Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52020AE2964

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Tourismus und Verkehr im Jahr 2020 und darüber hinaus“ (COM(2020) 550 final)

EESC 2020/02964

ABl. C 429 vom 11.12.2020, p. 219–226 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

11.12.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 429/219


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Tourismus und Verkehr im Jahr 2020 und darüber hinaus“

(COM(2020) 550 final)

(2020/C 429/27)

Berichterstatter:

Panagiotis GKOFAS

Befassung

Kommission, 17.6.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

4.9.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.9.2020

Plenartagung Nr.

554

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

217/2/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass diese Mitteilung als ein strategisches Politikinstrument für die Überarbeitung des EU-Modells für nachhaltigen Tourismus und Verkehr dienen sollte. Der EWSA fordert ein umfassendes Maßnahmenpaket mit Leitlinien und Empfehlungen, die auf Folgendes abzielen:

1)

sichere Wiederherstellung der uneingeschränkten Freizügigkeit, koordinierte Wiederöffnung der Binnengrenzen und Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen;

2)

sichere Wiederherstellung von Verkehrsdiensten und Verkehrsverbindungen nach Annahme einer gemeinsamen politischen Rahmenvereinbarung für alle EU-Mitgliedstaaten;

sichere Fortführung der Erbringung von Dienstleistungen in der Lebensmittel- und Tourismusbranche sowie im Gastgewerbe;

eine ausgewogene Lösung finden dank einer Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten über sichere und gemeinsame Entscheidungen und Maßnahmen in den Bereichen Grenzen und Verkehr. Solange COVID-19-Kontrollen durchgeführt werden, wird genügend Personal zur Verfügung stehen, um den sofortigen und raschen Transit von Personen zu regeln;

Gewährleistung der Finanzierung von Schulungsmaßnahmen für Beschäftigte in Hotels, Restaurants, Gastronomiebetrieben, Museen, im Wassertourismus usw., damit sie die COVID-19-Präventionsmaßnahmen ordnungsgemäß anwenden können;

3)

Sicherstellung, dass Gesundheit und Sicherheit in jedem Zusammenhang — gleichgültig, ob auf Reisen oder anderweitig — oberste Priorität haben, da nur so das Vertrauen in die Personenfreizügigkeit wiederhergestellt werden kann;

4)

Einführung einer neuen Aussteigekarte auf EU-Ebene, da ein solches System in einer Reihe von Bereichen einen zusätzlichen Nutzen auf EU-Ebene bringen könnte:

Überwachung auf EU-Ebene: Wenn sich alle Mitgliedstaaten bereit erklären, sowohl die neuen Informationen der Aussteigekarte als auch die Informationen über die Testergebnisse der Reisenden auszutauschen, könnten wir Größenvorteile in Bezug auf die Testressourcen (1) erzielen. Wenn sich alle EU-Länder bereit erklären, diese Technologie und das gleiche neue Standardformular für die Aussteigekarte zu nutzen (wie bisher Belgien und Deutschland), könnten verlässliche Schätzungen und Prognosen für die Städte vorgenommen werden, um sowohl die Strategien auf Länderebene als auch auf EU-Ebene auf den neuesten Stand zu bringen. Dies würde die Rolle der EU versinnbildlichen: Durch Innovation und Kooperation können wir unsere gemeinsamen Ziele erreichen — öffentliche Gesundheit und wirtschaftliche Aktivität in Krisenzeiten.

COVID-19-Pass: Eine der schwierigsten Aufgaben besteht nach unseren Erfahrungen mit der Urlaubszeit darin, die Validität von PCR-Tests zu bestätigen. Wenn alle Mitgliedstaaten beschließen, dieselbe Plattform für Aussteigekarten einzuführen, könnten alle akkreditierten Labors die Ergebnisse über die Plattform melden, wodurch ein COVID-19-Pass für alle Reisenden geschaffen würde, der zuverlässig ist und gewährleistet, dass das Risiko im Zusammenhang mit Reisen minimal ist.

5)

Erarbeitung eines gemeinsamen EU-Strategieplans zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Wirtschafts- und Unterstützungsmaßnahmen in der Tourismusbranche in Bezug auf KMU, Restaurants, Hotels, Reisebüros, Fremdenführer usw.;

Behebung des Mangels an Liquidität mit direkter Finanzierung, insbesondere für Kleinstunternehmen, und Wiederherstellung des Vertrauens in die Wirtschaft sowie Bereitstellung von Reisegutscheinen;

sofortiger Zugang zu und Genehmigung von Darlehen für alle Mitgliedstaaten unter der Aufsicht der EZB und der EU, mit Garantien seitens der EU und der Mitgliedstaaten;

unverzügliche Einrichtung eines europäischen Mechanismus zur Überwachung der Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen für KMU und Arbeitnehmer, insbesondere in Bezug auf Liquidität, Kreditvergabe und Transparenz;

6)

Stärkung und Ausweitung des SURE-Programms, das zur Unterstützung im Falle der Arbeitslosigkeit von Arbeitnehmern und zum Ausgleich der Lohnkosten von KMU dient; KMU sollten von der Zahlung eines Teils ihrer Löhne befreit und dazu verpflichtet werden, Arbeitnehmer in durch SURE unterstützte nationale Systeme aufnehmen zu lassen;

7)

KMU-Organisationen sollten von europäischen und nationalen Einrichtungen, die für die Durchführung des SURE-Programms zuständig sind, angemessen konsultiert werden;

8)

das Programm SURE sollte die Löhne und Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern in der Tourismus- und Verkehrsbranche, die aufgrund der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben, vollständig abdecken, so etwa in den Bereichen Gastronomie, Hotels, Fluggesellschaften, Kreuzfahrtschiffe, Reisebusse, Flughäfen, Hafenterminals, Wassertourismus und Reiseführer — und dies mindestens bis zum 30. Juni 2021;

9)

Steuererleichterungen mit einem Moratorium für Steuerverpflichtungen und umgehend ein Konjunkturpaket für Tourismus und Verkehr mit steuerlichen Maßnahmen für alle KMU der Branche im Zeitraum 2020-2024. Der EWSA ist der Auffassung, dass im Rahmen eines harmonisierten EU-Mehrwertsteuersystems eine ermäßigte Mehrwertsteuer auf Hotels, Restaurants, Reiseleistungen, Wassertourismus (Bootscharter, Jachthäfen), Reisebusse, Reiseführer usw. angewendet werden sollte. Bedingung für derartige Maßnahmen sollten jedoch davon abhängig gemacht werden, dass Arbeitnehmerrechte eingehalten und Garantien gegeben werden, dass keine Arbeitsplätze abgebaut werden. Außerdem sollte jegliche finanzielle Unterstützung wie Beihilfen, Darlehen oder Steuerbefreiungen ausschließlich Unternehmen gewährt werden, die

Arbeitsplätze erhalten/neue qualitativ hochwertige Arbeitsplätze schaffen und Arbeitnehmerrechte respektieren,

ihren Sitz nicht in Steueroasen haben und stets ihren angemessenen Anteil an Steuern und Sozialbeiträgen entrichtet haben;

10)

Regulierung der kollaborativen Wirtschaft im Tourismus und insbesondere in der Fremdenführerbranche. Aufforderung an die nationalen Regierungen, die kollaborative Wirtschaft in der Fremdenführerbranche zu regulieren und legislative und administrative Maßnahmen zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen umzusetzen;

11)

Fortsetzung aller Förderprogramme in den Bereichen Liquidität, Geld- und Finanzpolitik für Hotels, Restaurants, Fremdenführer, Reisebusse, Reisebüros, Wassertourismus usw. sowie für Selbstständige im Einklang mit dem WTTC (World Travel & Tourism Council) mindestens zehn Monate lang nach der Rückkehr zur Normalität.

1.2.

Da die Geld- und Finanzpolitik der Eurogruppe/des Europäischen Rates/der EZB nicht symmetrisch auf alle (insbesondere die schwächsten und am stärksten betroffenen) Mitgliedstaaten angewandt wird, muss die Kommission ihre Rolle als Hüterin der Verträge ausbauen und die symmetrische Erholung des Binnenmarkts folgendermaßen sicherstellen:

a)

Ausarbeitung von Leitlinien für Regierungen und Banken zu Möglichkeiten der Unterstützung der Tourismusbranche und des Gastgewerbes und Bereitstellung geeigneter Unterstützung (z. B. durch eine gemeinsame Taskforce in jedem Mitgliedstaat, die sich aus Beamten der Kommission und des EWSA zusammensetzt) und

b)

Durchsetzung der ordnungsgemäßen Umsetzung der vom Europäischen Rat gebilligten Politik, indem u. a. Probleme öffentlich angeprangert werden („naming and shaming“). Die Kommission muss fragwürdige Bankpraktiken oder Regierungsentscheidungen im Vorfeld der länderspezifischen Empfehlungen herausstellen und ermitteln und darstellen, dass diese außerhalb des Europäischen Semesters liegen und in diesem Rahmen prozyklisch sind;

c)

dringende Notwendigkeit eines „Gentlemen’s Agreement“ über Fluggesellschaften, das von der Europäischen Kommission, den zuständigen nationalen Behörden, repräsentativen Wirtschafts- und Sozialpartnern und Organisationen, die Verbraucher und Fluggäste vertreten, ausgehandelt und überwacht wird, zur Vermeidung von Verdrängungspraktiken;

d)

Steuererleichterungen für KMU in der Tourismusbranche mit einem Moratorium für Steuerverpflichtungen und einer Aussetzung ausstehender Steuerschulden bis einschließlich 31. Dezember 2020 sowie der Einführung ausreichender Tilgungsraten ab dem 1. April 2021.

1.3.

Da über die Entwicklung und Situation von Tourismusunternehmen keine Daten verfügbar sind, hat der EWSA einen Online-Fragebogen ausgearbeitet, um die in dieser Stellungnahme enthaltenen Vorschläge besser bewerten zu können. Es sind Antworten von mehr als 170 Organisationen aus der ganzen EU eingegangen, die rund 3 500 000 Mitglieder der Tourismusbranche vertreten: Restaurants und Gastronomiebetriebe, Hotels und Beherbergungsbetriebe, Reisebüros, Freizeitbranche, Wassertourismus, Fremdenführer, Transportdienstleister usw. Die Umfrage ergab im Wesentlichen Folgendes:

88 % der Befragten geben an, von der Pandemie sehr negativ betroffen zu sein;

81 % der Befragten rechnen mit langfristigen Auswirkungen der Krise auf den von ihnen vertretenen Sektor;

fast 55 % der Befragten halten es für unwahrscheinlich (unwahrscheinlich: 45 %, sehr unwahrscheinlich: 10 %), dass der Sektor, den sie repräsentieren, das Jahr 2021 überleben wird;

77 % der Befragten rechnen im Jahr 2020 mit einem Rückgang des Beschäftigungsniveaus in ihrem Sektor;

die Unternehmensumsatzrate ist im Jahr 2020 für 90 % der Befragten gesunken (für 49 % der Befragten um mehr als 70 %);

51 % der Befragten gehen davon aus, dass die Krise mindestens bis Ende 2021 dauern wird;

73 % der Befragten geben an, dass die Branche, die sie repräsentieren, mehr als ein Jahr benötigen wird, um ihre Wirtschaftsleistung und ihr Vertrauen in den Binnenmarkt und die internationalen Tourismusströme wiederherzustellen;

nach Ansicht der Befragten sind die politischen Prioritäten für die Tourismusbranche auf nationaler und europäischer Ebene: Impfstoff gegen COVID-19 (66 % der Befragten), Regelungen zur direkten Finanzierung/finanziellen Unterstützung (63 %), Gesundheitsprotokolle (56 %) und Steuerstundungen (45 %).

1.4.

Ein intensiver sozialer Dialog und eine substanzielle politische Agenda sind dringend erforderlich, um aktualisierte sektorale Tarifverträge für die Tourismus- und Verkehrsbranche auszuhandeln, und zwar unter Beteiligung der KMU und der repräsentativen Verbände der KMU, die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffen sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der Ausbruch von COVID-19 hat die Tourismusbranche lahmgelegt und die Rückkehr von Reisenden stark beeinträchtigt. Die Folgen für Wirtschaftszweige, die stark auf den Tourismus angewiesen sind, sind verheerend.

2.2.

Die Tourismusbranche in der EU beschäftigt rund 22,6 Millionen Menschen (2), was 11,2 % der Gesamtbeschäftigung in der EU entspricht. 2019 trug sie 9,5 % zum BIP der EU bei. 2018 wurden in der EU-27 600 154 touristische Betriebe gezählt; die Nachfrage nach Übernachtungen in Touristenunterkünften beläuft sich auf etwa 1 326 049 994. Für viele Mitgliedstaaten, Regionen und Städte in Europa leistet der Tourismus einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Gefüge. Darüber hinaus bietet er dringend benötigte Arbeitsplätze und Einkommen, wobei er häufig in solchen Regionen eine besonders große Rolle spielt, in denen es insbesondere für gering qualifizierte Arbeitskräfte keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten gibt (3).

2.3.

Schätzungen zufolge verzeichnet die EU-Tourismusindustrie, die rund 13 Millionen Menschen beschäftigt (4), infolge des Ausbruchs von COVID-19 Einnahmenverluste in Höhe von rund 1 Mrd. EUR monatlich.

2.4.

An vielen anderen beliebten Reisezielen wurden Hotels, Restaurants, Bars, touristische Attraktionen, Jachthäfen, Museen und Zentren geschlossen. Besonders schwierig ist die Lage in mehreren EU-Ländern, die als Hauptreiseziele gelten, z. B. Italien, Griechenland, Portugal, Malta, Zypern Spanien und Frankreich. In Italien wird dieses Jahr mit einem Rückgang der Touristen um rund 60 % gerechnet. Laut Vorhersagen des WTTC könnten auf dem Reise- und Tourismusmarkt weltweit 75 Millionen Arbeitsplätze und in der EU 6,4 Millionen Arbeitsplätze wegfallen (5).

2.5.

Nach Angaben des internationalen Luftverkehrsverbands (IATA) könnte der weltweite Luftverkehr im Jahr 2020 Verluste in Höhe von mehr als 252 Mrd. USD (228 Mrd. EUR) erleiden. Bis zum 30. Juni sind zwei Millionen Passagierflüge storniert worden. In Frankreich lag die Hotelauslastung am 17. März bei 3,3 % (gegenüber 65,3 % am 26. Februar). Bis zum 30. Mai hatten Restaurants und Bars in allen EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Schwedens) geschlossen. Hotels, Restaurants, Bars und Jachthäfen haben Tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dauerhaft oder vorübergehend entlassen. Auf dem Höhepunkt der Krise war das Fahrgastaufkommen der europäischen Eisenbahnen um 90 % gesunken, und nach wie vor ist die Auslastung der Züge gering.

2.6.

Die Auswirkungen auf mit dem Tourismus verbundene Nebenbranchen wie etwa die Herstellung von Ausrüstungen für die Freizeitindustrie (z. B. Bootsbau) sollten anerkannt werden. Diese Branchen sollten durch die Förderung des Tourismus und die Entwicklung internationaler Handelsmöglichkeiten unterstützt werden.

2.7.

Die europäischen Tourismusstrukturen setzen sich aus zahlreichen Elementen wie Reisen, Verkehr, Unterkunft, Verpflegung, Erholung zu Land und zu Wasser, Kultur oder Natur zusammen. Der Tourismus trägt direkt und indirekt fast 10 % zum BIP der EU bei und die Branche hat die EU mit 563 Millionen internationalen Besuchern und 30 % der weltweiten Einnahmen im Jahr 2018 zum weltweit führenden Reiseziel gemacht (Quelle: Europäische Kommission). 2018 empfing die EU 30 % aller internationalen Besucher und war somit das wichtigste Reiseziel der Welt (Quelle: Europäische Kommission). Die Zusammensetzung dieser internationalen Ströme könnte als Grundlage für die Konzipierung einer angemessenen kurz-, mittel- und langfristigen EU-Strategie und -Agenda dienen.

3.   SÄULE I: Nachhaltigkeit von Tourismus und Verkehr

3.1.

Nach Auffassung des EWSA sollte diese Mitteilung der erste Schritt in der nächsten Generation der EU-Strategien und -Programme für nachhaltigen Tourismus sein. Dabei sollten sowohl die Bedürfnisse und Gegebenheiten von KMU und Arbeitnehmern als auch die Notwendigkeit, das öffentliche Vertrauen von Touristen und Verbrauchern wiederherzustellen, berücksichtigt werden. Die Mitteilung sollte die Gesundheits- und Sicherheitsrechte und -normen schützen und die Nachhaltigkeit und Liquidität der Unternehmen im Kontext einer erneuerten europäischen KMU-Strategie für 2030 im Einklang mit den Grundsätzen des „Small Business Act“ sicherstellen.

3.2.

Nach Auffassung des EWSA ist es unrealistisch, bei der Bewältigung der schwersten Krise, die die Tourismus- und Verkehrsbranche der EU jemals getroffen hat, einfach nach dem Motto „zurück zur Normalität“ zu verfahren. Der EWSA spricht sich dafür aus, diesen Politikbereich vollständig zu überarbeiten, um das Vertrauen und die Stabilität von Unternehmern und Arbeitnehmern wiederherzustellen. Zu diesem Zweck muss ein EU-Solidaritätspakt der nächsten Generation für nachhaltigen Tourismus bis 2030 angenommen werden.

3.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass wir jetzt die Chance für eine gerechte Konjunkturerholung und einen gerechten Wiederaufbau unserer Volkswirtschaften haben, um sie umweltfreundlicher, fairer und krisenresistenter zu machen. Der Beitrag des EU-Integrationsplans zum europäischen Modell für nachhaltige Tourismus- und Verkehrsentwicklung muss überarbeitet werden. Dabei sind Maßnahmen zu vermeiden, die zu weiterer Fragmentierung und unfairen Bedingungen/Praktiken auf dem Binnenmarkt führen könnten.

3.4.

Ein gerechter und nachhaltiger Wiederaufbau der Tourismusbranche erfordert Folgendes:

1)

Die Berücksichtigung der europäischen Ziele im Zusammenhang mit der CO2-Neutralität 2050 im Einklang mit den Zielen des Übereinkommens von Paris (Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 12. Dezember 2019).

2)

Damit diese Ziele erreicht werden können, ist es nach Auffassung des EWSA notwendig, sich in erster Linie der Frage der Verkehrsträger zu widmen und diesbezüglich die langsame und umweltfreundliche Mobilität (Rad- und Schienenverkehr) zu fördern.

3)

In Bezug auf die Touristenbeherbergung empfiehlt der EWSA, Renovierungsarbeiten zu fördern und das EU-Umweltzeichen an renovierte Betrieben zu vergeben. Diese Betriebe müssen dazu ermutigt werden, ihren Energieverbrauch und ihre CO2-Bilanz offenzulegen.

4)

Um die CO2-Emissionen in der Tourismusbranche zu verringern, spricht sich der EWSA nachdrücklich für die Verwendung lokaler Lebensmittel und anderer wiederverwertbarer Verbrauchsgüter aus.

5)

Der EWSA schlägt eine unabhängige Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus vor, um bestehende Informations- und Datenlücken bezüglich der internationalen Touristenströme in das Reiseziel EU zu schließen.

3.5.

Verantwortungsvolle Tourismusunternehmen müssen sich verpflichten, den CO2-Fußabdruck des Urlaubs und der Aktivitäten, die sie anbieten, anzugeben.

3.6.

Im Rahmen des EU-Aufbauplans und der nationalen Konjunkturprogramme sollten ausreichende Finanzmittel für den ökologischen und digitalen Wandel der Tourismusbranche und ihrer Infrastruktur bereitgestellt werden, indem Investitionen getätigt werden, mit denen der Tourismus für die Verbraucher attraktiver gestaltet und konkrete Vorteile für die Tourismusunternehmen erreicht werden können.

3.7.

Nach Auffassung des EWSA bilden sozial verantwortliche Unternehmen, die hochwertige Arbeitsplätze bieten, die Grundlage für fairen Fremdenverkehr. Dies erfordert den Ausbau des antisaisonalen Tourismus, der nachhaltige Arbeitsplätze gewährleisten könnte. Zu diesem Zweck muss die Europäische Kommission Initiativen und Projekte fördern, die diesen Kriterien entsprechen. Es sollten europäische Studien zu den sozialen und ökologischen Kosten eines nicht nachhaltigen Tourismus durchgeführt werden.

3.8.

Tourismussektoren, deren Angebote sich vom Massentourismus unterscheiden (z. B. Outdoor- oder Wassertourismus), erfreuen sich bei den Verbrauchern immer größerer Beliebtheit im Zusammenhang mit den Regeln für soziale Distanzierung. Diese Verbrauchertrends bieten die Gelegenheit, die Erholung der gesamten europäischen Tourismusindustrie und der Beschäftigung zu beschleunigen. Die betreffenden Sektoren sollten unterstützt werden, insbesondere wenn ihre Aktivitäten in einem regionalen, nationalen oder europäischen Umfeld stattfinden können. Im Falle des Wassertourismus ergeben sich dadurch in ganz Europa verschiedene Möglichkeiten für Inseln, Flüsse, Kanäle, Seen und Küstengebiete.

3.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Rahmen eines harmonisierten EU-Mehrwertsteuersystems eine ermäßigte Mehrwertsteuer auf Hotels, Restaurants, Reiseleistungen, Wassertourismus (Bootscharter, Jachthäfen), Reisebusse, Reiseführer usw. angewendet werden sollte. Dazu sollten gegebenenfalls rasch Änderungen an der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgenommen werden, die die Gleichbehandlung aller Sektoren der Tourismusindustrie gewährleisten.

3.10.

Die Reisebusbranche, die aus vielen KMU besteht, wurde von der Pandemie hart getroffen. Der Umsatz zahlreicher Reisebusunternehmen ist auf 0 bis 10 % des Umsatzes im gleichen Zeitraum des Vorjahres gesunken. Die EU hat jetzt die Gelegenheit, diese Branche zu unterstützen, indem sie die von ihr unterbreiteten Vorschläge in die Praxis umsetzt, einschließlich harmonisierter Rechtsvorschriften über Umweltzonen in der EU und einer einzigen Anlaufstelle für Mehrwertsteuererstattungen.

3.11.

In diesem Zusammenhang müssen Maßnahmen ergriffen werden, um im Interesse zahlreicher Branchen der EU-Wirtschaft die Wiederbelebung des internationalen, europäischen und nationalen Tourismus zu unterstützen. Die Eisenbahn kann touristischen Zielen helfen, die nicht angemessen per Flugzeug zu erreichen sind, sie kann neue Strecken eröffnen und neue Wertschöpfungsketten fördern. Für die europäischen Eisenbahnen bietet sich die Möglichkeit, die wachsende Nachfrage der klimabewussten Touristen auf dem Markt zu befriedigen. Das Europäische Jahr der Schiene sollte Gelegenheit sein, die Öffentlichkeit für den nachhaltigen Fremdenverkehr und neue touristische Routen zu sensibilisieren, die die Unionsbürger dank der Eisenbahnverbindungen entdecken können. In diesem Zusammenhang sollte das Europäische Jahr der Schiene auch Gelegenheit bieten, die Öffentlichkeit verstärkt auf historische und besonders schöne Strecken in ganz Europa aufmerksam zu machen (6).

3.12.

Eine erhebliche Zahl junger Europäer ist aus den verschiedensten Gründen noch nie oder nur selten innerhalb von Europa gereist. Zwar gibt es Programme für den Bildungsaustausch, doch hat die EU erst vor kurzem ein Instrument geschaffen, das allen Europäern eine Reiseerfahrung ermöglicht, die jungen Menschen die europäische Identität näherbringt, für die wesentlichen Werte der Europäischen Union sensibilisiert und an einen nachhaltigen und sauberen Verkehrsträger heranführt. DiscoverEU ist eine Initiative der Europäischen Union, die Menschen die Chance bietet, Europa durch Lernerlebnisse zu entdecken. Insbesondere per Eisenbahn (Ausnahmeregelungen gibt es für die Teilnahme von Personen, die auf Inseln oder in abgelegenen Gebieten leben) können junge Menschen Europa, seine Städte und Orte kennenlernen (7).

4.   SÄULE II: Liquidität, Erholung am Arbeitsmarkt und Wiederherstellung des Unternehmervertrauens

4.1.

Es ist wichtig, die Erholung und die kurz-, mittel- und langfristige Liquidität der europäischen Tourismusunternehmen, insbesondere der Kleinst- und Kleinunternehmen, zu unterstützen. Dies sollte zum Teil durch die sofortige Einrichtung einer EU-Taskforce für Liquidität erfolgen, die in der Lage ist, die Wirksamkeit der betreffenden Maßnahmen zu messen: zum einen durch die Gewährleistung von Transparenz in Bezug auf zu Unrecht verweigerte Kredite, Verzögerungen und unnötigen Verwaltungsaufwand. Zum anderen durch geeignete Korrekturmaßnahmen hinsichtlich des Europäischen Investitionsfonds, neuer Insolvenzverfahren und der nationalen Bürgerbeauftragten.

4.2.

In Bezug auf Fremdenführer muss die EU auf dem Tourismusmarkt für einen gerechten Rahmen mit gleichen Bedingungen und fairem Wettbewerb zwischen dem Beruf des Fremdenführers und illegal operierenden Reiseveranstaltern und „-führern“ sorgen. Im Einklang mit dem Briefing des Europäischen Parlaments zur Einführung der europäischen Agenda für kollaborative Wirtschaft in Bezug auf Reiseleiterdienste vom 16. November 2016fordert der EWSA die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge auf, die ausgewogene Entwicklung der kollaborativen Wirtschaft der EU (8) in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

4.3.

Bankwesen, Liquidität und Finanzpolitik wurden nicht ordnungsgemäß gehandhabt. Manche Banken (zum Beispiel in Griechenland) entscheiden sich für eine monetäre Lockerung (Transaktionen im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms — PEPP — durch die EZB), um ihre Position zu festigen, statt den echten Markt zu unterstützen. Diese Banken vergeben Kredite an rentable und nicht betroffene Unternehmen (wie Supermärkte) und vermeiden das Risiko der Kreditvergabe an gefährdete Branchen wie Tourismus und Dienstleistungen. Restaurants, Cafés, Hotels, Busse usw. stehen nicht mehr auf den Kreditnehmerlisten der Banken. Die Banken verlangen Garantien für ihre Kredite, die diese Unternehmen nicht bieten können, auch die nicht, denen die Banken eigentlich Kredite gewähren würden. Der Zinssatz liegt trotz aller Garantien und Subventionen der EZB über 4,5 %.

4.4.

Die Beschäftigung im Tourismussektor in der EU erfordert einen einheitlichen und fortschrittlichen Ansatz auf der Grundlage der Einbeziehung der nationalen Sozialpartner und konsolidierter Verfahren. Um der Arbeitslosigkeit und dem Verlust qualifizierter Arbeitskräfte vorzubeugen, müssen sich die zuständigen Regierungen und die Sozialpartner auf nationaler Ebene auf kurzfristige Arbeitsmaßnahmen einigen. Berücksichtigt werden sollte auch, dass in den Großstädten, in denen öffentliche und private Büros ihre Beschäftigten derzeit anhalten, von zu Hause aus zu arbeiten, die Gefahr besteht, dass die meisten Restaurants, Kneipen, Bars und Cafés schließen müssen. Beschäftigungspolitische und andere Maßnahmen müssen ergriffen werden, um dauerhafte Schließungen in Stadtzentren und deren Umgebung zu vermeiden. Darüber hinaus darf das Arbeiten von Zuhause aus (bzw. die Telearbeit) langfristig nicht an die Stelle einer starken Mobilität der Arbeitskräfte in Europa treten. Wenn weniger Konferenzen, Messen, Kongresse und Geschäftsreisen stattfinden, dann wird dies zu einem enormen Verlust an Arbeitsplätzen, KMU, Fachwissen, Kreativität und Innovationspartnerschaften in Europa und zu mehr nationalem Egoismus führen.

4.5.

Die Organisation von Messen, die für die Tourismusindustrie und ihre Nebenbranchen von entscheidender Bedeutung sind und per se einen wichtigen Motor für Tourismusaktivitäten, Reisen und Arbeitsplätze darstellen, sollte gefördert werden. Durch Leitlinien sollte geklärt werden, wie Messen sicher veranstaltet und von der EU und den Mitgliedstaaten finanziell unterstützt werden können.

4.6.

Tourismusbranche: den Erwartungen gerecht werden. Alle verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass diese Saison nicht mehr zu retten ist. Die Besucherzahlen werden die Betriebskosten des Sektors nicht annähernd aufwiegen. Alle Unternehmen werden enorme Verluste erleiden und um das Überleben kämpfen. Das Dreifachpaket der Euro-Gruppe (SURE in Höhe von 100 Mrd., EIB in Höhe von 200 Mrd. und ESM in Höhe von 250 Mrd.) ist nicht ausreichend und/oder die Regierungen versagen bei der Umsetzung der Maßnahmen. In Griechenland beispielsweise entschied sich die Regierung dafür, die ESM-Fazilität nicht in Anspruch zu nehmen, und die beiden anderen Töpfe sind inadäquat: nicht ausreichend zielgerichtet, ungenügende Mittelausstattung, unzureichende Anreize.

4.7.

Die europäische Tourismusindustrie sollte sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU mit einer umfassenden Marketing- und Kommunikationskampagne gefördert werden, um die Erholung der Branche zu unterstützen. Die Ausrufung des Jahres 2021 oder 2022 zum Europäischen Jahr des nachhaltigen Tourismus würde einen EU-weiten Rahmen vorgeben und Aktivitäten in der gesamten EU ermöglichen.

5.   SÄULE III: Daten- und Wissensnetze und Vorsorge, Gesundheit und Sicherheit, Risikominderung und Vorsorge

5.1.

Nach Auffassung des EWSA bedarf es nach der COVID-19-Pandemie und angesichts der von den Mitgliedstaaten aus den Schwierigkeiten bei der Koordinierung grenzüberschreitender und gemeinsamer Maßnahmen gezogenen Lehren nunmehr eines stärker koordinierten Ansatzes im Tourismus- und Verkehrssektor. Dazu könnten Pilot-Schulungsprogramme für eine wirksame gemeinsame Krisenvorsorge und -reaktion unter Nutzung europäischer Wissensnetze, die den Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft offenstehen, eingerichtet und jährlich bis 2024 durchgeführt werden.

5.2.

Der EWSA hält es für notwendig, dafür zu sorgen, dass die nationalen Plattformen für Risikominderung im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens, das auf dem UN-Sendai-Rahmen basiert, rascher einsatzbereit werden. Deshalb ruft der EWSA die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten (im Rahmen der nationalen Notfallpläne zur Koordinierung der Soforthilfe), die Wirtschafts- und Sozialpartner und die wissenschaftlichen Einrichtungen dazu auf, während und nach der COVID-19-Krise die Tourismus- und Mobilitätsbranche in die gemeinsamen Pilotprojekte und in das europäische Ausbildungsnetz einzubeziehen, um die EU-Reaktionsmaßnahmen vorzubereiten.

5.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, spezifische Programme und regionale Pilotprojekte in Partnerschaft mit europäischen und nationalen Sozialpartnern und akademischen und unabhängigen Forschungsnetzen aufzulegen und dadurch die Forschungs- und Ausbildungsressourcen zu bündeln, um europäische harmonisierte und aktuelle Daten über Tourismus, Verkehrsmobilität, Marktengpässe und bewährte Verfahren zu erhalten. Um die Neubelebung der EU als internationales Reiseziel auf globaler Ebene besser zu koordinieren und ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, ruft der EWSA die Europäische Kommission zudem auf, die Mitgliedstaaten zur Förderung spezifischer Programme und gemeinsamer Pilotinitiativen zu ermutigen.

5.4.

Grenzüberschreitende Routen für Tourismus und Freizeitaktivitäten können eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Regionen und Mitgliedstaaten wieder miteinander zu verbinden, und gleichzeitig Möglichkeiten zur Entwicklung des Tourismus in weniger entwickelten Regionen bieten. Nach dem Vorbild des Radwegenetzes EuroVelo sollte dieses Konzept mit Hilfe von EU-Mitteln auf andere Sektoren ausgeweitet und bei den Verbrauchern umfassend bekannt gemacht werden (z. B. Wassertourismusrouten).

6.   SÄULE IV: Governance und Ressourcen: nachhaltige Tourismus- und Verkehrspolitik der nächsten Generation

6.1.

Der EWSA begrüßt die dringend notwendige Mitteilung zum Tourismus und Verkehr im Jahr 2020 und darüber hinaus (9). Die Erkenntnisse sollten den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten als Anlass dienen, die jetzige Tourismus- und Verkehrspolitik auf der Grundlage der neuen geteilten Zuständigkeiten der EU und auf freiwilliger Basis im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Regierungen und den Behörden verschiedener Ebenen neu zu überdenken. Die europäischen und nationalen Sozialpartner und beratenden Gremien könnten hieran aktiv beteiligt werden; außerdem empfiehlt sich die Ausrufung eines Europäischen Jahres des nachhaltigen Tourismus.

6.2.

Der EWSA betont, dass eine wirksame mittel- bis langfristige EU-Politik dringend erforderlich ist, um das Vertrauen der Einzelpersonen und der Gesellschaft als Ganzes darin wiederherzustellen, dass ein sicheres Reisen in der gesamten Europäischen Union möglich ist. Diese Politik muss auch andere Ökosysteme des Tourismus in der EU abdecken, so z. B. Unterbringung, Lebensmittel, Gesundheit und Sicherheit, Handel, Telekommunikation und Landwirtschaft. Die Tourismus- und Verkehrsbranche ist eines der von COVID-19 am stärksten getroffenen Ökosysteme der EU.

6.3.

Der EWSA spricht sich dafür aus, zur Wiederherstellung des Vertrauens und zur Wiederbelebung und Stärkung des Tourismus einen internen „EU-Gesundheitspass“ — nach dem Vorbild der Aussteigekarte (Passenger Locator Form/PLF) und der QR-Codes — in Verbindung mit einer „interoperablen mehrsprachigen EU-Plattform für Gesundheitshilfe“ zu nutzen. Reisende könnten den entsprechenden QR-Code verwenden, um in dem Land, das sie besuchen, Zugang zu Informationen und Gesundheitsdiensten sowie im Notfall zum Gesundheits- und Sozialversicherungssystem zu erhalten.

6.4.

Die Aussteigekarte, die auf Tests und den EU-weiten Datenaustausch abzielt, wurde in Griechenland eingeführt, um Besuchern aus der Europäischen Union und einigen weiteren Ländern die Einreise zu ermöglichen. Damit sollte ein Kompromiss zwischen der öffentlichen Gesundheit, der epidemiologischen Überwachung und dem sozioökonomischen Nutzen des Reiseverkehrs erzielt werden. Die Aussteigekarte beruht auf folgenden zwei Säulen:

1.

einer effizienten, datengestützten Überwachung: Tests sind der wichtigste Aspekt bei der Umsetzung von Strategien zur Eindämmung der weltweiten Pandemie. Sie sind eine wertvolle Ressource, und es ist äußerst wichtig, sie wirksam einzusetzen, um Daten zu erheben, Ausbrüche vorherzusagen und abgestimmte Strategien von allgemeinem Interesse zu konzipieren;

2.

einer wirksamen Nachverfolgung: die unverzügliche Kommunikation mit bestätigten positiven Fällen und die Ermittlung von Kontaktpersonen sind eine der wenigen wirksamen Alternativen zum Lockdown.

6.5.

Der EWSA fordert alle einschlägigen europäischen und nationalen Institutionen auf, unmittelbar nach der Notstandsphase einen mehrjährigen EU-Aktionsplan aufzulegen. Im Rahmen dieses Aktionsplans muss die Gestaltung der Tourismus- und Verkehrspolitik der EU generalüberholt und die Koordinierung des Fremdenverkehrs auf dem Binnenmarkt sowie der internationalen Tourismusströme aus der ganzen Welt erleichtert werden.

6.6.

Mit Blick auf diese beiden Säulen wurde die Online-Aussteigekarte entwickelt. Sie ermöglicht zusammen mit dem Instrument für künstliche Intelligenz EVA

a)

gezielte Tests auf der Grundlage der Merkmale des Reisenden (Land und Wohnsitzstaat, besuchte Länder, Alter und Geschlecht), wodurch die Wirksamkeit der Testressourcen maximiert wird, und

b)

schnelle Nachverfolgung auf der Grundlage der Angaben des Reisenden zu seinen Kontakten, zum Bestimmungsort usw.

6.7.

Der EWSA begrüßt und unterstützt uneingeschränkt die Vorschläge in der Mitteilung und den mittel- bis langfristigen Ansatz der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms „Next Generation EU“ und des langfristigen EU-Haushalts für 2021-2027 — mit entsprechenden erforderlichen Haushaltsmaßnahmen. Insbesondere sollten diese Maßnahmen auf die Umsetzung einer nachhaltigen Tourismus- und Verkehrspolitik der nächsten Generation und der entsprechenden Programme ausgerichtet werden (einschließlich nationaler Geschäftspläne für den Tourismussektor zum Aufbau von Kapazitäten von KMU, repräsentativen Organisationen und Sozialpartnern). Gleichzeit müssen sie auch den anderen EU-Prioritäten in ausreichendem Maße Rechnung tragen, die nicht unbedingt mit der Pandemie zusammenhängen.

6.8.

Missbräuchliche Praktiken der Luftfahrtunternehmen: Freizeit- und Geschäftsreisende verlieren gleichermaßen Geld, weil sie bei Fluggesellschaften Flüge buchen, die kurz nach der Buchung annulliert werden. Die Fluggesellschaften entscheiden ohne vorherige Benachrichtigung ihrer Kunden, ob Flugstrecken, Flüge und Zeitnischen beibehalten bzw. gestrichen werden. Die Kunden werden mit Gutscheinen und Umbuchungen abgespeist. Erstattungen nehmen zu viel Zeit in Anspruch und erfolgen bei weniger als 20 % des gesamten Stornierungs-/Buchungsvolumens, wodurch den Verbrauchern und Unternehmen wertvolle Liquidität entzogen wird.

6.9.

Der EWSA stellt mit Besorgnis fest, dass die Abwägung zwischen den Verbraucherrechten und den Liquiditätsproblemen der Fluggesellschaften infolge von Flugannullierungen im Zusammenhang mit COVID-19 schwierig ist. Der EWSA fordert die Fluggesellschaften, Fluggäste sowie europäischen und nationalen Behörden dazu auf, während des COVID-19-Übergangszeitraums geeignete Lösungen für alternative Optionen oder Erstattungsfristen zu finden. Der EWSA lehnt die Tatsache, dass Fluggesellschaften mitunter nur Gutscheine oder Umbuchungen anbieten, als rechtswidrige Praktiken ab. Der EWSA fordert die Fluggesellschaften nachdrücklich dazu auf, die europäischen Rechtsvorschriften über Fluggastrechte (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (10)) einzuhalten, einschließlich des Rechts auf eine vollständige Erstattung nach Annullierung durch die Fluggesellschaft.

6.10.

Bei der Ausstellung von Gutscheinen und Erstattungen ist ein einheitliches Konzept für die gesamte Tourismusbranche erforderlich. Dies gilt auch für einzelne touristische Aktivitäten, die derzeit nicht abgedeckt sind und bei denen die Sektoren und Mitgliedstaaten unterschiedlich vorgehen.

6.11.

Für die Tourismusbranche ist insbesondere während der COVID-19-Pandemie und danach ein intensiver sozialer Dialog erforderlich, der zu tragfähigen sektoralen Tarifverträgen führt, die für alle Beschäftigten gelten; das Gleiche trifft auf die Verkehrsbranche zu. Dies ist der beste Weg, um die Arbeitnehmer in diesen Branchen wirksam zu schützen und den sozialen Frieden zu wahren und somit gefährdete Unternehmen zu unterstützen. Sämtliche beteiligten Akteure müssen alles dafür tun, den sozialen Dialog und die Tarifverhandlungen auf allen Branchenebenen zu intensivieren.

6.12.

Maßnahmen mit Mehrwert müssen auf Ebene der Europäischen Kommission mit den nationalen Programmen zur Erholung des Tourismus koordiniert werden, um den europäischen Tourismussektor wieder anzukurbeln. Dies sollte selbstverständlich mit der Koordinierung der nationalen Krisenbekämpfungsprogramme und mit Maßnahmen für den Wiederaufbau des Luft-, See- und Reisebusverkehrs verknüpft werden, der in vielen EU-Staaten stark in Mitleidenschaft gezogen wurde (Polen, Italien, Spanien usw.).

6.13.

Für die Aushandlung aktualisierter Branchentarifverträge für die Tourismus- und Verkehrsbranche ist zur Wahrung des sozialen Friedens ein intensiver sozialer Dialog — unter Einbindung von KMU-Organisationen — erforderlich. Dank der Einigung auf Lösungen wird dies die wirksamste Art sein, die Arbeitnehmer zu schützen und gefährdete Unternehmen sowie die gesamten Branche zu unterstützen.

6.14.

Damit die Tourismusbranche wieder anlaufen und wachsen kann, bedarf es eines umfassenden Ansatzes für Kompetenzen und Qualifikationen, die nicht immer zwischen den Ländern harmonisiert sind und nicht ausreichend gegenseitig anerkannt werden (z. B. Lizenzen für Schiffsführer kleiner gewerblich genutzter Schiffe).

6.15.

Die europäischen Sozialpartner in den Tourismusdienstleistungs- und Verkehrsbranchen sollten ihre Bemühungen um eine Einigung über die Sozialstandards in diesen Sektoren koordinieren.

Brüssel, den 18. September 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Griechenland führt täglich 7 000 Tests durch, und wir können mit hoher Zuverlässigkeit die Inzidenz in den problematischsten Ländern feststellen.

(2)  https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2020-0166_DE.html

(3)  COM(2020) 550 final.

(4)  https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=tour_cap_nuts2&lang=de.

(5)  EPRS_ATA(2020)649368_EN.

(6)  TEN/710 — Europäisches Jahr der Schiene (2021) (ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 149).

(7)  Siehe Fußnote 6.

(8)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016DC0356&from=EN.

(9)  COM(2020) 550 final.

(10)  ABl. L 46 vom 17.2.2004, S. 1.


Top