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Document 52015AE4319

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Europäische Migrationsagenda“ [COM(2015) 240 final]

    ABl. C 71 vom 24.2.2016, p. 46–52 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    24.2.2016   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 71/46


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Europäische Migrationsagenda“

    [COM(2015) 240 final]

    (2016/C 071/08)

    Berichterstatter:

    Stefano MALLIA

    Mitberichterstatter:

    Cristian PÎRVULESCU

    Die Europäische Kommission beschloss am 10. Juni 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

    „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Europäische Migrationsagenda“

    [COM(2015) 240 final].

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 19. November 2015 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 512. Plenartagung am 9./10. Dezember 2015 (Sitzung vom 10. Dezember 2015) mit 161 gegen 10 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der EWSA begrüßt die „europäische Migrationsagenda“ der Kommission, die seiner Ansicht nach ein neues Verständnis der Notwendigkeit symbolisiert, die Migrationsthematik auf europäischer Ebene anzugehen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung dieser Agenda gemeinsam zu unterstützen.

    1.2.

    Die unmittelbare Herausforderung für die EU besteht darin, die derzeit chaotische Situation unter Kontrolle zu bringen und sicherzustellen, dass Menschen, die internationalen Schutz suchen, angemessen behandelt werden. Der EWSA befürwortet die umgehende Einrichtung sogenannter Hotspots zur Unterstützung von Ländern, die mit einem großen Zustrom von Migranten konfrontiert sind, und fordert nachdrücklich, ihnen die erforderlichen Ressourcen und Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

    1.3.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU aufgrund der derzeitigen Situation ein wirklich gemeinsames europäisches Asylsystem schaffen muss, das auf unionsweit harmonisierten Verfahren beruht. Dies impliziert einen einheitlichen Asylstatus und die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen, gemeinsame Verantwortung und Umsiedlungs- und Neuansiedlungsmaßnahmen sowie eine überarbeitete Dublin-Verordnung. Es braucht solidarische und tragfähige Systeme des Lastenausgleichs, vor allem einen permanenten, fairen und verbindlichen Schlüssel zur Verteilung der Schutzsuchenden auf alle Länder der EU. Darüber hinaus bedarf es langfristiger Lösungen für den Fall, dass die Massenzuwanderung anhält oder in Zukunft erneut auftritt.

    1.4.

    Europa ist mit den Phänomenen einer alternden Bevölkerung und eines Fachkräftemangels konfrontiert, denen durch Migration begegnet werden kann. Gleichwohl muss die EU auf eine wirksamere Einwanderungspolitik zurückgreifen können. Die EU sollte eine umfassende Politik für die legale Migration entwickeln, die auf ein für Neuankömmlinge positives Klima abzielt und außerdem transparent, vorhersehbar und gerecht ist. Allerdings ist Einwanderung zugegebenermaßen nicht die einzige Antwort auf Arbeitsmarktengpässe und die demografischen Herausforderungen, und die Mitgliedstaaten ziehen möglicherweise andere, geeignetere Lösungen in Betracht.

    1.5.

    Die Integration von Migranten und Flüchtlingen ist eine gewaltige Herausforderung, die die EU und ihre Mitgliedstaaten angehen müssen, indem sie robuste Integrationssysteme aufbauen. Der EWSA ist der Ansicht, dass der Preis eines Verzichts auf Integration weit höher ist als der mit Integration verbundene Kostenaufwand. Der EWSA, der sich seit Langem im Rahmen des Europäischen Integrations-/Migrationsforums engagiert, vertritt die Auffassung, dass Integration als ein Prozess in beide Richtungen angelegt sein muss, bei dem den Sozialpartnern, den lokalen Gebietskörperschaften und der Zivilgesellschaft gleichermaßen eine wesentliche Rolle zukommt. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und insbesondere die Anerkennung von Qualifikationen sowie die Berufs- und Sprachausbildung sollten Priorität erhalten. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Integration von Frauen.

    1.6.

    Die EU muss ihre Außengrenzen sichern. Angesichts der gegenwärtigen komplexen Sicherheitslage sind vielmehr europäische als nationale Anstrengungen erforderlich, weshalb möglicherweise einige nationale Befugnisse in diesem Bereich geteilt werden müssen.

    1.7.

    Die gesamte Außenpolitik muss gestrafft und darauf ausgerichtet werden, den Herkunftsländern dabei zu helfen, in Bezug auf menschliche Sicherheit, Stabilität und Prosperität ein angemessenes Niveau zu erreichen. Der EWSA ist sich allerdings darüber im Klaren, dass dies ein äußerst schwieriges langfristiges Unterfangen ist.

    1.8.

    Es muss für eine wirksame Zusammenarbeit im Bereich der Rückübernahme gesorgt werden, um eine effektive und rechtzeitige Umsetzung der Rückführungsrichtlinie zu gewährleisten.

    1.9.

    Die Zivilgesellschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Migrationskrise, z. B. indem sie den Migranten die ersten erforderlichen Hilfen bei ihrer Ankunft bietet und die anschließenden Maßnahmen zu ihrer Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt organisiert. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass Regierungen, lokale Gebietskörperschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen zusammenarbeiten, um zwischen den europäischen Nationen einen kulturellen und sozialen Konsens darüber zu erreichen, dass die Investition in die Integration von Migranten in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt wichtig und nutzbringend ist.

    1.10.

    Der EWSA fordert deshalb die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu auf, nationale nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen finanziell und materiell stärker zu unterstützen.

    1.11.

    Die entsprechenden Finanzmittel sind in einer gemeinsamen Kraftanstrengung durch die gesamte Staatengemeinschaft aufzubringen. Dabei ist klarzustellen, dass Ausgaben der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Aufnahme und Integration von Asylwerbern bzw. Flüchtlingen keine dauerhaften bzw. strukturellen Ausgaben sind und daher auch nicht in die Berechnung der strukturellen Budgetdefizite einzurechnen sind. Die Aufbringung notwendiger Mittel darf nicht zulasten bestehender Mittel für soziale Ziele in der EU führen. Das würde die Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung infrage stellen.

    2.   Mitteilung der Kommission und jüngste Entwicklungen

    2.1.

    Die Europäische Kommission veröffentlichte ihre Mitteilung zur europäischen Migrationsagenda am 13. Mai 2015. Diese Mitteilung und die nachfolgenden Umsetzungsvorschläge wurden zwischen Juni und Oktober in verschiedenen Ratskonstellationen erörtert. Der EWSA begrüßt die Kommissionsmitteilung, die seiner Ansicht nach umfassend ist, sich aber auch auf das Wesentliche konzentriert.

    2.2.

    Die Umsetzung der in der Agenda vorgeschlagenen Initiativen ist noch im Gange, und den meisten Mitgliedstaaten wird allmählich klar, dass nur ein gemeinsames Vorgehen gemäß den Grundsätzen der Solidarität und der gemeinsamen Verantwortung zu einer wirksamen Bewältigung der Migrationsproblematik führen kann. Ein wirksames Vorgehen erfordert die Bereitstellung von mehr Mitteln aus dem EU-Haushalt sowie größere Beiträge der Mitgliedstaaten. Dabei ist klarzustellen, dass Ausgaben der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Aufnahme und Integration von Asylwerbern bzw. Flüchtlingen keine dauerhaften bzw. strukturellen Ausgaben sind und daher auch nicht in die Berechnung der strukturellen Budgetdefizite einzurechnen sind,

    2.3.

    Was die Finanzierung betrifft, so hat die EU die Mittelausstattung für die gemeinsamen Frontex-Operationen „Poseidon“ und „Triton“ verdreifacht. Parallel zu dieser Aufstockung werden von mehreren Mitgliedstaaten Geräte (Schiffe und Flugzeuge) bereitgestellt. Die Europäische Kommission hat außerdem 1,8 Mrd. EUR aus dem EU-Haushalt ausgewiesen, um einen Nothilfe-Treuhandfonds für Stabilität zu errichten und die Ursachen der irregulären Migration in Afrika anzugehen, 60 Mio. EUR zur Finanzierung von Mitgliedstaaten an den Außengrenzen mobilisiert, ein mit 50 Mio. EUR ausgestattetes Neuansiedlungsprogramm vorgeschlagen und 30 Mio. EUR für das regionale Entwicklungs- und Schutzprogramm freigemacht.

    2.4.

    Entscheidungsträger der EU haben mehr Mittel für Frontex, Europol und EASO in Aussicht gestellt, um die Außengrenzen der EU zu stärken, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der sogenannten Hotspots zwecks Identifizierung und Registrierung der Migranten und Abnahme ihrer Fingerabdrücke. Wenn die Hotspots effizient funktionieren und ihre Ziele erreichen sollen, müssen sie von der EU entsprechend finanziell unterstützt werden.

    2.5.

    Auf Tagungen des Rates im Juli und September kam eine Einigung zustande über die Umsiedlung von 160 000 Migranten aus Griechenland und Italien und die Neuansiedlung von weiteren 22 000 Menschen, die internationalen Schutz benötigen. Der Erfolg der Umsetzung dieser Entscheidungen, die sich in ihrer Anfangsphase befindet, ist maßgeblich für den Erfolg jeder künftigen EU-Migrationspolitik.

    2.6.

    Am 23. September 2015 nahm die Europäische Kommission 40 Beschlüsse über die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere Mitgliedstaaten wegen Nichtumsetzung der Rechtsvorschriften zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem an. Der EWSA begrüßt diese Entscheidung, ist jedoch sehr darüber besorgt, dass die Kommission auf diesen Mechanismus zurückgreifen musste, um die Mitgliedstaaten von der ordnungsgemäßen Umsetzung des EU-Rechts in diesem so bedeutenden Bereich zu überzeugen.

    2.7.

    Auf internationaler Ebene werden bestimmte Beschlüsse möglicherweise zu einer Verbesserung der allgemeinen Situation führen, u. a.: Aufstockung der EU-Haushaltsmittel für Soforthilfen für Flüchtlinge, Ausbau des Dialogs und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie dem Libanon, Jordanien und der Türkei sowie den Kandidatenländern im Westbalkan, Verstärkung der humanitären Hilfe im Jahr 2016 und Einrichtung des Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika. Die Aufbringung notwendiger Mittel darf nicht zulasten bestehender Mittel für soziale Ziele in der EU führen. Das würde die Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung infrage stellen. Der EWSA begrüßt, dass der Europäische Rat am 23. September 2015 den gemeinsamen Aktionsplan mit der Türkei als Teil einer umfassenden Agenda für eine Zusammenarbeit begrüßt hat, die auf geteilter Verantwortung, gegenseitigen Verpflichtungen und deren Erfüllung beruht.

    3.   Bewältigung der Krise

    3.1.   Sofortmaßnahmen

    3.1.1.

    Das Konzept der intelligenten Grenzen ist begrüßenswert und längst überfällig. Die Hauptherausforderung in Verbindung mit solideren und intelligenteren Grenzen ist sicherzustellen, dass die Menschenrechte der Migranten nicht missachtet werden. Zudem sollte der Grundsatz der Nichtzurückweisung nicht ausgehöhlt werden, selbst wenn sich dies als schwierig erweisen sollte, weil nicht immer ohne Weiteres zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten klar unterschieden werden kann. Im Falle intelligenter Grenzen müssen die Grundrechte und Grundfreiheiten voll und ganz geachtet werden.

    3.1.2.

    Das Schengen-Abkommen ist eine der Säulen der EU und hat mehr als nur eine symbolische Bedeutung für die europäische Integration. Es handelt sich um eines der Rechte, die für die Unionsbürger am leichtesten fassbar sind und ihnen einen realen Eindruck vom grenzenlosen Europa vermitteln. Der EWSA möchte, dass der Betrieb des Schengen-Systems so schnell wie möglich wieder zum Normalzustand zurückkehrt, und fordert nachdrücklich die Mitgliedstaaten dazu auf, alle möglichen Schritte zu ergreifen, um einen dauerhaften Zusammenbruch des Systems zu verhindern.

    3.1.3.

    Bisher hat man sich auf die Umsiedlung von 160 000 Flüchtlingen in der EU geeinigt. Die rasche Umsetzung dieses Übereinkommens würde eine Vielzahl von Erfahrungen ermöglichen, die für die Erarbeitung langfristiger Lösungen für den Fall einer anhaltenden oder künftig erneut auftretenden Massenzuwanderung nützlich wären. Der EWSA hält einen größeren Ehrgeiz für erforderlich. Die weltweite Massenmigration wird noch viele Jahre anhalten.

    3.1.4.

    Es ist im Interesse aller Mitgliedstaaten, dass ein solidarisches und tragfähiges System von Lösungen für den Fall einer weiterhin anhaltenden Massenzuwanderung geschaffen wird. Eine sofortige Maßnahme muss ein permanentes, faires und verbindliches System des Lastenausgleichs sein, mit dem die Schutzsuchenden auf die Länder der EU verteilt werden. Dies muss durch einen dauerhaften Verteilungsschlüssel unterstützt werden, der auf einer Reihe von Kriterien beruht, z. B. Größe der Wirtschaft und des Hoheitsgebiets eines Lands, BIP, Beschäftigungsmöglichkeiten und Fachkräftemangel, Existenz von Bevölkerungsgruppen derselben Nation/Ethnie im Aufnahmeland. Ein solcher Verteilungsschlüssel sollte regelmäßig überprüft werden. Die Präferenzen der Asylsuchenden sollten ebenfalls berücksichtigt werden, sofern sie im Zusammenhang mit integrationsfördernden Aspekten stehen (z. B. Sprachkenntnisse oder Familienangehörige im jeweiligen Land). Das führt hoffentlich zu einem Ende der fortwährenden Misstöne auf den Ratstagungen, die das Öffentlichkeitsbild der EU beschädigt haben.

    3.1.5.

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag, das Katastrophenschutzverfahren einzuleiten und Teams zur Unterstützung der Migrationssteuerung (Migration Management Support Teams) und für Soforteinsätze zur Grenzsicherung (Rapid Border Intervention Teams) zu mobilisieren, um den Mitgliedstaaten bei der Bewältigung von Notsituationen zu helfen.

    3.1.6.

    Der EWSA begrüßt auch die Aufstockung der Mittelausstattung von Frontex, EASO und Europol im Jahr 2015 und um weitere 600 Mio. EUR für die drei Agenturen im Jahr 2016 zur Unterstützung der am stärksten betroffenen Staaten. Diese Anstrengungen müssen durch eine effiziente Rückkehrpolitik ergänzt werden. Bisher wurden nur 38 % derjenigen, die als nicht schutzbedürftig erachtet wurden, in ihre Heimatländer zurückgeführt.

    3.1.7.

    Die EU muss ihre Hilfen für Entwicklungsländer zunehmend an die Durchführung interner Reformen knüpfen sowie eine wirksame Zusammenarbeit in Fragen der Migration — insbesondere der legalen Migration (einschließlich vorübergehende Einreise/Visa) — und der Rückkehrpolitik fördern. Es ist jedoch wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung nachkommen, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungshilfe bereitzustellen.

    3.1.8.

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Intensivierung diplomatischer Bemühungen mit dem Ziel, die Herkunfts- und Transitländer stärker an Kooperationsmaßnahmen zur Bewältigung dieses Problems zu beteiligen. Das erste diesbezügliche Eckdatum war der Migrationsgipfel am 11./12. November 2015 in Valletta.

    3.1.9.

    In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die EU ihren Partnern ebenso sehr zuhören wie auf Augenhöhe begegnen und sie als Partner behandeln muss. Es gibt noch immer viele Missverständnisse und Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen der EU und ihren Partnern in Afrika und im Mittleren Osten, was sowohl die Ziele als auch die Mittel und Wege zu ihrer Erreichung betrifft.

    3.1.10.

    Der EWSA begrüßt, dass die EU zugesichert hat, mit internationalen Organisationen wie UNHCR, UNDP, IOMN und dem Internationalem Roten Kreuz auch künftig enger zusammenzuarbeiten. Er stellt jedoch fest, dass viele EU-Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, wie der bedauerliche Mangel an Unterstützung des Welternährungsprogramms zeigt.

    3.1.11.

    Der EWSA begrüßt auch den Kommissionsvorschlag, die humanitäre Hilfe um 300 Mio. EUR im Jahr 2016 zu erhöhen, um die Grundbedürfnisse der Flüchtlinge abzudecken.

    3.1.12.

    Der EWSA unterstützt den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Asylbescheiden. Nach Artikel 78 AEUV sollte die EU eine gemeinsame Politik für internationalen Schutz entwickeln, die einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus umfasst. Wenn es keinen von einer EU-Agentur gewährten unionsweiten Status gibt, bleibt als einzige Alternative die gegenseitige Anerkennung nationaler Bescheide.

    3.1.13.

    Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Absicht der Kommission, Vorschläge zur Überarbeitung der Dublin-Verordnung bis März 2016 vorzulegen. Er unterstützt auch die Zusage der Kommission, gleichzeitig ein neues Paket zur legalen Migration zu präsentieren, einschließlich einer überarbeiteten „Blue Card“-Richtlinie.

    3.1.14.

    Der Schutz der EU-Außengrenzen sollte eine gemeinsame Anstrengung sein, an der sich die Mitgliedstaaten mit materiellen und intellektuellen Ressourcen beteiligen.

    3.1.15.

    Der EWSA befürwortet voll und ganz die sofortige Einrichtung sogenannter Hotspots. Allerdings müssen diese angemessen personell und mit allen Mitteln ausgestattet sein, die für ihr wirksames Funktionieren notwendig sind. In Gebieten wie Italien oder Griechenland, wo täglich Tausende Migranten ankommen, kann nur eine starke Bündelung der finanziellen und materiellen Ressourcen totales Chaos verhindern.

    3.1.16.

    Der EWSA teilt die ernsten Bedenken des UNHCR hinsichtlich des Registrierung- und Auswahlprozesses in den Hotspots, der einsetzt, sobald die Einwanderer an die EU-Grenzen gelangen.

    3.2.   Langfristige Maßnahmen

    3.2.1.

    Die EU kann die Migrationsströme nur dann auf ein zu bewältigendes Maß reduzieren, wenn sie sich auf sinnvolle Weise für die Lösung der zahlreichen Probleme einsetzt, die die Herkunftsländer betreffen. Das langfristige Ziel der Erreichung von Stabilität, Frieden und Wohlstand erfordert nie da gewesene Anstrengungen — nicht nur seitens Europas, sondern auch seitens der gesamten Weltgemeinschaft. Die EU muss sich um die Stärkung der internationalen Anstrengungen bemühen, insbesondere über die UN.

    3.2.2.

    Sie muss ihre institutionelle Präsenz in maßgeblichen Herkunfts- und Transitländern ausweiten, indem sie spezifische Migrationszentren als vorübergehende oder ständige Einrichtungen für die Bearbeitung von Asylanträgen schafft. In Ländern wie Algerien, Marokko, Mali, Libyen, dem Libanon und der Türkei ist eine stärkere Fokussierung und Unterstützung erforderlich.

    3.2.3.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass eines der vornehmlichen Ziele der Agenda darin besteht, eine EU-Migrationspolitik auf den Weg zu bringen, die die legale Migration ermöglicht und gleichzeitig aber auch die wirksame Integration von Migranten anregt. Der EWSA ist gespannt auf die ersten legislativen und politischen Vorschläge in diesen Bereichen und erklärt sich bereit, die Europäische Kommission bei der Ausgestaltung dieser Vorschläge zu unterstützen.

    3.2.4.

    Der EWSA ermutigt die Mitgliedstaaten, die Genfer Konvention von 1951 uneingeschränkt zu achten und aktiv umzusetzen sowie dem Druck zu widerstehen, das Niveau des Schutzes und der Dienste für Flüchtlinge abzusenken.

    3.2.5.

    Der EWSA spricht sich für eine gemeinsame Asylpolitik aus, die auf vereinfachten, gemeinsamen Verfahren beruht. Eine solche Politik muss auch auf einer gemeinsamen Definition des Flüchtlingsstatus und den damit verbundenen Rechten basieren, um zu vermeiden, dass Flüchtlinge herumreisen und nach der „besten Behandlung“ Ausschau halten.

    3.2.6.

    Das System der Herkunftsländerinformation (COI) muss weiter ausgebaut werden. Über Asylanträge von Bürgern mit identischem Herkunftsland, die vermutlich mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sind, wird häufig unterschiedlich befunden. Das bestehende System sollte flexibel und zuverlässig genug sein, um die Entwicklungen in den Herkunftsländern in Echtzeit zu untersuchen und zu verarbeiten. Die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsdiensten der Mitgliedstaaten sollte kontinuierlich verbessert werden, weil diese Dienste wichtige Informationsquellen darstellen.

    3.2.7.

    Einen höheren Stellenwert sollten die Regelung der legalen Einwanderung und der Visapolitik, die Digitalisierung des Prozesses, die Anerkennung von Qualifikationen und der Zugang zur Bildungsmobilität erhalten.

    3.2.8.

    Die EU sollte sich stärker am Rückkehrmanagement und der Förderung von Wiedereingliederungsmaßnahmen beteiligen. Das Rückkehr-Pilotprojekt für Pakistan und Bangladesch ist für die derzeitige Notsituation von begrenzter Bedeutung. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich die Planung und Umsetzung ähnlicher Projekte mit angemessener Finanzausstattung und institutioneller Unterstützung.

    3.2.9.

    Die Stärkung der Grenzkontrollen in den Transitländern, die Ausweitung von Seepatrouillen und die Vernichtung von Schleuserschiffen können hilfreich sein, sind aber nicht die einzige Möglichkeit einer nachhaltigen Bewältigung dieses Problems. Die EU ist auf dem richtigen Weg, wenn sie einen umfassenden Ansatz verfolgt, der eine bessere Verwendung ihrer verschiedenen Instrumente und erheblichen Ressourcen gewährleistet.

    3.3.   Zivilgesellschaft

    3.3.1.

    Die Zivilgesellschaft spielt eine entscheidende Rolle beim Umgang mit der Migrationskrise. Die Akteure der Zivilgesellschaft können einen wesentlichen Beitrag zur notwendigen Erstversorgung von Migranten bei ihrer Ankunft leisten. Der Zivilgesellschaft kommt jedoch eine noch wichtigere Rolle zu, wenn es um langfristige Maßnahmen zur gesellschaftlichen Integration von Migranten geht. Die Zivilgesellschaft kann für die in allen Phasen der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen so wichtigen von direkten zwischenmenschlichen Beziehungen getragenen Antworten sorgen.

    3.3.2.

    Der EWSA lobt die Solidarität, die Teile der Zivilgesellschaft und Privatpersonen bei der freiwilligen Hilfe für Asylsuchende an den Tag gelegt haben. Der Umfang dieser positiven und spontanen Reaktionen reicht jedoch nicht aus, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Der EWSA fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, die Rolle der Zivilgesellschaft anzuerkennen und wertzuschätzen, indem sie die nationalen nichtstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen stärker unterstützen, um ein strukturierteres und effizienteres Vorgehen zu gewährleisten. Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben die besondere Aufgabe, die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf dem jeweiligen Hoheitsgebiet zu ermitteln und sich mit ihnen zusammenzuschließen sowie den Kapazitätenaufbau dieser Organisationen stärker zu unterstützen.

    3.3.3.

    Darüber hinaus empfiehlt der EWSA, dass die Kommission Anstrengungen unternimmt, um den Mitgliedstaaten mehr Ressourcen durch Partnerschaftsabkommen in puncto Strukturfonds bereitzustellen und so mehr ESF- und EFRE-Mittel für die Steuerung von Migrationsströmen und Integrationsmaßnahmen einzusetzen. In erster Linie sollten Nichtregierungsorganisationen und vor Ort tätige Organisationen in den Genuss solcher Mittel kommen. Diese sollten über die Mittel hinausgehen, die gegenwärtig aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds bereitgestellt werden.

    3.3.4.

    Der EWSA macht auf das Europäische Migrationsforum aufmerksam, mit dem das 2009 vom EWSA und der Europäischen Kommission eingerichtete Europäischen Integrationsforum fortgeführt wird. Dieses Forum ist eine Plattform des Dialogs zwischen den europäischen Institutionen und der Zivilgesellschaft über Fragen der Einwanderung, des Asyls und der Integration von Migranten.

    4.   Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt

    4.1.

    Der EWSA hält es für wichtig und äußerst relevant, ein transparentes, berechenbares und gerechtes System der legalen Einwanderung in die EU zu schaffen. Die europäische Bevölkerung altert und wächst nur um 0,2 % pro Jahr, was signifikant unter dem Bestandserhaltungsniveau liegt. Europa wird bis 2050 schätzungsweise 30 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter verlieren; wenn nicht schnell etwas getan wird, werden die Abhängigkeitsquoten in den meisten EU-Mitgliedstaaten rasch zunehmen, die Produktivität abnehmen, Unternehmen schließen und die Kosten der Aufrechterhaltung von Dienstleistungen (besonders für Ältere) deutlich ansteigen.

    4.2.

    Durch kollektives und organisiertes Handeln, das auf Solidarität fußt, kann die EU die gegenwärtige Situation in eine Chance verwandeln und so den aktuellen demografischen Trend und seine sozioökonomischen Folgen umkehren. Die Eingliederung von Migranten in den Arbeitsmarkt führt zu Wirtschaftswachstum und fördert ihre Unabhängigkeit. Hingegen wird durch eine Politik, bei der die Integration vernachlässigt wird, die Last der Unterstützung von Migranten auf öffentliche Dienste verlagert, was zu sozialen Spannungen von erheblicher Tragweite führen könnte.

    4.3.

    Der EWSA stellt fest, dass die Integration in hohem Maße von der Eingliederung in den Arbeitsmarkt abhängt. Allerdings gibt es eine Reihe von Faktoren im Zusammenhang mit den Folgen der Einwanderung für den Arbeitsmarkt, die es zu erklären gilt. Dazu zählen die Auswirkungen von Einwanderern auf das Lohnniveau, die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen, der Druck auf das Fiskalsystem (Gesundheits- und Bildungswesen) und die Effekte des Multikulturalismus.

    4.4.

    Der Ausschuss hat bereits eine Sondierungsstellungnahme erarbeitet (1), die als Grundlage für die Vorbereitung der Ministerkonferenz 2010 in Saragossa diente (2), auf der eine wichtige Erklärung zur Arbeitsmarktintegration von Migranten und zu den Herausforderungen für europäische und nationale Einrichtungen und die Sozialpartner verabschiedet wurde.

    4.5.

    Studien zeigen, dass Migranten unter dem Strich der Wirtschaft mehr geben als nehmen, dass ihre Auswirkungen auf die Fiskalsystem minimal sind und dass sie Europa helfen, sein demografisches Defizit zu beheben und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die Auswirkungen der Migration betreffen aber nicht alle Regionen Europas in gleicher Weise und müssen hinsichtlich ihrer lokalen Folgen sorgfältig untersucht werden. Darüber hinaus gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der ordnungsgemäßen Einreise von Migranten im Rahmen der Umsetzung einer Maßnahme oder dem plötzlichen Zustrom Tausender Migranten, der nur schwer zu bewältigen ist und die lokalen, regionalen und nationalen Strukturen stark belastet, so wie in den letzten Wochen geschehen.

    4.6.

    Die Arbeitsmarktintegration von Migranten hängt von einer Reihe von Faktoren ab, z. B. der Höhe der Arbeitslosigkeit im Aufnahmeland, den Fähigkeiten der Migranten und ihrem Qualifikationsniveau, der Vorbereitung vor der Einreise in Bezug auf Spracherwerb und formelle Ausbildung sowie den Organisationen und Strukturen, die im Aufnahmeland geschaffen werden, um die Eingliederung von Einwanderern (einschließlich Flüchtlingen) in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Genau in diesen Bereich kommt der Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle zu.

    4.7.

    Es gibt jedoch auch andere Faktoren, die einer schnellen Integration entgegenwirken, z. B. die Anerkennung von Qualifikationen, bürokratische Hindernisse, mangelnde Transparenz, falsche Vorstellungen von Migranten in der Öffentlichkeit, Ausbeutung und rechtliche Hürden durch veraltete Gesetze sowie die fehlende oder schleppende Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften.

    4.8.

    Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen maßgeblich dazu beitragen, die Herausforderung der Integration von Einwanderern in den Arbeitsmarkt zu bewältigen. Der EWSA empfiehlt, die Sozialpartner an der Konzipierung, Entwicklung, Umsetzung und Überwachung integrationspolitischer und anderer einschlägiger Maßnahmen auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene umfassend zu beteiligen.

    4.9.

    Die Regierung, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und die Sozialpartner müssen zusammenarbeiten, um einen sozialen Konsens bezüglich der Mittel und Wege zur Integration von Migranten in Wirtschaft und Gesellschaft zu erreichen — vor allem um eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen benachteiligten Gruppen zu vermeiden.

    4.10.

    Die Zivilgesellschaft leistet einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Migranten Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung sowie Beschäftigung erhalten und der Diskriminierung im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft insgesamt entgegengewirkt wird.

    Brüssel, den 10. Dezember 2015.

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Georges DASSIS


    (1)  ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 16.

    (2)  http://www.integrim.eu/wp-content/uploads/2012/12/Report-20101.pdf, https://www.uclm.es/bits/archivos/declaracionzaragoza.pdf.


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