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Document 52010AE1175

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Situation der tropischen Thunfischflotte der Europäischen Union und künftige Herausforderungen“ (Sondierungsstellungnahme)

ABl. C 48 vom 15.2.2011, p. 21–26 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 48/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Situation der tropischen Thunfischflotte der Europäischen Union und künftige Herausforderungen“ (Sondierungsstellungnahme)

2011/C 48/05

Berichterstatter: Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE

Der spanische EU-Ratsvorsitz beschloss am 20. Januar 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

„Die Situation der tropischen Thunfischflotte der Europäischen Union und künftige Herausforderungen“ (Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 465. Plenartagung am 15./16. September 2010 (Sitzung vom 15. September) mit 118 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss betrachtet die hohen Anforderungen, die durch Vorschriften der EU an soziale und gesundheitliche Standards, Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz, Rechtsnormen, Sicherheit der Seeschifffahrt, verantwortungsvolle Regierungsführung und Kontrolle gestellt werden, als ein herausragendes Beispiel für umsichtige und nachhaltige Bewirtschaftung von Ressourcen.

1.2

Andererseits erhöht die Anwendung der genannten Grundsätze die Kosten eines Erzeugnisses, das auf dem Markt mit denen anderer Länder, die in jeder Hinsicht weniger strenge Maßstäbe anlegen, konkurrieren muss. Die EU sollte sich deshalb weiterhin für die Anwendung all der genannten Grundsätze durch die Fangflotten der übrigen Welt im Sinne einer Angleichung nach oben mit dem EU-Standard als Bezugspunkt für die übrigen Akteure einsetzen.

1.3

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die größte Herausforderung für den EU-Thunfischfang in tropischen Gewässern darin besteht, seine Existenz in einem Umfeld zu sichern, das von unlauterem Wettbewerb und einem durch die EU selbst geschaffenen ungünstigen Rechtsrahmen geprägt ist.

1.4

Auf internationaler Ebene besteht die Herausforderung für Europa in der Anwendung fester Rechtsvorschriften, die einen freien, aber fairen Wettbewerb fördern. Von grundlegender Bedeutung ist die Ausarbeitung einer integrierten und in jeder Hinsicht kohärenten EU-Politik, die es gestattet, die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des EU-Thunfischfangs in tropischen Gewässern in wirtschaftlicher, sozialer wie ökologischer Hinsicht zu sichern, und zwar ganz im Sinne des 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Übereinkommens über die biologische Vielfalt.

1.5

Im Hinblick auf die Piraterie fordert der Ausschuss die Mitgliedstaaten und den Rat auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in das Mandat der Antipiraterie-Operation „Atalanta“ im Indischen Ozean insbesondere den Schutz der Thunfischflotte einzubeziehen.

1.6

Der Ausschuss betrachtet die Aufrechterhaltung der partnerschaftlichen Fischereiabkommen (PFA) als grundlegend für die weitere Tätigkeit der tropischen Thunfischflotte der EU. Er fordert die Kommission auf, das Geflecht der Thunfischabkommen gemäß den Bedürfnissen der EU-Fangflotte zu erweitern und dringend zu prüfen, ob eine Ausnahme von der Ausschließlichkeitsklausel der PFA in dem Sinne gemacht werden kann, dass die EU-Flotte auch private Fanglizenzen erwerben kann, sofern es der Zustand der Fischereiressourcen nach dem neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstand erlaubt.

1.7

Die Führungsrolle der EU in den regionalen Fischereiorganisationen (RFO) zur Förderung der Grundsätze verantwortungsbewusster und nachhaltiger Fischerei ist von entscheidender Bedeutung, um zu einer angemessenen Bewirtschaftung der weltweiten Fischbestände zu gelangen. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass Europa seine Anstrengungen auf diesem Gebiet verstärken sollte.

1.8

Die Beibehaltung des Präferenzsystems für die AKP-Staaten und des APS+ ohne Abänderungen wie die vor kurzem erfolgte, für Verzerrungen auf dem Weltmarkt für Thunfisch sorgende Einräumung des Ursprungsstatus für Papua-Neuguinea und die Fidschi-Inseln ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherung des Fortbestehens der Branche in der EU und ihrer Investitionen in Drittländern. Angesichts möglicher Störungen im europäischen Thunfischsektor ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Überwachungs- und Schutzmaßnahmen geprüft und gegebenenfalls angewendet werden sollten, die in dem zwischen der Europäischen Union und den Pazifikstaaten geschlossenen Interim-Partnerschaftsabkommen vorgesehen sind.

1.9

Die Aufrechterhaltung von EU-Zöllen auf verarbeitete Thunfischerzeugnisse ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Branche in der EU. Nach Meinung des Ausschusses sollten sowohl im Rahmen der WTO als auch bei Handelsverhandlungen der EU mit Drittländern Anstrengungen unternommen werden, um ein höchstmögliches Schutzniveau zu erzielen.

1.10

Angesichts dessen ist der Ausschuss der Ansicht, dass die EU-Institutionen den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz verteidigen sollten. Des Weiteren vertritt er die Auffassung, dass die Ausgleichszahlungen für den von der EU-Fangflotte an die verarbeitende Industrie gelieferten tropischen Thunfisch wieder auf ihr ursprüngliches Niveau, d.h. 93 % des EU-Referenzpreises, gebracht werden sollten, da ihr Wert in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat und bis auf 87 % des Erzeugerpreises gesunken ist.

2.   Derzeitige Situation der EU-Fangflotte für tropischen Thunfisch

2.1

In Europa entwickelte sich der Thunfischfang seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Spanien und Frankreich, um die wachsende Nachfrage der den Binnenmarkt beliefernden Konservenindustrie zu decken. Zunächst handelte es sich dabei um die Küstenfischerei nach Weißem Thun (Thunnus alalunga). Im Laufe der Zeit und im Zuge des technischen Fortschritts wurde die Fischerei nach Süden ausgeweitet, um dort tropische Thunfischarten wie Gelbflossenthun (Thunnus albacares), Echten Bonito (Katsuwonus pelamis) und in geringerer Zahl Großaugenthun (Thunnus obesus) zu fangen. Nachdem zunächst Gewässer in der Nähe Frankreichs, Spaniens und Portugals befischt wurden, steuerten die Fangschiffe in den 1960er und 1970er Jahren die westafrikanischen Küstengewässer, im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre den Indischen Ozean und den Ostpazifik und zu Beginn des 21. Jahrhunderts schließlich auch den Westpazifik an.

2.2

Die Befischung tropischer Thunfischarten durch die Ringwadenflotte der EU erfolgt pelagisch und selektiv. Fangziele sind die großen Thunfischschwärme, die sich im tropischen Gürtel der drei großen Ozeane konzentrieren. Der Fang erfolgt auf hoher See oder in den ausschließlichen Wirtschaftszonen von Drittländern.

2.3

Die aufgrund ihres hohen Nährwerts äußerst geschätzten Thunfischarten zählen in vielen Ländern der Welt zur Grundnahrung, werden weltweit in großen Mengen gehandelt und stellen eine wichtige Einnahmequelle für die mit Fang, Verarbeitung und Vermarktung befassten Länder dar.

2.4

Dies erklärt, warum der Thunfischfang in bestimmten Ländern eine äußerst bedeutende Wirtschaftstätigkeit ist. Die weltweite Fangmenge tropischer Thunfischarten beläuft sich unter Berücksichtigung sämtlicher Fangtechniken gegenwärtig auf über 4 Mio. t/Jahr, wobei etwa 2 Mio. t auf die Ringwadenfischerei entfallen. Die Bestände dieser Arten befinden sich im Allgemeinen in gutem Zustand, da die jeweiligen RFO für jeden Ozean angemessene Bewirtschaftungsprogramme unterhalten.

2.5

Die EU-Flotte umfasst 54 Thunfischwadenfänger/Froster (34 spanische und 20 französische Schiffe), die jährlich zusammen etwa 400 000 t fangen, was etwa 10 % der weltweiten Fangmenge entspricht.

2.6

Der Großteil dieser Schiffe operiert in internationalen Gewässern auf der Grundlage von dreizehn bestehenden partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen der EU und Drittländern (davon sechs im Bereich des Atlantiks, vier im Gebiet des Indischen Ozeans und drei im Pazifikraum).

2.7

Weltweit befischen etwa dreißig Länder mit insgesamt etwa 580 Fangschiffen den tropischen Thunfisch, wobei die Gesamtkapazität dieser Schiffe eine BRZ (1) von 650 000 erreicht. Auf die EU-Ringwadenflotte (BRZ: 97 500) entfallen dabei 9 % der Schiffe sowie 15 % der weltweiten Kapazität der Wadenfischerei nach Thun.

2.8

Die wichtigsten Fanggründe für tropischen Thun liegen im Pazifik, auf den 67 % der weltweiten Fangmengen entfallen, gefolgt vom Indischen Ozean (22 %) und dem Atlantik (11 %).

2.9

Der tropische Thunfischfang wird durch vier spezifische regionale Fischereiorganisationen (RFO) geregelt:

2.9.1

die ICCAT (International Commission for the Conservation of Atlantic Tuna – Internationale Kommission zur Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik), die den Thunfischfang im Atlantischen Ozean und den angrenzenden Meeren, z.B. dem Mittelmeer, verwaltet (1969 gegründet);

2.9.2

die IOTC (Indian Ocean Tuna Commission – Thunfischkommission für den Indischen Ozean), die den Thunfischfang im Indischen Ozean regelt (1997 gegründet);

2.9.3

die IATTC (Inter-American Tropical Tuna Commission – Interamerikanische Kommission für tropischen Thunfisch), die für den Ostpazifik (amerikanische Seite) zuständig ist (1949 gegründet);

2.9.4

die WCPFC (Western and Central Pacific Fisheries Commission - Fischereikommission für den westlichen und mittleren Pazifik), die den Thunfischfang im mittleren und westlichen Pazifik (Ozeanien und Asien) regelt (2004 gegründet).

2.10

Die EU-Flotte unterliegt zahlreichen administrativen Kontrollen durch verschiedene einzelstaatliche Ministerien wie auch Generaldirektionen der Europäischen Kommission. Um unter der Flagge eines Mitgliedstaats der EU fahren und seine Erzeugnisse in den Handel bringen zu dürfen, muss ein Schiff die verwaltungstechnischen Anforderungen für den Erwerb der geforderten Zertifikate in Bezug auf BRZ, Laderaum, Maschinen, Tiefkühlanlage, Besatzung, Seetauglichkeit, Seenotrettung, Sicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz, veterinärrechtliche Zulassung, besondere Fangerlaubnisse, Fanglizenzen der Länder, in deren Hoheitsgewässern es operiert, Satellitenüberwachung, Kontrollen durch Beobachter an Bord, Fangkontrollen mittels elektronischer Logbücher, Absatzkontrollen usw. erfüllen. Die Aufrechterhaltung dieser Zertifikate, Genehmigungen und Lizenzen erfordert tägliche Verwaltungsaufgaben, jährliche Erneuerungen und periodische Überprüfungen, wie sie in diesem Ausmaß von keiner anderen Fischereiflotte der Welt geleistet werden müssen. All diese Anforderungen erhöhen in erheblichem Maße die Betriebskosten der EU-Fangflotten.

2.11

Darüber hinaus unterliegt die EU-Ringwadenflotte beim Thunfischfang im Gegensatz zu den Flotten von Drittländern den Bestimmungen der Gemeinsamen Fischereipolitik. Die Beachtung der Grundsätze dieser Politik, die auf verantwortungsbewusster Fischerei, den Empfehlungen der RFO sowie der Einhaltung der Vorschriften in Bezug auf Hygiene, Seeschifffahrt, Sicherheit, Umwelt und sozialen Schutz der Arbeitnehmer basiert, erhöht für die europäischen Reedereien die Kosten und verringert so ihre Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu Schiffen aus Ländern, die diesen Bestimmungen nicht unterliegen oder sie weniger streng handhaben.

2.12

In den letzten Jahren sah sich die EU-Flotte zudem zunehmend stärker mit Problemen durch die Piraterie im Indischen Ozean konfrontiert. Diese Situation führt - neben der Furcht und Unsicherheit der Besatzungen auf den Thunfischfängern, die eine legitime unternehmerische Tätigkeit ausüben - zu einer Verringerung der Fangmengen bei steigenden Betriebskosten durch an Bord der Schiffe zu unterhaltende Sicherheitsdienste.

2.13

Der Großteil der tropischen Thunfischproduktion geht an die Konservenindustrie, die als weltweit größte fischverarbeitende Industrie gilt. Europa ist der weltweit bedeutendste Absatzmarkt mit einem jährlichen Verbrauch von 800 000 t eingedostem tropischen Thunfisch, von denen mehr als die Hälfte aus Drittländern eingeführt wird.

3.   Entwicklung der EU-Fangflotte für tropischen Thunfisch

3.1

Die Entwicklung der europäischen Fangflotte für tropischen Thunfisch verlief in den letzten fünfzig Jahren parallel zu jener der europäischen Verabeitungsindustrie für tropischen Thunfisch.

3.2

Thunfisch war das erste Fischereierzeugnis, das zum Schutz der verarbeitenden Industrie vollständig vom gemeinschaftlichen Zollsatz befreit wurde. Die damalige EWG führte Ausgleichszahlungen ein, durch die den Reedereien die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und 93 % des jährlich neu festgelegten Referenzpreises erstattet wurde. Aufgrund der späteren Senkung dieses Prozentsatzes auf 87 % kam es in den letzten Jahren nicht mehr zu derartigen Ausgleichszahlungen an EU-Reedereien, sodass das System heute völlig wirkungslos ist.

3.3

Flotte und Konservenindustrie der EU leisten im Rahmen der EU-Handelspolitik seit vielen Jahren einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung von Drittländern. In diesem Zusammenhang wurde durch die Abkommen von Yaundé, Lomé und Cotonou ein stabiler Rahmen für den Handel zwischen den AKP-Staaten und der EU geschaffen. Ebenso wurde durch die Sonderregelung zum System allgemeiner Zollpräferenzen (APS+) der Handel zwischen der EU und ihren Handelspartnern in Mittelamerika und in der Andengemeinschaft befördert.

3.4

Im Rahmen von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) haben die AKP-Staaten beim Export ihrer Produkte aus tropischem Thunfisch (ganzer Thunfisch, Thunfischfilets und Thunfischkonserven) zollfreien Zugang zum EU-Markt. Diese Bedingungen haben es der thunfischverarbeitenden Industrie der EU ermöglicht, Direktinvestitionen in den Staaten Côte d'Ivoire, Ghana, Madagaskar, Seychellen und Mauritius sowie indirekte Investitionen in Kenia und Senegal zu tätigen, die in jenen Ländern zur Schaffung von mehr als 40 000 Arbeitsplätzen beigetragen und den Technologietransfer gefördert haben.

3.5

Darüber hinaus wurde von der EU eine Sonderregelung des Allgemeinen Präferenzsystems (APS+) eingerichtet, um diese günstigen Handelsbedingungen auf die Länder Mittel- und Südamerikas auszuweiten, für deren Fischereierzeugnisse ein ermäßigter Zollsatz von 0 % gilt. Europäische Investitionen flossen dabei unter anderem nach Ecuador, El Salvador, Guatemala, Brasilien (generelles APS oder für Drittländer zu einem Zollsatz von 24 % auf Konserven) und Chile (im Rahmen des Freihandelsabkommens mit der EU), sowie indirekt nach Kolumbien und Venezuela, wodurch sie zur Sicherung von 50 000 direkten Arbeitsplätzen in der Thunfischbranche beitrugen.

3.6

Im Rahmen dieser Abkommen haben EU-Unternehmen einige ihrer Schiffe in Drittländer in Afrika, Amerika und Ozeanien transferiert, wo sie unter der Flagge von Ländern fahren, die von der EU als bevorzugte Partner der Union betrachtet werden und mit deren Wirtschaftsbetrieben sie Fusionen bzw. die Gründung von gemeinsamen Unternehmen empfiehlt.

3.7

Ein Teil der vierhunderttausend Tonnen umfassenden Fangmenge der europäischen tropischen Thunfischflotte werden bei diesen in Drittländern errichteten Betrieben angelandet und dort verarbeitet, wodurch zahlreiche Arbeitsplätze in den Häfen geschaffen, Hafengebühren für das Anlanden und Umladen des Fischs entrichtet und die Fangschiffe in den Häfen mit Erzeugnissen dieser Drittländer versorgt werden, was spürbar zu deren Entwicklung beiträgt.

3.8

Ein Blick auf die EU-Thunfischbranche als Ganze zeigt, dass sich die Flotte und die verarbeitende Industrie gemeinsam entwickelt haben und damit aufgrund zahlreicher gemeinsamer Interessen der europäischen Branchenvertreter der einzige EU-Fischereisektor mit einer branchenübergreifenden transnationalen Struktur entstanden ist. Wie erwähnt, hat die EU-Thunfischbranche im Einklang mit den EU-Leitlinien zahlreiche Investitionen in Drittländern getätigt und dort, wo Länder in die Präferenzsysteme der EU einbezogen sind, zur Steigerung der Wirtschaftstätigkeiten gesorgt.

4.   Herausforderungen für die EU-Fangflotte für tropischen Thunfisch

4.1

Die größte Herausforderung für die Thunfischflotte und die thunfischverarbeitende Industrie der EU ist der ungleiche Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsbeteiligten, die ihre Wachstumsziele auf den europäischen Markt ausgerichtet haben, auf dem 50 % der Jahresproduktion (EU plus Drittländer) an eingedostem tropischen Thunfisch verbraucht werden.

4.2

Die weltweite Produktion von Thunfischkonserven beläuft sich jährlich auf 1,6 Mio. t, von denen etwa 330 000 t aus der EU stammen (2).

4.3

Hauptkonkurrenten der europäischen Thunfischflotte sind die asiatischen Ringwadenflotten, die im ertragreichsten Fanggrund der Welt, dem Pazifischen Ozean, operieren, auf den mehr als 60 % der weltweiten Fangmengen an tropischem Thunfisch entfallen. Ein Großteil der Fänge dieser Flotten wird in das Dreieck Thailand-Philippinen-Indonesien geliefert, der Region mit der weltweit größten thunfischverarbeitenden Industrie. Die dort hergestellten Erzeugnisse sind zwar von minderer Qualität, jedoch vom Preis her auf dem europäischen Markt äußerst wettbewerbsfähig, auf dem sie trotz eines Zolltarifs von 24 % bereits einen Anteil von 35 % erreichen.

4.4

Auch die thunfischverarbeitende Industrie leidet - ähnlich wie oben für die Flotte beschrieben - unter dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Drittstaaten, die weder zu den AKP noch den vom APS+ begünstigten Staaten gehören. In den meisten Fällen sind der Einkauf kostengünstigerer Rohstoffe, niedrigere Steuern, Lohnkosten und Zahlungen für die soziale Sicherheit der Beschäftigten sowie geringere Gesundheitsgarantien der hergestellten Erzeugnisse Faktoren, die zweifellos die Produktionskosten senken und einen im Vergleich zu europäischen Erzeugnissen niedrigeren Verkaufspreis der Importware ermöglichen.

4.5

Generell lassen sich weltweit zwei unterschiedliche Systeme der Thunfischproduktion unterscheiden. Auf der einen Seite steht das durch die EU-Flotte bzw. die EU-Investitionen in Drittländern (AKP bzw. APS) repräsentierte System, in dem die verarbeitende Industrie Europas bzw. der AKP/APS-Staaten beliefert werden und in dem maximale Standards für Sicherheit am Arbeitsplatz, Sozialschutz, Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz sowie die Beachtung der Regeln für eine verantwortungsbewusste Fischerei gelten. Das andere, zunehmend weiter ausgreifende System ist das der Flotten und Industrien, in denen der Gedanke der Nachhaltigkeit kaum Beachtung findet und in dem in den Bereichen Arbeit, Soziales und Gesundheit weitaus niedrigere Standards gelten.

4.6

Ebenso wie die AKP- bzw. APS-Staaten, denen für die Einbeziehung in eines der Präferenzsysteme der EU zur Bedingung gemacht wird, einer Reihe von internationalen Übereinkommen beizutreten, in denen die genannten Aspekte geregelt werden, sollte auch der Marktzugang der übrigen in die EU exportierenden Länder an die Erfüllung dieser Standards geknüpft werden, um so einen fairen Wettbewerb mit den Erzeugnissen der EU und ihrer bevorzugten Partner zu gewährleisten.

4.7

Eine weitere Hauptgefahr für den Fortbestand der Thunfischbranche der EU sind Änderungen der europäischen Rechtsvorschriften zur Regelung des empfindlichen Gleichgewichts auf dem Weltmarkt für Thunfisch. Diese Rechtsvorschriften haben über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen eine Schlüsselrolle dabei gespielt, Investitionen und Entwicklungen der europäischen Thunfischbranche in die von der EU als vorrangige Partner benannten Länder zu lenken.

4.8

Dieser Entwicklungsrahmen, der sich für die Thunfischbranche als besonders wirkungsvoll erwiesen hat, ist durch die WTO-Verhandlungen, die mögliche Unterzeichnung von Freihandelsverträgen der EU mit anderen Ländern bzw. Ländergruppen und die jüngste Abänderung der Ursprungsregeln, durch die Papua-Neuguinea und den Fidschi-Inseln der Ursprungsstatus eingeräumt wird (3), gefährdet.

4.9

Sowohl in den WTO-Verhandlungen als auch in bilateralen Verhandlungen besteht die größte Gefahr für den Thunfischsektor in der Abschaffung der Einfuhrzölle auf verarbeitete Thunfischerzeugnisse. Die Einfuhr von ganzem gefrorenem Thunfisch wurde bereits vor über dreißig Jahren vollständig liberalisiert (mit einem Zolltarif von Null), um die Versorgung der europäischen verarbeitenden Industrie sicherzustellen, weshalb die Flotte der EU gezwungen ist, in einem offenem Wettbewerb mit anderen Flotten, die den europäischen Markt mit ganzem gefrorenem Thunfisch beliefern, zu bestehen. Eine Ausweitung der Liberalisierung auch auf verarbeitete Thunfischerzeugnisse würde indes nur den fortschreitenden Niedergang der EU-Branche und den Verlust von Arbeitsplätzen und Wirtschaftstätigkeiten zugunsten außereuropäischer Wettbewerber mit geringeren Kosten befördern.

4.10

Der Papua-Neuguinea und den Fidschi-Inseln im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Pazifikstaaten eingeräumte Ursprungsstatus für Fischereierzeugnisse zerstört das Gleichgewicht auf dem Weltmarkt für Thunfisch, was katastrophale Folgen für die EU-Branche und die übrigen AKP- und APS-Länder hat. Der Verzicht auf die Forderung, dass in Papua-Neuguinea oder Fidschi verarbeiteter Thunfisch aus AKP- bzw. EU-Staaten stammen muss, um zollfrei auf den europäischen Markt gebracht werden zu dürfen, veranlasst die wichtigsten Wettbewerber, vornehmlich aus dem asiatischen Raum, neue Verarbeitungsanlagen in Papua-Neuguinea zu errichten.

4.11

Mit diesem Zugeständnis fördert die EU die Überfischung der bereits bis an ihre Grenze belasteten Thunfischbestände im Pazifik. Überdies handelt es sich bei den Unternehmen, die zollfreien Zugang zum europäischen Markt erhalten werden, hauptsächlich um asiatische Firmen, denen ein Anreiz geboten wird, die Produktionskapazitäten für Konserven in einem bereits von Preisverfall durch Überangebot betroffenen Markt weiter zu erhöhen. Die europäische Präsenz im westlichen und mittleren Pazifik ist dem politischen Willen der durch Papua-Neuguinea angeführten Länder der Forum Fisheries Agency entsprechend auf vier Thunfischfänger begrenzt.

4.12

Das Zugeständnis stellt zudem eine Benachteiligung der übrigen AKP- und APS-Länder dar, da es Papua-Neuguinea und Fidschi einen einseitigen Vorteil im Hinblick auf die Möglichkeit des Erwerbs preisgünstiger Rohstoffe verschafft, da erstere die Ursprungsregeln beachten müssen, letztere hingegen nicht. Auch lässt sich mutmaßen, dass damit eine Möglichkeit bereitsteht, aus illegaler Fischerei stammende Erzeugnisse zu legalisieren.

4.13

Eine weitere Herausforderung, vor der die europäische tropische Thunfischflotte steht, ist die Aufrechterhaltung des Geflechts von Fischereipartnerschaftsabkommen. Dieses Geflecht ist von grundlegender Bedeutung, da es der EU-Flotte in einem weltweit einmaligen Rahmen der Rechtssicherheit und Transparenz den Zugang zu den Beständen weit wandernder Fischarten garantiert. Tropischer Thunfisch konzentriert sich räumlich und zeitlich nicht nach einem festgelegten Bewegungsmuster, weshalb für die Tätigkeit der Thunfischflotte eine möglichst große Zahl von Fischereiverträgen im Bereich der drei großen Ozeane erforderlich ist.

4.14

Derzeit besteht ein großer Mangel an Fanglizenzen für Thunfischfroster im Atlantik, u.a. wegen der geringeren Anzahl von Abkommen in den vergangenen Jahren und vor allem wegen der Piraterie im Indischen Ozean, die dazu geführt hat, dass einige Schiffe, die dort gefischt hatten, ihre Zuflucht im Atlantik suchen, wo die Fischerei noch unter Mindestsicherheitsstandards ausgeübt werden kann. Deshalb hält es der Ausschuss für unerlässlich, dass die EU bei allen Fischereipartnerschaftsabkommen im Atlantik von den Anrainerstaaten eine Erhöhung des Kontingents an Lizenzen fordert, sofern es der Zustand der Fischereiressourcen nach dem neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstand erlaubt.

4.15

Da sich eine solche Erhöhung zeitlich mehr als gewünscht hinziehen kann, weil sie nicht ausschließlich von der EU abhängt, empfiehlt der EWSA dringend, die Möglichkeit einer Ausnahme von der Ausschließlichkeitsklausel zu prüfen (sie verwehrt den EU-Reedern, in den Ländern, mit denen ein Fischereipartnerschaftsabkommen besteht, private Fanglizenzen zu erwerben), damit die EU-Flotte private Fanglizenzen erwerben kann, sofern es der Zustand der Fischereiressourcen nach dem neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstand erlaubt.

4.16

Die Vertreter der tropischen Thunfischflotte sind daher der Ansicht, dass die Union im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Rates von 2004 die Bedeutung der Partnerschaftsabkommen für den Fischfang im Rahmen der Reform der GFP festigen und eine Politik der Ausweitung des Geflechts der Abkommen mit den wichtigsten Anrainerstaaten jedes Ozeans betreiben sollte, indem sie neue Abkommen mit folgenden Ländern schließt:

Atlantik: Senegal, Guinea, Sierra Leone, Liberia, Ghana, Äquatorialguinea und Angola.

Indischer Ozean: Kenia, Tansania, französische Inseln in der Straße von Mosambik, britische Territorien im Indischen Ozean und Jemen.

Pazifik: Ecuador, Kolumbien, Peru, Panama, Costa Rica sowie ein regionales Abkommen mit der Forum Fisheries Agency.

4.17

Zudem halten die Vertreter der tropischen Thunfischflotte der Gemeinschaft die weitere Präsenz der EU in den regionalen Fischereiorganisationen (RFO) für Thunfisch für unverzichtbar, um auch in Zukunft Maßstäbe für verantwortungsbewusste Fischerei setzen zu können, wie dies gegenwärtig (unterstützt durch das Verhalten ihrer Thunfischflotte) der Fall ist.

4.18

Neben Japan und Korea ist nur noch die EU Vertragspartner in allen vier RFO für Thunfisch (ICCAT, IOTC, IATTC, WCPFC). Sie muss deshalb die Mechanismen nutzen, die es ihr gestatten, die Grundsätze verantwortungsbewusster Fischerei auf kohärente und objektive Weise zu fördern.

4.19

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU für ein möglichst einheitliches und kohärentes weltweites Bewirtschaftungssystem eintreten sollte, und zwar als deutliche Antwort auf die Gegebenheiten eines vollständig globalisierten Marktes wie jenem für tropischen Thunfisch, sowie mit dem weiteren Ziel einer künftigen internationalen Organisation zur Regelung aller horizontalen Belange des weltweiten Thunfischfangs. Erste Ansätze für ein solches globales System bot bereits der Kobe-Prozess zur Überprüfung der Funktionsweise der RFO für Thunfisch.

4.20

Bezüglich der Piraterie im Indischen Ozean zeigen sich die Vertreter der europäischen Thunfischflotte äußerst besorgt angesichts der über das gesamte Jahr 2009 hinweg zu beobachtenden und sich auch 2010 fortsetzenden Ausweitung der Piratenangriffe auf Thunfischfänger, die sich immer weiter entfernt von den Hoheitsgewässern Somalias, in einigen Fällen in über 1 000 Seemeilen Entfernung zur somalischen Küste und sogar innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen der Seychellen sowie anderer Anrainerländer (Kenia und Tansania) ereignen.

4.21

Die Thunfischflotte ist für Piratenangriffe besonders anfällig. Im Unterschied zu Handelsschiffen, die sich ständig in Fahrt befinden, verharren Fangschiffe während der Fangtätigkeit mit ausgelegten Netzen häufig zwei bis drei Stunden lang an einer Stelle, was das Risiko, von Piraten angegriffen und geentert zu werden, erhöht. Zudem erleichtern der niedrige Freibord und die Heckrampe der Fangschiffe den Piraten das Entern.

4.22

Deshalb muss dringend das Mandat der Antipiraterie-Operation „Atalanta“ (Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP des Rates vom 10. November 2008 über die Militäroperation der Europäischen Union als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias) in der Form geändert werden, dass insbesondere auch der Schutz der Thunfischflotte, die im Indischen Ozean operiert, einbezogen wird, um Angriffe und Entführungen zu verhindern, wie es mit den Schiffen „Playa del Bakio“ (2008) und „Alakrana“ (2009) geschah.

4.23

Aufgrund der Knappheit an Fanglizenzen für den Atlantik und den Kontingentierungen, die in den regionalen Fischereiorganisationen des Pazifikraumes vereinbart wurden, haben die EU-Thunfischfänger derzeit große Schwierigkeiten, aus dem Indischen Ozean zu anderen Fanggründen zu wechseln. Darüber hinaus hängen von der Fangtätigkeit der Thunfischflotte im Indischen Ozean zahlreiche Arbeitsplätze in den Reedereien und den Drittländern ab, wo Arbeitnehmer in den Konservenfabriken und Anlegehäfen tätig sind, weshalb ein Verlassen des Indischen Ozeans bedeuten würde, dass nicht nur in der EU, sondern auch auf den Seychellen, in Madagaskar, Kenia, Mauritius usw. zahlreiche Arbeitsplätze verloren gingen.

4.24

Dies sind die Herausforderungen für die tropische Thunfischflotte und die thunfischverarbeitende und Konservenindustrie der EU im Hinblick auf ihr Fortbestehen und die Aufrechterhaltung ihrer weltweiten Präsenz. Sie bedeuten keine finanzielle Belastung für den Europäischen Fischereifonds, sondern erfordern einzig und allein politische Entscheidungen der EU.

Brüssel, den 15. September 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Bruttoraumzahl, vom Englischen „Gross Tonnage“ (GT): Maß für den Rauminhalt eines Schiffs.

(2)  FAO 2007.

(3)  Verordnung (EG) Nr. 1528/2007 des Rates vom 20. Dezember 2007 mit Durchführungsbestimmungen zu den Regelungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen oder der zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen führenden Abkommen für Waren mit Ursprung in bestimmten Staaten, die zur Gruppe der Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) gehören – Anhang I, Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a.


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