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Document 52012AE2450

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen — COM(2012) 617 final — 2012/295 (COD)

ABl. C 133 vom 9.5.2013, p. 62–67 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

9.5.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 133/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen

COM(2012) 617 final — 2012/295 (COD)

2013/C 133/12

Berichterstatter: Krzysztof BALON

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 22. November 2012 bzw. am 19. November 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen

COM(2012) 617 final - 2012/295 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 25. Januar 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 487. Plenartagung am 13./14. Februar 2013 (Sitzung vom 14. Februar) mit 182 gegen 7 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet den Verordnungsvorschlag inhaltlich. Gleichzeitig ist er der Auffassung, dass die Finanzmittel, die für den neuen Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen zur Verfügung gestellt werden sollen, nicht ausreichen, um die angestrebten Ziele zu verwirklichen.

1.2

Da 24,2 % der Bevölkerung in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind und ein weiterer Anstieg dieser Zahl zu erwarten ist, fordert der EWSA eine bedarfsgerechte Mittelausstattung des Fonds. Die Haushaltsmittel für den neuen Fonds sollten den Zielen der Europa-2020-Strategie entsprechen, wonach die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen bis 2020 um mindestens 20 Mio. gesenkt werden soll. Keinesfalls dürfen die bereitgestellten Finanzmittel geringer ausfallen als jene, die bislang für materielle Hilfe zur Verfügung gestellt wurden.

1.3

Der EWSA befürchtet, dass die Kofinanzierung aus Mitteln der Mitgliedstaaten zu Schwierigkeiten bei der Durchführung der aus dem neuen Fonds finanzierten Programme führen könnte, und spricht sich daher für eine 100-prozentige Finanzierung aus dem EU-Haushalt aus, wie dies auch bei den in den letzten Jahren durchgeführten Programmen der materiellen Hilfe der Fall war.

1.4

Der EWSA befürwortet die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Vereinfachung der Verfahren und die Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Mitgliedstaaten und insbesondere die Partnerorganisationen. Er warnt in diesem Zusammenhang jedoch davor, dass die Mitgliedstaaten die komplizierten Verfahren aus dem Europäischen Sozialfonds übernehmen könnten.

1.5

Der EWSA begrüßt, dass Regelungen vorgesehen sind, die gewährleisteten sollen, dass die Partnerorganisationen über ausreichend Liquidität zur ordnungsgemäßen Durchführung der Maßnahmen verfügen, und dass im Rahmen des Fonds auch Mittel zur Deckung von Verwaltungs-, Transport- und Lagerkosten sowie für den Kapazitätenaufbau der Partnerorganisationen bereitgestellt werden.

1.6

Der EWSA spricht sich für die Schaffung einer EU-Plattform für den Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken aus. Zudem befürwortet er die Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft in die Überwachung und Evaluierung der operationellen Programme des neuen Fonds auf der Ebene der Mitgliedstaaten.

1.7

Gleichzeitig appelliert der EWSA angesichts der unterschiedlichen Lage in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten an deren Regierungen, den Stellenwert und den Aufgabenbereich des neuen Fonds gemeinsam mit den Organisationen der Zivilgesellschaft so zu definieren, dass dieser zu einem Instrument wird, das die anderen im Rahmen der nationalen Strategien und Pläne ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung - auch jene, die aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert werden – sinnvoll ergänzt.

1.8

Der EWSA unterstreicht, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Sozialpolitik auf das europäische Sozialmodell, sozialwissenschaftliche Standards und die Europa-2020-Strategie gründen. Damit sind als Zielstellung verbunden rechtlich abgesicherte Sozialleistungen, die Achtung vor der Zuständigkeitsordnung der EU, das Ziel der gesellschaftlichen Integration und der Solidarität innerhalb der Mitgliedstaaten und der EU. Verlässliche sozialstaatliche Strukturen und insbesondere die Zugänglichkeit sozialer Dienste sind vorzuhalten, um u.a. existentielle Notlagen nicht entstehen zu lassen. Eine Verfestigung von Armut und eine Stigmatisierung betroffener Menschen ist bei allen Arten von Hilfen zu vermeiden.

1.9

Aufgrund der in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlichen politischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, aber auch im Hinblick auf die eindeutig unzureichende Mittelausstattung des Fonds spricht sich der EWSA außerdem dafür aus, den einzelnen Mitgliedstaaten die Inanspruchnahme des Fonds freizustellen. Dies darf jedoch nicht zu einer Kürzung der Mittel des Europäischen Sozialfonds für jene Mitgliedstaaten führen, die den Fonds nicht nutzen.

2.   Hintergrund

2.1

Gegenstand dieser Stellungnahme sind das neue Bedürftigenhilfsprogramm der EU, nämlich der „Europäische Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen“, der das EU-Programm zur Abgabe von Nahrungsmitteln an Bedürftige ablöst, sowie die neue Regelung für die Abgabe von Nahrungsmitteln an Bedürftige im Zeitraum 2012-2013.

2.2

1987 wurden anlässlich der Einrichtung des Nahrungsmittelhilfe-Programms die Grundsätze für die Weitergabe von Lebensmitteln aus Interventionsbeständen an ausgewählte Organisationen zur Verteilung an die Bedürftigsten in der Europäischen Gemeinschaft festgelegt. Dieses Programm hat durch die Verringerung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der EU beigetragen.

2.3

Im Rahmen des Nahrungsmittelhilfe-Programms leisteten Organisationen der Zivilgesellschaft (akkreditierte Hilfsorganisationen) in den meisten EU-Mitgliedstaaten Nahrungsmittelhilfe an besonders Bedürftige. Diese Hilfe war vielfach von grundlegender Bedeutung für die weiteren Maßnahmen zur Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen und zudem ein sichtbares Zeichen der europäischen Solidarität.

2.4

Im Verlauf der Jahre (und insbesondere im Zusammenhang mit den sukzessiven EU-Erweiterungen) wurde die Finanzausstattung des Programms von 97 Mio. EUR im Jahr 1988 auf 500 Mio. EUR im Jahr 2009 erhöht. Bislang (2011) erhielten fast 19 Mio. der Bedürftigsten in Europa (1) Hilfe aus dem Nahrungsmittelhilfe-Programm.

2.5

Manche Mitgliedstaaten haben sich jedoch nicht am Nahrungsmittelhilfe-Programm beteiligt und dies mit fehlendem Bedarf bzw. der Nichtvereinbarkeit des Programms mit den nationalen Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung begründet. Ein Teil der Organisationen der Zivilgesellschaft in diesen Ländern weist auf den stigmatisierenden Charakter direkter materieller Hilfe hin und zieht finanzielle Unterstützung des Staates zur Deckung aller Grundbedürfnisse vor. In diesen Mitgliedstaaten gibt es jedoch auch Menschen bzw. Personengruppen, die aus unterschiedlichen Gründen mit finanzieller Unterstützung im Rahmen staatlicher Hilfssysteme nicht zu erreichen sind.

2.6

Das Nahrungsmittelhilfe-Programm war ungeachtet seiner sozialen Dimension ein Instrument der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, das durch die Nutzung der Interventionsbestände der Stabilisierung der Agrarmärkte diente. Aufgrund der folgenden GAP-Reformen verringerten sich die Interventionsbestände deutlich, so dass der Bedarf an Nahrungsmittelhilfe in den letzten Jahren damit nicht mehr gedeckt werden konnte. Deshalb wurde u.a. im Anschluss an Konsultationen mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft ein Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines auf Dauer angelegten Systems der Nahrungsmittelhilfe für die Bedürftigsten erarbeitet. Der Großteil der in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Änderungen, u.a. die schrittweise Einführung der Kofinanzierung, Dreijahrespläne für die Verteilung, die Festlegung prioritärer Maßnahmen der Mitgliedstaaten und die Aufstockung der Finanzmittel, erhielt im Rat jedoch nicht die erforderliche Mehrheit.

2.7

Am 13. April 2011 urteilte der Gerichtshof der Europäischen Union, dass an die Stelle der verringerten Interventionsbestände nicht regelmäßige Lebensmittelankäufe auf dem EU-Binnenmarkt treten dürfen. In der Folge forderte das Europäische Parlament (in seiner Entschließung vom 7. Juli 2011) die Europäische Kommission und den Rat auf, für die verbleibenden Jahre des derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmens eine Übergangslösung zu erarbeiten, um einen plötzlichen Einbruch der Nahrungsmittelhilfe zu vermeiden. Am 15. Februar 2012 wurde eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für die vorläufige Regelung der Abgabe von Nahrungsmitteln an Bedürftige in den Jahren 2012 und 2013 angenommen. Dieses Programm läuft mit Beendigung des Jahresplans 2013 (2) aus.

2.8

2011 waren 24,2 % der EU-Bevölkerung – etwa 120 Mio. Menschen – von Armut bzw. sozialer Ausgrenzung bedroht (2010 betrug dieser Wert 23,4 % und 2008 23,5 %) (3). Aufgrund der andauernden Wirtschafts- und Finanzkrise ist davon auszugehen, dass diese Zahlen in fast allen Mitgliedstaaten weiter ansteigen werden. Armut und soziale Ausgrenzung sind jedoch sehr komplexe Phänomene. Betroffen sind nicht nur Arbeitslose, sondern auch Erwerbstätige, die für ihre Arbeit kein ausreichendes Entgelt erhalten, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen.

2.9

In der Strategie Europa 2020 hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, die Anzahl der in Armut lebenden oder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen bis 2020 um mindestens 20 Mio. zu senken. 2010 wurde zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen. Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Wirtschaftskrise die Armut und soziale Ausgrenzung weiter verstärkt hat, was insbesondere dann die Erreichung dieses Ziels der Europa-2020-Strategie durch die einzelnen Mitgliedstaaten gefährden könnte, wenn eine entsprechende finanzielle Unterstützung von Seiten der Europäischen Union ausbleibt.

2.10

Die Frage der Hilfe für die Bedürftigsten wurde vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss mehrfach aufgegriffen und erörtert. Alleine im Jahr 2011 verabschiedete der EWSA zwei Stellungnahmen (4), in denen er auf die Notwendigkeit der Fortführung und des Ausbaus dieser Hilfe hingewiesen hat. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der im Rahmen der Europa-2020-Strategie festgelegten Ziele für die soziale Integration hat der EWSA alleine in seinen 2012 verabschiedeten Stellungnahmen verschiedene Aspekte der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung behandelt, darunter solche im Zusammenhang mit der Situation älterer und behinderter Menschen, den Gefahren für die psychische Gesundheit sowie der sozialen Landwirtschaft und dem sozialen Wohnbau (5).

2.11

Laut der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen hat jeder Mensch „das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen […]“ (6). Dies wird in den Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union zur Achtung der Menschenwürde aufgegriffen, u.a. in den Bestimmungen der EU-Grundrechtecharta zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Daseins für alle, die nicht über ausreichende Mittel verfügen (7). Einer der wichtigsten, auf den historischen Erfahrungen unseres Kontinents fußenden Grundsätze der europäischen Gesellschaft ist die Solidarität (8), die auch und vor allem für jene Bürgerinnen und Bürger der EU gelten sollte, die von extremer Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind.

3.   Wichtigste Aspekte des Vorschlags für eine Verordnung (Kommissionsdokument)

3.1

In dem Vorschlag für eine Verordnung, für den Artikel 175 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als Rechtsgrundlage herangezogen und in dem auf Artikel 174 AEUV verwiesen wird, wird der neue Europäische Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen im Gegensatz zum bisherigen Nahrungsmittelhilfe-Programm als Teil der Kohäsionspolitik gesehen. Dabei wird in dem Entwurf davon ausgegangen, dass das Ziel der Verordnung, also die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der EU und die Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung, von den Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maß erreicht werden kann und auf europäischer Ebene eine vollständigere Verwirklichung möglich ist. Aus diesem Grund kann die EU unter Einhaltung des in Artikel 5 des EU-Vertrags festgeschriebenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des ebendort verankerten Subsidiaritätsprinzips entsprechende Maßnahmen ergreifen (9).

3.2

Ziel des neuen Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen („des Fonds“) ist es, zur Erreichung der Europa-2020-Ziele im Bereich der Eindämmung der Armut beizutragen und somit eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der Union zu bewirken. Er soll durch die Befriedigung von Grundbedürfnissen zur Eindämmung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der EU beitragen. Im neuen Fonds, der teilweise auf den Erfahrungen mit dem Nahrungsmittelhilfe-Programm aufbaut, ist zudem vorgesehen, dass neben der Nahrungsmittelhilfe ein Teil der Mittel auch für andere Konsumgüter für Obdachlose und/ oder Kinder sowie für Begleitmaßnahmen zur Gewährleistung der sozialen Wiedereingliederung verwendet wird.

3.3

Zielgruppen des Fonds sind von Nahrungsmangel betroffene Personen, Obdachlose sowie materiell unterversorgte Kinder. Der Kreis der förderfähigen Personen sowie die Form der Unterstützung werden dabei im Einzelnen von den Mitgliedstaaten festgelegt.

3.4

Organisationen, die im Rahmen der aus dem Fonds finanzierten Hilfsprogramme Nahrungsmittel oder sonstige Güter direkt abgeben, sind verpflichtet, selbst Aktivitäten durchführen, die die Bereitstellung materieller Unterstützung ergänzen und auf die soziale Integration der am stärksten von Armut betroffenen Personen abzielen. Die Entscheidung, ob derartige flankierende Maßnahmen aus dem Fonds unterstützt werden, obliegt den Mitgliedstaaten.

3.5

Der Kofinanzierungssatz aus Mitteln des Fonds wurde für die operationellen Programme der einzelnen Mitgliedstaaten mit maximal 85 % der förderfähigen öffentlichen Ausgaben festgesetzt, wobei dies nicht für Mitgliedstaaten mit vorübergehenden Budgetproblemen gilt.

4.   Bemerkungen zum Kommissionsvorschlag

4.1   Dotierung des Fonds und Geltungsbereich

4.1.1

Der EWSA stellt mit großem Bedauern fest, dass die für den neuen Fonds vorgesehenen Finanzmittel bei weitem nicht ausreichen, um die angestrebten Ziele umzusetzen.

4.1.2

Beim Einkauf der Nahrungsmittel ist sicherzustellen, dass keine Wettbewerbsregeln verletzt werden und KMU sowie regionale, ökologisch sensible und sozial inklusive Anbieter ausreichend Berücksichtigung finden. Organisationen, welche die Lebensmittel verteilen, dürfen keine privaten Profitinteressen verfolgen.

4.1.3

Im mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014-2020 hat die Europäische Kommission nämlich für den Fonds Finanzmittel in Höhe von 2,5 Mrd. EUR vorgesehen, d.h. rund 360 Mio. EUR jährlich. Angesichts der laufenden Debatte über die endgültige Gestalt des EU-Haushalts besteht die Gefahr, dass diese Summe noch gekürzt wird. Dabei reichen bereits die im Rahmen des laufenden Programms für die Jahre 2012/2013 jährlich bereitgestellten Mittel in Höhe von 500 Mio. EUR nicht aus, um den auf ca. 680 Mio. EUR jährlich geschätzten Bedarf der Mitgliedstaaten (10) zur Gänze zu stillen. Angesichts eines eventuellen Anstiegs der Zahl der Mitgliedstaaten (derzeit 20) (11), die den Fonds ausschöpfen, sowie im Hinblick auf die Flexibilität der gewährten Unterstützung (Möglichkeit zur Verteilung anderer grundlegender Konsumgüter als Nahrungsmittel an Obdachlose oder Kinder) und die geplanten Maßnahmen zur sozialen Eingliederung ist davon auszugehen, dass der Bedarf die bisher zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel deutlich übersteigen wird. Es ist daher klar, dass die vorgeschlagene Mittelausstattung nicht dem Bedarf entspricht, der gedeckt werden soll. Darüber hinaus ist es schwer zu akzeptieren, dass die Mittel für materielle Hilfe um mindestens 28 % (im Vergleich zum Programm 2012-2013) gekürzt werden sollen, obwohl der EU-Haushalt 2014-2020 auf dem bisherigen Niveau gehalten bzw. nur leicht gekürzt werden soll.

4.1.4

Die Kommission geht davon aus, dass dank der Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten und der von den Partnerorganisationen erbrachten Sachleistungen insgesamt etwa 4 Mio. Menschen direkte Unterstützung aus dem Fonds erhalten (12). Selbst wenn man davon ausgeht, dass dieses Ziel voll erreicht wird, ist fraglich, ob der Fonds die Verwirklichung der Ziele der Europa-2020-Strategie (Senkung der Zahl der von Armut betroffenen Personen in der EU um mindestens 20 Mio.) ermöglichen wird. Der EWSA dringt daher darauf, die materielle Hilfe und insbesondere die Nahrungsmittelhilfe in Europa als wichtige Priorität für die EU zu definieren und den Fonds mit Mitteln auszustatten, die dem bestehenden Bedarf entsprechen.

4.1.5

Der EWSA weist in diesem Zusammenhang auf den Standpunkt des Ausschusses der Regionen hin, der im Hinblick auf das Hilfsprogramm für 2012-13 „[…] die Kommission auf[fordert], fortlaufend zu prüfen, ob die für den Programmzeitraum gesetzte Jahresgesamtobergrenze von 500 Mio. EUR ausreicht, führt doch die Wirtschaftskrise möglicherweise zu stärkeren Sparzwängen bei den öffentlichen Ausgaben und zu wirtschaftlicher Unsicherheit durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern“ (13).

4.1.6

Zudem spricht sich der EWSA für eine 100-prozentige Finanzierung des Fonds aus dem EU-Haushalt aus, wie dies auch bei den Nahrungsmittelhilfe-Programmen in den vergangenen Jahren der Fall war. Nach Auffassung des EWSA kann die Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten nicht nur in den Mitgliedstaaten mit vorübergehenden Budgetproblemen (für die die Möglichkeit einer Aufstockung der Zahlung vorgesehen ist) (14) zu finanziellen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Programms führen.

4.1.7

Der EWSA befürwortet die Bestimmung des Verordnungsvorschlags, mit der die Möglichkeit eröffnet wird, Interventionsbestände zur Nahrungsmittelerzeugung zu nutzen, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass in nächster Zeit umfangreiche Bestände verfügbar sein werden (15). Angesichts der deutlich zu geringen Mittelausstattung des Fonds lehnt der EWSA jedoch eine Einberechnung des Werts der genutzten Interventionsbestände in die Dotierung des Fonds ab.

4.1.8

Im Hinblick auf die überaus knappe Mittelausstattung des Fonds und den Standpunkt mancher Mitgliedstaaten, die u.a. auf den fehlenden Bedarf bzw. die Unvereinbarkeit des Fonds mit ihren nationalen Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung hinweisen, spricht sich der EWSA dafür aus, die Möglichkeit einer optionalen (freiwilligen) Ausschöpfung des Fonds durch die einzelnen Mitgliedstaaten vorzusehen (was zudem höhere Mittelzuweisungen aus dem Fonds an jene Mitgliedstaaten ermöglichen würde, die den Fonds in Anspruch nehmen würden).

4.2   Zielgruppen des Fonds und Art der Hilfe

4.2.1

Der EWSA weist darauf hin, dass in allen drei im Kommissionsvorschlag genannten Bereichen – Nahrungsmangel, Obdachlosigkeit und materielle Unterversorgung von Kindern – Hilfe geleistet werden sollte, aber auch für Gruppen bzw. Personen, die aus besonderen, darunter auch aus historischen Gründen, von sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Diese Hilfe sollte vornehmlich in Form von Nahrungsmittelhilfe geleistet werden. Der Zugang zu Nahrungsmitteln ist nämlich der erste Schritt auf dem Weg zur sozialen Eingliederung bzw. zur Wiedereingliederung sozial ausgegrenzter Personen. Angesichts der unterschiedlichen Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten spricht sich der EWSA dafür aus, die Festlegung der Art der Hilfe für die einzelnen Zielgruppen ganz den Mitgliedstaaten zu überlassen.

4.2.2

Außerdem spricht sich der EWSA dagegen aus, die Organisationen, die Nahrungsmittel bzw. andere Güter direkt an die Bedürftigen verteilen, zur Ergreifung von Maßnahmen zu verpflichten, die die materielle Hilfe ergänzen sollen, wenn diese Maßnahmen nicht aus dem im Rahmen des Fonds von den Mitgliedstaaten durchgeführten operationellen Programm gefördert werden (16).

4.3   Durchführung des Fonds

4.3.1

Der EWSA schließt sich dem Standpunkt der Europäischen Kommission bezüglich der Vereinfachung der Verfahren und der Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Mitgliedstaaten und insbesondere die Partnerorganisationen an (17). Die effizienteren und vereinfachten Verfahren für die Erbringung von Hilfsleistungen sollten auf die einzelnen Ziele und Zielgruppen des Fonds zugeschnitten werden. In diesem Zusammenhang warnt der EWSA vor der Anwendung der Verfahren des Europäischen Sozialfonds (18). Diese sind in manchen Mitgliedstaaten nämlich kompliziert und könnten für die Partnerorganisationen schwer zu handhaben sein.

4.3.2

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Einrichtung einer EU-Plattform, deren Tätigkeit im Rahmen der technischen Hilfe finanziert würde. Der Austausch von Erfahrungen und bewährten Vorgehensweisen zwischen den EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern sowie anderen Organisationen der Zivilgesellschaft stellt einen zusätzlichen Nutzen dieses Fonds dar (19).

4.3.3

Der EWSA hält es für richtig, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, die operationellen Programme in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft zu erarbeiten (20). Der EWSA spricht sich zudem dafür aus, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, Monitoringausschüsse oder andere Gremien zur Überwachung und Bewertung der operationellen Programme unter Einbindung von Organisationen der Zivilgesellschaft und von Armut Betroffenen bzw. deren Vertretern einzurichten.

4.3.4

Für sinnvoll hält es der EWSA, dass im Fonds Mittel zur Deckung der Verwaltungskosten und der Kosten des Transports und der Lagerung der Nahrungsmittel und Konsumgüter sowie die Möglichkeit zur Finanzierung des Kapazitätenaufbaus der Partnerorganisationen vorgesehen sind (21). Dies ermöglicht eine wirksame Einbindung der Partnerorganisationen in die erfolgreiche Umsetzung der im Rahmen des Fonds durchgeführten Programme.

4.3.5

Schließlich begrüßt der EWSA die Bestimmungen zur Gewährleistung der für eine ordnungsgemäße Durchführung der Programme erforderlichen Liquidität der Partnerorganisationen (22).

Brüssel, den 14. Februar 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  „Main results of the distribution plan in the last years“ – AGRI C5, Treffen der Interessenträger am 5. Juli 2012, Brüssel, http://ec.europa.eu/agriculture/most-deprived-persons/meetings/05-07-2012/dg-agri-1_en.pdf, S. 9-10.

(2)  Verordnung (EU) Nr. 121/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Februar 2012.

(3)  Eurostat, Pressemitteilung 171/2012 vom 3. Dezember 2012.

(4)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 49-52 sowie ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 94-97.

(5)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 16-20, ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 28-35, ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 36-43, ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 44-48 sowie ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 53-58.

(6)  Artikel 25 Absatz 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UNO.

(7)  Siehe Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union sowie Artikel 34 Absatz 3 der Grundrechtecharta der Europäischen Union.

(8)  Siehe Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union.

(9)  Siehe Ziffern 3 und 42 der Präambel des Kommissionsdokuments.

(10)  European food aid programme for the most deprived persons in the EU – AGRI C.5, Treffen der Interessenträger am 5. Juli 2012, Brüssel, http://ec.europa.eu/agriculture/most-deprived-persons/meetings/05-07-2012/dg-agri-2_en.pdf, S. 12.

(11)  Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn.

(12)  MEMO/12/800 vom 24. Oktober 2012: „Armut: Kommission schlägt neuen europäischen Hilfsfond gegen Armut vor – häufig gestellte Fragen“, http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-12-800_de.htm.

(13)  ABl. C 104 vom 2.4.2011, S. 44-46, Ziffer 22 der Stellungnahme.

(14)  Siehe Artikel 18 sowie Artikel 19 des Kommissionsvorschlags.

(15)  Siehe Artikel 21 Absatz 3 des Kommissionsvorschlags.

(16)  Siehe Artikel 4 Absatz 2 und Artikel 7 Absatz 1 des Kommissionsvorschlags.

(17)  Siehe Artikel 23 des Kommissionsvorschlags.

(18)  Siehe Artikel 32 Absatz 4 des Kommissionsvorschlags.

(19)  Siehe Artikel 10 des Kommissionsvorschlags.

(20)  Siehe Artikel 7 Absatz 2 des Kommissionsvorschlags.

(21)  Siehe Artikel 24 Absatz 1c) sowie Artikel 25 Absatz 2 des Kommissionsvorschlags.

(22)  Siehe Artikel 39 und 41 des Kommissionsvorschlags.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten über ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 4.1.3

Ändern:

Die Kommission geht davon aus, dass dank der Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten und der von den Partnerorganisationen erbrachten Sachleistungen insgesamt etwa 4 Mio. Menschen direkte Unterstützung aus dem Fonds erhalten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dieses Ziel voll erreicht wird, ist fraglich, ob der Fonds die Verwirklichung der Ziele der Europa-2020-Strategie (Senkung der Zahl der von Armut betroffenen Personen in der EU um mindestens 20 Mio.) ermöglichen wird. Der EWSA dringt daher darauf, die materielle Hilfe und insbesondere die Nahrungsmittelhilfe in Europa als wichtige Priorität für die EU zu definieren und den Fonds mit Mitteln auszustatten, die dem bestehenden Bedarf entsprechen.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen

:

55

Nein-Stimmen

:

102

Enthaltungen

:

15

Ziffer 4.2.1

Ändern:

Der EWSA weist darauf hin, dass in allen drei im Kommissionsvorschlag genannten Bereichen – Nahrungsmangel, Obdachlosigkeit und materielle Unterversorgung von Kindern – Hilfe geleistet werden sollte, aber auch für Gruppen bzw. Personen, die aus besonderen, darunter auch aus historischen Gründen, von sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Diese Hilfe sollte vornehmlich in Form von Nahrungsmittelhilfe geleistet werden. Der Zugang zu Nahrungsmitteln ist nämlich der erste kann hier ein erster Schritt auf dem Weg zur sozialen Eingliederung bzw. zur Wiedereingliederung sozial ausgegrenzter Personen sein. Angesichts der unterschiedlichen Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten spricht sich der EWSA dafür aus, die Festlegung der Art der Hilfe für die einzelnen Zielgruppen ganz den Mitgliedstaaten zu überlassen.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen

:

54

Nein-Stimmen

:

108

Enthaltungen

:

21


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