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Document 52000IE0598

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema «Entwicklung einer Initiative zur Regelung von Rahmenbedingungen für den Einsatz landwirtschaftlicher Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Drittstaaten»

ABl. C 204 vom 18.7.2000, p. 92–96 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

52000IE0598

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema «Entwicklung einer Initiative zur Regelung von Rahmenbedingungen für den Einsatz landwirtschaftlicher Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Drittstaaten»

Amtsblatt Nr. C 204 vom 18/07/2000 S. 0092 - 0096


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema "Entwicklung einer Initiative zur Regelung von Rahmenbedingungen für den Einsatz landwirtschaftlicher Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Drittstaaten"

(2000/C 204/19)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 21. Oktober 1999 gemäß Artikel 23 Absatz 3 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2000 an. Berichterstatter war Herr Wilms.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 373. Plenartagung am 24. und 25. Mai 2000 (Sitzung vom 24. Mai) mit 65 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme.

1. Einleitung - Gründe für die Stellungnahme

1.1. In verschiedenen Wirtschaftsbranchen der Europäischen Union gibt es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer(1), die zur Gruppe der Wanderarbeitnehmer gehören. Dies trifft vor allem auf die Landwirtschaft zu, da in dieser Branche die Wanderarbeitnehmer - mehr als in allen anderen Wirtschaftsbereichen - eine strukturprägende Gruppe von Tätigen darstellen.

1.2. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß wendet sich mit dieser Initiativstellungnahme an den Rat, das Parlament, die Kommission und die Sozialpartner, um auf die bedeutende Gruppe der landwirtschaftlichen Wanderarbeitnehmer hinzuweisen, die nur einen geringen sozialen Schutzstatus genießen. Der Ausschuß stellt fest, daß es bei landwirtschaftlichen Wanderarbeitnehmern- im Gegensatz zu handwerklichen Wandergesellen, die an alte Traditionen anknüpfen und deren Wandertätigkeiten positiv besetzt sind - eine negative gesellschaftliche Tabuisierung dieses Themas gibt, welche nur durch längst überfällige Aktivitäten durchbrochen werden kann. Doch auch seit Verabschiedung einer entsprechenden Initiativstellungnahme des Ausschusses im April 1991, die detaillierte Vorschläge zur Verbesserung dieser Situation beinhaltet, hat sich an der Situation landwirtschaftlicher Wanderarbeitnehmer nichts verbessert.

1.3. Landwirtschaftliche Wanderarbeitnehmer erbringen große und unverzichtbare Leistungen für die Landwirtschaft der Europäischen Union. Sie sind gerade in einer Situation des zunehmenden Facharbeitermangels in verschiedenen Mitgliedstaaten unverzichtbar. Die jüngste Vergangenheit, insbesondere die Vertiefung des Binnenmarktes, die Erweiterung der Union, der Wegfall der ideologischen Grenzen in Mittel- und Osteuropa und die durch Bürgerkriege und Armutsbewegungen ausgelösten Wanderungsbewegungen im Mittelmeerraum haben aber zu erheblichen Änderungen der Stellung der landwirtschaftlichen Wanderarbeitnehmer beigetragen. Diese Änderungen spiegeln sich in den Arbeitsorganisationen der landwirtschaftlichen Betriebe wider. Sie hatten erhebliche Auswirkungen auf die lokalen und nationalen Arbeitsmärkte.

1.4. Die Arbeitsmarktpolitik hat in der Europäischen Union aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in den einzelnen Mitgliedsstaaten einen besonderen Stellenwert. Die EU-Politik ist auf die Senkung der Arbeitslosigkeit ausgerichtet. Die Landwirtschaft ist sowohl als eigenständige Branche als auch durch vor- und nachgelagerte Bereiche und ihre Rolle in der Raumordnungs- und Strukturpolitik für den Arbeitsmarkt von großer Bedeutung, weil sie einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten könnte.

1.5. Künftig steht die Landwirtschaft der Europäischen Union vor neuen dramatischen Veränderungen. Die geplante Erweiterung durch Staaten Mittel- und Osteuropas wird - im Gegensatz zu den Erweiterungen der Vergangenheit - eine erhebliche Zunahme an landwirtschaftlichen Wanderarbeitnehmern vor allem in den nord- und zentraleuropäischen Mitgliedstaaten erbringen. In den südeuropäischen Mitgliedstaaten werden ebenfalls erhebliche Veränderungen spürbar werden. Hier spielen aber zusätzlich Faktoren wie Kriegsfluechtlinge aus Südosteuropa und Zuzüge insbesondere aus Nordafrika eine Rolle. Deshalb sollten die rechtlichen Unterschiede zwischen aus Drittstaaten kommenden Arbeitnehmern und solchen aus den künftigen Beitrittsstaaten stammenden Arbeitnehmern deutlicher gemacht werden.

1.6. Zur Wahrung des sozialen Friedens, zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und zum Abbau der Arbeitslosigkeit sollen sich der Rat, das Parlament und die Kommission sowie die Sozialpartner den in dieser Initiativstellungnahme angesprochenen Problemen zuwenden und entsprechende Lösungen entwickeln. Hierfür sind in der Stellungnahme ausreichende Ansätze beschrieben. Ziel aller Lösungen sollte es sein, die gesellschaftliche und politische Tabuisierung zu durchbrechen und den in der Landwirtschaft Tätigen den legitimen Schutz zu gewähren.

2. Dringlichkeit der Stellungnahme

2.1. In den Mitgliedstaaten nimmt die Anzahl der Wanderarbeitnehmer deutlich zu und hat teilweise die Zahl der heimischen landwirtschaftlichen Arbeitnehmer bereits überschritten. Dabei findet mancherorts eine Verdrängung heimischer Arbeitnehmer durch Wanderarbeitnehmer statt. Während die Wanderarbeitnehmer in den zentraleuropäischen Mitgliedstaaten fast ausschließlich aus den künftigen Beitrittsländern kommen, stammen die Wanderarbeitnehmer in den südeuropäischen Mitgliedstaaten vor allem aus Nordafrika, zunehmend auch aus Südosteuropa und Asien.

2.2. In den Beitrittsländern ist ein sehr hoher Anteil der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt (z. B. in Polen ca. 25 % und in Ungarn ca. 10 %). Mit der Angleichung des Agrarsektors ist zu erwarten, daß nur wenige neue Arbeitsplätze durch Umstrukturierungen gewonnen werden können - der überwiegende Teil der bestehenden Arbeitsplätze aber innerhalb kurzer Zeit wegfällt. Gegenteilige Erscheinungen, wie sie gegenwärtige z. B. in Polen oder Bulgarien festzustellen sind, wo die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen zunimmt, sind teils auch Ergebnis der Umstrukturierungen in vorigen industriell-gewerblichen Tätigkeiten, meist aber Ausdruck bitterster Armut.

2.3. Aus verschiedenen afrikanischen Staaten wandern Menschen in die südeuropäischen Mitgliedstaaten zu, die vor allem den unzureichenden wirtschaftlichen und politisch instablilen Situationen ihrer Heimatländer entgehen wollen. Da mit den Herkunftsstaaten nur bilaterale Regelungen über Freizügigkeit getroffen wurden, ist auf diese Gruppe - im Gegensatz zu Bürgern aus den Beitrittsstaaten - auch künftig nicht das Freizügigkeitsrecht der Gemeinschaft anwendbar.

2.4. In den Kommissionsdienststellen sind keine ausreichenden Ressourcen für die Bearbeitung dieses gesamteuropäischen Problems vorhanden. So gibt es in der Generaldirektion Landwirtschaft trotz Nachfragen des Ausschusses keine Zuständigkeit für dieses landwirtschaftliche Problem. Auch in der Generaldirektion Soziale Angelegenheiten sind keine ausreichenden Ressourcen vorhanden.

3. Wanderarbeit in der Landwirtschaft der Europäischen Union

3.1. Mit zunehmender Spezialisierung benötigen die landwirtschaftlichen Betriebe zusätzliche Arbeitskräfte, gerade in Arbeitsspitzen. Zur Bewältigung dieser Arbeitsspitzen, z. B. während der Erntezeit, werden traditionell Saisonarbeitskräfte beschäftigt. Waren dies früher meist heimische Arbeitskräfte, werden heute vermehrt nicht einheimische Arbeitskräfte eingesetzt.

3.2. Die Ursachen, warum die Betriebe Wanderarbeitnehmer - meist als Saisonarbeitskräfte - beschäftigen, sind vielschichtig:

- es sind aufgrund der infolge des agrarstrukturellen Wandels entstandenen demographischen Änderungen nicht ausreichend lokale oder heimische Arbeitnehmer vorhanden,

- vorhandene heimische Arbeitslose entsprechen hinsichtlich Motivation, Qualifikation und Mobilität nicht den betrieblichen Anforderungen,

- Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern bieten ihre Arbeitskraft aufgrund des Währungsgefälles und den daraus entstehenden Kaufkraftvorteilen wesentlich billiger an,

- teilweise haben die Arbeitskräfte in ihren Heimatländern eine Beschäftigung, betrachten die Wanderarbeit als Zuverdienst und können zu niedrigen Tariflöhnen oder unter Tarif arbeiten,

- mit Wanderarbeitnehmern ist aufgrund der Befristung ihrer Tätigkeit in den Unternehmen vielfach einfacher umzugehen,

- bei Wanderarbeitnehmern können teilweise zusätzliche Sozialabgaben (beispielsweise tarifliche Zusatzversorgungen) eingespart werden.

3.3. Andererseits haben Arbeitslose wenig Interesse an Saisonbeschäftigung, weil:

- sie auf ungewohnte Arbeitszeitanforderungen, klimatische Gegebenheiten und teilweise körperliche Belastungen wie z. B. Zwangshaltungen stoßen,

- die Entlohnung meist zu gering ist und eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt nur selten möglich ist,

- die Gefahr besteht, daß bei geringerer Entlohnung die Leistungen der Arbeitslosenversicherungen entsprechend reduziert werden.

3.4. Problemlagen ergeben sich in erster Linie aus der Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern. Aus der Notwendigkeit zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen, werden von den Unternehmen ausländische Arbeitskräfte vornehmlich aus dem mittel- und osteuropäischen Raum beschäftigt, im südeuropäischen Raum Arbeitskräfte aus Mitteleuropa aber insbesondere auch aus Nordafrika, den Maghreb Staaten und mittlerweile auch zunehmend aus Asien.

3.5. Beobachtungen zeigen einerseits, daß durch Änderungen in der Arbeitsorganisation in den Betrieben, beispielsweise durch Aneinanderreihung von Wanderarbeitsverhältnissen (Ketten-Arbeitsverträge), Situationen eintreten, durch die gegebenenfalls bestehende Arbeitsplätze für lokal ansässige Arbeitnehmer vernichtet und diese durch Wanderarbeitnehmer ersetzt werden. Andererseits zeigen Beobachtungen, daß durch den Einsatz von Wanderarbeitnehmern gefährdete Arbeitsplätze dauerhaft erhalten werden können.

4. Wanderarbeit in Europa

4.1. Wanderarbeit in Europa wird zunehmend differenzierter betrachtet. Mit der Erteilung von Arbeitserlaubnissen, die je nach Zielland unterschiedlich hoch festgelegt werden, regulieren verschiedene Mitgliedstaaten den Zugang von Wanderarbeitnehmern. Bei der Kontingentierung werden die Sozialpartner in den einzelnen Ländern unterschiedlich eingebunden.

4.2. Die Kontingentierungen befriedigen jedoch nicht die Nachfrage an Arbeitsplätzen, so daß neben den legalen Wanderarbeitnehmern nicht gemeldete (illegale) Beschäftigte in der Landwirtschaft ihre Arbeitskraft anbieten.

4.3. Legal beschäftigte Wanderarbeitnehmer unterliegen rechtlich den tariflichen, arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen des jeweiligen Ziellandes.

4.4. In den Beitrittsländern werden aufgrund der dortigen Lage auf dem Arbeitsmarkt weniger Wanderarbeitnehmer zugelassen. Aus deren östlichen Nachbarländern, insbesondere der Ukraine und Rumänien, wandern nach Aussagen von Sozialpartnern der mittel- und osteuropäischen Länder prozentual ungleich mehr illegale Arbeitskräfte ein, als legal gebilligt werden. Sie wirken teils auf Arbeitsplätzen, die von heimischen Arbeitnehmern genutzt wurden und die sich selbst als Wanderarbeitnehmer in der Europäischen Union aufhalten (sogenannte Korridor-Migration).

4.5. Bei der Erarbeitung dieser Stellungnahme wurde festgestellt, daß trotz früherer Aktivitäten, auch des Ausschusses(2), die Datenlage über landwirtschaftliche Wanderarbeit sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht weiterhin ungenügend ist. Die Erfassung der Wanderarbeit geschieht auf einzelstaatlicher Ebene nur in Ansätzen. Differenzierte Auswertungen sind kaum vorhanden. Eine Zusammenfassung auf europäischer Ebene erfolgt nicht.

4.6. Auf bilateraler und zwischenstaatlicher Ebene gibt es zahlreiche Vereinbarungen über den Austausch von Wanderarbeitnehmern. Allein in Polen existieren ca. 30 Verträge, Regierungserklärungen, Protokolle mit 10 verschiedenen Staaten (EU und nicht EU-Mitgliedern), um die gegenseitige Anstellung von Arbeitskräften, einschließlich der Praktikantinnen und Praktikanten zu regeln.

4.7. In den landwirtschaftlichen Betrieben der Europäischen Union werden Wanderarbeitnehmer meist für Hilfstätigkeiten und für leicht erlernbare Tätigkeiten eingesetzt, teilweise unterhalb ihrer Qualifikation. Dadurch werden den Heimatländern qualifizierte Potentiale entzogen.

4.8. Wanderarbeit wirkt sich für die Herkunftsländer aber auch positiv aus. Sie leistet einen befristeten Beitrag zur Entspannung auf dem Arbeitsmarkt und die Arbeitnehmer bringen Devisen mit nach Hause und stärken damit Einkommen und Kaufkraft. Berufliche Erfahrungen können teils als Wissenstransfer genutzt werden.

4.9. Die Dauer des legalen Aufenthaltes in der EU als Wanderarbeitnehmer ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich, sie kann von 3 Monaten bis zu einem Jahr betragen.

4.10. Mit Integration der Beitrittsländer in die Europäische Union wird sich die Beschäftigung im Sektor Landwirtschaft radikal verändern. Es ist zu erwarten, daß die in der Landwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte in den jeweiligen Heimatländern keine außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätze in ausreichendem Maße finden werden. Es ist zu befürchten, daß bei einem radikalen Strukturbruch in der Landwirtschaft - ähnlich wie 1990 bis heute in den Neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland - in den ländlichen Regionen der Beitrittsländer Massenarbeitslosigkeit entsteht. In diesem Zusammenhang kann die Wanderarbeit zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes des Entsendelandes führen. Dieser Effekt wird erheblich verstärkt, wenn er in übergreifende arbeitsmarktpolitische Konzepte eingebunden wird. Zusätzlich werden sich die bereits entstandenen regionalen grenzüberschreitenden Arbeitsmärkte ausweiten und vertiefen.

4.11. Eine besonders inhumane, sozial gefährliche und wirtschaftlich destabilisierende Erscheinung der Wanderarbeit ist der Bereich der Illegalen Wanderarbeit. Der Ausschuß ist sich des Umfangs und der Bedeutung der Illegalen Wanderarbeit bewußt. Trotz der naturgemäß nicht vorhandenen Datenlage stellt er fest, das Illegalität ein bedeutendes Problem der landwirtschaftlichen Wanderarbeit darstellt.

5. Schlußfolgerungen - Regelungsbedarfe

5.1. Die Rahmenbedingungen

5.1.1. Die Verhandlungen mit den Mittel- und Osteuropäischen Beitrittskandidaten müssen die jeweiligen nationalen Entwicklungen berücksichtigen. Der konkrete Stand der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung hat zentrale Bedeutung für den Fortschritt, der sich in den Beitrittsverhandlungen des jeweiligen Beitrittslandes mit der Europäischen Union widerspiegeln soll. Dies soll sowohl für die zeitliche als auch die rechtliche Dimension der Beitrittsverhandlungen gelten. Dabei sind Strukturfördermaßnahmen von großer Bedeutung, um Infrastrukturen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern. Die Entwicklung des ländlichen Raumes ist verstärkt zu fördern.

Grundsätzlich tritt der Ausschuß ein für ausreichende Übergangsregelungen - bis hin zu zeitlich befristeten Ausnahmeregelungen - um die mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit verbundenen Auswirkungen zu gestalten. Dabei sollten Übergangs- oder Ausnahmeregelungen die konkreten Entwicklungen in jedem einzelnen Beitrittsland berücksichtigen. Wenn die gewünschten Erfolge bei diesen Entwicklungen erreicht sind, sollten die Übergangs- oder Ausnahmeregelungen beendet werden.

5.1.2. Die vielen bestehenden bilateralen Abkommen über Zuzüge, Kontingente usw. machen deutlich, daß es sowohl einer europäischen Migrationspolitik bedarf, die die notwendigen Regelungen für den künftigen Umgang mit landwirtschaftlichen Wanderarbeitnehmern einschließt, insbesondere, wenn es um die Prüfung prioritärer Stellenangebote geht, als auch der Aufnahme von Verhandlungen im Rat, die vielfältigen nationalen Regelungen abschließend in einer EU-Richtlinie zusammenzuführen.

5.2. Die Initiative

5.2.1. Der Ausschuß schlägt folgende Initiative zur künftigen Regelung der landwirtschaftlichen Wanderarbeit vor.

5.2.2. Die Sozialpartner der europäischen Landwirtschaft setzen sich seit Jahren mit den Problemen der Wanderarbeit auseinander. Auf unterschiedlichen Ebenen gibt es zahlreiche Bemühungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Wanderarbeiter. Der Ausschuß wird diese Bemühungen beobachten und unterstützen.

5.2.3. Der Ausschuß nimmt den Hinweis der Sozialpartner zur Kenntnis, ihre Bemühungen im Rahmen des Sozialen Branchendialogs fortzusetzen und Maßnahmen auf Grundlage der §§ 138/139 des EG-Vertrages einzuleiten. Der Ausschuß bittet die Kommission um Beratung und Unterstützung für dieser Initiative der Sozialpartner.

5.3. Die Beobachtungsstelle

5.3.1. Als Grundlage für eine sachkundige Diskussion sowie die daraus folgernden notwendigen Schlußfolgerungen und Initiativen benötigen die am Prozeß Beteiligten ein umfassendes quantitatives und qualitatives Informations- und Beratungssystem. Zentrales Element dieses Systems soll eine von der Kommission unter Beteiligung der Sozialpartner zu errichtende Beobachtungsstelle für landwirtschaftliche Wanderarbeit sein.

5.3.2. Diese Beobachtungsstelle soll die Aufgaben haben, in Zusammenarbeit mit amtlichen Stellen Wanderungsbewegungen zu erfassen, auszuwerten und den europäischen Institutionen sowie den sonstigen Beteiligten Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Wanderarbeitnehmer zu unterbreiten. Sie könnte als Informations- und Beratungsstelle für Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Selbsthilfegruppen, Verwaltungen und Politik dienen. Sie soll an die bestehenden Initiativen der Europäischen Union anknüpfen und dazu beitragen, diese netzwerkartig zu verbinden.

5.3.3. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, die Initiative der Sozialpartner zu unterstützen und finanzielle Mittel für die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für landwirtschaftliche Wanderarbeit in Europa bereitzustellen. Auch soll die Kommission auf die Mitgliedsländer einwirken, damit diese auf nationaler oder regionaler Ebene unter Beteiligung der Sozialpartner Netzwerke als operative Elemente zur Information und Beratung einrichten.

5.3.4. Durch Bearbeitung der Daten auf elektronischem Wege können diese Informationen den Sozialpartnern, den zuständigen Administrationen, der Kommission, Politikern und allen Interessierten zugänglich gemacht werden. Dabei sollen an die Vorhaben der Kommission, z. B. im Bereich von Datenbanken, angeknüpft werden.

5.4. Der Ausweis

5.4.1. Die Sozialpartner in der Landwirtschaft der Europäischen Union und der Beitrittsländer haben auf bilateraler Ebene begonnen, Abkommen über engere Kooperationen zu schaffen. Bestandteil dieser Abkommen ist auch ein besserer Schutz der Wanderarbeitnehmer.

5.4.2. Zum Schutz der Wanderarbeitnehmer ist eine schriftliche Arbeitsgenehmigung einzuführen, die vom Wanderarbeitnehmer während der Arbeit mitgeführt werden muß und auf Verlangen den zuständigen Stellen vorzuweisen ist. Sie soll neben den persönlichen Daten insbesondere Angaben zur sozialen Sicherung und der Qualifikation enthalten. Mit dieser schriftlichen Arbeitsgenehmigung kann der Rechtsstatus des Wanderarbeitnehmers identifiziert werden. So kann die Nichtmeldung von Arbeitsverhältnissen erfaßt und der einzelne Wanderarbeiter vor den Auswirkungen illegaler Situationen effektiv geschützt werden. Zusätzlich bietet ihm die schriftliche Arbeitsgenehmigung den Zugang zum gewerkschaftlichen Schutz im Gastland als auch die Unterstützung der Institutionen wie zum Beispiel die Arbeitsverwaltungen, Kammern und Bildungseinrichtungen. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, die Einführung einer solchen schriftlichen Arbeitsgenehmigung in Form eines Ausweises gezielt durch die Förderung von Modellversuchen zu erproben.

5.5. Die Steuerung

5.5.1. Saisonarbeitskräfte werden auch künftig für eine funktionierende Landwirtschaft benötigt. Regelungsbedarfe bestehen künftig über die Einsatzbedingungen der beschäftigten Arbeitskräfte aus den Ländern außerhalb der Europäischen Union.

5.5.2. Zur Freizügigkeit in der Europäischen Union gehört auch der Wechsel des Arbeitsplatzes für Wanderarbeitnehmer. Arbeitnehmer, die aus Ländern außerhalb der Europäischen Union kommen, haben die Möglichkeit, nach Erteilung der Arbeitserlaubnis durch ein Mitgliedsland der Europäischen Union weiter innerhalb der EU zu wandern. Damit hat die Frage der Zulassung von Arbeitskräften Bedeutung für alle Mitgliedsländer der EU. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, die damit verbundenen Rechtsfragen zu klären und mit den Mitgliedsländern und Sozialpartnern eine europäische Gesamtlösung für Arbeitnehmer, die aus Drittstaaten einwandern, zu finden.

5.5.3. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, auf die Mitgliedstaaten einzuwirken, bei der Festlegung von nationalen Kontingenten die Sozialpartner zu beteiligen.

5.6. Die Verwaltung

5.6.1. Staatliche Stellen, UnternehmerInnen sowie Wanderarbeitnehmer unterliegen einer nahezu unübersichtlichen Anzahl von Regelungen, Gesetzen und Verordnungen. Im Zuge der weiteren Harmonisierung innerhalb der EU müssen die Bestimmungen übersichtlicher werden. Der Ausschuß hält eine Vereinfachung und eine größere Transparenz administrativer Regelungen insbesondere für Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen für dringend erforderlich.

5.6.2. Die Kommission wird aufgefordert, eine Übersicht der bestehenden bilateralen Abkommen, die Fragen der Wanderarbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den Beitrittsländern betreffen, zu erstellen. Auf Grundlage dieser Übersicht erwartet der Ausschuß Erkenntnisse, um Vorschläge und Initiativen zur Vereinfachung des bestehenden Regelungswerkes zu entwickeln. Sowohl für die Entsende- als auch die Zielländer ist es notwendig, einheitliche europäische Maßstäbe für Regelungen für Wanderarbeitnehmer zu haben.

5.7. Die Weiterbildung

5.7.1. Qualifizierungsmaßnahmen stellen nicht nur für die Wanderarbeitnehmer wichtige Elemente zur künftigen Beteiligung am landwirtschaftlichen Erwerb dar. Auch für Geringqualifizierte, Arbeitslose und sonstige benachteiligte Personen können diese Maßnahmen eine gute Basis für die Aufnahme einer landwirtschaftlichen Tätigkeit sein. Es ist deshalb dringend erforderlich, den Arbeitsverwaltungen der Mitgliedstaaten dergestalt Instrumente an die Hand zu geben, daß interessierte Personen von diesen Einrichtungen erfahren und Zugang zu den Maßnahmen erlangen.

5.8. Die Kontrolle

5.8.1. Die Einhaltung der gesetzlichen und tariflichen Regelungen sowie die Bekämpfung der Illegalität zum Schutz der Wanderarbeitskräfte kann nicht nur durch schärfere Kontrollen durchgesetzt werden. Für Information und Aufklärung der Beschäftigten, der Unternehmen, aber auch der Öffentlichkeit müssen die nötigen Mittel bereitgestellt werden.

5.8.2. Ergänzend zur Aufklärungsarbeit muß aber auch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden auf europäischer Ebene erfolgen, da die illegale Organisation der Vermittlung von Arbeitskräften grenzüberschreitend erfolgt. Die Kommission wird deshalb aufgefordert, dafür einzutreten, daß die Ermittlung und Verfolgung der illegalen Beschäftigung auf europäischer Ebene verstärkt koordiniert und dafür die nötigen personellen und finanziellen Mittel bereitgestellt werden.

5.9. Die Soziale Sicherung

5.9.1. Wanderarbeitnehmer sind für die europäische Landwirtschaft unverzichtbar. Sie sollen wie alle anderen Arbeitnehmer mit den gleichen wirtschaftlichen und sozialen Rechten ausgestattet werden. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des primären Sektors und müssen auch an den Errungenschaften beteiligt werden. Wichtige Errungenschaften sind die sozialen Sicherungssysteme sowie die in einigen Mitgliedstaaten bestehenden zusätzlichen Rentenkassen. Jegliche Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer ist zu beenden.

5.9.2. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, die sozialen Sicherungssysteme in der Landwirtschaft zu analysieren und gemeinsam mit den Sozialpartnern Möglichkeiten der Einbeziehung von Wanderarbeitskräften in diese Systeme zu erarbeiten. Dabei sollten die mit der Leistungserbringung erworbenen Ansprüche des Wanderarbeitnehmers in der Sozialversicherung abgesichert sowie individuell erworbene Rentenansprüche in das jeweilige Heimatland transferiert werden.

Brüssel, den 24. Mai 2000.

Die Präsidentin

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Beatrice Rangoni Machiavelli

(1) Jedesmal wenn im Text von Arbeitnehmern die Rede ist, sind natürlich auch Arbeitnehmerinnen gemeint. Deshalb wird von hier an der Kürze halber nur noch von Arbeitnehmern gesprochen.

(2) siehe ABl. C 355 vom 21.11.1997, S. 51 ff.

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