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Document 52010IE1171

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Politik der Mehrsprachigkeit der EU“ (Ergänzende Stellungnahme)

ABl. C 48 vom 15.2.2011, p. 102–106 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 48/102


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Politik der Mehrsprachigkeit der EU“ (Ergänzende Stellungnahme)

2011/C 48/18

Berichterstatterin: An LE NOUAIL MARLIÈRE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2009, gemäß Artikel 29 Buchstabe A der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung eine ergänzende Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die Politik der Mehrsprachigkeit der EU“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 9. Juli 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 465. Plenartagung am 15./16. September 2010 (Sitzung vom 15. September) mit 145 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

In den letzten Jahren hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss zwei Stellungnahmen zum Thema EU-Strategie für Mehrsprachigkeit an die Institutionen der Union gerichtet:

1)

In der ersten Stellungnahme zum Thema „Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“ ging es um die von der Kommission 2005 vorgelegte neue Strategie auf diesem Gebiet (1);

2)

Die zweite Stellungnahme ging auf ein Ersuchen von Kommissionsmitglied ORBAN um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zur Mitteilung der Kommission „Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung (2) zurück.

1.2

Die Politik der Mehrsprachigkeit gehört zu den politischen Prioritäten des EWSA und ist Teil des Programms seiner Präsidentschaft 2008-2010, da sie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie und zur Stärkung der europäischen Integration durch den interkulturellen Dialog (Einheit in Vielfalt) beiträgt.

1.3

Die 2006 definierte Politik der Mehrsprachigkeit befindet sich derzeit in der Phase der Weiterentwicklung und Umsetzung. In dieser ergänzenden Stellungnahme sollen die Entwicklungen auf diesem Gebiet und die von der Kommission - konkret von deren GD Bildung und Kultur - diesbezüglich eingeleiteten Maßnahmen schon jetzt untersucht sowie die entsprechenden Empfehlungen des EWSA ergänzt und aktualisiert werden, was vor allem für die Fragen lebenslanges Lernen, Erwachsenenbildung und Beschäftigung sowie die nachhaltigen wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen gilt.

2.   Mehrsprachigkeit in Europa: Bestandsaufnahme

2.1

Der Rat (Bildung, Jugend und Kultur) vom 21. November 2008 hat Schlussfolgerungen zur Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs in den Außenbeziehungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten und eine Entschließung zu einer europäischen Strategie für Mehrsprachigkeit (3) angenommen.

2.2

Die Kommission und der Rat haben dabei mehrere Vorschläge des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses aufgegriffen:

Förderung der Vielfalt bei der Sprachverwendung und beim Bildungsangebot,

Förderung von Interkulturalität und der Sprachen der Migranten,

Verbreitung der europäischen Sprachen in den kulturellen Beziehungen zu Drittländern,

Förderung des lebenslangen Lernens und der Diversität auf wirtschaftlichem Gebiet und in den Unternehmen,

Unterstützungsmaßnahmen in den Bereichen Übersetzen und Dolmetschen.

2.3

Mittlerweile hat die Kommission zwei Plattformen für die Konsultation eingerichtet, davon eine für die im Bereich Bildung und Kultur tätigen Verbände und regierungsunabhängigen Organisationen und eine weitere für wirtschaftliche Interessenträger, an welcher die Sozialpartner und Hochschulen (4) sowie der EWSA als Beobachter beteiligt sind.

2.4

Die Gewerkschaften haben seit 2006 ebenfalls eine Reihe von Initiativen eingeleitet oder daran teilgenommen: Dazu gehören Konferenzen über die Verwendung der Sprachen am Arbeitsplatz, Gerichtsurteile, die zur Geltendmachung des Rechts auf Verwendung der eigenen Sprache am Arbeitsplatz und gegen Diskriminierungen erwirkt wurden, gemeinsame Initiativen im Bereich der französischen Sprache (Schaffung eines französischsprachigen Internetportals zusammen mit Arbeitnehmern aus der Flugzeugindustrie aus Quebec).

2.5

Die Kommission hat auf ihre öffentlichen Konsultationen mehrere (8) Antworten von örtlich oder branchenspezifisch organisierten Gewerkschaften und Organisationen erhalten, jedoch erst 2009 den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) ordnungsgemäß konsultiert.

2.6

Der EWSA hat an der Europäischen Konferenz zum Thema Mehrsprachigkeit teilgenommen, die im Juni 2009 in Berlin von der Europäischen Beobachtungsstelle für Mehrsprachigkeit veranstaltet wurde. Bei dieser Beobachtungsstelle handelt es sich um ein Netz von Organisationen, dem u.a. Unternehmen und Hochschulen angehören. Der EGB und die Sozialpartner verschiedener Branchen haben ebenfalls an dieser Konferenz teilgenommen.

2.7

Auf einzelstaatlicher Ebene lässt sich der Bericht über die Verwendung der französischen Sprache anführen, den der französische Minister für Kultur und Kommunikation im Rahmen des Gesetzes 94-665 (5) jährlich dem französischen Parlament vorlegt. Dabei wird Bilanz gezogen über die Stellung des Französischen in Frankreich und seine Präsenz in den internationalen Organisationen. Im Jahresbericht 2009 wird ein Überblick über die Situation des Französischen in den EU-Institutionen und den internationalen Organisationen mit Sitz in Afrika gegeben. In dem Dokument geht es auch um die Verwendung des Französischen und um Mehrsprachigkeit in der öffentlichen Verwaltung und am Arbeitsplatz, um Unternehmensstrategien für Sprachverwendung, um die Sprache in Gesellschaft und Wissenschaft sowie um Analphabetismus, die Integration von Zuwanderern und den jeweiligen Bildungsstand der Beschäftigten im öffentlichen und im privaten Sektor.

2.8

Der EGB wird die Finanzierung einer Studie und die Einsetzung einer Arbeitsgruppe („Task Force“) zum Thema „Sprachen und Arbeitsbedingungen“ einleiten, wobei es hier um mehrere Aspekte der Verwendung der Sprache am Arbeitsplatz gehen soll, nämlich darum:

die Unterstützung wissensbasierter Berufsgruppen, von Lehrern und Praktikern der Erwachsenenbildung aber auch von Dolmetschern und Übersetzern sowie Wissenschaftlern für diese spezifischen und gesamtgesellschaftlich wichtigen Forderungen zu erhalten;

die Verwendung der Landessprache am Arbeitsplatz zu vertreten, wobei für die Kriterien der Fremdsprachenkenntnis von Beschäftigten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Diskriminierungsverbot gewahrt werden müssen;

die wirtschaftlichen Vorteile der Staaten zu untersuchen, deren Sprache auf zwischenstaatlicher Ebene am meisten verwendet wird;

die Rechte der Europäischen Betriebsräte und ähnlicher Instanzen zu stärken, da es bislang nur einen Anspruch auf circa 20 Stunden pro Jahr für Sprachunterricht gibt;

die Aspekte der Sicherheit der Arbeitnehmer und Benutzer zu stärken, insbesondere hinsichtlich der ihnen zur Verfügung gestellten Mittel und der Anforderungen der Arbeitgeber an sie im Bereich der Anerkennung von Qualifikationen, Sprachkompetenzen und der entsprechenden Löhne und Gehälter.

2.9

Die Kommission (GD Bildung und Kultur) hat an die Teilnehmer der von ihr eingerichteten Konsultationsplattformen eine beschränkte Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen veröffentlicht, um damit

Vorhaben für Unternehmensdienstleistungen zu unterstützen;

die für die Stärkung der Fremdsprachenkenntnisse notwendigen Bildungsmaßnahmen, beispielhafte Vorgehensweisen sowie konkrete Vorschläge in einem Verzeichnis zu erfassen;

Projekte zur Förderung der Integration benachteiligter Gruppen zu entwickeln, z.B. für Migranten, Schulabbrecher und ältere Menschen;

Lernmethoden und technologiegestützte Modelle zu verbreiten;

und insgesamt den in ihrer Strategie und in den Empfehlungen des Rates enthaltenen Maßnahmen konkrete Gestalt zu geben.

2.10

Bedauerlich ist, dass sämtliche Arbeitsdokumente der Konsultationsplattformen sowie die Ausschreibung für Projekte zur Förderung der Mehrsprachigkeit ausschließlich in einer Sprache veröffentlicht wurden. Erste Empfehlung an die Kommission: Die Kommission sollte mit gutem Beispiel und Effizienz vorangehen und gegenüber möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern eine gewisse Kohärenz mit ihrer Strategie zur Verteidigung und Förderung der Mehrsprachigkeit zeigen; sie sollte dabei die Grundrechte der Teilnehmer an den von ihr eingerichteten Konsultationsplattformen - der Vertreter von Organisationen der Zivilgesellschaft und/oder der Sozialpartner - achten, d.h. ihnen im mündlichen Sprachgebrauch und hinsichtlich der Unterlagen die Arbeit in ihrer Sprache bzw. in einer Amtssprache der Europäischen Union gestatten  (6) und dazu mindestens drei oder vier Relais- oder Pivot-Sprachen einsetzen, darunter die Sprache zumindest eines der 2004 und 2007 beigetreten Mitgliedstaaten.

2.11

Die Kommission hat nun den Leitfaden 2010 zum Programm für lebenslanges Lernen  (7) veröffentlich, dessen spezifisches Programmziel Nr. 7 die Förderung des Sprachenlernens und der sprachlichen Vielfalt ist. In diesem Rahmen gibt es vier Einzelprogramme, nämlich Comenius für schulische Bildung, Erasmus für Hochschulbildung, Leonardo da Vinci für Berufsbildung und Grundtvig für Erwachsenenbildung, mit einer Reihe von Querschnittsprojekten wie der Schwerpunktaktivität 2 Sprachenlernen. Außer den EU-Mitgliedstaaten können sich an dem Programm beteiligen: die EWR-Staaten, die Türkei, die überseeischen Länder und Gebiete, Kroatien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien für einige Aktivitäten im Rahmen der Vorbereitungsphase, sowie Drittstaaten, die unter die Regelungen der Europäischen Nachbarschaftspolitik fallen oder die „von der EU im Rahmen der Entwicklung eines strategiepolitischen Dialoges in den Bereichen Bildung oder Mehrsprachigkeit als vorrangig bezeichnet werden“. Der Ausschuss misst dem Ziel eines europäischen Bezugsrahmens für die Qualitätssicherung im Bereich des lebenslangen Lernens große Bedeutung bei und ersucht die Organisationen der Zivilgesellschaft, den ersten Teil des veröffentlichten Leitfadens zu konsultieren. Der Veröffentlichung des zweiten Teils sieht er mit Interesse entgegen, insbesondere den darin enthaltenen Angaben über die für den Bereich Mehrsprachigkeit bereitgestellten Mittel (anteilig und Gesamtbetrag). Zweite Empfehlung: Der Ausschuss weist die Kommission erneut darauf hin, dass trotz unbestreitbarer Verbesserungen im Vergleich zu vorhergehenden Programmen ein Gesamtüberblick das Verständnis des Leitfadens und damit den Zugang zu den Programmen und Verfahren erleichtern würde. Die Modalitäten sind nach wie vor kompliziert und fördern kaum die Beteiligung von Organisationen, die sich in diesen Verfahren weniger auskennen, aber unabhängig von ihrer Größe und ihrer Verwaltungskapazität durch ihre Erfahrung und Innovation innerhalb des Adressatenkreises als Bereicherung angesehen werden können. Bestimmte öffentliche Bildungseinrichtungen beklagen zudem die verfahrenstechnischen und organisatorischen Zwänge, denn dabei wird kaum berücksichtigt, dass es ihnen an administrativen Mitteln fehlt, sowie die unzureichenden Finanzmittel, die aus den Programmen für die Ausbildung junger Dolmetscher (Mobilität, Eintauchen in die Sprache) und für die Weiterbildung ihrer Ausbilder zur Verfügung gestellt werden.

2.12

Im Jahresbericht des Europäischen Rechnungshofes zum Haushaltsjahr 2008 (8) werden Mittel in Höhe von 1,06 Mrd. EUR aus EU-Fonds für Bildung und Kultur einschließlich Mehrsprachigkeit ausgewiesen, sei es im Rahmen der zentralen Mittelverwaltung (EU-Agentur) oder der dezentralen Verwaltung (einzelstaatliche Agenturen); zudem werden verschiedene direkte und zweitrangige Kontrollen angeführt, die aufgrund der großen Zahl unmittelbar geförderter Akteure durchgeführt wurden, allerdings ohne nähere Angaben über den auf die Mehrsprachigkeit entfallenden Teil. Im Übrigen ist es gar nicht einfach, um nicht zu sagen unmöglich, jeweils den europäischen und die einzelstaatlichen Anteile sowie die finanziellen Gesamtaufwendungen für die einzelnen Aspekte einer europäischen Strategie für Mehrsprachigkeit zu ermitteln. Aufgrund dessen kann die Strategie weder im Vorfeld noch im Nachhinein bewertet werden. Deshalb sollte die Kommission nunmehr erwägen, was gegen dieses Manko unternommen werden kann. Dritte Empfehlung: Bestandsaufnahme der Aktionen für Mehrsprachigkeit, hinsichtlich der bereitgestellten Mittel und der durchgeführten Maßnahmen, auf EU-Ebene wie auf nationaler Ebene.

3.   Die Politik der Mehrsprachigkeit im EWSA

3.1

Der EWSA und der AdR verfügen über einen gemeinsamen Übersetzungsdienst (wobei 4-6 % des Volumens extern übersetzt wird) und nehmen den interinstitutionellen Dolmetschdienst der Kommission (SCIC) in Anspruch, der zu 49 bis 52 % auf nicht verbeamtete freie Mitarbeiter zurückgreift, um saisonal bedingte Schwankungen zu bewältigen und die Häufigkeit der Inanspruchnahme durch die einzelnen Institutionen zu berücksichtigen.

3.2

Der EWSA und der AdR haben jeweils Dienstleistungsvereinbarungen (Service Level Agreements) unterzeichnet, in denen die Bedingungen für die Bereitstellung von Dolmetschern durch die Generaldirektion Dolmetschen der Europäischen Kommission - kurz SCIC, die Kriterien für die Abrechnung dieser Dienstleistungen sowie die Pflichten beider Vertragsparteien festgelegt sind. Die Arbeitsbedingungen und die Vergütung der freiberuflichen Dolmetscher sind in einer Interinstitutionellen Vereinbarung geregelt, die zwischen den beteiligten EU-Institutionen und dem Internationalen Verband der Konferenzdolmetscher (AIIC) ausgehandelt wurde.

3.3

Die gemeinsamen Dienste der beiden Ausschüsse haben zur Abdeckung der mit 11 neuen Amtssprachen gewachsenen Erfordernisse in diesem Bereich (462 mögliche Sprachkombinationen) nach den Erweiterungen 2004 und 2007 ein Pivot-Sprachensystem (9) eingeführt. Zudem haben die Generalsekretäre der beiden Ausschüsse am 25. Mai 2010 einen Verhaltenskodex für die Übersetzung beschlossen, der es ermöglicht, aufgrund der Besonderheit der von den jeweiligen Versammlungen und Verwaltungen erstellten Dokumente eine Rangfolge und Fristen für die Übersetzungen festzulegen.

3.4

Die Sprachendienste haben eine Informationsbroschüre (Entwurf) für Mitglieder und Berichterstatter erstellt, um in sprachlichen Fragen stärker untereinander und mit den Mitgliedern zusammenzuarbeiten. In dieser Broschüre wird vor allem darauf hingewiesen, dass es eine persönliche Betreuung in Sprachfragen gibt, um die Berichterstatter bei der Erstellung der Dokumente in der Ausgangssprache zu unterstützen, insbesondere wenn dies nicht ihre Muttersprache ist. Diese Beratung und die Möglichkeit, die Dokumente vor der Weitergabe an den Übersetzungsdienst Korrektur lesen zu lassen, tragen zu einer Verbesserung der Qualität der Dokumente und damit der Arbeitsbedingungen der Übersetzer sowie zu einer Verkürzung der Fristen bei.

3.5

Diese stärkere Zusammenarbeit mit dem Ziel besserer Dienstleistungen und Bedingungen für Berichterstatter, Mitglieder und Übersetzer, sollte mittelfristig auch die Mitglieder bzw. ihre Vertreter einschließen, die in einer Kontaktgruppe über die bereits bestehenden Kontakte zwischen Übersetzungsdienst, Verwaltungen und Generalsekretariaten hinaus generelle, notwendige, transparente und längerfristig angelegte Überlegungen über eine eigene Sprachenpolitik der beiden Ausschüsse unter Einbeziehung der Aspekte Qualität und Quantität anstellen könnten (vierte Empfehlung).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die Konsultation des Internationalen Verbands der Konferenzdolmetscher AIIC (Association internationale des interprètes de conférences) und der Gewerkschaft der EU-Beamten Union syndicale zeigt, dass diese Organisationen nicht nur die Interessen der angestellten und selbstständigen Dolmetscher im Hinblick auf die Personalstärke, Arbeitszeiten und materielle Arbeitsbedingungen (Arbeitsräume und Dolmetschkabinen) vertreten, sondern auch eine Aufsichtsfunktion für den Berufsstand haben. Freiberuflich tätige Dolmetscher und Übersetzer haben aufgrund von Vereinbarungen mit den EU-Institutionen die gleichen Rechte und erhalten die gleichen Bezüge wie EU-Beamte, die die gleichen Aufgaben erfüllen, allerdings nur für die gearbeiteten Tage und für jeden Einsatz einzeln, was in der Praxis dann doch Unterschiede bedingt. In den Vereinbarungen sind jedoch auch Regeln über die Qualität der Dienstleistungen enthalten; ebenso handeln Dolmetscher, die Mitglieder des AIIC sind, bei Aufträgen durch die EU-Institutionen normalerweise die Bedingungen für ein ganzes Team von Dolmetschern aus. Bislang haben die EU-Institutionen in ihrer Eigenschaft als rechtsetzende Instanzen eine positive Rolle gespielt und die Tätigkeit des AIIC auf dem Gebiet der Sozialvorschriften und berufsständischen Bestimmungen ergänzt.

4.2

Im Zuge der vielfältiger werdenden Nachfrage hat sich offenbar eine Reihe von Praktiken herausgebildet und gibt es bestimmte Kunden, die nicht so sehr auf die Akkreditierung und die Qualität achten und sogar Dienstleistungen für „Kabinen mit Besetzung“ akzeptieren, bei denen ein Dienstleister das Material (Kabinen und Tontechnik) und die Dienste der Dolmetscher im Rahmen ein und derselben Abrechnung zur Verfügung stellt, was zweierlei Effekte hat:

einerseits illegaler Einsatz von Leiharbeitskräften und die Abschöpfung einer illegalen Provision (das Unternehmen ist nicht als Leiharbeitsfirma angemeldet und darf sowohl nach EU-Recht als auch nach den internationalen Übereinkommen keine Provisionen von Honoraren einbehalten);

andererseits mangelhafte Kontrolle der Qualität der erbrachten Dienstleistungen, die vermeintlich „europäisches“ Niveau haben, was fälschlich suggeriert, qualifizierte EU-Dolmetscher kämen zum Einsatz.

4.3

Im Hinblick auf die Institutionen hatte der AIIC die Generaldirektion Dolmetschen darauf hingewiesen, dass mehrere Generaldirektionen der Kommission gelegentlich Aufträge für Konferenzdienstleistungen einschließlich Verdolmetschung ausschreiben, die nicht den Bestimmungen der Vereinbarungen entsprechen. Nach Konsultation des Juristischen Dienstes hat die GD Dolmetschen die anderen Generaldirektionen der Kommission diesbezüglich informiert.

4.4

Der Berufsstand des Dolmetschers ist nicht reglementiert. Der AIIC weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass angesichts der vielfältiger werdenden Nachfrage (Unternehmen, sozialer Sektor usw.) Überlegungen zur Förderung des Berufsstandes erforderlich sein könnten, wobei klare Kriterien für die Verwendung der Berufsbezeichnung Dolmetscher (Hochschulabschluss, Professionalität und Berufserfahrung usw.) festgelegt werden sollten, um negative Auswirkungen auf den ganzen Berufsstand zu vermeiden und Nutzer und Kunden vor missbräuchlichen Praktiken (hohe Rechnungen für unterdurchschnittliche Qualität) zu schützen. Die Kommission könnte dahingehend eine europaweite Konsultation der Sozialpartner einleiten (fünfte Empfehlung). Darüber hinaus stimmen alle befragten institutionellen und freiberuflichen Vertreter der Dolmetscher und Übersetzer darin überein, dass ein positives und attraktives Bild dieser beiden Berufe vermittelt und gefördert werden muss, um das ausscheidende Personal mittel- und langfristig ersetzen zu können.

4.5

Das Europäische Parlament verfügt in beiden Bereichen über eigene Dienste, hat auch einen Verhaltenskodex (10) und greift 2010 zu 40 %, d.h. für 22 Mio. EUR, auf externe Übersetzungen zurück.

4.6

Im Rahmen der Sprachenregelung der Institutionen hat der Europäische Rechnungshof zwei Sonderberichte (11) über die Ausgaben für Dolmetschleistungen (RS 5/2005) und für die Übersetzung (RS 9/2006) im EP, in der Kommission und im Rat erstellt.

5.   Sprachenregelung und kulturelle Vielfalt nach dem Vertrag von Lissabon

5.1

Abgesehen von der Zahl der Sprachen und der Sprachenregelung für die Übermittlung der Entwürfe von Gesetzgebungsakten an die nationalen Parlamente (Protokoll Nr. 1 Artikel 4) sind im Vertrag von Lissabon keine wesentlichen Änderungen an der Sprachenregelung der EU vorgenommen worden, vielmehr wurde das Ziel der Achtung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas bekräftigt (12).

5.2

Die Sprachenregelung der EU-Institutionen wird unbeschadet der Bestimmungen der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom Rat einstimmig durch Verordnungen getroffen (Art. 342 AEUV, ex-Art. 290 EGV). Die Sprachenregelung des Europäischen Gerichtshofes wird ebenfalls vom Rat einstimmig durch eine Verordnung getroffen (Protokoll Nr. 3 Artikel 64). In Artikel 3 EUV (ex-Artikel 2 EUV) ist u.a. festgelegt, dass die Union „den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt [wahrt] und […] für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas [sorgt].

5.3

In Artikel 55 EUV (ex-Artikel 53 EUV) werden die Sprachen festgelegt, in denen der Vertrag abgefasst ist und in die er übersetzt ist. Die Erklärung Nr. 16 zu Artikel 55 Absatz 2 EUV sieht Folgendes vor: „Die Konferenz ist der Auffassung, dass die Möglichkeit der Erstellung von Übersetzungen der Verträge in den Sprachen nach Artikel 55 Absatz 2  (13) zur Verwirklichung des Ziels beiträgt, den Reichtum der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Union im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 4 zu wahren. Sie bekräftigt diesbezüglich, dass die Union großen Wert auf die kulturelle Vielfalt Europas legt und diesen und anderen Sprachen weiterhin besondere Bedeutung beimessen wird.

5.4

Im Kapitel „Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft“ (zweiter Teil des AEUV) ist festgelegt, dass die Unionsbürger das Recht haben, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe und die beratenden Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten (Artikel 20 AEUV (ex-Artikel 17 EGV)).

5.5

Im Titel XII „Allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport“ heißt es: „Die Union trägt zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt.“ (Art. 165 AEUV (ex-Art. 149 EGV)).

5.6

Auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik ist in Artikel 207 Absatz 4 AEUV (ex-Artikel 133 EGV) Folgendes festgelegt: „Der Rat beschließt ebenfalls einstimmig über die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen in den folgenden Bereichen: a) Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, wenn diese Abkommen die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union beeinträchtigen könnten“;

5.7

In der Charta der Grundrechte wird die Sprache als einer der verbotenen Diskriminierungsgründe genannt: „Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.“ (Art. 21). Und in Artikel 22 heißt es: „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.“

5.8

In dieser Hinsicht sollte auch der EWSA den Inhalt vor die Form stellen und vor der Änderung seines Internetportals immer sicherstellen, das sämtliche Seiten und Dokumente zugänglich sind und bereits in die EU-Sprachen übersetzt wurden. Die für die Änderungen der Präsentation aufgewendeten Haushaltsmittel könnten gemeinsam mit dem Sprachendienst getragen werden, der ja auch und vor allem einen Kommunikationsauftrag hat (Empfehlung Nummer 6).

Brüssel, den 15. September 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2005) 596 vom 22. November 2005, ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 68.

(2)  KOM(2008) 566 vom 18. September 2008, ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 109.

(3)  Entschließung 2008/C320/01.

(4)  Wirtschaftsforum für Mehrsprachigkeit.

(5)  Französisches Gesetz vom 4.8.1994 über die Verwendung der französischen Sprache.

(6)  Artikel 22 der EU-Grundrechtecharta: „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“.

(7)  http://ec.europa.eu/education/lifelong-learning-programme/doc78_de.htm - „Das Programm für lebenslanges Lernen“.

(8)  ABl. C 269 vom 10.11.2009.

(9)  2009-106 vom 23.11.2009.

(10)  PE 413.599/BUR vom 18.11.2008.

(11)  ABl. C 291 vom 23.11.2005 und ABl. C 284 vom 21.11.2006.

(12)  Siehe auch: PE 431.591.0: Studie über die Struktur- und Kohäsionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, 15.2.2010.

(13)  Das heißt, der Vertrag kann ‚in jede andere von den Mitgliedstaaten bestimmte Sprache übersetzt werden, sofern diese Sprache nach der Verfassungsordnung des jeweiligen Mitgliedstaats in dessen gesamtem Hoheitsgebiet oder in Teilen davon Amtssprache ist.


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