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Document 52010IE1614

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 54 vom 19.2.2011, p. 15–19 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke“

(Initiativstellungnahme)

(2011/C 54/03)

Hauptberichterstatter: Antonello PEZZINI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Oktober 2010, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke“.

Am 20. Oktober 2010 beauftragte das Präsidium die Beratende Kommission für den industriellen Wandel mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember (Sitzung vom 8. Dezember) Antonello PEZZINI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 158 gegen 8 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Nach Auffassung des EWSA ist ein Maßnahmenpaket erforderlich, um einen starken Anstoß für ein nachhaltiges Energiemodell zu geben und einen klaren und soliden Referenzrahmen für den Energiesektor festzulegen, u.a. mit einer energiepolitischen Planung, die der Versorgungssicherheit sowie der Wahrung der sozialen, territorialen und ökologischen Belange und der Einhaltung des Fahrplans 2020 – 2050 Rechnung trägt.

1.2   Der Ausschuss empfiehlt, die derzeit geltende Verordnung für den Steinkohlenbergbau (Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 vom 23. Juli 2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlebergbau) für einen Zeitraum, der dem der auslaufenden Vorschrift entspricht, zu verlängern, ohne dass dem EU-Haushalt dadurch zusätzliche Belastungen entstehen und ohne dass Bergwerkstilllegungen zwingend zur Auflage gemacht werden; jedoch ist die Möglichkeit vorzusehen, Beihilfen für Investitionen und für saubere Kohletechnologien („clean coal“ - CC) sowie die Qualifizierung von Personal im Bereich strategische Rohstoffe zu gewähren. Der Ausschuss fordert nachdrücklich die Änderung des Kommissionsvorschlags zwecks Erleichterung wettbewerbsorientierter Umstrukturierungen von Steinkohlebergwerken sowie die Konsolidierung einer strategischen Reserve der EU.

1.3   Der EWSA dringt auf eine Halbzeitüberprüfung der Wettbewerbsfähigkeit der sauberen Kohletechnologien in Bezug auf: den Grad der Wettbewerbsfähigkeit anderer heimischer Energieressourcen bis 2020, die Beihilfen für andere heimische Energieressourcen und zur Stützung der Kohle auf den globalen Märkten, die Preisschwankungen bei den fossilen Brennstoffen auf dem Weltmarkt, den Mehrwert der Energieversorgungssicherheit heimischer strategischer Ressourcen für Europa sowie außerdem die Kosten für die Umrüstung von Kohlekraftwerden und die Sanierung stillgelegter Bergwerke.

1.4   Eine derartige Überprüfung muss nach Auffassung des Ausschusses im Jahr 2014 unter strenger Einhaltung der Bestimmungen des Vertrags von Lissabon über die neue Energiepolitik der Union (Artikel 194) und im Einklang mit der europäischen Strategie für die Energieversorgungssicherheit und den Zugang zu den Ressourcen sowie mit den anderen Politiken der Union - insbesondere mit der Industrie-, Handels- und FuE-Politik - erfolgen.

1.5   Der EWSA dringt darauf, dass dem EP, dem Rat und ihm selbst 2015 ein Halbzeitbericht über die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Steinkohlenbergbaus vorgelegt wird. Dieser Bericht muss über die besonderen Umstände der gegenwärtigen Krise hinausweisen und – ausgehend von den vorgenannten Parametern zur Definition der Charakteristika der Branche - ihre strategischen, wirtschaftlichen, technologischen, sozialen und ökologischen Fortschritte aufzeigen. Außerdem sollte dieser Bericht auf die Fortschritte bei der Verringerung der Abhängigkeit von Energieeinfuhren eingehen.

1.6   Der EWSA erinnert daran, dass die EU bei der Erforschung und Entwicklung von sauberen Energietechnologien führend ist. Dies betrifft insbesondere die Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, die sauberen Kohletechnologien, die kohlebasierte Polygeneration sowie die Stromerzeugung für integrierte extrem emissionsarme Lösungen (1), die Bestandteil des 7. FTE-Rahmenprogramms 2007-2013 der Europäischen Union sind.

1.7   Der EWSA unterstreicht, dass es auf dem europäischen Markt keine Probleme mit Wettbewerbsverzerrungen gibt, da den Ausführungen der Kommission zufolge im Kohlesektor kein erheblicher innergemeinschaftlicher Handel zu verzeichnen ist, auch weil die technischen Anlagen der Kraftwerke für spezielle Arten von Referenzkohle kalibriert sind.

1.8   Der EWSA unterstreicht, dass die Aussagen der Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau zutreffender denn je sind, insbesondere in folgenden Punkten:

„Die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen der Steinkohle aus der Gemeinschaft und der Importkohle haben dem Steinkohlenbergbau in den letzten Jahrzehnten bedeutende Umstrukturierungsmaßnahmen und Abbaureduzierungen abverlangt;

die Gemeinschaft ist bei der Versorgung mit Primärenergieträgern immer stärker von Einfuhren abhängig geworden;

die weltpolitische Lage verleiht der Bewertung der geopolitischen Risiken und der Sicherheitsrisiken im Energiebereich eine völlig neue Dimension und erweitert die Bedeutung des Konzepts der Versorgungssicherheit.“

1.9   Aus diesen Gründen und wegen der strategischen Bedeutung der Energieressourcen empfiehlt der EWSA einen wirksamen Übergang zu einem neuen, nachhaltigen Energiemodell für Europa mit einem diversifizierten Energiemix, bei dem sämtliche Energieträger unter Nutzung von Technologien zur Verringerung des Schadstoffausstoßes sowie mit glaubwürdigen Zeitplänen für die Umsetzung berücksichtigt werden, wobei Elemente zur Verringerung der Abhängigkeit von externen Ressourcen aufzunehmen und beizubehalten sind.

1.10   Der Ausschuss unterstreicht, dass zur Förderung der Energieeffizienz, zur Eindämmung des Klimawandels sowie zur Verringerung des Ausstoßes von CO2 und anderen Schadstoffen ein demokratischer und partizipativer Konsens herbeigeführt werden muss. Er fordert daher mit Nachdruck, den sektoralen sozialen Dialog im Steinkohlenbergbau im Rahmen der EU-Politik für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt für die kohleproduzierenden Regionen zu stärken und besser zu strukturieren. Für diese Regionen würde die Einstellung der Produktion in der derzeitigen weltweiten Krise den Verlust von mehr als 300 000 Arbeitsplätzen in Gebieten mit einer sehr spezifischen Struktur bedeuten.

2.   Einleitung

2.1   In der EU werden zurzeit ungefähr 288 Mio. Tonnen Kohleneinheiten (Mill. t SKE) produziert (2), von denen 122 Mio. Tonnen auf Steinkohle entfallen. Kohle wird normalerweise entweder zur Strom-, Wärme- oder Stahlerzeugung und für andere industrielle Verfahren verwendet. Polen und Deutschland sind die größten Kohleerzeuger in der EU.

2.2   Von den zehn Steinkohle produzierenden Mitgliedstaaten gewähren sechs zumindest irgendeine Form der staatlichen Beihilfe: in der Hauptsache Deutschland und Spanien, in geringerem Maße auch Ungarn, Polen, Rumänien und die Slowakei (Slowenien gewährt auch für bereits stillgelegte Bergwerke eine Beihilfe).

2.3   Der 1951 geschlossene Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl enthielt hinsichtlich der Zulässigkeit der Gewährung von Beihilfen der Mitgliedstaaten an Unternehmen des Kohlebergbaus und der Stahlindustrie eine eindeutige Regelung: „Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags aufgehoben und untersagt: […] c. von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen […], in welcher Form dies auch immer geschieht.“ Dieses Verbot jeglicher einzelstaatlicher Unterstützung von Unternehmen in Artikel 4 Buchstabe c war eine logische Folge der Abschaffung aller nationalen Schutzmaßnahmen innerhalb des gemeinsamen Marktes.

2.4   Schon bald nach Errichtung des gemeinsamen Marktes stellte sich jedoch heraus, dass die europäische Energieversorgung nicht gesichert war. Als Grundlage für die Zulassung bestimmter gemeinschaftlicher Beihilfen diente daher Artikel 95, die Klausel für beim Abschluss des EGKS-Vertrages nicht vorhergesehene Fälle. Sie erlaubte ein Eingreifen der Gemeinschaft, wenn dies zur Erreichung eines oder mehrerer Ziel des Vertrages erforderlich war.

2.5   Mit dem Auslaufen des EGKS-Vertrags erließ der Rat am 23. Juli 2002 die Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau, deren Geltungsdauer am 31. Dezember 2010 endet. Zwischen 2003 und 2008 wurden über 26 Mrd. EUR an Beihilfen für diesen Sektor genehmigt.

2.6   Der Ausschuss gab zu dieser Beihilferegelung eine Stellungnahme (3) ab, in der er sich der Einschätzung des Beratenden Ausschusses der EGKS anschloss, dass eine Regelung, die auf die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit und auf einen festen Primärenergiesockel zielt, nicht gleichzeitig „kontinuierlichen Abbau“ aller Kohlebeihilfen verlangen kann.

2.7   Der Ausschuss begrüßte die Tatsache, dass „die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten sollen, eine stabile Mindestförderung an heimischer Steinkohle anzustreben, die den Zugang zu den wesentlichen Lagerstätten ermöglicht“. Dies schloss die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Infrastruktur, eine deutliche Schwerpunktsetzung und konkrete Maßnahmen in dem sensiblen Bereich der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, solide fachliche Qualifikationen und das technische Know-how mit ein.

2.8   Der Ausschuss unterstreicht daher, dass in diesem Sektor im Rahmen der heimischen strategischen Rohstoffe ein aktiver Beitrag dazu geleistet werden muss, die Attraktivität Europas in puncto Investitionen und Arbeitsplätze zu steigern, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie den sozialen Zusammenhalt zu stärken, mehr Interesse an Forschung und Innovation zu wecken und schließlich die Schaffung und Verbreitung von neuem Wissen und die Aus- und Fortbildung von Arbeitnehmern zu fördern (4).

2.9   Der Ausschuss hat desgleichen darauf hingewiesen, dass „die Kommission sich auf die Überprüfung derjenigen staatlichen Beihilfen konzentrieren [sollte], die für den Handel von beträchtlicher Bedeutung sind; sie sollte ihre Ressourcen nicht auf die Untersuchung einer Vielzahl von Fällen von vorwiegend lokalem Interesse verschwenden und deshalb die Bedeutung und Interpretation des Begriffs ‚local concern‘ klarstellen“ (5).

2.10   Darüber hinaus hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass „die fossilen Brennstoffe Kohle (6), Erdöl und Erdgas […] gegenwärtig das Rückgrat der europäischen und der globalen Energieversorgung [bilden]. Sie werden diese Bedeutung auch in den nächsten Jahrzehnten nicht verlieren und bleiben daher unverzichtbar“ (7).

2.11   „Auch ein stärkerer Rückgriff auf die beachtlichen europäischen Kohlevorkommen kann diese Abhängigkeit mildern. […] Bei Kohle sind von dem auf 3 400 Mrd. Tonnen Öleinheiten geschätzten Gesamtpotenzial bisher erst etwa 3 % gefördert. […] Die vermutete Reichweite der weltweiten Ressourcen und Reserven an Kohle, Öl und Gas ist von mehreren Faktoren abhängig (Wirtschaftswachstum, Exploration, technische Entwicklung). Sie erstreckt sich noch über viele Dekaden (bei Kohle vielleicht sogar Jahrhunderte) …“ (7).

2.12   Den Prognosen der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) (8) für den Zeitraum 2030-2050 zufolge wird Kohle auch im 21. Jahrhundert weiterhin eine wichtige Rolle bei der Deckung des Energiebedarfs spielen. Die Tatsache, dass der Eindämmung der Treibhausgasemissionen zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wird, bedeutet umfangreiche Investitionen in die Erforschung und Entwicklung von sauberen Kohletechnologien und immer wirksameren Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Global gesehen wird die Kohle auch weiterhin eine wichtige Energiequelle bleiben, immerhin deckt sie mehr als 20 % des weltweiten Energiebedarfs.

2.13   Wie vom Ausschuss bereits zu einem früheren Zeitpunkt hervorgehoben (9), wird „nach anfänglichem Rückgang […] ab etwa 2015 ein Wiederanstieg des Kohleverbrauchs erwartet - als Folge der dann verbesserten Wettbewerbssituation dieses Energieträgers in der Stromerzeugung. Steigende Erdgaspreise und die erwartete Einsatzreife fortschrittlicher Kohleverstromungs-Technologien sind die Hauptgründe dieser Entwicklung“.

2.14   China, die USA, Indien, Australien und Russland sind weltweit die führenden Produzenten: auf China entfallen 2 761 Mio. Tonnen pro Jahr (47 % der Weltproduktion), auf die USA 1 006 Mio. Tonnen (17 %) und auf Russland 247 Mio. Tonnen (4 %). Die EU importiert jährlich 180 Mio. Tonnen Steinkohle, hauptsächlich aus Russland (30 %), Kolumbien (17,8 %), Südafrika (15,9 %) und den USA (12,8 %) (10).

3.   Der Vorschlag

3.1   Da die Geltungsdauer der Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 des Rates vom 23. Juli 2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlebergbau demnächst endet, wurden von der Kommission kürzlich folgende sechs Optionen unterbreitet:

Option 1: kein neues sektorspezifisches Rechtsinstrument nach dem Außerkrafttreten der Kohleverordnung; nur die allgemeinen Beihilfevorschriften würden gelten;

Option 2: der Erlass von Leitlinien auf der Grundlage von Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV, ähnlich jenen für den Schiffbau und die Stahlindustrie (Beihilfen für von dem Bergbauunternehmen zu leistende Abfindungszahlungen an stilllegungsbedingt entlassene oder in den Vorruhestand versetzte Arbeitnehmer sowie Beihilfen zur Deckung der Kosten der Beratung dieser Arbeitnehmer und ihrer beruflichen Umschulung sowie für die Sanierung der Produktionsstandorte);

Option 3: eine Verordnung zur Genehmigung zeitlich befristeter Betriebsbeihilfen (Stilllegungsbeihilfen) und degressiver Betriebsbeihilfen sofern dies im Rahmen eines präzisen Stilllegungsplans mit einem systematischen Rückbau der Bergwerke und Anlagen einhergeht;

Option 4: eine Verordnung zur Genehmigung von Beihilfen zur Deckung von mit Bergwerksstilllegungen verbundenen außergewöhnlichen Kosten (soziale Altlasten und Umweltaltlasten);

Option 5: eine Verordnung auf der Grundlage von Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe e AEUV zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, sowohl eine Stilllegungsbeihilfe als auch eine Beihilfe zur Deckung außergewöhnlicher Kosten zu gewähren; oder

Option 6: Verlängerung der gegenwärtigen Kohleverordnung um weitere 10 Jahre, also bis Ende 2020, ohne die Notwendigkeit von Bergwerkstilllegungen und mit der Möglichkeit zur Gewährung von Investitionsbeihilfen.

3.2   Die Kommission hat beschlossen, eine neue Verordnung des Rates auf Grundlage von Option 5 vorzuschlagen, einschließlich eines zusätzlichen Instruments für die Mitgliedstaaten, um die sozialen und regionalen Folgen von Bergwerkstilllegungen abzufedern und den sozialen Zusammenhalt der europäischen Regionen zu fördern.

Zusätzlich zu den Möglichkeiten, die die allgemeinen Beihilfevorschriften vorsehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken, die Bereitschaft für Forschung und Innovation zu stimulieren sowie schließlich die Gewinnung und Verbreitung neuen Wissens und die Ausbildung der Arbeitskräfte zu fördern, könnten nach dem Vorschlag der Kommission zwei Arten von Beihilfen für die Steinkohleindustrie für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden: Stilllegungsbeihilfen und Beihilfen für außergewöhnliche Kosten.

3.3.1   Insbesondere für die Gewährung von Betriebsbeihilfen an Kohlebergwerke sollen die folgenden Bedingungen gelten:

Für die endgültige Stilllegung bis zum 1. Oktober 2014 des nicht wettbewerbsfähigen Kohlebergwerks (das am 31. Dezember 2009 noch in Betrieb gewesen sein muss) ist ein detaillierter Plan auszuarbeiten;

die Beihilfe muss mit der Zeit stark zurückgefahren werden: nach jeweils 15 Monaten wird die Beihilfe um 33 % gekürzt;

wird das Bergwerk nicht bis zu dem festgesetzten Zeitpunkt stillgelegt, ist die gesamte bis dahin gewährte Beihilfe zurückzuzahlen; und

die Mitgliedstaaten müssen einen nationalen Plan zur Ergreifung von Maßnahmen vorlegen, die darauf abzielen, die Umweltauswirkungen der Kohlenutzung einzudämmen.

3.3.2   Beihilfen für außergewöhnliche Kosten dienen zur Deckung von Kosten, die durch die außergewöhnliche Umstrukturierung oder die Stilllegung des Bergwerks entstanden sind und nicht unmittelbar mit der laufenden Produktion zusammenhängen. Ferner dienen sie zur Deckung von Kosten in Verbindung mit sozialen Härtefällen und ökologischen Altlasten, die ausschließlich aufgrund der Stilllegung von Kohlebergwerken anfallen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der EWSA bemängelt, dass er nicht vom Rat angehört wurde, insbesondere angesichts der Befugnisse der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel (CCMI), die als ständiges Arbeitsorgan im EWSA eingerichtet wurde und die Aufgaben des Beratenden Ausschusses der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) übernommen hat.

4.2   Der EWSA macht zunächst sein Recht geltend, eine Stellungnahme zu einem Thema abzugeben, das, wie bereits vom Beratenden Ausschuss der EGKS mit Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 betont wurde, mit Blick auf den industriellen Wandel in der EU von großer Bedeutung ist, und weist darauf hin, dass eine Regelung, die auf die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit und einen festen Primärenergiesockel zielt, „nicht gleichzeitig ‚kontinuierlichen Abbau‘ aller Kohlebeihilfen verlangen kann“.

4.3   Der EWSA stellt fest, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung am 19./20. März 2009 die am 13. November 2008 von der Kommission vorgelegte Zweite Überprüfung der Energiestrategie unterstützt hat, in der die Notwendigkeit einer „optimale[n] Nutzung eigener Energieressourcen der EU“ und einer optimalen Nutzung „ihre[r] eigenen Energieressourcen, einschließlich der erneuerbaren Energien und der fossilen Brennstoffe und - in den Ländern, die sich dafür entscheiden - der Kernenergie“ hervorgehoben wurde.

4.4   Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die Ziele des Sechsten Umweltaktionsprogramms 2002-2012 unter anderem die „Förderung erneuerbarer und kohlenstoffärmerer fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung“ umfassen und dass Artikel 1 der gegenwärtigen Verordnung über Beihilfen für Kohle die „- als Vorbeugungsmaßnahme - notwendige Beibehaltung eines Mindestumfangs an heimischer Steinkohleproduktion“ vorsieht, „damit der Zugang zu den Vorkommen gewährleistet ist“.

4.5   Außerdem weist der EWSA darauf hin, dass auch in Studien, die das Institut für Energie der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) in Petten auf Gemeinschaftsebene durchgeführt hat, festgestellt wird, dass Steinkohle auch im gesamten 21. Jahrhundert weiterhin eine wichtige Rolle bei der Deckung des Energiebedarfs spielen wird.

4.6   Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen, soweit sie innerhalb eines gemeinsamen Bezugsrahmens der Erfordernis einer wettbewerbsorientierten Entwicklung der Branchenbetriebe entsprechen und nicht allein einem nicht wettbewerbsbezogenen Ansatz (11) folgen, um:

ein hinreichendes Maß an heimischen Energieressourcen aufrechtzuerhalten und so zur Versorgungssicherheit beizutragen und die Energieabhängigkeit zu vermindern;

Europas führende Rolle bei intelligenten Gewinnungstechniken und „sauberer Kohle“ sowie Umwelttechnologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) zu halten: die umfassendere Nutzung von Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung wird erst nach 2020 möglich sein und auch dann nur, sofern die erforderliche Forschung und Entwicklung rechtzeitig erfolgreich abgeschlossen wurde;

in Bezug auf Investitionen in Forschung, Innovation und Umstrukturierungen auf Marktversagen zu reagieren und so zu bewirken, dass europäische Kohleunternehmen Technologien des Neuen Marktes kostengünstiger erwerben können und wettbewerbsfähig werden;

durch die Schaffung von gebietsbezogenem Wohlstand und gebietsbezogenen Arbeitsplätzen in Verbindung mit der Entwicklung von Regionen, in denen Bergbau und Förderung sowie damit verbundene Industriezweige die dominierenden oder einzigen Industrien sind, sozial- und umweltpolitische Ziele zu erreichen;

auf die Branche den Begriff „local concern“ anzuwenden, angesichts der Tatsache, dass der innergemeinschaftliche Handel sich nur geringfügig oder überhaupt nicht auf die Branche auswirkt und er den Handel daher nicht erheblich beeinträchtigt, sowie angesichts der Tatsache, dass die gegenwärtige Beihilferegelung keine erheblichen Handelsverzerrungen bewirkt hat;

die Modernisierung von Kraftwerken zu ermöglichen und die Einhaltung nationaler (12) branchenspezifischer Umstrukturierungszeiträume und -verfahren zu gewährleisten und Netzwerke zwischen Bergbaubezirken und Kompetenzzentren für Bergbau und die Nutzung von mineralischen Bodenschätzen sowie Netzwerke zur Schulung hochqualifizierter Führungskräfte zu unterstützen;

das Konzept eines Minimums an strategischen heimischen Kohlereserven zu wahren und so der Verpflichtung des öffentlichen Sektors zur Erbringung von Grundversorgungsdiensten zur Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit gemäß Artikel 106 AEUV (ex-Artikel 86 EUV) nachzukommen;

den Arbeitern und Fachkräften wettbewerbsunfähiger Bergwerke Beratungs-, Ausbildungs- und Umschulungsdienste anzubieten und der Branche sowie damit verbundenen Industriezweigen Vorruhestandsbeihilfen zu gewähren;

den brancheninternen europaweiten sozialen Dialog der Bergbauindustrie auszubauen und zu fördern und technische netzwerkbasierte Foren, wie das Berliner Forum für fossile Brennstoffe, zu organisieren;

die Verbreitung und den Austausch bewährter Praktiken, insbesondere aus technischer und ökologischer Sicht, zu fördern und so sowohl die innovative Kohleproduktion als auch ihre Anwendungen wettbewerbsfähig und nachhaltig zu machen und in Fällen, in denen diese Verfahren nicht umsetzbar sind, die Umstrukturierung, Diversifizierung und Schließung (sowie Sanierung (13) der Standorte) zu veranlassen.

4.7   Der EWSA ist der Ansicht, dass der von der Kommission festgelegte Zeitrahmen zu kurz ist und nicht dem Entwicklungsbedarf der Branche entspricht: der Zeitraum 2011-2018 wäre angemessener - vergleichbar mit dem Zeitraum 2002-2010 - um festzustellen, ob die Betriebe der Branche angesichts der technologischen Entwicklungen des Marktes betreffend kostengünstiger CO2-Abscheidung und -Speicherung, sauberer Kohle und Abbauverfahren wettbewerbsfähig sind.

4.8   Desgleichen ist der EWSA der Ansicht, dass die Degressivität zu hoch angesetzt und auf Zeitrahmen ausgerichtet ist, die zu kurz sind, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und in das Abbaugebiet, saubere Kohle und die CO2-Abscheidung und -Speicherung zu investieren. Zudem sollte die Beihilfe Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen, belohnen statt bestrafen (wie dies die Kommission vorschlägt).

4.9   Hinsichtlich der unausgewogenen Wettbewerbsbedingungen zwischen einem importierten und einem heimischen Produkt sollten möglicherweise zunächst die Beihilferegelungen der exportierenden Länder genauer und auf transparentere Weise geprüft werden, bevor man fordert, die Gemeinschaftsregelung zu beschränken. Nach Auffassung des EWSA müsste außerdem bei der Unterzeichnung von Abkommen mit Drittländern aufmerksamer und konsequenter auf die Festschreibung angemessener ILO-Sozialnormen geachtet werden, um die Ausbeutung der Bergarbeiter zu verhindern und optimale Bedingungen für ihren Schutz vor den häufig tödlich verlaufenden Unfällen in den weltgrößten Bergwerken zu gewährleisten.

4.10   Abschließend ist es nach Ansicht des EWSA für die Zukunft des Kohlebergbaus und die Stromerzeugungsbranche unerlässlich, europäischen Unternehmen und den Mitgliedstaaten einen eindeutigen proaktiven Rahmen zu geben, sowohl für horizontale Beihilfen, die für soziale und ökologische Zwecke gewährt werden, als auch zum Zwecke von FTE, Innovation, Ausbildung und beruflicher Qualifizierung in der Branche.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe ZEP – Zero Emissions Platform, Europäische Technologieplattform für das mit fossilen Brennstoffen betriebene emissionsfreie Kraftwerk (ETP-ZEP) – Aktionsplan für die Umsetzung 2010–2012 (www.zeroemissionsplatform.eu/ccs-technology/capture.html - / Konferenz des belgischen Ratsvorsitzes zum Europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) 2010, 15./16. November 2010, Europäische Technologieplattform für das mit fossilen Brennstoffen betriebene emissionsfreie Kraftwerk (ETP-ZEP), http//setis.ec.europa.eu/technologies/Zero-emission-fossil.

(2)  Im Rahmen dieser Stellungnahme handelt es sich dabei um „Steinkohle“ oder „Kohle“ gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 – Anthrazit, Braunkohle, Steinkohle.

(3)  ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 49.

(4)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 1.

(5)  Siehe Fußnote 2.

(6)  Anthrazit, Braun- und Steinkohle.

(7)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 5.

(8)  Coal of the future (supply prospects for thermal coal by 2030-2050) Generaldirektion Gemeinsame Forschungsstelle (GD JRC) Institut für Energie, Petten (Niederlande), Februar 2007.

(9)  Siehe Fußnote 9.

(10)  Die USA spielen bei der Finanzierung von Kohlekraftwerken eine aktive Rolle - sowohl im In- als auch im Ausland. Dies steht im Widerspruch zu Präsident Obamas Zusicherung gegenüber den G-20, Subventionen für fossile Brennstoffe stufenweise abzuschaffen.

(11)  Wie in sämtlichen energiepolitischen Dokumenten der Kommission – vom Europäischer Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) bis hin zur Energiestrategie 2011-2020 – ausgeführt wird, müssen in diesem Zusammenhang verschiedene Parameter berücksichtigt werden, wie z.B. der Grad der Wettbewerbsfähigkeit anderer heimischer Energieressourcen bis 2020, die Beihilfen für andere heimische Energieressourcen und zur Stützung der Kohle auf den globalen Märkten, die Preisschwankungen bei den fossilen Brennstoffen auf dem Weltmarkt, der Mehrwert der Energieversorgungssicherheit heimischer strategischer Ressourcen für Europa, insbesondere im Fall internationaler Spannungen und Krisen, sowie außerdem die Kosten für die Umrüstung von Kohlekraftwerden und den Rückbau stillgelegter Bergwerke.

(12)  Etwa die deutsche Steinkohleförderung bis 2018.

(13)  Rückbau.


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