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Document 52015XX1125(02)

    Zusammenfassung der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität

    ABl. C 392 vom 25.11.2015, p. 11–13 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    25.11.2015   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 392/11


    Zusammenfassung der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität

    (Der vollständige Text dieser Stellungnahme ist in englischer, französischer und deutscher Sprache auf der Internetpräsenz des EDSB unter www.edps.europa.eu erhältlich.)

    (2015/C 392/09)

    I.   DEN VORSCHLAG UND SEINEN KONTEXT

    1.

    Seit 2007 finden innerhalb der EU Diskussionen über eine mögliche Fluggastdatensatzregelung (Passenger Name Records — PNR) und den Vorschlag für einen diesbezüglichen Rahmenbeschluss des Rates statt (1). Ziel des ursprünglichen Vorschlags war es, Fluggesellschaften, die Füge zwischen der EU und Drittländern durchführen, zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung terroristischer Straftaten und schwerer Kriminalität zur Übermittlung von PNR-Daten an die zuständigen Behörden zu verpflichten. Der EDSB hat eine Stellungnahme zu diesem Vorschlag (2) abgegeben und dessen Entwicklungen verfolgt.

    2.

    Am 2. Februar 2011 hat die Kommission einen neuen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität (nachstehend „der Vorschlag“ genannt) angenommen. Der EDSB hat eine Stellungnahme zu diesem neuen Vorschlag abgegeben (3), in der er ergänzende Kommentare und Bemerkungen zu dem Text unter anderem hinsichtlich der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit des Vorschlags, des Anwendungsbereichs, des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten und der Speicherung von PNR-Daten vorgebracht hat.

    3.

    Mit der Absicht, in Verhandlungen mit dem Parlament einzutreten, hat der Rat eine allgemeine Ausrichtung zum Text angenommen, den die Kommission am 23. April 2012 (4) vorgeschlagen hat.

    4.

    Das Gesetzgebungsverfahren ist ausgesetzt seit der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments den Vorschlag am 24. April 2013 abgelehnt (5) und dessen Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit in Frage gestellt hat. Nach den Terroranschlägen in Paris im Januar 2015 wurden die Diskussionen vor kurzem wieder aufgenommen (6).

    5.

    In seiner Entschließung vom 11. Februar 2015 über Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung (7) verpflichtet sich das Europäische Parlament, „auf die Verabschiedung einer Richtlinie über EU-Fluggastdatensätze bis Ende des Jahres hinzuarbeiten“ und fordert die Kommission auf, „die Konsequenzen des Urteils des Gerichtshofs zu der Richtlinie über Datenspeicherung und die möglichen Auswirkungen davon auf die Richtlinie über EU-Fluggastdatensätze darzulegen.“ Das Europäische Parlament forderte den Rat außerdem auf, in Bezug auf das Datenschutz-Paket Fortschritte zu erzielen, damit „Trilog“-Verhandlungen sowohl über die Richtlinie zu EU-Fluggastdatensätzen als auch über das Datenschutz-Paket parallel stattfinden konnten. Ferner wurde der Kommission nahegelegt, unabhängige Sachverständige aus den Kreisen Rechtsdurchsetzung, Sicherheit und Nachrichtendienste sowie Vertreter der Artikel-29-Datenschutzgruppe dazu aufzufordern, über die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit des PNR-Systems zu diskutieren.

    6.

    Darüber hinaus wurden die Mitgliedstaaten in der Entschließung aufgefordert, „die bestehenden Plattformen, Datenbanken und Alarmsysteme auf europäischer Ebene, etwa das Schengener Informationssystem (SIS) und das Advance Passenger Information System (API-System) (8)“, bestmöglich zu nutzen und ihnen wurde nachdrücklich „ein besserer Informationsaustausch zwischen den Rechtsdurchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten und den Einrichtungen der Union“ empfohlen (9).

    7.

    In diesem Zusammenhang wurde am 17. Februar 2015 vom LIBE-Ausschuss-Berichterstatter ein aktualisierter Bericht vorgelegt (10). Dieses Dokument enthielt mehrere Änderungen des Kommissionsvorschlags wie beispielsweise die Einbeziehung von Flügen innerhalb der EU. Die Artikel-29-Datenschutzgruppe übermittelte dem LIBE-Ausschuss ein Schreiben, um ihre Kommentare und Bemerkungen zu dem Bericht vorzulegen (11). Am 15. Juli 2015 nahm der LIBE-Ausschuss seine Orientierungsabstimmung an und vereinbarte, Verhandlungen mit dem Rat aufzunehmen.

    8.

    Angesichts der Trilog-Verhandlungen, die noch diesen Monat beginnen sollen, wird sich diese EDSB-Stellungnahme mit den vom LIBE-Ausschuss und dem Rat unterbreiteten Änderungsvorschlägen des Vorschlags befassen. In dieser Stellungnahme wird das Digital Rights Ireland-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (12) vom 8. April 2014 (nachstehend „das DRI-Urteil“) berücksichtigt und in die Überlegungen einbezogen.

    9.

    Der EDSB ist sich bewusst, dass Europa ernsthaften terroristischen Bedrohungen ausgesetzt ist und wirksame Maßnahmen ergreifen muss. Bei der Bekämpfung des Terrorismus und schwerwiegender Straftaten handelt es sich um ein berechtigtes Interesse, das vom Gesetzgeber und dem EDSB wahrgenommen wird. Der EDSB, als eine von der EU unabhängige Aufsichtsbehörde, ist nicht a priori für oder gegen eine Maßnahme. Unter uneingeschränkter Achtung der Rolle des Gesetzgebers bei der Beurteilung der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen analysiert der EDSB in der vorliegenden Stellungnahme respektvoll und unter Einbeziehung des bestehenden Rechtsrahmens für Datenschutz und Privatsphäre sowie der Rechtsprechung die Auswirkungen auf den Schutz personenbezogener Daten natürlicher Personen und ihrer Privatsphäre. Diese Analyse bezieht sich auf unsere Aufgabe, den Institutionen hinsichtlich der Folgen ihrer Maßnahmen auf den Datenschutz beratend zur Seite zu stehen, insbesondere wenn diese erheblichere Auswirkungen auf das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz haben.

    IV.   SCHLUSSFOLGERUNG

    62.

    Der EDSB begrüßt die verschiedenen Verbesserungen, die der Rat und der LIBE-Ausschuss gegenüber dem Vorschlag vorgenommen haben, wie beispielsweise hinsichtlich spezifischer Datenschutzbestimmungen, der Anwesenheit eines Datenschutzbeamten oder eines speziellen Hinweises auf die Befugnisse der Aufsichtsbehörden.

    63.

    Nichtsdestotrotz erfüllt der Vorschlag nach wie vor nicht die wesentliche Voraussetzung für ein PNR-System, d. h. eine Einhaltung der Grundsätze der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit. Der Vorschlag bietet keine umfassende Bewertung dahingehend, inwieweit die derzeitig vorhandenen Instrumente den Zweck der EU-Regelung für PNR-Daten erfüllen können. Außerdem wird nicht detailliert analysiert, inwieweit weniger einschneidende Maßnahmen den Zweck der EU-Regelung für PNR-Daten erfüllen könnten. Letztendlich führt die nicht zielgerichtete und umfangreiche Erhebung und Verarbeitung von Daten im Rahmen des PNR-Systems zu einer Maßnahme der allgemeinen Überwachung. Nach Ansicht des EDSB wäre der einzige Zweck, der dem Erfordernis der Transparenz und Verhältnismäßigkeit entspricht, die Verwendung der PNR-Daten auf Einzelfallbasis, allerdings ausschließlich im Fall einer ernsthaften und konkreten Bedrohung, die aufgrund konkreter Hinweise gegeben ist.

    64.

    Da keine Informationen dahingehend vorliegen, dass die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen angemessen belegt wurden, ist der EDSB der Meinung, dass der Vorschlag auch in geänderter Fassung nach wie vor nicht den Anforderungen von Artikel 7, 8 und 52 der Charta der Grundrechte der Union, Artikel 16 AEUV und Artikel 8 der EMRK entspricht.

    65.

    Der EDSB fordert den Gesetzgeber auf, die Durchführbarkeit selektiverer und weniger einschneidender Überwachungsmaßnahmen gegen aktuelle Bedrohungen anhand spezifischeren Initiativen zu untersuchen und sich gegebenenfalls auf gezielte Flugkategorien, Passagiere und Länder zu konzentrieren.

    66.

    Neben den wesentlichen Mängeln des Vorschlags, die oben genannt wurden, betreffen die wichtigsten Bemerkungen des EDSB in der vorliegenden Stellungnahme die folgenden Aspekte:

    Der Vorschlag sollte die Datenspeicherfrist anhand objektiver Kriterien auf das absolut Notwendige beschränken und die Speicherfrist erläutern.

    Der Vorschlag sollte ausdrücklicher festlegen, dass die PNR-Daten nicht für andere Zwecke als für die Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung oder strafrechtliche Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität verwendet werden dürfen.

    Eine vorherige Genehmigung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sollte im Prinzip dann eingeholt werden, wenn eine zuständige Behörde einen Antrag auf Zugriff auf die Daten stellt.

    Der Vorschlag sollte sich auf angemessene Sicherheitsmaßnahmen beziehen, die die Sicherheit der von der PNR-Zentralstelle verarbeiteten Daten gewährleisten.

    Der Anwendungsbereich des PNR-Systems sollte hinsichtlich der Art der Straftat wesentlich stärker beschränkt werden. Außerdem sollten die Begriffe „schwere grenzüberschreitende Straftaten“ und „unmittelbare und ernsthafte Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ näher definiert werden.

    Die Kriterien für den Zugriff auf die PNR-Daten durch die zuständigen Behörden sollten besser definiert werden und präziser sein.

    Die Gesetzgeber werden aufgefordert, bis zur Verabschiedung des neuen Datenschutzpakets zu warten, um die Verpflichtungen des Vorschlags vollständig an die neu getroffenen Bestimmungen anzugleichen.

    Die Bewertung der Richtlinie sollte auf umfassenden Daten beruhen. Hierzu zählt die Anzahl der Personen, die tatsächlich verurteilt wurde, und die nicht nur aufgrund der Verarbeitung ihrer Daten strafrechtlich verfolgt wird.

    Brüssel, 24. September 2015

    Giovanni BUTTARELLI

    Europäischer Datenschutzbeauftragter


    (1)  KOM(2007) 654 endg.

    (2)  Stellungnahme des EDSB vom 20. Dezember 2007 zu dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records — PNR) zu Strafverfolgungszwecken (ABl. C 110 vom 1.5.2008, S. 1).

    (3)  Stellungnahme des EDSB vom 25. März 2011 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität.

    (4)  Allgemeine Ausrichtung des Rates, Text angenommen am 23. April 2013, 8916/2.

    (5)  Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. April 2013.

    (6)  Siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Charlie_Hebdo_shooting. Für den Zusammenhang mit den Vorschlägen für eine EU-Regelung für PNR-Daten, siehe z. B. die Erklärung der Mitglieder des Europäischen Rates im Anschluss an das informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs am 12. Februar 2015 in Brüssel: http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2015/02/150212-european-council-statement-fight-against-terrorism/ sowie den Bericht des EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung über die Umsetzung von Maßnahmen: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9422-2015-REV-1/en/pdf.

    (7)  Entschließung 2015/2530 des Europäischen Parlaments.

    (8)  Entschließung, § 11.

    (9)  Entschließung, § 22.

    (10)  Dieser Bericht ist erhältlich unter folgendem Link: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A8-2015-0248+0+DOC+XML+V0//DE

    (11)  Schreiben der Artikel-29-Datenschutzgruppe vom 19. März 2015 an den Vorsitzenden des LIBE-Ausschusses.

    (12)  CJUE, Digital Rights Ireland ltd,8. April 2014, in den verbundenen Rechtssachen C-293/12 und C-594/12.


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