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Document 52010AE1180

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EURATOM) des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation (Neufassung)“ — KOM(2010) 184 endg. — 2010/0098 (CNS)

ABl. C 48 vom 15.2.2011, p. 160–162 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 48/160


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EURATOM) des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation (Neufassung)“

KOM(2010) 184 endg. — 2010/0098 (CNS)

2011/C 48/28

Berichterstatterin: Pirkko RAUNEMAA

Die Europäische Kommission beschloss am 27. April 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 31 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung (EURATOM) des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation (Neufassung)

KOM(2010) 184 endg. - 2010/0098 (CNS).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 465, Plenartagung am 15./16. September 2010 (Sitzung vom 15. September) mit 127 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Radioaktiver Niederschlag (Fallout) ist fast immer ein grenzüberschreitendes Phänomen. Er verursacht die Freisetzung radioaktiver Materialien über einen langen Zeitraum, große Entfernungen und weite Flächen hinweg. Ereignet sich ein Unfall dieser Art, droht eine Katastrophe internationalen Ausmaßes.

1.2   Es besteht ein tatsächlicher Bedarf an klaren und aktualisierten Rechtsvorschriften, die beim Auftreten von radioaktivem Niederschlag von den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten leicht angewendet werden können. Daher ist eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften sowohl angemessen als auch notwendig.

1.3   Seit dem Atomunfall von Tschernobyl im Jahre 1986 hat die Gemeinschaft Standards mit Grenzwerten für die Kontaminierung von Nahrungs- und Futtermitteln nach einem Nuklearunfall (1) entwickelt. Zusätzlich wurden Vorkehrungen für einen frühzeitigen Austausch von Informationen im Falle einer radiologischen Notsituation getroffen (2). Die Gültigkeit der zulässigen Werte wurde zuletzt von einer Sachverständigengruppe nach Artikel 31 Euratom im Jahre 1995 überprüft. Daher sollten die zulässigen Werte erneut einer Prüfung unterzogen werden.

1.4   Die Europäische Union hat mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein effektives und international anerkanntes Gremium zur Bewertung von Risiken geschaffen (Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002). Der Auftrag der EFSA sollte auf die Bewertung gesundheitlicher Risiken ausgedehnt werden, die von radioaktiven Rückständen in Nahrungs- und Futtermitteln ausgehen; die Kommission sollte die bestehenden und in einigen Fällen jahrzehntealten Verfahren überprüfen.

1.5   Um ein hohes Kontrollniveau in Bezug auf die Radioaktivität in Nahrungs- und Futtermitteln zu gewährleisten, sollten die nationalen Lebensmittelbehörden die entsprechende rechtliche Handhabe erhalten, um gemeinsam mit den nationalen Strahlenschutzbehörden die Höchstwerte überwachen und bei deren Überschreitung die Einfuhr von Nahrungs- und Futtermitteln kontrollieren zu können, ohne dafür die Zustimmung der Strahlenschutzbehörde einholen zu müssen.

1.6   Die Kommission sollte ferner darauf hinarbeiten, dass im Rahmen der Normen und Leitlinien des Codex Alimentarius der Kommission internationale Bestimmungen über das Vorhandensein von radioaktivem Niederschlag und dessen Auswirkungen auf Nahrungs- und Futtermitteln erarbeitet werden. Überdies soll festgelegt werden, welche Behörden bei einem Unfall für die Grenzkontrollen von Ein- und Ausfuhren in der EU vordringlich verantwortlich sind.

1.7   Da Wasser ein Grundbestandteil von Nahrungsmitteln und Futtermitteln ist, sollte es in den Anhängen der Verordnung aufgeführt werden. Ferner sollten die Bestimmungen für alle Arten von Trinkwasser gelten, nicht nur für Wasser in Nahrungs- und Futtermitteln.

1.8   Im Unglücksfall ist es wichtig, Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung nehmen und sie zur Wahl von Nahrungsmitteln und Getränken bewegen zu können, die sicher oder weniger gefährlich sind. Die nationalen Behörden und Branchenverbände haben hier die Aufgabe, Leitlinien vorzugeben und das Bewusstsein der Bürger zu schärfen.

2.   Einleitung

2.1   Hintergrund

2.1.1   Nach dem Unfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl am 26. April 1986 haben sich beträchtliche Mengen radioaktiver Stoffe in der Atmosphäre verbreitet, die in mehreren europäischen Ländern zu einer vom gesundheitlichen Standpunkt aus bedeutenden Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln geführt haben.

2.1.2   Erstmalig wurden auf Gemeinschaftsebene Maßnahmen für den Umgang mit derartigen Nuklearunfällen erlassen, bei denen radioaktive Stoffe freigesetzt werden, die sich über weite Strecken ausbreiten und einen potenziell großflächigen Effekt haben.

2.1.3   Der Ausschuss hat sich in der Vergangenheit erst einmal zum Thema Strahlenbelastung von Nahrungs- und Futtermitteln infolge von Nuklearunfällen oder sonstigen radiologischen Notstandssituationen geäußert (3). Diese Stellungnahme war jedoch nur eine Anfangsbetrachtung, da die Vorschläge der Kommission für zulässige Strahlungshöchstwerte noch ausstanden. Somit bietet diese Befassung dem Ausschuss die Gelegenheit zur Vorlage einer aktuelleren Stellungnahme zu diesem Thema.

2.2   Rechtsrahmen

2.2.1   In Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 des Rates vom 22. Dezember 1987 wird das Verfahren zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines Nuklearunfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation geregelt. Im Laufe der Jahre wurden inhaltliche Änderungen daran vorgenommen (4). Die höchstzulässigen Referenzwerte wurden bei der zweiten Überarbeitung der Verordnung in gesonderten Anhängen aufgeführt.

2.2.2   Erhält die Kommission eine offizielle Benachrichtigung über einen Unfall oder eine sonstige radiologische Notstandssituation, aus der sich ergibt, dass die Höchstwerte im Sinne der Verordnungen erreicht werden könnten oder erreicht worden sind, so erlässt sie unverzüglich eine Verordnung zur Anwendung dieser Höchstwerte. Die Geltungsdauer einer solchen Verordnung soll so kurz wie möglich sein und darf drei Monate nicht überschreiten.

2.2.3   Die Kommission unterbreitet dem Rat innerhalb eines Monats nach Erlass der Verordnung einen Vorschlag für eine weitere Verordnung zur Anpassung oder Bestätigung der ersteren Verordnung. Dafür ist die vorherige Konsultation einer Sachverständigengruppe nach Artikel 31 des Euratom-Vertrags erforderlich. Die Gültigkeitsdauer dieser zweiten Verordnung ist ebenfalls beschränkt. Langfristig - das heißt nach einem Nuklearunfall oder nach einer radiologischen Notstandssituation - könnte ein anderes Rechtsinstrument oder eine andere Rechtsgrundlage zur Kontrolle der auf den Markt gebrachten Nahrungs- oder Futtermittel gewählt werden.

2.2.4   Die zulässigen Höchstwerte im Anhang der Verordnung können im Licht eines Sachverständigengutachtens auf Grundlage von Artikel 31 geändert oder ergänzt werden. Die Gültigkeit der vorgeschriebenen Höchstwerte war zuletzt 1995 von einer Sachverständigengruppe nach Artikel 31 im Lichte der Bestimmungen von Richtlinie 96/29/Euratom des Rates überprüft worden, demzufolge die Mitgliedstaaten im Hinblick auf etwaige Unfälle Interventionsschwellen vorsehen müssen (5).

2.2.5   Hinsichtlich der Einfuhren hat die EU Maßnahmen beschlossen, mit denen sichergestellt werden soll, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse nur nach gemeinsamen Modalitäten in die Union verbracht werden, die die Gesundheit der Bevölkerung schützen und gleichzeitig die Einheit des Marktes erhalten und Verkehrsverlagerungen verhindern.

2.2.6   Bei Eintreten einer radiologischen Notstandssituation müssen die Mitgliedstaaten über das „Ecurie“-System einen Informationsaustausch durchführen (6). Im Rahmen dieses Systems müssen die Mitgliedstaaten die Kommission und die betroffenen oder potenziell betroffenen Mitgliedstaaten benachrichtigen und informieren, wenn ein Mitgliedstaat umfassende Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit vor einer radiologischen Notstandssituation durchführt. Diese Informationen müssen enthalten: Art des Ereignisses, Zeitpunkt und genaue Ortsangabe sowie die betroffene Anlage oder Tätigkeit, Angaben zur Ursache, zur voraussichtlichen Entwicklung und zu den ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen sowie die von den Überwachungseinrichtungen in Nahrungs- und Futtermitteln, im Trinkwasser sowie in der Umwelt gemessenen Radioaktivitätswerte.

2.3   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.3.1   Die Kommission hat die Kodifizierung der Verordnung Nr. 3954/87 des Rates und ihrer nachfolgenden Änderungen eingeleitet.

2.3.2   Während des gesetzgebenden Verfahrens wurde jedoch erkannt, dass eine Bestimmung im Vorschlag des kodifizierten Textes einen Vorbehalt des Rates vorsah, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben, wobei dieser Vorbehalt in den Erwägungsgründen der Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 nicht begründet worden war.

2.3.3   Da die Einfügung eines solchen Erwägungsgrundes eine inhaltliche Änderung bedeuten und daher über eine reine Kodifizierung hinausgehen würde, erschien es notwendig, anstatt einer Kodifizierung eine Neufassung vorzunehmen, um die notwendige Änderung einzufügen.

2.3.4   Im neuen Erwägungsgrund 15 des Vorschlags ist die Möglichkeit vorgesehen, dass der Rat in bestimmten Situationen anstelle der Kommission unmittelbar angepasste Maßnahmen erlassen kann, um sehr kurzfristig die im Voraus festgelegten Höchstwerte für radioaktive Kontamination in Anwendung zu bringen.

3.   Bewertung

3.1   Es besteht ein tatsächlicher Bedarf an klaren und aktualisierten Rechtsvorschriften, die beim Auftreten von radioaktivem Niederschlag von den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten leicht angewendet werden können. Daher ist eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften sowohl angemessen als auch notwendig. Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls in einem Kernkraftwerk oder einer anderen Form radioaktiven Niederschlags nimmt möglicherweise auch in der EU zu. Dies liegt unter anderem daran, dass die bestehenden Kernkraftwerke altern, zahlreiche neue Kernkraftwerke gebaut werden und das Risiko sonstiger unvorhersehbarer Unfälle besteht.

3.2   Radioaktiver Niederschlag verbreitet sich fast immer über große Flächen hinweg. Seine Intensität nimmt außerdem bei der Verbreitung über große Entfernungen nicht unbedingt ab. Daher muss hier von einer potenziellen internationalen Gesundheits- und Umweltkatastrophe ausgegangen werden.

3.3   Verglichen mit 1986 verfügt die Europäische Union mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nunmehr über ein effektives und international anerkanntes Gremium zur Bewertung von Risiken (Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002). Radioaktive Rückstände in Nahrungs- und Futtermitteln sind als Lebensmittelkontaminanten zu betrachten. Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass die EFSA mit einer gesundheitlichen Beurteilung dieser Rückstände beauftragt worden wäre. In ihrem Vorschlag hält die Kommission jedoch ohne weitere Überlegungen oder Begründung an den bestehenden und in einigen Fällen Jahrzehnte alten Verfahren fest.

3.4   Im Unglücksfall ist es wichtig, Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung nehmen und sie zur Wahl von Nahrungsmitteln und Getränken bewegen zu können, die sicher oder weniger gefährlich sind. Außerdem benötigen landwirtschaftliche Erzeuger in Krisensituationen unbedingt Informationen über das Niveau der radioaktiven Kontaminierung von Futtermitteln und für die Fütterung. Hierbei kommt den nationalen Behörden und den Branchenverbänden die Aufgabe zu, Leitlinien vorzugeben und das Bewusstsein der Bürger zu schärfen.

3.5   Die Bestimmungen über den radioaktiven Niederschlag und die Strahlungswerte sollten nun unbedingt so gefasst werden, dass ihre Umsetzung auf Ebene der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten einfacher und klarer wird.

3.6   Die zulässigen Höchstwerte für Radioaktivität müssen auf die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sein. Für Kindernahrung sollten daher strengere Regelungen gelten als für Nahrungsmittel, die für die Allgemeinheit bestimmt sind.

3.7   Radioaktive Stoffe können auch in Verbindung mit Kernwaffentests, der Nutzung der Kernenergie oder der Verwendung radioaktiven Materials in Gesundheitswesen, Industrie oder Forschung in Oberflächengewässer gelangen. Zwar handelt es sich dabei unter normalen Umständen nur um unbedeutende Mengen, jedoch kann sich die Situation bei einem Nuklearunfall anders darstellen. Da Wasser ein Grundbestandteil von Nahrungs- und Futtermitteln ist, hätte es in den Anhängen der Verordnung aufgeführt werden müssen.

Brüssel, den 15. September 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 des Rates vom 22. Dezember 1987 (geänderte Fassung).

(2)  Entscheidung (Euratom) 87/600 des Rates vom 14. Dezember 1987.

(3)  CES 480/1987, ABl. C 180 vom 8. Juli 1987, S. 20-25.

(4)  Verordnung (Euratom) Nr. 944/89 der Kommission zur Änderung der Verordnung (Euratom) Nr. 770/90 der Kommission.

(5)  Artikel 50 Absatz 2 der Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen.

(6)  Siehe Fußnote 2.


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