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Document 52005IE1243
Opinion of the European Economic and Social Committee on the Current situation and prospects for traditional energy sources — coal, oil and natural gas — in a future energy mix
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Situation und Perspektiven der klassischen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas im zukünftigen Energiemix
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Situation und Perspektiven der klassischen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas im zukünftigen Energiemix
ABl. C 28 vom 3.2.2006, p. 5–15
(ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)
3.2.2006 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 28/5 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Situation und Perspektiven der ‚klassischen‘ Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas im zukünftigen Energiemix“
(2006/C 28/02)
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Situation und Perspektiven der ‚klassischen‘ Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas im zukünftigen Energiemix“.
Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 1. September 2005 an. Berichterstatter war Herr WOLF.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 421. Plenartagung am 26./27. Oktober 2005 (Sitzung vom 26. Oktober) mit 119 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
Der Ausschuss hat in jüngster Zeit eine Serie von Stellungnahmen (1) zu Aspekten der Energiefrage verabschiedet. Da der weitaus größte Teil der bisherigen Energieversorgung nach wie vor auf den fossilen Energieträgern Kohle, Erdöl und Ergas beruht, mit deren Nutzung die Ressourcenfrage sowie Freisetzung von Klimagasen verbunden ist, gilt die hier vorliegende Stellungnahme einer Bewertung dieser „klassischen“ Energieträger.
Strategisches Ziel dieser Serie, welche mit einer Stellungnahme zu den erneuerbaren Energieträgern sowie mit der hier vorliegenden Stellungnahme abgeschlossenen wird, soll es sein, Grundlagen zur Erarbeitung realistischer Optionen eines zukünftigen Energiemixes zur Verfügung zu stellen.
Eine darauf aufbauende, die Ergebnisse der Serie zusammenfassende Synthese soll später im Rahmen der Stellungnahme „Zur Energieversorgung der EU: Strategie für einen optimalen Energiemix“ erfolgen.
Inhaltsverzeichnis:
1. |
Zusammenfassung und Empfehlungen |
2. |
Die Energiefrage |
3. |
Ressourcen, Reserven, Reichweiten |
4. |
Energiereserven innerhalb der EU — Importabhängigkeit |
5. |
Entwicklung des Energieverbrauchs in der EU |
6. |
Kohle, Erdöl und Ergas in einem nachhaltigen Energiemix |
7. |
Umweltschutz und Klimavorsorge |
8. |
Technologische Entwicklung |
9. |
CO2-Abscheidung und -Endlagerung |
1. Zusammenfassung und Empfehlungen
1.1 |
Nutzbare Energie ist die Grundlage unserer heutigen Lebensweise und Kultur. Erst ihre ausreichende Verfügbarkeit ermöglichte den gegenwärtigen Lebensstandard. Um die Lissabon-Strategie sowie die Ratsbeschlüsse von Göteborg und Barcelona zu verwirklichen, ist eine gesicherte, preisgünstige, umweltfreundliche und nachhaltige Versorgung mit nutzbarer Energie absolute Voraussetzung. |
1.2 |
Die fossilen Brennstoffe Kohle (2), Erdöl und Erdgas bilden gegenwärtig das Rückgrat der europäischen und der globalen Energieversorgung. Sie werden diese Bedeutung auch in den nächsten Jahrzehnten nicht verlieren und bleiben daher unverzichtbar. |
1.3 |
Ihre Gewinnung und Verwendung ist allerdings mit verschiedenen Umweltbelastungen, vor allem mit der Emission von Treibhausgasen — insbesondere CO2 und Methan — verbunden. Es handelt sich um einen Verbrauch von endlichen Ressourcen. |
1.4 |
Ihre Verwendung hat zu einer hochgradigen Importabhängigkeit Europas für diesen vitalen Grundstoff geführt, die in Zukunft noch ansteigen dürfte, insbesondere bezüglich Erdöl und zunehmend auch Erdgas. |
1.5 |
Die vermutete Reichweite der weltweiten Ressourcen und Reserven (3) an Kohle, Öl und Gas ist von mehreren Faktoren abhängig (Wirtschaftswachstum, Exploration, technische Entwicklung). Sie erstreckt sich noch über viele Dekaden (bei Kohle vielleicht sogar Jahrhunderte), wenngleich insbesondere bei Öl bereits vor Mitte dieses Jahrhunderts eine Abnahme der Reserven und eine Verknappung des Angebots auftreten könnte. Die aktuelle Entwicklung auf den Ölmärkten beweist, dass schon sehr kurzfristig kaum vorhersehbare Preisschübe auftreten können, die erhebliche Auswirkungen für die Volkswirtschaften haben (4). |
1.6 |
Die Energiepolitik der EU muss einerseits alle Maßnahmen ergreifen, um diese Abhängigkeit langfristig zu mildern, insbesondere durch Sparmaßnahmen und effizienteren Gebrauch aller Energieträger sowie durch den verstärkten Einsatz alternativer Energiesysteme wie erneuerbare und Kernenergie. Damit kommt der Weiterentwicklung alternativer Energiesysteme besondere Bedeutung zu. |
1.7 |
Die Energiepolitik der EU muss andererseits alles daran setzen, die Versorgung und die Versorgungswege der fossilen Brennstoffe abzusichern; ein besonderes Problem bereitet dabei die Frage nach der politischen Stabilität einiger der Hauptlieferanten. Der Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation, den GUS-Staaten und mit den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie den der EU benachbarten Regionen (z.B. Algerien und Libyen) kommt in dieser Hinsicht besondere Bedeutung zu. |
1.8 |
Auch ein stärkerer Rückgriff auf die beachtlichen europäischen Kohlevorkommen kann diese Abhängigkeit mildern. |
1.9 |
In einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt — und im Rahmen geeigneter dem Klimaschutz dienender Maßnahmen — würden fossile Brennstoffe jene Einsatzgebiete finden, die ihren spezifischen Eigenschaften und ihrem jeweiligen Preis- und Kostenniveau angepasst sind. Daraus ergibt sich automatisch auch eine wirtschaftlich und energetisch besonders effiziente Nutzung dieser Brennstoffe. |
1.10 |
Das hat dazu geführt, dass der Kohleeinsatz in der Stahlindustrie und in Kraftwerken überwiegt, während Öl und Gas vor allem zur Wärmeerzeugung und in nichtenergetischen Einsatzbereichen verwendet werden. Im Verkehrsbereich dominieren Produkte, die aus Erdöl gewonnen werden. |
1.11 |
Im Energiemix sollte der Gebrauch der knapperen und flexibler einsetzbaren Rohstoffe Erdgas und Erdöl daher auf jene Anwendungen — wie z.B. Treibstoffe für den Verkehr, Rohstoffe für die Chemie — konzentriert werden, für welche Kohle nur mit zusätzlichen Kosten, Energieverbrauch und CO2-Emission eingesetzt werden kann. |
1.12 |
Die CO2-Emissionen je Produkteinheit (z.B. kg CO2/kWh, t CO2/t Stahl, g CO2/PKW-Kilometer) müssen unter Nutzung des technischen Fortschritts kontinuierlich weiter gesenkt werden. Dies erfordert eine Verbesserung der Energieeffizienz in allen Bereichen der Energieumwandlung und Energieanwendung. |
1.13 |
Also muss die Energie- und Wirtschaftspolitik einen verlässlichen Rahmen für Investitionen bieten, die zu verbesserter Technik in Industrie, Gewerbe und bei privaten Anschaffungen führen. |
1.14 |
In Europa werden in den kommenden Jahrzehnten rund 400 GWel (5) Kraftwerksleistung neu zu errichten sein. Zur Begrenzung/Verminderung der CO2-Emissionen und des Brennstoffverbrauchs müssen diese Neubauten mit der besten verfügbaren Technik ausgerüstet werden. |
1.15 |
Im Verkehrsbereich müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um den spezifischen Kraftstoffverbrauch (Verbrauch pro Fahrzeug-Kilometer) zu reduzieren und den Gesamtverbrauch nicht weiter anwachsen zu lassen. Hierfür sind sowohl technische Fortschritte in vielen Bereichen der Kraftfahrzeug- und Kraftstoffentwicklung erforderlich als auch Maßnahmen zur Stauvermeidung (Straßen- und Tunnelbau; Leitsysteme) und Verkehrsminderung (6). Auch eine verstärkte Nutzung von Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb wie z.B. der elektrischen Eisenbahn verringert die Abhängigkeit vom Erdöl, da sie eine größere Diversifizierung bei den eingesetzten Primärenergieträgern (Kohle, Gas, erneuerbare Energieträger, Atomkraft) ermöglicht. |
1.16 |
Voraussetzung für Effizienzfortschritte im Energiebereich ist verstärkte Forschung und Entwicklung, insbesondere auch bei Kraftwerken, welche fossile Brennstoffe nutzen — und zwar sowohl seitens der Industrie als auch seitens öffentlich geförderter Maßnahmen. |
1.17 |
Demgemäß begrüßt der Ausschuss den Themenschwerpunkt „Energie“ im Vorschlag des 7. F&E-Rahmenprogramms. Dieser sollte mit ausreichenden Mitteln ausgestattet sein und alle Möglichkeiten von Energietechniken umfassen. Darin sollten insbesondere auch jene Maßnahmen enthalten sein, die den Wirkungsgrad bei Nutzung fossiler Brennstoffe steigern, da hierdurch ein besonders großer Gesamtnutzen erbracht werden kann. |
1.18 |
Auch bei Stromerzeugung mittels fossiler Energieträger besteht die Chance, die CO2-Emissionen pro Energieumsatz langfristig signifikant zu reduzieren, nämlich wenn dort Verfahren mit CO2-Abscheidung und CO2-Endlagerung eingesetzt würden (Clean Coal Technology). Darum kommt der Entwicklung und Erprobung derartiger Verfahren im 7. F&E-Rahmenprogramm besondere Bedeutung zu. |
2. Die Energiefrage
2.1 |
Nutzbare Energie (7) ist die Grundlage unserer heutigen Lebensweise und Kultur. Erst ihre ausreichende Verfügbarkeit ermöglichte den gegenwärtigen Lebensstandard. Die Notwendigkeit einer gesicherten, preisgünstigen, umweltfreundlichen und nachhaltigen Versorgung mit nutzbarer Energie steht im Schnittpunkt der Ratsbeschlüsse von Lissabon, Göteborg und Barcelona. |
2.2 |
Der Ausschuss hat mehrfach festgestellt, dass Bereitstellung und Nutzung von Energie mit Umweltbelastungen, Risiken sowie außenpolitischen Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten verbunden sind. Keine der Optionen und Techniken, die einen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung leisten können, ist technisch perfekt, gänzlich frei von störenden Einflüssen auf die Umwelt, für alle Bedürfnisse passend sowie in ihrer Preisentwicklung und Verfügbarkeit ausreichend langfristig überschaubar. Hinzu kommen die Aspekte der Verknappung von Reserven und Ressourcen mit all ihren Folgen. Die Problemlage wird sich mit dem globalen Bevölkerungswachstum, dem wachsenden Energiehunger der Entwicklungsländer und insbesondere mit dem stark steigenden Energiebedarf der großen neuen Industriestaaten wie China, Indien und Brasilien erwartungsgemäß deutlich verschärfen. |
2.3 |
Eine langfristig verfügbare, umweltschonende und wettbewerbsfähige Energieversorgung muss also wichtiges Ziel einer vorausschauenden europäischen Energiepolitik bleiben. Wegen der genannten Gründe kann sich diese nicht auf die Nutzung weniger Energieträger beschränken. Vielmehr ist Energieengpässen und sonstigen Risiken nur durch einen nach Art und Herkunft breit diversifizierten Energiemix zu begegnen, in dem alle verfügbaren Energieträger und Techniken zum Einsatz kommen und (weiter)entwickelt werden, um sich schließlich im Rahmen akzeptierter ökologischer Vorgaben dem gemeinsamen Wettbewerb unter sich wandelnden Bedingungen zu stellen. |
3. Ressourcen, Reserven, Reichweiten
3.1 |
Derzeit basieren rund vier Fünftel der Weltenergieversorgung — wie auch der Versorgung der EU-25 — auf dem Einsatz der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle. |
3.2 |
Generell hängen alle Prognosen über die zukünftigen Entwicklungen — und deswegen gibt es unter diesen auch Unterschiede je nach Blickwinkel und manchmal auch nach Interessenlage — von Annahmen über die zukünftige demographische und wirtschaftliche Entwicklung ab, über die Entwicklung weiterer Explorations- und Erschließungs-Techniken, sowie über die jeweiligen in den einzelnen Staaten vorherrschenden politischen Rahmenbedingungen. Dies gilt in besonderem Maße für die Kernenergie sowie für das Ausmaß an Fördermaßnahmen für Erneuerbare Energieträger. |
3.2.1 |
Nach den 2004 vorgelegten Referenzprognosen (8) der Internationalen Energieagentur (IEA), Paris, und der Energy Information Administration (EIA) des US-Departments of Energy werden die genannten fossilen Energien auch in 25 Jahren noch mehr als 80 % des weltweiten Energieverbrauchs decken. |
3.2.2 |
Der Beitrag der erneuerbaren Energien wird zwar wachsen — allerdings nach den Einschätzungen von IEA und EIA nicht stärker als der gesamte Energieverbrauch; entsprechend bleibt der Anteil der erneuerbaren Energien konstant. Für Kernenergie werden nach gegenwärtigem Trend zwar ebenfalls — in absoluten Größen — leicht wachsende Versorgungsbeiträge erwartet, die allerdings hinter der Gesamtentwicklung des Verbrauchs zurückbleiben, sofern sich die politischen Rahmenbedingungen nicht europaweit deutlich verändern. Als Konsequenz sehen IEA und EIA derzeit sogar einen rückläufigen Anteil der Kernenergie an der Deckung des Weltenergieverbrauchs voraus. |
3.2.3 |
Das für die EU-25 von der Europäischen Kommission im September 2004 veröffentlichte (9) baseline scenario geht — abweichend von dem weltweiten Trend, wie ihn IEA und EIA sehen — von einer Zunahme des Anteils erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch der EU-25 von heute 6 % auf 9 % im Jahr 2030 aus. Da sich jedoch andererseits der Beitrag der Kernenergie in der EU-25 nach dieser Einschätzung vermindert, kommt das baseline scenario der EU-Kommission ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die fossilen Energien auch für die EU-25 im Jahre 2030 noch über 80 % des gesamten Energieverbrauchs decken werden. |
3.3 |
Fossile Energieträger sind erschöpfbare Rohstoffe. Um abzuschätzen, wie lange Erdöl, Erdgas und Kohle ihre tragende Rolle beibehalten können werden, ist es notwendig, das Potenzial der fossilen Energieträger zu betrachten. |
3.4 |
Dazu sind Begriffsbestimmungen und Messgrößen erforderlich. Als Begriffe werden Reserven, Ressourcen und Potenziale benutzt. Als Messgrößen für die Energieträger sind unterschiedliche Einheiten (10) üblich, wie Tonnen oder Barrel bei Öl, metrische Tonnen oder Tonnen Steinkohlenäquivalent bei Kohle, Kubikmeter oder Kubikfuß bei Erdgas. Für deren Vergleichbarkeit benutzt man ihren Energiegehalt wie Joule bzw. Wattsekunden (Ws). |
3.5 |
Das Gesamtpotenzial (Estimated Ultimate Recovery, abgek. EUR) umfasst die gesamte gewinnbare Menge der Energierohstoffe in der Erdkruste, wie sie vor Beginn der Förderung durch den Menschen vorhanden war. Diese ist eine Schätzung, bei der verschiedene Experten zu abweichenden Ergebnissen kommen können. Je genauer jedoch die Erdkruste bekannt ist, und je feiner die Untersuchungstechniken werden, desto besser konvergieren die Prognosen. |
3.6 |
Nur der gewinnbare Anteil der Vorkommen geht in das Gesamtpotenzial ein. Dieser hängt jedoch von den zur Verfügung stehenden Techniken und deren Wirtschaftlichkeit ab, er kann sich daher mit deren Fortentwicklung vergrößern. Zieht man vom Gesamtpotenzial die bisher bereits geförderten Mengen ab, gelangt man zum verbleibenden Potenzial. |
3.7 |
Das verbleibende Potenzial setzt sich aus den Reserven und den Ressourcen zusammen. Unter Reserven sind diejenigen Mengen eines Energierohstoffs erfasst, die sicher nachgewiesen sind und mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich abbaubar sind. Unter Ressourcen versteht man sowohl diejenigen Mengen eines Energierohstoffs, die entweder nachgewiesen, aber derzeit nicht wirtschaftlich und/oder technisch gewinnbar sind, als auch jene Mengen, die zwar noch nicht sicher nachgewiesen sind, aber auf Grund geologischer Indikationen erwartet werden. |
3.8 |
In der öffentlichen Diskussion stehen die Reserven im Vordergrund, da aus ihnen die Reichweite von Energieträgern abgeleitet wird. Setzt man die Reserven ins Verhältnis zur aktuellen Jahresförderung, so ergibt sich die so genannte statische Reichweite. Unter Anwendung dieses Verfahrens kommt man zu einer statischen Reichweite der weltweiten Reserven, die bei Öl etwa 40 Jahre, bei Gas etwa 60 Jahre und bei Kohle rund 200 Jahre beträgt. |
3.9 |
Allerdings sind die Reserven und deren statische Reichweite keineswegs fixe Größen. Vielmehr führt ein Absinken der statischen Reichweite der Reserven zu verstärkter Exploration, als deren Folge Ressourcen — auch auf Grund technischen Fortschritts — in Reserven überführt werden. (So war z.B. in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die statische Reichweite von Öl mit gut 30 Jahren beziffert worden.) |
3.10 |
Die statistisch ausgewiesenen Ressourcen sind im Falle von Erdöl etwa doppelt so groß wie die Reserven, und sie reichen bei Erdgas und Steinkohle bis zum Zehnfachen der Reserven. |
3.11 |
Ein weiterer Indikator der zukünftigen Verfügbarkeit fossiler Energierohstoffe ist der bereits geförderte Anteil des Gesamtpotenzials. Wenn dieser Anteil 50 % überschreitet und damit der „Depletion Mid Point“ erreicht ist, wird es schwierig, die Förderung weiter zu steigern oder auch nur auf gleichem Plateau zu erhalten. |
3.12 |
Erdöl: Bereits mehr als ein Drittel des Gesamtpotenzials des „konventionellen“ Erdöls von etwa 380 Milliarden Tonnen Öläquivalent sind inzwischen gefördert. Die Hälfte des konventionellen Potenzials wäre bei stetigem Fördervolumen in etwa zehn Jahren verbraucht. Um die Förderung weiter zu steigern, müssten danach zunehmend nicht-konventionelle Lagerstätten (Schweröl, Ölsand, Ölschiefer) herangezogen werden. Dadurch kann der „Depletion Mid Point“ zeitlich hinausgeschoben werden. Andernfalls könnten bereits vor Mitte dieses Jahrhunderts eine Abnahme der Reserven und eine drastische Verknappung des Angebots (11) auftreten. |
3.13 |
Erdgas und Kohle: Bei Erdgas bestehen insoweit vergleichbare Verhältnisse, als sich das verbleibende Gesamtpotenzial unter Berücksichtigung nicht-konventioneller Lagerstätten, wie z.B. an Gashydraten, ebenfalls vergrößert. Bei Kohle sind von dem auf 3 400 Milliarden Tonnen Öleinheiten geschätzten Gesamtpotenzial bisher erst etwa 3 % gefördert. |
3.14 |
Allerdings befinden sich die Exploration von Gashydraten (Methanhydraten) und die Technologie ihrer Gewinnung noch im Forschungsstadium, sodass derzeit keine belastbaren Aussagen darüber möglich sind, wie groß deren Beitrag zur Energieversorgung sein kann. Einerseits gibt es Schätzungen, dass der Energieinhalt der möglichen Vorräte jenen aller bisher bekannten Vorräte an fossilen Energieträgern noch übersteigt, andererseits besteht bezüglich ihrer Gewinnbarkeit (grundsätzlich, Technik, Kosten) noch völlige Unklarheit. Außerdem wird ein beachtlicher Unsicherheitsfaktor bzw. beachtliches Risiko in deren — durch Klimaeinflüsse oder anthropogene Einflüsse bewirkten — Freisetzung gesehen, da hierdurch eine außerordentlich klimabedrohliche Ansammlung des starken Treibhausgases Methan in der Atmosphäre entstehen könnte. |
3.15 |
Die Kosten der Förderung fossiler Energien sind sehr unterschiedlich. Sie liegen bei Öl gegenwärtig — je nach Lagerstätte — zwischen 2 und 20 USD/Barrel. Zwar müssen zunehmend kleinere Lagerstätten unter ungünstigeren geologischen und geografischen Bedingungen erschlossen werden. Dieser kostentreibende Effekt kann aber durch Produktivitätsgewinne, die meist auf technischen Innovationen beruhen, ausgeglichen oder sogar überkompensiert werden. Auch bei Erdgas bestehen entsprechend unterschiedliche Förderkosten. Bei Kohle hängen die Kosten sehr stark von der Teufe der Lagerstätte, der Flözmächtigkeit und auch davon ab, ob eine Gewinnung im Tagebau oder nur im Tiefbau möglich ist. Die Kostenspanne ist beträchtlich. Sie reicht von wenigen US-$/t (z.B. im Powder River Basin in den USA) bis zu 200 US-$/t bei Abbau von Steinkohle in einzelnen europäischen Revieren. |
3.16 |
Auch die regionale Verteilung der fossilen Reserven ist sehr ungleich. Dies gilt insbesondere für Erdöl. 65 Prozent der Erdölreserven entfallen auf den Nahen Osten. Kaum besser ausgeglichen ist die Verteilung von Erdgas mit den beiden Schwerpunktregionen Naher Osten (34 Prozent) und Nachfolgestaaten der UdSSR (39 Prozent). Die Kohlereserven sind dagegen gleichmäßiger verteilt. Die größten Reserven an Kohle lagern in Nordamerika. Daneben existieren große Kohlevorkommen in China, Indien, Australien, Südafrika und Europa. |
3.17 |
Aus der Konzentration strategisch wichtiger fossiler Energieträger — insbesondere von Erdöl, aber auch von Erdgas — in geopolitisch risikoreichen Regionen des Nahen und Mittleren Ostens ergeben sich besondere Probleme für die Sicherheit der Energieversorgung. |
4. Energiereserven innerhalb der EU (12) — Importabhängigkeit
4.1 |
Der Primärenergieverbrauch in der EU-25 belief sich 2004 auf rund 2,5 Milliarden Tonnen Steinkohleneinheiten bzw. rund 75 Exajoule (75×1018 Joule). Dies entspricht 16 Prozent des Weltenergieverbrauchs von 15,3 Mrd. t SKE. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie liegt in der EU-25 mit 5,5 t SKE bei mehr als dem Doppelten des weltweiten Mittelwertes, ist aber andererseits nur halb so hoch wie in Nordamerika. Bezogen auf die erbrachte Wirtschaftsleistung ist der Energieverbrauch in Europa nur etwa halb so hoch wie im Durchschnitt aller außereuropäischen Regionen, da Energie hier wesentlich effizienter genutzt wird als in vielen anderen Teilen der Welt. |
4.2 |
Wichtigste Energieträger waren in der EU-25 im Jahr 2004 — gemessen am gesamten Primärenergieverbrauch — Mineralöl mit 39 %, Erdgas mit 24 % und Kohle mit 17 %. Weitere wesentliche Stützen der EU-Energieversorgung sind Kernenergie mit 14 % sowie erneuerbare und sonstige Energien mit 6 %. Die Anteile der einzelnen fossilen Energieträger sind — bei Differenzierung nach den 25 Mitgliedstaaten — durch erhebliche Bandbreiten gekennzeichnet. Sie reichen beim Erdgas von 1 % in Schweden bis nahezu 50 % in den Niederlanden, beim Mineralöl von weniger als 30 % in Ungarn bis zu zwei Drittel in Portugal, und bei Kohle von 5 % in Frankreich bis 60 % in Polen. Hauptgrund für diese Unterschiede ist die unterschiedliche Ausstattung der einzelnen Mitgliedstaaten mit Reserven an fossilen Energieträgern. |
4.3 |
Die gesamten Energiereserven der EU-25 sind vergleichsweise gering. Sie belaufen sich auf etwa 38 Mrd. t SKE. Das sind gut 3 % der weltweiten Reserven, unter Einbeziehung auch der nicht-konventionellen Kohlenwasserstoffe. Dabei stellen die Kohlevorkommen (Braun- und Steinkohle) mit gut 31 Mrd. t SKE den größten Anteil; sie sind etwa gleich auf Braun- und Steinkohle verteilt. Die Erdgasreserven liegen bei 4 Mrd. t SKE und die Ölreserven bei 2 Mrd. t SKE. Die EU-25 wird auf absehbare Zeit der weltweit größte Netto-Importeur von Energie bleiben. Nach Schätzungen der EU Kommission wird diese Abhängigkeit bis 2030 auf mehr als zwei Drittel steigen. |
4.4 |
Die Verteilung der fossilen Energiereserven auf die einzelnen Staaten der EU-25 stellt sich sehr unterschiedlich dar. Die Ölvorkommen sind insbesondere auf die britische und daneben auch auf die dänische Nordsee konzentriert. Sie sind weitgehend erschöpft, so dass die Förderung zurückgehen wird. Schwerpunkt der Gasreserven sind die Niederlande und Großbritannien. Die Kohlenreserven verteilen sich vor allem auf Deutschland, Polen, Tschechien, Ungarn, Griechenland und Großbritannien. Eine wichtige Rolle spielen zudem die norwegischen Öl- und Gasreserven, da Norwegen zwar nicht Mitglied der EU, wohl aber Mitglied der Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) ist. |
4.5 |
Angesichts der insgesamt geringen Reserven an fossilen Energien muss die EU-25 bereits heute die Hälfte des gesamten Energiebedarfs durch Importe decken. Dieser Prozentsatz wird laut Grünbuch der Europäischen Kommission bis 2030 auf 70 % ansteigen. Besonders hoch ist die Einfuhrabhängigkeit bei Mineralöl. So müssen bei diesem Energieträger mehr als drei Viertel des Bedarfs durch Einfuhren aus Drittländern gedeckt werden. Bei Erdgas beträgt die Importquote etwa 55 Prozent. Bei Kohle macht sie ein Drittel aus. |
4.6 |
Dies hat zu einer hochgradigen Importabhängigkeit Europas für den vitalen Grundstoff „Energie“ geführt, die in Zukunft noch ansteigen dürfte, insbesondere bezüglich Erdöl und zunehmend auch Erdgas. Die EU ist sogar weltweit der größte Netto-Importeur von Energieträgern. |
4.7 |
Die Energiepolitik der EU muss also einerseits alles daran setzen, die Versorgung und die Versorgungswege der fossilen Brennstoffe abzusichern; ein besonderes Problem bereitet dabei die Frage nach der politischen Stabilität einiger der Hauptlieferanten. Der Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation und den GUS-Staaten, den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie den der EU benachbarten Regionen (z.B. Algerien und Libyen) kommt in dieser Hinsicht besondere Bedeutung zu. |
4.8 |
Die Energiepolitik der EU muss andererseits alle Maßnahmen ergreifen, um diese Abhängigkeit langfristig zu mildern, insbesondere durch effizienteren Gebrauch aller Energieträger sowie durch den verstärkten Einsatz alternativer Energiesysteme wie Erneuerbare — einschließlich deren Entwicklung und Markteinführung — und Kernenergie. Damit kommt der Weiterentwicklung alternativer Energiesysteme besondere Bedeutung zu. |
4.9 |
Vor diesem Hintergrund kann auch ein stärkerer Rückgriff auf die beachtlichen europäischen Kohlevorkommen diese Abhängigkeit mildern, zumal im europäischen Kohlenbergbau bereits heute wesentlich schärfere Umweltauflagen gelten als in anderen Regionen der Welt. |
5. Entwicklung des Energieverbrauchs in der EU
5.1 |
Die Entwicklung des Energieverbrauchs der EU-25 dürfte wahrscheinlich dem in der Publikation der Kommission „European Energy and Transport Scenarios on Key Drivers“ (13) ausgewiesenen baseline scenario folgen, dem eine Fortsetzung der aktuellen Trends und Politiken zugrunde liegt. Dieses gibt folgende Prognose: |
5.2 |
Der Primärenergieverbrauch wird sich bis 2040 auf 2,9 Mrd. t SKE, d.h. um nur 0,6 % pro Jahr erhöhen. Demgegenüber wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt bis 2030 jahresdurchschnittlich um 2,4 % zunehmen wird. Die dazu erforderliche Verringerung der Energieintensität (Energieverbrauch zu Bruttoinlandsprodukt) um mehr als 1,7 % pro Jahr (!) soll durch strukturelle Veränderungen, verbesserte Energieeffizienz und Einsatz fortschrittlicher Technologien bewirkt werden. |
5.3 |
Der Anteil fossiler Energien an der Deckung des Primärenergieverbrauchs wird bis 2030 sogar um 2 Prozentpunkte steigen, nämlich auf 82 %. |
5.4 |
Kohle: Nach anfänglichem Rückgang wird ab etwa 2015 ein Wiederanstieg des Kohleverbrauchs erwartet — als Folge der dann verbesserten Wettbewerbssituation dieses Energieträgers in der Stromerzeugung. Steigende Erdgaspreise und die erwartete Einsatzreife fortschrittlicher Kohleverstromungs-Technologien sind die Hauptgründe dieser Entwicklung. Entsprechend dieser Einschätzung wird der Kohleverbrauch 2030 wieder das im Jahr 2000 verzeichnete Niveau erreichen. Der Anteil der Kohle am Primärenergieverbrauch der EU-25 wird dann — ebenso wie im Jahr 2005 — rund 15 % betragen. Da im Zeitraum 2005 bis 2030 mit einem Rückgang der Kohleförderung innerhalb der EU um rund 40 % bei gleichzeitiger Erhöhung der Importe an Kohle um 125 % gerechnet wird, erhöht sich der Importteil an der Deckung des Kohleverbrauchs der EU-25 von einem Drittel im Jahr 2005 auf fast zwei Drittel im Jahr 2030. |
5.5 |
Öl: Da sich die Zuwachsraten mit 0,2 %/Jahr demnach voraussichtlich unterproportional entwickeln werden, wird sich der Anteil von Öl am Primärenergieverbrauch im Jahr 2030 voraussichtlich auf 34 % verringern, also 5 Prozentpunkte weniger als heute. |
5.6 |
Gas: Der Verbrauch an Gas wird zunächst mit 2,7 %/Jahr bis 2015 überproportional stark anwachsen. Danach wird sich diese Entwicklung abschwächen. Gründe sind u.a. die verringerte Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Kohle in der Stromerzeugung. Dennoch wird über den gesamten Zeitraum bis 2030 für Gas die stärkste Verbrauchszunahme unter allen fossilen Energieträgern erwartet. Der Anteil des Erdgases am Primärenergieverbrauch der EU-25 nimmt von 26 % im Jahr 2005 auf 32 % im Jahr 2030 zu. Liquified Natural Gas (LNG) macht eine Diversifizierung der Gasversorgung möglich, da Lieferungen über die Meere hinweg realisiert werden können. Derzeit entfallen rund 25 % des Welterdgashandels auf LNG. Größtes LNG-Exportland ist Indonesien, gefolgt von Algerien, Malaysia und Katar. |
5.7 |
Die Förderung fossiler Energieträger verringert sich innerhalb der EU-25 bis 2030 um etwa 2 % pro Jahr. Damit vergrößert sich die Importabhängigkeit für alle fossilen Energieträger bis 2030 auf mehr als zwei Drittel. So beträgt die Importquote 2030 bei Kohle — wie erwähnt — fast zwei Drittel, bei Gas mehr als 80 % und bei Öl fast 90 %. Besonders kritisch ist die wachsende Abhängigkeit der Gasimporte von einer begrenzten Zahl von Anbietern. |
5.8 |
Der Stromverbrauch wächst bis 2030 durchschnittlich mit 1,4 %/Jahr. Dadurch steigt der Bedarf an Kraftwerkskapazität von etwa 700 GW (maximale elektrische Leistung) heute um 400 GW, d.h. auf rund 1100 GW im Jahr 2030. Zusätzlich besteht die Notwendigkeit, alte Kraftwerke durch neue Anlagen zu ersetzen. Nach Einschätzung der EU-Kommission im baseline scenario wird der erwartete Kapazitätszuwachs durch eine Leistungszunahme von rund 300 GW im Bereich fossile Energien sowie rund 130 GW bei Wind, Wasser und Solar erbracht, während bei Kernkraftwerken im Zeitraum 2005 bis 2030 ein Kapazitätsabbau in der Größenordnung von 30 GW zu erwarten ist, falls keine nachhaltige Änderung der politischen Rahmenbedingungen stattfindet. |
5.9 |
Die Energieversorgung der EU steht somit während der kommenden 25 Jahre vor großen Herausforderungen und Aufgaben, mit denen jedoch auch wirtschaftliche Chancen verbunden sein können. Dazu gehören die Sicherung der Versorgung einschließlich einer Verringerung der Importabhängigkeit, die Erfüllung weiter wachsender Umweltanforderungen, die Gewährleistung wettbewerbsfähiger Energiepreise und die Durchführung der notwendigen Investitionen. |
6. Kohle, Erdöl und Ergas in einem nachhaltigen Energiemix
6.1 |
Kohle, Erdöl und Erdgas sind natürliche Kohlenwasserstoffe, die in Jahrmillionen durch Umwandlung aus biologischen Substanzen gespeicherte Biomasse entstanden sind; es handelt sich somit um gespeicherte Sonnenenergie. Je nach den geologischen Entstehungsbedingungen (z.B. Druck, Temperatur, Alter) sind unterschiedliche Produkte entstanden. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist der Wasserstoffgehalt des Brennstoffes. Das Verhältnis Wasserstoff zu Kohlenstoff ist mit 4: 1 bei Erdgas am höchsten, bei Erdöl beträgt es etwa 1,8: 1 und bei der Kohle 0,7: 1; es bestimmt maßgeblich den Einsatz dieser fossilen Rohstoffe in den verschiedenen Anwendungsbereichen. |
6.2 |
Bis heute ist der Einsatz von Kohle, Erdöl und Erdgas als Energieträger, als Rohstoff zur Erzeugung vieler Produkte (von Medikamenten bis zu Massenkunststoffen) und als kohlenstoffhaltiges Reduktionsmittel für die Eisen- und Stahlerzeugung unersetzlich. Allerdings bewirken ihre spezifischen physikalisch-chemischen Eigenschaften (z.B. Aggregatzustand, Wasserstoffgehalt, Kohlenstoffgehalt, Aschegehalt), dass sie für manche Einsatzzwecke besonders gut und für andere weniger gut geeignet sind. Die Auswahl des einzusetzenden Kohlenwasserstoffs erfolgt nach wirtschaftlichen, technischen und umweltrelevanten Kriterien. |
6.3 |
Rund 7 % der in der EU verbrauchten fossilen Energieträger dienen dem sog. nichtenergetischen Verbrauch, d.h. hauptsächlich der Herstellung von Chemieprodukten. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts waren zunächst — aus Kohle gewonnene Wertstoffe Basis für den sich neu entwickelnden Produktionszweig. Inzwischen wurden die Kohlenwertstoffe nahezu vollständig durch Erdgas und Erdölprodukte verdrängt. Solange dies versorgungsseitig möglich ist, werden in diesem Marktsegment Erdöl und Erdgas auch in Zukunft dominieren. Die dazu benötigte Reichweite der Reserven an Öl und Erdgas wäre deutlich länger, wenn es gelänge, diese Energieträger weniger für Zwecke der Energie- und Wärmeerzeugung zu verwenden. |
6.4 |
Für die Erzeugung von Oxygenstahl hat sich die kohlenstoffbasierte Hochofen-Konverter-Route etabliert. Der Hochofenprozess erfordert den Einsatz von Steinkohlenkoks als Reduktionsmittel für die Roheisenerzeugung, der zugleich als Stützgerüst und Durchgasungssystem dient. Der durchschnittliche Reduktionsmittelverbrauch liegt bei modernen europäischen Anlagen mit 475 kg/je Tonne Roheisen nahe am verfahrenstechnischen Minimum. |
6.5 |
Der Transportsektor weist noch große Zuwachsraten auf. Rund 25 % des Energieverbrauchs entfallen auf diesen Sektor, und im Straßenverkehr besteht eine nahezu vollständige Abhängigkeit von Erdölproduktion. Flüssige Brennstoffe haben einen hohen Energieinhalt je Volumen- bzw. Masseneinheit. Dies ist Voraussetzung für einen wirtschaftlichen und effizienten Einsatz im Transportsektor. Flüssige Kraftstoffe und deren Infrastruktur haben sich daher im Straßenverkehr durchgesetzt. Eine verstärkte Nutzung von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen wie der elektrischen Eisenbahn erlaubt eine größere Diversifizierung des Einsatzes von Primärenergieträgern (Kohle, Gas, erneuerbare Energie-träger, Atomkraft) und kann somit zur Verringerung der Abhängigkeit von Erdöl beitragen. |
6.6 |
In Konkurrenz zu den flüssigen Kraftstoffen auf Erdölbasis steht der direkte Einsatz von Erdgas und von Liquified Natural Gas (LNG) als Kraftstoff. Es bleibt abzuwarten, ob diese Produktlinien größere Marktanteile gewinnen können (14). |
6.7 |
Haushalte und Kleinverbraucher benötigen rund 30 % der Energie. Die Wahl des Energieträgers erfolgt nach wirtschaftlichen Kriterien und wird zunehmend durch Komfort- und Umweltgesichtspunkte bestimmt. In diesem Sektor stehen Heizöl, Erdgas, Strom, und in Verdichtungsgebieten auch Fernwärme aus KWK-Anlagen, im Wettbewerb. |
6.8 |
40 % des Energieverbrauchs der EU werden in Kraftwerken zu Strom und Wärme umgewandelt. Kohle, Erdöl und Erdgas aber auch Kernenergie sind technisch gleichermaßen für die Umwandlung in Strom geeignet. In technisch hocheffizienten Kraftwerken werden bei Erdgaseinsatz Wirkungsgrade (von Primärenergie in elektrische Energie) bis annähernd 60 % erreicht. Bei Einsatz von Steinkohle liegt der Wirkungsgrad moderner Anlagen zwischen 45 % und 50 %, bei Braunkohle werden 43 % erreicht. |
6.9 |
Weltweit werden rund 40 % des Strombedarfs aus Kohle erzeugt, in der EU rund 30 %. Von der weltweiten Kohleproduktion werden rund 63 % für die Stromerzeugung verwendet: Kohle ist in der Stromerzeugung kostengünstiger als Erdöl oder Erdgas, und Kohle ist weltweit aus stark diversifizierten Produktionsgebieten sicher verfügbar. |
6.10 |
Durch eine Konzentrierung des Kohleeinsatzes auf die Stahl- und Stromerzeugung kann ein fossiler Energiemix angestrebt werden, der wirtschaftliche Vorteile, Umweltschutz, Versorgungssicherheit und Ressourcenschonung verbindet. Die weltweiten Kohlevorräte sind wesentlich größer als die Erdöl- und Erdgasvorräte. |
6.11 |
Die politischen Rahmenbedingungen sollten also Anreize geben, um die knapperen und flexibler einsetzbaren Rohstoffe Erdöl und Erdgas jenen Nutzungsarten — insbesondere dem Verkehr und der chemischen Industrie — vorzubehalten, für welche Kohle (sowie Kernkraft und z.T. auch Erneuerbare) nur mittels zusätzlichem Aufwand an Kosten, Technik und Energie — also auch zusätzlicher CO2-Produktion! — eingesetzt werden kann. Auf diese Weise könnte die Erschöpfung dieser Reserven zu Gunsten kommender Generationen hinausgezögert werden. |
6.12 |
Dies bedeutet dann gleichzeitig, Anreize für den Kohleeinsatz (ebenso wie den Einsatz von Erneuerbaren und von Kernenergie) in Kraftwerken für die Elektrizitätserzeugung zu schaffen, damit dort Erdöl und Erdgas (siehe auch Ziffer 8.12) nicht benötigt werden. Europa verfügt in Mittel-/Osteuropa über ansehnliche Stein- und Braunkohlevorräte. Die Nutzung dieser Reserven kann verhindern, dass die Abhängigkeit der EU von Energieimporten noch weiter ansteigt. |
7. Umweltschutz und Klimavorsorge
7.1 |
Umweltanalysen und Umweltvergleiche der fossilen Energieträger müssen die gesamte Produktions- und Nutzungskette umfassen: Rohstoffgewinnung/Förderung, Transport, Energieumwandlung und Endenergieeinsatz. Alle Schritte sind mit mehr oder weniger großen Umwelteinwirkungen und Energieverlusten verbunden. Bei importierten Energieträgern sind auch jene Umwelteinwirkungen zu berücksichtigen, die außerhalb der EU-Grenzen auftreten. |
7.2 |
Bei der Förderung/Produktion von Kohle, Erdöl und Erdgas sind unterschiedliche Umwelteinwirkungen zu beachten. Bei der Kohlegewinnung sind Landschaftsverbrauch und Staubemissionen zu begrenzen. Bei der Erbohrung und Förderung von Erdöl muss der Austritt von Erdöl und Erdgas sowie Beiprodukten verhindert werden; dies gilt analog für die Erdgasgewinnung sowie für den anschließenden Pipeline- oder Schiffstransport von Erdöl und Ergas. Besondere Vorkehrungen sind bei der Offshore-Produktion erforderlich. Bei der Ölförderung anfallendes Methan sollte nicht abgefackelt, sondern muss einer industriellen Nutzung zugeführt werden. Ähnliches gilt für das beim Kohlebergbau anfallende Grubengas, das große Anteile Methan enthalten kann. |
7.3 |
Die Europäische Großfeuerungsanlagenrichtlinie setzt strenge Umweltmaßstäbe für Errichtung und Betrieb von Kraftwerken mit einer Leistung ≥ 50 MWth. Die Konzentrationen von Schadstoffen im Abgas von Gas-, Öl- und Kohlekraftwerken müssen nach dem in dieser Richtlinie festgelegten Stand der Technik begrenzt werden. Ältere Anlagen sind nachzurüsten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Emissionen von Staub (auch Feinstaub, siehe 7.6), Schwefeldioxid, Stickstoffoxiden und besonders schädlichen Schwermetallen, sowie toxischen bzw. krebserregenden organischen Substanzen, auf ein für Natur und Menschen tolerierbares Maß reduziert werden. Emissionen von Lärm müssen vorsorglich soweit reduziert werden, dass Belästigungen weitestgehend vermieden werden. |
7.4 |
Kohle enthält nichtbrennbare Substanzen, die nach der Verbrennung im Kraftwerk als Asche (in Elektro- oder Gewebefiltern) abgeschieden werden. Der Aschegehalt von Steinkohle beträgt üblicherweise bis zu 10 % (in Einzelfällen bis zu 15 %). Je nach Zusammensetzung wird die Asche als Zuschlagstoff in der Zementindustrie und im Straßenbau oder zur Gruben- und Landverfüllung verwendet. |
7.5 |
Auch Erdöl besitzt einen allerdings geringen Ascheanteil. Bei der Erdölverarbeitung in den Raffinerien verbleibt die Asche, die u.a. Vanadium- und Nickelbestandteile enthält, in einem festen Rückstand, dem sog. Petrolkoks. Dieser wird zur Restnutzung der Energie in Kraftwerken und Feuerungsanlagen eingesetzt, die über die notwendigen Reinigungseinrichtungen zur Abscheidung aller Schadstoffe verfügen. |
7.6 |
Seit einigen Jahren wird eine verstärkte Diskussion über sog. Feinstaubemissionen (15) geführt. Dabei handelt es sich um lungengängige Schwebestaubpartikel, die kleiner als 10 μm sind und Auslöser für Atemwegserkrankungen sein können. Solche Partikel werden auch von Öl- und Kohlefeuerungen emittiert, da eine vollständige Abscheidung feinster Aschepartikel in den Filtern nicht möglich ist. Die wichtigste Quelle für Feinstaubemissionen jedoch sind dieselbetriebene Fahrzeuge, sofern diese nicht mit Partikelfiltern ausgestattet sind. Bei Kohle- und Ölkraftwerken wird die Staubemission durch die Grenzwerte der europäischen Großfeuerungsrichtlinie auf 20 mg/m limitiert. Bei Großkraftwerken werden die Feinstaubemissionen durch eine nasse Rauchgasentschwefelung zusätzlich reduziert. Um die Feinstaubemissionen weiter zu senken und die Immissionsgrenzwerte flächendeckend in Europa einzuhalten, sind von der EU für Dieselfahrzeuge verschärfte Bestimmungen erlassen worden, die ab 2008 Partikelfilter im PKW vorschreiben. |
7.7 |
Die Entschwefelung der Abgase von großen Kohlekraftwerken und industriellen Feuerungsanlagen ist in einigen EU-Mitgliedstaaten bereits in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verbindlich vorgeschrieben worden. Die seinerzeit beobachtete Versauerung von Böden und Seen konnte so gestoppt werden. Die neueste Fassung der europäischen Großfeuerungsanlagenverordnung schreibt für Anlagen > 300 MW einen SO2-Abgasgrenzwert von max. 200 mg/m3 vor. Die Abscheidung der Schwefelkomponenten zu mehr als 90 % ist heute Stand der Technik. Für die aus der Abscheidung des Schwefels erzeugten Produkte, vornehmlich Gips, wurden neue Märkte erschlossen und die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen reduziert. |
7.8 |
Bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe bilden sich bei hohen Verbrennungstemperaturen aus dem in den Brennstoffen selbst bzw. dem in der Verbrennungsluft enthaltenen Stickstoff und dem Verbrennungssauerstoff sog. Stickstoffoxide. Diese Stickoxide können bei erhöhter Konzentration Atemwegserkrankungen auslösen und sind auch Vorprodukt für das umweltschädliche Ozon. Die europäische Großfeuerungsanlagenverordnung verlangt, dass die Stickoxid-Emissionen bei Kraftwerken > 300 MW nicht mehr als 200 mg/je m3 Abgas beträgt. |
7.9 |
Die Wissenschaft geht von einem kausalen Zusammenhang zwischen der Emission von anthropogenen CO2 und anderen sogenannten „Treibhausgasen“ sowie einem Anstieg der Temperatur an der Erdoberfläche aus (Treibhaus-Effekt). Über das Ausmaß des Effekts bestehen noch Unsicherheiten. Jährlich entstehen durch Verbrennungsprozesse aus Kohle, Erdöl und Erdgas CO2-Emissionen in Höhe von rund 20 Mrd. t; dies ist die Hauptquelle anthropogen bedingter CO2-Emissionen. Neben Effizienzsteigerung und Maßnahmen zur Energieeinsparung sind es Techniken der CO2-Abscheidung (siehe unten), die entwickelt werden müssen und langfristig eine maßgebliche Entlastung bringen könnten. |
7.10 |
Effizienzsteigerung bei Energieumwandlung und Energienutzung ist Voraussetzung für umfassende Klimaschutzerfolge. Die dazu erforderlichen Maßnahmen sollten mit Nachdruck in Angriff genommen werden. Brennstoff-Substitutionsstrategien sind dagegen weniger zielführend, weil diese einseitig auf die Verwendung bestimmter Energieträger, z.B. Gas, hinauslaufen und damit Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit der Energieversorgung der EU in Frage stellen würden. Zudem ist Gas ein zu wichtiger Rohstoff für Chemie und den Verkehrssektor, um zur Elektrizitätserzeugung verwendet zu werden. |
7.11 |
Bezogen auf die Energieeinheit erzeugt die Verbrennung von Erdgas gegenüber der Verbrennung von Kohle nur 50 — 60 % des klimaschädlichen CO2, weil neben dem im Erdgas enthaltenen Kohlenstoff auch der darin enthaltene Wasserstoff energetisch genutzt (verbrannt) wird. Allerdings ist Methan selbst — als Hauptbestandteil des Erdgases — ein viel klimawirksameres Treibhausgas (ca. Faktor 30) als CO2. Bei Produktion und Nutzung fossiler Energieträger muss daher alles getan werden, um Methanemissionen zu verhindern. Methan, das bei der Erdöl- und Steinkohlenförderung freigesetzt wird, muss aufgefangen und einer Nutzung zugeführt werden. Auch beim Transport von Erdgas müssen Methan-Leckagen unbedingt verhindert werden. Schon bei geringsten Transportverlusten in den Pipelines verliert Erdgas nämlich seinen diesbezüglichen Vorteil gegenüber der Kohle. |
7.12 |
Rasche Erfolge im Klima- und Umweltschutz bei der Nutzung von Kohle, Öl und Gas sind — wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen — vor allem dann zu erreichen, wenn veraltete Anlagen und Kraftwerke durch solche modernster Technik und höchster Effizienz ersetzt werden. Politische Rahmenbedingungen, die Investitionen in neue Techniken fördern, sind daher besonders geeignet, ehrgeizige Umweltschutzziele zu erreichen. |
7.13 |
Die europäische Umweltgesetzgebung hat in den letzten 20 Jahren eine Harmonisierung der Umweltstandards in den Staaten der europäischen Gemeinschaft bewirkt. Europäische Großfeuerungsanlagenrichtlinie und europäische Luftreinhalterichtlinie haben ebenso wie Politiken und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Verminderung der Treibhausgasemissionen wichtige Beiträge dazu geleistet. |
8. Technologische Entwicklung (16)
8.1 |
In der EU-25 stellen Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke einen Anteil über 60 % der insgesamt installierten Kraftwerksleistung und bilden damit das Rückgrat der Stromerzeugung in Europa. Durch die Notwendigkeit, ausgediente Kraftwerke zu ersetzen und zudem den Mehrbedarf an Kraftwerkskapazität zu befriedigen (siehe Punkt 5.8), werden innerhalb der kommenden 25 Jahre in beachtlichem Umfang neue Kraftwerke zu errichten sein. Selbst angesichts eines verstärkten Einsatzes regenerativer Energien und eines weiteren Ausbaus der Kernkraft werden Kohle- und Gaskraftwerke einen wesentlichen Teil dieser Lücke schließen müssen. Je besser der Wirkungsgrad und die Schadstoffrückhaltung dieser Kraftwerke sein werden, umso leichter werden Klimavorsorge und Umweltanforderungen erfüllbar. |
8.2 |
Darum sind verstärkte F&E-Anstrengungen auch im Bereich der fossilen Kraftwerksentwicklung erforderlich. In den 90er Jahren sind diese Anstrengungen vernachlässigt und die öffentlichen Forschungsmittel in nahezu allen Mitgliedstaaten drastisch gesenkt worden. |
8.3 |
Der Ausschuss begrüßt, dass seine wiederholte Empfehlung aufgegriffen wurde, im 7. F&E-Rahmenprogramm einen eigenen Themenschwerpunkt „Energie“ zu schaffen. Allerdings müssten auch die einschlägigen Forschungsprogramme der Mitgliedstaaten entsprechend angepasst werden. Damit könnte eine wichtige Trendwende eingeleitet werden. Dies betrifft auch die Weiterentwicklung der Kraftwerkstechnik zur Nutzung fossiler Energieträger, welche zudem der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Anlagenbaus im global expandierenden Kraftwerksmarkt zu Gute käme. |
8.4 |
Moderne Kohlekraftwerke erreichen heute bei Einsatz von Steinkohle Wirkungsgrade von mehr als 45 %, bei Einsatz von Braunkohle mehr als 43 %. Die notwendigen Entwicklungsschritte sind bekannt, um bis zum Jahr 2020 bei Kohlekraftwerken einen Wirkungsgrad von 50 % zu erreichen. Längerfristiges Ziel ist, Druck und Temperatur im Dampfkreislauf der Kraftwerke auf 700° C/350 bar anzuheben, wozu die erforderlichen Materialien entwickelt werden müssen. Für eine neue Generation von Braunkohlekraftwerken sind Vorschaltanlagen für die Trocknung der Braunkohle zu erproben. Solch anspruchsvolle Entwicklungsziele erfordern eine internationale Zusammenarbeit, wie sie z.B. in den EU-Projekten AD 700 und Comtes 700 für die Entwicklung eines 700° C-Kraftwerks besteht. Die Demonstration neuer Kraftwerkskonzepte erfordert Investitionen bis zu 1 Mrd. EUR. Da einzelne Unternehmen kaum in der Lage sind, Kosten und Risiken alleine zu tragen, ist eine Zusammenarbeit europäischer Unternehmen anzustreben. |
8.5 |
Die Entwicklung hochleistungsfähiger Gasturbinen hat in den letzten Jahrzehnten bei Gaskraftwerken erhebliche Effizienzverbesserungen ermöglicht. Der Wirkungsgrad neuer Erdgaskraftwerke hat nahezu 60 % erreicht. Durch den drastischen Preisanstieg auf dem Gasmarkt bestehen allerdings Unsicherheiten über die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Erdgaskraftwerken und damit über den Bau neuer Erdgas-Kraftwerke. |
8.6 |
Um die Fortschritte der Gasturbinentechnik auch für die Kohleverstromung nutzbar zu machen, ist es nötig, Kohle zunächst in Gas umzuwandeln. Die EU hat in den 80er und 90er Jahren durch ihre Forschungsmittel maßgeblich zur Entwicklung der Vergasungstechnik beigetragen und den Bau von zwei Demonstrationskraftwerken mit integrierter Kohlevergasung (IGCC) unterstützt. Diese Entwicklungslinien sollten nicht nur im Hinblick auf die Effizienzsteigerung bei Kohlekraftwerken weitergeführt werden, sondern technische Basis für die Weiterentwicklung zu einem sog. CO2-freien Kohlekraftwerk sein. |
8.7 |
Effizienzsteigerung und CO2-Minderung dürfen sich nicht auf den industriellen Bereich und die Stromerzeugung beschränken. Die Einsparpotenziale sind in häuslichem und gewerblichem Endverbrauch heute noch besonders groß, weil bisher dort der Kostenanreiz (Einsparungen beim Verbrauch/Kosten für Neuanschaffungen oder Umbauten) oft nicht gegeben ist. |
8.8 |
Einen nach wie vor steigenden Energiebedarf in der EU hat der Verkehrssektor, was auch auf die zunehmenden Mobilitäten nach der Erweiterung zurückzuführen ist. Der Anstieg der Emissionen von gesundheitsrelevanten Schadstoffen und Treibhausgasen muss durch Entwicklung effizienterer und schadstoffärmerer Motoren und Fahrzeuge zunächst begrenzt und später auch absolut vermindert werden. Die Technologien der Abgasreinigung müssen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Dieses Ziel kann voraussichtlich nur mit erfolgreicher Entwicklung und flächendeckender Einführung eines Bündels fortschrittlicher Technologien erreicht werden. Dazu gehören die Verbesserung der Verbrennungsmotoren, der Dieseltechnologie, des Hybridantriebs, der Kraftstoffe, des Wirkungsgrades von Fahrzeugantrieben, die Entwicklung der Brennstoffzelle und evtl. auch die Wasserstofftechnologie. |
8.9 |
Brennstoffzellen sind grundsätzlich geeignet, sowohl im Kraftfahrzeug, als auch bei stationärem Einsatz in Haushalt, Gewerbe und Industrie die Effizienz der kombinierten Erzeugung von Strom und Wärme um möglicherweise bis zu rund 20 % zu steigern. Dazu wird ein gasförmiger Brennstoff — Erdgas, Synthesegas oder reiner Wasserstoff benötigt, der z.B. durch einen der Zelle vorgeschalteten Reformer aus Methanol gewonnen werden kann. Allerdings hat die Brennstoffzelle — obwohl bereits seit 150 Jahren bekannt — bisher den wirtschaftlich-technologischen Durchbruch als (wettbewerbsfähiger) Fahrzeugantrieb oder dezentrales Strom- und Wärmeerzeugungsaggregat nicht erreicht. Forschung und Entwicklung sollten dennoch auch mit öffentlicher Unterstützung fortgesetzt werden, um das Potenzial auszuloten und — wenn möglich — zu erschließen. |
8.10 |
Keine Energieoption hat in den letzten Jahren soviel Aufmerksamkeit erregt wie die Option „Wasserstoff“, man spricht vielfach sogar von der künftigen Wasserstoffgesellschaft. Dabei besteht in der Öffentlichkeit oft das Missverständnis, Wasserstoff sei wie Erdöl oder Kohle ein Primärenergieträger. Dies ist nicht der Fall: Wasserstoff muss entweder aus fossilen Kohlenwasserstoffen oder aus Wasser — dort durch Einsatz von elektrischer Energie — gewonnen werden; so wie CO2 verbrannter Kohlenstoff ist, ist Wasser (H2O) verbrannter Wasserstoff. |
8.11 |
Außerdem ist der Transport von Wasserstoff technisch, energetisch und kostenmäßig im Nachteil gegenüber dem Transport von Strom oder von flüssigen Kohlenwasserstoffen. Dies bedeutet, dass Wasserstoff nur dort eingesetzt werden sollte, wo der Einsatz von Strom nicht sinnvoll oder möglich ist. Eine vorurteilsfreie Analyse dieses Konzeptes ist notwendig, um die Forschung auf realistische Ziele zu konzentrieren. |
8.12 |
Wegen der entscheidenden Bedeutung gut transportabler Kohlenwasserstoffe (Treibstoffe) für den Verkehrssektor sollten die Reserven/Ressourcen soweit wie möglich geschont werden, d.h. Erdöl sollte nicht dort eingesetzt werden, wo auch Kohle, Kernbrennstoffe oder erneuerbare Energieträger Erfolg versprechend eingesetzt werden können. |
9. CO2-Abscheidung und -Endlagerung
9.1 |
Eine signifikante und über „Kyoto“ weit hinausgehende Reduzierung der weltweiten Treibhausgasemissionen bis zur Mitte dieses Jahrhunderts, wie sie sich die EU zum Ziel gesetzt hat, ist nur zu erreichen, wenn in einigen Jahrzehnten Kraftwerke und andere große Industrieanlagen als weitgehend CO2-freie oder CO2-arme Produktionen konzipiert, errichtet und betrieben werden können. Nuklearenergie und regenerative Energiequellen werden selbst bei intensivem Ausbau nicht in der Lage sein, diese Aufgabe allein zu übernehmen und innerhalb weniger Jahrzehnte die fossilen Brennstoffe zu ersetzen. |
9.2 |
Es sind mehrere Verfahren vorgeschlagen worden, Kohlekraftwerke „CO2-frei“ zu betreiben. Diese Verfahren sind — mit Modifikationen — auch bei Öl- und Gasfeuerungen anwendbar. Prinzipiell werden drei Wege verfolgt: (i) die CO2-Abscheidung aus dem Rauchgas herkömmlicher Kraftwerke, (ii) die Entwicklung der Sauerstoffverbrennung und (iii) das Vergasungskombikraftwerk mit CO2-Abscheidung aus dem Brenngas; für letzteres Konzept ist die Entwicklung am weitesten fortgeschritten. |
9.3 |
Durch die CO2-Entfernung aus dem Brenngas der Kohlevergasung entsteht reiner Wasserstoff, der in Wasserstoffturbinen zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Als Abgas verbleibt unschädlicher Wasserdampf. Sollte sich diese Technologie als erfolgreich erweisen, ist eine Synergie mit der Wasserstofftechnologie in anderen Einsatzbereichen nahe liegend. |
9.4 |
Seit mehr als 20 Jahren sind Kraftwerkskonzepte mit integrierter Kohlevergasung (Integrated Gasification Combined Cycle — IGCC) intensiv erforscht und entwickelt worden. Die Gasaufbereitungsschritte sind prinzipiell bekannt, müssen aber der Kohletechnologie angepasst werden. Allerdings könnten sich die Stromerzeugungskosten dieses Kraftwerkskonzepts gegenüber konventionellen Kraftwerken ohne CO2-Abscheidung nahezu verdoppeln, und der Ressourcenverbrauch wird um rund ein Drittel ansteigen. Dennoch wird diese Technologie an den meisten Standorten kostengünstiger sein als andere CO2-freie Stromerzeugungs-Technologien, wie z.B. die Windenergie, die Solarenergie oder die Stromerzeugung aus Biomasse. |
9.5 |
In den 80er Jahren sind in Europa verschiedene IGCC-Konzepte — natürlich noch ohne CO2-Abscheidung — entwickelt worden, zum Teil unterstützt durch die EU. In Spanien und in den Niederlanden wurden 300 MW-Demonstrationsanlagen für Steinkohle gebaut und betrieben. Für den Einsatz von Braunkohle wurde eine Demonstrationsanlage — auch mit EU-Förderung — zur Erzeugung von Synthesegas für eine anschließende Methanolsynthese entwickelt, gebaut und betrieben. Europa besitzt damit hervorragende technologische Ausgangsbedingungen, um CO2-freie Kohlekraftwerke zu entwickeln und in Demonstrationsanlagen zu erproben. |
9.6 |
Nicht nur Kraftwerke, sondern auch andere Industrieprozesse, bei denen CO2-Emissionen in großem Umfang entstehen, z.B. die Erzeugung von H2, verschiedene Prozesse der Chemie und der Mineralölverarbeitung sowie die Produktion von Zement und Stahl, sollten auf die Möglichkeiten der CO2-Abscheidung hin untersucht werden. Bei manchen dieser Prozesse kann die Abscheidung voraussichtlich kostengünstiger und technisch einfacher realisiert werden als bei Kraftwerken. |
9.7 |
Großer Forschungsbedarf besteht für eine sichere, umweltverträgliche und kostengünstige CO2-Endlagerung. Untersucht wird die Lagerung in ausgebeuteten Öl- und Gaslagerstätten, in geologischen Aquiferschichten, in Kohlelagerstätten und auch im Ozean. Während die Lagerung in ausgebeuteten Öl- und Gaslagerstätten, wo verfügbar, die kostengünstigste Alternative sein dürfte, wird die Speicherung in geologischen Aquiferschichten für große Mengen favorisiert, auch weil solche geologischen Bedingungen weltweit verbreitet zur Verfügung stehen. Dabei gilt es, belastbar nachzuweisen, dass solche Lager das CO2 langfristig und ohne negative Umweltauswirkungen sicher speichern können. Eine Reihe von Forschungsprojekten, die diesem Ziel dienen, wird von der EU unterstützt. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sind ermutigend, dennoch bleibt z.B. bei einer Speicherung im Ozean die Unsicherheit, ob durch einen möglichen Temperaturanstieg des Meerwassers Wiederfreisetzung möglich werden kann (siehe auch Punkt 3.14). |
9.8 |
Für einen umfassenden Einsatz wird die Technologie der CO2-Abscheidung und -Endlagerung erst nach 2020 zur Verfügung stehen können, und auch das nur unter der Voraussetzung, dass die erforderlichen F&E-Arbeiten rechtzeitig erfolgen und erfolgreich sein werden. Studien schätzen die Kosten je vermiedener t CO2 auf 30-60 EUR/t für CO2-Abscheidung, Transport und Endlagerung, was günstiger ist als bei den meisten Verfahren regenerativer Stromerzeugung. |
Brüssel, den 26. Oktober 2005
Die Präsidentin
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Anne-Marie SIGMUND
(1) Siehe dazu „Förderung der erneuerbaren Energieträger: Aktionsmöglichkeiten und Finanzierungsinstrumente“ (ABl. C 108 vom 30.4.2004), „Die Bedeutung der Kernenergie für die Stromerzeugung“ (ABl. C 112 vom 30.4.2004), „Fusionsenergie“ (ABl. C 302 vom 7.12.2004), „Nutzung geothermischer Energie - Wärme aus der Erde“ (ABl. C 110 vom 30.4.2004).
(2) Braunkohle und Steinkohle.
(3) Siehe Kapitel 3.
(4) Einer im April 2005 veröffentlichten Studie der Investmentbank Goldman Sachs zufolge könnte der Ölpreis „am Anfang einer Phase des Superanstiegs“ stehen, den die Bank bei 105 $ pro Barrel sieht. Für das Jahr 2005 wurde ein Preis von 50 $ erwartet, für 2006 dann 55 $; am 29.8.2005 lag der Preis allerdings bereits bei über 70 $.
(5) Moderne Kraftwerke können pro Block typisch bis zu 1 GW elektrischer Leistung abgeben (GWel). Ein GW (Gigawatt) sind 1 000 Megawatt (MW) bzw. 1 Million Kilowatt (kW) bzw. 1 Milliarde Watt (W). Eine Wattsekunde (WS) ist gleich 1 Joule (J), eine Kilowattstunde (kWh) also 3,6 Millionen Joule (bzw. 3,6 Megajoule (MJ). Somit ist 1 Megajoule (MJ) rund 0,28 Kilo-wattstunden (kWh).
(6) Zur Bedeutung der Verkehrsminderung und Verkehrsvermeidung siehe auch CESE 93/2004.
(7) Energie wird nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt und dabei genutzt. Dies geschieht durch geeignete Umwandlungsprozesse wie z.B. die Verbrennung von Kohle, die Umwandlung von Windenergie in Strom oder die Kernspaltung (Erhaltung der Energie; E = mc2). Dabei spricht man auch von „Energieversorgung“, „Energiegewinnung“ oder „Energieverbrauch“.
(8) (IEA) World Energy Outlook 2004, S. 57: „Fossil fuels will continue to dominate global energy use. Their share in total demand will increase slightly, from 80 % in 2002 to 82 % in 2030“.
(EIA) International Energy Outlook, April 2004, [http://www.eia.doe.gov/oiaf/ieo/]: The IEO2004 reference case projects increased consumption of all primary energy sources over the 24-year forecast horizon (Figure 14 and Appendix A, Table A2)
(9) (EU-Commission), [http://europa.eu.int/comm/dgs/energy_transport/figures/scenarios/doc/chapter_1.pdf], EU-25 energy and transport reference case to 2030 (baseline): page 9, table 1-8.
(10) 1 kg Erdöl = 42,7 MJ; 1 kg SKE = 29,3 MJ; 1 m3 Erdgas Hu = 31,7 MJ (Zu Joule (J) und Megajoule (MJ) siehe Fußnote 3).
(11) Die gegenwärtige Ölpreiskrise und deren anhaltende Zuspitzung lassen sogar eine deutlich frühere Kulmination erwarten.
(12) World Energy Council, Energie für Deutschland, Fakten, Perspektiven und Positionen im globalen Kontext 2004 Schwerpunktthema „Zur Dynamik der Öl- und Erdgasmärkte“.
(13) European Commission, Directorate-General for Energy and Transport, September 2004.
(14) Analoges gilt auch für flüssige Kraftstoffe aus Biomasse, die bisher nur bei hoher Subventionierung marktfähig sein können.
(15) Richtlinie 96/92/EG des Rates von 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität.
(16) Siehe dazu auch die Stellungnahme des Ausschusses „Forschungsbedarf für eine sichere und nachhaltige Energieversorgung“ CES 838/2002.