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Document 52007AE1701

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen KOM(2007) 269 endg.

    ABl. C 120 vom 16.5.2008, p. 33–37 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    16.5.2008   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 120/33


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“

    KOM(2007) 269 endg.

    (2008/C 120/08)

    Die Europäische Kommission beschloss am 22. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    „Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr Adams.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) einstimmig folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen auf internationaler und regionaler Ebene, um derzeit übliche, nicht hinnehmbare Praktiken der Schiffsabwrackung so bald wie möglich zu ändern.

    1.2

    Gegenwärtig werden in der internationalen Schiffsabwrackindustrie die unterschiedlichsten Praktiken angewandt: Das Spektrum reicht von sicheren, gut kontrollierten Trockendock-Abwrackeinrichtungen bis hin zum Abwracken an Stränden, wo Schiffe in Handarbeit unter minimalen Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltschutzbedingungen zerlegt werden. Heutzutage endet die letzte Fahrt der meisten Handelsschiffe auf einem dieser Strände in Südasien. Weltweit herrscht ein großer Mangel an Schiffsabwrackkapazitäten, die dem Grundsatz der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit gerecht werden.

    1.3

    Dass eine Verschärfung der Situation eintreten wird, wenn in den kommenden Jahren „große Schiffsjahrgänge“ aufgrund der weltweiten Ausmusterung von Einhüllentankern außer Dienst gestellt werden, gibt aus Sicht des Ausschusses Anlass zur Sorge. Dazu trägt auch noch der derzeitige Rückstau von geschätzten 15 Millionen Leertonnen (LDT) (1) sowie die aktuelle Hochkonjunktur im Schiffbau bei. Ein großer Teil des zusätzlichen Abwrackbedarfs in den nächsten Jahren ist auf Maßnahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zurückzuführen; die IMO wurde auf Veranlassung der EU tätig, die ihre Umwelt schützen will; von daher hat die EU hier eine klare Verantwortung zum Handeln.

    1.4

    Der Ausschuss stellt fest, dass einige Schiffseigner die Kosten für eine sichere, sachgemäße Abwrackung ausgemusterter Schiffe nicht in ihren Betriebskostenkalkulationen berücksichtigen, wenngleich zu sagen ist, dass ein großer Teil von ihnen (2) den diesbezüglichen Handlungsbedarf erkennt und zunehmend freiwillige Maßnahmen ergreift.

    1.5

    Der Ausschuss merkt außerdem an, dass es zwar EU-Rechtsvorschriften gibt, die eine Schiffsverbringung zum Zweck der Abwrackung an einen Ort, der nicht über adäquate Einrichtungen verfügt, untersagen, diese Vorschriften jedoch leicht umgangen werden können. Der EWSA hat sich mehrfach — aktuell in seiner Stellungnahme (3) vom März 2007 zum Grünbuch über „Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union“ — dafür ausgesprochen, dass die Mitgliedstaaten umgehend die internationalen Übereinkommen über Seeverkehrssicherheit und Umweltschutz ratifizieren und ihre ordnungsgemäße Durchsetzung sicherstellen.

    1.6

    Der Ausschuss räumt ein, dass die Abwrackung von Altschiffen eine komplexe Problematik ist, denn sie bringt den Entwicklungsländern, die niedrige Abwrackungskosten anbieten können, viele Arbeitsplätze und ist eine wichtige Rohstoffquelle für sie. Gleichzeitig ist sich der Ausschuss der strukturellen Armut sowie anderer sozialer und rechtlicher Probleme im südasiatischen Raum bewusst, die wesentlich für das Nichtvorhandensein oder die Missachtung selbst elementarster Arbeitsschutzstandards, Arbeits- und Umweltnormen verantwortlich sind.

    Empfehlungen des EWSA

    1.7

    Ein wirkungsvolles internationales Prozedere für die Identifikation, die Kontrolle und die Abwrackung von Altschiffen sollte in der Regie der IMO geschaffen werden. Ein solches Verfahren muss durch angemessene Kontrollen, die denjenigen des Basler Übereinkommens vergleichbar sind, durchgesetzt werden und alle relevanten Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) umfassen, Ausnahmeregelungen ausschließen und verhindern, dass mit gefährlichen Reststoffen belastete Altschiffe in Länder verbracht werden, die keine Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens sind und die über unzureichende Abwrackeinrichtungen verfügen.

    1.8

    Bis dieses IMO-Übereinkommen umgesetzt wird, dürften jedoch noch Jahre vergehen, weshalb:

    effektive Programme der Schiffseigner auf freiwilliger Basis zur Minderung der mit dem Abwracken verbundenen Probleme unterstützt und gefördert werden sollten;

    die Europäische Union ihre bestehende Rechtsetzung eindeutig anwenden sollte, indem sie die Verordnung über die Verbringung von Abfällen durchsetzt. Es sollten umgehend Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Hafenstaaten ein Schiff als „Altschiff“ einstufen dürfen und ein Leitfaden zur Klärung der Ausdrücke „zur Beseitigung bestimmt“ und „Ausfuhrstaat“ herausgegeben werden kann. Weiterhin fordert der EWSA die Kommission auf, unverzüglich zusätzliche Maßnahmen zu planen und umzusetzen, um Umgehungspraktiken zu unterbinden, wie etwa das Erfordernis einer Sicherheitsleistung für Schiffe, die älter als 25 Jahre sind oder als hochriskant eingestuft werden, und die Kopplung weiterer Schifffahrtsbeihilfen an die Verwendung „grüner“ Abwrackstätten und/oder Vorreinigungsmöglichkeiten;

    die EU sollte eine durch Dritte vorzunehmende Zertifizierung und Betriebsprüfung für sichere und umweltgerechte Schiffsabwrackeinrichtungen entwickeln. Diese Forderung aus Schiffseignerkreisen ist als Beitrag zur Transparenz und zur Schaffung gleicher Bedingungen für alle zu verstehen.

    1.9

    Der EWSA spricht sich eindringlich dafür aus, bewährte Praktiken des Schiffsrecyclings und der Vorreinigung von gasförmigen und giftigen Abfallstoffen innerhalb der EU zu unterstützen. Ein Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, sämtliche staatseigenen Schiffe einer solchen Behandlung zu unterziehen, und bindende Klauseln beim Altschiffverkauf an Dritte sind wesentliche erste Schritte zur Flankierung dieses Ansatzes. Durch die Vorreinigung von Schiffen vor der Ausfuhr kann ein Weg gewiesen werden, wie „sauberer“ Sekundärstahl nach Südasien gelangen kann, wo rege Nachfrage herrscht. Zu diesem Zweck sollte ein Leitfaden für die Vorreinigung der Schiffe ausgearbeitet werden.

    1.10

    Mit finanziellem und technischem Beistand für die Staaten Südasiens zur Verbesserung ihrer Abwrackeinrichtungen, sodass zumindest die Abwrackungen nicht mehr am Strand ausgeführt werden, sondern an der Pier oder im Trockendock, wo es Auffangvorrichtungen gibt, und durch die Bereitstellung besserer Sicherheitseinrichtungen und Anlagen zur anschließenden Abfallbehandlung könnten einige der gröbsten Missstände beseitigt werden.

    1.11

    Dem EWSA ist bewusst, dass durch wirkungsvolle Abhilfemaßnahmen zusätzliche Kosten entstehen. Er unterstützt die von der Kommission vorgeschlagenen Mechanismen zur Einkalkulierung dieser Kosten in die normalen Betriebskosten der Schiffe. Weitere Schritte werden insbesondere von der IMO und den Schiffseignern dahin gehend angemahnt, dass ein Recyclingfonds für jedes Schiff eingerichtet wird, der entweder im Laufe der Nutzungsdauer des Schiffs nach und nach eingezahlt oder in Form einer Sicherheitsleistung beim Stapellauf hinterlegt wird. Eine Reihe von Finanzinstituten wäre in der Lage, derartigen Maßnahmen Gestalt zu geben und sie umzusetzen. Kommt es nicht zur Schaffung eines solchen Fonds, sollte die EU regionale Lösungen, darunter Hafenstaatgebühren o.ä., prüfen.

    1.12

    Eine recyclingfreundliche Bauweise, die Bestandsaufnahme bestehender Gefahrenquellen und die möglichst weitgehende Vermeidung toxischen Materials schon beim Bau eines Schiffes würden sich langfristig positiv auswirken. Der Ausschuss begrüßt einschlägige Bemühungen der EU, der IMO sowie der Schiffseigner und der Werften.

    2.   Einleitung

    2.1

    Der Hintergrund dieser Stellungnahme ist die Lage in der internationalen Schifffahrt und die Praxis der weltweiten Verbringung von Abfällen. Jedes Jahr werden zwischen 200 und 600 Hochseeschiffe abgewrackt, deren Stahl und sonstige Rohmaterialien der Wiedergewinnung zugeführt werden. Diese Arbeit wird überwiegend an den Stränden südasiatischer Staaten unter weitgehender Missachtung der Sicherheit der Arbeitnehmer und des Umweltschutzes ausgeführt. In den nächsten acht Jahren werden schätzungsweise 5,5 Mio. Tonnen gefährliche Stoffe aus Altschiffen — vor allem Ölschlamm, Öle, Anstriche, PVC und Asbest — in diesen Abwrackwerften anfallen.

    2.2

    Keine der Abwrackstätten auf dem indischen Subkontinent verfügt über Auffangeinrichtungen, die eine Verseuchung von Boden und Wasser verhindern, und die Abfallbehandlung entspricht in aller Regel nicht einmal den elementarsten Umweltnormen. Bedingt durch die niedrigen Sicherheitsstandards kommt es häufig zu Unfällen, wozu noch die langfristigen Gesundheitsrisiken für die Arbeiter kommen, die ohne ausreichende Schutzvorkehrungen mit toxischen Materialien arbeiten müssen (4).

    2.3

    Die Verbringung von Altschiffen aus Industrieländern in Entwicklungsländer unterliegt dem internationalen Abfallverbringungsrecht, und die Ausfuhr toxisch belasteter Schiffe aus der EU ist nach der EG-Abfallverbringungsverordnung untersagt. Jedoch werden durch die Veräußerung an Schiffsmakler und durch Ausflaggen Besitzverhältnisse und Haftungsfragen verschleiert, was die Durchsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften erschwert und verantwortungslosen Reedern Schlupflöcher eröffnet, durch die sie sich ihrer Verantwortung entziehen können.

    2.4

    Ein Lösungsansatz dürfte der Ausbau von Kapazitäten in der EU sein. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, und diese Kapazitäten könnten zunächst für Kriegsschiffe und andere in staatlichem Besitz befindliche Schiffe eingesetzt werden. Dennoch dürfte von den bis 2020 abzuwrackenden, geschätzten 105 Millionen Leertonnen (LDT) wohl kaum mehr als ein Bruchteil bearbeitet werden können (5).

    2.5

    Mit dem Grünbuch werden somit intensiv Wege sondiert, wie die Standards in Übereinstimmung mit der erwähnten geltenden europäischen und internationalen Rechtsetzung kosteneffizient und umfassend angehoben werden können.

    3.   Zusammenfassung des Grünbuchs

    3.1

    In seinen Schlussfolgerungen vom 20. November 2006 bezeichnete der Rat der Europäischen Union die umweltgerechte Abwrackung von Schiffen als eine Priorität der EU. Die Kommission hat ihre Position bereits im Juni 2006 im Grünbuch zur künftigen Meerespolitik der EU dargelegt (6); demnach soll die künftige europäische Meerespolitik internationale Initiativen für bindende Mindestnormen im Schiffsrecycling und die Schaffung „sauberer“ Recyclinganlagen unterstützen.

    3.2

    Im Grünbuch werden neue Ideen für die Fortsetzung und Vertiefung der Gespräche mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern vorgestellt, die Vorarbeit für künftiges Handeln geleistet sowie Antworten auf eine Reihe wichtiger Fragen gesucht, die die Kernprobleme aufzeigen.

    3.3

    Im Vordergrund steht der Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit; es geht keineswegs darum, das Geschäft mit dem Schiffsrecycling in großem Maßstab künstlich in die EU zurückzubringen und die Länder in Südasien einer wichtigen Einkommens- und Rohstoffquelle zu berauben. Letztendlich sollen weltweit nachhaltige Lösungen gefunden werden.

    3.4

    Die gegenwärtige Kapazität des umwelt- und gesundheitsgerechten Schiffsrecyclings beläuft sich weltweit auf höchstens 2 Millionen Tonnen pro Jahr, was 30 % des prognostizierten Gesamtverschrottungsbedarfs normaler Jahre entspricht. Die meisten dieser Betriebe — insbesondere in China, aber auch in einigen EU-Mitgliedstaaten — können nicht dieselben Schrottpreise bieten, da sie viel höhere Kosten als ihre Wettbewerber in Südasien haben. Diese und (alle anderen) Betriebe dürften schon bald unter Druck geraten, da bis 2015 schätzungsweise 1 300 Einhüllentanker infolge der Maßnahmen nach den Havarien der Tanker Erika und Prestige ausrangiert werden müssen (7). Große Sorge bereitet vor allem die Anwerbung gering qualifizierter Arbeitnehmer zur Bewältigung des stark zunehmenden Auftragsbergs, denn dies lässt eine abermalige Absenkung der Sicherheits- und Umweltstandards befürchten. Eine Nachfragespitze für Schiffsrecyclingkapazitäten wird für das Jahr 2010 erwartet, wenn rund 800 Einhüllentanker zur Verschrottung ausrangiert werden dürften. Daraus ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf.

    3.5   Die Rechtslage

    Mit dem Basler Übereinkommen von 1989 liegt ein Rechtsrahmen vor, der die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle regelt. 1997 wurde das absolute Ausfuhrverbot für gefährliche Abfälle aus OECD-Ländern in Nicht-OECD-Länder („Basel-Verbot“) (8) in EU-Recht übernommen, wodurch es für die Mitgliedstaaten bindend wurde. Hat ein Schiff aber erst einmal die europäischen Gewässer verlassen, erweist sich die Anwendung dieses Ausfuhrverbots als sehr schwierig. Weitere verbindliche Vorschriften für die Schiffsabwrackung werden für den Entwurf der Konvention, die im IMO-Rahmen im Gespräch ist, angeregt, doch herrscht die Meinung vor, dass der größte Ansturm auf die Abwrackkapazitäten längst vorbei sein wird, ehe die Konvention in Kraft tritt.

    3.6   Wirtschaftliche Aspekte der Schiffsabwrackung

    Das Gros der Schiffe wird in Südasien abgewrackt, weil es aus verschiedenen wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft ist. Die wichtigsten sind:

    weniger oder unzureichend durchgesetzte Rechtsvorschriften in den Bereichen Abfall, Gesundheit und Sicherheit;

    weitaus geringere Lohnkosten. Bei der Abwrackung am Strand kann kein schweres Gerät eingesetzt werden, weshalb die menschliche Arbeitskraft einer der größten Kostenpunkte bleibt;

    der Auftragseingang ist unregelmäßig und uneinheitlich. Schiffe werden oft zu Zeiten niedriger Frachtraten außer Dienst gestellt, und sie unterscheiden sich nach Konstruktion und Zusammensetzung wesentlich;

    in den OECD-Ländern gibt es so gut wie keinen Markt für Schrott und gebrauchte Schiffsausrüstungen, was mit den Auflagen zusammenhängt.

    Im Kern stellt die Kommission fest, dass der Markt in Südasien aufgrund der extremen Externalisierung der Kosten funktioniert, mit höchst problematischen Folgen für die sozialen Bedingungen und die Umwelt.

    3.7   Folgen für die Umwelt und soziale Auswirkungen

    Die meisten Schiffsabwrackungen finden einfach auf Stränden statt, wo Schadstoffrückhaltung, Wiederaufarbeitung und Entsorgung Fremdwörter sind. Viele umweltschädliche Substanzen versickern im Erdreich oder im Sand oder sie werden ins Meer geschwemmt; die Verbrennung von Farben und Kunststoffbeschichtungen verpestet die Luft. Tödliche Explosionen sind nichts Ungewöhnliches, die Unfallziffern sind hoch und die Schutzmaßnahmen sind als vollkommen unzureichend zu bezeichnen. Viele Arbeiter ziehen sich irreversible chronische Krankheiten zu: Bei etwa 16 % der Arbeiter auf der indischen Abwrackstätte Alang, die mit Asbest umgehen, konnte Asbestose festgestellt werden. In Bangladesch kamen in den vergangenen 20 Jahren mehr als 400 Arbeiter bei Unfällen ums Leben, und mehr als 6 000 erlitten schwere Verletzungen (9).

    3.8   Internationale Bestandsaufnahme

    Seit 2005 arbeitet die IMO zusammen mit der ILO und dem UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) an verbindlichen internationalen Regeln für eine „saubere“ Schiffsabwrackung. Der Entwurf dieser Konvention befindet sich in der Verhandlungsphase und soll bis 2009 angenommen werden, dürfte allerdings erst Jahre später in Kraft treten. In diesem Entwurf werden Kriegsschiffe und Schiffe in staatlichem Besitz derzeit ausgenommen. Immer noch ungelöst sind Fragen über externe Nicht-IMO-Standards, grundlegende Normen für Schiffsrecyclinganlagen, Berichterstattungserfordernisse einschließlich der zwischenstaatlichen Notifizierung und Überwachungsmechanismen. Die Kommission sieht es als unwahrscheinlich an, dass die vorgeschlagene Konvention das Kontroll-, Rechtsdurchsetzungs- und Schutzniveau des Basler Übereinkommens erreichen wird.

    3.9   Internationale Lösungen

    Im Grünbuch wird davon ausgegangen, dass die beste mittel- bis langfristige Lösung darin zu sehen ist, die in Ausarbeitung befindliche IMO-Konvention zu unterstützen. Es besteht große Sorge, dass die Konvention nicht stark genug sein und zu spät kommen wird, um das Problem der abzuwrackenden Einhüllentankschiffe zu lösen, was eine Zwischenlösung erforderlich macht. Die Kommission schlägt daher Handlungsoptionen zur Verbesserung des Managements der Schiffsabwrackung in Europa vor, die so miteinander verzahnt sind, dass sie die Bemühungen auf internationaler Ebene flankieren — eine dringende Angelegenheit, da eine kritisch große Anzahl von Altschiffen schon in den nächsten Jahren zur Abwrackung anstehen wird.

    3.10   Bessere Durchsetzung der europäischen Abfallverbringungsvorschriften

    Neben der besseren Kooperation der Mitgliedstaaten und einer weiteren Präzisierung der Definition von Abfall und akzeptablen Recyclingmöglichkeiten gehört die bessere Rechtsdurchsetzung durch die für Abfallverbringung zuständigen Behörden und die Hafenbehörden in den europäischen Häfen dazu, wobei Schiffe ab einem gewissen Alter (z. B. 25 Jahre) oder Schiffe, bei denen Abwrackverdacht besteht, erfasst werden sollten. Zusätzlich muss die Registrierung von Altschiffen und die Zusammenarbeit mit wichtigen Drittländern (z. B. Ägypten aufgrund des Sueskanals) verbessert werden. Die Kommission schlägt zudem vor, das politische Augenmerk verstärkt auf die Abwrackung von Kriegsschiffen und anderer Schiffe im Staatsbesitz zu richten.

    3.11   Stärkung der Abwrackkapazitäten in der EU

    Da die Abwrackkapazitäten in der EU und den übrigen OECD-Ländern (insbesondere der Türkei) kaum für die in den nächsten 10 Jahren außer Dienst zu stellenden Kriegsschiffe und andere Schiffe im Staatsbesitz ausreichen werden, ist für die unmittelbare Zukunft ein gravierender Engpass bei den Kapazitäten für die geregelte Schiffsabwrackung zu erwarten. Doch die „grünen“ Abwrackbetriebe, die immerhin vorhanden sind, können nicht mit den Abwrackunternehmen Südasiens konkurrieren. Da bis zum Inkrafttreten wirkungsvoller internationaler Maßnahmen, die gleiche Bedingungen für alle schaffen, noch einige Zeit vergehen wird, regt die Kommission an, sich auf Maßnahmen für Schiffe im Staatsbesitz zu konzentrieren. Mitgliedstaaten, die beim Abwracken von Kriegsschiffen mit gutem Beispiel vorangehen, könnten dadurch helfen, die „grünen“ Kapazitäten auszulasten. Durch die Aufnahme einer vertraglichen Bestimmung über die Altschiffabwrackung beim Verkauf von Kriegsschiffen an Nicht-EU-Staaten kann diese Verantwortung entsprechend weitergegeben werden.

    3.11.1

    Bei der weitaus größeren Handelsflotte werden stärkere Handlungsimpulse nötig sein, um einen Wandel der derzeitigen Praktiken in der Schifffahrt herbeizuführen. So wäre beispielsweise ein Finanzierungssystem nötig, bei dem Schiffseigner und andere einen Beitrag zur sicheren und umweltfreundlichen Abwrackung von Schiffen weltweit leisten; dieser Gedanke wird nachstehend noch weiter ausgeführt.

    3.12   Technische Hilfe, Technologietransfer und Weitergabe bewährter Praktiken an Recyclingstaaten

    Trotz ernsthafter Bedenken hinsichtlich der sozialen Auswirkungen und der Umweltaspekte ist die Schiffsabwrackung ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung verschiedener Länder Südasiens. Daher sollte in Erwägung gezogen werden, den Unternehmen dieser Länder durch technische Hilfe und wirkungsvolle rechtliche Maßnahmen bei der Modernisierung zu helfen. Gleichwohl wird erkannt, dass das Nichtvorhandensein oder die Nichtumsetzung elementarer Arbeits- und Umweltschutzmaßnahmen sehr stark mit der strukturellen Armut sowie mit anderen sozialen und rechtlichen Problemen verbunden ist. Um hier für eine dauerhafte Verbesserung zu sorgen, müsste jedwede Hilfe in einen größeren Zusammenhang eingebettet sein.

    3.13   Förderung freiwilliger Maßnahmen

    Schiffseigner wissen am besten, wie eine sichere Entsorgung gewährleistet werden kann, und so gibt es Beispiele für lobenswerte freiwillige Übereinkünfte zwischen europäischen Schiffseignern und Abwrackunternehmen, die Hilfen für Maßnahmen zur Modernisierung der Betriebe vorsehen. Kurzfristig wären auch positive Auswirkungen von der Förderung freiwilliger Verhaltenskodizes und Vereinbarungen zu erwarten, einschließlich der Vergabe von Auszeichnungen und einer Zertifizierung im Rahmen der sozialen Verantwortung der Unternehmen (10). Sozial verantwortliche Rechnungslegungspraktiken und freiwillige Vereinbarungen können sich als wirkungsvoll erweisen, wenn sie wohldurchdacht sind; sie wären jedenfalls der schnellste Weg zur Verbesserung der Situation. Zeigt sich aber, dass der Selbstverpflichtung keine praktischen Schritte folgen, könnten sich Rechtsetzungsinitiativen dennoch als unumgänglich erweisen.

    3.14   Abwrackfonds

    Die Frage ist, ob direkte Finanzhilfen für saubere Schiffsabwrackstätten in der EU oder für Schiffseigner, die ihre Schiffe zu „grünen“ Abwrackwerften schicken, sei es zur völligen Zerlegung oder zur Schadstoffbeseitigung, erwogen werden sollten. Dabei muss andererseits an die hohen Kosten solcher Hilfen und an die mögliche Unvereinbarkeit mit dem Verursacherprinzip gedacht werden. Deshalb wird im Grünbuch angeregt, die Einkalkulierung der nachhaltigen Abwrackung von Altschiffen in die Schiffsbetriebskosten zur üblichen Praxis zu machen.

    3.14.1

    Die Schaffung eines Fonds für die nachhaltige Schiffsabwrackung als verbindliches Element eines neuen internationalen Regelwerks für die Schiffsabwrackung über die IMO könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Der im Rahmen des MARPOL-Übereinkommens bestehende Ölverschmutzungsfonds ist diesbezüglich richtungsweisend.

    3.15   Weitere Optionen

    Eine Reihe weiterer Maßnahmen könnte sich für die Modernisierung der Schiffsabwrackungsindustrie kurz- und mittelfristig als hilfreich erweisen. Im Wesentlichen geht es dabei um:

    a)

    das Gemeinschaftsrecht, insbesondere zu Einhüllentankern;

    b)

    die Straffung der Beihilfen für die Schifffahrt unter Verknüpfung mit umweltgerechter Schiffsabwrackung;

    c)

    die Schaffung eines europäischen Zertifizierungssystems für umweltgerechte Schiffsabwrackung und Auszeichnungen für vorbildliches grünes Recycling;

    d)

    die Intensivierung der internationalen Forschungen zur Schiffsabwrackung.

    4.   Allgemeine Bemerkungen

    4.1

    Das Recycling von Schiffen erfolgt oftmals im Widerspruch zu international akzeptierten Standards des Arbeits- und Umweltschutzes.

    4.2

    Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die EU sicherstellt, dass die von ihr geschaffenen seeverkehrs- und sicherheitsrechtlichen Bestimmungen, beispielsweise für Einhüllentanker, nicht dazu führen, dass diese Gefahren schlicht in Entwicklungsländer exportiert werden, sondern dass dieses Problem durch die uneingeschränkte Umsetzung der Abfallverbringungsverordnung, die das Basler Übereinkommen einschließlich des als Basler Ausfuhrverbot bekannten Zusatzes und seiner Grundsätze umfasst, tatsächlich angegangen wird.

    4.3

    Neben der technischen und finanziellen Hilfe zur Verbesserung der Bedingungen auf den Schiffsabwrackstätten der Entwicklungsländer werden Finanzmittel benötigt, um verseuchte Böden und Gewässer und sonstige Schäden aus unkontrollierter Abwracktätigkeit zu sanieren. Es ist jedoch auch weiterhin darauf hinzuweisen, dass der Art von Problemen, die für die Lage vor Ort in den Entwicklungsländern kennzeichnend sind, nicht einfach durch die Bereitstellung von besserer Technik beizukommen ist.

    4.4

    Der EWSA teilt die Sorge der Kommission hinsichtlich dieser Problematik und befürwortet ihre aus einem umfassenden Maßnahmenbündel bestehende Herangehensweise. Da bei den Abwrackbetrieben und den dortigen Bedingungen — insbesondere in Bangladesch — ein dringender Verbesserungsbedarf besteht, sollten rasche Fortschritte bei der Festlegung der effizientesten Gestaltung von Hilfe, Rechtsrahmen und Anreizen anvisiert werden, damit die Vorschläge in Form eines Weißbuchs formuliert und geeignete Folgenabschätzungen initiiert werden können. Die Schifffahrtsindustrie ist sich ebenfalls der Notwendigkeit bewusst, dass die Gesundheits- und Sicherheitsstandards der Schiffsrecyclingwerften weltweit verbessert werden müssen (11), und zeigt sich hinsichtlich der Rolle der EU sowie ihrer Einflussnahme auf die IMO aufgeschlossen.

    5.   Besondere Bemerkungen

    5.1

    Im Sinne der Klarheit und der Prägnanz wurden die besonderen Bemerkungen, die sich aus den Arbeiten des Ausschusses zu diesem Thema ergeben, zu praktischen Handlungspunkten verdichtet und im Abschnitt „Schlussfolgerungen und Empfehlungen“ am Anfang dieser Stellungnahme (Ziffer 1.1 bis 1.12) dargelegt.

    Brüssel, den 13. Dezember 2007

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  Europäische Kommission, GD Umwelt: „Ship Dismantling and Pre-cleaning of Ships“ Abschlussbericht, Juni 2007.

    (2)  Mitglieder von ICS, BIMCO, ESCA, INTERTANKO, die zusammen einen großen Teil des globalen Schiffsbestands kontrollieren.

    (3)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50.

    (4)  Bericht der Organisation „Young Power in Social Action“ (YPSA) von 2005 über Arbeitnehmer in der Schiffsabwrackungsindustrie.

    (5)  Europäische Kommission, Generaldirektion Umwelt: „Ship Dismantling and Pre-cleaning of Ships“, Abschlussbericht, Juni 2007.

    (6)  KOM(2006) 275 endg., Brüssel, 7.6.2006.

    (7)  Verordnung (EG) Nr. 417/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Februar 2002 zur beschleunigten Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für Einhüllen-Öltankschiffe und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2978/94 des Rates.

    (8)  Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. Nr. L 30 vom 6.2.1993, S. 1) (ab 12.7.2007 ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006).

    (9)  Bericht der Organisation „Young Power in Social Action“ (YPSA) über Arbeitnehmer in der Schiffsabwrackungsindustrie, 2005.

    (10)  Beispielsweise wie von „Marisec“ (www.marisec.org/recycling) und dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft entwickelt.

    (11)  „Ship Recycling — The Way Forward“, BIMCO, ECSA, INTERTANKO, INTERCARGO.


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