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Document 52015IE0417

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialdumping in der europäischen Zivilluftfahrt“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 13 vom 15.1.2016, p. 110–115 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 13/110


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialdumping in der europäischen Zivilluftfahrt“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 013/17)

Berichterstatterin:

Anne DEMELENNE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 11. Dezember 2014 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Sozialdumping in der europäischen Zivilluftfahrt“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 510. Plenartagung am 16./17. September 2015 (Sitzung vom 16. September 2015) mit 200 gegen 3 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt das Vorhaben des Präsidenten der Europäischen Kommission, der in seiner Eröffnungsansprache am 15. Juli 2014 im Europäischen Parlament in Straßburg erklärte: „Wir müssen und werden Sozialdumping bekämpfen.“ Dieser Meinung ist auch Verkehrskommissarin Violeta BULC. Sie fügte während der Anhörungen der designierten Kommissionsmitglieder im Oktober 2014 hinzu, dass sie strikt gegen Sozialdumping sei. Die Neufassung der Rechtsvorschriften müsse auch soziale Vorschriften abdecken. Sozialdumping führt zu unlauterem Wettbewerb. Es ist jedoch schwierig, Sozialdumping zu definieren, da seine Ursachen komplex und die beteiligten Akteure zahlreich sind. So müssen in der Zivilluftfahrt u. a. die Rolle der politischen Entscheidungsträger auf den verschiedenen Ebenen, der Luftfahrtunternehmen, der Arbeitnehmer, der Fluggäste wie auch das politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Umfeld innerhalb wie auch außerhalb der EU berücksichtigt werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Bekämpfung von Sozialdumping als legitimes Ziel anerkannt, mit dem die Mitgliedstaaten eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigen können (1). Da der EWSA die jüngsten Entwicklungen in der Zivilluftfahrt mit Sorge betrachtet, fordert er die Kommission auf, die Situation aufmerksam zu verfolgen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Bei der Ausarbeitung des im Rahmen des Arbeitsprogramms der Kommission für 2015 angekündigten „Luftverkehrspakets“ müssen sämtliche in dieser Stellungnahme aufgeführten Aspekte berücksichtigt werden. Darüber hinaus erachtet der EWSA eine enge Zusammenarbeit der Generaldirektionen MOVE und EMPL als notwendig.

1.2.

Auf der Grundlage der Ergebnisse ihrer Arbeiten zu neuen Geschäftsmodellen muss die Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) die Entwicklungen aufmerksam überwachen, um unabhängig vom Geschäftsmodell die optimale Sicherheit der Fluggäste und des Personals zu gewährleisten, wobei sie den Schwerpunkt insbesondere auf diese neuen Geschäftsmodelle legen muss, um für Stabilität in diesem Sektor zu sorgen. Der behördlichen Kontrolle des vermehrten Einsatzes von (Schein-)Selbstständigen und Leiharbeitsunternehmen muss besonderes Gewicht beigemessen werden.

1.3.

Der EWSA fordert die korrekte Durchsetzung der geltenden Vorschriften und die Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), namentlich in Bezug auf:

a)

soziale Sicherheit und Arbeitsrecht:

Übereinkommen von Rom I (1980) und Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom-I-Verordnung) (2);

Verordnung (EU) Nr. 465/2012 (3) und Verordnung (EU) Nr. 83/2014 (4), in denen der Begriff „Heimatbasis“ (home base) definiert wird.

b)

die Verbindung mit dem Status der Selbstständigkeit:

Richtlinie 2014/67/EU (In dieser Richtlinie wird zum ersten Mal das Konzept der Unterordnung aufgenommen, um den Status der Selbstständigkeit überprüfen zu können) (5);

Urteil in der Rechtssache C-413/13, FNV Kunsten Informatie en Media gegen Staat der Niederlanden vom 4. Dezember 2014: „Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass eine tarifvertragliche Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die Mindesttarife für selbstständige Dienstleistungserbringer vorsieht, die einer der angeschlossenen Arbeitnehmervereinigungen angehören und für einen Arbeitgeber auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags die gleiche Tätigkeit ausüben wie die bei diesem Arbeitgeber angestellten Arbeitnehmer, nur dann vom Anwendungsbereich des Artikel 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen ist, wenn die Leistungserbringer ‚Scheinselbstständige‘ sind, d. h. sich in einer vergleichbaren Situation wie die Arbeitnehmer befinden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.“

1.4.

Der EWSA nimmt den Standpunkt der Sozialpartner der Air Crew Working Group (ACWG) (siehe Ziffer 5.1) zur Kenntnis und betont, dass folgende Regelungslücken beseitigt werden müssen, um unerwünschte negative Auswirkungen für den Sektor zu vermeiden. Hierfür müssen nachstehende Maßnahmen ergriffen werden:

Überarbeitung der gemeinsamen Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten, um insbesondere die korrekte Anwendung der nationalen Sozialgesetzgebung und der Tarifverträge des Sektors sicherzustellen (Verordnung (EG) Nr. 1008/2008); präzisere Bestimmung des Begriffs „Hauptgeschäftssitz“ (principal place of business) in dieser Verordnung, damit die Betriebsgenehmigung von einem Staat erteilt wird, sofern die betreffende Fluggesellschaft dort ein ausreichend hohes Luftverkehrsaufkommen erzielt;

Schutz der EU-Luftfahrtunternehmen vor unlauterem Wettbewerb durch Drittstaaten in Form von Subventionen, staatlichen Beihilfen und unlauterer Preisbildung bei der Erbringung von Flugverkehrsdiensten (Verordnung (EG) Nr. 868/2004);

im Rahmen der Koordinierung der Sozialversicherungssysteme Definition von Mehrfach-Heimatbasen in der Zivilluftfahrt (einschl. temporärer Basen) und Verkürzung des Übergangszeitraums von 10 Jahren (Verordnung (EG) Nr. 83/2014);

Ausweitung der „kombinierten Erlaubnis“ auf die Besatzung, um eine Gleichbehandlung aller Beschäftigten des Sektors sicherzustellen (Richtlinie 2011/98/EU).

1.5.

Darüber hinaus schlägt der EWSA vor, dass die Europäische Kommission im Rahmen eines koordinierten Vorgehens der Generaldirektion MOVE und EMPL die Anwendung der Richtlinie über Leiharbeit im Luftverkehr überprüft. Er weist darauf hin, dass die direkte Beschäftigung als herkömmliche Form der Beschäftigung im Luftverkehr gefördert werden sollte und die Einschränkung der Nutzung von Leiharbeit möglich sein muss, die eine Senkung des Sicherheitsniveaus mit sich bringen könnte (Richtlinie 2008/104/EG). Des Weiteren ist eine gemeinsame Begriffsbestimmung für „Arbeitnehmer“ und „Selbstständiger“ auf EU-Ebene notwendig.

1.6.

Der EWSA unterstützt eine mögliche Initiative der europäischen Sozialpartner in der Luftfahrt, eine Vereinbarung über die Arbeitsbedingungen und die sozialen Rechte der Arbeitnehmer des Sektors auszuhandeln. Die Sozialpartner könnten außerdem in Bezug auf bestimmte Rechtsinstrumente gemeinsame Standpunkte vertreten, die sie der Kommission übermitteln könnten. Die Europäische Kommission wiederum sollte die Sozialpartner zu allen Rechtsinstrumenten und/oder Initiativen der EU mit sozialen Auswirkungen konsultieren (6).

1.7.

Da der Vorschlag für eine Verordnung über Bodenabfertigungsdienste aus dem Arbeitsprogramm der Kommission gestrichen wurde und es in diesem Bereich keine EU-weiten sozialen Standards gibt, muss die Frage des Personaltransfers bei Ausschreibungen und/oder der teilweisen Aufgabe von Tätigkeiten aufgegriffen werden. Mit diesem Ziel führt die Europäische Kommission derzeit eine Konsultation der europäischen Sozialpartner zur Zweckmäßigkeit der Vorlage einer konsolidierten Fassung der überarbeiteten Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 (Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen) bis Ende 2015 durch.

1.8.

Im Rahmen gesonderter interner Arbeiten wird der EWSA die in dieser Stellungnahme angesprochenen sozialen Fragen ergänzen.

1.9.

Der EWSA empfiehlt, dass die Europäische Kommission die Arbeitsbedingungen in der Zivilluftfahrt kontinuierlich und dauerhaft überwacht.

2.   Einleitung

2.1.

Aufgrund ihres Beitrags zur europäischen Wirtschaft in Bezug auf Beschäftigung und Wachstum ist die Luftfahrt ein strategisch wichtiger Sektor für die Europäische Union. Schätzungen zufolge sind in diesem Sektor 2,6 Mio. Menschen direkt oder indirekt beschäftigt, er trägt täglich bis zu 1 Mrd. EUR zum europäischen BIP bei und fördert Handel und Tourismus (7).

2.2.

Die Liberalisierung des Luftverkehrs Anfang der 1990er-Jahre hat den Reisenden zweifellos Vorteile gebracht, und zwar Demokratisierung, niedrigere Flugpreise und diversifiziertes Angebot. Welche Auswirkungen hatte sie jedoch auf Beschäftigung, Arbeitsentgelte und Arbeitsbedingungen in diesem Sektor? Aus Eurostat-Daten geht hervor, dass trotz eines durchschnittlichen jährlichen Wachstums von etwa 5 % im Zeitraum 1998-2010 sowohl die direkte als auch die indirekte Beschäftigung stagnierte (8). In Verbindung mit anderen Entwicklungen hat dies eine erhebliche Produktivitätssteigerung bewirkt. Darüber hinaus lagern Luftfahrtunternehmen Arbeitsplätze für Kabinenpersonal und Piloten aus und/oder ersetzen sie durch flexiblere Beschäftigungsformen (in einer vor Kurzem durchgeführten Studie der europäischen Sozialpartner in der Zivilluftfahrt gaben lediglich 52,6 % der für Billigfluganbieter tätigen Befragten an, in einem direkten Arbeitsverhältnis zu stehen). Obwohl keine vollständigen Daten zu Arbeitsentgelten vorliegen, zeigt das Beispiel Vereinigtes Königreich eine deutliche Verringerung der Vergütungen, insbesondere für das Kabinenpersonal (9). Vor einigen Jahren noch mit hohem Ansehen verbundene und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze fallen zunehmend weg, werden ausgelagert oder durch höhere Produktivität und kostengünstigere Arbeitskräfte ersetzt.

2.3.

Da Luftfahrtunternehmen einem harten Wettbewerb ausgesetzt sind, sind die Gewinnspannen geringer als in anderen Branchen (laut Internationalem Luftverkehrsverband IATA belief sich der Netto-Gewinn nach Steuern der Luftfahrtindustrie weltweit auf 0,1 % der durchschnittlichen Einnahmen der letzten 40 Jahre (10)), und die Arbeitgeber suchen nach Kosteneinsparungsmöglichkeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Während bestimmte Kosten (z. B. Kraftstoff- und Flugzeugeigentumskosten) in gewissem Maße Fixkosten sind, sind einige Luftfahrtunternehmen indes der Ansicht, dass die Arbeitskosten immer weiter zurückgeschraubt werden können. So haben einige Unternehmen die Niederlassungsfreiheit in der EU als eine Möglichkeit entdeckt, um die Kosten weiter zu senken und die arbeits- und sozialrechtlichen Standards zu unterlaufen.

2.4.

In Anbetracht der immer stärkeren Konkurrenz von Billiganbietern haben mehrere traditionelle Luftfahrtunternehmen kostengünstige Tochtergesellschaften für Kurzstreckenflüge gegründet oder Billigarbeitskräfte auf ihren Hauptstrecken eingestellt. Einige Billigfluganbieter zielen nunmehr auf Großflughäfen und Geschäftsreisende ab und stehen somit in einem direkteren Wettbewerb mit den traditionellen Luftfahrtunternehmen — mit der Folge, dass menschenwürdige Arbeitsplätze (gerechtes Einkommen, Sicherheit am Arbeitsplatz, Sozialschutz, das Recht der Arbeitnehmer, ihre Anliegen vorzubringen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und an den für ihr Leben relevanten Beschlüssen mitzuwirken, Chancengleichheit) (11) bei den traditionellen Luftfahrtunternehmen (12) verloren gehen. Allerdings bedingen die Sozialpraktiken von Billigfluglinien nicht automatisch auch Sozialdumping.

2.5.

Die Wettbewerbsentwicklung weltweit und in der EU gibt Anlass zu Sorge in Bezug auf die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrt. Im Interesse eines fairen Wettbewerbs müssen gerechtere Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Der Wettbewerb zwischen den Luftfahrtunternehmen sollte auf innovativen Produkten, Qualität und Preis beruhen, nicht jedoch auf der Nutzung von Gesetzeslücken und/oder billigen Arbeitsplätzen. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrt zu sichern und hochwertige Arbeitsplätze in Europa zu erhalten.

2.6.

Sozialdumping behindert — wo immer es besteht — den fairen Wettbewerb. Sozialdumping darf keine negativen Auswirkungen auf die Sicherheit haben, der weiterhin oberste Priorität eingeräumt werden muss. Das unkoordinierte bilaterale Vorgehen einzelner Länder sollte durch eine echte gemeinsame EU-Luftfahrtaußenpolitik ersetzt werden, in der u. a. die Aspekte Auslandsinvestitionen in EU-Luftfahrtunternehmen, Eigentumsrechte und Kontrolle, staatliche Beihilfen, Marktzugang und fairer Wettbewerb geregelt werden sollten.

2.7.

Sicherheit ist der entscheidende Faktor in der Luftfahrt. Wie im Verkehrsweißbuch betont, ist „das Sicherheitsniveau in der europäischen Zivilluftfahrt […] hoch, wenn auch nicht das höchste weltweit. Wir sollten danach streben, zur sichersten Luftfahrtregion zu werden“ (13). Trotz fehlender statistischer Daten hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) bereits darauf hingewiesen, dass die Zersplitterung und Auslagerung von Arbeitsleistungen im Kernbereich der Sicherheit, auch von Besatzung und Wartungspersonal, verhängnisvolle Auswirkungen auf die Sicherheit haben könnten. Durch die sogenannten neuen Geschäftsmodelle werden die finanziellen, betrieblichen und sozialen Prozesse optimiert. Die EASA muss diese Modelle analysieren und die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Sicherheit nicht beeinträchtigt wird. Der EWSA unterstützt die Arbeit der neuen EASA-Arbeitsgruppe, die speziell zu diesen Fragen eingerichtet wurde. Es darf keinerlei Risiko eingegangen werden, da die Sicherheit von Personen betroffen ist (14).

3.   Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in einigen Untersektoren der Luftfahrt

3.1.

Bei Sozialdumping in der Luftfahrt ist zwischen dem Luftverkehrsbinnenmarkt und internationalen Luftverkehrsmärkten zu unterscheiden.

3.2.

Im Binnenmarkt sind beim Sozialdumping vor allem Luftfahrtunternehmen führend, die mehrere Basen unterhalten — sie stellen in Land X Personal ein, das in Land Y arbeitet, jedoch einen Arbeitsvertrag nach den Gesetzen von Land Z hat. Auf diese Weise werden die Arbeitskräfte aus dem Kontext ihres „Herkunftslandes“ herausgelöst (d. h. des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen und/oder in dem sie ihren Wohnsitz haben). Die große Herausforderung besteht darin, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit mit den Zielen einer qualitativ hochwertigen Beschäftigung und des sozialen Fortschritts in Einklang zu bringen. Wenngleich die mit der Rom-I-Verordnung (15) und der Verordnung über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (16) eingeführten Änderungen einige der Probleme mobiler Arbeitnehmer abschwächen, gibt es nach wie vor offene Fragen, die beantwortet werden müssen.

3.3.

Die Luftfahrtaußenpolitik der EU bietet in diesem sich schnell verändernden globalen Umfeld keinen angemessenen Schutz für die Interessen der EU-Luftfahrtunternehmen und ihrer Arbeitnehmer. Während die EU-Luftfahrtunternehmen eine Reihe von Anforderungen zur Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs erfüllen müssen (Transparenz, staatliche Beihilfen, Preisbindung usw.), sind die Anforderungen für Luftfahrtunternehmen aus Drittländern, die EU-Flughäfen anfliegen oder von dort abfliegen, nicht durchsetzbar bzw. überhaupt nicht vorhanden. Diese Luftfahrtunternehmen konkurrieren dann auf denselben Strecken direkt mit EU-Fluggesellschaften und kommen dabei in den Genuss unlauterer Vorteile.

3.4.

Ein weiteres spezifisches Problem ist der Einsatz von Besatzungsmitgliedern aus Drittländern an Bord von in der EU registrierten Flugzeugen. In der Vergangenheit wurde aus sprachlichen oder kulturellen Gründen an Bord europäischer Flugzeuge stets auch ausländisches Kabinenpersonal eingesetzt. In jüngster Zeit sind einige Luftfahrtunternehmen dazu übergegangen, ausländische Arbeitnehmer zu schlechteren Arbeitsbedingungen und geringeren Entgelten auf Flügen mit Start oder Ziel in der EU und sogar innerhalb (!) der EU einzusetzen. Diese Luftfahrtunternehmen müssen jedoch die nationalen Vorschriften des Mitgliedstaats anwenden, der das Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC) ausgestellt hat.

4.   Neue Geschäftsmodelle und der Arbeitsmarkt in der Luftfahrt

4.1.

Aus Studien der Sozialpartner (17) geht hervor, dass die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der europäischen Luftfahrtbranche sowohl bei den traditionellen Luftfahrtunternehmen als auch bei den Billigfluganbietern allgegenwärtig ist und über die wettbewerbsbedingten Veränderungen des Marktes hinausgeht.

4.2.

Billigfluggesellschaften arbeiten nicht gemäß einem einheitlichen Modell; das Spektrum reicht vielmehr von Unternehmen, die äußerst niedrige Preise anbieten (ohne jegliche Extradienste), über Luftfahrtunternehmen, die Elemente von Billigfluganbietern und traditionellen Luftfahrtunternehmen miteinander kombinieren, bis zu „klassischen“ Billigfluganbietern mit begrenztem Dienstangebot, das aber verlässlich eingehalten wird. Somit gibt es auch kein einheitliches Beschäftigungsmodell: Einige Luftfahrtunternehmen bieten hochwertige Arbeitsplätze mit unbefristeten Arbeitsverträgen, während andere vor allem auf Externalisierung, Personalvermittlungsagenturen und in einigen Fällen sogar auf Scheinselbstständigkeit setzen. Das gilt auch für eine wirksame Arbeitnehmervertretung. Während einige Unternehmen Gewerkschaften bewusst zu unterlaufen versuchen, erkennen andere sie an und unterzeichnen Tarifverträge. Das Entstehen von Billigfluggesellschaften hat sich auch aufgrund von kurzen Umlaufzeiten und Einschnitten bei der Ausbildung erheblich auf die Bodenabfertigungsdienste, insbesondere in Verbindung mit der Gepäckabfertigung (striktere Handgepäcksregelungen), ausgewirkt.

4.3.

Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in der Luftfahrt räumen inzwischen ein, dass die Geschäftsstrategien und die damit verbundenen Maßnahmen einiger Billigfluganbieter im Bereich Humanressourcen/Arbeitsbeziehungen auf einen „langsamen Sinkflug“ auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen (18). Die Trennlinie zwischen den Billigfluggesellschaften und den traditionellen Luftfahrtunternehmen verschwimmt immer mehr, da einige Billigfluganbieter globalen Allianzen beigetreten oder in (traditionelle) Luftfahrtkonzerne eingegliedert worden sind, während andere Luftfahrtunternehmen die Gründung „hauseigener“ Billiganbieter beschlossen haben. Einige traditionelle Luftfahrtunternehmen haben außerdem Billiglohnarbeitskräfte für den Einsatz auf ihren Hauptstrecken eingestellt. Diese neuen Organisationsformen bedeuten jedoch nicht, dass die traditionellen Luftfahrtunternehmen und die Billigfluggesellschaften die gleichen Dienstleistungen anbieten.

4.4.

Zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehen indes erhebliche Unterschiede u. a. in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Gleichbehandlung. Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und Sozialschutz (der auf EU-Ebene lediglich koordiniert wird), die Asymmetrien zwischen wirtschaftspolitischer Regulierung (Binnenmarkt), Harmonisierung und sozialem Zusammenhalt bewirken. Einige Mitgliedstaaten haben jedoch „nationale Lösungen“ angenommen, um sicherzustellen, dass in ihrem Hoheitsgebiet ansässige mobile Arbeitnehmer den nationalen arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen sowie den einschlägigen Tarifverträgen unterliegen. Diese Frage sollte auf europäischer Ebene aufgegriffen werden.

4.5.

Die grundlegenden Rechtsvorschriften in Bezug auf Beschäftigung in der Luftfahrt stammen aus der Zeit vor der Liberalisierung und sind daher nicht mehr zweckgemäß. Die Vorschriften für die soziale Sicherheit der Besatzungsmitglieder wurden verbessert, doch besteht nach wie vor die Gefahr von rechtlichen Schlupflöchern. Das Konzept der „Heimatbasis“ ist problematisch, weil es vom Unternehmen festgelegt wird und im Fall von selbstständigen Besatzungsmitgliedern keine umfassende Kontrolle besteht. Problematisch ist auch, dass im EU-Recht ein einheitlicher europäischer Text mit einer Definition der Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Selbstständiger“ fehlt, da in der Rechtsprechung des EuGH bzw. in den Richtlinien unterschiedliche Definitionen enthalten sind, beispielsweise zu dem Kriterium der „Unterordnung“. Es sind spezifische Vorschriften für extrem mobile Arbeitnehmer notwendig.

4.6.

Eine der drei großen Fluggesellschaften der Golfregion wurde öffentlich der Nutzung von Praktiken beschuldigt, die gegen EU-Recht verstoßen — beispielsweise Kündigung wegen Schwangerschaft, Eheschließung vorbehaltlich der Zustimmung des Unternehmens usw. Diese Fluggesellschaft führt jedoch weiterhin Flüge mit Ziel EU durch, und in jüngster Zeit hat die Frequenz der Flüge zu einigen Flughäfen sogar zugenommen. Darüber hinaus besteht aufgrund der engen Verbindungen zwischen den Fluggesellschaften der Golfregion, den Flughäfen und den Zivilluftfahrtbehörden Gefahr, dass diesen Unternehmen etwaige ungerechtfertigte Vorteile eingeräumt werden. Die bilateralen Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern müssen durch eine koordinierte und echte EU-Luftfahrtaußenpolitik ersetzt werden.

5.   Die Rolle der Sozialpartner

5.1.

Der EWSA begrüßt die wichtige Rolle der europäischen Sozialpartner in der Zivilluftfahrt, die die EU-Institutionen beraten und sachkundige eigene Vorschläge unterbreiten. Am 5. Juni 2014 nahmen die Sozialpartner der Air Crew Working Group (ACWG) eine gemeinsame Erklärung gegen EU-Billigfluganbieter an, in der sie die jüngsten Entwicklungen anprangern, die eine ernsthafte Bedrohung für das europäische Sozialmodell, die Beschäftigung und den fairen Wettbewerb im Luftverkehr sind, und konkrete Gesetzesänderungen vorschlagen (19).

5.2.

Zur künftigen Agenda des sozialen Dialogs nahmen die Sozialpartner der ACWG (AEA, ECA und ETF) am 13. Februar 2015 folgende gemeinsame Erklärung an: Die Sozialpartner (…) sind bereit, Diskussionen über Rahmenbedingungen für den Luftfahrtsektor auf den Weg zu bringen, die auf weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen abzielen. Es müssen gemeinsame Maßnahmen vorgesehen werden, um der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Ausflaggungen Einhalt zu gebieten. Die Sozialpartner vereinbaren, ihre Arbeit auf diesem Gebiet fortzusetzen. Sie werden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um in Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen und den nationalen Behörden aktiv zur unverzüglichen Festlegung einer europäischen Luftfahrtstrategie mit klaren globalen Zielen, Prioritäten und Fristen beizutragen.

5.3.

Darüber hinaus muss die Europäische Kommission die Sozialpartner verstärkt konsultieren. Im Beschluss 98/500/EG der Kommission über die Einsetzung von Ausschüssen für den sektoralen Dialog ist festgelegt, dass jeder Ausschuss im Hinblick auf den Wirtschaftssektor, für den er jeweils eingesetzt wird, zu den Entwicklungen auf Gemeinschaftsebene mit sozialen Implikationen angehört werden sollte. Diese Verpflichtung wird oftmals vernachlässigt. Darüber hinaus ist es notwendig, sich mit den sozialen Folgen der von der EASA ausgearbeiteten Sicherheitsvorschriften zu befassen.

Brüssel, den 16. September 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, Rechtssache C-341/05, Laval un Partneri, C-341/05, ECLI:EU:C:2007:809, Ziffer 103.

(2)  ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6.

(3)  ABl. L 149 vom 8.6.2012, S. 4.

(4)  ABl. L 28 vom 31.1.2014, S. 17.

(5)  ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 11.

(6)  ABl. L 225 vom 12.8.1998, S. 27.

(7)  ATAG-Bericht „Powering global economic growth, employment, trade links, tourism and support for sustainable development through air transport“, 2014.

(8)  Abschlussbericht „Study on the effects of the implementation of the EU aviation common market on employment and working conditions in the Air Transport Sector over the period 1997/2010“, Steer Davies Gleave, London, 2012, S. 74.

(9)  Abschlussbericht „Study on the effects of the implementation of the EU aviation common market on employment and working conditions in the Air Transport Sector over the period 1997/2010“, Steer Davies Gleave, London, 2012, S. vii.

(10)  IATA-Bericht „Vision 2050“, Singapur, 12. Februar 2011, S. 2.

(11)  „Global topic on Decent Work“, Internationale Arbeitsorganisation (ILO).

(12)  Siehe die Studien der europäischen Sozialpartner: — 2012: „The development of the low cost model in the European civil aviation industry“, Peter TURNBULL (Cardiff University), Geraint HARVEY (Swansea University), im Auftrag der Europäischen Transportarbeiter-Föderation; — 2014: „Evolution of the Labour Market in the Airline Industry due to the Development of the Low Fares Airlines“, Peter TURNBULL (Cardiff University), Geraint HARVEY (Birmingham University), im Auftrag der Europäischen Transportarbeiter-Föderation; — 2015: „Atypical Employment in Aviation“, Universität Gent, unter der Leitung von Professor Yves JORENS, im Auftrag der Europäischen Cockpit-Vereinigung, der Vereinigung Europäischer Fluggesellschaften und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation.

(13)  Weißbuch „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum — Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, KOM(2011) 144 endgültig, S. 22.

(14)  Bericht der Rulemaking Advisory Group der EASA „New Business Models“ vom 17. April 2015, S. 1 — Ziffer 2, S. 5 — Ziffer 9.3, S. 6 — Ziffer 9.5.1, Seite 7 — Ziffer 9.5.2 und S. 7 — Ziffer 9.6.

(15)  ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6.

(16)  ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1.

(17)  „Global topic on Decent Work“, Internationale Arbeitsorganisation (ILO).

(18)  Bericht über die Eingabe von Scandinavian Airlines (SAS) bei der US-amerikanischen Regulierungsbehörde betreffend den Antrag von Norwegian Air International (NAI) auf Zulassung als sogenannter „Foreign Air Carrier“ in den Vereinigten Staaten, Airline Business, April 2014.

(19)  „Joint Declaration against EU-based Flags of Convenience in Aviation“, Air Crew Working Group (ACWG) des Ausschusses für den sektoralen sozialen Dialog, 5. Juni 2014.


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