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Document 52000IE0586

    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema «Der Beitrag der Frau zur nachhaltigen Entwicklung der gemeinschaftlichen Landwirtschaft»

    ABl. C 204 vom 18.7.2000, p. 29–34 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    52000IE0586

    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema «Der Beitrag der Frau zur nachhaltigen Entwicklung der gemeinschaftlichen Landwirtschaft»

    Amtsblatt Nr. C 204 vom 18/07/2000 S. 0029 - 0034


    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Der Beitrag der Frau zur nachhaltigen Entwicklung der gemeinschaftlichen Landwirtschaft"

    (2000/C 204/07)

    Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 21. Oktober 1999 gemäß Artikel 23 Absatz 3 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2000 an. Berichterstatterin war Frau Borrego Izquierdo, an deren Stelle nach dem Beschluß der Fachgruppe vom 19. April 2000 Frau Sánchez Miguel trat.

    Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 373. Plenartagung am 24. und 25. Mai 2000 (Sitzung vom 24. Mai) mit 109 Ja-Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

    1. Einleitung

    1.1. Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Mann und Frau waren und sind Ziele internationaler, gemeinschaftlicher und nationaler Politik, die erstmals in der Gründungscharta der Vereinten Nationen von 1946 schriftlich anerkannt wurden. Seitdem wurde die Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau mit zahlreichen Aktionen, politischen Maßnahmen und Rechtsakten angestrebt, wie z. B. den Römischen Verträgen von 1957(1) und in neuerer Zeit dem Amsterdamer Vertrag von 1997, durch den der EU- und der EG-Vertrag geändert werden; hinzu kommen verschiedene Gleichstellungspläne(2).

    1.2. Die Europäische Union verfügt über Instrumente zur Förderung von Frauen im ländlichen Raum, die jedoch bis nach der Annahme der Agenda 2000 nicht in vollem Umfang praktisch umgesetzt wurden. Zu nennen sind: die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums im agrarpolitischen Teil der Agenda 2000, die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24. und 25. März 1999 in Berlin beschlossene Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik(3), die Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) sowie die Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds.

    2. Zweck der Stellungnahme

    2.1. Diese Stellungnahme soll dazu beitragen, ein klareres Bild von der Lage und der Rolle der Frauen in den ländlichen Gebieten der Europäischen Union zu gewinnen, denn bisher wurde Aspekten wie der Diversifizierung des Angebots an Arbeitsplätzen für Frauen auf dem Lande und ihren unterschiedlichen Beschäftigungs- und Ausbildungsbedürfnissen in den Landentwicklungsstrategien nur wenig Beachtung geschenkt.

    2.2. Wegen des Mangels an aktuellen Daten und insbesondere aktuellen Statistiken soll daher zunächst eine Bestandsaufnahme der Situation der Landfrauen und ihrer wirklichen Bedürfnisse und Wünsche unter einem doppelten Blickwinkel vorgenommen werden: Die Erfahrungen der Frauen in den ländlichen Gebieten der EU in bezug auf ihre Ausbildung und ihre Einbindung in das ländliche Leben sollen festgestellt sowie die Hindernisse deutlich gemacht werden, die ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit und die Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt erschweren.

    2.3. Darüber hinaus sollen Modellösungen für die Anerkennung des bedeutsamen Beitrags der Frau zur nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Gebiete vorgeschlagen und mögliche Wege aufgezeigt werden, auf denen ihre berufliche, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung verbessert werden kann.

    3. Landfrauen und Landentwicklung in der Europäischen Union

    3.1. Die Frau als tragende Säule der ländlichen Entwicklung

    3.1.1. Die verfügbaren Daten über Landfrauen beziehen sich überwiegend zum einen auf Frauen in der Landwirtschaft, zum anderen auf Kindererziehung. Der Begriff der "Landfrau" ist jedoch keineswegs deckungsgleich mit "Bäuerin". Sicher sind ein erheblicher Teil der Frauen, die in landwirtschaftlich geprägten Gegenden leben und arbeiten, Bäuerinnen, doch folgt diese Stellungnahme einem umfassenderen Ansatz und beschäftigt sich mit Fragen der integrierten Entwicklung und Diversifizierung ländlicher Gebiete.

    3.1.2. Der Begriff der "Landwirtin" umfaßt alle Frauen, die in der Landwirtschaft tätig sind; dabei spielt es keine Rolle, ob sie Inhaberin oder Mitinhaberin des Betriebs oder Ehefrau eines Landwirtes ist, der seinen Betrieb im Voll- oder Nebenerwerb führt. Die Statistiken zeigen, daß gegenwärtig ein Drittel der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung Frauen sind, denn bei insgesamt 34 % Anteil an der Gesamtzahl sind nur 10 % Betriebsinhaberinnen; allerdings ist der Anteil der Frauen, die den Betrieb führen, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich. Zwei Gruppen von Ländern lassen sich unterscheiden: die Länder mit strukturbedingten Rückständen, die in der Regel einen über dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegenden Anteil von Frauen als Betriebsinhaberinnen haben, und die Länder mit einer hochspezialisierten Landwirtschaft oder Intensiv-Landwirtschaft, in denen ihr Anteil im allgemeinen geringer ist.

    3.1.3. Die neue Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 über die Entwicklung des ländlichen Raums berücksichtigt viele der in der 1996 verabschiedeten Erklärung von Cork vereinbarten Grundsätze, u. a. die Notwendigkeit einer Politik zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums, eines multidisziplinären und multisektoralen Ansatzes - und in der Konsequenz eines integrierten Konzepts und einer Interventionsstrategie mit diversifizierten Lösungen -, die Sicherstellung einer schonenden Verwendung der Naturressourcen sowie mehr Subsidiarität und Partizipation durch Einbeziehung der lokalen Gebietskörperschaften.

    3.1.4. Außerdem ist der grundlegende Beitrag hervorzuheben, den Landfrauen zu dem in Artikel 33 der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999(4), der Agrarumweltpolitik, der Agenda 2000 und der aktuellen GAP-Reform vorgesehenen Maßnahmen leisten können.

    3.1.5. Angesichts der Verschiedenartigkeit der ländlichen Gebiete in der Union muß die Landentwicklungspolitik dem Subsidiaritätsprinzip bzw. dem Grundsatz der Komplementarität folgen und auf der Zusammenarbeit aller betroffenen Ebenen (lokale, regionale, nationale und europäische) beruhen.

    3.1.6. Hervorzuheben ist der multifunktionale Charakter der Landwirtschaft, auf den in der Erklärung des Europäischen Rates auf seiner Tagung am 12. und 13. Dezember 1997 in Luxemburg hingewiesen wurde.

    3.1.7. Die EU steht vor der Aufgabe, in einem integrierten Ansatz eine multifunktionale Landwirtschaft zu gestalten, die in der Lage ist, entscheidende Impulse für die Entwicklung ländlicher Räume und der Landbevölkerung zu geben. In diesem Prozeß, der auf den örtlichen Ressourcen aufbaut, haben jedoch nicht alle ländlichen Gebiete die gleichen Entwicklungschancen; jedes hat sein eigenes Profil und seine Eigenheiten, von denen bei der Umsetzung lokaler Projekte auszugehen ist(5).

    3.1.8. Die Multifunktionalität ist ein ureigenes Kennzeichen des ländlichen Raums. Daher muß unbefangen an die Notwendigkeit herangegangen werden, die Agrar- und die Landentwicklungspolitik als Teile eines untrennbaren Ganzen zu begreifen und miteinander in Einklang zu bringen, denn auch wenn die Landwirtschaft gegenwärtig das Rückgrat des ländlichen Raumes ist, können sich in einer mehr oder minder fernen Zukunft bereits die Vorzeichen umkehren, insbesondere für die strukturschwächsten Regionen. Der Aufgabe, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, werden nur diejenigen gewachsen sein, die eine Umstrukturierung ihrer Betriebe und eine Diversifizierung ihrer Wirtschaft bewerkstelligen und eine breite Palette unternehmerischer Aktivitäten entfalten können, durch die sie die Bedürfnisse der Bevölkerung decken können. Die besondere Rolle der Frau und ihre Bedeutung als tragende Säule einer nachhaltigen Gesellschaft müssen dabei anerkannt werden.

    3.2. Veränderungen im ländlichen Europa

    3.2.1. Der ländliche Raum erlebt einschneidende Veränderungen und Wandlungsprozesse, die in einem tiefgreifenden Strukturwandel zum Ausdruck kommen: Rückgang der Zahl der Landwirte, Überalterung und Entvölkerung sowie Verlust der kulturellen Identität.

    3.2.2. In den letzten Jahren haben sich Infrastruktur und Einrichtungen in den ländlichen Gebieten zwar deutlich verbessert, doch leiden Gegenden, die in vielen Fällen ohnehin schon eine geringe Bevölkerungsdichte hatten, weiterhin unter der Landflucht. Erschwerend kommt hinzu, daß es gerade die jungen und dynamischen Bevölkerungsgruppen kaum auf dem Lande hält.

    3.2.3. Ursachen dieser Entwicklung sind zum einen die schlechteren Einkommenserwartungen und Beschäftigungsaussichten, zum anderen aber auch der schwierige Zugang zu Einrichtungen und Dienstleistungen in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Kultur und Freizeit, das geringe soziale Ansehen der landwirtschaftlichen Tätigkeit und des Landlebens sowie die Probleme der Sozialisierung, mit denen viele Frauen konfrontiert sind.

    3.2.4. Die steigende Zahl erwerbstätiger Frauen hat ebenfalls einen starken Einfluß auf die ländlichen Gebiete, und immer öfter gehen Initiativen zur Erneuerung von Frauen aus. Ihrer Rolle als Akteure der sozialen und wirtschaftlichen Neubelebung muß daher verstärkt Rechnung getragen werden. Jede Politik zur Reaktivierung strukturschwacher Gebiete und zur Förderung der lokalen Entwicklung muß auch die Bedingungen miteinbeziehen, die Frauen den Verbleib bzw. die Rückkehr erleichtern.

    4. Allgemeine und berufliche Bildung

    4.1. Ein wichtiger Entwicklungsfaktor ist die allgemeine und berufliche Bildung der Menschen in den ländlichen Gebieten. Bildung und Berufsbildung gelten überhaupt als die wichtigsten Voraussetzungen für die künftige Entwicklung der Gemeinschaft. Dies hat der Rat der Europäischen Union im Weißbuch über die europäische Sozialpolitik unterstrichen, in dem Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung als eine Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft und den Zusammenhalt unserer Gesellschaften bezeichnet werden.

    4.2. Die Bedeutung der Bildung als Entwicklungsfaktor in allen Sektoren der Wirtschaftstätigkeit ist zwar allgemein anerkannt, doch gerade auf dem Lande stellt sie eine Priorität ersten Ranges dar, weil sie angesichts der sich dort vollziehenden Veränderungen und der sozioökonomischen Besonderheiten ländlicher Gebiete die Basis ist, auf der die künftige Entwicklung aufbauen muß.

    4.3. In seinem Informationsbericht "Die Rolle der Frau im wirtschaftlichen und sozialen Leben und insbesondere ihre Integration in den Arbeitsmarkt"(6) führte der Ausschuß aus: "Ausbildung und Berufsberatung müssen spezifisch auf Frauen zugeschnitten sein und sich vor Ort auf ausreichend gegliederte Strukturen stützen können. Die Ausbildung von Frauen sollte nicht nur die eng mit der Berufsausbildung verbundenen Aspekte umfassen, sondern immer auch auf Allgemeinbildung abzielen. Denn dadurch können etwaige Lücken in der Allgemeinbildung geschlossen werden (funktioneller Analphabetismus), und es kann - über das Ziel der Anpassungsfähigkeit an einen Arbeitsplatz hinaus - ein stärkeres Bewußtsein für die eigenen, realen und potentiellen Fähigkeiten geweckt werden."

    4.4. Bei den dualen Bildungssystemen, die in einigen Mitgliedstaaten bestehen, stellt sich das große Problem, daß Frauen auf dem Lande vorwiegend aus Altersgründen nicht die Chance zu einer geregelten Berufsausbildung haben, die ihnen den Erwerb eines staatlich anerkannten Befähigungsnachweises ermöglicht, und daß diejenigen, die die Möglichkeit einer praktischen Berufsausbildung haben, diese nur mit Eignungszeugnissen, die keinen staatlich anerkannten Abschluß darstellen, zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beenden. Außerdem gibt es nur wenige Fachrichtungen, in denen für Frauen auf dem Lande Bildungsgänge angeboten werden. Es muß also für Bildungsangebote in allen Berufen gesorgt werden, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Das Angebot muß den wirklichen Erfordernissen in jedem Gebiet angepaßt sein; darüber hinaus muß im Rahmen eines einheitlichen Befähigungsnachweissystems die Anerkennung von Zeugnissen außerhalb des Gebiets, in dem es erworben wurde, ermöglicht werden(7).

    4.5. In diesem Zusammenhang ist auf die besondere Bedeutung hinzuweisen, die der Fernausbildung im ländlichen Raum zukommen kann.

    4.6. In den meisten Teilen der Welt haben Frauen in wesentlich geringerem Umfang als Männer Zugang zu einer akademischen Ausbildung; besonders deutlich zeigt sich das auf dem Lande. In den meisten Mitgliedstaaten konzentrieren sich die Berufsbildungsmöglichkeiten eher auf die städtischen Zentren und sind dem Ausbildungsbedarf ländlicher Gemeinschaften kaum angepaßt. Nötig ist eine Ausbildung nicht nur für gewerbliche, sondern auch landwirtschaftliche Berufe.

    4.7. Ein wichtiges Element zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums stellen die Gemeinschaftsprogramme dar, z. B. LEADER+(8), die dem Erwerb von Befähigungen und der Ausbildung in innovativen Technologien dienen, damit Frauen in der ländlichen Wirtschaft den ihnen gebührenden Platz einnehmen können(9).

    4.8. Daneben besteht das Programm EQUAL, das allgemeine Fördermittel für Frauen, Behinderte und Angehörige ethnischer Minderheiten vorsieht.

    5. Beschäftigung

    5.1. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß Frauen in ländlichen Gebieten wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Männer.

    5.2. Die stärkere Abweichung der Beschäftigungsquoten in den ländlichen Gebieten im Vergleich zu den städtischen ist nicht nur durch die Spezifika des ländlichen Raumes bedingt, sondern hat auch geschlechtsbezogene Gründe.

    5.3. Ein weiterer Faktor, der die Unterschiedlichkeit der Beschäftigungsquoten beeinflußt, ist das Alter, denn in den ländlichen Gebieten können die Frauen aufgrund ihres üblicherweise früheren Eintritts in das Arbeitsleben weniger Zeit für ihre Ausbildung aufwenden.

    5.4. Bei der Geschlechterverteilung in den drei großen Wirtschaftsbereichen Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen fällt der hohe Anteil von Frauen im Dienstleistungsbereich sowie die allmählich zunehmende Bedeutung des Fremdenverkehrs (Urlaub auf dem Lande) auf.

    5.5. Die Erwerbstätigkeit von Frauen auf dem Land umfaßt vorwiegend ungelernte oder niedrig qualifizierte Tätigkeiten. Die Aufnahme einer Beschäftigung wird hauptsächlich erschwert durch das mangelnde Arbeitsplatzangebot, große Entfernungen und schlechte Verkehrsanbindung, unzureichende unterstützende Dienste und Einrichtungen, ungleiche Aufgabenverteilung im häuslichen und familiären Bereich, geringere Vergütung als Männer und kulturelle Einstellungen.

    5.6. Der Europäische Rat hat auf seiner Sondertagung über Beschäftigungsfragen am 20. und 21. November 1997 in Luxemburg(10) die Leitlinien für 1998 festgelegt und darin in Abschnitt IV die Stärkung der Maßnahmen für Chancengleichheit einbezogen.

    5.7. Von Frauen organisierte Genossenschaften leisten einen erheblichen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Wirtschaft in den Erzeugungsgebieten; durch die Herstellung und Vermarktung selbstgemachter Erzeugnisse, für die es heute einen bedeutsamen Nischenmarkt gibt, und die Erbringung von Dienstleistungen im ländlichen Umfeld, wie z. B. Urlaub auf dem Bauernhof, bilden sie eine Ergänzung zu der eigentlichen landwirtschaftlichen Tätigkeit. Allerdings haben sie nicht in der gesamten EU die gleiche Verbreitung. Gerade in den Mitgliedstaaten jedoch, in denen ein Großteil landwirtschaftlicher Tätigkeiten von Genossenschaften getragen wird, ist eine höhere Leistungsfähigkeit in Produktion und Handel zu verzeichnen. Dies zeigt, wie wichtig ihr Beitrag zur ländlichen Entwicklung und zur Sicherung der Überlebensfähigkeit der Betriebe ist.

    6. Spezifische Probleme der Frauen in der EU-Landwirtschaft

    6.1. Betriebsinhaberschaft

    6.1.1. Eines der Probleme, das bei der Erörterung des Themas Landwirtschaft immer wieder auftritt, ist die Schwierigkeit, die in der Landwirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten eingesetzten Humanressourcen voneinander zu unterscheiden. Die heterogene Verflechtung mit dem landwirtschaftlichen Betrieb (Eigentümer, Betriebsleiter, Familienhilfen, abhängig Beschäftigte u. a.), die Beschäftigungsart (Teilzeit, Vollerwerb, Gesamtarbeitszeit, befristetes festes Arbeitsverhältnis, Saisonarbeit u. a.), das Fehlen einer klaren Trennlinie zwischen der landwirtschaftlichen Arbeit und der Arbeit im Nahrungsmittelbereich und der hauswirtschaftlichen Erzeugung und die Inanspruchnahme der Sonderregelungen der Sozialversicherung als Refugium sind einige der Faktoren, die eine genaue Unterscheidung der in der Landwirtschaft Beschäftigten erschweren. Noch schwerer wird diese Unterscheidung bei Frauen, vor allem weil ihre Arbeit in der Landwirtschaft traditionell nicht offen zutage tritt und es keine eindeutige Trennlinie zwischen der Arbeit im eigentlichen landwirtschaftlichen Betrieb, der Arbeit in Heim und Haus und einer Reihe anderer ländlicher Tätigkeiten gibt.

    6.1.2. Darüber hinaus sind bei einer Analyse der Situation mehrere andere bestimmende Faktoren zu berücksichtigen:

    6.1.2.1. Die Diversität der statistischen Quellen macht einen aussagekräftigen Vergleich der von ihnen stammenden Daten praktisch unmöglich. Außerdem nehmen nicht alle Quellen eine geschlechtsspezifische Unterscheidung vor.

    6.1.2.2. Die Besteuerung ist ein weiterer Faktor, der ausschlaggebend für die Verschleierung der Arbeit des Mannes ist. Viele in der Betriebsführung zwischen den Ehegatten vorgenommene Überweisungen, insbesondere wenn die Haupterwerbstätigkeit des Ehemannes nicht die Landwirtschaft ist, werden zu dem Zweck vorgenommen, die Einkommen zu verteilen und die Steuerbelastung der Familie zu senken.

    6.1.2.3. Die Sondersysteme der Sozialversicherung für die Landwirtschaft werden dazu genutzt, die Frau durch den darin erworbenen Anspruch auf Altersrente abzusichern.

    6.1.3. Der Normalfall eines landwirtschaftlichen Betriebes in der Europäischen Union ist der Familienbetrieb. In der EU gibt es 7 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, von denen 67 % eine Betriebsfläche zwischen einem und zehn Hektar aufweisen, also Familienbetriebe sind; fünf Millionen davon konzentrieren sich auf die Südländer Italien, Spanien, Griechenland und Portugal. Diese Zahlen veranschaulichen die historischen und kulturellen Faktoren und die Identität der Landwirtschaft in Europa. Sie ist jedoch in ihrer Existenz bedroht, weil niemand den Platz und den Stellenwert kennt oder begreift, der der Landwirtschaft in Europa zukommt. Dies wäre aber entscheidend für die Erhaltung und Entwicklung des ländlichen Raumes(11).

    6.1.4. Bei den Frauen, die zur Wirtschaftstätigkeit des Betriebes beitragen, ist eine genaue Unterscheidung vorzunehmen, denn es handelt sich um mehr oder weniger die Hälfte der Gesamtleistung der Landwirtschaft, der einzelstaatlichen Volkswirtschaften und der Wirtschaft der EU. Daraus könnte dann ermittelt werden, welche Arbeit abhängig Beschäftigte und Betriebsinhaberinnen leisten.

    6.1.5. Die Leistungen von Frauen in einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb sind doppelt unsichtbar: Sie verrichten nicht nur die Hausarbeit, sondern auch einen erheblichen Teil der Produktionstätigkeiten, der buchmäßig schwer zu erfassen ist. Dies führt zu einer Unterbewertung und Unterschätzung ihres Beitrags.

    6.2. Landfrauen in der Sozialversicherung

    6.2.1. Es ist schwierig, die Situation der Landfrauen in der EU in der Sozialversicherung darzustellen, weil es hier mehrere Systeme zu unterscheiden gilt, die auf sie anwendbar sind. Vereinfacht gesagt, bestehen neben dem allgemeinen Versicherungssystem für alle Arbeitnehmer unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit und dem Bereich, in dem sich diese Tätigkeit vollzieht, Sondersysteme in verschiedenen Varianten für unterschiedliche Tätigkeiten, u. a. auch für den Bereich der Landwirtschaft.

    6.2.2. Die allgemeine Sozialversicherung bietet den angeschlossenen Arbeitnehmern soziale Leistungen, die sie von den Sondersystemen abheben und für abhängig in der Landwirtschaft beschäftigte Frauen sehr wichtig sind, denn sie kommen dadurch in den Genuß von Leistungen des Gesundheitsschutzes, bei Krankheit, Mutterschaft, Urlaub, Renten usw.

    6.2.3. In den Sondersystemen haben sie diese Ansprüche dagegen nur, wenn sie als Betriebsinhaberinnen oder als Landarbeiterinnen auftreten; ansonsten sind sie der Krankenversicherung nur als Ehegattinnen angeschlossen(12). Dies ist einer der Gründe für den späten Beitritt der Landfrauen zur Sozialversicherung, denn sie suchen Leistungsansprüche, insbesondere auf Altersrente, die sie nur durch ihre Aufnahme in ein Sondersystem erwerben können.

    6.2.4. Die EU sollte auf die vollständige Umsetzung der Richtlinie Nr. 86/613/EWG über die Anerkennung der Arbeit von Ehegattinnen, deren Hauptzweck in der Verwirklichung der Gleichbehandlung in den verschiedenen Sozialversicherungssystemen besteht, im Bereich der Landwirtschaft dringen.

    6.2.5. Wahrscheinlich melden sich Frauen bei der allgemeinen Sozialversicherung an, weil sie außer der Mithilfe im landwirtschaftlichen Familienbetrieb keine andere Arbeit haben, d. h. eigentlich zahlen sie als Selbständige ein. Dies erklärt wohl auch die Schwierigkeiten rechtlicher Art, vor denen Frauen stehen, die in die landwirtschaftliche Sozialversicherung einzahlen. Diese Probleme hängen auch damit zusammen, daß ein gewisses Maß an "Gewohnheitsmäßigkeit" der Arbeit vorausgesetzt wird; dies ist jedoch ein ziemlich vages Zulassungskriterium, das bisweilen an der Realität vorbeigeht, denn es ist an die wirtschaftliche Größe des Betriebs gebunden. So wird der wirtschaftliche Charakter des Betriebs zum entscheidenden Kriterium für die Höhe der Beitragsleistung der Landfrauen.

    7. Vorschläge und Schlußfolgerungen

    7.1. Die Chancengleichheit von Männern und Frauen im ländlichen Raum muß in vollem Umfang verwirklicht werden, um die Lebensqualität zu verbessern, und muß in allen mit der ländlichen Entwicklung zusammenhängenden Gemeinschaftsmaßnahmen mitberücksichtigt werden. In allen Handlungsbereichen ist in diesem Sinne ein gleichstellungsförderndes "Mainstreaming" nötig. Außerdem sollte die Kommission die Vorschläge des WSA zum neuen Programm für Chancengleichheit, das 2001 in Kraft tritt, berücksichtigen.

    7.2. Die Gleichstellungsmaßnahmen müssen darauf abzielen, den Frauen den Verbleib in ihren Heimatorten zu ermöglichen, damit das notwendige Gleichgewicht in der Bevölkerungszusammensetzung gewahrt bleibt und eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht wird.

    7.3. Von entscheidender Bedeutung ist es, die ländlichen Gebiete zu einem attraktiven Raum zu gestalten, in dem die grundlegenden Infrastrukturen (Verkehrsverbindungen, Gesundheitseinrichtungen, Kindertagesstätten, Bibliotheken) vorhanden sind, die den Frauen auch den Zugang zu Bildungsangeboten und Arbeitsstellen erleichtern. Außerdem müssen Dienste eingerichtet werden, die eine Vertretung bei Urlaub oder aus anderen Gründen sowie eine Unterstützung in der Betriebsführung erlauben.

    7.4. Die Koordinierung zwischen der lokalen, regionalen, nationalen und gemeinschaftlichen Ebene muß unter stärkerer Einbeziehung der Institutionen verbessert werden, um die Entwicklung auf ausgewogene Weise zu fördern.

    7.5. Die Diversifizierung muß stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, denn sie wird oft von Frauen wesentlich mitgeprägt (KMU, regionale und handwerkliche Erzeugnisse, Tourismus auf dem Lande). Dies würde auch die Multifunktionalität unterstützen.

    7.6. Die Bildungs- und Ausbildungssysteme müssen auf die Produktionssysteme abgestimmt werden, um die Landflucht zu stoppen. Nötig ist eine gute Grund- und Allgemeinbildung (einschließlich der Fernausbildung), die die spätere Anwendung von Ressourcen und Qualifikationen ermöglicht und auf der eine geregelte, praxisbezogene Berufsausbildung mit einem staatlich anerkannten Abschluß, der den aktuellen Arbeitsmarktanforderungen gerecht wird, aufbauen kann.

    7.7. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hält es für sehr wichtig, daß die Frauen auf dem Lande eine Ausbildung erhalten, die auf ihre besonderen Lebensumstände zugeschnitten ist, ihnen mehr Selbstvertrauen gibt und es ihnen ermöglicht, sich stärker in den Beschlußfassungsprozeß und in das sozioökonomische Umfeld, in dem sie leben, einzubringen. Lokale Finanzressourcen sind in stärkerem Maße zur Förderung von Landentwicklungsprojekten einzusetzen.

    7.8. Die Gemeinschaftsinitiativen LEADER+ und EQUAL müssen mit Blick auf die Förderung der Gleichstellung fortgeführt werden. Besonderes Augenmerk muß dabei auf dem zentralen Entwicklungsfaktor Ausbildung liegen. Außerdem sollte ein spezifischer Teil dieser Initiativen den auf dem Lande lebenden Frauen gewidmet werden.

    7.9. Der Ausschuß mahnt bei den einzelnen Mitgliedstaaten eine stärkere Umsetzung der Rechtsvorschriften an, durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet werden sollen. Dazu muß auch die Möglichkeit gehören, eine Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit zu vereinbaren, um eine gleichmäßige Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau zu erreichen. Neue Ansätze sind zu fördern, die dem Bedarf der Gesellschaft an Pflegeleistungen gerecht werden, insbesondere für Kinder, Senioren, Kranke und Behinderte. Darüber hinaus ist ein angemessener Mutterschutz sicherzustellen.

    7.10. Der Einsatz der Finanztechnik im ländlichen Kreditwesen ist zu fördern, um größere Synergien zwischen privatem und öffentlichem Kapital zu erreichen und die finanziellen Verbindlichkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen zu verringern. Der Zugang zu zinsgünstigen Krediten und Kleinkrediten muß verbessert werden, um die Umsetzung unternehmerischer Initiativen von Frauen zu unterstützen(13).

    7.11. Die Strukturfonds-Reform kann eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Prosperität in den ländlichen Gebieten spielen. Mehr Augenmerk verdienen dabei junge Frauen und all diejenigen neuen Tätigkeiten, die von Frauen ausgeübt werden können. Es sollte darauf geachtet werden, daß vom Sozialfonds anerkannte Programme den Bedürfnissen der Landfrauen gerecht werden, insbesondere in bezug auf die Verbreitung der neuen Technologien, so daß die Programme besser auf die Qualifizierung der Frauen und die Förderung ihrer Tätigkeiten und Erzeugnisse zugeschnitten sind.

    7.12. Wenn die ländliche Entwicklung als ein stetiger, endogener Prozeß verstanden wird, müssen sich die auf dem Lande lebenden Frauen in Vereinigungen oder Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen, damit sie an der Entwicklung ihrer Region als Protagonisten mitwirken und sich für die bessere Ausbildung der Humanressourcen und die Konzipierung von Strategien einsetzen können, durch die lokale Entwicklungsakteure stärker ins Spiel kommen.

    7.13. Sehr sinnvoll wäre die Koordinierung aller in den Mitgliedstaaten bestehenden Landfrauenverbände und -organisationen als Voraussetzung für die ständige Vertretung der Landfrauen in allen Einrichtungen der EU; dafür sollten sachdienliche Schritte eingeleitet und die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Dies würde eine bessere Information und einen Erfahrungsaustausch ermöglichen, um die Problemlage jeder Region analysieren und Lösungsvorschläge sammeln zu können.

    7.14. In bezug auf das spezielle Problem der Inhaberschaft landwirtschaftlicher Betriebe ist der Ausschuß der Auffassung, daß vordringlich daran gearbeitet werden muß, die Anerkennung der von den Ehegatten im Betrieb geleisteten Arbeit in den Ländern, in denen sie bisher nicht gewährleistet ist, zu erreichen. In bezug auf die Sozialversicherungsbeiträge könnte eine mögliche Lösung darin bestehen, einen einheitlichen Beitrag für Selbständige und Familienhilfen einzuführen.

    Brüssel, den 24. Mai 2000.

    Die Präsidentin

    des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Beatrice Rangoni Machiavelli

    (1) Artikel 119 des Vertrags von Rom legte den Grundstein der europäischen Gleichstellungspolitik; er enthält den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen und ist damit zum Ausgangspunkt einer wirklich sozial orientierten Politik geworden.

    (2) Gegenwärtig läuft das Vierte Aktionsprogramm für die Chancengleichheit von Männern und Frauen (1996-2000).

    (3) Die im Rahmen der GAP ins Auge gefaßte neue Politik zur Entwicklungdes ländlichen Raums verfolgt u. a. das Ziel einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Chancengleichheit.

    (4) Dieser Artikel der Verordnung befaßt sich ausschließlich mit ländlichen Fragen und sieht ein Bündel von Maßnahmen zur Entwicklungländlicher Gebiete vor, darunter insbesondere: Vermarktung landwirtschaftlicher Qualitätserzeugnisse, Dienstleistungseinrichtungen zur Grundversorgung für die ländliche Bevölkerung, Diversifizierung der Tätigkeiten im landwirtschaftlichen und landwirtschaftsnahen Bereich zur Erschließung alternativer Einkommensquellen, Förderung von Fremdenverkehrs- und Handwerkstätigkeiten u. a.

    (5) Zu weiteren Ausführungen über die Multifunktionalität siehe auch die Stellungnahme "Eine Politik zur Konsolidierung des europäischen Agrarmodells", ABl. C 368 vom 20.12.1999, S. 76, und die Stellungnahme "Die vorrangigen Umweltziele für die in der Agenda 2000 vorgesehene multifunktionelle Landwirtschaft", ABl. C 368 vom 20.12.1999, S. 68.

    (6) CES 286/99 fin vom 26.8.1999.

    (7) In diesem Sinne äußerte sich auch der Rat der Europäischen Union in bezug auf das Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung".

    (8) Die Leitlinien für das Programm LEADER+, mit dem vorrangig Pilotprojekte zur Entwicklungdes Eigenpotentials der ländlichen Gebiete gefördert werden soll, sind bereits angenommen.

    (9) In Ziffer 4.10 seiner Stellungnahme zu LEADER+ (ABl. C 51 vom 23.2.2000) geht der Ausschuß ausdrücklich auf die Bedürfnisse der auf dem Land lebenden Frauen ein.

    (10) 1998 war ein bedeutsames Jahr für die Konsolidierung des Prozesses der Anerkennung der Chancengleichheit als eines grundlegenden Elementes des europäischen Modells für die Schaffung von Beschäftigung.

    (11) Statistische Quelle: Eurostat, "Europa in Zahlen", fünfte Auflage.

    (12) Richtlinie Nr. 86/613/EWG vom 11. Dezember 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft - ausüben.

    (13) In Schweden gibt es z. B. eine Bank für Frauen.

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