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Document 52008AE1530

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die EU-Afrika-Strategie

ABl. C 77 vom 31.3.2009, p. 148–156 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

31.3.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 77/148


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die EU-Afrika-Strategie“

(2009/C 77/32)

Mit Schreiben vom 11. Juli 2007 ersuchte Kommissionsmitglied Louis MICHEL, zuständig für Entwicklung und humanitäre Hilfe, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema

„Die EU-Afrika-Strategie“.

Die mit den Vorarbeiten betraute Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 17. Juli 2008 an. Berichterstatter war Herr DANTIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 447. Plenartagung am 17./18. September 2008 (Sitzung vom 18. September) mit 89 Ja-Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

In unserem von der Globalisierung geprägten 21. Jahrhundert müssen die Beziehungen zwischen Europa und Afrika unter Berücksichtung der Lehren aus der Vergangenheit in beträchtlichem Maße weiterentwickelt werden, wobei das Ziel vor allem eine Partnerschaft mit gleichen Rechten und Pflichten ist. Tatsächlich ist nach Jahrzehnten der Entwicklungszusammenarbeit und –hilfe eine weitere Verschärfung und Ausbreitung des Armutsproblems in Afrika festzustellen: Die Früchte eines falsch ausgerichteten und wenig beschäftigungsfördernden Wachstums sind ungleich verteilt, was die Ungleichheiten weiter verstärkt; mehr als 55 % der südlich der Sahara lebenden Afrikaner müssen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen; fast 70 % aller Erwerbsquellen sind informelle Beschäftigungsverhältnisse, die nicht mehr als das Überleben sichern, davon mehr als 57 % in der Landwirtschaft. Dies zeigt, dass ein dramatischer Mangel an menschenwürdigen und produktiven Arbeitsplätzen herrscht.

1.2

Was letzten Endes auf dem Spiel steht, ist die Entwicklung und Stabilisierung des afrikanischen Kontinents, aber auch die Sicherheit des europäischen Kontinents und seine Fähigkeit zur Erzielung eines auf Dauer nachhaltigen Wachstums.

1.3

Mit der bisher in Anwendung der verschiedenen Abkommen (Lomé, Yaoundé, Cotonou) betriebenen Entwicklungspolitik der Europäischen Union und den dafür bereitgestellten Finanzmitteln sind die gewünschten Ergebnisse vor allem in Bezug auf die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze nicht erreicht worden. Angesichts dieser Feststellung und der Tatsache, dass sich an der derzeitigen Lage etwas ändern muss und die Karten neu gemischt werden müssen, begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) den Erfolg des EU/Afrika-Gipfels, der am 8./9. Dezember 2007 in Lissabon stattfand.

1.3.1

Besonders begrüßt der Ausschuss, dass die Frage der Beschäftigung als Querschnittsthema berücksichtigt wurde.

1.4

Nach Auffassung des EWSA spielt die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze eine zentrale Rolle bei der Verringerung der Ungleichheiten und der Armut sowie bei der sozialen Integration und beim Aufbau menschenwürdiger Lebensbedingungen, die eine notwendige Voraussetzung sind, um Extremismus und Konflikte zurückzudrängen und somit für die erforderliche Stabilität der Staaten zu sorgen.

1.5

Mit Blick auf die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen hält es der Ausschuss für notwendig, speziell auf dieses Kernthema ausgerichtete Maßnahmen einzuleiten und sich dabei von den im Folgenden dargelegten Parametern leiten zu lassen. Diese sind zwar an sich unterschiedlicher Art, weisen jedoch aufgrund hoher Synergieeffekte Verbindungen und somit Wechselwirkungen auf, so dass sie sich in der Summe zu einem politischen Vorgehen zusammenfügen.

1.5.1

Ein Wachstum, das im Wesentlichen auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen beruht, schafft nur wenige Arbeitsplätze. Daher muss eine Neuausrichtung des Wachstums auf Erzeugnisse der Erstverarbeitung oder Fertigerzeugnisse stattfinden. Eben dieses Ziel muss mit den Investitionen verfolgt werden, indem sie sich auf Bereiche konzentrieren, die diesbezüglich eine hohe Wertschöpfung erwarten lassen.

1.5.2

Dem Privatsektorund somit auch den KMUkommt eine zentrale Bedeutung zu. Die EU muss die Entwicklung der KMU zu einem Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik machen.

1.5.3

Die gegenwärtige Verteuerung der Rohstoffe ist ein weiterer Faktor, der dazu führen muss, den Agrarsektor zur strategischen Priorität der Entwicklungspolitik zu machen. Da bedeutende Gebietsteile landwirtschaftlich genutzt werden und ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist, muss dieser Bereich einen Beitrag zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, zur Entwicklung einer verarbeitenden Industrie und damit zur Eindämmung der Landflucht leisten.

Es gilt, eine kurz-, mittel- und langfristig angelegte Agrarpolitik zu konzipieren und dabei auch dafür Sorge zu tragen, dass vorrangig Mittel für ihre tatsächliche Umsetzung bereitgestellt werden. An der Gestaltung dieser Politik müssen die landwirtschaftlichen Organisationen mitwirken.

1.5.4

Die Entwicklung der Humanressourcen ist ein unumgänglicher Faktor einer jeden Entwicklungsstrategie. Daher ist es angezeigt, den Bedarf an Arbeitsplätzen und den Arbeitsmarkt zu analysieren, Prognosen zu erstellen und bereits im Vorfeld die Hauptaufgaben zu bestimmen, die sich bei der Abstimmung des Ausbildungsangebots auf die Arbeitsplätze stellen.

1.5.5

Zwar ist die regionale und subregionale Wirtschaftsintegration erheblich vorangeschritten, doch ist das Handelspotenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Insbesondere müssen die Maßnahmen zur Harmonisierung der Zollverfahren aufeinander abgestimmt, Infrastrukturen entwickelt, der freie Personenverkehr gewährleistet werden usw. Vor diesem Hintergrund bedauert der Ausschuss, dass die regionalen Verhandlungen über den Abschluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die auch eine regionale Integration zum Ziel haben, bislang nicht zu Ende geführt werden konnten.

1.5.6

Begleitend und unterstützend zu einer jeden Entwicklungspolitik muss ein sozialer Dialog geführt werden, und zwar insbesondere im Rahmen der Aushandlung von Tarifverträgen. Daher sollten starke und unabhängige Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf- bzw. ausgebaut werden.

1.5.7

Die Einbindung nichtstaatlicher Akteure ist untrennbar mit der Beschäftigungsentwicklung verbunden und muss im Mittelpunkt der gemeinsamen EU-Afrika-Strategie stehen. Daher müssen diese Akteure an der Konzipierung und Umsetzung der nationalen und regionalen Richtprogramme beteiligt werden.

1.5.8

Eine verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung (Good Governance) ist eine Vorbedingung für das Vertrauen von Investoren. So gesehen ist sie von wesentlicher Bedeutung für die Beschäftigung und muss insbesondere mit Blick auf die Wahrung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte (gewerkschaftliche Rechte, Arbeitsnormen, Korruptionsbekämpfung u.a.) in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. In Bezug auf diesen letzten Punkt müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Finanzhilfen davon abhängig machen, dass der Verwendungszweck dieser Mittel rückverfolgbar sein muss.

2.   Einführung

2.1

Mit Schreiben vom 11. Juli 2007 ersuchte Kommissionsmitglied Louis MICHEL, zuständig für Entwicklung und humanitäre Hilfe, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme über einige Fragen, die sich aus der Mitteilung „Von Kairo nach Lissabon — die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Afrika“ ergeben, insbesondere über die Frage, wie das Beschäftigungsdefizit in Afrika abgebaut werden kann.

2.2

Der EWSA begrüßt dieses Ersuchen, das, ohne die seit Jahrzehnten in Afrika geführte Entwicklungspolitik zu ignorieren, auf die Prüfung der Frage gerichtet ist, welcher Zukunftsentwurf insbesondere mit den in der Erklärung „Die strategische Partnerschaft“ enthaltenen Beschlüssen des EU-Afrika-Gipfels sowie dem beigefügten und für ihre Umsetzung vorgesehenen „Ersten Aktionsplan“ (2008-2010) verfolgt wird.

2.3

Indem die Kommission den Ausschuss mit dem Thema Beschäftigung befasst, zeigt sie einerseits, dass sie dieses Thema zu einem wesentlichen Ziel ihrer Entwicklungspolitik gemacht hat, und erkennt andererseits auch den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren bei der Beseitigung der Armut durch Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze eine Rolle zu. Der EWSA nimmt dies mit Befriedigung zur Kenntnis.

Nach einem kurzen Blick auf die Politik der Vergangenheit und deren Ergebnisse sowie einer Betrachtung der heutigen Situation Afrikas und der künftigen Politik sollen in dieser Stellungnahme die Maßnahmen herausgestellt werden, die nach Meinung des Ausschusses für die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze unerlässlich sind. Diese Untersuchung erfolgt vor dem Hintergrund der Leitlinien und des Aktionsplans, die auf dem EU-Afrika-Gipfel vom 8./9. Dezember 2007 in Lissabon verabschiedet wurden. Dabei stützt sich der EWSA insbesondere auf seine früheren Arbeiten zur Entwicklung in Afrika (1).

3.   Allgemeine Betrachtungen

3.1

Der afrikanische Kontinent ist durch eine große Vielfalt gekennzeichnet. Er besteht aus Staaten, die in Bezug auf Geschichte, Kultur, Ethnien, natürliche Ressourcen (Erze, Erdöl, Diamanten usw.), Klima sowie Demokratie, verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung und Achtung der Menschenrechte usw. zum Teil sehr unterschiedlich sind, woraus sich Unterschiede im wirtschaftlichen und sozialen Niveau ergeben. Es ist also heikel, den Kontinent als etwas Globales und Monolithisches begreifen und betrachten zu wollen. Dennoch gibt es gewisse gemeinsame Merkmale, darunter in erster Linie die Beziehungen zu Europa, wie sie in vergangenen Zeiten bestanden oder künftig bestehen werden oder aber aus einer gemeinsamen Geschichte herrühren, aus der im Rahmen einer ebenfalls gemeinsamen Dynamik des Wandels eine gemeinsame Zukunft entstehen kann.

3.2

Vor dem Hintergrund der globalisierten Welt dieses neuen Jahrhunderts muss die Lektion der Vergangenheit gelernt und das Verhältnis zwischen Europa und Afrika in beträchtlichem Maße weiterentwickelt werden. Es muss sich auf das Bewusstsein gründen, dass eine gemeinsame Zukunft errichtet werden muss, die eher auf den gemeinsamen Herausforderungen und Gefahren und der Logik beiderseitiger Interessen als auf zeitweilig geteilter Geschichte, auf Mitgefühl oder Treuegefühl beruht, auch wenn dies einige Partner auf beiden Kontinenten mit ihren Widersprüchen konfrontiert.

3.3

Es geht um enorm viel. Fünfzehn Kilometer vom europäischen Boden entfernt beherbergt der afrikanische Kontinent auf seinem Territorium alle „großen Gefahren“ der heutigen Welt, nämlich u.a. unkontrollierte Migration, Ausbruch von Epidemien, Klima- und Umweltkatastrophen, terroristische Bedrohung. Aber es ist auch der Kontinent mit dem bedeutendsten Potenzial, ob nun an natürlichen Ressourcen oder einer sich abzeichnenden Konsum- und Investitionsnachfrage.

3.4

Zwar wird die Europäische Union der erste Wirtschaftspartner Afrikas und der größte Geber bleiben. Dieses historische Monopol wird jedoch jetzt durch die Offensive der „Geldgeber aus den Schwellenländern“ durchbrochen, hier an erster Stelle China, aber auch aus Indien, den großen Staaten Lateinamerikas, den Golfmonarchien und sogar dem Iran, sowie durch die Rückkehr der USA, die sowohl auf die Sicherheit ihrer Energieversorgung bedacht sind, als auch die terroristische Bedrohung abwenden, das Feld der Verteidigung der christlichen Werte und der Demokratie erweitern und der für sie beunruhigenden chinesischen „Unterwanderung“ entgegentreten wollen (2).

3.5

Es steht jedoch außer Zweifel, dass die Sicherheit des europäischen Kontinents wie auch seine Fähigkeit, ein beständiges Wachstum zu gewährleisten, künftig eng und unmittelbar mit der Entwicklung und Stabilisierung des afrikanischen Kontinents verbunden sein wird. Europa kann nicht auf mittlere oder lange Sicht eine Insel des Wohlstands sein, wenn in fünfzehn Kilometern Entfernung ein Kontinent liegt, dessen Hauptmerkmal das Elend ist. Hier geht es um die dauerhafte Entwicklung der Europäischen Union, die zur Kenntnis nehmen muss, dass Afrika von nun an „ihre Grenze“ ist.

3.6

„Charakteristisch für die Afrika-Strategie Europas war lange Zeit eine asymmetrische Geber-Empfänger-Beziehung, die zudem durch ein in ideologischer Hinsicht falsches gutes Gewissen und eine einseitige Betrachtungsweise unserer Interessen verstärkt wurde. Diese archaische und unrealistische Betrachtungsweise war extrem schädlich. Deshalb muss es einen Neubeginn geben, um einem neuen Verständnis von Partnerschaft Platz zu machen, in der die Partner gleiche Rechte und Pflichten haben sowie gemeinsame Interessen teilen, und die sich auf Parameter wie nachhaltige Entwicklung, verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung im wirtschaftlichen, steuerlichen und sozialen Bereich, Technologietransfer usw. stützt […]“ (3).

3.6.1

Die auf einer asymmetrischen Beziehung zwischen „Geber und Empfänger“ bzw. „Kapitalgeber und Begünstigtem“ beruhende Strategie, die sich vor allem im Inhalt der verschiedenen Abkommen konkretisiert, mit denen die Beziehungen zwischen der EU und Afrika geregelt wurden oder werden, ist angesichts der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Lage Afrikas als „Fehlschlag“  (4) zu bezeichnen. Dieser Zustand muss geändert werden.

Die bisherige Strategie hat die afrikanischen Staaten in eine — insbesondere finanzielle — Abhängigkeit geraten lassen und ist für die Dynamik, die sie für einen positiven Eintritt in die Weltwirtschaft benötigen, eine Belastung.

3.6.1.1

Die von der Europäischen Union, zahlreichen Mitgliedstaaten (oftmals ehemaligen Kolonialmächten) und internationalen Institutionen wie der Weltbank jahrzehntelang praktizierte Entwicklungshilfe hat die extreme Armut in Afrika nur verschärft und vertieft.

3.6.1.2

Während sich Schwellenländer oder -regionen wie China, Indien, Südostasien und Brasilien zu Wirtschaftsmächten entwickeln und ihren Platz im Welthandel finden, kommt Afrika bis auf wenige Ausnahmen nicht von der Stelle.

3.6.1.3

Warum ist nicht Afrika, sondern ein Land wie Südkorea, das noch vor wenigen Jahren „vom Reis und für den Reis“ lebte, zu einem der weltweit führenden Staaten in den Bereichen Elektronik, Schiffbau, IT-Dienstleistungen und Automobilbau aufgestiegen?

3.6.1.4

Auch wenn die Europäische Union weltweit immer noch der größte Importeur afrikanischer Erzeugnisse bleibt, ist das Volumen der Exporte aus den afrikanischen Ländern in die EU trotz fast 25 Jahren asymmetrischer Zölle um mehr als die Hälfte zurückgegangen und machte, nachdem es 1975 bei 8 % lag, im Jahre 2000 nur noch 2,8 % des Welthandelsvolumens aus. Diese Zollbegünstigung war nicht ausreichend. Durch die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der afrikanischen Produkte sind die Ausfuhren Afrikas für den europäischen Markt tief ins Defizit gesunken.

3.6.1.5

Die Früchte des Wachstums, insbesondere aus der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, sind ungleich verteilt und vertiefen die Ungleichheit, indem sie die Armen so arm wie zuvor oder noch ärmer und die Reichen noch reicher werden lassen. Dies alles ist weit entfernt von einer verantwortungsvollen und ethisch orientierten Wirtschaftsführung. Zahlreiche afrikanische Politiker prangern diese Situation an:

„Die in den Herkunftsländern illegal erworbenen und auf ausländischen Banken liegenden Gelder müssen zurückgeführt werden (5).“

„Unsere Krankheit heißt verantwortungslose Regierungs- und Verwaltungsführung, manche Länder sind ärmer als vor der Ausbeutung der Erdöl- und Diamantenvorkommen ... Es gibt Länder, in denen die Vermögen der Staatsführer höher sind als die Schulden des Landes! Das Übel kommt nicht von außen, sondern von uns selbst (6).“

4.   Von Kairo nach Lissabon: eine neue Strategie Afrika — Europäische Union

4.1

Die bislang verfolgte Politik und die dafür aufgewendeten Finanzmittel haben namentlich bei der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze nicht immer die gewünschten Ergebnisse gebracht. Davon ausgehend und weil Änderungen unabdingbar sind, begrüßt der Ausschuss den Erfolg des Lissabon-Gipfels vom 8. und 9. Dezember 2007. Er begrüßt den politischen Willen, durch den es möglich geworden ist, die Zusammenarbeit und damit auch die Handelsbeziehungen und die politischen Beziehungen zwischen beiden Kontinenten auszubauen bzw. ihnen eine neue Orientierung zu geben.

4.2

Sieben Jahre nach dem Gipfel von Kairo hat das Lissabonner Gipfeltreffen den Grundstein für eine neue strategische Partnerschaft zwischen Afrika und der Europäischen Union gelegt, die die Partner „auf Augenhöhe“ vereint, auf gemeinsamen Werten, Grundsätzen und Interessen beruht und sich allen globalen Herausforderungen auf der internationalen Bühne stellt: Frieden und Sicherheit, Regierungs- und Verwaltungsführung sowie Menschenrechte, Migration, Energie und Klimawandel, Handel, Infrastruktur und Entwicklung.

4.3

Das Besondere und Neue an dieser Strategie besteht neben ihrem Inhalt darin, dass es außer der Erklärung auch eine operative Phase und acht Pläne für vorrangige Maßnahmen (siehe ANHANG I dieser Stellungnahme), also eine Art „Fahrplan“ bzw. Arbeitsplan geben wird, mit dem die von beiden Kontinenten festgelegten strategischen Entscheidungen und Prioritäten in eine konkrete Form gebracht werden sollen. Die Fortschritte bei der Umsetzung dieser acht Pläne, die nach dem Vorbild des Cotonou-Abkommens äußerst ehrgeizig sind, werden auf dem nächsten Gipfel im Jahre 2012 bewertet.

4.4

Der Ausschuss wertet es als positiv, dass für die sicherlich bedeutenden Grundsatzerklärungen ein Arbeitsrahmen gefunden wurde, der die operative und konkrete Umsetzung der Erklärungen gestattet. Dadurch wird es vor allem möglich, schon 2010 eine Bewertung der Umsetzung vorzunehmen.

4.5

Der EWSA unterstreicht, dass jede der acht durch Aktionspläne konkretisierten Partnerschaften zur Entwicklung menschenwürdiger Beschäftigung beitragen kann, sobald diese politische Entscheidung getroffen wurde und den Plänen spezifische Beschäftigungsprogramme hinzugefügt werden (siehe Ziffer 7).

4.6

Neben den schriftlichen Erklärungen konnte der auf diesem Gipfel von beiden Seiten demonstrierte gute Wille jedoch nicht über gewisse Schwierigkeiten und Klippen hinwegtäuschen, die von einigen afrikanischen Vertretern angeprangert werden. Sie lassen erkennen, dass mit einer neuen Strategie, wie innovativ sie für die Schaffung einer ausgewogenen Partnerschaft auch sein mag, das heute immer noch als Beziehung von Beherrschern und Beherrschten empfundene Verhältnis nicht so schnell zu überwinden sein wird:

So wird Kritik geübt an der Bürokratie der EU, denn „mit China ist es ganz einfach, die benötigten Traktoren sofort zu erhalten …“

Von der EU wird verlangt, Afrika für die Kolonialherrschaft und den Raub an seinen Gütern entweder Entschädigung zu leisten oder die afrikanischen Migranten aufzunehmen.

Es wird bezweifelt, dass die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) im Geist einer wirklichen Partnerschaft geschlossen werden können.

Es wird auf die sehr gegensätzlichen Haltungen zur Krise in Simbabwe verwiesen.

Für beide Seiten scheint der Weg zur Wiederherstellung des Vertrauens noch lang und voller Fallstricke zu sein.

4.6.1

Angesichts dessen ist der EWSA der Meinung, dass es im Rahmen einer ausgewogenen Partnerschaft in erster Linie bei den afrikanischen Regierungen selbst liegt, die Verantwortung für verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung und die Korruptionsbekämpfung zu übernehmen und die direkten bzw. ausländischen Investitionen zur Bekämpfung der Armut in ihren Ländern einzusetzen. Diese Übernahme von Verantwortung, die ihre Souveränität stärken wird, ist der einzige Weg zu einer erneuerten Partnerschaft. Deshalb ist der Grundsatz eines Beitritts zu dieser ausgewogenen Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Afrika von entscheidender Bedeutung und kommt bei einer Entwicklung in Richtung der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze voll zum Tragen.

4.7

Der EWSA nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, welcher Platz der Zivilgesellschaft in institutioneller Hinsicht (Beziehungen zwischen dem EWSA der EU und dem ECOSOC der AU) (7), aber auch allen nichtstaatlichen Akteuren, die die organisierte Zivilgesellschaft vertreten, eingeräumt wird (8). Damit der bekundete Wille Gestalt annimmt und sich in Taten niederschlägt, müssen die Schwierigkeiten, die es bei der Umsetzung des Abkommens von Cotonou gegeben hat, überwunden werden. Andernfalls droht ein Scheitern.

Insgesamt billigt der Ausschuss die Fortschrittsorientierung der EU-Afrika-Strategie für den Kontinent als Ganzes.

5.   Menschenwürdige Arbeit als unumgängliches Ziel einer effizienten EU-Afrika-Strategie

5.1

In Ziffer 55 der EU-Afrika-Strategie heißt es: „Beschäftigungsfragen, insbesondere der Sozialschutz, der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und die Förderung menschenwürdiger Arbeit in Afrika, werden gemeinsam behandelt, wobei an erster Stelle die Schaffung produktiver Arbeitsplätze in der formellen Wirtschaft, die Verbesserung der schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen im Einklang mit der VN-Agenda für menschenwürdige Arbeit und die Integration der informellen Wirtschaft in die formelle Wirtschaft zu stehen haben.“

5.2

Der Ausschuss begrüßt, dass die Frage der menschenwürdigen Beschäftigung formalen Eingang in die EU-Afrika-Strategie gefunden hat, denn ihre Entwicklung ist seiner Ansicht nach quantitativ wie qualitativ der Dreh- und Angelpunkt für die Verringerung von Armut und Ungleichheit, für soziale Integration als notwendige Voraussetzung der Zurückdrängung von Extremismus und Konflikten und für die Stabilität der Staaten.

6.   Die Beschäftigungssituation in Afrika

Der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung ist hoch (68,6 %). Bei gleichfalls hoher Arbeitslosenquote (10,3 %) ist der Mangel an menschenwürdiger und produktiver Beschäftigung das schwerwiegendste Problem: 46,2 % der Bevölkerung, davon 55,4 % im südlich der Sahara liegenden Afrika, leben von weniger als 1 Dollar pro Tag. Anders gesagt, ein wesentlicher Teil der Erwerbsbevölkerung arbeitet für seinen Lebensunterhalt in der informellen Wirtschaft. Das sind 68 % der Gesamtbeschäftigung, davon wiederum 57,2 % in der Primärlandwirtschaft, in der zu einem erheblichen Teil Jugendliche und Frauen arbeiten. Letztere spielen, da sie im Mittelpunkt der Wirtschafts- und Familiengemeinschaft stehen und somit die Grundlage des Wirtschafts- und Sozialgefüges Afrikas verkörpern, eine bestimmende Rolle (siehe ANHANG II dieser Stellungnahme).

7.   Menschenwürdige und produktive Arbeitsplätze schaffen

Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen liegt die Priorität für Afrika in der Schaffung frei wählbarer, menschenwürdiger und produktiver Arbeitsplätze. Nur sie können wirksam zur Beseitigung der Armut, zu einem würdigen Leben und zur Umsetzung eines effizienten und für alle zugänglichen Systems des Sozialschutzes beitragen. Dabei ist auf allen Ebenen der Geschlechtergleichstellung wie auch der Jugend Rechnung zu tragen, die die Zukunft Afrikas und ein Pfeiler der Solidarität zwischen den Generationen ist.

Ohne produktive Arbeit ist es illusorisch, ein menschenwürdiges Lebensniveau sowie wirtschaftliche und soziale Entwicklung und Entfaltung des Individuums erreichen zu wollen. Diese Ziele werden vor allem über die Entwicklung der Humanressourcen und die Entwicklung der Unternehmen im Privatsektor verwirklicht. Damit diese Dynamik voll zur Geltung kommen kann, braucht sie einen günstigen Rahmen, der gekennzeichnet ist durch Demokratie, Rechtsstaat, verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung, Achtung der Menschenrechte und der sozialen Rechte usw.

Das Beschäftigungsproblem durchzieht die gesamte auf dem Lissabonner Gipfel verabschiedete EU-Afrika-Strategie. In diesem Kapitel soll diese zentrale Frage durch Analysen und Orientierungsvorschläge vertieft werden. Das geschieht im Nachdenken darüber, welche Hebel hauptsächlich zum Zielansatz beitragen können. Dieser Ansatz ist vor allem makroökonomischer Natur. Um jedoch eine Vorstellung von den jeweiligen Maßnahmen vermitteln zu können, sollten die verschiedenen Programme, die vor allem mit den Gebietskörperschaften und/oder lokalen Gruppierungen (Genossenschaften, Vereinigungen von Gemüsebauern, schulischen Einrichtungen, Gesundheitseinrichtungen usw.) durchgeführt werden und zur Entwicklung von Arbeitsplätzen beitragen, anhand einer Bestandsaufnahme der von den europäischen nichtstaatlichen Organisationen realisierten Entwicklungshilfemaßnahmen für Afrika veranschaulicht werden.

Darüber hinaus betont der Ausschuss mit Nachdruck, dass die Entwicklung Afrikas und damit die Schaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeitsplätze nicht ohne eine größere Stabilität der Staaten dieses Kontinents erreicht werden kann. Viele Länder sind jedoch nach wie vor in nicht enden wollende Konflikte verstrickt. In den letzten zehn Jahren haben Konflikte in Guinea, Liberia und Sierra Leone, Ländern mit reichen Vorkommen an natürlichen Ressourcen wie vor allem Diamanten und Holz, die Region in eine schwere Krise gestürzt, die zu großen Flüchtlingsströmen führte. Ganz zu schweigen von dem im Sudan wütenden Darfur-Konflikt, dem „vergessenen Krieg“ im Norden Ugandas, der anhaltenden Unsicherheit im Norden und Osten der Zentralafrikanischen Republik und der Instabilität im Kongo, um nur einige zu nennen. Vor diesem Hintergrund kommt der Europäischen Union und im weiteren Sinne der internationalen Gemeinschaft eine wichtige Rolle in dieser für die Zukunft des Kontinents bestimmenden Frage zu. Über die begangenen Gräueltaten hinaus, die niemand übersehen darf und hinnehmen kann, ist klar, dass Arbeitsplätze zur Stabilität der Staaten beitragen können, wie auch Instabilität die Entwicklung dieser Staaten und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert.

7.1   Für ein beschäftigungswirksames Wachstum

7.1.1

Für das Wirtschaftswachstum Afrikas war 2006 ein Glücksjahr mit einer Steigerungsrate von 6,3 % in Nordafrika und 4,8 % in den Ländern südlich der Sahara, wenn auch mit starken Unterschieden von Land zu Land.

7.1.2

Diese Zahlen sind beachtlich hoch, vor allem wenn man sie mit den Ergebnissen der Europäischen Union vergleicht. Angesichts der stagnierenden oder sogar sinkenden Produktivität, der schlecht platzierten Investitionen, einer geringen Wertschöpfung bei den meisten Industrie- oder Agrarprodukten, der Bevölkerungsexplosion und eines gewaltigen Defizits an menschenwürdigen Arbeitsplätzen wäre jedoch ein zweistelliges Wachstum erforderlich, um eine quantitative wie qualitative Verbesserung der Beschäftigungssituation zu erreichen. Schätzungen zufolge müsste das Wachstum bei mindestens 9 % liegen, wenn eine positive Entwicklung im Sinne der Millenium-Entwicklungsziele einsetzen sollte, die bedauerlicherweise keine beschäftigungspolitischen Zielsetzungen beinhalten.

7.1.3

Dieses Wachstum schafft wenig Arbeitsplätze, denn es hat nicht die richtigen Quellen und resultiert oft aus einer gesteigerten — und häufig unter kaum zumutbaren Arbeitsbedingungen bewerkstelligten — Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, deren Rentabilität namentlich in den Erdölstaaten aufgrund der gestiegenen Rohölpreise kürzlich nach oben geschnellt ist. Abgesehen von der Tatsache, dass diese Situation risikoreich ist, da sie von Preisschwankungen abhängt, entstehen dadurch keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Das trifft auch auf die anderen natürlichen Ressourcen zu, da sie allgemein unverarbeitet exportiert werden. Darüber hinaus konsumiert die Mittelschicht, die die Gewinne aus der wirtschaftlichen Neubelebung einfährt, üblicherweise importierte Güter. Dieser Konsum hat somit ebenfalls keine Auswirkungen auf die lokale Beschäftigung.

7.1.4

Die Gewinne aus der Ölförderung, von denen nicht immer bekannt ist, wo und wie sie verwendet werden, müssen in die Herstellung verarbeiteter Erzeugnisse mit hoher Wertschöpfung investiert werden, die zu einem Wachstum mit vielen Arbeitsplätzen führen. Dies betrifft auch die anderen natürlichen oder landwirtschaftlichen Ressourcen, die im Rahmen einer strukturierten, finanzierten und gezielten Agrarpolitik zur Entwicklung einer Agrar- und Nahrungsmittelindustrie beitragen können (siehe 7.4 und ANHANG IV dieser Stellungnahme).

7.1.5

Ein Wachstum, das ein Optimum an Arbeitsplätzen schafft, kann nicht das Ergebnis der reinen Gewinnung von Rohstoffen oder der traditionellen landwirtschaftlichen Massenproduktion (Zuckerrohr, Baumwolle, Bananen, Erdnüsse, Kakao) sein. Wachstum entsteht auch durch die Entwicklung einer Verarbeitungsindustrie, die Erzeugnisse mit hoher Wertschöpfung produziert, was langfristig das beste Mittel ist, um eine Verschlechterung der Handelsbedingungen zu verhindern, an der subregionalen, regionalen und auch Weltwirtschaft teilnehmen zu können und daraus die Mittel für den Eintritt in eine neue Entwicklungsphase zu erzielen.

7.2   Für eine Neuausrichtung der Investitionen im Sinne der Diversifizierung

So wie ohne Wachstum keine oder nur wenig Arbeitsplätze geschaffen werden, gibt es auch ohne hochwertige Investitionen kein Wachstum.

Allgemein gilt, dass eine erhebliche Wachstumsrate über mehrere Jahre hinweg (siehe 7.1.2.) nur erreicht werden kann, wenn das Investitionsniveau zwischen 22 % und 25 % des BIP beträgt. Das Investitionsniveau lag in den letzten Jahren jedoch nur bei 15 %. Eine solche Akkumulationsgeschwindigkeit lässt sich mit Investitionen aus zwei Quellen erzielen.

7.2.1   Endogene Investitionen

7.2.1.1

Investitionen müssen in erster Linie in Wirtschaftsbereiche fließen, die eine starke Wertschöpfung und (oder) eine hohe Produktionskapazität mit einem starken Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen erwarten lassen: Infrastruktur, nachhaltige Landwirtschaft und Entwicklung, Erhaltung der Umwelt, Kulturindustrie, Verkehr, Fischerei, Forstwirtschaft, IKT, Industrie (erste Verarbeitungsstufe und Fertigerzeugnisse). Investiert werden sollte auch in Bereiche, mit deren Hilfe ein geeigneter Rahmen geschaffen werden kann, um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Nötig ist ein Kreislauf: endogene Investitionen — Produktion — Handel — Gewinn, weitere endogene Investitionen usw.

7.2.1.2

Anders als es bei den ausländischen Direktinvestitionen der Fall ist, wird Afrika durch endogene Investitionen bzw. durch die Mobilisierung der inneren finanziellen Ressourcen in der Lage sein, selbst über die Prioritäten seiner Entwicklung zu bestimmen.

7.2.1.3

Wo lassen sich die Mittel für diese endogenen Investitionen finden?

Mobilisierung der enormen — sichtbaren oder verborgenen — Gewinne aus der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (Öl, Gas, Kohle, Diamanten, Holz, Mineralien: Chrom, Platin, Kobalt, Gold, Mangan, Kupfer, Eisen, Uran) (9). (Was geschieht heute mit ihnen? Und was geschieht zum Beispiel mit den Gewinnen aus dem Zucker, für den das Dreifache des Weltmarktpreises gezahlt wurde?);

die Einführung einer Mehrwertsteuer hat nur begrenzt und unvollständig zu einer Erhöhung der öffentlichen Einnahmen beigetragen; Verbesserungen sind möglich;

eine verbesserte Steuererhebung könnte die Steuereinnahmen in einigen Ländern verdoppeln;

die erheblichen Unterschiede im Verhältnis Steuereinnahmen/BIP (von 38 % in Algerien und Angola bis unter 10 % im Niger, Sudan und Tschad) zeigen, dass die Länder mit einer sehr geringen Quote ihre Einnahmen spürbar erhöhen können;

Überführung informeller Beschäftigung in die formelle Wirtschaft, wodurch sich die Steuerbemessungsgrundlage erweitert, die wiederum die Basis der Eigenmittel ansteigen lässt;

Insgesamt dürften diese Verbesserungen dazu beitragen, die Maßnahmen der staatlichen Politik sowohl quantitativ als auch qualitativ zu stärken.

die Geldüberweisungen der Migranten sind in einigen Ländern eine wichtige Quelle der Entwicklung (10). Im Jahr 2004 betrugen sie rund 16 Milliarden US-Dollar. Die erfassten und nicht erfassten Mittel dieser Art dürften eine größere Finanzquelle als die öffentliche Entwicklungshilfe und die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) darstellen. Dieses Kapital, das zu keiner Verschuldung führt und über das offizielle Bankensystem der afrikanischen Länder abgewickelt wird, könnte die Investitionskapazitäten erheblich beeinflussen — dazu müsste man allerdings von einem sicheren, glaubwürdigen und effizienten Bankensystem ausgehen; in diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig die Migration für die afrikanischen Länder ist. Aufgrund dieser Bedeutung ist es gerechtfertigt, intensive Gespräche zwischen der EU, den einzelnen Mitgliedstaaten und den betreffenden afrikanischen Ländern zu führen, wenn Änderungen in Bezug auf die Steuerung der Migrationsströme anstehen (11);

die Kapitalflucht entzieht den afrikanischen Ländern nach wie vor bedeutende Investitionsmittel. Der Betrag des abgewanderten Kapitals ist doppelt so hoch wie die gesamten Schulden des afrikanischen Kontinents  (12), was einige Experten Afrika als „Nettogläubiger“ des Restes der Welt bezeichnen lässt. Würden diese Ressourcen für produktive Investitionen eingesetzt, könnten Arbeitsplätze geschaffen und Einkommensmöglichkeiten für breite Schichten der Bevölkerung gesichert werden. Um das Ausbluten abzuwehren, könnten die Staaten nach dem Vorbild europäischer Länder eine vorübergehende Straffreiheit prüfen und so das Kapital wieder ins Land holen.

Mit diesen Perspektiven und mit der Realisierung der erforderlichen Reformen, namentlich in den Bereichen Haushalt und Finanzen, wäre Afrika in der Lage, deutlich mehr eigene Ressourcen für eine Finanzierung selbstgewählter produktiver Investitionen freizusetzen.

7.2.2   Ausländische Direktinvestitionen (ADI)

Die ausländischen Direktinvestitionen sind von tragender Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents. Richtig platziert spielen sie eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozess der Aufnahmeländer, denen damit sowohl Kapital wie auch Technologien zufließen und die Kompetenz, Know-how und Marktzugang erhalten, was zu einer effizienteren Ressourcennutzung beiträgt und die Produktivität steigert.

7.2.2.1

In den 1980er Jahren hatten sich die jährlichen ADI für Afrika im Vergleich zu den 1970er Jahren durchschnittlich verdoppelt und eine Höhe von 2,2 Milliarden US-Dollar erreicht. In den 1990er Jahren kam es zu einer deutlichen Steigerung auf 6,2 Milliarden US-Dollar und in den Jahren 2000-2003 auf 13,8 Milliarden US-Dollar. Dennoch liegt der Anteil dieses Kontinents an den weltweiten Investitionen, der Mitte der 1970er Jahre einen Spitzenwert von 6 % erreicht hatte, gegenwärtig gerade noch bei 2 % bis 3 %, und weniger als 9 % der für die Entwicklungsländer bestimmten Investitionen fließen nunmehr nach Afrika, nach dem einstigen Spitzenwert von 28 % im Jahre 1976.

7.2.2.2

Das Kennzeichen der nach Afrika fließenden ADI ist die Konzentration auf den Rohstoffbereich. Das erklärt auch die ungleiche Verteilung der ADI über den Kontinent, denn so erhielten 24 Länder Afrikas, die als abhängig von der Öl- und Erzgewinnung eingestuft werden, in den letzten zwei Jahrzehnten durchschnittlich drei Viertel aller Investitionen aus dem Ausland.

7.2.2.3

Erforderlich ist eine Umorientierung der ADI, insbesondere auf das verarbeitende Gewerbe, um auf der Grundlage von Technologietransfers eine breite Diversifizierung wettbewerbsfähiger Produktion zu sichern. Will Afrika diversifizierte und effiziente ADI anziehen, muss es sich weiter um die Schaffung effizienter und angemessener allgemeiner Rahmenbedingungen bemühen. Die ADI können nur dann präsent sein und einen Beitrag zur Entwicklung leisten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Qualität des Wirtschaftsgefüges und der Infrastruktureinrichtungen, Größe des betreffenden Marktes — daher die Bedeutung der regionalen Integration — Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte (siehe Abschnitt „Humanressourcen“), Stärkung und Stabilität des Staates und verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung. Um effizient zu sein, müssen die ADI darüber hinaus auf die Zukunft der nationalen Wirtschaft ausgerichtet sein und sich in den subregionalen, regionalen und weltweiten Rahmen einordnen. Das zu erreichen erfordert die Ausarbeitung einer echten nationalen Entwicklungsstrategie, wie das in den 1970er und 1980er Jahren in den Ländern Südostasiens der Fall war.

7.2.2.4

Die ADI sind jedoch nicht für jedes Problem eine Lösung, vor allem wenn es um verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte, Korruption und Kapitalflucht usw. geht. Vor diesem Hintergrund muss auf die bedeutenden chinesischen ADI der letzten Jahre hingewiesen werden, die sich namentlich infolge der erheblichen diplomatischen Anstrengungen erhöht haben, deren Höhepunkt der China-Afrika-Gipfel war. Die chinesischen ADI konzentrieren sich fast ausschließlich auf die mineralgewinnenden Industriezweige und sollen die notwendigen Rohstoffe für den Aufschwung der chinesischen Wirtschaft sichern.

7.2.2.5

Der chinesisch-afrikanische Handel hat sich in zehn Jahren verzwanzigfacht und ist von drei Milliarden US-Dollar im Jahr 1998 auf 55 Milliarden US-Dollar in 2006 gestiegen. Im Hinblick auf die afrikanischen Interessen wirft jedoch die chinesische Methode viele Fragen auf. Oft führt sie zu einer Stärkung von Regierungen, die sich nicht von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Beseitigung der Armut leiten lassen (13). Aus dieser Sicht ist der Darfur-Konflikt ebenso aufschlussreich wie die Haltung Chinas zu Simbabwe. Auch was die Entwicklung angeht, ist die Methode Chinas zweifelhaft. (siehe ANHANG III dieser Stellungnahme).

7.2.2.6

Die EU-Mitgliedstaaten sind, wenn es um Investitionen in Afrika geht, sehr präsent. Für den Ausbau dieser Präsenz gäbe es folgende Möglichkeiten:

spürbare Anreize für Unternehmen aus der EU, z.B. in Form von Steuervergünstigungen;

Nutzung der bestehenden Entwicklungsinstrumente, nachdem diese überarbeitet und gestärkt wurden. Stärkung der Leistungsfähigkeit und der Investitionsfazilität der EIB, um diese für den privaten Sektor nutzbar machen;

Schaffung einer angemessen finanzierten Investitionsfazilität bzw. einer Stelle für Investitionsgarantien, wie dies in Artikel 77 Absatz 4 des Cotonou-Abkommens vorgesehen ist.

7.3   Die KMU zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung machen

Der Privatsektor, seine Stärkung und Diversifizierung ist von zentraler Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und somit für die Verringerung der Armut.

In den meisten afrikanischen Ländern fehlt jedoch eine Art Bindeglied zwischen dem informellen Sektor und den Kleinstunternehmen einerseits, in denen es eher um soziales Überleben als um Wirtschaftsförderung im eigentlichen Sinne geht, und den Niederlassungen der großen ausländischen Unternehmen andererseits, die quasi autark arbeiten und wenig zur lokalen Wirtschaft beitragen.

Daher stellt sich die Frage nach einer Begünstigung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), die ein zusammenhängendes Wirtschaftsgefüge schaffen könnten, das zur Herausbildung des für die Entwicklung des Kontinents unerlässlichen privaten Sektors beiträgt.

Um die Entwicklung der KMU zu begünstigen, ist es vor allem erforderlich:

die regionale Integration zu vertiefen (siehe Ziffer 7.8.), um die Enge der lokalen Märkte zu überwinden;

schwerfällige Verwaltungsverfahren abzubauen, die Glaubwürdigkeit der Justiz zu erhöhen und die Infrastruktur, auch die immaterielle (Kommunikation), den Bedürfnissen anzupassen;

ihnen finanzielle Möglichkeiten (siehe Ziffer 7.2.1. „Endogene Investitionen“) für die Unternehmensgründung und -finanzierung zu eröffnen. Dazu ist es insbesondere notwendig, das Umfeld für die Geschäftstätigkeit zu verbessern, indem beispielsweise Markt- und Vermarktungshilfen zur Verfügung gestellt werden, ihnen zu helfen, die Anforderungen des formalen Finanzmarkts zu erfüllen, und das Finanzierungsangebot dadurch zu erweitern, dass in größerem Maße auf den nichtfinanziellen Privatsektor zurückgegriffen wird.

Die Europäische Union muss die Entwicklung der KMU zu einem Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik in Afrika machen. Über die Mitgliedstaaten und deren Unternehmen muss sie die Schaffung von KMU begünstigen und fördern, insbesondere: durch die Begünstigung von Investitionen durch steuerliche Anreize (Steuererstattungen, zinsbegünstigte Darlehen, Rolle der EIB u.Ä.);

durch systematischen Technologietransfer (Know-how, Wissensvermittlung), wodurch eventuell in der Folge Forschungs- und Entwicklungsprogramme angestoßen werden können. Jedes europäische Unternehmen, das einen Vertrag über die Lieferung beispielsweise von technischen Anlagen oder Industrieerzeugnissen unterzeichnet, sollte sich zu einem Transfer seiner Technologie verpflichten (Das funktioniert mit China in der Nukleartechnik, der Raumfahrt, warum nicht auch mit Afrika für Produkte einer niedrigeren Verarbeitungsstufe, selbst wenn der finanzielle Gewinn geringer ist?);

durch Spin-off-Unternehmen und die Schaffung von Gründerzentren, was dadurch begünstigt werden könnte, dass die Förderung des Unternehmergeistes in die berufliche Bildung einfließt;

durch die Entwicklung gemischter und gemeinsamer Unternehmen, in denen sowohl die afrikanische als auch die europäische Seite vertreten ist (Kapital, Arbeitskräfte, Unternehmensleitung).

7.4   Aufbau einer modernen und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft

Als wichtige Faktoren für die ländliche Entwicklung müssen die Landwirtschaft, die Fischerei und die Forstwirtschaft bei den strategischen Prioritäten für die Entwicklung Afrikas an erster Stelle stehen. Diese Bereiche bilden das Fundament der primären Entwicklung, und da sie für weite Gebietsteile von Bedeutung sind, tragen sie zur Strukturierung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens bei. Für die angestrebte Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ist dieser Bereich der Entwicklung unumgänglich, da er für die afrikanischen Ländern ein wesentlicher Teil ihrer Wirtschaft ist und zur Sesshaftigkeit der Bevölkerung beiträgt, zumal er ein großes Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen birgt. Angesichts des Stellenwerts der Landwirtschaft in Afrika — 57 % der Gesamterwerbsbevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig gegenüber 5 % in den Industrieländern — ist es verwunderlich, dass lediglich 1 % der Mittel aus dem 9. Europäischen Entwicklungsfonds für die Landwirtschaft vorgesehen wurden. Aus diesem Umstand ergibt sich ganz logisch der Gedanke, dass die Ausarbeitung der nationalen Richtprogramme unter Hinzuziehung der Zivilgesellschaft — insbesondere der Landwirte — erfolgen sollte. Zum Vergleich: Die Weltbank stellt 8 % ihrer Mittel für die Landwirtschaft zur Verfügung, sieht dies jedoch selbst als unzureichend an.

Da die Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe und somit für Nahrungsmittel auf den internationalen Märkten jüngst angestiegen sind, trifft es mehr denn je zu, dass eine progressive Entwicklung der Landwirtschaft nur über die Schaffung einer seriösen und strukturierten Agrarpolitik erreicht werden kann, die kurz-, mittel- und langfristig geplant wird. Diese Politik muss budgetäre und finanzielle Priorität im weiteren Sinne erhalten, an die spezifischen Bedingungen der verschiedenen Länder und des Kontinents angepasst werden und gleichzeitig einen regional ausgerichteten Ansatz einbeziehen.

Damit eine solche Politik so erfolgreich wie möglich Fuß fassen kann, muss sie unter Mitwirkung der afrikanischen landwirtschaftlichen Organisationen konzipiert und umgesetzt werden und insbesondere Schutzmechanismen beinhalten. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob es sinnvoll ist, dass Senegal Reis aus Asien importiert, obwohl entlang des Flusses leicht zu bewässernde Flächen zur Verfügung stehen, die derzeit nicht genutzt werden.

Eine rationelle Politik der Beschäftigungsförderung im Agrarsektor könnte vor allem auf den in ANHANG IV dieser Stellungnahme zusammengestellten Aspekten beruhen.

7.5   Die Humanressourcen als Herzstück einer Beschäftigungspolitik

Die Entwicklung der Humanressourcen ist ein unabdingbarer Faktor jeder Entwicklungsstrategie. Eine vorrangige Rolle in diesem Prozess kommt der allgemeinen und beruflichen Bildung zu, denn dieser Bereich gewährleistet eine gute Ausbildung flexibler und unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigungsfähigkeit anpassungsfähiger Arbeitskräfte. Die Planer der Humanressourcen müssen also in Abstimmung mit den Akteuren des wirtschaftlichen und sozialen Lebens den Beschäftigungsbedarf und den Arbeitsmarkt analysieren, mittel- und langfristige Prognosen anstellen und bereits im Vorfeld die Probleme und Hauptaufgaben erkennen, die mit dem Wechselverhältnis von Ausbildung und Beschäftigung verbunden sind. Aufschlussreich ist diesbezüglich allgemein das Beispiel der Schwellenländer bzw. der Länder, die wie Korea in jüngster Zeit Entwicklungsfortschritte erzielt haben.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen mithilfe ihrer Erfahrung im Bereich der beruflichen Bildung sowie gezielten und selektiven Finanzhilfen, deren Rückverfolgbarkeit gewährleistet sein muss, eine zentrale Rolle spielen. In diesem Sinne unterhält die EU eine Vielzahl von Bildungsprojekten, an denen afrikanische Studenten teilnehmen können. Dies ist wichtig, da die Entwicklung Afrikas von gut ausgebildeten Bürgerinnen und Bürgern abhängt.

Die verschiedenen Maßnahmen, mit denen die Humanressourcen in den Mittelpunkt der Beschäftigungsförderung gerückt werden könnten, sind in ANHANG V dieser Stellungnahme ausgeführt.

7.6   Die regionale Integration

Es besteht ein gewaltiges Potenzial für die Entwicklung des innerafrikanischen Handels und die Schaffung größerer Wirtschaftsräume — das ist allgemein anerkannt.

Zwar ist die regionale und subregionale Wirtschaftsintegration vor allem dank der Schaffung der Afrikanischen Union erheblich vorangeschritten, doch ist das Handelspotenzial bei weitem noch nicht voll ausgeschöpft. Dazu ist es erforderlich, die Maßnahmen zur Harmonisierung der Zollverfahren besser zu koordinieren, die tarifären und nichttarifären Hemmnisse abzubauen, durch erhöhte Investitionen in die regionale Infrastruktur das Verkehrs- und Kommunikationsnetz zu verbessern und namentlich durch Abschaffung der Visumspflicht den freien Personenverkehr zu gewährleisten. All dies sollte zur Gewährleistung der Gesamtkohärenz in eine Raumplanungspolitik eingebettet werden.

Die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas geschieht zuallererst und vor allem durch einen Ausbau seines Binnenmarktes, damit auf diese Weise ein endogenes Wachstum gewährleistet werden und sich der Kontinent stabilisieren und seinen Platz in der Weltwirtschaft finden kann. Regionale Integration und Entwicklung des Binnenmarktes sind der Ausgangspunkt, das Sprungbrett, das es Afrika erlaubt, sich in positivem Sinne dem Welthandel zu öffnen.

Vor diesem Hintergrund bedauert der Ausschuss, dass die regionalen Verhandlungen über den Abschluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die gerade eben auch eine wirtschaftliche Integration zum Ziel haben, bisher nicht zu Ende geführt werden konnten.

7.7   Der soziale Dialog

Der soziale Dialog ist notwendig und von zentraler Bedeutung für die Entwicklung menschenwürdiger und produktiver Arbeitsplätze. Deshalb muss er als fester Bestandteil in die Umsetzung der gemeinsamen Strategie aufgenommen werden. Die umfassende Beteiligung der Sozialpartner am wirtschaftlichen und sozialen Leben, insbesondere über die Aushandlung von Tarifverträgen, entspricht nicht nur den Anforderungen der Demokratie, sondern ist auch eine Quelle der sozialen Entwicklung, des sozialen Friedens und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Der soziale Dialog ist das vorrangige Instrument, mit dessen Hilfe jener sozioökonomische Konsens erreicht werden kann, der die Entwicklung trägt. Es kann keine optimale Wirtschaftsentwicklung geben, wenn sich nicht parallel dazu auch eine soziale Entwicklung vollzieht. Hier muss es zu einem Gleichklang kommen und die notwendige Dynamik dafür geschaffen werden, dass sich der wirtschaftliche Fortschritt als Ausgangspunkt für eine Verbesserung der Lebensweise, für menschenwürdige Arbeitsplätze und das Wohlergehen der Bevölkerung zu voller Wirksamkeit entfalten kann. Daher sollten gewerkschaftliche Rechte und Tarifverhandlungen ebenso eingeführt bzw. weiterentwickelt werden wie starke und unabhängige Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, die über die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, um ihrer Aufgabe voll gerecht zu werden.

7.8   Die organisierte Zivilgesellschaft

Die Beteiligung der nichtstaatlichen Akteure ist nicht loszulösen von der Entwicklung menschenwürdiger Arbeitsplätze und muss daher im Zentrum der Gemeinsamen Strategie stehen. Ihre Beteiligung entspricht den Forderungen der partizipativen Demokratie. Zugleich werden das Know-how und die spezifischen Kenntnisse derjenigen gefördert, die Tag für Tag unternehmerisch tätig sind, produzieren, anbauen. Aus diesem Grund müssen diese Akteure in die Ausarbeitung der nationalen und regionalen Richtprogramme einbezogen und als vollwertige Entwicklungsakteure angesehen werden. Sie müssen auch in den Genuss der öffentlichen Entwicklungshilfe und der Hilfe für den Aufbau von Kapazitäten kommen, die in den Bestimmungen des Cotonou-Abkommens vorgesehen sind. Interessant ist hierbei wieder Ziffer 3 der Stellungnahme 1497/2005 des Ausschusses über die strukturelle und institutionelle Formierung der organisierten Zivilgesellschaft (Plattform, Netze, Ausschuss etc.), die notwendig ist, um eine für ihre Debatten und die Definition ihrer Ausrichtung unumgängliche Einheit der Zeit und Einheit des Ortes zu erreichen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Beratende Ausschuss der Zivilgesellschaft, der durch das im Dezember 2007 geschlossene Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen dem CARIFORUM und der EU geschaffen wurde, ein nachahmenswertes Beispiel für Afrika (siehe Schlusserklärung des 25. Treffens der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen AKP/EU, das unter dem Motto „Eine bessere Partnerschaft für eine bessere Entwicklung“ vom 4.- 6. März in Brüssel stattfand). In Erfüllung des Mandats, das ihm mit dem Abkommen von Cotonou übertragen wurde, hat der EWSA über seinen Begleitausschuss AKP/EU folgerichtig gehandelt und einen Beitrag zur Koordinierung, zum kollektiven Reflexionsprozess und zur Vernetzung der organisierten Zivilgesellschaft geleistet.

7.9   Verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung

Verantwortungsvolle Regierungs- und Verwaltungsführung (Good Governance) ist eine Vorbedingung für das Vertrauen von Investoren. Deshalb ist sie für die Entwicklung Afrikas von grundsätzlicher Bedeutung. Die Förderung einer demokratischen Governance, die auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen erforderlich ist, bildet also ein zentrales Element des partnerschaftlichen Dialogs zwischen Europa und Afrika. Sie muss in ihrer gesamten Breite betrachtet werden, wobei die Achtung der Menschenrechte und der Arbeitnehmerrechte, d.h. der gewerkschaftlichen Rechte und Arbeitsnormen, ebenso einzubeziehen sind wie der Rechtsstaat und die Stärkung der Institutionen und des Staatsapparates. Dessen Schwäche und unzureichende Kapazitäten wirken sich oft als Hemmnis für die Umsetzung von Maßnahmen der Zusammenarbeit, für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an einer wirklichen partizipativen Demokratie und die Korruptionsbekämpfung aus. Bezüglich dieses letzten Punkts müssen die Europäische Union und die Mitgliedstaaten im Rahmen der Partnerschaft Forderungen erheben und ihre Finanzhilfen von der Rückverfolgbarkeit ihrer Verwendung abhängig machen. Denn von 100 Milliarden US-Dollar jährlicher Hilfe lösen sich 30 Milliarden US-Dollar „in Luft auf“ (14). (Siehe Ziffer 3.6.1.5 und Ziffer 7.2.1.3, dritter Spiegelstrich)

Brüssel, den 18. September 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  CESE 1205/2004 „Die Rolle der Frauenorganisationen bei der Umsetzung des Abkommens von Cotonou“, Berichterstatterin: Frau FLORIO, September 2004.

CESE 1497/2005 „Aufnahme sozialer Aspekte in die Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“, Berichterstatter: Herr PEZZINI und Herr DANTIN, Dezember 2005.

CESE 753/2006 „Vorrang für Afrika: Der Standpunkt der europäischen Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr BEDOSSA. Mai 2006.

CESE 673/2007 „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“, Berichterstatter: Herr SHARMA, Dezember 2007.

Dokumente des Begleitausschusses AKP/EU des EWSA: „Humanressourcen für die Entwicklung“, Berichterstatter. Frau KING und Herr AKOUETE. Mai 2007.

(2)  Union Européenne/Afrique: „Le partenariat stratégique“ (Europäische Union/Afrika: „Die strategische Partnerschaft“), Nathalie DELAPALME, Elise COLETTE. Notes de la Fondation Robert SCHUMAN, Dezember 2007.

(3)  Rede von Kommissionsmitglied Louis MICHEL auf der von der Europäischen Kommission veranstalteten Konferenz „EU-China-Afrika“, Brüssel, 28. Juni 2007.

(4)  Antwort von Kommissar MICHEL auf eine Wortmeldung während der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung in Kigali. 18.-22. November 2007.

(5)  Sondergipfel der Afrikanischen Union zu Beschäftigung und Armutsbekämpfung. 3.-9. September 2004 in Ouagadougou. Schlusserklärung (Artikel 16).

(6)  Wortmeldung des Vorsitzenden des WSR eines französischsprachigen westafrikanischen Staates auf der Vollversammlung der UCESA (Union der WSR Afrikas), 13./14. November 2007 in Ouagadougou.

(7)  Siehe Artikel 104 und 105 der Erklärung.

(8)  Siehe Artikel 106 bis 110 der Erklärung.

(9)  Afrika verfügt fast allein über die weltweiten Gesamtvorkommen an Chrom (hauptsächlich in Simbabwe und Südafrika), über 90 % der Platinreserven (u.a. Südafrika) und 50 % der Kobaltreserven (u.a. Zentralafrikanische Republik, Sambia).

(10)  Siehe CESE 673/2007 „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“, Berichterstatter Herr SHARMA, Dezember 2007.

(11)  Zweites gemeinsames Treffen EWSA/UCESA (Union der afrikanischen WSR), Erklärung der Präsidenten.

(12)  „Le développement économique en Afrique“ (Bericht über die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika), UNCTAD-Bericht, 26. September 2007.

(13)  Paritätische Parlamentarische Versammlung AKP-EU. Entwurf eines Berichts über „Les IDE dans les Etats ACP“ (Die ADI in den AKP-Staaten). Berichterstatter: Astrid LULLING und Timothy HARRIS, KIGALI, November 2007.

(14)  „Le développement économique en Afrique“ (Bericht über die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika), UNCTAD-Bericht 27. September 2007, Interview des Staatssekretärs für die Frankophonie der französischen Regierung, „Le Monde“16. Januar 2008.


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