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Document 52009IE1463

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die nördliche Dimension der benachteiligten Gebiete (Initiativstellungnahme)

    ABl. C 318 vom 23.12.2009, p. 35–38 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    23.12.2009   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 318/35


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die nördliche Dimension der benachteiligten Gebiete“ (Initiativstellungnahme)

    2009/C 318/07

    Berichterstatter: Kaul NURM

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 26. Februar 2009 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    Die nördliche Dimension der benachteiligten Gebiete“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 2. September 2009 an. Berichterstatter war Kaul NURM.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 456. Plenartagung am 30. September und 1. Oktober 2009 (Sitzung vom 30. September) mit 175 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Die grundlegenden Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik, unter anderem die Ernährungssicherheit, sind nach wie vor aktuell, sofern auf dem gesamten Gebiet der Europäischen Union, auch in den nördlichen Regionen, die Landwirtschaft bewahrt bleibt.

    1.2

    Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme stehen die natürlichen, klimatischen und geografischen Besonderheiten und Probleme der nördlichen Regionen der EU, in denen die Agrarproduktion durch das kalte Klima gewissen Beschränkungen unterworfen ist, so dass höhere Aufwendungen erforderlich sind, die Landwirte in agroklimatisch begünstigten Zonen nicht zu tragen haben.

    1.3

    In den nördlichen Gebieten ist die landwirtschaftliche Produktion kostenintensiver und die Produktivität wesentlich geringer als in günstiger gelegenen Erzeugerregionen. Die stetig sinkende Rentabilität und die gleichzeitig schwindende Motivation der Erzeuger stellen die weitere Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen in den nördlichen Regionen Europas in Frage. Diese Gefahr kann durch den Einsatz geeigneter agrarpolitischer Instrumente vermieden werden.

    1.4

    In Regionen mit naturbedingten Nachteilen muss zur Bewahrung der traditionellen Landschaftsformen und der Gebiete mit hohem Naturschutzwert das Land weiterhin bewirtschaftet werden. Durch das Instrument der Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete kann dieses Ziel erreicht werden, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Unterstützung stärker als bisher auf die Regionen ausgerichtet wird, in der die Gefahr der Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzflächen am größten ist.

    1.5

    Zusätzlich zu der Festlegung neuer Kriterien zur Abgrenzung der Gebiete mit naturbedingten Nachteilen müssen gleichzeitig auch die Finanzierungskonzepte dieser Initiative überprüft werden, um konkrete positive Wirkungen zu erzielen. Als eine Möglichkeit sollte erwogen werden, die Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete in die Zahlungen der 1. Säule zu integrieren. Durch das bisher gültige System, in dem die Höhe der Direktzahlungen auf den historischen Ertragsleistungen basiert, werden die Landwirte in günstiger gelegenen Gebieten bevorzugt. Durch die Ausgleichszulage sind die ungünstigeren Produktionsbedingungen in den naturbedingt benachteiligten Gebieten nicht ausreichend kompensiert worden.

    1.6

    Bei der Berechnung der Stützungszahlungen für benachteiligte Gebiete sollte künftig für jede einzelne Region die Gesamthöhe der zur Bewältigung der naturbedingten Nachteile und ungünstigen Produktionsbedingungen geleisteten Aufwendungen berücksichtigt werden: Je schlechter die natürlichen Bedingungen sind, desto höher sollten die Stützungszahlungen ausfallen. Dennoch sollten auch Unter- und Obergrenzen für die Zahlungen festgelegt werden.

    1.7

    Bei der Feststellung der naturbedingten Nachteile sollte nicht nur die positive Temperatursumme der Vegetationsperiode, sondern auch die negative Temperatursumme der Winterperiode in der jeweiligen Region berücksichtigt werden.

    1.8

    Die nördlichen Gebiete liegen weit ab von den großen Märkten Europas, die ländlichen Regionen dort sind äußerst dünn besiedelt, und die Ackerflächen sind fragmentiert, was die Erzeugerkosten der landwirtschaftlichen Betriebe in die Höhe treibt. Um die Entvölkerung dieser Gegenden zu verhindern und die landwirtschaftliche Produktion aufrechtzuerhalten, sind Ausgleichszahlungen aus den Mitteln für benachteiligte Gebiete erforderlich. Daher empfiehlt der EWSA, bei der Festlegung der Kriterien zur Abgrenzung benachteiligter Gebiete auch die geringe Bevölkerungsdichte zu berücksichtigen und zusätzliche Kriterien zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Produktion in waldreichen Gegenden zu erarbeiten.

    1.9

    Der EWSA empfiehlt, bei der Ausarbeitung und Festlegung der Kriterien für eine Neuabgrenzung der benachteiligten Gebiete (Gebiete mit naturbedingten Nachteilen) die in der Stellungnahme erwähnten natürlichen, klimatischen und sozialwirtschaftlichen Besonderheiten der nördlichen Gebiete zu beachten. Eine Möglichkeit bestünde darin, diese Gebiete in Analogie zu den Bergregionen als Sondergebiete zu definieren.

    2.   Hintergrund

    2.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich in früheren Initiativstellungnahmen bereits mit dem Thema „Benachteiligte Gebiete“ auseinandergesetzt (1).

    2.2

    In ihrer am 21. April 2009 vorgelegten Mitteilung KOM(2009) 161 endg. schlägt die Europäische Kommission vor, die Grundsätze für die Abgrenzung der benachteiligten Gebiete zu verändern und zu diesem Zweck neue Kriterien festzulegen. Unter anderem legt die Kommission eine neue Bezeichnung für die benachteiligten Gebiete vor und empfiehlt, sie künftig „Gebiete mit naturbedingten Nachteilen“ zu nennen. Der EWSA begrüßt diesen neuen Ansatz.

    2.3

    Da im EU-Binnenmarkt der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr gewährleistet ist, kann auf lange Sicht in den nördlichen Regionen der EU, in denen höhere Einheitskosten anfallen, eine landwirtschaftliche Produktion ohne besondere Unterstützung nicht aufrechterhalten werden. Dies wirkt sich seinerseits negativ auf die soziale und ökologische Nachhaltigkeit sowie die Artenvielfalt dieser Gebiete aus.

    2.4

    Die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Regelungen für benachteiligte Gebiete und ihre Auswirkungen lassen sich nicht miteinander vergleichen. Da eine Vielzahl von Kriterien zur Anwendung kommt, tragen die derzeitigen Beihilferegelungen für benachteiligte Gebiete den aufgrund der natürlichen und klimatischen Gegebenheiten spezifischen Produktionsbedingungen nicht genügend Rechnung, so dass diese nur unzureichend und unverhältnismäßig kompensiert werden.

    2.5

    Im Hinblick auf die langfristige Gewährleistung der Ernährungssicherheit Europas und der Welt muss die Landwirtschaft auch in den nördlichen Regionen der Europäischen Union fortgeführt werden, in denen sich den Prognosen zufolge aufgrund der globalen Erwärmung das Agroklima in den nächsten 50 bis 100 Jahren verbessern kann, während aus dem gleichen Grund die südlichen Regionen von Dürreperioden betroffen sein werden, so dass sich die landwirtschaftliche Produktion in Europa nach Norden verlagern dürfte.

    3.   Die natürlichen und klimatischen Besonderheiten der nördlichen Regionen, eine allgemeine Beschreibung der auftretenden Probleme und die Gründe für eine besondere Behandlung dieser Gebiete

    3.1

    Die landwirtschaftliche Erzeugung in den nördlichen Regionen der Europäischen Union unterscheidet sich von der in Mittel- und Südeuropa durch eine weitaus kürzere Vegetationsperiode, eine wesentlich geringere Summe der effektiven, für das Pflanzenwachstum erforderlichen Temperaturen und einen Feuchtigkeitsüberschuss während des größten Teils des Jahres. Die Niederschläge fallen aufs Jahr gesehen ungleichmäßig: Im Frühjahr und Sommer, wenn die Pflanzen keimen, sprießen und wachsen, ist die Niederschlagsmenge nicht ausreichend, während die häufigen Regenfälle des Herbstes das rechtzeitige Einbringen der Ernte erschweren und zu Qualitätseinbußen bei der Ernte führen.

    3.2

    Einen wesentlichen Einfluss auf die Landwirtschaft in den nördlichen Regionen haben auch der lange Winter und der damit einhergehende Bodenfrost. Die Temperaturen können mitunter sogar auf unter -40 °C sinken. Die Eindringtiefe des Bodenfrostes hängt sowohl von der negativen Temperatursumme als auch von der Dicke der Schneedecke ab, die in Lettland und Estland bis zu einem Meter und im Norden Finnlands und Schwedens bis zu zwei Metern betragen kann. Das Schmelzen des Schnees und das Auftauen des Bodens sind langwierige Prozesse, durch die sich die Frühjahrsaussaat und der Vegetationsbeginn verzögern. Je nach dem Breitengrad und der Entfernung zum Meer liegt in den nördlichen Gebieten die Zeit der Frühjahrsaussaat zwischen Ende April und Mitte Juni. Daher muss bei der Erarbeitung der Kriterien zur Abgrenzung benachteiligter Gebiete auch die negative Temperatursumme der jeweiligen Regionen berücksichtigt werden.

    3.3

    Für die Errichtung von Gebäuden müssen höhere Kosten veranschlagt werden, da die Fundamente frostfrei gegründet, Wasserleitungen und Kanalisationen unterhalb der Frostgrenze verlegt und die Außenmauern der Gebäude isoliert werden müssen. Erhebliche Kosten fallen auch durch das Heizen der Gebäude im Winter und durch die Schneeräumung an.

    3.4

    Aufgrund des kurzen nacheiszeitlichen Bodenentstehungsprozesses sind die Böden in den nördlichen Gebieten dünner und weisen eine unterschiedliche Bodentextur und Güte auf. Sie sind in der Regel nass, stellenweise steinig, übermäßig lehmig, sandig oder torfig. Um den Boden zu verbessern, müssen daher große Summen investiert werden, vor allem in die Anlage und Pflege von Drainagesystemen, aber auch in die Kalkdüngung der Felder.

    3.5

    Die nördlichen Regionen sind gekennzeichnet durch Hügellandschaften und fragmentierte glaziale Oberflächenformen, auf denen karge Wälder, Feuchtgebiete und andere Naturräume vorherrschen. Daher sind die Ackerflächen klein und verstreut. Es gibt Gebiete, in denen die durchschnittliche Größe der Felder eines landwirtschaftlichen Unternehmens weniger als ein Hektar beträgt und die Felder dazu noch verhältnismäßig weit ab von der Hofstelle verstreut in den Wäldern liegen. Dadurch wird der Einsatz von größeren und effizienteren Maschinen unmöglich, und gleichzeitig erhöhen sich auch die innerbetrieblichen Produktions- und Transportkosten. Naturbedingte Nachteile dieser Art lassen sich auch nicht dadurch ausgleichen, dass auf alternative Kulturen zurückgegriffen oder die landwirtschaftliche Erzeugung auf andere Weise rationalisiert wird. Daher müssen zusätzliche Kriterien zur Anwendung kommen, durch die die naturbedingten Nachteile waldreicher Gegenden berücksichtigt werden. Ein Kriterium könnte dabei der Anteil der Ackerfläche pro Hektar sein. Eine der Maßnahmen zugunsten benachteiligter Gebiete sollte auch darin bestehen, die auf den Höfen anfallenden zusätzlichen Beförderungskosten auszugleichen.

    3.6

    Die ländlichen Gebiete in den nördlichen Regionen sind sehr dünn besiedelt. Außerhalb der großen Städte liegt die Bevölkerungsdichte bei unter zehn Einwohnern pro Quadratkilometer, in entlegenen Gebieten sogar bei weniger als drei Einwohnern, was sowohl in der landwirtschaftlichen Erzeugung als auch zur Gewährleistung des Zugangs zu öffentlichen oder privaten Einrichtungen hohe Transport- und Beförderungskosten verursacht. Im 20. Jahrhundert ist die Arbeitsproduktivität in Nordeuropa durch die Mechanisierung stark angestiegen, während auf dem Lande die Arbeitsplätze verloren gingen. Daher hat sich die geringe Bevölkerungs- und Dienstleistungsdichte ihrerseits zu einem Faktor entwickelt, der die Menschen zur Abwanderung aus den ländlichen Regionen bewegt - viele Bauern geben die Landwirtschaft auf, da ihre Kinder den Hof nicht übernehmen wollen. Dennoch bildet die Landwirtschaft gemeinsam mit der Forstwirtschaft und dem Tourismus die wirtschaftliche Grundlage für das Landleben in den nördlichen Gebieten. Die ländlichen Gemeinden sind wesentlich kleiner, daher sind auch die Pro-Kopf-Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen, beispielsweise für die schulische und informelle Bildung, bedeutend höher. In dünn besiedelten ländlichen Gebieten ist das Leben teurer, da die wenigen Einwohner im Hinblick auf den Waren- und Dienstleistungskonsum eine nur kleine Abnehmerschaft bilden. Die abgelegenen Gebiete der nördlichen Regionen sind zu weit von den großen Zentren entfernt, als dass die Menschen täglich dorthin zur Arbeit fahren oder dort Dienstleistungen in Anspruch nehmen könnten. Eine der Maßnahmen zugunsten benachteiligter Gebiete sollte auch darin bestehen, die zusätzlichen Transport- und Beförderungskosten von den Zentren (dem Markt) zu den entlegenen Agrarbetrieben auszugleichen.

    3.7

    Je weniger Menschen in Nordeuropa auf dem Lande leben, desto teurer wird das Leben für sie, da weite Wege zurückgelegt werden müssen, um Zugang zu Waren, Dienstleistungen, zur Gesundheitsversorgung, zu Schulbildung etc. zu erhalten. Daher ist in dünn besiedelten Gebieten Nordeuropas die Bewahrung und Schaffung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft und darüber hinaus von besonderer Bedeutung. Darauf sollte sowohl in der Gemeinsamen Agrarpolitik als auch in der Regionalpolitik hingearbeitet werden. Von der erfolgreichen Umsetzung dieser Politiken hängt es ab, ob es gelingen wird, die Abwanderung vom Land in die Stadt auszugleichen, die Aufgabe des Landes zu stoppen und der wirtschaftlichen und sozialen Verödung entlegener Gebiete Einhalt zu gebieten. Schließlich ist es auch aus sicherheitspolitischen Gründen für die gesamte Europäische Union von Bedeutung, wenn die Entvölkerung dieser EU-Grenzgebiete vermieden wird.

    3.8

    Die Wald- und Feuchtgebiete der nördlichen Regionen bilden gemeinsam mit einer extensiver betriebenen Landwirtschaft und halbnatürlichen Ökosystemen die Grundlage für die natürliche Vielfalt und den Artenreichtum. Außerdem ist der Norden Brutgebiet für Millionen von Zugvögeln, die auf den Feldern und naturbelassenen Wiesen auf Nahrungssuche gehen.

    3.9

    Aufgrund der naturbedingten Nachteile und der durch die Fragmentierung der landwirtschaftlichen Nutzflächen und die geringe Bevölkerungsdichte bedingten Transportkosten ist in den nördlichen Gebieten die Rentabilität der Agrarbetriebe geringer, und die erwirtschafteten Einkünfte fallen niedriger aus. Dies wiederum war ausschlaggebend für die bisherigen geringen Direktzahlungen (1. Säule) im Rahmen der GAP. In den nördlichen Gebieten mit naturbedingten Nachteilen kann die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzflächen, die nachhaltige Erzeugung von Lebensmitteln und die Pflege der Landschaft nur gewährleistet werden, wenn den Agrarerzeugern ein Einkommen garantiert wird, das mit dem der Landwirte in günstiger gelegenen Gebieten vergleichbar ist. Andernfalls werden die Menschen die Dörfer verlassen und die Flächen nicht mehr bewirtschaften, gepflegte Kulturlandschaften werden verbrachen und ihre Fruchtbarkeit verlieren. Als eine Möglichkeit empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, die Besonderheiten der nördlichen Regionen eingehender zu untersuchen und gegebenenfalls diese Gebiete in Analogie zu den Bergregionen als Sondergebiete zu definieren.

    3.10

    Die naturbedingten Nachteile können in ihrer Art und Ausdehnung von Region zu Region sehr unterschiedlich sein. Daher sollte bei der Berechnung der Stützungszahlungen für die benachteiligten Gebiete künftig für jede einzelne Region die Gesamtsumme der zur Bewältigung der naturbedingten Nachteile und ungünstigen Produktionsbedingungen geleisteten Aufwendungen berücksichtigt werden: Je schlechter die natürlichen Bedingungen sind, desto höher sollten die Stützungszahlungen ausfallen. Dennoch sollten auch Unter- und Obergrenzen für die Zahlungen festgelegt werden.

    4.   Naturbedingte Einschränkungen des Ackerbaus, Beschreibung der auftretenden Probleme, Gründe für eine besondere Behandlung dieser Gebiete

    4.1

    In den nördlichen Gebieten wirken sich die kalten Winter, die kurze Vegetationsperiode, eine niedrige effektive Temperatursumme und schließlich die Nässe, die hohe Investitionen in Entwässerungssysteme erfordert, auf den Ackerbau aus. Drainagesysteme haben je nach den verwendeten Materialien eine Lebensdauer von etwa 30 bis 50 Jahren und müssen danach erneuert werden. Darüber hinaus fallen jährlich zusätzliche Kosten zur Pflege und Instandhaltung der Entwässerungssysteme an. Voraussetzung für die Bewirtschaftung nasser Böden ist das Anlegen und Unterhalten von Entwässerungssystemen.

    4.2

    Die Böden in den nördlichen Gebieten sind aufgrund des kristallinen Ausgangsgesteins bzw. des Sandsteins zum großen Teil sauer. Um sie zu kultivieren, müssen die Felder regelmäßig alle sechs bis acht Jahre gekalkt werden, was zusätzliche Kosten verursacht, die in Gebieten mit pH-neutralen Böden nicht anfallen. Durch die Kalkdüngung wird die Fruchtbarkeit des Bodens nicht etwa erhöht, sondern sie ist eine Grundvoraussetzung für die Kultivierung saurer Böden und für den Ausgleich der dauerhaften naturbedingten Nachteile. Nach Ansicht des EWSA sollte das Problem der sauren Böden stärker als bisher bei der Abgrenzung der benachteiligten Gebiete und der Festlegung neuer Kriterien berücksichtigt werden.

    4.3

    In den nördlichen Regionen muss das gesamte Getreide in speziellen Korndarren getrocknet werden, da der Feuchtigkeitsgehalt bei der Ernte noch bis zu 30 % betragen kann. Für die Lagerung muss das Getreide jedoch auf 12-14 % Feuchte getrocknet werden. Die Errichtung von Korndarren erfordert hohe Investitionen, und die zum Trocknen benötigte Energie verursacht erhebliche zusätzliche Kosten. Der Kostenaufwand für die Darren und Trocknungsanlagen kann sich auf bis zu 300 000 EUR belaufen, und die Nutzungsdauer der Anlagen beträgt in Abhängigkeit von der Intensität ihrer Nutzung 10 bis 15 Jahre. Nach Angaben von Agrarbetrieben belaufen sich die Kosten für das Trocknen des Getreides im Durchschnitt auf 20 bis 25 EUR pro Tonne, obgleich der Feuchtigkeitsgehalt des Getreides und die zum Trocknen benötigte Energiemenge von Jahr zu Jahr variieren. Bei einem durchschnittlichen Ertrag von drei bis vier Tonnen pro Hektar in den nördlichen Gebieten erhöhen sich die Erzeugerkosten somit um 60 bis 100 EUR pro Hektar.

    4.4

    Die angebauten Pflanzensorten müssen kälteresistenter sein und die häufig noch im Juni auftretenden Nachtfröste überstehen. Daher ist auch der Ernteertrag niedriger. Wegen der kurzen Wachstumsperiode können keine Sorten angebaut werden, die, wie beispielsweise Futtermais, eine längere Wachstumszeit benötigen, im Tages- und Nachtmittel höhere Temperaturen bevorzugen und die dazu beitragen würden, die Kosten für die Viehaufzucht erheblich zu reduzieren. Daher wird das Vieh überwiegend mit Grassilage gefüttert, deren Einheitspreis höher liegt, als beim Futtermais.

    4.5

    Nachtfröste gefährden vor allem den Anbau von Baum- und Strauchobst sowie den Gemüseanbau. Mindestens alle zehn Jahre treten während der Blütezeit so starke Nachtfröste auf, dass die ganze Ernte vernichtet wird. Zwar gibt es verschiedene Möglichkeiten, Nachtfrostschäden zu vermeiden, beispielsweise durch Frostschutzberegnung, Rauchwände, Vliesabdeckung etc., doch sind diese Methoden mit einem zusätzlichen Aufwand an Finanzmitteln und Arbeitskraft verbunden.

    4.6

    Aufgrund der kurzen Vegetationsperiode müssen alle Feldarbeiten in sehr kurzer Zeit verrichtet werden. Voraussetzung dafür ist ein im Vergleich größerer Maschinenpark, der zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Investitionen pro Hektar führt.

    5.   Naturbedingte Einschränkungen für die Viehzucht, Beschreibung der auftretenden Probleme, Gründe für eine besondere Behandlung dieser Gebiete

    5.1

    Im Norden ist die Weidezeit für das Vieh kürzer (von Mitte Mai bis Ende September), daher muss für den Winter mehr Viehfutter eingelagert werden, was die Erzeugerkosten in die Höhe treibt. Für die Aufbewahrung des Winterfutters müssen darüber hinaus besondere Lager gebaut werden. Oftmals kann aufgrund der Witterungsverhältnisse nicht zum günstigsten Zeitpunkt mit der Grasernte begonnen werden, was sich negativ auf den Nährwert auswirkt. Häufige Niederschläge zur Zeit der Heu- oder Grassilageernte können zu Qualitätseinbußen beim Futter führen.

    5.2

    Die Kosten für Bauten und Anlagen zur Viehhaltung sind höher als in wärmeren Gegenden, da die Fundamente frostfrei gegründet und auch Wasserleitungen und Kanalisationen unterhalb der Frostgrenze verlegt werden müssen (in Estland beispielsweise mindestens 1,2 Meter tief).

    5.3

    Zusätzliche Kosten verursacht auch die Räumung von Schnee und Eis auf den Höfen und Wirtschaftswegen. Wegen der Frostschäden ist alle fünf bis zehn Jahre eine Erneuerung des Straßenbelags erforderlich. Aufgrund der niedrigen Bevölkerungsdichte gibt es in den nördlichen Ländern viele Feld- und Schotterwege. Für ihre Instandhaltung und Ausbesserung sind zusätzliche Finanzmittel erforderlich, vor allem zur Behebung der Schäden im Frühjahr und zur Vermeidung von Staubbildung im Sommer.

    5.4

    Die Kosten pro Kilogramm erzeugter Milch sind in dünn besiedelten Gebieten höher als in dicht besiedelten Gegenden mit intensiver Landwirtschaft, denn zum Abholen der Milch müssen weite Wege zurückgelegt werden. Auf vielen Meeres- und Binneninseln beispielsweise wurde die Milcherzeugung eingestellt, da sie wegen der Transportkosten unrentabel ist. Kostspieliger ist auch die Belieferung der Agrarbetriebe mit anderen für die landwirtschaftliche Erzeugung notwendigen Betriebsmitteln.

    6.   Der Erhalt der Landwirtschaft und des Landlebens in den nördlichen Regionen ist für die gesamte Europäische Union von Bedeutung

    Die Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Erzeugung und die Verhinderung der Entvölkerung der ländlichen Gebiete in den nördlichen Regionen sind von gesamteuropäischer Bedeutung, denn auf diese Weise wird dazu beigetragen,

    die Versorgung der Bevölkerung dieser Gebiete mit einheimischen Nahrungsmitteln zu sichern und die Ernährungssicherheit der EU im Falle einer globalen Erwärmung zu gewährleisten;

    Arbeitsplätze zu bewahren und die Entvölkerung der ländlichen Gebiete zu verhindern;

    die biologische Vielfalt zu bewahren und in vielen Fällen sogar noch zu erhöhen;

    die Landschaft offen zu halten und ihre Attraktivität für die Tourismus- und Freizeitindustrie zu bewahren;

    die Sicherheit der EU-Grenzgebiete zu gewährleisten.

    Brüssel, den 30. September 2009

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Mario SEPI


    (1)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 86; ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 56 und ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 47.


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