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Document 32009F0948

    Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren

    ABl. L 328 vom 15.12.2009, p. 42–47 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    Dieses Dokument wurde in einer Sonderausgabe veröffentlicht. (HR)

    Legal status of the document In force

    ELI: http://data.europa.eu/eli/dec_framw/2009/948/oj

    15.12.2009   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    L 328/42


    RAHMENBESCHLUSS 2009/948/JI DES RATES

    vom 30. November 2009

    zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren

    DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

    gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 31 Absatz 1 Buchstaben c und d und Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b,

    auf Initiative der Tschechischen Republik, der Republik Polen, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und des Königreichs Schweden,

    nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1)

    Die Europäische Union hat sich den Erhalt und die Weiterentwicklung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt.

    (2)

    Im Haager Programm (1) zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, das der Europäische Rat am 4. und 5. November 2004 gebilligt hat, werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Rechtsvorschriften über Kompetenzkonflikte im Hinblick auf eine effizientere Strafverfolgung bei gleichzeitiger Gewährleistung einer adäquaten Rechtspflege zu prüfen, damit das umfassende Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen abgeschlossen wird.

    (3)

    Zweck der Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses sollte es sein, zu verhindern, dass gegen dieselbe Person wegen derselben Tat in verschiedenen Mitgliedstaaten parallele Strafverfahren geführt werden, was zu rechtskräftigen Entscheidungen in zwei oder mehr Mitgliedstaaten führen könnte. Der Rahmenbeschluss stellt daher auf die Vermeidung von Verstößen gegen den „ne bis in idem“-Grundsatz ab, der in Artikel 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (2), wie er vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ausgelegt wurde, festgelegt ist.

    (4)

    Direkte Konsultationen sollten zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten stattfinden, um ein Einvernehmen über eine effiziente Lösung zu erreichen, bei der die nachteiligen Folgen von parallel geführten Verfahren vermieden werden, und um unnötigen Aufwand an Zeit und Ressourcen der betroffenen zuständigen Behörden zu vermeiden. Eine solche effiziente Lösung könnte beispielsweise in einer Verfahrenskonzentration in einem Mitgliedstaat, etwa durch die Übertragung der Strafverfolgung, bestehen. Die Lösung könnte auch in jedem anderen Schritt liegen, der eine effiziente und sinnvolle Führung dieser Verfahren, einschließlich der zeitlichen Aufteilung, ermöglicht, beispielsweise durch die Verweisung des Falles an Eurojust, wenn die zuständigen Behörden nicht imstande sind, ein Einvernehmen zu erreichen. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei der Frage der Beweiserhebung gewidmet werden, die durch parallel geführte Verfahren beeinflusst werden kann.

    (5)

    Hat eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats hinreichende Gründe zu der Annahme, dass in einem anderen Mitgliedstaat ein paralleles Strafverfahren wegen derselben Tat gegen dieselbe Person geführt wird, wodurch die Verfahren in zwei oder mehr Mitgliedstaaten rechtskräftig entschieden werden könnten, so sollte sie mit der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedstaats Kontakt aufnehmen. Die Frage, ob hinreichende Gründe vorliegen oder nicht, sollte ausschließlich von der kontaktierenden Behörde geprüft werden. Zu hinreichenden Gründen könnten unter anderem Fälle gehören, in denen eine verdächtigte oder beschuldigte Person unter Angabe von Einzelheiten angibt, dass gegen sie in einem anderen Mitgliedstaat ein paralleles Strafverfahren wegen derselben Tat geführt wird, oder wenn ein Rechtshilfeersuchen einer zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats darauf schließen lässt, dass es möglicherweise ein solches paralleles Strafverfahren gibt, oder wenn eine Polizeibehörde entsprechende Informationen liefert.

    (6)

    Das Verfahren des Informationsaustauschs zwischen zuständigen Behörden sollte auf dem obligatorischen Austausch von bestimmten Mindestangaben beruhen, die immer mitgeteilt werden sollten. Die betreffenden Angaben sollten es insbesondere erleichtern, dass die betreffende Person ordnungsgemäß identifiziert wird und dass die Art und das Stadium des jeweiligen parallel geführten Verfahrens festgestellt werden.

    (7)

    Die zuständige Behörde, die von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats kontaktiert wurde, sollte allgemein verpflichtet sein, das Ersuchen zu beantworten. Die kontaktierende Behörde wird ermutigt, eine Frist zu setzen, innerhalb deren die kontaktierte Behörde nach Möglichkeit antworten sollte. Die zuständigen Behörden sollten während des gesamten Verfahrens der Kontaktaufnahme der besonderen Situation einer Person, der die Freiheit entzogen wurde, vollständig Rechnung tragen.

    (8)

    Direkter Kontakt zwischen zuständigen Behörden sollte das Leitprinzip der Zusammenarbeit nach diesem Rahmenbeschluss sein. Entsprechend dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sollte die Entscheidung darüber, welche Behörden dafür zuständig sind, nach diesem Rahmenbeschluss tätig zu werden, im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen, vorausgesetzt diese Behörden sind befugt, gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses zu intervenieren und Entscheidungen zu treffen.

    (9)

    Bei der Herbeiführung eines Einvernehmens über eine effiziente Lösung, bei der die nachteiligen Folgen von in zwei oder mehr Mitgliedstaaten parallel geführten Verfahren vermieden werden, sollten die zuständigen Behörden beachten, dass jeder Fall besonders gelagert ist und dass alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden sollten. Zur Erreichung eines Einvernehmens sollten die zuständigen Behörden die einschlägigen Kriterien in Erwägung ziehen, zu denen auch die Kriterien gehören können, die in den im Eurojust-Jahresbericht 2003 veröffentlichten und für die Belange der Praxis aufgestellten Leitlinien enthalten sind, und beispielsweise den Ort, an dem die Tatbegehung hauptsächlich erfolgt ist, den Ort, an dem der größte Schaden eingetreten ist, den Aufenthaltsort der verdächtigten oder beschuldigten Person und Möglichkeiten für ihre Überstellung oder Auslieferung an andere zuständige Staaten, die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz der verdächtigten oder beschuldigten Person, maßgebliche Interessen der verdächtigten oder beschuldigten Person, maßgebliche Interessen der Opfer und der Zeugen, die Zulässigkeit von Beweismitteln oder Verzögerungen, die eintreten können, berücksichtigen.

    (10)

    Die im Kontext dieses Rahmenbeschlusses bestehende Verpflichtung für die zuständigen Behörden, direkte Konsultationen aufzunehmen, um ein Einvernehmen herbeizuführen, sollte nicht die Möglichkeit ausschließen, dass solche direkten Konsultationen mit der Hilfe von Eurojust geführt werden.

    (11)

    Kein Mitgliedstaat sollte verpflichtet sein, die Zuständigkeit gegen seinen Willen abzutreten oder auszuüben. Solange kein Einvernehmen über die Zusammenlegung der Strafverfahren erzielt wurde, sollten die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, wegen jeder Straftat, für deren Verfolgung sie nach ihrem innerstaatlichen Recht zuständig sind, ein Strafverfahren fortzuführen.

    (12)

    Da das zentrale Ziel dieses Rahmenbeschlusses darin besteht, unnötige parallele Strafverfahren zu vermeiden, die zu einem Verstoß gegen den „ne bis in idem“-Grundsatz führen könnten, sollte seine Anwendung nicht zu Kompetenzkonflikten führen, die anderenfalls nicht entstehen würden. Im gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sollte der Grundsatz der obligatorischen Strafverfolgung, der dem Verfahrensrecht in mehreren Mitgliedstaaten zugrunde liegt, so verstanden und angewandt werden, dass er als eingehalten gilt, sobald ein Mitgliedstaat die strafrechtliche Verfolgung wegen einer bestimmten Straftat übernimmt.

    (13)

    Wurde ein Einvernehmen über die Zusammenführung von Strafverfahren in einem Mitgliedstaat erreicht, so sollten die zuständigen Behörden im anderen Mitgliedstaat in einer Weise vorgehen, die im Einklang mit diesem Einvernehmen steht.

    (14)

    Da Eurojust besonders gut geeignet ist, Hilfestellung bei der Lösung von Kompetenzkonflikten zu leisten, sollte die Verweisung des Falles an Eurojust der übliche Schritt sein, wenn ein Einvernehmen nicht herbeigeführt werden konnte. Es sei darauf hingewiesen, dass Eurojust gemäß Artikel 13 Absatz 7 Buchstabe a des Beschlusses 2002/187/JI des Rates über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (3) in der zuletzt durch den Beschluss 2009/426/JI des Rates vom 16. Dezember 2008 zur Stärkung von Eurojust geänderten Fassung (4) über alle Fälle zu unterrichten ist, in denen Kompetenzkonflikte aufgetreten sind oder wahrscheinlich auftreten werden, und dass Eurojust jederzeit mit einem Fall befasst werden kann, wenn mindestens eine an den direkten Konsultationen beteiligte zuständige Behörde dies für angebracht hält.

    (15)

    Dieser Rahmenbeschluss lässt Verfahren im Rahmen des am 15. Mai 1972 in Straßburg unterzeichneten Europäischen Übereinkommens über die Übertragung der Strafverfolgung sowie andere Regelungen zur Übertragung der Strafverfolgung zwischen den Mitgliedstaaten unberührt.

    (16)

    Dieser Rahmenbeschluss sollte in Fällen, in denen geeignete Alternativen für die Lösung der behandelten Fragen sofort zur Verfügung stehen, keinen vermeidbaren Verwaltungsaufwand verursachen. So sollten in Fällen, in denen flexiblere Instrumente oder Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten bestehen, diese vor dem Rahmenbeschluss Vorrang haben.

    (17)

    Zweck dieses Rahmenbeschlusses ist es lediglich, Bestimmungen über den Informationsaustausch und direkte Konsultationen zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten festzulegen; er berührt daher nicht die Rechte von Einzelpersonen, geltend zu machen, dass die Verfolgung durch die Gerichte ihres eigenen oder eines anderen Staates erfolgen sollte, falls solche Rechte nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bestehen.

    (18)

    Für die Verarbeitung der in Anwendung des vorliegenden Rahmenbeschlusses ausgetauschten personenbezogenen Daten sollte der Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden (5), gelten.

    (19)

    Die Mitgliedstaaten werden ermutigt, in der von ihnen bezüglich der Sprachenregelung abgegebenen Erklärung außer ihrer Amtssprache mindestens eine in der Europäischen Union häufig verwendete Sprache anzugeben.

    (20)

    Dieser Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zum Ausdruck kommen —

    HAT FOLGENDEN RAHMENBESCHLUSS ANGENOMMEN:

    KAPITEL 1

    ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE

    Artikel 1

    Ziel

    (1)   Ziel dieses Rahmenbeschlusses ist es, die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten, die Strafverfahren führen, enger zu gestalten, um eine effizientere und ordnungsgemäße Rechtspflege zu fördern.

    (2)   Durch diese engere Zusammenarbeit soll

    a)

    vermieden werden, dass gegen dieselbe Person wegen derselben Tat parallele Strafverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten geführt werden, was zu rechtskräftigen Entscheidungen in zwei oder mehr Mitgliedstaaten führen könnte und dadurch einen Verstoß gegen den „ne bis in idem“-Grundsatz darstellt, und

    b)

    ein Einvernehmen über eine effiziente Lösung herbeigeführt werden, bei der die nachteiligen Folgen von parallel geführten Verfahren vermieden werden.

    Artikel 2

    Gegenstand und Anwendungsbereich

    (1)   Im Hinblick auf die in Artikel 1 genannten Ziele wird mit diesem Rahmenbeschluss ein Rahmen für Folgendes festgelegt:

    a)

    ein Verfahren für die Kontaktaufnahme zwischen den zuständigen Behörden von Mitgliedstaaten, um Bestätigung darüber zu erhalten, dass ein paralleles Strafverfahren wegen derselben Tat gegen dieselbe Person geführt wird,

    b)

    der Informationsaustausch in Form direkter Konsultationen zwischen den zuständigen Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten, die parallele Strafverfahren wegen derselben Tat mit derselben Person führen, wenn ihnen das Bestehen paralleler Strafverfahren bereits bekannt ist, um ein Einvernehmen über eine effiziente Lösung zu erreichen, mit der die nachteiligen Folgen solcher parallel geführten Strafverfahren vermieden werden.

    (2)   Dieser Rahmenbeschluss gilt nicht für Verfahren im Sinne der Artikel 5 und 13 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (6).

    Artikel 3

    Begriffsbestimmungen

    Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck

    a)

    „parallele Verfahren“ Strafverfahren, einschließlich sowohl des Ermittlungs- als auch des Gerichtsverfahrens, die in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten wegen derselben Tat gegen dieselbe Person anhängig sind;

    b)

    „zuständige Behörde“ eine Justizbehörde oder eine sonstige Behörde, die nach dem Recht ihres Mitgliedstaats dafür zuständig ist, nach Artikel 2 Absatz 1 dieses Rahmenbeschlusses zu handeln;

    c)

    „kontaktierende Behörde“ eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, die zur Bestätigung, dass ein paralleles Verfahren anhängig ist, Kontakt mit einer zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats aufnimmt;

    d)

    „kontaktierte Behörde“ die zuständige Behörde, die von einer kontaktierenden Behörde um Bestätigung ersucht wird, dass ein paralleles Strafverfahren anhängig ist.

    Artikel 4

    Benennung der zuständigen Behörden

    (1)   Die Mitgliedstaaten bestimmen die zuständigen Behörden so, dass der Grundsatz direkter Kontakte zwischen Behörden gefördert wird.

    (2)   Jeder Mitgliedstaat teilt dem Generalsekretariat des Rates mit, welche Behörden nach seinem nationalen Recht gemäß Absatz 1 dafür zuständig sind, im Einklang mit diesem Rahmenbeschluss zu handeln.

    (3)   Unbeschadet der Absätze 1 und 2 kann jeder Mitgliedstaat, wenn sich dies auf Grund seiner internen Organisation als erforderlich erweist, eine oder mehrere zentrale Behörden benennen, die für die administrative Übermittlung und Entgegennahme von Informationsersuchen nach Artikel 5 und/oder für die Unterstützung der zuständigen Behörden im Konsultationsverfahren verantwortlich sind. Ein Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit Gebrauch machen möchte, eine oder mehrere zentrale Behörden zu benennen, übermittelt die entsprechenden Angaben dem Generalsekretariat des Rates.

    (4)   Das Generalsekretariat des Rates macht die gemäß den Absätzen 2 und 3 erhaltenen Angaben allen Mitgliedstaaten und der Kommission zugänglich.

    KAPITEL 2

    INFORMATIONSAUSTAUSCH

    Artikel 5

    Pflicht zur Kontaktaufnahme

    (1)   Hat eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats hinreichenden Grund zu der Annahme, dass in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat ein paralleles Verfahren geführt wird, so nimmt sie im Hinblick auf die Einleitung direkter Konsultationen gemäß Artikel 10 mit der zuständigen Behörde dieses anderen Mitgliedstaats Kontakt auf, damit diese bestätigt, dass ein paralleles Verfahren anhängig ist.

    (2)   Ist der kontaktierenden Behörde nicht bekannt, welche zuständige Behörde zu kontaktieren ist, so unternimmt sie alle erforderlichen Nachforschungen, unter anderem über die Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen Netzes, um die Kontaktdaten der zuständigen Behörde in Erfahrung zu bringen.

    (3)   Das Verfahren zur Kontaktaufnahme gilt nicht, wenn die zuständigen Behörden, die parallele Verfahren führen, bereits auf anderem Wege darüber unterrichtet worden sind, dass diese Verfahren anhängig sind.

    Artikel 6

    Pflicht zur Antworterteilung

    (1)   Die kontaktierte Behörde antwortet auf ein Ersuchen nach Artikel 5 Absatz 1 innerhalb der von der kontaktierenden Behörde genannten angemessenen Frist oder, falls keine Frist genannt wurde, unverzüglich, und unterrichtet die kontaktierende Behörde darüber, ob in ihrem Mitgliedstaat ein paralleles Verfahren geführt wird. In Fällen, in denen die kontaktierende Behörde der kontaktierten Behörde mitgeteilt hat, dass sich die verdächtigte oder angeklagte Person in Untersuchungshaft oder Gewahrsam befindet, bearbeitet die kontaktierte Behörde das Ersuchen dringlich.

    (2)   Kann die kontaktierte Behörde nicht innerhalb der von der kontaktierenden Behörde genannten Frist antworten, so unterrichtet sie die kontaktierende Behörde umgehend über die Gründe dafür und nennt die Frist, innerhalb deren sie die erbetene Information erteilen wird.

    (3)   Ist die Behörde, die von einer kontaktierenden Behörde kontaktiert worden ist, nicht die nach Artikel 4 zuständige Behörde, so übermittelt sie das Informationsersuchen unverzüglich der zuständigen Behörde und teilt dies der kontaktierenden Behörde mit.

    Artikel 7

    Kommunikationsmittel

    Die kontaktierenden und die kontaktierten Behörden kommunizieren untereinander in einer Form, die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht.

    Artikel 8

    Mindestangaben im Ersuchen

    (1)   Die kontaktierende Behörde übermittelt zusammen mit einem Ersuchen gemäß Artikel 5 die folgenden Angaben:

    a)

    die Kontaktdaten der zuständigen Behörde;

    b)

    eine Beschreibung des Sachverhalts und der Umstände, die Gegenstand des betreffenden Strafverfahrens sind;

    c)

    alle sachdienlichen Angaben zur Identität der verdächtigten oder beschuldigten Person und gegebenenfalls zu den Opfern;

    d)

    derzeitiger Stand des Strafverfahrens und

    e)

    gegebenenfalls Angaben zur Untersuchungshaft oder zum Gewahrsam der verdächtigten oder beschuldigten Person.

    (2)   Die kontaktierende Behörde kann zusätzliche sachdienliche Informationen zu dem in ihrem Mitgliedstaat geführten Strafverfahren geben, beispielsweise über Schwierigkeiten, die sich für diesen Staat stellen.

    Artikel 9

    Mindestangaben in der Antwort

    (1)   Die Antwort der kontaktierten Behörde gemäß Artikel 6 enthält die folgenden Angaben:

    a)

    Angaben dazu, ob wegen derselben Tat oder einiger Tathandlungen im Zusammenhang mit der Tat, die zum Teil oder in Gänze Gegenstand des Strafverfahrens ist, das in dem von der kontaktierenden Behörde übermittelten Informationsersuchen genannt ist, ein Strafverfahren geführt wird oder wurde und ob es um dieselben Personen geht;

    im Falle einer positiven Antwort in Bezug auf Buchstabe a:

    b)

    die Kontaktdaten der zuständigen Behörde und

    c)

    Angaben zum Stand dieses Verfahrens oder gegebenenfalls zur Art der rechtskräftigen Entscheidung.

    (2)   Die kontaktierte Behörde kann zusätzliche sachdienliche Informationen zu dem Strafverfahren geben, das in ihrem Mitgliedstaat geführt wird oder wurde, insbesondere zu mit der betreffenden Tat zusammenhängenden Taten, die Gegenstand des Strafverfahrens in diesem Staat sind.

    KAPITEL 3

    DIREKTE KONSULTATIONEN

    Artikel 10

    Pflicht zur Aufnahme direkter Konsultationen

    (1)   Wird festgestellt, dass parallele Verfahren anhängig sind, so nehmen die zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten direkte Konsultationen auf, um zu einem Einvernehmen über eine effiziente Lösung zu gelangen, bei der die nachteiligen Folgen parallel geführter Verfahren vermieden werden; diese Konsultationen können gegebenenfalls zu einer Konzentration der Strafverfahren in einem einzigen Mitgliedstaat führen.

    (2)   Solange die direkten Konsultationen geführt werden, unterrichten die betreffenden zuständigen Behörden einander über alle wichtigen Verfahrensmaßnahmen, die sie in dem Verfahren ergriffen haben.

    (3)   Im Verlauf der direkten Konsultationen beantworten die daran beteiligten zuständigen Behörden, wann immer dies angemessen möglich ist, Informationsersuchen von anderen zuständigen Behörden, die an diesen Konsultationen beteiligt sind. Wird eine zuständige Behörde von einer anderen zuständigen Behörde um spezifische Informationen ersucht, die wesentliche nationale Sicherheitsinteressen beeinträchtigen oder die Sicherheit von Personen gefährden könnten, ist sie jedoch nicht verpflichtet, diese Informationen zu erteilen.

    Artikel 11

    Verfahren zur Herstellung des Einvernehmens

    Nehmen die zuständigen Behörden von Mitgliedstaaten direkte Konsultationen zu einem Fall auf, um zu einem Einvernehmen gemäß Artikel 10 zu gelangen, so prüfen sie die gesamte Sach- und Rechtslage des Falles sowie alle Faktoren, die sie als sachdienlich betrachten.

    Artikel 12

    Zusammenarbeit mit Eurojust

    (1)   Dieser Rahmenbeschluss ergänzt den Eurojust-Beschluss und lässt ihn unberührt.

    (2)   Konnte kein Einvernehmen gemäß Artikel 10 erzielt werden, so ist gegebenenfalls Eurojust von einer zuständigen Behörde der betreffenden Mitgliedstaaten zu befassen, sofern Eurojust nach Artikel 4 Absatz 1 des Eurojust-Beschlusses zuständig ist.

    Artikel 13

    Mitteilung über den Ausgang des Verfahrens

    Ist im Laufe der direkten Konsultationen gemäß Artikel 10 ein Einvernehmen über die Zusammenführung der Strafverfahren in einem einzigen Mitgliedstaat erzielt worden, so unterrichtet die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats die jeweilige(n) zuständige(n) Behörde(n) des/der anderen Mitgliedstaats/Mitgliedstaaten über den Ausgang des Verfahrens.

    KAPITEL 4

    ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN

    Artikel 14

    Sprachen

    (1)   Jeder Mitgliedstaat gibt in einer beim Generalsekretariat des Rates hinterlegten Erklärung an, welche der Amtssprachen der Organe der Union bei dem Verfahren der Kontaktaufnahme nach Maßgabe des Kapitels 2 verwendet werden können.

    (2)   Die zuständigen Behörden können vereinbaren, in ihren direkten Konsultationen nach Artikel 10 eine beliebige Sprache zu verwenden.

    Artikel 15

    Verhältnis zu anderen Rechtsakten und anderen Vereinbarungen

    (1)   Soweit andere Rechtsakte oder Vereinbarungen die Ausdehnung der Ziele dieses Rahmenbeschlusses gestatten oder zu einer Vereinfachung oder Erleichterung des Verfahrens beitragen, nach dem die nationalen Behörden Informationen über die bei ihnen geführten Strafverfahren austauschen, direkte Konsultationen miteinander aufnehmen und versuchen, zu einem Einvernehmen über eine effiziente Lösung zu gelangen, bei der die nachteiligen Folgen parallel geführter Strafverfahren vermieden werden, können die Mitgliedstaaten

    a)

    die bei Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen oder multilateralen Übereinkünfte oder Vereinbarungen weiterhin anwenden;

    b)

    nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte oder Vereinbarungen schließen.

    (2)   Die in Absatz 1 genannten Übereinkünfte und Vereinbarungen dürfen auf keinen Fall die Beziehungen zu Mitgliedstaaten, die diesen nicht angehören, beeinträchtigen.

    Artikel 16

    Umsetzung

    Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um diesem Rahmenbeschluss bis zum 15. Juni 2012 nachzukommen.

    Bis zum 15. Juni 2012 teilen die Mitgliedstaaten dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission den Wortlaut der Bestimmungen mit, mit denen sie die sich aus diesem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen in ihr innerstaatliches Recht umgesetzt haben.

    Artikel 17

    Bericht

    Die Kommission legt dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 15. Dezember 2012 einen Bericht vor, in dem sie bewertet, inwieweit die Mitgliedstaaten diesem Rahmenbeschluss nachgekommen sind; diesem Bericht werden, soweit erforderlich, Rechtsetzungsvorschläge beigefügt.

    Artikel 18

    Inkrafttreten

    Dieser Rahmenbeschluss tritt am Tag seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

    Geschehen zu Brüssel am 30. November 2009

    Im Namen des Rates

    Die Präsidentin

    B. ASK


    (1)  ABl. C 53 vom 3.3.2005, S. 1.

    (2)  ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

    (3)  ABl. L 63 vom 6.3.2002, S. 1.

    (4)  ABl. L 138 vom 4.6.2009, S. 14.

    (5)  ABl. L 350 vom 30.12.2008, S. 60.

    (6)  ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.


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