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Document 52006IE1175

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die gesamteuropäischen Verkehrskorridore 2004-2006

ABl. C 318 vom 23.12.2006, p. 180–184 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

23.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 318/180


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die gesamteuropäischen Verkehrskorridore 2004-2006“

(2006/C 318/30)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Dezember 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, zu erarbeiten: „Die gesamteuropäischen Verkehrskorridore 2004-2006“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2006 an. Berichterstatterin war Frau ALLEWELDT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 429. Plenartagung am 13./14. September 2006 (Sitzung vom 13. September) mit 192 gegen 4 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zielsetzung der ständigen Studiengruppe

1.1

Seit den Anfängen der gesamteuropäischen Verkehrspolitik 1991, welche die Grundlage für die Planung der großen Korridor-Verbindungen legte, hat der EWSA aktiv und mit großer Überzeugung an dieser Politik der Kohäsion über die EU-Grenzen hinaus mitgewirkt. 2003 wurde die zurückliegende Arbeit von 10 Jahren in einem eigenen Band veröffentlicht (1). Seither arbeitet eine ständige Studiengruppe kontinuierlich weiter. Die letzte Stellungnahme (2) deckt den Berichtszeitraum 2002-2004 ab. Die nun vorliegende Stellungnahme befasst sich mit den Entwicklungen bis Mitte 2006.

1.2

Ziel der ständigen Studiengruppe ist es, die Schaffung einer gemeinsamen gesamteuropäischen Verkehrsinfrastruktur von Anfang an und über die EU-Grenzen hinaus mit den verkehrspolitischen Zielen für ein nachhaltiges und effizientes Verkehrssystem und den Zielen der Kohäsion zu verbinden. Somit müssen soziale, wirtschaftliche, operationelle, umwelt- und sicherheitspolitische und regionale Frage berücksichtigt werden und die entsprechenden Interessengruppen beteiligt werden. Dazu möchte die ständige Studiengruppe über ihre praktische Arbeit vor Ort selbst einen eigenständigen Beitrag leisten. Die vorliegende Stellungnahme ist der Bericht über die Aktivitäten und Erfahrungen der Jahre 2004-2006 und bewertet zugleich auch die politischen Veränderungen auf diesem Gebiet.

2.   Schlussfolgerungen

2.1

Die Verbindung zwischen der Verkehrsinfrastrukturentwicklung einerseits, und der Verwirklichung der zentralen verkehrspolitischen Ziele und operationellen Fragen andererseits, steht im Mittelpunkt der EWSA-Initiative. Sie hat bis heute nichts an Bedeutung und Dringlichkeit verloren. Trotz vielfach und regelmäßig wiederholtem Bekenntnis auf politischer Ebene, diese Verbindung herzustellen, sind die Fortschritte mager, weil man dafür kein eigenes Verfahren der Umsetzung entwickelt. Die Hoffnung, die verkehrspolitischen Ziele würden sich praktisch von alleine mit der Weiterentwicklung der Infrastruktur verbinden, hat sich in den zurückliegenden Jahren nicht erfüllt. Eine Schlüsselrolle könnte hier bei den Regionen liegen, wo konkret alle Fragen zusammenlaufen und wo ein Verständnis für die gesamteuropäischen Zusammenhänge außerordentlich gefordert ist. Die ständige Studiengruppe hat exemplarisch mit einer Regionalkonferenz in Nordost-Polen deutlich machen können, wie wichtig es ist, die regionalen Wirkungen der geplanten Hauptverkehrsachsen zu berücksichtigen. Die europäische Politik muss hier mehr Verantwortung übernehmen. Es reicht nicht aus, nur die Realisierung der zentralen Verkehrsachsen als europäische Aufgabe zu betrachten.

2.2

In den vergangenen zwei Jahren hat sich sehr viel getan, um die europäische Infrastrukturplanung den neuen politischen Gegebenheiten anzupassen. Innerhalb der EU wurden neue prioritäre Projekte ausgewiesen, neue zentrale Verkehrsachen mit den Nachbarstaaten identifiziert, und die Initiative für den Westbalkan weiterentwickelt. Grundsätzlich hält der EWSA diese neuen Ansätze für gelungen und begrüßt insbesondere, dass die Verbindung zu den Nachbarstaaten wichtig genommen wurde. Zugleich sind diese neuen Ansätze im alten Konzept verankert geblieben: Es geht fast ausschließlich um Verkehrswegeplanung. Fragen der Intermodalität, der Umweltwirkung sowie die wirtschaftlichen und sozialen Interessen vor Ort fließen nicht oder kaum in die Überlegungen mit ein. Dies ist aus Sicht des EWSA ausgesprochen bedauerlich.

2.3

Ein Grund für die Revision der europäischen Infrastrukturplanung war der zögerliche Fortschritt in der Realisierung, der oft auf unzureichende Finanzmittel zurückzuführen ist. Die Konzentration auf nur wenige Projekte war deshalb das Hauptziel. Nach Ansicht des EWSA müssen auch die europäischen Zuschüsse steigen. Zu den Möglichkeiten für zusätzliche Finanzmittel hat der EWSA schon an anderer Stelle Vorschläge gemacht. Zumindest sollten die für Projekte innerhalb der EU möglichen 20 % Kofinanzierung durch EU-Mittel besser ausgeschöpft werden. Zugleich müssen und können mit steigenden Zuschüssen auch die Auflagen für Infrastrukturprojekte, beispielsweise für Umweltschutz, Intermodalität oder Sicherheit, verbindlicher formuliert werden.

2.4

Der EWSA plädiert für mehr Gemeinsamkeit zwischen den grenzüberschreitenden Gremien, welche die Verkehrsministerien der Mitgliedstaaten geschaffen haben, (etwa Lenkungsausschüsse für die Korridore) mit denjenigen, welche die Kommission auf diesem Gebiet geschaffen hat. Koordinierung allein reicht nicht bzw. verspielt wichtige Chancen, in der praktischen Politik weiter zu kommen. Es wird zunehmend schwieriger nachzuvollziehen, wer welche Verantwortung für die übergreifenden verkehrspolitischen Ziele übernimmt. Die ersten drei gesamteuropäischen Verkehrskonferenzen 1991, 1994 und 1997 lieferten wichtige Orientierungen. Die Erklärung von Helsinki 1997 ist in ihrem umfassenden Charakter immer noch eine hervorragende Grundlage der Zusammenarbeit. Die Fortschritte wollte man seinerzeit regelmäßig überprüfen. Was man heute überprüft, beschränkt sich nahezu ausschließlich auf die Realisierung von Bauvorhaben.

2.5

Die EWSA-Konferenz in Bialystok war ein großer Erfolg (3). Sie brachte nicht nur Europa in die Region, sondern vermittelte auch die Ansprüche der Menschen in der Region an eine gelungene gesamteuropäische Verkehrspolitik. Der EWSA wird seine Fähigkeiten, solche Impulse zu setzen, ins Zentrum seiner zukünftigen Aktivitäten in diesem Feld stellen. Daneben ist es weiterhin sinnvoll, mit den Lenkungsausschüssen der Korridore, den Arbeitsstrukturen in Südosteuropa (SEETO), und selbstverständlich der Kommission im Rahmen der Koordinierungsarbeiten weiterhin eng zusammenzuarbeiten. Neben den regionalen Ansätzen sollten zukünftig auch verkehrsträgerbezogene Fragen entlang der Hauptachsen sowie die prioritären Projekte innerhalb des TEN-T Netzes stärker betrachtet und bewertet werden.

3.   Neue Rahmenbedingungen in der gesamteuropäischen Verkehrspolitik

3.1

In den letzten zwei Jahren haben in Europa umfangreiche Entwicklungen stattgefunden. Im Mai 2004 sind zehn neue Mitgliedstaaten der Europäischen Union beigetreten. Europa hat sein Engagement gegenüber den Staaten des Westbalkanraums erneuert und verstärkt und eine neue Nachbarschaftspolitik konzipiert. Die Initiative der EU-Kommission zur Neuausrichtung der Transeuropäischen Netze sowie die Weiterentwicklung der Korridore vollzog sich zum einen nach innen, indem der Erweiterung 2004 Rechnung getragen wurde und indem Elemente aus der Erfahrung mit den Korridoren Eingang in die TEN-T Politik innerhalb der EU fanden (4). Zum andern ging es um die Erweiterung der zentralen Verkehrsverbindungen, um die neue Europäische Nachbarschaftspolitik nachzuvollziehen, aber auch darüber hinaus.

3.2

Im Jahr 2002 nahm die Europäische Kommission eine Bestandsaufnahme der Verwirklichung des TEN-T Netzes und der gesamteuropäischen Verkehrskorridore vor. Dabei wurden durchweg sehr starke Verzögerungen beim Ausbau der Hauptverkehrsachsen festgestellt. Es wurde daraufhin ein Konzept gewählt mit klarer abgesteckten Prioritäten und einem umfassenderen Engagement in Bezug auf die betreffenden Länder. Drei verschiedene geografische Gebiete kann man dabei unterscheiden: die Europäische Union in ihrer künftigen Form mit 27 Mitgliedstaaten, die Staaten des westlichen Balkanraums (5) und die übrigen an die EU-27 angrenzenden Staaten und Regionen. In allen drei Fällen setzte die Europäische Kommission hochrangige Gruppen ein um Empfehlungen für vorrangige Vorhaben oder Aktionslinien zu erarbeiten.

3.3

Die erste Untersuchung dieser Art wurde für die EU-27 von der Hochrangigen Gruppe unter Leitung von Karel Van Miert (2002-2003) durchgeführt. Dabei wurden drei Viertel der gesamteuropäischen Verkehrskorridore einer kritischen Prüfung unterzogen; die Hochrangige Gruppe legte eine Liste von 30 Verkehrsinfrastrukturvorhaben in den „alten“ und den „neuen“ Mitgliedstaaten vor, die für das transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-T) der EU-27 als vorrangig einzustufen sind. Des Weiteren empfahl die Hochrangige Gruppe unter anderem neue Finanzbestimmungen und Rechtsvorschriften zur Unterstützung der Verwirklichung des TEN-T sowie neue projektspezifische Koordinierungsmechanismen. Die Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe führten schließlich zu einer Revision der TEN-T-Leitlinien im April 2004.

3.4

Der Westbalkanraum war als Grundlage für die regionalpolitische Gestaltungsarbeit weniger homogen als die EU-27: Wegen des unterschiedlichen Status' der einzelnen Staaten in Bezug auf die EU, der Beziehungen innerhalb der Region und der Dynamik in den Beziehungen mit der EU wurden immer wieder politische Kurskorrekturen vorgenommen. Nach dem kriegerischen Konflikt der jüngeren Vergangenheit braucht der Balkanraum dringendst — wirtschaftliche, soziale und politische — Stabilität und deswegen erst recht Hilfe von außen. Von daher bringt der regionale Ansatz gegenüber den Ländern des Westbalkanraums einen ganz besonderen Mehrwert. Die EU war ein eindeutiger Verfechter dieses Konzepts, und zwar nicht nur im Verkehrssektor, sondern auch bei den Anstrengungen zur Einrichtung einer gemeinsamen Freihandelszone und eines gemeinsamen Energiemarktes.

3.4.1

Im Jahre 2000 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Strategie für ein regionales Verkehrssystem in Südosteuropa in Form eines multimodalen Verkehrsinfrastrukturnetzes. Dieser Strategie schlossen sich zwei Studien an — TIRS and REBIS (6) in denen das Kernnetz definiert wurde und Investitions- und Finanzierungsempfehlungen vorgetragen wurden. Mit diesem Prozess wurde die Basis geschaffen für die Einrichtung eines eignen Sekretariats mit Sitz in Belgrad: „South East Europe Transport Observatory (SEETO)“. SEETO soll nicht nur die Infrastrukturentwicklung unterstützen und koordinieren, sondern auch als Kontaktstelle für die Anfragen der sozialen und wirtschaftlichen Akteure dienen. Dies wird auch zunehmend genutzt In diesem Zusammenhang wird auch die ständige Studiengruppe des EWSA ausdrücklich genannt.

3.4.2

Der erste Fünfjahresaktionsplan für den Zeitraum 2006-2010 wurde im November 2005 unterzeichnet und sieht ca. 150 Vorhaben vor. Außerdem werden bis zu 20 so genannte „sanfte Regionalvorhaben“ — betreffend Begleitmaßnahmen zur Verwirklichung der regionalen Netze im Plan genannt. Wegen der sehr knappen Finanzmittel wurde die Zahl der vorrangigen Infrastrukturvorhaben kürzlich drastisch zusammengestrichen, und zwar auf 22 Projekte. Der vom SEETO koordinierte Prozess ist mit dem früheren TINA-Prozess in der EU zu vergleichen, bei dem zusätzlich zu den Hauptachsen/Korridoren das Regionalnetz vollendet werden soll.

3.5

Die Arbeit der High Level Gruppe (HLG 2) unter Leitung von Loyola de Palacio befasste sich mit der Weiterentwicklung der Hauptverkehrsachsen mit den Nachbarstaaten der EU und weit darüber hinaus. Es wurden vier Landverbindungen und eine schifffahrtsbezogene Achse definiert (7). Sie sollen sowohl die wichtigsten internationalen Verbindungen repräsentieren als auch den regionalen Zusammenhalt stärken. Die HLG 2 macht auch eine Reihe von Vorschlägen für horizontale Maßnahmen, u.a.: Grenzformalitäten sollen beschleunigt werden, die Sicherheit im Verkehr soll erhöht werden, die Interoperabilität im Schienenverkehr soll verbessert werden. Die HLG 2 empfiehlt auch eine stärkere Koordinierung und Durchsetzungsfähigkeit, indem die MoU durch bindende Verträge ersetz werden. Auf Basis der Empfehlungen will die Kommission im Juli/September eine Mitteilung zu ihren Planungen veröffentlichen. Aus Sicht der ständigen Studiengruppe ist es wichtig, dass die Kommission die horizontalen Fragen angemessen aufgreift.

3.6

Die Arbeit in den Korridoren und Verkehrsgebieten (Siehe dazu im Detail Anhang II) ist mit unterschiedlicher Intensität vorangekommen. Die Verkehrsgebiete sind mit Ausnahme der Barents-Euro-Arctic-Region nicht in Erscheinung getreten, eine Feststellung, die sich mehr oder weniger seit ihrer Einrichtung 1997 (Helsinki-Konferenz) nicht verändert hat. In der Tendenz hat sich die Zusammenarbeit in den Korridoren zunehmend auch in regionalen Netzwerken entwickelt, nach Ansicht des EWSA eine durchweg sinnvolle Entwicklung. In der finanziellen und technisch organisatorischen Unterstützung hat sich auch in den letzten beiden Jahren keine Verbesserung und abgezeichnet. Die oft geforderte bessere Unterstützung von Seiten der Kommission ist ausgeblieben. Entscheidend aber ist, dass das „Korridor-Modell“ durch die Arbeit der beiden HLG und die Schlussfolgerungen der Kommission faktisch obsolet geworden ist. Innerhalb der EU sind die Prioritäten nach den 30 TEN-Projekten gesetzt. Außerhalb der EU sind sie durch die 5 neuen Achsen „ersetzt“ bzw. unter neuem Namen weitergeführt. Dennoch gibt es offensichtlich genügend Anlass, ihre Arbeit weiterzuführen. Die Lenkungsausschüsse haben sich als wichtige Kontakt- und Kooperationsforen für die beteiligten Verkehrsministerien etabliert und eine eigene Identität (Markenname) entwickelt. Sie führen die Arbeit an wichtigen Stellen weiter, für die es sonst keine grenzüberschreitende Initiative gibt, etwa den prioritären TEN-Projekten ohne eingesetzten Sonder-Koordinator.

3.7

Die Kommission hat ihre Koordinierungsangebote verstärkt und die regelmäßigen — etwa ein- bis zweimal jährlichen — Koordinierungstreffen mit allen Vorsitzenden der Korridore und einer Reihe weiterer Hauptaktivisten sind ein wichtiges Forum des Austausches. Der EWSA erhält stets die Möglichkeit zur Teilnahme und Mitarbeit und hat festgestellt, das dies auch sehr hoch geschätzt wird. Es geht dabei nicht nur um einen Austausch über die jüngsten Fortschritte bei den Bauvorhaben, sondern auch um grundsätzliche und konzeptionelle Fragen der gesamteuropäischen Verkehrsinfrastrukturpolitik. Einige strukturelle Neuerungen sind hier von Bedeutung: um die Realisierung wichtiger TEN-Abschnitte zu fördern hat die Kommission für 6 Projekte besondere Koordinatoren eingesetzt (8). Gleichermaßen ist die Gründung einer Agentur vorgesehen, welche die Finanzierung und Abwicklung wichtiger Projekte auch im Hinblick auf das höhere Finanzierungsvolumen verbessern soll. Schließlich gibt es eine noch nicht abgeschlossene Debatte über eine rechtlich verbindlicher Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die über die bestehenden MoU hinaus geht.

4.   Die Ausrichtung der Arbeit der ständigen Studiengruppe — Aktivitäten

4.1

Entsprechend der Neuausrichtung der gesamteuropäischen Verkehrspolitik hat die ständige Studiengruppe ihre Aufmerksamkeit nicht mehr alleine auf die Arbeit in den Korridoren ausgerichtet, sondern auch die prioritären Projekte innerhalb des transeuropäischen Verkehrsnetzes (9) sowie die neuen Planung der Expertengruppe unter Loyola de Palacio mit einbezogen, so etwa die Idee für eine besondere Verbindung zwischen Spanien und Afrika. In Gesprächen mit den zuständigen Stellen der DG TREN wurde klar, dass ein Beitrag des EWSA bei der sozioökonomischen Bewertung bereits realisierter oder geplanter TEN-Projekte begrüßt würde.

4.2

Zum Jahreswechsel 2004/2005 begann die Kommission mit den Vorarbeiten zum zweiten Expertenbericht unter Leitung von Loyola de Palacio. Die ständige Studiengruppe hatte in dieser frühen Phase die Möglichkeit, zu grundsätzlichen Fragen Stellung zu nehmen (10). Folgende Anmerkungen wurden gemacht: der Umweltschutz müsse eine stärkere Rolle spielen; der Anspruch der Intermodalität müsse sich in der Praxis stärker wiederfinden, dies könnte zu einem eigenständigen Bewertungskriterium werden; die Verbindung zu regionalen Verkehrsnetzen müsse stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Schließlich hob die ständige Studiengruppe die Bedeutung der horizontalen Aspekte, wie Rechtsangleichung, Sicherheitsfragen usw. hervor und betonte, dass diese Fragen stärker und umfassender bearbeitet werden müssten, wenn man die Verwirklichung der verkehrspolitischen Ziele der EU vorantreiben will. In ihrem Antwortschreiben (11) hob die Kommission hervor, dass sie insbesondere dem Hinweis auf die Verbindung zu regionalen Verkehrsnetzen zukünftig stärker Beachtung schenken möchte.

4.3

Parallel zum zweiten Expertenbericht zog die Kommission auch Bilanz zur bisherigen Arbeit in den Korridoren. Auch hier beteiligte sich die ständige Studiengruppe mit einer kurzen Einschätzung, indem insbesondere mehr Raum für Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion und des Konsultationsgedankens eingefordert wurde. Eine Stärkung und besseren Vernetzung der Lenkungsausschüsse, mehr Verbindlichkeit und Erfolgskontrolle hielt die ständige Studiengruppe gleichermaßen für sinnvoll, wobei Letzteres vor allem in der Zuständigkeit der Lenkungsausschüsse liegt. In der Auswertung des Fragebogen zieht die Kommission vier wesentliche Schlussfolgerungen (12): das Korridorkonzept habe sich bewährt und wird beibehalten; bei operationalen Fragen und der Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren gibt es Handlungsbedarf; die bessere Überprüfung der Fortschritte ist sinnvoll, muss sich jedoch an den spezifischen Gegebenheiten jedes Korridors ausrichten; die positive Wirkung der Korridore lässt sich nur langfristig abschätzen, ist aber um so erfolgreicher, je verbindlicher die Zusammenarbeit organisiert wurde.

4.4

Die Zusammenarbeit mit den Lenkungsausschüssen der 10 Verkehrskorridore ist auch in den letzten beiden Jahren unverändert wichtig gewesen. Aus praktischen und personellen Gründen konnte die aktive Beteiligung an den Lenkungsausschusssitzungen nicht in gleicher Weise aufrecht erhalten werden wie in früheren Jahren. Die Kontakte sind dennoch nie abgerissen, nicht zuletzt weil die etwa zweimal im Jahr stattfindenden Koordinierungstreffen in Brüssel die regelmäßige Begegnung und den Erfahrungsaustausch gewährleisten. Die ständige Studiengruppe hat ein System der arbeitsteiligen Zuständigkeit für einzelne Korridore eingeführt, die hier zukünftig mehr praktisches Engagement und mehr Kontinuität in den eigenen Reihen herstellen kann.

4.5

Einen relativ breiten Raum nahm die Erarbeitung der Stellungnahme „Die Rolle der Bahnhöfe in den Städten und Ballungszentren der erweiterten EU“ (13) ein, die in die Arbeit der ständigen Studiengruppe integriert war und im Februar 2006 verabschiedet wurde. Als Aushängeschild für den Schienenpersonenverkehr und als Dienstleistungszentrum im Verkehrsnetz müssen Erhalt, Nutzung und Gestaltung von Bahnhöfen — insbesondere unter Sicherheitsaspekten — mehr ins Blickfeld der europäischen Verkehrspolitik rücken.

4.6

Im Berichtszeitraum organisierte die ständige Studiengruppe zwei externe Veranstaltungen: Im November 2004 beteiligte sich der EWSA an einer plakativen Zugreise entlang des Korridors X, organisiert von der Arbeitsgemeinschaft „ARGE Korridor X“, die von Villach, Österreich, über Zagreb, Kroatien bis nach Sarajewo, Bosnien-Herzegowina führte. Die Aktion war ein Plädoyer für effizientere Schienenverkehrsverbindungen und grenzüberschreitende Kooperation der Bahnen in der Region. An den einzelnen Haltepunkten gab es medienwirksame Veranstaltungen. Die zweite externe Veranstaltung fand in Bialystok, Polen, statt mit dem Fokus auf den regionalen Konsequenzen der Korridor I Planungen auf Naturschutz, Sicherheit und Lebensqualität in Nordost-Polen. Die Bialystok-Konferenz war in mehrfacher Hinsicht ein ausgesprochener Erfolg und kann als Highlight der Arbeit der ständigen Studiengruppe bezeichnet werden. Ihre Auswertung wird deshalb im folgenden Kapitel „Wichtigste Ergebnisse“ erfolgen.

5.   Wichtigste Ergebnisse der Arbeit 2004 — 2006

5.1

Vom 15.-17.11.2005 organisierte die ständige Studiengruppe auf Einladung des Marschalls der Wojwodschaft Podlaskie eine Konferenz mit öffentlicher Anhörung in Bialystok, begleitet von verschiedenen Gesprächen und Besuchen in der näheren Umgebung des Transeuropäischen Verkehrskorridors 1, der „Via- und Rail-Baltica“. Ziel war, mit den Vertretern der Selbstverwaltung, den verschiedenen sozioökonomischen Interessengruppen sowie den für Verkehrspolitik zuständigen Stellen auf regionaler und nationaler Ebene über Lösungsansätze zu diskutieren, wie der Ausbau von Korridor I mit den regionalen Interessen und dem Schutz der Umwelt am besten in Einklang zu bringen sei. Die EWSA-Delegation wurde von einem Vertreter der EU-Kommission begleitet, der insbesondere mit der Förderung der Rail Baltica befasst ist. Alle Begegnungen fanden in einer Atmosphäre einmaliger Gastfreundschaft statt. Die Delegationsreise war nicht nur in verkehrspolitischer Hinsicht bedeutsam, sondern auch ein wechselseitiger Erfolg in Sachen „Europa vermitteln“.

5.1.1

Diese Konferenz brachte die verschiedensten Beteiligten zusammen: Naturschützer, Kommunalpolitiker, Unternehmer der Schienenverkehrsindustrie, Anwohner, Betriebsräte und schuf eine praktisch greifbare Verbindung zwischen der Region und EU/Brüssel. Die verschiedenen Dimensionen der Auswirkung eines Verkehrskorridors wurden praktisch sichtbar: die Belastung der Menschen an Durchgangsstraßen, die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung durch die Verkehrsanbindung, die Schwächen des öffentlichen Personenverkehrs und des Schienenregionalverkehrs, die Wahrung des besonderen natürlichen Reichtums der Region, die Angst um den Verlust an Arbeitsplätzen, die Finanznöte und die bürokratischen Barrieren, die erst in diesem Miteinander als solche erkannt und beseitigt werden können. Die Erkenntnisse aus dieser Begegnung waren für alle Beteiligten vielschichtig und äußerst lehrreich, und am Ende entstanden auch neue Optionen für die Problemlösung.

5.1.2

Die Via Baltica im Nordosten Polen kann zu einem Lehrstück für eine integrierte gesamteuropäische Verkehrspolitik werden. Ein Hauptproblem ist die Verkehrsbelastung als Transitregion einerseits und die dringend nötige Wirtschaftsentwicklung andererseits, die zwar von der Verkehrsanbindung, nicht aber vom Transitverkehr ausgeht. Ein zweites Hauptproblem und zugleich der „Hauptgewinn“ der Region ist ihr unvergleichbarer Naturreichtum, den es zu schützen gilt. Hier wurden viele gute Lösungsmöglichkeiten sichtbar gemacht, die nicht einmal teurer sein müssen. Schließlich wurde deutlich, dass die Rail-Baltica nicht angemessen in der Regionalplanung berücksichtigt war und dies war die Gelegenheit des Vertreter des EU-Koordinators für genau diese Korridorverbindung zu werben. Es wurde deutlich, dass nur ein integriertes Gesamtverkehrskonzept für die Region die Probleme bewältigen kann und erst so die Blockaden in der Planung und Umsetzung der Via-Baltica und Rail Baltica überwunden werden. Die in Gang gebrachten positiven Entwicklungen wird der EWSA weiter unterstützen.

5.2

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Verkehrsministerien der einzelnen Staaten entlang der „Korridore“ wird zukünftig abgelöst oder überlagert von der Initiative der Kommission (siehe Kapitel 3). Damit sollte die Chance für eine engere Zusammenarbeit aus einem Guss genutzt werden, anstatt wie bisher zwei parallele Prozesse zu koordinieren. Damit würde sich auch die Basis zur Umsetzung der zentralen verkehrspolitischen Ziele verbessern. Ein nach wie vor ungelöstes Problem ist, wie die Verbindlichkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten wirksam gestärkt werden kann. Der EWSA ist der Ansicht, dass dies neben verbesserten vertraglichen Beziehungen vor allem in einer Konzentration der verfügbaren Finanzmittel der EU bestehen kann. So müsste auch innerhalb der prioritären Achsen eine Konzentration auf vorrangige Projekte erfolgen und die mögliche Ko-Finanzierung von 20 % für Projekte innerhalb der EU tatsächlich ausgeschöpft werden. Derzeit realisiert sich der Zuschuss kaum über 2-5 %.

5.3

Schließlich bleibt der für den EWSA stets wichtige und bis heute nur unzureichend entwickelte Bereich der Verbindung von infrastrukturellen und operationellen Fragen. Trotz vielfach und regelmäßig wiederholtem Bekenntnis dazu, sind die Fortschritte mager, weil man dafür kein eigenes Verfahren der Umsetzung entwickelt. Die Hoffnung, die verkehrspolitischen Ziele würden sich praktisch von alleine mit der Weiterentwicklung der Infrastruktur verbinden hat sich in den zurückliegenden Jahren nicht erfüllt. Die Orientierung an großen Verkehrskonferenzen gehört leider der Vergangenheit an. Die Zukunft sollte deshalb in der Region liegen, wo konkret alle Fragen zusammenlaufen und wo ein Verständnis für die gesamteuropäischen Zusammenhänge außerordentlich wichtig ist. Dies deckt sich mit den in der Bialystok-Konferenz gemachten Erfahrungen.

Brüssel, den 13. September 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  EWSA: Zehn Jahre gesamteuropäische Verkehrspolitik, 2003.

(2)  Stellungnahme des Ausschusses zum „Die gesamteuropäischen Verkehrskorridore“, ABl. Nr. C 120 vom 20.5.2005, S. 17.

(3)  Bericht über die Konferenz in Anhang I.

(4)  Grundlage war der Bericht der Expertengruppe unter Leitung von Karel van Miert, die im Juni 2003 ihren Bericht vorlegte.

(5)  Aus Gründen der politischen Kohärenz, wird der Westbalkanraum gelegentlich als Teil Südosteuropas behandelt, worunter in der Praxis — vom früheren Jugoslawien abgesehen — Rumänien, Bulgarien und in selteneren Fällen die Türkei und die Republik Moldau verstanden wird.

(6)  (Regional Balkans Infrastructure Study — Transport/Regionalstudie zur Verkehrsinfrastruktur für die Balkanländer).

(7)  Das sind die Verbindungen:

Südwestachse: Verbindung Südwest zum Zentrum der EU incl. Schweiz einerseits und die Achse „Transmaghreb“ von Marokko bis Ägypten.

Südostachse: Verbindet vom Zentrum der EU über den Balkan und Türkei mit dem Kaukasus und der Kaspischen See sowie den Nahen Osten bis Ägypten.

Zentralachse: Verbindet das EU-Zentrum mit der Ukraine und dem Schwarzen Meer sowie mit Russland und Sibirien.

Nordostachse: Verbindet die EU mit Norwegen sowie mit Russland und Transsibirien.

Meeresautobahn: Verbindet die Baltische See, den Atlantik, das Mittelmeer und Schwarzes Meer sowie die Küstenländer. Eine Ausweitung über den Suezkanal ist ebenfalls vorgesehen.

(8)  

I.

Schienenverbindung Berlin-Palerma (Herr van Miert).

II.

Hochgeschwindigkeits-Schienenverbindung Lissabon-Madrid-Tours/Montpellier (Herr Davignon).

III.

SchienenverbindungLyon-Turin-Budapest-Ukrainische Grenze (Mrs de Palacio).

IV.

Schienenverbindung Paris-Bratislava (Mr Balzazs).

V.

Schienenverbindung „Rail Baltica“ Warschau-Helsinki (Herr Telicka).

VI.

Schienenkorridore und ETRMS (Herr Vinck).

(9)  Entscheidung 884/2004/EC vom 29. April 2004, ABl. 30.4.2004 und 7.7.2004.

(10)  Brief an E. Thielmann, DG TREN vom 15.12.2004.

(11)  Brief E.Thielmann vom 21.1.2005.

(12)  Auswertung vorgestellt in der Koordinierungssitzung am 21. April 2005 in Brüssel.

(13)  Stellungnahme des Ausschusses zum Thema„Die Rolle der Bahnhöfe in den Städten und Ballungszentren der erweiterten EU“, ABl. Nr. C 88 vom 11.4.2006, S. 9.


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