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Document 52015AE1083

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Integrierte europäische Luftverkehrspolitik“ (Sondierungsstellungnahme)

ABl. C 13 vom 15.1.2016, p. 169–175 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 13/169


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Integrierte europäische Luftverkehrspolitik“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 013/25)

Berichterstatter:

Herr Jacek KRAWCZYK

Die Europäische Kommission beschloss am 2. März 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

„Integrierte europäische Luftverkehrspolitik“

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 510. Plenartagung am 16./17. September 2015 (Sitzung vom 17. September 2015) mit 97 gegen 3 Stimmen ohne Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Wenn das europäische Luftfahrt-Wertenetz insgesamt nicht in der Lage ist, sich in einer globalisierten Wirtschaft zu behaupten, steht die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Luftfahrt auf dem Spiel. „Höhere Intermodalität, bessere Verbindungen, effizientere Nutzung von Sekundärflughäfen und kleinen Flughäfen (…) und Optimierung der Verfahren“ (1) sind daher von grundlegender Bedeutung.

1.2.

Die Europäische Kommission hat mehrere Regulierungsinitiativen für das Luftfahrt-Wertenetz innerhalb der EU entwickelt. So hat sie die Leitlinien für staatliche Beihilfen für Luftfahrtunternehmen und Flughäfen überarbeitet und ein „Flughafenpaket“ sowie Rechtsvorschriften zur Förderung der Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Luftraums vorgelegt. Es sind jedoch weitere Anstrengungen erforderlich, um die vollständige Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften im Bereich Luftfahrt durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen.

1.3.

Die EU-Luftfahrt steht an einem Scheideweg: Ohne eine überzeugende und kohärente Strategie läuft sie Gefahr, dass sich die Bereitstellung zuverlässiger Anbindungen für Bürger, Handel und Tourismus weiter erschwert und sie dadurch ihre Wirtschaftskraft und ihr Wachstumspotenzial einbüßt. Um dem abzuhelfen, sind indes nicht unbedingt immer neue Rechtsvorschriften vonnöten. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, mehr zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die geltenden Rechtsvorschriften umgesetzt werden.

1.4.

Angesichts der Fragmentierung der Luftfahrtunternehmen, der zunehmenden Konkurrenz durch Drehkreuzflughäfen in Drittländern, der schleppenden Fortschritte bei der Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Luftraums und des zunehmenden Risikos einer unzureichenden Anbindung kleinerer Regionen und/oder von Regionen in Randlage sollte die Europäische Kommission ihre EU-Luftverkehrsstrategie auf einer überzeugenden Vision aufbauen, wie die europäische Wettbewerbsfähigkeit am besten gefördert werden kann, ohne den Wettbewerb zu verzerren oder die sozialen und arbeitsrechtlichen Beziehungen zu untergraben.

1.5.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Europäische Kommission die Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit ermitteln und als Grundlage für ihre Strategie die wirtschaftlichen Vorteile, die die Luftfahrt für Europa bringt, sowie die sozialen und ökologischen Werte, die Europäische Union auszeichnen, heranziehen.

1.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, dafür zu sorgen, dass vergleichbare internationale Normen und Standards gleichermaßen auf Wettbewerber aus der EU und aus Drittländern Anwendung finden. Dazu gehört auch die Förderung der internationalen Anwendung der Grundsätze des fairen Wettbewerbs und der grundlegenden ILO-Übereinkommen. Dazu könnte die Überarbeitung der aktuellen Bestimmungen für die Einbeziehung der Interessenträger in internationale Verhandlungen erforderlich sein.

1.7.

Die auszuarbeitende Luftverkehrsstrategie muss auf einem konstruktiven sozialen Dialog beruhen. Auf EU-Ebene sollte der Ausschuss für den sektoralen sozialen Dialog für die Zivilluftfahrt zu Initiativen der EU-Institutionen für diesen Sektor konsultiert werden. Auf nationaler Ebene bestehen einige Bestimmungen, die umgesetzt werden sollten, um die sozialen und arbeitsrechtlichen Bedingungen zu sichern und Wettbewerbsverzerrungen durch sogenannte Billigflaggen zu verhindern. Wenngleich die Zuständigkeit der Europäischen Union in diesem Bereich begrenzt ist, sollte die Europäische Kommission alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um bei den Sozialpartnern auf europäischer und nationaler Ebene starken Rückhalt für ihre Initiativen zu finden.

1.8.

Der EWSA empfiehlt außerdem, dass die Europäische Kommission ihn im Zuge der Weiterentwicklung und Umsetzung ihrer Luftverkehrsstrategie konsultiert. Der EWSA wird seinerseits ein Projekt auf den Weg bringen und hierfür angemessene Ressourcen und Know-how bereitstellen.

1.9.

Der EWSA fordert alle Interessenträger in der Luftfahrt auf, sich zu der Umsetzung einer neuen EU-Luftverkehrsstrategie zu verpflichten. Ehe die europäische Luftfahrt zu einem neuen Höhenflug ansetzen und erneut wirksame Beiträge zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der EU leisten kann, muss Partikularismen in ihrem Wertenetz Einhalt geboten werden. Die Europäische Kommission muss eine starke politische Führungsrolle übernehmen.

1.10.

Weitere detaillierte Empfehlungen sind Ziffer 3 dieser Stellungnahme zu entnehmen.

2.   Einleitung: Die ökonomischen Aspekte des Luftverkehrs als Antrieb für strategisches und dringliches Handeln

2.1.

Das Luftverkehrssystem schafft Vorteile über die unmittelbare Luftfahrtindustrie hinaus. Es bietet nicht nur Vorteile im Sinne von Verkehrsanbindung und Mobilität für Bürger und Unternehmen, sondern auch für Handel und Tourismus, Investitionssicherung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Steigerung von Produktivität und Innovationsfähigkeit und leistet somit einen Beitrag zum Wohlergehen der Gesellschaft.

2.2.

Im Jahr 2012 sicherten die Luftverkehrsunternehmen in Europa schätzungsweise 2,6 Mio. direkter Arbeitsplätze; dank der Ausgaben von Touristen, die über den Luftweg an ihren Zielort gelangten, wurden schätzungsweise weitere 4,7 Mio. Arbeitsplätze geschaffen und zusätzliche 279 Mrd. USD zum BIP beigetragen.

2.3.

Die Herstellung von Hard- und Software für die Luftfahrt in Europa entspricht den weltweit höchsten innovativen Standards. Gleiches gilt mittlerweile auch für Innovationen im Bereich Flugverkehrsmanagement und -verfahren sowie Unternehmensentwicklung und -management.

2.4.

Da der Flugverkehr eine Triebfeder für Wirtschaftswachstum ist, wird erwartet, dass das Forschungsprogramm für das Flugverkehrsmanagement im einheitlichen europäischen Luftraum (SESAR), die technologische Komponente des einheitlichen europäischen Luftraums, bis 2020 kombinierte positive Auswirkungen auf das BIP in Höhe von 419 Mrd. EUR haben und rund 42 000 neue Arbeitsplätze schaffen wird.

2.5.

Die EU hat einen Rechtsrahmen für den europäischen Luftverkehrsmarkt entwickelt:

2.5.1.

Einheitlicher europäischer Luftraum: eine Initiative, die 2004 ins Leben gerufen und im Juni 2008 mit der Verordnung für das Maßnahmenpaket SES II sowie 2013 mit dem Maßnahmenpaket SES II+ überarbeitet wurde. Hauptziel ist die Reform des Flugverkehrsmanagements in Europa, um die kontinuierliche Zunahme des Luftverkehrsaufkommens und den Flugsicherungsbetrieb bei Gewährleistung der höchsten Sicherheit, gleichzeitig aber auch kosten- und flugeffizienter und umweltfreundlicher zu bewältigen (siehe EWSA-Stellungnahmen TEN/504 (2) und TEN/354 (3)).

2.5.2.

Das Flughafenpaket: Am 1. Dezember 2011 legte die Europäische Kommission ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bewältigung von Kapazitätsengpässen auf europäischen Flughäfen und zur Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen für die Fluggäste vor. Das Europäische Parlament nahm die Legislativvorschläge im Dezember 2012 an (siehe EWSA-Stellungnahme TEN/475 (4)).

2.5.3.

Einbeziehung der Luftfahrt in das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) im Jahr 2012: Die Europäische Kommission führte ein Schema für den Handel mit Emissionszertifikaten ein. Nach dem unzufriedenstellenden Ausgang der Versammlung 2013 der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) nahm die EU eine Verordnung zur Änderung der Emissionshandelsrichtlinie an, mit der das EU-ETS vorbehaltlich der Ergebnisse der ICAO-Versammlung 2016 einstweilen auf rein innergemeinschaftliche Flüge beschränkt wird.

2.5.4.

Überarbeitung der Leitlinien für staatliche Beihilfen: von der Europäischen Kommission im Februar 2014 zur Aktualisierung und Modernisierung früherer Leitlinien aus den Jahren 1994 und 2005 angenommen. Zu den wichtigsten Punkten der geltenden Leitlinien zählen die Festlegung neuer Kriterien für förderfähige Flughäfen und für Starthilfe für Fluggesellschaften zur Eröffnung neuer Strecken (siehe EWSA Stellungnahme CCMI/125 (5)).

2.5.5.

Flughafenkapazität: Im Rahmen des „Aktionsplans für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa“ der Europäischen Kommission wurde 2007 für die Dauer von fünf Jahren eine gemeinschaftliche Beobachtungsstelle für Flughafenkapazität eingerichtet, die im Zeitraum 2008-2013 eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Aktionsplans übernahm. Im Rahmen dieser Beobachtungsstelle konnten Interessenträger wertvolles Feedback für die Europäische Kommission liefern, bewährte Verfahren austauschen und Problemlösungen auf politischer Ebene ausloten (siehe EWSA-Stellungnahme TEN/552 (6)).

2.5.6.

Verbraucherschutz: Die Europäische Kommission kündigte im März 2013 ein auf vier Schlüsselbereiche ausgerichtetes Maßnahmenpaket zur Aktualisierung der Fluggastrechte an: Beseitigung rechtlicher Grauzonen, neue Rechte, Durchsetzung, Bearbeitung von Beschwerden und Sanktionen sowie unverhältnismäßige finanzielle Belastung.

2.5.7.

Dies sind nur einige der Maßnahmen, Initiativen und Projekte der EU im Bereich Luftfahrt. Die Europäische Kommission intensivierte zudem ihre Zusammenarbeit mit EU-eigenen und europäischen Agenturen wie der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und Eurocontrol und verfolgte vielfältige Tätigkeiten in Verbindung mit der internationalen Dimension des EU-Luftverkehrs.

2.6.

Nach Ansicht des EWSA braucht die EU eine integrierte Luftverkehrsstrategie:

2.6.1.

Aus politischer Sicht muss die EU-Luftverkehrsstrategie die Effizienz des Luftverkehrssektors innerhalb Europas erhöhen und die Verhandlungsposition auf internationaler Ebene stärken. Hierfür sind politischer Wille, Weitblick und Mut notwendig, um die Anforderungen der Souveränität mit der notwendigen Kompromissbereitschaft in Einklang zu bringen.

2.6.2.

Aus wirtschaftlicher Sicht sollte mit dieser Strategie das Luftfahrt-Wertenetz gestärkt werden, das Wirtschaftswachstum und Wohlstand in ganz Europa fördert.

2.6.3.

Aus rechtlicher Sicht sollte die Strategie auf Makroebene für einen soliden Rechtsrahmen und auf Mikroebene für Planungsstabilität sorgen; und aus verfahrensrechtlicher Sicht sollten alle Interessenträger an der Konzipierung und Durchführung dieser Strategie mitwirken.

2.7.

Nach Meinung des EWSA ist eine derartige Strategie für den EU-Luftverkehrssektor dringend notwendig, da das europäische Wertenetz ineffizient ist. Die Luftfahrt gibt nicht alle auch wirklich möglichen Impulse für das Wirtschaftswachstum, wohingegen viele Drittstaaten ihre Luftverkehrssysteme an die geopolitische Verschiebung des Wachstums und die Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft anpassen. Dieser Trend kann nur durch eine solide, marktorientierte und auf europäischen Werten aufbauende Strategie umgekehrt werden.

2.7.1.

Der Anteil der europäischen Drehkreuzflughäfen und Luftfahrtunternehmen am Anstieg des Verkehrsaufkommens ist nicht so groß, wie er sein könnte, wenn sie von einem vorteilhaften Rechtsumfeld profitierten. Die mangelnde Effizienz bei der Luftraumkoordinierung bedingt Umwege und unnötig hohe CO2-Emissionen.

2.7.2.

Die Vielzahl an Zertifizierungsprozessen mit potenziell unterschiedlichen Ergebnissen behindert Innovationen und Investitionen in europäische Produkte bzw. die Nutzung derartiger neuer Produkte in Europa.

2.7.3.

Aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Strategie werden Chancen für die Sicherung des Wachstums der europäischen Luftfahrtunternehmen außerhalb der EU vertan, und die Mitgliedstaaten werden weiterhin ihre eigenen nationalen Interessen verfolgen, selbst wenn mit EU-Mandaten ein insgesamt größerer Vorteil erzielt werden könnte als mit allen einzelstaatlichen Mandaten zusammen.

2.7.4.

Im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft und einer geopolitischen Verschiebung des Verkehrswachstums Richtung Asien wird eine fragmentierte EU weiterhin an Einfluss und internationaler Bedeutung verlieren. Europäische Normen, die gemeinsamen Werte der Unionsbürger, Unternehmen und Mitgliedstaaten würden ihre Attraktivität als internationale Standards einbüßen.

2.7.5.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zum Luftverkehrspaket zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Luftfahrtsektors durchgeführt hat. Die vielfältigen Beiträge werden die Glaubwürdigkeit und das politische Gewicht des Kommissionsvorschlags für ein Luftverkehrspaket erhöhen.

3.   Der Weg nach vorne: Eine Luftverkehrsstrategie zur Förderung der Schlüsselfaktoren für Wettbewerbsfähigkeit

Der EWSA hat sechs Faktoren ermittelt, die das Maß an Wettbewerbsfähigkeit der EU bestimmen. Von einer EU-Strategie sollte eine Hebelwirkung für diese Faktoren ausgehen, um ihre erfolgreiche Umsetzung sicherzustellen.

3.1.    Sicherheit

3.1.1.

Der Dreh- und Angelpunkt einer nachhaltigen EU-Luftverkehrsstrategie ist Sicherheit. Obwohl die Luftfahrt im Allgemeinen und die europäische Luftfahrt im Besonderen bei Weitem der sicherste Verkehrsträger ist, gibt es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit.

3.1.2.

Die Rolle und Ressourcen der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) als zentraler Agentur für Sicherheitsmanagement, Zertifizierung von Luftfahrterzeugnissen und Überwachung der einschlägigen Organisationen auf nationaler Ebene müssen unbedingt weiter gestärkt werden. In diesem Kontext sollte die Möglichkeit der EASA zur Abstimmung mit allen Akteuren — und zwar nicht nur bei Vorfällen in der Luftfahrt — ausgebaut werden, um durch Maßnahmen wie einer Überarbeitung der Sicherheitsvorschriften, einer stärkeren Schwerpunktsetzung auf Weiterbildungsmaßnahmen, der Vermeidung einer unangemessenen Überregulierung und der Förderung einer „Just Culture“ eine Verbesserung der Sicherheitsstandards zu erreichen.

3.1.3.

Kompetenz und Know-how der EASA sind international anerkannt, sie hat sich praktisch als Pendant der US-amerikanischen Luftfahrtbehörde FFA etabliert. Die Umsetzung der sogenannten schwarzen Listen von Luftfahrtunternehmen und/oder Regierungen aus Drittländern, die den europäischen Vorschriften nicht entsprechen, ist von grundlegender Bedeutung, und zwar nicht nur für die Sicherheit des europäischen Luftraums und der Fluggäste, sondern auch als Voraussetzung für die Einhaltung der höchsten internationalen Sicherheitsstandards. Die Luftverkehrsstrategie sollte auf diesen Errungenschaften aufbauen. Die Europäische Kommission sollte auch Arbeitsnormen und die potenzielle Gefahr von Sozialdumping erneut bewerten (siehe EWSA-Stellungnahme TEN/565 (7)).

3.2.    Nachhaltigkeit

3.2.1.

Ein weiterer Faktor für die Tragfähigkeit der EU-Luftverkehrsstrategie ist ihre Fähigkeit, ein nachhaltiges Wirtschaften der Luftfahrt sicherzustellen.

3.2.2.

Sozialpartner, Interessenträger und internationale Partner im öffentlichen und privaten Sektor müssen sich auf eine glaubwürdige und zuverlässige EU-Luftverkehrspolitik stützen können, die auf einer kohärenten und soliden Strategie fußt. Nachhaltigkeit umfasst daher wirtschaftliche Faktoren ebenso wie die Fähigkeit der einzelnen Marktakteure, auf ihrem jeweiligen Markt erfolgreich zu sein. Wirtschaftlicher und kommerzieller Erfolg ist jedoch nur von kurzer Dauer, wenn die Luftverkehrsstrategie nicht auch ökologisch und sozial nachhaltig ist.

3.2.3.

Um die Herausforderungen der Nachhaltigkeit im globalen Kontext zu bewältigen und gleichzeitig der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass EU-spezifische Anforderungen, Rechtsvorschriften und Strukturen eingehalten werden müssen, ist ein umfassender Ansatz notwendig; außerdem müssen die Interessenträger in der EU ihre Tätigkeiten in einem gemeinsamen Verständnis der strategischen Ziele koordinieren.

3.2.4.

Mit der Verwirklichung des europäischen Luftverkehrsbinnenmarkts wurde eine Dynamik angestoßen, die rasch strukturelle Marktveränderungen gezeitigt hat, u. a. grenzübergreifende Akquisitionen, Quasi-Fusionen von Luftfahrtunternehmen, Einrichtung von Holdings und strategische Investitionen in Flughäfen und Luftfahrtunternehmen durch Unternehmen aus Drittländern. Dies hat auch Auswirkungen auf die Rolle der EU-Institutionen. Daher sollte die Europäische Kommission ihre derzeitigen Governance-Modelle überprüfen und Vorschläge ausarbeiten, um sie der institutionellen Realität und der Marktlage anzupassen.

3.2.5.

In Bezug auf das Luftverkehrsmanagement sollte die Beziehung zwischen dem Management für die Errichtung und dem Netzmanager überprüft werden. Das Leistungsprüfungsgremium sollte unter klarer Führungsrolle der Europäischen Kommission arbeiten.

3.3.    Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und Digitalisierung

3.3.1.

Digitalisierung ist ein wesentlicher Faktor für Innovation, geänderte Erwartungshaltung der Fluggäste, zunehmende Nutzung von Drohnen sowie Produktindividualisierung und -innovation. Die Europäische Kommission muss die positiven Auswirkungen der Digitalisierung als eine der wichtigsten Prioritäten in die Luftverkehrsstrategie aufnehmen, um eine umfassende und integrierte Verkehrspolitik zu fördern und umzusetzen.

3.3.2.

Luftfahrtunternehmen und Flughäfen haben innovative Geschäftskonzepte entwickelt, um neue Einnahmequellen zu erschließen, die operative Effizienz zu verbessern sowie ihre Dienste zu entflechten und neu zu bündeln, um die Kommodifizierung ihrer Produkte zu begrenzen und maßgeschneiderte Dienste anzubieten.

3.3.3.

Die EU-Luftverkehrsstrategie sollte auf diesen Entwicklungen aufbauen, um der EU eine Führungsrolle im Bereich einer somit breiter aufgestellten Innovation zu sichern. Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Förderung des Wachstums sollte SESAR noch stärker als technologisches Instrument genutzt werden.

3.3.4.

Drohnen sind derzeit die größte Herausforderung, wenn es um den Spagat zwischen der Notwendigkeit von Innovationen und der Einschränkung ihrer Nutzung geht. Die Verbreitung von Drohnen zu militärischen, kommerziellen und privaten Zwecken ist mit einigen Erfordernissen verbunden, insbesondere in Bezug auf u. a. die Sicherheit des Luftverkehrs, die Gefahrenabwehr, den Schutz der Privatsphäre sowie Rechtsvorschriften für ihre Zertifizierung und die Genehmigung ihres Einsatzes. Wenn die Entwicklung und Nutzung von Drohnen in geeigneter Weise gefördert wird, kann Europa in diesem Bereich eine Führungsrolle übernehmen (siehe EWSA-Stellungnahme TEN/553).

3.3.5.

Europa sollte sich zu einem weltweiten Drehkreuz für mit Biotreibstoff fliegende Flugzeuge entwickeln; die industrielle Produktion von Biokerosin in der EU sollte über Forschung und Entwicklung gefördert werden.

3.4.    Soziale Dimension

Im Einklang mit dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2015 sollte die Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU-Wirtschaft, einschl. der Luftfahrt, eine Priorität sein. Bestehende und neu geschaffene Arbeitsplätze sollten den höchsten europäischen Standards entsprechen.

Der Erfolg der europäischen Luftfahrt hängt von den Kompetenzen und Qualifikationen ihrer Beschäftigten ab. Daher tun Maßnahmen not, um diese Branche attraktiver zu machen und qualifizierte Arbeitskräfte davon abzuhalten, in eine andere Branche oder in einen anderen Teil der Welt abzuwandern („brain drain“).

Als gemeinsames Sprachrohr der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dieser Branche muss der Ausschuss für den sektoralen sozialen Dialog für die Zivilluftfahrt zu Initiativen der EU-Institutionen in diesem Sektor konsultiert werden. Damit wird sichergestellt, dass die Standpunkte der Sozialpartner gehört werden, was wiederum die Chancen auf ihre Unterstützung erhöht.

In den Vereinbarungen im Bereich der EU-Luftfahrtaußenpolitik sollte den ILO-Grundsätzen Rechnung getragen werden; außerdem sollten allseits annehmbare Mittel zur Sicherstellung der Einhaltung gesucht werden (siehe EWSA-Stellungnahme TEN/500).

3.5.    Operative Exzellenz

3.5.1.

Der Erfolg der EU-Luftverkehrsstrategie kann daran gemessen werden, inwieweit individuelle Interessenträger aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor zu Höchstleistungen angespornt werden. Je größer die Kluft zwischen dem Status quo und der optimalen operativen Exzellenz ist, desto geringer ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrt. Dieser Grundsatz gilt für das Luftraummanagement, die Effizienz von Flughäfen und Luftfahrtunternehmen sowie für die reibungslose interinstitutionelle Zusammenarbeit innerhalb Europas.

3.5.2.

Zentrale Leistungsindikatoren zeigen suboptimale Leistungsniveaus aufgrund der Vielfalt der nationalen Konzepte, was zu einer Fragmentierung des europäischen Luftverkehrsbinnenmarktes beiträgt. Es muss ein Kompromiss zwischen den legitimen nationalen Interessen auf rechtlicher und politischer Ebene und der Fähigkeit der Akteure gefunden werden, eine optimale operative Exzellenz zu erreichen.

3.5.3.

Wir müssen unsere Hausaufgaben erledigen. Ein funktionaler und effizienter einheitlicher europäischer Luftraum ist eine unabdingbare Voraussetzung für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Luftfahrtsektors. Dabei muss auch die Kapazitätskrise auf den Flughäfen bewältigt werden.

3.5.4.

Die EU-Luftverkehrspolitik darf nicht auf den EU-Luftraum beschränkt sein; aufgrund ihrer Wesensart betrifft die EU-Luftfahrt die gesamte geografische Region Europa . Regierungen und Interessenträger in europäischen Drittländern sollte daher als logische Partner der EU erachtet werden; unter Führung der Europäischen Kommission sollten sie zu der umfassenden EU-Luftverkehrspolitik angehört werden und daran teilhaben können. Die Weiterentwicklung der Datenbank und der Ausbau der Erfahrungen mit einem zentralen Flottenmanagement seitens Eurocontrol sind ein hervorragendes Beispiel für den Brückenschlag zwischen den Luftverkehrsmanagementinstrumenten der EU Mitgliedstaaten und anderer europäischer Länder.

3.5.5.

Das Prinzip der einmaligen Sicherheitskontrolle, das EU-weit eingeführt werden sollte, sollte ebenfalls mit Blick auf andere Länder in Betracht gezogen werden. Die gegenseitige Anerkennung von Sicherheitsstandards sollte auch mit „gleichgesinnten“ Drittstaaten möglich sein. Dies wiederum würde zur Schaffung eines ausgewogenen globalen Sicherheitssystems beitragen, bei dem alle Bemühungen auf die wahre Bedrohung ausgerichtet sind (8).

3.6.    Vernetzung

3.6.1.

Der Luftfahrt-Sektor ist zu einem Luftfahrt-Wertenetz gereift, in der Unternehmen im Verbund einen Wert erwirtschaften. Der Luftverkehrsbinnenmarkt hat das Entstehen hocheffizienter paneuropäischer Luftfahrtunternehmen und -gruppen gefördert; gleichzeitig entwickeln sich auch Fluggesellschaften, die auf Nischenmärkten tätig sind. Der nachhaltige Erfolg dieser Luftfahrtunternehmen der „nächsten Generation“ sowie weiterer Fluggesellschaften, die auf unterschiedlichen Geschäftsmodellen beruhen, ist von einem Netz effizienter und marktbasierter Anbieter abhängig.

3.6.2.

Ein derartiger Verbund aus Luftfahrtunternehmen, Flughäfen, Bodenabfertigungsdiensten, Luftverkehrsmanagementbehörden usw. schafft nicht nur Arbeitsplätze in dem Sektor selbst, sondern auch in den Regionen und Gemeinschaften, die er verbindet. Je höher die Netzdichte, desto mehr Bedeutung haben diese Verbindungen für eine Region oder Gemeinschaft, da sie für Tourismus und Handel interessant werden, wodurch wiederum der Wert der Vernetzung für die Wirtschaft steigt.

3.6.3.

Eine effiziente Luftfahrt ist somit ein Katalysator für Wirtschaftswachstum. Eine erfolgreiche EU-Luftverkehrsstrategie sollte daher auf die Stärkung des Wirtschaftswachstums durch die Senkung der externen Kosten, die die Tätigkeit des Sektors in der EU beeinträchtigen, und durch die Eröffnung von Wachstumschancen für die Luftfahrt weltweit abheben.

3.7.    Internationale Luftfahrt

3.7.1.

Die Luftfahrt ist eine der wenigen Dienstleistungsbranchen, die nicht auf lokaler, sondern auf globaler Ebene im Wettbewerb stehen. Daher wirken sich Produktionskosten, politische Unterstützung und Fördermittel, die Luftfahrtunternehmen aus Drittländern gewährt, aber Luftfahrtunternehmen aus der EU verwehrt werden, negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas aus.

3.7.2.

Die Europäische Union verfügt global gesehen über beispiellose Stärken. Trotz und wegen ihrer internen Vielfalt hat sie es geschafft, Konfliktbeilegungsmechanismen, Genehmigungsverfahren für staatliche Beihilfen, einen sozialen Dialog und Sicherheitsstandards zu gestalten, die gemeinsam mit weiteren Normen einen Werterahmen bilden, den über 500 Mio. Unionsbürger und Unternehmen in einer der mächtigsten, stabilsten und einflussreichsten Wirtschaftsregionen der Welt teilen. Der Zugang zu diesem Markt ist für Unternehmen aus Drittländern von großem Interesse.

3.7.3.

Die EU-Luftverkehrsstrategie sollte auf diesen Standards beruhen, auf deren Anwendung durch Drittländer in konzertierten und koordinierten Verhandlungen hingearbeitet werden sollte. Die EU hat bereits ein funktionstüchtiges Luftverkehrsabkommen mit den USA abgeschlossen, das beide Parteien in die Lage versetzt, einen weiteren Konsens über die Verbesserung, gemeinsame Umsetzung und sogar Ausweitung dieser Standards auf Drittländer zu entwickeln. Eine umfassende und integrierte Luftverkehrspolitik sollte daher auf die Nutzung bestehender Instrumente wie des Gemeinsamen Ausschusses EU/USA ausgerichtet sein, um weltweit mit ähnlich gesinnten Ländern Einvernehmen darin zu fördern, dass eine nachhaltige Luftfahrt auf der Einhaltung grundlegender Werte beruht. Die EU und die Vereinigten Staaten könnten eine Führungsrolle bei der Festlegung gemeinsamer Standards (einschl. SESAR und NextGen) übernehmen.

3.7.4.

Insbesondere in Bezug auf die Außenbeziehungen reicht die Gewährleistung, dass alle Mitgliedstaaten und Interessenträger aus dem Privatsektor in alle Etappen sämtlicher Verhandlungen eingebunden werden können, alleine nicht aus. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass insbesondere die Akteure mit besonderen Interessen in bestimmten regionalen, globalen oder sektoralen Märkten konsultiert und einbezogen werden, um einen dauerhaften Rückhalt für eine integrierte und umfassende Luftverkehrspolitik zu sichern. Die Luftfahrt kann das Wirtschaftswachstum nur dann ankurbeln, wenn die Generaldirektion MOVE von anderen Generaldirektionen wie REGIO, TRADE und COMP unterstützt wird.

3.7.5.

In einer globalisierten Wirtschaft sollten die Bestimmungen betreffend Eigentum und Kontrolle der Luftfahrtunternehmen zweifelsohne sorgfältig überprüft und überarbeitet werden. Im Rahmen einer zukunftsorientierten EU-Luftverkehrsstrategie sollte auch die Kodifizierung der EU-Grundsätze für einen fairen Wettbewerb in Betracht gezogen werden, um eine Annahme derartiger Standards durch Luftfahrtunternehmen aus Drittländern zur Gewährleistung des fairen Wettbewerbs auf liberalisierten Märkten zu fördern. Für ein besseres Verständnis sollte die Europäische Kommission nach Meinung des EWSA die verschiedenen Optionen für eine etwaige Überarbeitung der geltenden Bestimmungen betreffend Eigentum und Kontrolle getrennt beleuchten. Vorschläge sollten auf weiteren Forschungen und Analysen beruhen.

Brüssel, den 17. September 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 17.

(2)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 9.

(3)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 38.

(4)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 173.

(5)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 123.

(6)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 17.

(7)  EWSA-Stellungnahme „Sozialdumping in der Zivilluftfahrt“ (TEN/565), siehe Seite 110 dieses Amtsblatts.

(8)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 39.


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