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Document 52008IE1521

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Auswirkungen der aktuellen Entwicklung auf den Energiemärkten auf die industriellen Wertschöpfungsketten in Europa

    ABl. C 77 vom 31.3.2009, p. 88–95 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    31.3.2009   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 77/88


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen der aktuellen Entwicklung auf den Energiemärkten auf die industriellen Wertschöpfungsketten in Europa“

    (2009/C 77/22)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    „Die Auswirkungen der aktuellen Entwicklung auf den Energiemärkten auf die industriellen Wertschöpfungsketten in Europa“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 24. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL, Ko-Berichterstatter Herr KERKHOFF.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 447. Plenartagung am 17./18. September 2008 (Sitzung vom 17. September) mit 62 gegen 5 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der Ausschuss nimmt die veränderten Rahmenbedingungen der Energiemärkte zur Kenntnis und erkennt an, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel durch eine Senkung der Treibhausgasemissionen eingedämmt werden muss. Die Kosten des Klimawandels und kostenwirksame Ansätze zur Senkung des Klimagasausstoßes sind wichtige Aspekte in der Diskussion über eine Klimapolitik, umso mehr als die globale Energieversorgung bis 2050 verdoppelt werden muss, um den Energiebedarf aller Menschen auf der Erde zu decken. Eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik muss so aufgebaut sein, dass einerseits die Erreichung der Zielvorgaben und andererseits die Wahrung der industriellen Wertschöpfungsketten als dem eigentlichen Rückgrat der europäischen Wirtschaft auch unter Berücksichtigung der mit dem Klimawandel verbundenen Schadenskosten gewährleistet ist. Dies liegt in erster Linie im Eigeninteresse der EU.

    1.2

    Da für die Erzeugung von Grundstoffen durch die Verarbeitung von Rohstoffen zwangsläufig große Mengen von Energie notwendig sind, wirken sich veränderte Energiepreise und Energiesteuern und ähnliche finanzielle Maßnahmen stark auf die Grundstoffindustrie aus. Beim energetischen „Fußabdruck“ der Grundstoffe muss jedoch die gesamte industrielle Wertschöpfungskette einbezogen werden, eine isolierte Betrachtung ist nicht sinnvoll.

    1.3

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass sich in der europäischen Wirtschaft Wachstum und Innovation nur auf der Grundlage einer überlebensfähigen Industrie erreichen lassen. Eine wettbewerbsfähige und innovative Grundstoffindustrie ist eine grundlegende Voraussetzung für die industriellen Wertschöpfungsketten. Die Förderung der Umwelttechnik und der erneuerbaren Energien ist ein wichtiges Ziel. Aber auch für Entwicklungen im Bereich der Umwelttechnik bedarf es höchst leistungsfähiger industrieller Wertschöpfungsketten. Sie hängen nämlich weitgehend vom Vorhandensein einer Grundstoffindustrie und von deren Knowhow ab. Innovationen im Umweltschutzbereich lassen sich nur aufgrund einer Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gliedern der Wertschöpfungskette erzielen. Nur ein allumfassender, die gesamte Wertschöpfungskette umspannender Ansatz ist Garant für den Erfolg.

    1.4

    Der Ausschuss verweist darauf, dass 40 % des Endenergieverbrauchs in der Europäischen Union auf Gebäude entfallen und diese der größte Einzelenergieverbraucher sind. Bis zu 50 % der Energieeffizienzgewinne können im Gebäudebereich erzielt werden, und zwar unter Verringerung der wirtschaftlichen Kosten. Schon mit derartigen Einsparungen allein könnte die EU ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll einhalten. Außerdem können diese Energieeinsparungen mit der heute bereits vorhandenen Technologie erreicht werden. Die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden hat überdies ausschließlich positive Auswirkungen wie die Schaffung nutzbringender Arbeitsplätze, niedrigere Betriebskosten, ein verbesserter Komfort und eine sauberere Umwelt. Dies sollte eine absolute Priorität für die Europäische Union sein. Der Ausschuss betont ferner, wie wichtig neue und weiterentwickelte Grundstoffe für Haushalts- und Bürogeräte und andere Sektoren wie den Verkehrs- oder Energiesektor sind.

    1.5

    Sollten womöglich die energieintensiven Industriezweige an Standorte außerhalb der EU verlagert werden, so hätte dies zur Folge, dass der Industriestandort Europa erheblich an Attraktivität einbüßt, das Wirtschaftswachstum gebremst wird, Arbeitsplätze verloren gehen und das europäische Sozialmodell in Bedrängnis gerät. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten innerhalb der industriellen Wertschöpfungsketten können diese Verluste nicht kurzfristig durch andere Sektoren, beispielsweise die Umwelttechnik, kompensiert werden. Vielmehr würden diese Sektoren auch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

    1.6

    Auch die energieintensiven Industriezweige müssen natürlich einen Beitrag zur Erreichung der politischen Ziele in den Bereichen Energie und Bekämpfung des Klimawandels leisten. Die an sie gestellten Anforderungen müssen aber so gestaltet werden, dass Wettbewerbsnachteile auf den internationalen Märkten weitgehend ausgeschlossen werden können. Die Grundstoffindustrie wird naturgemäß besonders stark von der Entwicklung der Energiepreise beeinflusst. Aus diesem Grund muss bei der Planung energie- und umweltschutzpolitischer Maßnahmen eingehend geprüft werden, inwiefern sie sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Grundstoffindustrie auswirken, und sie müssen entsprechend konzipiert werden.

    1.7

    Die energieintensiven Industriezweige brauchen eine verlässliche Energieversorgung im Rahmen eines geeigneten europäischen Energiemixes, der keinen Energieträger ausschließt (Kohle, erneuerbare Energieträger, Kernenergie) und sich auf einen effizienten Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten stützt — letztendlich der Garant für vernünftige Energiepreise. Die nationalen energiepolitischen Interessen sollten stärker auf ein integriertes europäisches Konzept ausgerichtet werden, denn der Energiemarkt bleibt hinter dem Binnenmarkt für Industrieerzeugnisse zurück. Ungeachtet der Entscheidung einiger Mitgliedstaaten, auf die Kernenergienutzung zu verzichten, impliziert die Beibehaltung der Energieerzeugung aus Kernenergie in Europa, dass das entsprechende technologische Fachwissen in Europa aufrechterhalten werden muss. Eine weitere Nutzung der Kernenergie würde ein hohes Sicherheitsniveau und gut ausgebildete Fachkräfte erfordern (1).

    1.8

    Der Abschluss eines ehrgeizigen internationalen Klimaschutzabkommens ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Bekämpfung des Klimawandels. Es muss Emissionsreduktionsverpflichtungen für alle großen Verursacher von Treibhausgasen beinhalten (entsprechend dem Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten), und zwar auch für die energieintensiven Industrien, um einen fairen Wettbewerb und gleiche Ausgangsbedingungen für alle zu gewährleisten. Solange es ein solches Abkommen noch nicht gibt, sollte im Rahmen des EU-EHS die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten für die energieintensiven Industriezweige bei denen die Gefahr einer Kohlenstoffverlagerung (carbon leakage) besteht, in Betracht gezogen werden, um Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit industrieller Standorte und das Wirtschaftswachstum in Europa entgegenzuwirken. Letztendlich sollte ein leistungsorientiertes Zuteilungsverfahren (z.B. Benchmarking) auf der Grundlage der besten verfügbaren Technik gewählt werden.

    1.9

    Um die Voraussetzungen für einen langfristigen Beitrag zu den Energie- und Klimazielen zu schaffen, empfiehlt der EWSA nachdrücklich, sich auf die Erforschung und Entwicklung neuer Techniken zu konzentrieren, vor allem weil die verfügbaren Herstellungsverfahren weitgehend ausgereift sind. In den Bereichen, in denen es bislang noch keine technischen Lösungen gibt, können die strengeren Energieeffizienz- und Emissionsreduktionsauflagen nicht erfüllt werden. Es gibt bereits funktionierende Strukturen wie bspw. Technologieplattformen, doch müssen die Anstrengungen wesentlich stärker koordiniert werden, wie z.B. auch im SET-Plan (2) gefordert. Um die geplanten technischen Fortschritte und die im Hinblick auf die globale Wettbewerbsfähigkeit erforderliche Absatzfähigkeit zu erzielen, muss jedoch ausreichend Zeit eingeräumt werden.

    1.10

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sollte in Anbetracht seiner besonderen Beziehungen zu wirtschaftlichen Interessenträgern die Probleme der industriellen Wertschöpfungsketten darlegen, denen seitens der politischen Institutionen nicht immer gebührend Rechnung getragen wird.

    2.   Auswirkungen des Produktionsfaktors Energie auf die industriellen Wertschöpfungsketten in Europa

    2.1

    Die Erzeugung von Grundstoffen wie Stahl, Aluminium und anderen Nichteisenmetallen, Chemikalien, Zement, ungelöschtem Kalk, Glas, Zellstoff und Papier bildet die unabdingbare Basis für industrielle Wertschöpfungsketten. Für die Herstellung von Industrieerzeugnissen sind Bau- und Verarbeitungsgrundstoffe mit genau definierten mechanischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften erforderlich, die in dieser Form nicht in der Natur vorkommen. Es ist unbestritten, dass die Qualität von Industrieerzeugnissen von den zur Herstellung verwendeten Materialien abhängt, die jeweils für einen bestimmten Verwendungszweck gedacht sind, auf den sie hinsichtlich Material- und Energieverbrauch, Qualität, Belastbarkeit, wirtschaftliche Effizienz, Langlebigkeit, Auswirkungen auf die Umwelt usw. optimal zugeschnitten werden. Die ständige Weiterentwicklung solcher Materialien ist daher ein wichtiger Faktor für das Maß an technischer Innovation bei allen denkbar möglichen Produkten. Eine Wertschöpfungskette besteht aus einer Reihe von Unternehmen oder Akteuren, die zusammenarbeiten, um die Marktnachfrage nach bestimmten Produkten oder Dienstleistungen zu erfüllen. Die Fertigungsverfahren in den nachgeordneten Bereichen der industriellen Wertschöpfungsketten sind vergleichsweise weniger energieintensiv; deshalb ist eine getrennte Betrachtung des Enderzeugnisses nicht sinnvoll. Bei der Bewertung des energetischen Fußabdrucks muss die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. Ein Anstieg der Energiekosten wirkt sich nicht nur auf der Ebene der Grundstofferzeugung aus, sondern die Grundstoffkostensteigerung kann, sofern der Markt dies zulässt, auch zu Preissteigerungen bei den nachgeordneten industriellen Zwischen- und Enderzeugnissen führen.

    2.2

    Das Vorhandensein einer wettbewerbsfähigen und innovativen Grundstoffindustrie spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung über die Ansiedlung nachgelagerter Produktionsstandorte innerhalb industrieller Wertschöpfungsketten wie der Kfz-Herstellung, dem Maschinenbau und der Bauindustrie. Sie ist Garant für die gemeinsame Entwicklung maßgeschneiderter Materialien, die auf die individuellen Bedürfnisse der Abnehmer abgestimmt sind. Auch der Wunsch nach Just-in-time-Lieferung macht einen Produktionsstandort in der Nähe der Abnehmer erforderlich. Industrielle Wertschöpfungsketten verlieren an Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit, wenn eine entsprechende Versorgungsbasis fehlt. Dies gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, von denen es in der stahlverarbeitenden Industrie viele gibt.

    2.3

    Im Allgemeinen und insbesondere im Vergleich zu den nachgelagerten Produktionsschritten sind für die Erzeugung von Grundstoffen große Energiemengen notwendig. Der Energiebedarf energieintensiver Branchen liegt je Wertschöpfungseinheit mindestens zehn (und bis zu 50) Mal höher als jener nachgelagerter Wirtschaftszweige, wie z.B. des Maschinenbaus. In Deutschland besipielsweise liegt der Primärenergieverbrauch pro Wertschöpfungseinheit von Zement bei 4,5 kg SKE, von Stahl bei 2,83 kg SKE und von Papier bei 2,02 kg SKE, im Maschinenbau jedoch nur bei 0,05 kg SKE (3). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Grundstoffe durch physikalische bzw. chemische Verarbeitung aus natürlichen Rohstoffen gewonnen werden müssen. Dies erfordert hohe Temperaturen für das Brennen, Schmelzen und Reduktionsprozesse sowie Strom für die Elektrolyse. Auch bei der Erzeugung von Halbfertigprodukten ist der Energieverbrauch hoch. Oftmals werden die primären Energiequellen nicht zur Wärme- und Stromerzeugung genutzt, sondern als Rohstoffe oder Reduktionsmittel, etwa im Rahmen der Reduktionsprozesse bei der Stahlerzeugung. Zu beachten ist auch, dass die Rohstoffqualität allmählich nachlässt und ihre Verarbeitung daher energieaufwendiger wird.

    2.4

    Der Gesamtenergiebedarf eines Industrieerzeugnisses muss sowohl mit den möglichen Energieeinsparungen aufgrund von das Produkt betreffenden Innovationen als auch mit dessen Einsatz in anderen Branchen in Relation gesetzt werden. Ein solcher Vergleich ist nur durch die Zusammenarbeit zwischen den Grundstoffherstellern und der nachgelagerten Industrieproduktion möglich, für die Materialneuentwicklungen eine erhebliche Rolle spielen. Energieeffizientere Kraftwerke mit einem geringeren Verbrauch an primären Energieträgern brauchen hitzeresistenten Hochleistungsstahl. Außerdem lässt sich z.B. der Kraftstoffverbrauch im Verkehrsbereich durch den Einsatz von Leicht-Werkstoffen im Fahrzeugbau verringern.

    3.   Situation auf den einzelnen Energiemärkten (Kohle, Erdöl, Gas, Strom) und Auswirkungen auf energieintensive Industriezweige (4)

    3.1

    Die Grundstoffindustrie — Zement, Eisen und Stahl, NE-Metalle, Chemieerzeugnisse, Glass, Zellstoff und Papier — verwendet fossile Brennstoffe als Energieträger sowie als Rohstoffe und ist auf vielerlei Art von den Kostenschwankungen für die einzelnen Energieträger betroffen. Rohöl etwa gelangt in der Chemieindustrie als Rohstoff für die Herstellung von Kunststoffen und anderen petrochemischen Produkten zum Einsatz. Darüber hinaus wirkt sich die Entwicklung auf den Ölmärkten auch auf die Einkaufspreise für Gas und Strom aus, da der Gaspreis nach wie vor an den Ölpreis gekoppelt ist. Auch die Entwicklung auf dem Kohlemarkt beeinflusst die Stromkosten, die energieintensive Branchen zu tragen haben. Gleichzeitig werden Kohle und Koks in der Stahlindustrie als Reduktionsmittel eingesetzt.

    3.2

    Die Ölreserven, d.h. die Vorkommen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf rentable Weise und mit den verfügbaren technischen Mitteln abgebaut werden können, werden voraussichtlich für weitere 40 Jahre reichen. Sie könnten sich erheblich vergrößern, wenn künftig weitere Vorkommen auf wirtschaftliche Weise erschlossen würden, insbesondere nichtkonventionelle Erdölvorkommen wie Ölsand. Die Entwicklung der Ölpreise steht im Zusammenhang mit den Verbrauchssteigerungen, insbesondere in China und Indien. Dieser Effekt wird durch die zunehmende Vormachtstellung der OPEC-Staaten auf dem Ölmarkt weiter verstärkt, so dass eine Diversifizierung der Versorgungsquellen aufgrund der ungleichen Verteilung der Reserven immer schwieriger wird. Die regionale Konzentration der Ölproduktion auf Länder, die von einer erheblichen politischen und wirtschaftlichen Instabilität gekennzeichnet sind, wird aufgrund der kaum kalkulierbaren Möglichkeit künftiger Lieferbeschränkungen zu noch mehr Unsicherheit führen, was sich entsprechend auf die Preise auswirken wird.

    3.3

    Die Erdgasreserven werden voraussichtlich weitere 60 Jahre und somit länger als die Ölreserven reichen. Erdgas ist in Europa der primäre Energieträger mit der rasantesten Verbrauchssteigerung. Noch schneller als der Verbrauch steigt die Abhängigkeit der EU von Erdgasimporten. Die Öl- und Gasreserven einiger europäischer Staaten, wie der Niederlande, Norwegens und des Vereinigten Königreichs, schwinden zunehmend, während die Gasimporte — weitgehend von einem einzigen Lieferanten, Russland — stetig steigen. Langfristig ist mit steigenden Gaspreisen zu rechnen, und darüber hinaus könnte Russland wegen der Beschränkung auf diese eine Lieferquelle politischen Druck auf die EU ausüben. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung ist aufgrund der von Natur aus beschränkten strategischen Gasreserven in der EU nicht zu vernachlässigen.

    3.4

    Die Kohlevorkommen, deren Abbau rentabel wäre, sind deutlich größer als die Öl- und Gasreserven. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Kohlevorkommen für die kommenden 150 Jahre reichen. Außerdem sind diese Vorkommen auf breitere Gebiete auf den einzelnen Kontinenten verteilt und befinden sich auch in politisch stabilen Ländern wie den USA oder Australien. Wie bei anderen Energieträgern hat auch der Kohlepreis in den letzten Jahren aufgrund der gesteigerten Nachfrage merklich angezogen.

    3.5

    Strom ist ein sekundärer Energieträger, der hauptsächlich aus Kohle und Gas sowie nuklearen und erneuerbaren primären Energieträgern erzeugt wird, wobei die Stromerzeugung in manchen Mitgliedstaaten nach wie vor zu einem nicht unerheblichen Anteil aus Erdöl erfolgt. Der Stromerzeugungspreis wird weitgehend von der Zusammensetzung des Energiemixes für die Stromerzeugung bestimmt. Strom aus Kohle und nuklearen Energieträgern ist eine kostenwirksame Variante zur Sicherstellung der Grundversorgung, während die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern in der EU noch weiter ausgebaut werden muss. Im Vergleich zu anderen primären Energieträgern waren die Kosten für erneuerbare Energieträger bislang relativ hoch, auch weil im Preis der konventionellen Energien externe Effekte zu einem Großteil nicht reflektiert sind. Im Fall von Wind- und Solarenergie kommt noch eine geringe und schwankende Verfügbarkeit mit den entsprechenden Schwierigkeiten für die Netze hinzu, die im Hinblick auf die künftig zunehmende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern angepasst werden muss. Einige erneuerbare Energieträger sind — je nach Region — weniger kostspielig als andere. So kann die Solarenergie in sonnigen Regionen wie Südeuropa wirtschaftlich interessant sein, während sie in Nordeuropa unrentabel ist.

    4.   Verändertes Umfeld für Energiemärkte

    4.1

    Die Energiemärkte sind in ein Umfeld eingebettet, das sich in Abhängigkeit von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Einflüssen mit komplexen Wechselwirkungen laufend verändert. Die Wirtschaft sieht sich einer Veränderung der Konditionen und der Kosten für die Energieversorgung gegenüber, was zu extremer Unsicherheit führt. Die zunehmende Importabhängigkeit Europas im Energiebereich und die voraussichtlich weiter steigenden Energiepreise verstärken die Sorge hinsichtlich der Befriedigung der künftigen Energienachfrage. Es ist weithin anerkannt, dass eine sichere und zuverlässige Energieversorgung zu tragbaren, stabilen Preisen eine wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist und ein fester Bestandteil einer soliden, konsequenten Energiepolitik sein sollte.

    4.2

    Angesichts des jüngst in Europa und weltweit zu verzeichnenden raschen Wandels der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen muss der Energiesektor neue Konzepte und Maßnahmen konzipieren, um besser eine sichere Energieversorgung gewährleisten zu können. Während in der Vergangenheit die Energieversorgungssicherheit üblicherweise in erster Linie als eine Verantwortung der Mitgliedstaatregierungen angesehen wurde, kommt bei der jetzigen Lage auf dem europäischen Energiemarkt den Marktkräften eine ergänzende Rolle zu. In einem liberalisierten Markt haben Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit ihren Preis. Mit Blick auf die langfristige Versorgungssicherheit kommt der gemeinsamen europäischen Energiepolitik eine zentrale strategische Bedeutung zu (5).

    4.3

    Fossile Energieträger sind nicht erneuerbar. Ein Großteil der Öl- und Gasreserven der EU ist bereits vollkommen ausgeschöpft. In diesem Zusammenhang sollte stets auch der steigende Energieverbrauch in Schwellenländern wie China und Indien berücksichtigt werden. Insbesondere für Erdöl gilt, dass es eine Reihe zusätzlicher, nichtkonventioneller Ressourcen (z. B. Ölsande) gibt, deren Förderung aber nach wie vor kompliziert und teuer und mit einem enormen Klimagasausstoß verbunden ist. Somit werden aufgrund des Schwindens der Reserven aller Voraussicht nach die Förderkosten steigen, was schlussendlich zu höheren Preisen führen wird.

    4.4

    Derzeit stammen in der Europäischen Union etwa 50 % des Gesamtverbrauchs an primären Energieträgern aus dem Import, wobei davon auszugehen ist, dass dieser Anteil in der nahen Zukunft (2030) auf 70 % steigen wird. Die EU ist also insbesondere bei Öl- und Gas von Importen aus einigen wenigen Ländern abhängig (etwa den OPEC-Staaten oder Russland), die den Markt dominieren. Da diese Länder in vielen Fällen politisch wie auch wirtschaftlich äußerst instabil sind, ist keine Versorgungssicherheit gewährleistet. Die jüngsten Ölpreissteigerungen haben die wirtschaftliche Anfälligkeit der EU gezeigt. Daher ist die Erschließung neuer und die nachhaltige Entwicklung bestehender EU-eigener Ressourcen eine wichtige Aufgabe. Die Abhängigkeit von Importen von Energieträgern hat für die Sicherheit erhebliche Konsequenzen. Dies gilt für alle Energieformen außer Kohle, da Kohle aus einer größeren Anzahl von Staaten importiert wird, die außerdem als stabil angesehen werden. Darüber hinaus besitzt Europa eigene Kohlevorkommen, die sich auf rentable Weise abbauen lassen: der Braunkohleabbau in der EU ist relativ kostengünstig.

    4.5

    Die Strom- und Gasmärkte, bislang natürliche Monopolmärkte innerhalb einzelstaatlicher Grenzen, werden liberalisiert und integriert. Während die Netze reguliert werden, sollten durch den Wettbewerb in den Bereichen Erzeugung und Firmenkunden sinkende Preise und Effizienzsteigerungen erzielt werden. Diese Strategie hat zu einer gewissen Angleichung der Preise zwischen Nachbarstaaten geführt. Doch die Segmentierung in nationale Märkte und die historischen Engpässe in den Übertragungsnetzen haben zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten geführt.

    4.6

    In den letzten Jahren sind außerdem die Gas- und anderen Primärenergiepreise — die den Löwenanteil der Stromerzeugungskosten ausmachen (s. Ziffer 3.5) — enorm gestiegen. Und schließlich gibt es auch keine Stromerzeugungs-Überkapazitäten mehr, und die Stromwirtschaft muss umfangreiche Investitionen tätigen. All diese Faktoren haben Preissteigerungen bewirkt, ungeachtet laufender Verbesserungen (wie z.B. der neue westeuropäische Stromverbund zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten).Auch außerhalb der Europäischen Union ist eine Konzentration bei der Energieerzeugung und -versorgung festzustellen, ohne dass jedoch ein Zusammenhang mit den Gas- und Strompreisen bestünde.

    4.7

    Die in der EU getroffene politische Entscheidung zur Eindämmung des vom Menschen verursachten Klimawandels durch eine weitreichende Senkung der Treibhausgasemissionen spielt bereits heute eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Energiemärkte, die in Zukunft noch bedeutender werden wird. Die Energieeffizienz steht folglich im Zentrum der Aufmerksamkeit und muss drastisch verbessert werden, um die Kohlendioxidintensität des Energieverbrauchs sicher zu senken. Im Hinblick darauf sinkt die Akzeptanz für stark kohlenstoffhaltige fossile Brennstoffe, während kohlenstoffarme Energieträger (z.B. Gas) bzw. Technologien, die quasi keine CO2-Emissionen verursachen (wie die erneuerbaren Energieträger und, in gewisser Hinsicht, die Atomenergie) — wenn auch nicht in allen Mitgliedstaaten — an Bedeutung gewinnen.

    4.8

    Die Sicherstellung einer ausreichenden Energieversorgung ist im Hinblick auf die Nutzung geeigneter und verfügbarer Technologien zu einer entscheidenden Aufgabenstellung für die EU geworden, die zunehmend zu einem Wettlauf gegen die Zeit wird. In der Vergangenheit haben sich einige Mitgliedstaaten unter Inkaufnahme aller damit einhergehenden Einschränkungen des für die Stromerzeugung zur Verfügung stehenden Energiemixes zu einem Atomausstieg entschlossen. Zusätzlich ist die Errichtung von Kohlekraftwerken und der erforderlichen Stromverteilungsinfrastruktur bei der Bevölkerung auf gewissen Widerstand gestoßen. Dies könnte zunehmend dazu führen, dass Vorhaben für den Bau von Kohlekraftwerken wieder gestoppt werden, wie beispielsweise in Ensdorf, Deutschland, infolge von Bürgerinitiativen geschehen. Selbst gegen bestimmte erneuerbare Energieträger wie Windkraftanlagen regt sich verstärkt Widerstand. Die öffentliche Akzeptanz verschiedener Energieformen, nicht nur der Kernenergie, ist ein zunehmend kritischer Aspekt, dem äußerst sorgfältig Rechnung getragen werden muss, wenn der Umfang der Stromerzeugung den Bedarf der Bürger und Wirtschaft decken soll.

    4.9

    Dies hat dazu geführt, dass die Energieerzeugungskapazität der EU stagniert, nur einige wenige neue Projekte in Angriff genommen wurden und es nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die EU in Zukunft mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird. Die zurzeit anstehende Modernisierung des europäischen Kraftwerkparks ist Herausforderung und Chance zugleich. Es ist jetzt unerlässlich, umgehend potenziellen Investoren das Signal zu geben, dass nur Investitionen in low-carbon-Technologien wirtschaftlich sinnvoll sein werden.

    5.   Anpassungsstrategien der Industrie

    5.1

    Die energieintensive Grundstoffindustrie ist in vielerlei Hinsicht Anpassungsdruck ausgesetzt, und zwar im Hinblick auf die Globalisierung der Märkte und die sich verändernde Lage auf den Energiemärkten. Einerseits müssen die Unternehmen dem internationalen Wettbewerb standhalten, indem sie innovative Produkte und Verfahren entwickeln. Andererseits sind sie gezwungen, mit den steigenden Energiekosten zurechtzukommen und die politischen Beschlüsse über eine entsprechende Senkung des Kohlendioxidausstoßes und des Energieverbrauchs umzusetzen.

    5.2

    Aufgrund der Globalisierung nimmt die weltweite Verflechtung der Wirtschaft zu. Unternehmen aus Entwicklungsländern haben in technologischer Hinsicht aufgeholt und können heutzutage arbeitsintensive Erzeugnisse kostengünstiger herstellen. Produzenten von Grundstoffen haben auf diese Entwicklung reagiert, indem sie ihre Herstellungsverfahren optimiert und sich auf hochwertige High-Tech-Produkte spezialisiert haben und in enger Zusammenarbeit mit den Abnehmern maßgeschneiderte Produkte fertigen. Es gibt immer mehr Partnerschaften zwischen den Unternehmen, die die Grundstoffe herstellen und jenen, die sie verarbeiten, in deren Rahmen eine breite Palette an Dienstleistungen angeboten wird.

    5.3

    In energieintensiven Industriezweigen machen die Energiekosten einen erheblichen Anteil der Materialproduktionskosten aus. Die Senkung des Energieverbrauchs liegt somit im Eigeninteresse der energieintensiven Branchen. In den letzten Jahrzehnten sind in diesem Bereich enorme Fortschritte erzielt worden. Die energieintensiven Industriezweige liegen hinsichtlich der Energieeffizienz ihrer Produktion an der Weltspitze.

    5.4

    Die jüngsten politischen Forderungen nach einer Senkung des CO2-Ausstoßes und einer Steigerung der Energieeffizienz stellen die energieintensiven Industriezweige vor weitere Herausforderungen. Die derzeitigen Technologien und Herstellungsverfahren stoßen in vielen Fällen diesbezüglich bereits an ihre physikalischen bzw. chemischen Grenzen (6). So wurde etwa in der Stahlindustrie der Verbrauch an Reduktionsmitteln bei der Stahlerzeugungsroute Hochofen-Konverter auf das chemisch/physikalisch mögliche Minimum gedrosselt und kann nur auf Kosten der Nachfrage und des Produktionsvolumens noch weiter gesenkt werden. Für weitere nennenswerte Steigerungen der Energieeffizienz wären grundlegende technische Neuerungen nötig, die aber erst noch konzipiert, erforscht und zur Anwendungsreife gebracht werden müssen. Dazu sind umfangreiche Anstrengungen seitens der Industrie erforderlich. Aus diesem Grund werden im Rahmen der EU-Technologieplattformen bereits langfristige gemeinsame Forschungs- und Demonstrationsprojekte und bspw. Versuche auf dem Gebiet der CCS durchgeführt. Dies gilt auch für andere Industriezweige, bei deren Herstellungsverfahren ebenfalls Emissionen anfallen, wie die Kalk- und die Zementindustrie. Auch im Energieversorgungsbereich ist die Forschung und Entwicklung eine wichtige langfristige Aufgabe, z.B. in Bezug auf CCS oder erneuerbare Energietechnologien.

    5.5

    Die Grundstoffindustrie braucht für die Entwicklung revolutionär neuer Herstellungsverfahren mit geringerem Energieverbrauch Zeit. Technische Neuerungen sind zwar notwendig, ihre Einführung muss aber auf die Investitionszyklen der Unternehmen abgestimmt werden. Das entscheidende Kriterium für die Einführung neuer Verfahren ist letztendlich deren Wirtschaftlichkeit, die wiederum im Zusammenhang mit dem Wettbewerb auf den internationalen Märkten gesehen werden muss. Aus diesem Grund und wegen weiterer Faktoren (verwaltungstechnischer Aufwand, beschränkte finanzielle Ressourcen und damit einhergehende wirtschaftliche Unwägbarkeiten) wird es vermutlich mehrere Jahrzehnte dauern, bis die Grundstoffindustrie nennenswerte Fortschritte im Bereich Energieeinsparungen erzielen kann. Insofern unterscheiden sich die energieintensiven Industriezweige von der Stromerzeugungsbranche, in der Effizienzsteigerungen zwar auch schrittweise und unter Berücksichtigung der Innovationszyklen umgesetzt werden, aber die Mehrkosten für diese Effizienzsteigerungen und andere administrative Kosten (etwa für das EU-Emissionshandelssystem) leichter an die Endverbraucher weitergegeben werden können.

    5.6

    Deutlich gesteigert werden kann die Energieeffizienz von Industrieerzeugnissen durch den Einsatz neuer, in Zusammenarbeit mit anderen Branchen, etwa Fahrzeugherstellern oder Kraftwerkbauern, entwickelter High-Tech-Grundstoffe, die hitzeresistenter bzw. leichter sind. Auch mit geeigneten Prozesssteuerungssystemen lassen sich qualitative Verbesserungen im Bereich der Energieeffizienz erzielen. Auch die Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie werden aus Bau- und Verarbeitungsgrundstoffen hergestellt (Windkraftwerke z.B. aus Stahl und Hochleistungskunststoffen). Trotz des großen Potenzials ist der Bedarf an Materialforschung weiterhin entsprechend hoch, da die meisten Neuentwicklungen noch nicht ausgereift genug für eine kommerzielle Nutzung sind.

    6.   Auswirkungen der Energiepolitik auf die industriellen Wertschöpfungsketten

    6.1

    Die Energiepolitik beeinflusst die Energiemärkte durch eine Kombination verschiedener Instrumente. Hierzu gehört einerseits die langsam voranschreitende Schaffung eines europäischen Regelwerks für einen Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt, was jedoch noch nicht zu der gewünschten Preisstabilisierung geführt hat. Andererseits werden die Energieerzeugung und der Energieverbrauch der Industrie massiv vom EU-Emissionshandelssystem beeinflusst, das als wesentliches Instrument zur Emissionssenkung dienen soll. Der Wert des EU-Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (EHS) wird sich an seinen Auswirkungen auf die europäischen Treibhausgasemissionen und an seiner Bedeutsamkeit und Beispielwirkung dafür messen lassen müssen, globale Maßnahmen anzustoßen bzw. sich zu einem umfassenden, globalen System weiterzuentwickeln. Das Hauptproblem besteht darin, dass das EHS nicht weltweit angewandt wird, sondern auf die EU beschränkt ist, so dass die Gefahr der Verlagerung von Emissionen in Drittländer besteht. Auch deshalb ist von Seiten der EU bei den Klimaverhandlungen darauf zu dringen, dass der Handel mit Treibhausgasen international angewandt wird. Den problematischen Aspekten des vorgeschlagenen überarbeiteten Systems sollte daher umfassend Rechnung getragen werden, um die absehbaren finanziellen Belastungen möglichst gering zu halten.

    6.2

    2005 wurden absolute Obergrenzen für die Kohlendioxidemissionen von Kraftwerken und Produktionsanlagen der energieintensiven Wirtschaftszweige eingeführt. Im Falle dieser energieintensiven Branchen, deren CO2-Ausstoß aufgrund der beschränkten technischen Möglichkeiten direkt von der Produktionsmenge abhängt, führt dies zu einer erheblichen Verteuerung etwaiger Produktionssteigerungen, sollte das zugeteilte Emissionsvolumen überschritten werden. Der für 2013 geplante Start der Versteigerung von Emissionszertifikaten würde erhebliche Mehrkosten bei der Herstellung von Grundstoffen aller Art verursachen, die in den meisten Fällen nicht an die nachgelagerten Verbraucher weitergegeben werden können.

    6.3

    Ziel der EU ist es, die CO2-Emissionen zu senken, die Abhängigkeit von Importen auf einem vertretbaren Niveau zu halten und durch die Ausweitung des Anteils erneuerbarer Energieträger exportorientierte Technologien zu fördern. Eine Anlauffinanzierung wäre in diesem Zusammenhang sinnvoll, doch sollten dauerhafte Subventionen vermieden werden, denn die erneuerbaren Energieträger müssen letztendlich wettbewerbsfähig werden. Die derzeitige Entwicklung der Energiepreise sowie der technische Fortschritt bei den erneuerbaren Energien hat bereits die Wettbewerbsfähigkeit der Erneuerbaren deutlich erhöht. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern wird in der EU derzeit über einzelstaatliche Fördersysteme unterstützt, bei denen Quotenregelungen, der Handel von Emissionszertifikaten und Einspeisetarife für Strom aus erneuerbaren Energieträgern auf unterschiedliche Art miteinander kombiniert werden. Die Mehrkosten für erneuerbare Energieträger werden in der Regel über den Strompreis an den Endverbraucher weitergegeben. Die energieintensiven Industriezweige müssen derzeit noch, wie alle Verbraucher, über die Strompreise zur Finanzierung erneuerbarer Energien beitragen.

    6.4

    Zwar bringen die Märkte für erneuerbare Energieträger einigen Sektoren, wie beispielsweise manchen Bereichen des Maschinenbaus, Vorteile, doch stehen ihnen negative Auswirkungen in der Grundstoffindustrie entgegen. Darüber hinaus würde ihrer Lieferkette und somit ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschadet, wenn die Grundstoffe aufgrund der durch die Förderung der erneuerbaren Energien entstehenden Zusatzkosten verdrängt würden (7). Zumindest das kann durch eine Kostenbegrenzung zugunsten dieser Industriezweige vermieden werden. Die Entwicklung des Markts für erneuerbare Energien erschließt zwar Exportmärkte in geeigneten Regionen für erneuerbare Energietechnologien wie Windkraftanlagen, doch sollte bedacht werden, dass die geförderten Märkte nicht nur den europäischen Unternehmen, sondern auch der europäischen Wirtschaft zugute kommen — so wird beispielsweise ein Großteil der Photovoltaik-Materialien in Europa aus Japan importiert.

    6.5

    In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten ist Atomenergie ein wichtiger Bestandteil des Energiemixes; in einigen anderen wiederum wurde beschlossen, künftig auf diese Form der Stromerzeugung zu verzichten. In diesen Ländern gibt es aber keine kostengünstige und CO2-arme Alternative zur Sicherstellung der Stromgrundversorgung, die ersatzweise mit Hilfe fossiler Brennstoffe bzw. erneuerbarer Energieträger gewährleistet werden muss (8). In der Folge würden die Strompreise, der Kohlendioxidausstoß und die Preise für CO2-Emissionszertifikate steigen, was sich entsprechend auf die energieintensiven Industriezweige auswirken würde.

    6.6

    Viele EU-Mitgliedstaaten führen Steuern ein, mit deren Hilfe der Energieverbrauch bzw. die CO2-Emissionen gesenkt werden sollen. In einem Grünbuch zu wirtschaftlichen Instrumenten für die Klimapolitik erwägt die Europäische Kommission neben einer europaweiten Harmonisierung dieser Instrumente auch, mehr Anreize zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes zu setzen. Energieintensive Industriezweige müssten mit erheblichen Preissteigerungen für Strom und Energieträger rechnen. Wie bereits vorstehend erläutert, könnten diese Kosten aber nur teilweise durch Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz ausgeglichen werden.

    7.   Globales Umfeld

    7.1

    Energie- und Klimapolitik enden nicht mehr an den nationalen bzw. regionalen Grenzen. Die Versorgungssicherheit, die Verknappung von Energieressourcen und vor allem der Klimawandel sind globale Herausforderungen. Letzterer kann nur unter Einbindung aller Weltregionen wirksam bekämpft werden. Gleichzeitig werden die ehrgeizigen Maßnahmen der EU zur Senkung der Emissionen wirkungslos bleiben, solange diese Einsparungen durch die Steigerung der Industrieproduktion in Ländern mit einem starken Wirtschaftswachstum wie China sehr schnell wieder zunichte gemacht werden können.

    7.2

    Die zunehmende Verflechtung zwischen Welthandel und Kapitalflüssen führt global zu einem härteren Wettbewerb zwischen den einzelnen Standorten. Auch die energieintensiven Industriezweige sind vermehrt einem weltweiten Wettbewerb um Kunden und Kapital ausgesetzt. Erstens stehen sie in unmittelbarem Wettbewerb zu anderen Grundstofflieferanten aus Drittstaaten. Zweitens gibt die verarbeitende Industrie, die in hohem Maße von Exporten abhängt, wie z.B. der Fahrzeug- oder der Maschinenbau, den von den Weltmärkten ausgeübten Kostendruck an die Grundstoffindustrie weiter. Die energieintensiven Industriezweige unterscheiden sich hinsichtlich der globalen Wettbewerbssituation von den regionalen Branchen wie der Strombranche.

    7.3

    Durch die Kombination aus globalen energie- und klimapolitischen Herausforderungen und weltweitem Industriewettbewerb ergibt sich eine übermäßige Kostenbelastung für die energieintensiven Industriezweige, die zu Standortverlagerungen führt. Zu Standortverlagerungen kommt es dann, wenn Drittstaaten keine vergleichbare Kostenbelastung für die Industrie einführen. Alle Elemente der Klima- und Energiepolitik der EU sollten sich fest auf eine realistische Einschätzung der (natürlichen, humanen und sozialen) Ressourcen und deren Entwicklung in einem bestimmten zeitlichen Rahmen (bspw. Lissabon-Strategie) stützen, um die Nutzung dieser Ressourcen auf die Sicherung einer nachhaltigen Zukunft für alle abzustimmen. Die strategischen Überlegungen der EU sollten diese Grundsätze widerspiegeln.

    7.4

    Die Verlagerung von Produktionsstandorten würde voraussichtlich zu einem Anstieg der Emissionen in Drittstaaten führen, deren Produktionsverfahren sehr wahrscheinlich weniger energieeffizient als jene an den ursprünglichen Standorten sind. Und durch den Transport der „verlagerten“ Erzeugnisse nach Europa entstehen noch zusätzliche Emissionen. Selbst wenn die Produktionsverlagerung in effiziente Anlagen erfolgen würde, wäre dies nicht nachhaltig, da die Produktion aus Europa verdrängt würde, was dazu führen würde, dass Arbeitsplätze und technisches Fachwissen, auch bei der Umwelttechnik, verloren gehen. Entscheidend für die EU-Politik sollte die weltweite Senkung der Treibhausgasemissionen sein.

    7.5

    Eine Verlagerung der energieintensiven Industriezweige würde den Verlust von Arbeitsplätzen und ein geringeres Wirtschaftswachstum nach sich ziehen. Der Wegfall des Näheverhältnisses zur Grundstoffindustrie würde außerdem die Attraktivität eines Standortes für nachgelagerte Industrieproduktionen schmälern und hätte eine negative Wirkung auf sämtliche Glieder der industriellen Wertschöpfungskette. Die europäische Wirtschaft ist jedoch auf ihren industriellen Kern angewiesen. Eine ausschließlich auf dem Dienstleistungssektor aufgebaute Wirtschaft wäre nicht tragfähig, da zahlreiche Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung in direktem Zusammenhang mit der Industrieproduktion erbracht werden und somit Gefahr laufen, ihre industrielle Grundlage zu verlieren. Darüber hinaus kann die EU nur dann eine Spitzenposition bei Technik und Innovation (sowohl im Umweltbereich als auch in anderen Bereichen) behaupten, wenn sie über eine Grundstoffindustrie verfügt.

    Brüssel, den 17. September 2008

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  World Nuclear Association, „World Nuclear Power Reactors 2007-2008 and Uranium requirements“

    http://www.world-nuclear.org/info/reactors.html

    (2)  SET-Plan, KOM(2007) 723 endg.

    (3)  Statistisches Bundesamt.

    (4)  Z.B. BP Statistical Review of World Energy vom Juni 2007.

    (5)  TEN/312, Stellungnahme zum Thema „Hin zu einer gemeinsamen Energiepolitik“, CESE 236/2008 fin.

    (6)  Vorträge anlässlich der öffentlichen Anhörung zu diesem Thema am 7. Mai 2008. Abrufbar in englischer Sprache unter:

    http://eesc.europa.eu/sections/ccmi/Hearingsandconferences/Thepast/Energy/index_en.asp

    (7)  S.u.a. Pfaffenberger, Nguyen, Gabriel (Dezember 2003): Ermittlung der Arbeitsplätze und Beschäftigungswirkungen im Bereich Eneuerbarer Energien.

    (8)  Wasserkraft beispielsweise kann nur in einer begrenzten Anzahl Länder mit entsprechend günstigen natürlichen Voraussetzungen, wie in Skandinavien, genutzt werden.


    ANHANG 1

    zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Die folgenden Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

    1.   Ziffer 1.9

    Neue Ziffer mit folgendem Wortlaut einfügen:

    Mittel- und langfristig ist es allerdings zwingend, dass die europäische Wirtschaft auf ‚low carbon‘-Produktionsmethoden und Produkte umschwenkt. Wenn wir die zur Vermeidung eines unkontrollierbaren Klimawandels als notwendig erachteten Reduktionen des CO 2 -Ausstoßes von 60-80 % bis 2050 in den industrialisierten Ländern erreichen wollen, ist es kontraproduktiv, CO 2 -intensive Industriezweige zu schützen. Es ist vielmehr notwendig, dass Europa voranschreitet im Umbau seiner Wirtschaft, um sich hier als Speerspitze der technologischen Innovation einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und um Veränderungen in anderen Ländern anzustoßen. Mit einem ‚business as usual‘, begleitet von bescheidenen Effizienzsteigerungen bei energieintensiven Produkten, wird es nicht möglich sein, diese dritte industrielle Revolution durchzuführen.

    Abstimmungsergebnis

    Ja-Stimmen: 23 Nein-Stimmen: 27 Stimmenthaltungen: 12

    2.   Ziffer 6.7

    Neue Ziffer mit folgendem Wortlaut einfügen:

    Mittel- und langfristig ist es allerdings zwingend, dass die europäische Wirtschaft auf ‚low carbon‘-Produktionsmethoden und Produkte umschwenkt. Wenn wir die zur Vermeidung eines unkontrollierbaren Klimawandels als notwendig erachteten Reduktionen des CO 2 -Ausstosses von 60-80 % bis 2050 in den industrialisierten Ländern erreichen wollen, ist es kontraproduktiv, CO 2 -intensive Industriezweige zu schützen. Es ist vielmehr notwendig, dass Europa voranschreitet im Umbau seiner Wirtschaft, um sich hier als Speerspitze der technologischen Innovation einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und um Veränderungen in anderen Ländern anzustoßen. Mit einem 'business as usual', begleitet von bescheidenen Effizienzsteigerungen bei energieintensiven Produkten, wird es nicht möglich sein, diese dritte industrielle Revolution durchzuführen.

    Derselbe Wortlaut wie in Ziffer 1.9 (Schlussfolgerungen und Empfehlungen), hier jedoch in Ziffer 6 (Auswirkungen der Energiepolitik auf die industriellen Wertschöpfungsketten). Da der Änderungsantrag zu Ziffer 1.9 abgelehnt wurde, ist der Änderungsantrag zu Ziffer 6.7 hinfällig.

    3.   Ziffern 7.4 und 7.5

    Die Ziffern 7.4 und 7.5 werden zusammengefasst und wie folgt geändert:

    Die Eine Verlagerung von Produktionsstandorten könnte würde voraussichtlich zu einem Anstieg der Emissionen in Drittstaaten führen, wenn deren Produktionsverfahren sehr wahrscheinlich weniger energieeffizient als jene an den ursprünglichen Standorten sind, was aufgrund der gestiegenen Energiepreise bei Neubauten aber unwahrscheinlich ist. Und durch den Transport der ‚verlagerten‘ Erzeugnisse nach Europa entstehen noch zusätzliche Emissionen. Selbst wenn die Produktionsverlagerung in effiziente Anlagen erfolgen würde, wäre dies nicht nachhaltig, da die Produktion aus Europa verdrängt würde, was dazu führen würde, dass Arbeitsplätze und technisches Fachwissen, auch bei der Umwelttechnik, verloren gehen. Entscheidend bleibt daher das Erreichen eines Klimaabkommens, das eine für die EU-Politik sollte die weltweite Senkung der Treibhausgasemissionen sein bewirkt .

    Eine Verlagerung der energieintensiven Industriezweige würde den Verlust von Arbeitsplätzen und ein geringeres Wirtschaftswachstum nach sich ziehen. Der Wegfall des Näheverhältnisses zur Grundstoffindustrie würde außerdem die Attraktivität eines Standortes für nachgelagerte Industrieproduktionen schmälern und hätte eine negative Wirkung auf sämtliche Glieder der industriellen Wertschöpfungskette. Die europäische Wirtschaft ist jedoch auf ihren industriellen Kern angewiesen. Eine ausschließlich auf dem Dienstleistungssektor aufgebaute Wirtschaft wäre nicht tragfähig, da zahlreiche Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung in direktem Zusammenhang mit der Industrieproduktion erbracht werden und somit Gefahr laufen, ihre industrielle Grundlage zu verlieren. Darüber hinaus kann die EU nur dann eine Spitzenposition bei Technik und Innovation (sowohl im Umweltbereich als auch in anderen Bereichen) behaupten, wenn sie über eine Grundstoffindustrie verfügt.

    Abstimmungsergebnis

    Ja-Stimmen: 21 Nein-Stimmen: 41 Stimmenthaltungen: 3


    ANHANG 2

    zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Die folgenden Textstellen der Stellungnahme der CCMI wurden zugunsten von im Plenum angenommenen Änderungsanträgen abgelehnt, hatten jedoch jeweils mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigt:

    1.   Ziffer 4.9

    Das Gefahrenpotential bestimmter Technologien wird übertrieben, während ihre wirtschaftlichen Vorteile weit unterschätzt werden. So geht die Deutsche Energie-Agentur (DENA) davon aus, dass es Deutschland im Jahr 2020 je nach Entwicklung der Stromnachfrage an gesicherter Kraftwerksleistung im Umfang von 11.700 bis 15.800 MW fehlen wird (1). Daraus ist zu schließen, dass die EU kurz vor einer Unterkapazität im Bereich der Stromerzeugung steht, und eine weitere Untätigkeit würde uns teuer zu stehen kommen. Anderen Studien zufolge könnte die Kluft durch eine Steigerung der Energieeffizienz und den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger überbrückt werden. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, wäre jedoch ein Energiemix aus sämtlichen Energieträgern erforderlich, und die Akteure sollten die Bürger klar und offen über derartige Notwendigkeiten aufklären.

    Abstimmungsergebnis

    Ja-Stimmen: 36 Nein-Stimmen: 20 Stimmenthaltungen: 5

    2.   Ziffer 6.3

    Durch die Festlegung finanzieller Obergrenzen für die energieintensiven Industrien kann dies vermieden und gleichzeitig die Förderung der erneuerbaren Energieträger mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Grundstoffindustrie vereinbart werden. Abgesehen davon gefährdet eine unausgewogene Förderung erneuerbarer Energieträger die Grundstofflieferketten bestimmter Industriezweige, etwa der Holzverarbeitung (2). Dies könnte möglicherweise zum Verschwinden traditioneller Wirtschaftszweige in der EU führen, z.B. der Zellstoff- und Papierindustrie.

    Abstimmungsergebnis

    Ja-Stimmen: 37 Nein-Stimmen: 20 Stimmenthaltungen: 4


    (1)  DENA, Kurzanalyse der Kraftwerks- und Netzplanung in Deutschland, März 2008.

    (2)  Bio-energy and the European Pulp and Paper Industry – An Impact Assessment; McKinsey, Pöyry, for CEPI, August 2007.


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