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Document 52010IE0759

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozial verantwortliche Finanzprodukte“ (Initiativstellungnahme)

    ABl. C 21 vom 21.1.2011, p. 33–38 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    21.1.2011   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 21/33


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozial verantwortliche Finanzprodukte“ (Initiativstellungnahme)

    2011/C 21/06

    Berichterstatter: Carlos TRÍAS PINTO

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Oktober 2009 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    Sozial verantwortliche Finanzprodukte“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. Mai 2010 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 463. Plenartagung am 26./27. Mai 2010 (Sitzung vom 26. Mai) mit 129 gegen 3 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1   Der Begriff „sozial verantwortliche Finanzprodukte“ könnte so ausgelegt werden, dass er alle Produkte und Dienstleistungen im Banken- und Versicherungswesen sowie im Anlagemanagement umfasst. In dieser Stellungnahme geht es jedoch vornehmlich um sozial verantwortliche Investitionen, die im Rahmen kollektiver Investmentfonds sowohl institutionellen Anlegern als auch der breiten Öffentlichkeit angeboten werden. Definitionsgemäß tätigen kollektive Investmentfonds Investitionen. Damit ein Fonds als sozial verantwortlich eingestuft wird, muss er seine Anlagen sorgfältig nach geeigneten Kriterien auswählen. Die meisten Fonds investieren in Unternehmensbeteiligungen. Die zentrale Frage für die meisten Fonds ist ihre Fähigkeit, Unternehmen zu finden, die die erforderlichen Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungs-Kriterien (ESG) erfüllen. In den in puncto ethische Investitionen bereits entwickelten Märkten gibt es ein breites Spektrum an Organisationen, die ermitteln, inwieweit einzelne Unternehmen die ESG-Kriterien erfüllen.

    1.2   Es gibt viele Beratungsgremien für sozial verantwortliche Investitionen. Internationale Börsenindizes wie der Dow Jones Sustainability DJSI Index oder der FTSE4Good-Index stellen Fachinformationen bereit, um Ethikfonds mit allgemeiner oder selektiver Ausrichtung zu gründen und zu betreiben. So konzentrieren sich bestimmte Fonds z.B. auf etablierte Unternehmen, die höchsten Ethik- und Unternehmensführungsstandards genügen. Andere verfolgen vielleicht eher grüne bzw. ökologische Ziele. All diese Varianten sind vorgesehen.

    1.3   In diesem noch von der Krise geprägten Umfeld müssen Investitionen in Unternehmen mit sozialen und ethischen Werten gefördert werden, um auf diese Weise das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Finanzmärkte wiederherzustellen. So wird es nach dieser Krise wohl nie mehr heißen: „Business as usual“.

    1.4   Rückblickend betrachtet ist festzustellen, dass das Gebaren vieler Finanzinstitutionen in den vergangenen Jahren nicht den von solch führenden Unternehmen zu erwartenden sozialen und Unternehmensführungsstandards entsprochen hat. Der EWSA fordert daher, dass in den Programmen der Finanzinstitute im Rahmen der sozialen Verantwortung die diesbezüglichen Erwartungen an soziale und Unternehmensführungsstandards im Europa des 21. Jahrhunderts ihren Widerhall finden.

    1.5   Die Ergebnisse sozial verantwortlicher Investitionen veranschaulichen das positive Verhältnis zwischen den sozialen und den finanziellen Bewertungen der Finanzinstitute, die sozial verantwortliche Investmentfonds anbieten. Zudem sind sozial verantwortliche Investitionen weder weniger rentabler noch riskanter als herkömmliche.

    1.6   Die Organismen für gemeinsame Anlagen und die Stellen zur Verwaltung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung sind ein wichtiges Instrument zur Kanalisierung von Ersparnissen in produktive Investitionen. Größeres Augenmerk muss hierbei jedoch auf die Anlageberatung, die Verbesserung der Verwaltungstechniken sowie die Kommunikation als Komponente der zwischenmenschlichen Beziehungen und der sozialen Verantwortung gelegt werden.

    1.7   Bei dem Beitrag, den die Fachleute der Finanzinstitute zu sozial verantwortlichen Investitionen leisten, müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden: langfristige Zielvorstellungen, Ausrichtung auf das Allgemeininteresse, Zuverlässigkeit und analytische Stringenz.

    1.8   Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Entwicklung der sozial verantwortlichen Investition zu fördern, um die „Standardisierung“ und Konsolidierung der derzeitigen Systeme zur Verwaltung dieser Produkte zu erleichtern und dabei die Transparenz der Informationen, die Vergleichbarkeit bei der Analyse durch die Anleger, die fachliche Ausbildung und den Austausch bewährter Verfahrensweisen zu unterstützen. Es deutet einiges darauf hin, dass die Finanzmärkte positiv auf die Einführung von Systemen zur Standardisierung und auf die Zertifizierung der entsprechenden Institute reagieren.

    1.9   Ein positiver Effekt der Filterung sozial verantwortlicher Investitionen - sei es durch eine Regelung oder durch professionelle Berater - wird darin bestehen, dass bestimmte Wertpapiere aus dem Anlageportefeuille ausgeschlossen werden können, was die Unternehmen zu einer Verbesserung ihres Verhaltens in den Bereichen, Umwelt, Soziales und Unternehmensführung veranlassen dürfte.

    1.10   Der EWSA schlägt vor, spezifische Initiativen zur allgemeinen Verbreitung von Wissen und Kenntnissen über Finanzen zu entwickeln, wie die Erstellung von Publikationen, Bildungsmaßnahmen, die Einrichtung spezialisierter Websites und Fachunterricht in Finanzen an den Schulen.

    1.11   Eines der Ziele der Programme zur Vermittlung von Kenntnissen im Finanzbereich besteht darin, in den privaten Haushalten einen verantwortlichen, umsichtigen und nachhaltigen Umgang mit Geldanlagen zu fördern, der an das jeweilige Risikoprofil, die Vermögenslage und die konkreten Ziele angepasst ist.

    1.12   Die soziodemografischen Veränderungen machen es erforderlich, über einen Wandel unserer Kultur und unseres Handelns zugunsten langfristiger Anlagen nachzudenken. Nach Ansicht des EWSA sollten die öffentlichen Institutionen sowohl zur Förderung von Investitionen in sozial verantwortliche Investmentfonds (durch die Einführung spezifischer Finanz- und Steuerregelungen) als auch des öffentlichen Beschaffungswesens als solches angehalten werden.

    1.13   Den Behörden kommt definitiv eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, die Nachfrage (privater oder institutioneller Anleger) nach und das Angebot (Fondsmanager und Vertriebs-Partner) von sozial verantwortlichen Investitionen anzukurbeln. Die öffentliche Verwaltung selbst kann dem Markt durch die Verwaltung der Investitionen von Staats- und Reservefonds Dynamik verleihen. Neben dem Vorbildcharakter hat ihr eigenes Handeln dabei einen wichtigen Katalysatoreffekt und eine starke Sogwirkung.

    1.14   Emittenten und die Unternehmen selbst können ihrerseits die Anleger mobilisieren, indem sie ihnen vermitteln, inwiefern ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen Indikatoren für die Qualität ihrer Tätigkeit sind, was die Transparenz und Einbeziehung dieser Kriterien in ihre Investitionsstrategie betrifft.

    2.   Soziale Verantwortung der Finanzinstitute

    2.1   Im Managementbereich bietet das „sozial verantwortliche Unternehmen“ Chancen für die Finanzinstitute, mit denen sie den Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden können.

    2.2   Mit der Veröffentlichung des Grünbuchs „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ der Europäischen Kommission (1) und der anschließenden Veröffentlichung des OECD-Berichts zu demselben Thema (2) hat das sozioökonomische Modell des Unternehmens, das seinen Stakeholders gegenüber verantwortlich ist, Auftrieb erhalten (3).

    2.3   Im Bereich der Finanzinstitute waren die Sparkassen aufgrund ihrer Gründungsprinzipien (4) und auch die Kreditgenossenschaften und die Versorgungskassen Vorreiter für die heutige soziale Unternehmensverantwortung. Ihre identitätsstiftende soziale Dimension (5) umfasst spezifische Zielstellungen, die der Philosophie der „Sozialwirtschaft“ nahe stehen, einer weltweit zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Bewegung (6), die Ausdruck einer Verpflichtung zur Integration von Menschen mit Behinderungen ist.

    2.4   Die aktuelle Finanzkrise entstand im Bankensektor, wo die von den Bankern eingegangenen übermäßigen Risiken durch das Versagen der Bankenaufsicht noch verschärft wurden. In ihrem Mittelpunkt stehen Finanzprodukte (Hypothekendarlehen zur Wohnraumfinanzierung und Konsumkredite, Derivate und strukturierte Finanzprodukte) und ein „Moral Hazard“ beim Vermarktungsprozess der Banken. Dabei trug die - durch offensichtliche Interessenskonflikte gekennzeichnete - Rolle der Rating-Agenturen neben den bekannten Regulierungslücken maßgeblich dazu bei, die Krise noch weiter zu verschärfen.

    2.5   Die Hauptverantwortung der Finanzinstitute besteht nun darin, ihre Geschäfte mit Umsicht und Sorgfalt zu führen und Mittel zur Finanzierung von Projekten der produktiven Wirtschaft und für den Konsum der privaten Haushalte zu vergeben.

    2.6   In diesen Zeiten der Finanzkrise dürfen die Bankinstitute ihre Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft nicht auf Eis legen. Zudem hat die Krise selbst ein gewisses Maß an unternehmerischer Verantwortungslosigkeit gezeigt und deutlich gemacht, dass eine größere und bessere soziale Unternehmensverantwortung vonnöten ist. Die soziale Verantwortung ist eine Frage der Identität, Verpflichtung und Strategie eines Unternehmens.

    2.7   Aus all diesen Gründen plädiert der EWSA für die Festlegung strategischer Handlungsleitlinien im Finanzbereich, um das Wachstum sozial verantwortlicher Investitionen anzukurbeln, geeignete steuerliche Maßnahmen zu fördern, Systeme zur Produktstandardisierung einzuführen, den Anlegerschutz zu verbessern, vorbildliche Vorgehensweisen im Bankwesen zu etablieren sowie den europäischen Markt mit verantwortlichen und relevanten Finanzdienstleistungen zu stärken.

    3.   Sozial verantwortliche Finanzprodukte

    3.1   Definition und Gegenstand der Stellungnahme

    3.1.1   Es geht hierin um Sparprodukte (Girokonten, hochverzinsliche Konten, Spareinlagen, strukturierte Einlagen), Anlageprodukte (Organismen für gemeinsame Anlagen: Investmentfonds und Investmentgesellschaften; Altersvorsorge und Lebensversicherungen: Rentenpläne und -fonds, Altersvorsorgepläne, kapitalgebundene oder fondsgebundene („unit linked“) Lebensversicherungen; Themenfonds), Kredite und Finanzhilfen (Mikrokredite, Rotationsfonds, Garantiefonds auf Gegenseitigkeit und Risikokapitalfonds), bei deren Gestaltung ökologische, soziale und Governance-Kriterien berücksichtigt werden, wobei aber in keinem Falle die erforderlichen Risiko- und Renditeziele aus dem Blick geraten dürfen.

    3.1.2   Diese Stellungnahme konzentriert sich auf die Anlageprodukte auf dem Retailmarkt wie auf dem institutionellen Markt. Im Allgemeinen geht es darum, in Unternehmen zu investieren, die konstant ein besseres Verhalten zeigen und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Diese Produkte sollen ein effizientes Instrument zur Förderung der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung darstellen, das die Unternehmen dazu motiviert, sich angemessen zu verhalten und so dem Interesse ihrer Anleger zu entsprechen.

    3.1.3   Nun dürfen jedoch sozial verantwortliche Investmentfonds nicht mit solidarischen Investmentfonds verwechselt werden. Letztere geben lediglich einen Prozentanteil ihres Gewinns an soziale Einrichtungen ab, sie müssen jedoch bei der Auswahl der Werte, in die der Fonds anlegt, nicht den Kriterien der sozialen Verantwortlichkeit folgen. Die solidarische und die sozial verantwortliche Investition können jedoch in einem Fonds enthalten sein.

    3.2   Entstehung und Entwicklung

    3.2.1   Sozial verantwortliche Investitionen sind ursprünglich an moralische Erwägungen geknüpft. Bedingt durch die Globalisierung, ein stärkeres Umwelt- und Sozialbewusstsein und die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien haben sie seit den 80er-Jahren immer mehr an Stellenwert gewonnen.

    3.2.2   Die sozial verantwortliche Investition entstand im angelsächsischen Raum (7). Im europäischen Umfeld (8) gibt es stark wachsende Märkte wie Großbritannien, die Niederlande, Norwegen, Frankreich, Schweden, Belgien sowie - in geringerem Umfang - Italien, Spanien und Deutschland.

    3.3   Begriffspräzisierung

    3.3.1   Sozial verantwortliche Investmentfonds investieren in Unternehmen. Der traditionellen ethischen Investition liegt eine grundsätzlich moralische, ideologische oder soziale Motivation zugrunde. Heute geht es jedoch darum, wirtschaftliche, ökologische, soziale und Governance-Aspekte der Unternehmensleistung auf integrierte Weise in einer Langzeitperspektive zusammenzuführen.

    3.3.2   Bei den Investitionsentscheidungen werden Kriterien der sozialen Verantwortung angewandt (Filter), wobei bestimmte Anlagemöglichkeiten ausgeschlossen und die mit dem besten Verhaltensprofil ausgewählt werden. Dementsprechend besteht die Herausforderung der sozial verantwortlichen Investition darin, künftig auf die Unternehmensstrategien Einfluss zu nehmen und die Werte des Investors auf die des Anlageprodukts abzustimmen.

    3.3.3   Bei der Bewertung werden bis zu 60 Kriterien herangezogen. In der nachstehenden Tabelle (9) sind einige der am häufigsten verwendeten Kriterien aufgeführt:

    Ausschlusskriterien

    Positive Kriterien

    Rüstung

    Chancengleichheit

    Tierversuche

    Recycling

    Ausbeutung der Dritten Welt

    Energie- und Ressourcenerhaltung

    Schadstoffe

    Informationstransparenz

    Genmanipulation

    Solidarisches Engagement für die Gesellschaft

    Pornografie, Rauchen und Alkohol

    Förderung von Bildung und Ausbildung

    Umweltzerstörung

    Standardisierung von Produkten

    3.3.3.1   Die vorstehende Auflistung impliziert jedoch nicht, dass Unternehmen, die Ausschlusskriterien aufweisen, tatsächlich auf unverantwortliche Weise geführt werden. Im Gegenteil: Sie können bei der Gestaltung ihrer Geschäftstätigkeit sogar höchste ethische Standards aufweisen, selbst wenn einige Investoren einen bestimmten Bereich, z.B. die Rüstung, möglicherweise als moralisch verwerflich empfinden.

    3.3.4   Die im Bereich der sozial verantwortlichen Investitionen verwendeten Nachhaltigkeitskriterien müssen als dynamisch betrachtet werden, d.h. die Einbeziehung neuer relevanter Aspekte in den Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen muss möglich sein. Zum Beispiel wäre es im Rahmen der Chancengleichheit zweckmäßig, positive Kriterien in Bezug auf Menschen mit Behinderungen aufzunehmen, etwa Indikatoren für die Integration in die Arbeitswelt oder auch die Barrierefreiheit im Arbeitsumfeld und in Geschäften sowie den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen.

    3.3.5   Um Vergleichsdaten über Entwicklung der sozial verantwortlichen Investition auf weltweiter Ebene erstellen zu können, ist gemäß der Marktsegmentierung zwischen dem institutionellen Markt (der im Grunde mit den Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung gleichzusetzen ist) und dem Retailmarkt (der auf die Investmentfonds begrenzt bleibt) zu unterscheiden.

    3.4   Neue Institutionen

    3.4.1   Die am Finanzmarkt tätigen Institute haben Mechanismen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in ihrer Geschäftstätigkeit eingeführt. Der Dialog mit den Stakeholders besteht sowohl in den traditionellen Banken als auch in den sogenannten Ethikbanken (10) und kann über Sitzungen oder den Austausch mittels elektronischer Plattformen erfolgen.

    3.4.2   Die Entwicklung sozial verantwortlicher Investmentfonds ging einher mit der Schaffung neuer Institutionen und der Anpassung bereits bestehender Einrichtungen, die internationale Aktienindizes konfigurieren und verbreiten (wie beispielsweise der Dow Jones Sustainability DJSI Index oder der FTSE4Good), Datenbanken entwickeln und vertreiben, als Agenturen für die Solvabilitätsanalyse und die Beratung sozial verantwortlicher Investmentfonds arbeiten usw.

    3.4.3   Zur Förderung der von der UNO aufgestellten Grundsätze für verantwortungsbewusstes Investment (PRI) sollte die aktive Rolle der Europäischen Kommission berücksichtigt werden, wobei die Schaffung des Social Investment Forum (SIF) in den Vereinigten Staaten oder des European Social Investment Forum (Eurosif) in Europa zum Dialog mit den Stakeholders beiträgt (11).

    3.5   Portfoliomanagement

    3.5.1   Nach der sozioökonomischen Modellbildung werden über den Faktor Risiko/Rentabilität hinaus Kriterien der sozialen Rentabilität in die klassischen Finanzmodelle aufgenommen. So basieren die Anlageziele sozial verantwortlicher Investitionen auf der Auswahl von Anlagemöglichkeiten nach sozialen, ökologischen und Governance-Kriterien und nicht nur nach finanziellen Faktoren.

    3.5.2   In den letzten Jahren setzte sich das Bewusstsein durch, dass das Finanzwesen einen Rahmen für die soziale Verantwortlichkeit braucht, was schließlich zur Herausbildung der sogenannten nachhaltigen Finanzen („sustainable finance“) führte. Diese Tendenz knüpft an die Entwicklungen der verhaltensorientierten Finanzierungslehre („behavioral finance“) an und dehnt die Untersuchung des wirtschaftlichen und psychologischen Verhaltens der Marktteilnehmer auch auf deren soziales und ökologisches Verhalten aus (12).

    3.5.3   Zur Entwicklung von Verfahren zur Bewertung und Einstufung von Unternehmen anhand ihres sozialverantwortlichen Handelns haben vor allem die sogenannten „Rating-Agenturen für Nachhaltigkeitsanalysen“ (13) beigetragen, die verschiedene Bewertungsmethoden einsetzen. Konkret deuten die Ergebnisse mehrerer in diesem Zusammenhang durchgeführter Untersuchungen darauf hin, dass sozial nachhaltige Investitionen für die Anteilsinhaber keine Opfer im Hinblick auf die mittel- und langfristige wirtschaftliche Rendite bedeuten.

    3.6   Standardisierung von Produkten

    3.6.1   Voraussetzung für die Einführung und Förderung von sozial verantwortlichen Finanzprodukten (ob nun Anlage-, Spar- oder Finanzierungsprodukte) ist die vorherige eindeutige Festlegung der Anforderungen, die diese Produkte erfüllen müssen, um die Anwendbarkeit der Grundsätze der sozialen Verantwortlichkeit und die Kontrolle, kontinuierliche Bewertung und Transparenz zu gewährleisten.

    3.6.2   Konkret überarbeitet die spanische Normungs- und Zertifizierungsvereinigung AENOR (14) derzeit eine Norm für sozial verantwortliche Finanzprodukte (UNE 165001: 2002 EX, ethische Finanzinstrumente). Damit soll Instituten, die solche Produkte schaffen oder vermarkten wollen, eine Orientierung in Form allgemeiner Anforderungen an die Hand gegeben und für ein Höchstmaß an Transparenz und Öffentlichkeit dieser Kriterien gegenüber den Verbrauchern gesorgt werden.

    3.6.3   Parallel dazu wurden in mehreren Ländern der Europäischen Union in den letzten Jahren Kriterien für die Selbstregulierung des Sektors aufgestellt (15), was in vielen Fällen auf Betreiben der entsprechenden nationalen Aufsichtsbehörden mit dem Ziel erfolgte, die wachsende Zahl neuer sozial verantwortlicher Investmentfonds zu erfassen und zu registrieren. Wirtschaftsprüfer und Fachberater sorgen für weitere Gegenkontrollen.

    3.6.4   Hervorzuheben ist auch die von EUROSIF und mehreren SIF der Mitgliedstaaten geförderte Initiative für eine transparentere Anwendung dieser Kriterien. Hierdurch erhält der Verbraucher Informationen darüber, welche Kriterien herangezogen und wie sie angewandt werden, ohne ein Urteil über die Güte oder die soziale Verantwortlichkeit der Produkte abzugeben.

    3.6.5   Um die Vergleichbarkeit der von den Finanzinstituten über sozial verantwortliche Investitionen erstellten Berichte zu fördern, soll ein einheitliches Musterdokument erarbeitet werden, das den Informationsbedürfnissen der Anleger in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten entspricht.

    4.   Maßnahmen zum Schutz der Kunden

    4.1   Das Vertrauen der Verbraucher in Finanzdienstleister hat aufgrund der Finanzkrise stark gelitten. Die Moral der Branche wird in Frage gestellt, weshalb die Finanzinstitute die Möglichkeit haben, Maßnahmen für die Einführung und Etablierung sozial verantwortlicher Finanzprodukte zu ergreifen.

    4.2   Bessere Information des Kunden

    4.2.1   Eine Folge der Finanzkrise ist, dass sich die Aufsichtsbehörden zunehmend um die Belange der Sparer und Anleger kümmern. Verstärkt wurde diese Haltung durch Schlichtungsausschüsse, Informationsprospekte und Leitfäden, die Kontrolle der Werbung für alle Finanzprodukte (16) (diese muss klar, objektiv und transparent sein) sowie die Einführung von Reklamationsmöglichkeiten oder eines Kundenbeauftragten (Ombudsmann).

    4.2.2   Dessen ungeachtet werden Bankkunden durchaus nicht immer entsprechend ihren Bedürfnissen informiert. So werden in einer unlängst vorgelegten Studie der Europäischen Kommission (17) regelwidrigen Praktiken der Banken in vielen Ländern Europas angeprangert, wie z.B. fehlende Transparenz und hohe Beträge bei den Bankgebühren sowie die schwierige Vergleichbarkeit der Angebote der verschiedenen Banken, wenn es darum geht, das günstigste Angebot zu finden.

    4.2.3   Die Transparenz gegenüber den Kunden erfordert klare, genaue, verständliche und vergleichbare Informationen. Für sozial verantwortliche Finanzprodukte heißt das konkret, dass mindestens über die entsprechende Definition der sozial verantwortlichen Investition, die in der Praxis verwendeten Kriterien (den Auswahlfilter), die Zusammensetzung des entsprechenden Ausschusses für sozial verantwortliche Investition (18) und die Verwaltungs- und Depotbankgebühren usw. informiert werden muss und regelmäßig unabhängige Berichte über die Einhaltung der Wertvorstellungen hinsichtlich der sozialen Verantwortlichkeit des Produkts veröffentlicht werden.

    4.2.4   Die Bereitstellung von Informationen durch die Kundenberatung trägt zur kontinuierlichen Verbesserung der Dienstleistung (Schlüsselfaktor für deren Qualität) und zu einem verantwortungsvollen „Kundendienst“ über die gesamte Produktlaufzeit oder bis zur Veräußerung des Produkts durch den Kunden bei.

    4.3   Förderung der Vermittlung von Kenntnissen in Finanzangelegenheiten

    4.3.1   Die Vermittlung von Kenntnissen in Finanzangelegenheiten gehört zu den Aufgaben, die in Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor angegangen werden müssen, um den Problemen gerecht zu werden, die sich angesichts eines immer komplizierteren Finanzsektors stellen. Diese Kenntnisvermittlung muss jedoch abseits der Vermarktungsinteressen für spezifische Finanzprodukte erfolgen.

    4.3.2   Zur Förderung dieses Finanzwissens in der Bevölkerung haben die Aufsichtsbehörden und die Kreditinstitute im Rahmen sogenannter „Pläne für Finanzerziehung“ eine Reihe von Initiativen eingeleitet, um damit spezifisch der Überschuldung privater Haushalte vorzubeugen und die Auswahl von Produkten zu erleichtern, die ihrem Risikoprofil und ihrer Vermögenslage angemessen sind.

    4.3.3   Diese Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen in Finanzfragen tragen zum Aufbau von Vertrauen in das Finanzsystem bei und wurden von der Europäischen Union als wichtige Schritte anerkannt, so z.B. in der Mitteilung der Kommission über die Vermittlung und den Erwerb von Finanzwissen (19) oder in den Schlussfolgerungen der Tagung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister am 14. Mai 2008 (20).

    4.3.4   Anreize für die Durchführung von Studien über sozial verantwortliche Investitionen und Bildungsmaßnahmen für die Marktteilnehmer tragen dazu bei, dass die Finanzinstitute bei ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen vorbildliche Vorgehensweisen übernehmen. Entsprechendes Schulungsmaterial und Verhaltenskodizes bieten eine gute materielle Grundlage für diese Maßnahmen.

    4.4   Beratung zu Finanzdienstleistungen

    4.4.1   In der Richtlinie über Märkte für Finanzmarktinstrumente (MiFID) (21) wird von den Finanzinstituten verlangt, dass sie den Anlegerschutz verbessern und ihren Kunden für die einzelnen Anlegerprofile geeignete Produkte anbieten. Und nicht nur dies, gefordert werden auch eine klare Trennung zwischen Beratung und Vertrieb sowie genaueste Produktkenntnisse seitens der Anlageverkäufer. In diesem Sinne müsste der Kunde im Rahmen der Eignungsprüfung gefragt werden, ob er mit den entsprechenden Maßnahmen betreffend sozial verantwortliche Investitionen einverstanden ist, wenn ihm die am besten geeigneten, sozial verantwortlichen Finanzprodukte angeboten oder zugeteilt (Portfolioverwaltung) werden.

    4.4.2   Konkret müssen für sozial verantwortliche Finanzprodukte interne Kontrollverfahren vorgesehen sein, mit denen die Anlagerisiken ermittelt werden und kontrolliert wird, ob Interessenskonflikte vorliegen. Darüber muss der zuständige Ausschuss für sozial verantwortliche Investitionen (der sich mehrheitlich aus externen Fachleuten zusammensetzt, um die Objektivität seiner Arbeit zu garantieren) entsprechend informiert werden.

    5.   Aussichten für sozial verantwortliche Investitionen

    5.1   Der Sektor der sozial verantwortlichen Investitionen könnte aus der gegenwärtigen Situation gestärkt hervorgehen, soweit den Anlegern die Unterscheidung zwischen Unternehmen, die langfristig auf soziale Unternehmensverantwortung setzen, und anderen, die damit nur Marketingzwecke verfolgen, gelingt.

    5.2   Die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung profilieren sich als Segment mit einem großen Wachstumspotential für sozial verantwortliche Investitionen. Ramón Jáuregui (22) erklärte dazu, dass in Spanien möglicherweise 10 % des Sozialversicherungsfonds nach nachhaltigen Kriterien am Markt angelegt werden sollen (23), was die Herausbildung einer Kultur der sozialen Verantwortung begünstigen würde.

    5.3   Als vorbildliche Vorgehensweise für die Mobilisierung von Wirtschaft und Behörden seien Initiativen wie die Medal of Social Solidarity des Business Centre Club, einem der größten polnischen Unternehmerverbände, erwähnt. Es handelt sich dabei um eine besondere Auszeichnung, mit der unter anderem Firmenchefs für die Förderung des Gedankens der sozialen Unternehmensverantwortung und Ähnliches geehrt werden. Verliehen werden die Medaillen im Beisein von Hunderten von Unternehmensführern, Ministern, Diplomaten, des Ministerpräsidenten oder sogar des Staatspräsidenten Polens, des Präsidenten der Europäischen Kommission oder des EWSA-Präsidenten.

    5.4   Im Hinblick auf eine Etablierung des Sektors der sozial verantwortlichen Investition fordert der EWSA die öffentlichen Institutionen auf, entsprechende Impulse zu geben, geeignete rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, Finanzanlagen mit Nachhaltigkeitskriterien zu fördern, vorbildliche Verfahrensweisen zu propagieren und Anreize für Investitionen in diese Finanzprodukte zu schaffen, z.B. durch entsprechende steuerliche Maßnahmen (24). Eine sehr wirkungsvolle Art zur Ankurbelung des Marktes ist die Aufnahme dieser Kriterien in die öffentlichen Investitionen, sei es mit festem oder veränderlichem Zinsertrag, durch staatliche Investitions- oder Reservefonds der Sozialversicherung, wie im Fall Frankreichs. Auf dem Gebiet der Rechtsetzung und im Hinblick auf die Transparenz sind die Auswirkungen von Vorschriften hervorzuheben, wonach Fondsmanager von Investmentfonds oder die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung angeben müssen, inwiefern sie bei der Auswahl der Anlagen soziale und ökologische Kriterien mit einbeziehen, wie es in Großbritannien der Fall ist.

    5.5   Der EWSA hebt die Bedeutung des Engagements der Unternehmen und der aktiven Verwaltung der Finanzintermediäre hervor. Die Verwalter von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, die Ausschüsse für die sozial verantwortliche Investition der Produkte, die Kontrollkommissionen und die Gewerkschaften sind allesamt Faktoren, die dem Markt für sozial verantwortliche Investmentfonds eine Dynamik verleihen.

    Brüssel, den 26. Mai 2010

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Mario SEPI


    (1)  KOM(2001) 366 endg. Siehe auch die Mitteilung der Kommission „Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der unternehmen führend werden“; KOM(2006) 136 endg.

    (2)  „Corporate Social Responsibility: Partners for Progress“, OECD, Paris 2001.

    (3)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Die ethische und soziale Dimension der europäischen Finanzinstitute“, ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 84.

    (4)  Gemäß dem Dokument 143 der Europäischen Sparkassenvereinigung von 1990.

    (5)  E. Castelló (2005): „El liderazgo social de las Cajas de Ahorro“, FUNCAS Ediciones.

    (6)  J.L. García (2009): „Las cuentas de la economía social: magnitudes y financiación del tercer sector en España, 2005“, Civitas Ediciones.

    Siehe die Entschließung des Europäischen Parlaments zur „Sozialwirtschaft“ vom 19.2.2009, Berichterstatterin: Patricia Toia.

    (7)  Eurosif (2008). Der Umfang der Aktiva in den Vereinigten Staaten belief sich in 2007 auf 1 917 Mrd. EURO.

    (8)  Eurosif (2008). Die Vermögenswerte der sozial verantwortlichen Investition in Europa beliefen sich 2007 auf 2 665 Mrd. EUR.

    (9)  Muñoz et al. (2004): „The social responsibility performance of ethical and solidarity funds: An approach to the case of Spain“. Business Ethics. A European Review. Vol 13, Nr. 2/3 April, July.

    (10)  Ethisch ist ein allgemein akzeptierter Begriff, der jedoch andere Bezeichnungen wie zivil, alternativ oder sozial nicht ausschließt. Siehe INVERCO, Ethikkommission (1999).

    (11)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Auswirkungen der Tätigkeit von Beteiligungsfonds, Hedge-Fonds und Staatsfonds auf den industriellen Wandel in Europa“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 56.

    (12)  Auf diesem Gebiet wegweisend sind vor allem die Arbeiten von Amartya Sen (1970): „Collective choice and social welfare“, Holden-Day.

    (13)  Sie nehmen gegenüber den Anlegern die Aufgabe eines Beraters und Kontrollgremiums wahr.

    (14)  AENOR (2008): „Ética. Sistema de gestión de la responsabilidad social de las empresas“.

    (15)  Die Stellen zur Kontrolle der Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung geben Erklärungen darüber ab, inwiefern diese bei ihren Investitionsentscheidungen Kriterien der sozialen Verantwortung berücksichtigen.

    (16)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind“, KOM(2009) 491 endg., CESE 257/2010.

    (17)  „Data collection for prices of current accounts provided to consumers“, Europäische Kommission, 2009, http://ec.europa.eu/consumers/strategy/docs/prices_current_accounts_report_en.pdf.

    (18)  Es handelt sich um ein Expertengremium, das das Finanzinstitut, den Fondsmanager oder das Aufsichtsgremium berät und für die korrekte Anwendung des ethischen Auswahlfilters und die Überprüfung der Informationen für die Kunden sorgt. Für jedes Finanzprodukt sollte es ein solches Gremium geben, was aber nicht immer der Fall ist.

    (19)  KOM(2007) 808 endg.

    (20)  Pressemitteilung des Rates 8850/08 (Presse 113), S. 14.

    (21)  Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente.

    (22)  Mitglied des Europäischen Parlaments und der Gruppe „Alternativa Responsable“.

    (23)  Einen solchen Fonds gibt es in mehreren Ländern der Europäischen Union.

    (24)  Economistas sin Fronteras (2007): „Cómo fomentar la inversión socialmente responsable en España“, UNED.


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