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Document 52013AE4394

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe: die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern aller EU-Mitgliedstaaten ermöglichen und fördern“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des litauischen Ratsvorsitzes)

ABl. C 67 vom 6.3.2014, p. 11–15 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

6.3.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 67/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe: die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern aller EU-Mitgliedstaaten ermöglichen und fördern“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des litauischen Ratsvorsitzes)

2014/C 67/03

Berichterstatter: Giuseppe IULIANO

Der litauische Ratsvorsitz beschloss am 15. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

Europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe: die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern aller EU-Mitgliedstaaten ermöglichen und fördern

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des litauischen Ratsvorsitzes).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 25. September 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 493. Plenartagung am 16./17. Oktober 2013 (Sitzung vom 16. Oktober) mit 110 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

Einleitung

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seit seiner Gründung der Freiwilligentätigkeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn sie ist eine konkrete Form des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern für Solidarität, sozialen Zusammenhalt und eine bessere Gesellschaft, in der sie ihre Aufgabe erfüllen. Die Freiwilligentätigkeit gilt als "Beweis für das hohe Maß an gutem Willen einer Gesellschaft" und spiegelt auf konkrete Weise die Werte wider, auf denen die Europäische Union fußt.

In mehreren Stellungnahmen hat der EWSA Aspekte der Freiwilligentätigkeit auf nationaler Ebene wie auch im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Maßnahmen auf EU-Ebene behandelt, und es war auch der EWSA, der als erste EU-Institution ein Europäisches Jahr der Freiwilligentätigkeit vorschlug. Darüber hinaus hat der EWSA Stellungnahmen zur Rolle der Zivilgesellschaft im Bereich des auswärtigen Handelns der EU und der Entwicklungszusammenarbeit erarbeitet.

Deshalb sollte der EWSA zur Aufnahme eines spezifischen Hinweises auf die Einsetzung des Europäischen Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe (EVHAC - eine später als "EU-Freiwilliger für humanitäre Hilfe" bezeichnete Initiative) in Artikel 214 Absatz 5 AEUV und zum bereits eingeleiteten Prozess zur Verabschiedung einer Verordnung für die Umsetzung dieser Initiative eine Stellungnahme erarbeiten, um die Standpunkte der europäischen Zivilgesellschaft in diese Verordnung und ihre spätere Umsetzung einfließen zu lassen.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die Einsetzung eines Europäischen Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe (EVHAC bzw. "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe"), das seiner Ansicht nach dazu dienen kann, das humanitäre Engagement der europäischen Bürgerinnen und Bürger insbesondere über die Organisationen der Zivilgesellschaft (z.B. spezialisierte Nichtregierungsorganisationen) anzuregen.

1.2

Das EVHAC muss ein Instrument sein, das die Einbindung der Mitgliedstaaten mit traditionell geringerer Aktivität im humanitären Bereich fördert. Dazu schlägt der EWSA vor, spezifische Maßnahmen zu ergreifen, die sowohl die Beteiligung von Freiwilligen als auch die Förderung der humanitären und sozialen Organisationen aus diesen Ländern verstärken.

1.3

Um die Unterstützung für die humanitäre Hilfe und die Anerkennung der Rolle der Freiwilligentätigkeit zu fördern, empfiehlt der EWSA, auch Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen zu diesen Themen zu erwägen, die sich an die breite Öffentlichkeit richten.

1.4

Der EWSA befürwortet und unterstützt die Feststellungen im "Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe" zu den Zielen und Mitteln der humanitären Hilfe, und äußert die Überzeugung, dass die humanitäre Hilfe den Schutz der Opfer humanitärer Krisen und die Wahrung ihrer Würde und die Achtung ihrer Rechte einschließt.

1.5

Der EWSA betont, dass der weitgefasste Begriff "humanitär" über die bloße Hilfeleistung hinausgeht, und erinnert an die wesentliche und notwendige Einhaltung der humanitären Grundsätze der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit sowie der Rechtsvorschriften über die humanitäre Hilfe.

1.6

Der EWSA unterstreicht die Eigenständigkeit der Freiwilligentätigkeit und die Gefahr, sie mit anderen Tätigkeiten zu verwechseln, die den Charakter einer Beschäftigung haben. Gerade jetzt, in Zeiten der Wirtschaftskrise, handelt es sich um einen besonders wichtigen Aspekt, der sowohl die EU in ihrem Innern als auch ihr auswärtiges Handeln betrifft.

1.7

Der EWSA weist darauf hin, dass die Unterschiedlichkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften im Bereich der Freiwilligentätigkeiten die EVHAC-Initiative negativ beeinflussen kann.

1.8

Die Beteiligung von Freiwilligen muss immer entsprechend den Erfordernissen und nach einer Analyse und Bewertung der Situation und der Bedürfnisse der von Katastrophen oder komplexen Krisen betroffenen Bevölkerung erfolgen.

1.9

Im Verordnungsvorschlag (1) wird betont, dass für alle Phasen des Prozesses der Beteiligung von Freiwilligen Standards festgelegt werden sollten. Der EWSA teilt dieses Anliegen und schlägt vor, solche Standards auf bewährte Methoden der humanitären Hilfe und auf bereits bestehende Qualitätsinitiativen zu gründen.

1.10

Freiwilligenhilfe wird über soziale Organisationen und in geringerem Maße über öffentlich-zivile Institutionen geleistet. Die Qualität der Institutionen ist für den Erfolg der Arbeit besonders wichtig. Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Schaffung von Mechanismen zur Zertifizierung der Organisationen vorangetrieben werden muss, die auf den Erfahrungen und dem gemeinsamen Besitzstand des humanitären Sektors basieren sollten. Die Zertifizierungskriterien müssen - allerdings mit entsprechenden Anpassungen - auch auf die Empfängerorganisationen der betroffenen Länder anwendbar sein.

1.11

Der EWSA ist der Überzeugung, dass der Zertifizierungsmechanismus auf der Grundlage all dieser Erfahrungen eingerichtet und bei seiner Umsetzung die Hauptkriterien Transparenz, freier Wettbewerb, Chancengleichheit und Rechenschaftspflicht berücksichtigt werden müssen. Die Initiative sollte eine stärkere Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen aus Ländern mit geringerer Tradition auf diesem Gebiet bewirken.

1.12

Der EWSA ist davon überzeugt, dass über die - offensichtlich wichtigen - Aspekte der fachlich-beruflichen Ausbildung hinaus auch folgende Aspekte berücksichtigt und stärker herausgestellt werden sollten: Werteerziehung, Achtung der betroffenen Bevölkerung, interkulturelle Dimension, Respekt, psychosoziale Fragen der Hilfe usw. Es sollte also letztlich nicht nur um technische, sondern auch um humanitäre Fragen der Hilfe insgesamt gehen.

1.13

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Frage der Beteiligung von Unternehmen, die z.B. Erfahrungen mit der betrieblichen Freiwilligenarbeit (corporate volunteering) besitzen, eingehender untersucht werden sollte, wobei auch die Rolle der KMU zu würdigen ist.

2.   Allgemeine Aspekte

2.1

Auch wenn die Freiwilligentätigkeit Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands ist und die europäischen Institutionen schon seit Jahrzehnten verschiedene Projekte und Programme in diesem Bereich durchführen, findet sich im AEUV nur ein ausdrücklicher Hinweis auf die Freiwilligentätigkeit, nämlich in Artikel 214 Absatz 5 im Zusammenhang mit der humanitären Hilfe. Darin wird die Einsetzung eines Europäischen Freiwilligenkorps für die humanitäre Hilfe (EVHAC) vorgeschlagen, um, wie es heißt, die Beteiligung junger Europäer an der humanitären Hilfe zu fördern.

2.2

Die Aufnahme des Hinweises an dieser Stelle war aus verschiedenen Gründen überraschend: Es war der einzige Hinweis auf die Freiwilligentätigkeit im Vertrag, wobei die humanitäre Hilfe zu den am stärksten professionalisierten Kooperationsbereichen gehören dürfte; in anderen Bereichen, in denen es sehr wohl europäische Initiativen gab, z.B. Jugend und Soziales, blieb die Freiwilligentätigkeit allerdings unerwähnt. Darüber hinaus gingen die europäischen Institutionen die Frage der Umsetzung dieser Initiative erst nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags an. So initiierte die Kommission mehrere Studien über die Machbarkeit und die möglichen Folgen der Initiative. Außerdem wurde eine Reihe von Pilotprojekten auf den Weg gebracht, um Erkenntnisse zu gewinnen und ihre Anwendung zu konkretisieren (2). Zu den im Laufe der Zeit vorgenommenen Änderungen zählt die Umbenennung der Initiative in "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe". Auch gab es Fortschritte bei der Erörterung einer Verordnung zur Umsetzung der Initiative.

2.3

Der EWSA erinnert daran, dass die Freiwilligentätigkeit seit jeher zum Aufgabenbereich vieler europäischer sozialer Organisationen gehört, weshalb ihre Förderung, Unterstützung usw. in den Arbeiten des EWSA stets Aufmerksamkeit gefunden haben.

2.4

Gleichzeitig hat der EWSA in mehreren Stellungnahmen Standpunkte zu Aspekten der Entwicklungszusammenarbeit und des auswärtigen Handelns der EU formuliert und jene herausgestellt, die mit seinem Mandat in Zusammenhang stehen, z.B. die Rolle der Zivilgesellschaft und die Arbeitnehmer- und Sozialrechte.

2.5

Die humanitäre Hilfe ist eines der Elemente des auswärtigen Handelns der EU und insbesondere einer der Bereiche, in denen sich die Beteiligung und die zentrale Rolle der europäischen Zivilgesellschaft am deutlichsten manifestieren. Über 47 % der humanitären Hilfe der Europäischen Kommission wird über Nichtregierungsorganisationen abgewickelt (3), und ähnliches gilt für die meisten Mitgliedstaaten. Darüber hinaus ist sie eine der EU-Politikbereiche, die von den europäischen Bürgern am stärksten befürwortet werden, wie Eurobarometer-Umfragen zeigen (4).

2.6

Seit 1996 verfügt die Europäische Kommission mit der Verordnung (EG) Nr. 1275/1996 über eine solide Grundlage für ihre humanitäre Arbeit, die durch den 2007 von den drei Institutionen (Rat, Kommission und Parlament) unterzeichneten Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe ergänzt wird, der den allgemeinen Politikrahmen in diesem Bereich umfasst. Der Text enthält die gemeinsamen Visionen, politischen Ziele und Grundsätze hinsichtlich der humanitären Hilfe der EU sowie die Vision einer geschlossen und wirksamer auf humanitäre Notlagen reagierenden EU. Darüber hinaus wird die Rolle der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen definiert. Schließlich wird in Artikel 214 AEUV die humanitäre Hilfe als eigenständiger Politikbereich festgelegt.

2.7

Der EWSA unterstützt und befürwortet folgende Feststellungen im Europäischen Konsens: "Die humanitäre Hilfe der EU dient dem Ziel, bedarfsorientiert Nothilfe zu leisten, um Menschenleben retten, menschliches Leiden vermeiden oder lindern und den Menschen ein Dasein in Würde ermöglichen zu können, wenn Regierungen und lokale Akteure überfordert, außer Stande beziehungsweise nicht willens sind, angemessene Hilfe zu leisten. Die humanitäre Hilfe der EU umfasst neben Hilfs-, Rettungs- und Schutzaktionen zur Rettung und Erhaltung von Menschenleben in und unmittelbar nach humanitären Krisen auch Maßnahmen, die den ungehinderten Zugang zu bedürftigen Bevölkerungsgruppen und die ungehinderte Beförderung der Hilfe erleichtern oder ermöglichen. Die EU reagiert mit ihrer humanitären Hilfe je nach Bedarf sowohl auf von Menschen verursachte Krisen (einschließlich komplexer Notsituationen) als auch auf Naturkatastrophen" (5). Der EWSA begrüßt nachdrücklich diese Verweise auf den Schutz der Opfer und die Wahrung der Menschenwürde, da damit über den bloßen Unterstützungsaspekt der Hilfe hinausgegangen wird.

2.8

Deshalb betont der EWSA, dass neben den Definitionen der Opferrechte im internationalen Völkerrecht und den vorgenannten europäischen Rechtsinstrumenten für einige anerkannte Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" die humanitäre Hilfe eine Geste zwischen Zivilgesellschaften bzw. Personen ist, die zum Ziel hat, Leben zu schützen und Leiden zu lindern; Im Gegensatz zu anderen Formen der Hilfe bezweckt sie nicht die Umgestaltung einer Gesellschaft, sondern die Überwindung einer temporäreren Krise. Ihr Engagement gilt den Menschen, nicht den Staaten. Die Zivilgesellschaft spielt für die humanitäre Hilfe eine grundlegende Rolle.

2.9

Der EWSA unterstreicht, dass sich das Konzept der humanitären Hilfe in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat und jetzt Aspekte wie Prävention, Risikoreduzierung, Unterstützung, Schutz und Wiederaufbau nach einer Katastrophe oder einem Krieg umfasst. Die EU selbst war im Rahmen des Europäischen Konsenses über die humanitäre Hilfe Vorreiter auf diesem Gebiet. Gleichzeitig zielt die humanitäre Hilfe nicht nur darauf ab, den Erfordernissen gerecht zu werden, sondern umfasst auch Elemente eines Konzepts, das die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt, und der Anstrengungen zur Wiederherstellung der Menschenwürde. Der EWSA kann einen eigenen Beitrag zu diesem auf den Menschenrechten basierenden Ansatz leisten.

2.10

Der EWSA unterstreicht auch, dass der Konsens über die humanitäre Hilfe oder die Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" dazu beitragen können, dass diese Fragen in einigen Mitgliedstaaten, die zwar über eine kürzere Tradition verfügen, aber auch über großes Potenzial, um neue Ideen, neuen Schwung und neue Freiwillige beizusteuern, stärker in den Vordergrund rücken. Dies sollte eine der Möglichkeiten der Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe sein", nämlich die Förderung der humanitären Freiwilligentätigkeit der Bürger aus der gesamten EU.

2.11

Der EWSA begrüßt deshalb die Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" und ist der Auffassung, dass ihre Ansätze bei der Erarbeitung einer Verordnung über diese Initiative einfließen sollten, vor allem die Aspekte, die in engem Zusammenhang mit dem Auftrag des EWSA und seinen Erfahrungen als beratende Instanz der europäischen Zivilgesellschaft stehen.

3.   Die Freiwilligentätigkeit im Rahmen der europäischen Hilfe

3.1

Der EWSA befürwortet die Definitionen der Freiwilligentätigkeit im Verordnungsvorschlag, die bereits zuvor in anderen Stellungnahmen zu finden waren. Der EWSA unterstreicht die Eigenständigkeit der Freiwilligentätigkeit und betont die Gefahr einer Verwechslung mit anderen Tätigkeiten, die den Charakter einer Beschäftigung haben. Gerade jetzt, in Zeiten der Wirtschaftskrise, handelt es sich um einen besonders wichtigen Aspekt, der sowohl die EU in ihrem Innern als auch ihr auswärtiges Handeln betrifft. Deshalb schlägt der EWSA vor, in bestimmten Fällen die möglichen wirtschaftlichen Folgen der europäischen Freiwilligentätigkeit in den Bestimmungsländern zu bewerten.

3.2

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit der Kohärenz der Rechtsvorschriften über die Freiwilligentätigkeit in der EU und vor allem über den internationalen Einsatz der Freiwilligen. Der EWSA weist darauf hin, dass es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsrahmen im Bereich der Freiwilligentätigkeit gibt, was sich nicht negativ auf die Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" auswirken kann (6).

3.3

Des Weiteren ist der EWSA der Überzeugung, dass eine Initiative wie diese dazu beitragen sollte, die Mitgliedstaaten mit geringerer Tradition auf dem Gebiet der Freiwilligentätigkeit und der humanitären Hilfe stärker in diesen Bereich einzubinden. Die Initiative sollte die Teilnahme der Organisationen dieser Länder ermöglichen und die Beteiligung von Freiwilligen aus der gesamten EU entsprechend dem Grundsatz der Chancengleichheit fördern. Der EWSA schlägt vor, spezifische Maßnahmen zu ergreifen, um die Beteiligung sowohl der Organisationen als auch der Freiwilligen aus Mitgliedstaaten mit bisher geringer Beteiligung an humanitären Aufgaben zu fördern.

3.4

Obwohl im Entwurf des AEUV die Freiwilligenarbeit ursprünglich auf die humanitäre Hilfe eingeschränkt war, fallen die finanzierten Pilotprojekte und die den Freiwilligen zugewiesenen Aufgaben in der Praxis großenteils eher in die Bereiche Entwicklungshilfe, Katastrophenvorsorge, Rehabilitation und Wiederaufbau, Linderung der Folgen, Stärkung der Widerstandsfähigkeit usw. Der EWSA hält diese Anpassung für folgerichtig und schlägt vor zu untersuchen, wie die Freiwilligentätigkeit künftig in der EU-Entwicklungszusammenarbeit weiterentwickelt werden kann.

3.5

Die Freiwilligenarbeit auf dem Gebiet der humanitären Hilfe und bei der Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen muss mit den übrigen Tätigkeiten der EU-Institutionen im Einklang stehen, diese ergänzen und in diese eingebunden werden. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Freiwilligentätigkeit für andere Bereiche der internationalen Entwicklungszusammenarbeit nützlich sein kann. Die Beteiligung von Freiwilligen muss aber unter Gesichtspunkten der Vernunft und Vorsicht ("do no harm") erfolgen und die Einsatzmöglichkeiten für Freiwillige sollten genau abgegrenzt werden.

3.6

Der EWSA begrüßt deshalb, dass das Europäische Parlament die mögliche Beteiligung von Freiwilligen in Situationen eines Konflikts, einer Sicherheitsbedrohung und eines komplexen Notstands eingeschränkt hat. Die Sicherheit der Hilfsempfänger, der Freiwilligen und der Mitarbeiter im Allgemeinen muss Vorrang haben, vor allem angesichts des Umfelds, in dem humanitäre Arbeit üblicherweise geleistet wird.

3.7

Diesbezüglich schlägt der EWSA vor, die Festlegung von Projektarten voranzutreiben, die für Beteiligung von Freiwilligen am besten geeignet sind, oder zumindest die Kategorien von Maßnahmen genauer zu definieren, die Gegenstand der Beteiligung von Freiwilligen im Rahmen der Initiative sein sollten. Der Bereich der humanitären Hilfe ist sehr umfangreich und vielfältig; es sollten deshalb die für die Freiwilligentätigkeit am besten geeigneten Situationen ermittelt werden.

3.8

Darüber hinaus begrüßt der EWSA, dass die aus dem Vertrag hervorgehende Sichtweise der Freiwilligenarbeit als Tätigkeit junger Menschen durch ein realistischeres Konzept ersetzt wird, das die verschiedenen Formen der Freiwilligentätigkeit, die dafür erforderlichen Fähigkeiten, die unterschiedlichen Werte usw. umfasst. Der EWSA ist der Ansicht, dass hierbei ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis angestrebt werden sollte.

4.   Herausforderungen bei der Umsetzung der Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe"

4.1

Bei der praktischen Umsetzung der Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" gehen die EU-Institutionen mit Bedacht vor. Die Bewertung der bisher verwirklichten Pilotprojekte und Initiativen sollte als Grundlage dienen, um einige der künftigen Herausforderungen anzugehen und zu bewältigen. Die Ergebnisse solcher Evaluierungen und die gewonnenen Erkenntnisse sollten mit allen Interessenträgern erörtert werden.

4.2

Die Beteiligung von Freiwilligen muss immer entsprechend den Erfordernissen und nach einer Untersuchung und Bewertung der Situation und der Analyse der von Katastrophen oder komplexen Krisen betroffenen Bevölkerung erfolgen. Grundlegend ist die Verzahnung mit den Koordinierungsmechanismen auf europäischer Ebene (COHAFA, Instrumenten der GD ECHO usw.) wie auch auf internationaler Ebene über das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA).

4.3

Des Weiteren sollten klare Verfahren des Zusammenwirkens mit den (gegenwärtig) auf humanitäre Hilfe spezialisierten Netzen eingerichtet werden, z.B. Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, VOICE (Freiwilligenorganisationen für die Zusammenarbeit in Notsituationen) und ICVA (Internationaler Rat der Freiwilligenorganisationen).

4.4

Im Verordnungsvorschlag wird betont, dass für alle Phasen des Prozesses der Mobilisierung Freiwilliger für eine Tätigkeit in Drittstaaten Standards festgelegt werden sollten. Der EWSA teilt dieses Anliegen und schlägt vor, solche Standards auf bewährte Methoden der humanitären Hilfe und auf bereits bestehende Qualitätsinitiativen zu gründen (7).

4.5

Im Rahmen dieser Standards sollte den Fragen der Sicherheit und der Gewährleistung ausreichender Bedingungen für die Freiwilligentätigkeit und ihres Mehrwerts bei humanitären Projekten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

4.6

Die Kooperation von Freiwilligen erfolgt über soziale Organisationen und in geringerem Maße über öffentlich-zivile Institutionen. Die Qualität der Institutionen ist für den Erfolg der Arbeit besonders wichtig. Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Schaffung von Verfahren zur Zertifizierung der Organisationen vorangetrieben werden muss, die auf den Erfahrungen und dem gemeinsamen Besitzstand des humanitären Sektors basieren. Deshalb schlägt der EWSA vor, die von der GD ECHO bei Partnerschaftsrahmenverträge mit Nichtregierungsorganisationen und UN-Agenturen gesammelten Erfahrungen zu untersuchen und zu nutzen (8).

4.7

Der EWSA ist der Überzeugung, dass der Zertifizierungsmechanismus auf der Grundlage all dieser Erfahrungen eingerichtet und bei seiner Umsetzung die Hauptkriterien Transparenz, freier Wettbewerb, Chancengleichheit und Rechenschaftspflicht berücksichtigt werden müssen. Die Initiative sollte eine stärkere Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen der Länder mit geringerer Tradition auf diesem Gebiet bewirken. Zu diesem Zweck schlägt der EWSA vor, dass gerade in diesen Mitgliedstaaten spezifische Maßnahmen zur Umsetzung der Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" zu entwickeln.

4.8

Die Zertifizierungskriterien müssen - allerdings mit entsprechenden Anpassungen - auch auf die Empfängerorganisationen der betroffenen Länder anwendbar sein. Die Maßnahmen zur Stärkung der Kapazitäten der Empfängerorganisationen müssen Vorrang haben und mit der technischen, logistischen und finanziellen Unterstützung des Projekts einhergehen. Die Initiative kann ein Instrument sein, um die südlichen Partner zu unterstützen und zur Stärkung der Gesellschaften, die die Hilfe erhalten, beizutragen. Für den EWSA ist dieses Thema, zu dem er mehrere Stellungnahmen verabschiedet hat (9), ein besonderes Anliegen.

4.9

Der EWSA unterstreicht den zivilen Charakter, den die Freiwillige entsendenden oder aufnehmenden Institutionen haben müssen, um die Achtung der humanitären Grundsätze und Werte sowie ihre Akzeptanz seitens der betroffenen Bevölkerung zu gewährleisten.

4.10

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Frage der Beteiligung von Unternehmen, die z.B. Erfahrungen mit der betrieblichen Freiwilligenarbeit besitzen, eingehender untersucht werden sollte, um Mechanismen für diese Art der Beteiligung vorzuschlagen. Der EWSA vertritt auch die Auffassung, dass in jedem Fall auch die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen gefördert werden sollte - und nicht nur - wie das vielfach der Fall war - der großen Unternehmen, die Abteilungen für soziale Unternehmensverantwortung (corporate social responsibility) besitzen.

4.11

Die Ausbildung der Kandidaten, die an der Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" teilnehmen möchten, ist wesentlich, um eine reibungslose Durchführung der Maßnahmen zu garantieren. Der EWSA ist davon überzeugt, dass über die - offensichtlich wichtigen - Aspekte der fachlich-beruflichen Ausbildung hinaus auch folgende Aspekte berücksichtigt und stärker herausgestellt werden sollten: Werteerziehung, Achtung der betroffenen Bevölkerung, interkulturelle Dimension, Respekt, psychosoziale Fragen der Hilfe usw. Es sollte also letztlich nicht nur um technische, sondern auch um humanitäre Fragen der Hilfe insgesamt gehen. Wenn eines die humanitäre Hilfe auszeichnet, dann dieser Schwerpunkt auf die Grundsätze und Werte, die eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung der Freiwilligen spielen müssen.

4.12

Deshalb sollte man sich auf die Organisationen stützen, die bereits einschlägige Erfahrungen in den Mitgliedstaaten haben, wie auch auf die europaweiten Ausbildungsnetze, d.h. nicht nur die universitären, sondern auch die gemeinnützigen. Besondere Berücksichtigung verdient die Bewertung der Ausbildungsmaßnahmen, die in die bereits durchgeführten Pilotprojekte aufgenommen wurden. Der EWSA fordert dazu auf, die nachahmenswerten Praktiken auf dem Gebiet möglichst bald zu erfassen, damit sie als Referenzwerte (benchmarks) für künftige Vorschläge dienen können.

4.13

Im Verordnungsvorschlag wird die Schaffung einer Datenbank erwogen, in der potenzielle Freiwillige erfasst werden können, die dann später über zertifizierte Organisationen und ggf. über die Dienststellen der Kommission eingesetzt werden. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die Aufnahme Freiwilliger in eine Organisation nicht nur von fachlichen Kriterien abhängt, sondern auch davon, dass sie u.a. die gemeinsame Werte und den Auftrag bzw. die Mission der Organisation teilen. Gleich welche endgültige Form die von der Kommission eingerichtete Datenbank für Freiwillige haben wird, der EWSA ist der Überzeugung, dass dieser Aspekt berücksichtigt werden muss.

4.14

Die Verwirklichung der Initiative "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" ist eine Gelegenheit, die Maßnahmen zur Sensibilisierung und Aufklärung der europäischen Bürgerinnen und Bürger bezüglich der Solidarität, der auch in Krisenzeiten notwendigen Aufrechterhaltung der Hilfsleistungen und der Förderung universeller Werte auszuweiten. Wie bereits in früheren Stellungnahmen betont der EWSA, dass es über die bloße "Öffentlichkeitswirkung" der Maßnahmen hinaus notwendig ist, die Beziehungen zu den Bürgern zu stärken. Bei dieser Aufgabe spielen die Organisationen der Zivilgesellschaft, von denen viele im EWSA vertreten sind, eine grundlegende Rolle. Der EWSA spricht sich dafür aus, diese öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen auf die Mitgliedstaaten zu konzentrieren, die bisher nur über geringe Erfahrungen auf dem Gebiet der humanitären Hilfe verfügen.

Brüssel, den 16. Oktober 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe "EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe" (COM(2012) 514 final).

(2)  Die GD ECHO gab drei auf die Zukunft ausgerichtete Evaluierungen in Auftrag (2006, 2010 und 2012), die zu einer Reihe unterschiedlicher Schlussfolgerungen gelangten: "Review concerning the establishment of a European Voluntary Humanitarian Aid Corps", 2006; "Review concerning the establishment of a European Voluntary Humanitarian Aid Corps - Final report", 2010, und "Impact Assessment on the establishment of a European Voluntary Humanitarian Aid Corps", 2012.

(3)  ECHO-Daten von 2012 http://ec.europa.eu/echo/files/funding/figures/budget_implementation/AnnexV.pdf.

(4)  Im diesem Thema gewidmeten Eurobarometer vom März 2012 wird festgestellt, dass 88 % der europäischen Bürger die Bereitstellung von Mitteln für diese Aufgaben durch die EU befürworten: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_383-384_fact_es_es.pdf.

(5)  Artikel 8 des Konsenses. ABl. C 25 vom 30.1.2008, S. 1-12. Im Konsens wird auch auf Initiativen wie das SPHERE-Projekt Bezug genommen, bei denen es um die Festlegung der Rechte von Opfern humanitärer Krisen und ihren Schutz geht. "Charta der Humanitären Hilfe" und Mindeststandards des SPHERE-Projekts.

(6)  Stellungnahme des EWSA zu der "Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Mitteilung zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit: Anerkennung und Förderung grenzüberschreitender Freiwilligenaktivitäten in der EU" (COM(2011) 568 final), Abl. C 181 vom 21.6.2012, S.150-153.

(7)  Der EWSA schlägt vor, insbesondere die Initiative für gemeinsame Standards (JSI) weiterzuverfolgen, die durch drei der wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung humanitären Hilfe umgesetzt wird: das SPHERE-Projekt, die HAP-Initiative ("Humanitarian Accountability Partnership") und der "People in Aid"-Kodex.

(8)  Darüber hinaus sollten die derzeit erörterten Vorschläge des Lenkungsausschusses für humanitäre Hilfseinsätze ("Steering Committee for Humanitarian Response") berücksichtigt und die von einigen Mitgliedstaaten eingerichteten Akkreditierungssysteme untersucht werden, um schlüssige Konzepte zu finden und Doppelungen zu vermeiden.

(9)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union", Abl. C 181 vom 21.6.2012, S.28-34.


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