. C 339/08 vom 14.12.2010, S. 34.


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